Die Kryosphäre Matthias Schlögl & Matthias Hohenleutner 04.12.2009 Inhaltsverzeichnis 2 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1.1 1.2 2 3 4 5 6 3 Entstehung und Eigenschaften von Schnee und Eis . . . . . . . . . . . . . 5 1.1.1 Eis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.1.2 Schnee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Komponenten der Kryosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Schnee 10 2.1 Ausdehnung und Bedeutung für das Klima . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.2 Veränderungen der Schneebedeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.3 Prognosen für die Entwicklung der Schneebedeckung 13 . . . . . . . . . . . . Meereis 14 3.1 Entstehung und Dickenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3.2 Dynamik und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3.3 Ausdehnung und saisonale Variabilität, Arktis vs. Antarktis . . . . . . . . 16 3.4 Meereis im globalen Klimasystem, Wechselwirkung mit Luft und Wasser . 18 3.5 Erforschung des Meereises, Motivation und Methoden . . . . . . . . . . . 21 3.6 Entwicklung des Meereises, Gründe und mögliche Prognosen . . . . . . . . 27 Gletscher, Eisschilde und Schelfeis 31 4.1 Gletscher allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4.2 tropische Gletscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4.3 Eisschilde und Schelfeis 39 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . See- und Fluÿeis 47 5.1 Bedeutung von See- und Fluÿeis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 5.2 Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 5.3 Fluÿcharakteristik, Auftau und Überutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 5.4 Auswirkung auf menschliche Strukturen 51 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefrorener Boden und Permafrost 51 6.1 Entstehung und Begrisklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 6.2 Ausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 6.3 Typische Landschaftsformen und Probleme der Bebauung . . . . . . . . . 53 6.4 Permafrost und Klima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6.5 Erforschung und Entwicklung des Permafrosts, mögliche Folgen . . . . . . 56 1 EINLEITUNG 3 1 Einleitung Die Kryosphäre ( von griechisch kryo = kalt ) bezeichnet jenes Subsystem der Erde in welchem sich Wasser in seinem festen Aggregatszustand bendet. Dieses beinhaltet Meereis See- und Fluÿeis Schneebedeckung Gletscher Eiskappen und -schilde geforener Boden insbesondere Permafrostboden Abbildung 1: Fläche, Volumen und SeaLevelEquivalent der Komponenten, [6] Viele Verbindungen und Rückkopplungsmechanismen, wie z.B. den Einuss auf die Oberächenenergiebilanz, Frischwasserzyklus und atomosphärische sowie ozeanische Zirkulationen, machen sie zu einem integralen Bestandteil des globalen Klimasystems. Diese Rückkopplungseekte und Verbindungen werden von elementaren Eigenschaften des Wassers verursacht sowie von der Tatsache dass dieses auf der Erde in allen drei Phasen existieren kann. Dabei sind die Druck- und Temperaturbereiche so, dass Phasenübergänge häug stattnden können. Dies ist auf keinem anderem Planeten in unserem Sonnensystem der Fall. 1 EINLEITUNG 4 Abbildung 2: Lage der Planeten in Phasendiagramm von Wasser, [2] Desweiteren ist zu beachten, dass die zeitlichen Dimensionen der Verweilzeit von Wasser innerhalb der Kryosphäre um einige Gröÿenordnungen höher liegen als im in eisfreien Gebieten, was sich z.B. im Massenhaushalt wiederspiegelt. Abbildung 3: Komponenten und Verweilzeit von Wasser eben dort, [6] 1 EINLEITUNG 5 Im folgenden soll nun daher zuerst ein Überblick über Entstehung von Eis und Schnee, sowie deren essentiellen Eigenschaften im Bezug auf die zu interessierenden Wechselwirkungen gegeben werden. 1.1 Entstehung und Eigenschaften von Schnee und Eis 1.1.1 Eis Eis kristallisiert in der Natur hexagonal (Raumgruppe a = 6,27 Åund c = 5,97 Å) und wird mit Ih P 63 /mmc mit Gitterparametern bezeichnet. Dabei schlieÿen sich jeweils sechs Wassermoleküle über Wasserstobrückenbindungen zu einem Ring zusammen. Jedes Molekül ist wiederrum Teil von zwei benachbarten Ringen. Die hexagonale Struktur spiegelt sich auch in der makroskopischen Gestalt der Eiskristalle wieder. Dieses Eis hat damit eine Dichte von g 0, 9168 cm 3 bei 0 °C und ist damit um ca 10 % geringer als das von Wasser in üssiger Phase bei gleicher Temperatur. (a) Hexagonale Struktur von Eis schematisch,[9] (b) Mikroskopische Aufnahmen von Eiskristall,[9] Abbildung 4: Eisstruktur schematisch und unter Mikroskop Darüberhinaus sind noch weitere 13 kristalline und 5 amorphe Modikationen bekannt, z.B. das metastabile kubische Eis Ic in welchem die O-Atome Diamantstruktur aufwei- sen. Diese entstehen unter hohen Drücken ab 207,5 MPa und Temperaturen unter -22 °C und sind auch Gegenstand aktueller Forschung wie z.B. an der TU Darmstadt. (Link: http://www.fkp.tu-darmstadt.de/groups/ag_fujara/fur/eis/index.de.jsp Nachfolgendes Phasendiagramm liefert einen Ausschnitt über mögliche Kongurationen und Parameter. Bemerkung: Temperaturleitfähigkeit Die Temperaturleitfähigkeit ( thermal diusivity ) α beschreibt die zeitliche Veränderung der räumlichen Verteilung der Temperatur durch Wärmeleitung aufgrund eines Temperaturgradienten. α= λ ρcT (1.1) 1 EINLEITUNG 6 Abbildung 5: Hochdruck Eisphasen - Diagramm,[?] wobei λ : Wärmeleitfähigkeit aus q̇ = −λ∇T ρ : Dichte , cT : spezische Wärmekapaziät , q̇ (1.2) : Wärmestromdichte Dadurch lässt sich die Wärmelleitungsgleichung schreiben als ∂T = ∇ [α(~x, t)∇T (~x, t)] ∂t (1.3) was sich im Fall isotroper Medien vereinfacht zu ∂T = α(T )∆T (~x, t) ∂t (1.4) Das bedeuted also, je gröÿer die Temperaturleitfähigkeit ist, desto kleiner ist der Temperaturgradient, desto schlechter isoliert die Schicht. Damit wären die wichtigen physikalischen Gröÿen zur Beschreibung der thermischen Eigenschaften von Eis und Schnee behandelt. Nachstehende Tabelle liefert einen Überblick: λ W m−1 K −1 ρ gcm−3 cT Jkg −1 K −1 α cm2 s−1 Schotter 0.003 2.0 0.18 0.008 vereister Lehm 0.006 1.6 0.31 0.012 trockener Torf 0.004 0.4 0.5 0.002 Eis 0.005 0.9 0.5 0.12 vereister Torf 0.005 0.9 0.4 0.12 Schnee (frisch) 0.0002 0.2 0.45 0.002 Schnee (komprimert) 0.0005 0.3 0.45 0.004 Wasser 0.0013 1.00 1.00 0.0013 Granit 0.006 2.7 0.19 0.013 nasser Lehm 0.0006 0.3 0.45 0.004 1 EINLEITUNG 7 Schnee und Eis funktionieren also als Wärmeisolatoren. Es handelt sich bei ihnen um sehr poröse Medien mit sehr hoher Isolierungswirkung. Daraus kann ein sehr starker Temperaturgradient innerhalb des Mediums resultieren, was zu Umstrukturierungen führt. Die thermerische Leitfähigkeit einer Schneebedeckung ist, verglichen mit blosser Erde, sehr niedrig und variiert mit der Dichte und dem Gehalt an üssigem Wasser. Darüberhinaus reektieren Schnee und Eis enorm. Kalter Schnee reektiert den gröÿten Teil an kurzwelliger Strahlung und absorbiert und emittiert den gröÿten Teil der langwelligen Strahlung. Mit voranschreitenden Schmelzen wird weniger kurzwelliges Licht reektiert. Schneebedeckung verhält sich nahezu wie ein idealer schwarzer Körper. Das Emissionsspektrum hängt dabei von der Oberächentemperatur der Schneebedeckung ab. Die gröÿte Albedo von 0,9 wird dabei von einer von frischem Schnee bedeckten Eisschicht erreicht. Diese sinkt auf 0,5 bis 0,6 für nassen Schnee und 0,3 - 0,4 für porösen, dreckigen Schnee. Abbildung 6: Albedowerte für Eis und Schnee im Vergleich, [9] Wasser und Boden absorbieren 80-90 % und heizen sich auf was die unteren Luftschichten erwärmt, die globale Erdmitteltemperatur langsam ansteigen lässt und so zum weltweiten Abschmelzen weiterer Schnee- und Eisächen führt. Umgekehrt könnte eine einmal begonnene Abkühlung zu einer Ausdehnung von Schnee- und Eisächen, damit zu einer erhöhten Rückstrahlung und zu weiterer Abkühlung führen. Derzeit ist als Folge der globalen Erwärmung in der Arktis vielerorts eine zunehmende Gletscherschmelze und ein Verschwinden arktischen Polareises erkennbar. Vermehrte Niederschläge durch erhöhte Verdunstung und deren Ablagerung als Schnee und Eis in 1 EINLEITUNG 8 ehemals trocken-kalten oder ozeanischen Gebieten können hingegen einer Erwärmung entgegen wirken. (a) [2] (b) [2] (c) [2] Abbildung 7: spektrale Albedos über Schnee, Eis, schneebedecktes Eis und schmelzendes Eis Nach den Begrien der Regelungstechnik handelt es sich um eine Positive Rückkopplung , die die wirkende Ursache weiter verstärkt. Systeme mit positiver Rückkopplung können instabil werden und verhalten sich oft nichtlinear, was Berechnungen kompliziert macht. Die genaue Vorhersage der Eis-Albedo-Rückkopplung ist ein Problem bei der Simulation der globalen Erwärmung. 1.1.2 Schnee Schnee ist im Endeekt natürlich Eis, nur die Entstehung geht anders von statten. 1 EINLEITUNG 9 Schnee entsteht, wenn sich in den Wolken feinste Tröpfchen unterkühlten Wassers an Kristallisationskeimen (zum Beispiel Staubteilchen) anlagern und dort gefrieren. Dieser Prozess setzt jedoch erst bei Temperaturen unter -12 °C ein, wobei Wasser in Abwesenheit von Kristallisationsansätzen bei bis zu -40 °C üssig bleiben kann. Die dabei entstehenden Eiskristalle, weniger als 0,1 mm groÿ, fallen durch zunehmendes Gewicht nach unten und wachsen durch den Unterschied des Dampfdrucks zwischen Eis und unterkühltem Wasser weiter an. Auch resublimiert der in der Luft enthaltene Wasserdampf, geht also direkt in Eis über und trägt damit zum Kristallwachstum bei. Es bilden sich die bekannten sechseckigen Formen aus. Wegen der besonderen Struktur der Wassermoleküle sind dabei nur Winkel von 60° bzw. 120° möglich. Die unterschiedlichen Stammformen der Schneekristalle hängen von der Temperatur ab bei tieferen Temperaturen bilden sich Plättchen oder Prismen aus, bei höheren Temperaturen sechsarmige Dendriten (Sterne). Auch die Luftfeuchtigkeit beeinusst das Kristallwachstum. Folgendes Morphologie-Diagramm gibt einen Überblick über die Kristall-Struktur und bestimmten Bedingungen. Abbildung 8: Morphologie von Schnee anhand der betreenden physik. Parameter, [9] 1.2 Komponenten der Kryosphäre Die Wechselwirkungen der Kryosphäre im Klimasystem der Erde betreen drei Hauptbereiche: 1. Die Wirkung von Eis und Schnee auf die Strahlungsbilanz der Erde 2. Den Massenaustausch der Polregionen mit dem restlichen Globus 3. die Energiebilanz, die hauptsächlich auf Wärmeübertragung basiert. Folgende Grak gibt einen Überblick über die verschiedenen Zusammenhänge und Wechselwirkungen mit anderen Bereichen. 2 SCHNEE 10 Abbildung 9: Wechselwirkung der Kryosphäre im Klimasystem Erde, [2] Im Folgenden wird nun jeweils jede Komponente der Kryosphäre zunächst phänomenologisch, in genannter Wechselwirkung und im Ausblick auf zukünftige Entwicklung erläutert. Auÿerdem soll ein Überblick über die wichtigsten Methoden zur Erfassung der ausschlaggebenden Parameter gegeben werden. 2 Schnee 2.1 Ausdehnung und Bedeutung für das Klima Bezogen auf die räumliche Ausdehnung ist der Schnee nach den saisonal gefrorenen Böden die gröÿte Komponente der Kryosphäre. In der maximalen Ausdehnung im Winter werden im Mittel 47 Millionen km2 der Landäche von Schnee bedeckt. Dabei bendet sich 98% des Schnees auf der Nordhalbkugel, eine ganzjährige Schneedecke ist auf der Südhalbkugel nur in Hochgebirgslagen zu nden. Diese maximale Ausdehnung entspricht immerhin fast der Hälfte der gesamten Landäche der nördlichen Hemisphäre. Hierbei ist zu beachten, dass sich diese Zahlen, wie auch die nachfolgenden Betrachtungen, nur auf die Schneedecke über Landmassen, nicht jedoch auf die über Meereis oder Eisschildern wie auf Grönland beziehen. In Abbildung 10 ist die Schneebedeckung der nördlichen Hemisphäre von Januar 1979 zu sehen, die eine Ausdehnung hatte, wie sie bis heute nicht mehr erreicht wurde. Während eines Jahres schwankt die Schneedecke enorm von oben genannten Werten im Februar bis auf minimal weniger als 1 Million km2 im späten August. Auch in kürzeren Längenskalen kann sich die Schneebedeckung extrem ändern. Beispielweise kann schon der Durchzug eines groÿen Tiefdruckgebietes die Ausdehnug um bis zu 1 Million km2 innerhalb weniger Tage vergröÿern. Eine geschlossene Schneedecke hat mehrere Auswirkungen, die sowohl regional als auch global das Klima beeinussen können. Zum Einen spielt eine mögliche Schneedecke eine wichtige Rolle in der jährlichen Strahlungsbilanz der Landmassen. Mit seiner sehr hohen Albedo (vergleiche Abschnitt 1) von 80-90% wird von Schnee wesentlich weniger Sonnenstrahlung 2 SCHNEE 11 Abbildung 10: Maximale Ausbreitung der Schneedecke auf der nördlichen Hemisphäre im Januar 1979 absorbiert, als von Landmassen, die je nach Bebauung und Vegetation typische Albedo-Werte von 10-20% aufweisen. Daher ist die Schneebedeckung für den enormen Unterschied der Rückstrahlvermögens der Landmassen zwischen Sommer und Winter verantwortlich. Vestärkt wird dieser Eekt durch die schon angesprochene positive Albedo-Rückkopplung. Auf den Srahlungshaushalt hat auÿerdem die auftretende Schmelzwärme einen groÿen Einuss. Ist die Landmasse von Schnee bedeckt, so wird erst ein groÿer Teil der einfallenden Sonnenstrahlung zum Schmelzen des Schnees benötigt, d.h. die Schneedecke schmilzt, wird aber nicht erwärmt. Wäre keine Schneedecke vorhanden, würde diese Sonneneinstrahlung direkt zu einer Erwärmung des Bodens führen. Die Schneedecke fungiert also während der Schneeschmelze als enorme Energiesenke. Hinzukommt, dass eine Schneebedeckung eine hohe isolierende Wirkung hat, die nicht nur den Boden vor dem Durchfrieren schützen kann, sondern im umgekehrten Fall auch gefrorenen Boden während wärmeren Phasen vor dem Auftauen bewahren kann (siehe Permafrost). Zum Anderen hat die Schneedecke einen groÿen Einuss auf den Feuchtigkeitshaushalt der bodennahen Luftschichten, da sie nicht nur den Austausch von Wärme, sondern auch von Feuchtigkeit zwischen Atmosphäre und oberen Bodenschichten vermindert. Zudem verlangsamt sie das Abieÿen und Versickern von Niederschlagswasser, was ebenfalls das regionale Klima beeinusen kann. Es wird davon ausgegangen, dass groÿe Schneebedeckungen auch die atmosphärische Dynamik beeinussen, z.B. die Stärke des asiatischen Sommermonsuns. Wenn beispielweise im Frühjahr weniger Schnee liegt, trocknet der Boden bis zum Sommer stärker aus, was den Gegensatz zwischen Land und Meer, uns somit den Monsunregen verstärkt. 2.2 Veränderungen der Schneebedeckung Innerhalb der letzten vierzig Jahre wurde die Schneebedeckung der nördlichen Hemisphäre mittels Satelliten regelmäÿig beobachtet. Insbesondere die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) liefert seit 1966 wöchentliche Bilder der Schneeausdehnung, die im sichtbaren Spektralbereich aufgenommen wurden. Auch 2 SCHNEE 12 1 eignet sich für die Beobachtung der Schneedecke, die passive Mikrowellen-Radiometrie und trägt ebenfalls zu einer langzeitlichen und groÿächigen Datenerhebeung bei. Beide Messmethoden liefern sehr gut übereinstimmende Bilder und Ausdehnungswerte der Schneedecke, weshalb deren Entwicklung anhand dieser Daten sehr gut erforscht ist. Diese gute Übereinstimmung ist in der folgenden Abbildung 11 zu sehen, in der die von Schnee bedeckte Fläche der Landmassen der nördlichen Hemisphäre zwischen 1978 und 2005 aufgetragen ist. Dabei stellt die orange Linie die Daten der NOAA dar, die lila bzw. grüne Linie die mittels passiver Mikrowellendetektion gewonnenen Daten. Abbildung 11: Saisonale Schwankungen der Schneebedeckung der NH aus Datenreihen von Satelliten-Aufnahmen im sichtbaren (orange) und MikrowellenSpektralbereich (grün/lila) im Zeitraum 1978 bis 2005 Insgesamt lässt sich über die letzten Jahrezehnte der deutliche Trend einer Abnahme der Schneebedeckung feststellen. Wie in Abbildung 12 a) zu sehen ist, hat die Schneebedeckung auf der Nordhalbkugel zwischen 1972 und 2003 um fast 10% abgenommen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Schneebedeckung während den Herbst- und Wintermonaten wesentlich schwächer abgenommen hat (1-3% pro Jahrzehnt), dafür aber während den Frühjahr- und Sommermonaten wesentlich stärker (3-5% pro Jahrzehnt). Auÿerdem muss darauf hingedeutet werden, dass diese Abnahme der Ausbreitung der Schneedecke nicht gleichzeitig eine Abnahme der Dicke der Schneedecke an allen Stellen der Erde bedeutet. Auch die Niederschläge haben im Allgemeinen nicht abgenommen, in manchen Regionen sogar leicht zugenommen. Im asiatischen Sibirien beispielsweise hat die Tiefe der Schneedecke aufgrund höherer Niederschläge sogar zugenommen. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass der Rückgang der Schneebedeckung direkt durch die Erhöhung der Temperaturen begründet ist. Aus den gewonnenen Daten der Fernerkundung lassen sich Karten erstellen, in denen die Änderung der Schneetage, also die Dierenz der Tage pro Jahr, in der eine bestimmte Region mit Schnee bedeckt ist, zu sehen ist. Anhand dieser Darstellung, wie sie für die nördliche Hemisphäre in Abbildung 12 b) gezeigt ist, lassen sich regionale Trends gut bestimmen. Anhand der Abbildung erkennt man beispielsweise, dass in den westlichen Vereinigten Staaten eine starke Abnahme der schneebedeckten Zeit um 2-3 Tage pro Jahrzehnt festzustellen war. Eine weitere Veränderung der Schneebedeckung und deren Wechselwirkung mit dem Klimasystem ergibt sich durch die zunehmende Luftverschmutzung in manchen Gebieten der Erde. Die Ruÿablagerungen im Schnee nehmen mancherorts stark zu, was zu einer Reduzierung der Albedo des Schnees führt, und die Absorption der Sonnenstrahlen erhöht. Man geht davon aus, dass diese Verschmutzung der 1 Für eine genaue Beschreibung siehe Abschnitt Erforschung des Meereises, Motivation und Methoden 2 SCHNEE 13 (a) Entwicklung der Schneebedeckung der NH zwi- (b) Änderung der Schneetage pro Dekade in der NH schen 1972 und 2003 zwischen 1978 und 2006 Abbildung 12: Entwicklung der Schneebedeckung der NH 2 auf der Nordhalbkugel Schneeächen zu einer Veränderung des sog. Strahlungsantriebs 2 um 0, 3W/m führt, was verglichen mit dem Wert von CO2 (1, 5W/m2 ), dem der gröÿte Anteil an der anthropogenen Klimaerwärmung zugeschrieben wird, nicht zu vernachlässigen ist. In Regionen wie im Nordosten von Kanada oder Nordsibirien ist eine Temperaturerhöhung festzustellen, von der bis zu 1°C nur diesem Eekt zugeschrieben wird. 2.3 Prognosen für die Entwicklung der Schneebedeckung Im Rahmen des IPCC-Berichtes wurden Modellrechnungen durchgeführt, die unter anderem die Entwicklung der Schneebedeckung auf der Erde vorhersagen sollen. Dabei wird analog zu dem Zeitraum der 70er bis 90er Jahre des 20. Jahrhunderts für den Zeitraum von 2071 bis 2090 eine weitere Abnahme der Schneebedeckung um 9-18% angegeben. Betrachtet man die Schneedecken in den Hochgebirgslagen mittlerer Breiten, die ächenmäÿig zwar eher gering ausfallen, jedoch regional von groÿer Bedeutung sind, so ist auch jetzt schon ein enormer Rückgang der Schneebedeckung aufgrund der seit 1950 im Mittel um 0,5°C gestiegenen Temperatur festzustellen. Es wird davon ausgegangen, dass sich dieser Trend die nächsten Jahrzehnte fortsetzen wird. Dabei würde nach gängigen Klimamodellen schon eine geringe Erhöhung der Temperatur in den Hochgebirgslagen um 1-2°C bis Mitte des Jahrhunderts zu einem Verlust von 60% der Schneemassen im Frühjahr führen, eine Erhöhung um 3°C bis 2090 sogar zu einem Rückgang um mindestens 70%. Dabei wird allerdings momentan davon ausgegangen, dass die Temperaturerhöhung wesentlich stärker ausfallen wird. In Abbildung 13 ist eine nach dem Modell des IPCC-Berichts simulierte Karte der Änderung der Schneetage in Eurasien, bezogen auf die Zeiträume von 1961-1990 und 2071-2100, zu sehen. Hierbei wird deutlich, dass gerade in den Hochgebirgslagen wie den Alpen eine sehr starke Abnahme der Schneetage zu erwarten ist. 2 Unter Strahlungsantrieb (Stratospheric adjusted Radiative Forcing) versteht man die Netto- Strahlungsussdichte durch die Tropopause, die aufgrund von veränderten Bedingungen in der Troposphäre zustande kommt. 3 MEEREIS 14 Abbildung 13: Änderung der Schneetage pro Jahr als Resultat von Simulationen mit dem deutschen Klimamodell CLM. Dargestellt ist die Dierenz der Jahre 2071-2100 und 1961-1990 3 Meereis 3.1 Entstehung und Dickenwachstum Meereis entsteht durch Gefrieren von Oberächenwasser, was es von anderen Eissorten wie Eisschilden, Schelf- und Gletschereis unterscheidet, die an Land durch Niederschlag entstehen. (Das hat insbesondere zur Folge, dass das Abschmelzen von Meereis keinen Anstieg des Merresspiegels zur Folge hat!) Aufgrund des Salzgehalts von Meerwasser ist die Entsteheung von Meereis gegenüber der von See- oder Flusseis ein wesentlich langsamerer Prozess: Bei einem mittleren Salzgehalt von 35 ppt in den Polarmeeren (parts entspricht 35kg Salz auf 1000kg Wasser ), per thousand, liegt der Gefrierpunkt des Wassers bei -1,8°C, also deutlich unter dem von Süÿwasser. Hinzukommt, dass die Temperatur maximaler Dichte von Salzwasser nicht wie bei Süÿwaser bei 4°C liegt, sondern mit steigendem Salzgehalt abnimmt. In folgendem Graphen werden dieser Zusammenhang, sowie die Gefriertemperatur in Abhängigkeit der Salinität gezeigt. Die hier verwendete Einheit für die Salinität, psu, Practical Salinity Unit 3 ist eine wesentlich komplexere Denition , hat aber im betrachteten Bereich beinahe die gleichen Werte wie in ppt. Wie erwähnt, steigt also die Dichte des Meerwassers an, wenn es in Richtung des Gefrierpunktes abgekühlt wird, was allerdings zur Folge hat, dass dieses kalte, dichte Wasser absinkt, wodurch wieder die Bildung von Oberächeneis erschwert wird. Findet Eisbildung an der Oberäche statt, so steigt im Umgebungswasser der Salzgehalt weiter an, da das Wasser zu salzfreiem Eis gefriert, während die Salzionen zurückbleiben. Dieser Anstieg der Salinität hat nach den eben beschriebenen Eekten ein verstärktes Absinken zur Folge. Somit reicht es also nicht aus, eine dünne Oberächenschicht auf den Gefreirpunkt abzukühlen, sondern es muss eine Wasserschicht von ca. 100 bis 150 m auf diese Temperatur abgekühlt werden, damit es zur Bildung von Meereis kommen kann. 3 Ein psu entspringt der sogenannten Practical Salinity Scale (PSS), die 1978 von Ozeanographen ein- geführt worden ist, und gibt das Verhältnis der Leitfähigkeit von Wasser der betrachteten Salinität und dem einer standartisierten Referenz-Salinität an. Es handelt sich hierbei jedoch oziell nicht um eine physiklaische Einheit! 3 MEEREIS 15 Abbildung 14: Temperatur maximaler Dichte und Gefrierpunkt von Salzwasser in °C in Abhängigkeit von der Salinität in psu Da das Eis eine geringe Wärmeleitfähigkeit besitzt, hat es eine isolierende Wirkung auf darunterliegende Wasserschichten, weshalb das Meereis nur einige Dezimeter bis Meter dick wird. Wie später noch beschrieben wird, gibt es allerdings weitere Eekte, die zu einer Dicke von Meereis in der Arktis von bis zu 20 Meter führen kann. Das Wachstum von Meereis unter Vernachlässigung von Strömungen, Wind und anderen dynamischen Eekten kann thermodynamisch leicht abgeschätzt werden. Dazu verwendet man meist eine Angabe der sog. Cumulative Freezing Degree Days (FDD), welche im Wesentlichen Auskunft darüber gibt, wie lange es wie kalt war: Bezogen auf den Gefrierpunkt von Polarmeerwasser (-1,8°C) wird die tägliche Durchschnittstemperatur angegeben, und über die Anzahl der Tage aufsummiert. In der folgenden Tabelle soll dies anhand beispielhafter Werte kurz verdeutlicht werden. Es Gesamtanzahl Tägliche rel. Temperatur Cumulative der Tage unter Durchschnitt- unterhalb des FDD dem stemperatur Gefrierpunktes -5,8°C 4°C Gefreierpunkt 1 2 3 -2,8°C -11,8°C 1°C 10°C 4 5 15 gibt meherere empirische Formeln, die eine Abschätzung der Eisdicke unter Verwendung dieser Gröÿe zulassen, eine davon ist die viel verwendete Formel von Lebedev (1938): Dicke = 1, 33 · F DD0,58 Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese Formel rein empirisch bestimmt worden ist, und verschieden dynamische Einüsse wie Merresströmung und Winde keine Berücksichtigung nden. Insbesondere der Einuss einer möglichen Schneedecke auf dem Eis führt zu einer drastischen Abweichung von dieser Abschätzung, da eine Schneedecke sehr gut isolierend wirkt und somit den Wärmeaustausch zwischen Eis und Luft extrem verringert. 3.2 Dynamik und Form Wie oben schon erwähnt, bildet sich aufgrund von gefrierendem Oberächenwasser nur eine Eisschicht von Dicken einiger Dezimeter oder Meter. Das Meereis ist jedoch einigen 3 MEEREIS 16 äuÿeren Einüssen unterworfen, die dazu führen, dass die Dicke der Eisschicht und die Verbreitung erheblich variieren. Im Wesentlichen durch Winde und Meeresströmungen wird die Eisschicht aufgebrochen, es bilden sich Risse, Keile und einzelne Eisschollen, die wiederum aufgrund verschiedener Einüsse in Bewegung gebracht werden. Dazu gehören neben Wind und Strömungen auch die Corioliskraft, die das Eis (wie auch die Winde) in seiner Bewegung seitlich ablenkt (NH: nach rechts, SH: nach links). Auÿerdem spielen innere Kräfte wie Verspannungen eine Rolle, die beispielweise im Sommer geringer sind, was eine höhere Beweglichkeit zulässt. Diese Bewegungen führen nun dazu, dass sich Eiskeile unter- und übereinander schieben, sich auftürmen, und dickere Eisschichten bilden (Ridged Ice). Die folgenden drei Abbildungen 15 zeigen typische Eislandschaften der Arktis. (a) Meereisbildung (b) Riss im Meereis (c) Ridged Ice Abbildung 15: Typische Strukturen des Meereises Diese Eekte führen zu extremen regionalen Unterschieden in den Eisdicken kommt, wobei die dickeren Schichten nicht, wie vielleicht zu erwarten wäre, an den kälteren Stellen zu nden sind. In der Arktis beispielweise gibt es entsprechend den mittleren Winden zwei groÿe Driftsysteme. Vor den Küsten Alaskas rotiert der Drift im Uhrzeigersinn (Beaufort-Gyre), von den Küsten Sibiriens aus wird das Eis über den Nordpol in Richtung der Fahrstraÿe zwischen Grönland und Spitzbergen transportiert(Transpolar-Drift). Dementsprechend ist das dünnste Eis an den Küsten Sibiriens zu nden, während an den Küsten Kanadas mittlere Eisdicken von 6m herrschen. Auÿerdem wird durch den Transpolar-Drift jährlich ca. 20% des arktischen Eises in den nördlichen Atlantik getrieben, wo es schlieÿlich schmilzt. Die Drifts sind in Abbildung 16 zu sehen. Als typische Strukturelemente des Meereises wären hier noch die sog. Polynjas hinzuzufügen, groÿe eisfreie Flächen inmitten des Eises, die aber aufgrund ihrer essentiellen Rolle in der Wechselwirkung des Meereises mit Luft und Ozean an späterer Stelle noch genauer betrachtet werden sollen. 3.3 Ausdehnung und saisonale Variabilität, Arktis vs. Antarktis Im Jahresmittel sind ca. 25 Millionen km2 der Erdoberäche mit Seeeis bedeckt, das entspricht knapp 7% der Oberäche der Weltmeere. Im Jahresmaximum sind bis zu 15% der Meeresoberäche mit Meereis bedeckt. In der Antarktis variiert die Ausdehnung des Merreises saisonal zwischen 3-4 Mio. km2 im Februar bis zu 17-20 Mio. km2 im September, also ca. um einen Faktor von fünf. In der Arktis dagegen variiert 2 2 die Ausdehnung zwischen 7-9 Mio. km (September) und 14-18 km (Februar). In der Arktis gibt es also einen gröÿeren, dauerhaften Bestand an Meereis, aber die saisonalen Schwankungen sind bei Weitem kleiner (ca. Faktor zwei). Dies liegt vor allem an den groÿen geographischen Unterschieden zwischen Arktis und Antarktis. In der folgenden Abbildung 17 sind die Meereis-Ausdehnungen jeweils für Sommer und Winter in Arktis und Antarktis dargestellt. 3 MEEREIS 17 Abbildung 16: Driftsysteme in der Arktis Während die Arktis ein fast vollständig von Landmassen umgebener Ozean ist, ist die Antarktis geograpisch gesehen beinahe das Gegenteil, nämlich ein Kontinent (Antarktika), vollständig von Meer umgeben. In der Arktis wird die Bewegung des Eises durch die umgebenden Länder stark begrenzt, weshalb die oben erwähnten Eekte, die zu einer Vergröÿerung der Dicke des Eises führen, wesentlich stärker zum Tragen kommen. Damit ist das Meereis der Arktis wesentlich dicker (typischerweise 2-3m) als das der Antarktis (1-2m), und somit stabiler gegenüber Temperaturschwankungen und den höheren Temperaturen während des Sommers. In der Arktis dagegen sind den Bewegungen der Eismassen vom Pol weg durch Landmassen praktisch keine Grenzen gesetzt, weshalb sie sich wesentlich weiter ausbreiten können, dünner bleiben, und in wärmere, höhere Breiten vordringen können. Ein weiterer Unterschied lässt sich an der Schneebedeckung des Meereises feststellen. Während in der Arktis die Niederschläge relativ gering sind, ist die Schneebedeckung des antarktischen Eises meist wesentlich gröÿer, da aufgrund des umgebenden Ozeans genug Feuchtigkeit zur Verfügung steht. Auÿerdem kann man an der unterschiedlichen räumlichen Verteilung den begrenzenden Eekt der Landmassen der arktischen Gebiete erkennen. Im Gegensatz zur Antarktis, wo sich das Meereis beinahe kreisförmig rund um den Südpol bendet, ist das Eis der Arktis wesentlich ungleichmäÿiger verteilt. In der Antarktis laufen Strömungen und Winde gleichmäÿig von West nach Ost um den Pol, womit sie für wärmeres Wasser und wärmere Luft eine Art Barriere darstellen. In der Arktis dagegen verhindern wärmere atlantische Strömungen Richtung Norden, dass sich das Eis weiter nach Süden ausbreitet. An den östlichen Küsten von Kanada und Russland wird die Eisbildung von kalten Strömungen und kalten ablandigen Westwinden bevorzugt. Die Eisbewegung in Arktis und Antarktis sind in den Abbildungen 18 und 19 zu sehen. 3 MEEREIS 18 Abbildung 17: Vergleich von Arktis und Antarktis 3.4 Meereis im globalen Klimasystem, Wechselwirkung mit Luft und Wasser Das Meereis spielt nicht nur durch seine sehr hohe Albedo eine wichtige Rolle im globalen Klimasystem der Erde, sondern auch durch seine Wechselwirkung mit der Polarluft und den Polarmeeren. Positive Rückkopplung der Albedo Da Eis, wie im ersten Abschnitt behandelt, insbesondere gegenüber Meerwasser ein sehr hohes Reexionsvermögen besitzt, ist schnell nachvollziehbar, dass die enormen Flächen, die von Meereis bedeckt sind, eine wichtige Rolle im Strahlungshaushalt der Erde spielen. Wie in nachfolgender Abbildung 20 ersichtlich ist, wird dieser Unterschied in der Albedo α noch verstärkt, wenn eine Schneedecke auf der Eisschicht vorhanden ist, was zumindest in der Antarktis fast ausschlieÿlich der Fall ist. Von der aufgrund des achen Einfalls der Sonnenstrahlung ohnehin geringen Einstrahlung an den Polen wird also der allergröÿte Teil reektiert, solange eine groÿe Fläche mit Eis bedeckt ist. Ein Schmelzen des Eises hat nun eine enorme Erhöhung der Absorption der einfallenden Strahlung im Meerwasser zur Folge, dieses erwärmt sich, und der Schmelzvorgang wird weiter begünstigt. Dieser Zyklus ist ein typisches Beispiel für die oben schon angesprochene positive Rückkopplung, also ein sich selbst verstärkender Prozess. Wärmeaustausch mit Luft und Wasser, thermohaline Zirkulation Während Meereis einerseits durch seine hohe isolierende Wirkung den Wärmeuss zwischen Meerwasser und kälterer Polarluft hemmt, spielen andererseits die Eisbildung und das Schmelzen eine extrem wichtige Rolle bei diesem Wärmeaustausch. Wie bei der Entstehung des Meereises schon erwähnt, führt das Abkühlen und schlieÿlich das Gefrieren von Oberächenwasser durch die kalte Umgebungsluft zu einem Anstieg des Salzgehalts und somit der Dichte des verbleibenden Wassers. Dieses kalte, schwere Wasser sinkt ab, und bildet 3 MEEREIS 19 Abbildung 18: Dynamik des Meereises nördlicher Hemisphere sozusagen den Startpunkt für die thermohaline Konzentration. Dementsprechend spielen Flächen inmitten des Meereises, die nur dünn oder garnicht mit Eis bedeckt sind, eine groÿe Rolle für den Wärmeaustausch zwischen Luft und Wasser. Insbesondere groÿe Risse im Eis und die sogenannten Polynjas sind hier ausschlaggebend. Polynjas sind eisfreie, meist elliptisch oder rund geformte Flächen inmitten des Meereises, die Gröÿen von bis zu mehreren tausend Quadratkilometern erreichen können. Es gibt zwei Arten von Polynjas, welche im Folgenden kurz erläutert werden sollen. Küstenpolynjas entstehen meist direkt am Rand der Küste, bzw. am Rand von fest verankertem Eis wie Eisschelf oder mit dem Grund verbundenen Eisbergen. Durch starken, ablandigen Wind wird das Packeis von der Küste weggeschoben, es bilden sich groÿe eisfreie Flächen, in denen ständig wieder Meereis entsteht, da im Wasser die nötigen Temperaturen vorherrschen. Dieses neu entstandene Eis wird weiterhin durch die Winde vertrieben, weshalb die Fläche immer eisfrei bleibt. Küstennahe Polynjas wirken daher als Meereis-Fabriken, da in ihnen ständig neues Meereis produziert wird. Neben einem sehr kleinen Anteil des Wärmeusses an fühlbarer Wärme (Sensible Heat), der Aufgrund des Temperaturunterschieds zwischen Luft und Wasser immer auftritt, besteht der gröÿte Teil des Wärmeusses in die kalte Polarluft hier aus latenter Wärme, die bei der Phasenumwandlung, also dem Gefrieren von Oberächenwasser entsteht. Daher werden die küstennahen Polynjas auch Latent-Heat-Polynjas genannt. Küstenferne Polynjas (Open-Ocean-Polynyas) entstehen durch wärmeres Tiefenwasser, das durch verschiedene Strömungen an die Oberäche gelenkt wird. Hier ndet hauptsächlich Austausch von fühlbarer Wärme statt, was auf den groÿen Temperaturunterschied zwischen Wasser und Luft zurückzuführen ist. Daher heiÿt diese Art der Polynjas auch Sensible-Heat-Polynya . 3 MEEREIS 20 Abbildung 19: Dynamik des Meereises südlicher Hemisphere (a) Oenes Meer (b) Eisdecke (c) Eisdecke mit Schneedecke Abbildung 20: Unterschiede der Albedo α Beide beschriebenen Arten sind zusammen mit Rissen im Eis nicht nur für die Tiere der Polarregionen und der Polarmeere extrem wichtig, sie spielen auch für das globale Klimasystem eine wichtige Rolle. Es wird davon ausgegangen, dass über solche eisfreien und eisarmen Stellen ca. die Hälfte des gesamten Wärmeusses von den Polarmeeren in die Polarluft stattndet. Wie oben erklärt, dienen sie sozusagen als Quellen für das kalte, dichte Bodenwasser der thermohalinen Zirkulation. Auÿerdem sind sie eine Quelle für Feuchtigkeit für die sonst eher trockene Atmosphäre über der Arktis, was regionale Wetterphänomene beeinusst. Als schönes Beispiel, an dem der Austausch von Wärme und Feuchtigkeit über eisfreien Stellen direkt gesehen werden kann, ist in Abbildung 22 neben einem Bild von Küstenpolynjas der sog. Arktische Seerauch gezeigt, also Nebel, der durch verdunstendes Wasser in der kalten Polarluft entsteht. 3 MEEREIS 21 Abbildung 21: Verschiedene Arten und Entstehung der Polynjas 3.5 Erforschung des Meereises, Motivation und Methoden Durch die oben beschriebenen Zusammenhänge wie die positive Meereis-Albedo-Rückkopplung reagiert des Meereis sehr sensibel auf Temperaturerhöhungen, was es zu einem wertvollen Indikator für Klimaveränderungen macht. Die Erforschung des Meereises gestaltete sich jedoch bis Mitte des 20. Jahrhunderts sehr schwierig, zwar konnten mit einzelnen Expeditionen mit Schien und U-Booten, sowie in Camps auf dem Packeis regionale Daten gesammelt werden. Wie erwähnt variieren die Eigenschaften des Meereises aber regional sehr stark, weswegen Aussagen über die gesamte Entwicklung beispielweise des arktischen Eises nur schwer zu treen waren. Erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der technischen Möglichkeit der sog. Fernerkundung (Remote Sensing), also dem Sammeln ächenhafter Informationen über die Erdoberäche anhand elektromagnetischer Strahlung via Satellit, konnten regelmäÿig Daten über das gesamte Meereis gesammelt werden. Typischerweise werden die Daten in einem Flächenraster (gridded eld) mit Zellen von 25 × 25km, also einer Fläche von 625km2 , erhoben. Um die Entwicklung des Meereises vollständig erfassen zu können, werden mehrere Gröÿen zur Beschreibung der Ausdehnung der Eisbedeckung erfasst, welche im Folgenden kurz deniert werden 4 sollen : Area bezeichnet die absolute Fläche, die mit Meereis bedeckt ist. Bezogen auf eine Zelle ist dies also die Fläche, die innerhalb dieser Zelle mit Meereis bedeckt ist, bezogen auf beispielweise die südliche Hemisphäre wäre damit die gesamte Fläche der Antarktis, die von Meereis bedeckt ist, gemeint. Concentration gibt den Anteil der von Eis bedeckten Fläche, bezogen auf eine Standardäche an. In der Regel wird die Konzentration auf die Zellengröÿe bezogen, es wird also der prozentuale Anteil der eisbedeckten Fläche innerhalb der 4 625km2 -Zelle angegeben. Der Einfachheit halber sollen hier die englischen Begrie verwendet werden, da die entsprechenden Datenquellen ohnehin ausschlieÿlich im Englischen zu nden sind 3 MEEREIS 22 (a) Küstenpolynja (b) Arktischer Seerauch Abbildung 22: Eisfreie Stellen inmitten des Meereises Extent gibt an, ob eine betsimmte Fläche von Eis bedeckt ist oder nicht, es handelt sich also um eine binäre Gröÿe. Für jede Zelle wir angegeben ob diese von Eis bedeckt ist (1) oder nicht (0). Dabei wird die Schwelle durch eine bestimmte Konzentration festgelegt, in der Regel 15% oder 30%. Manchmal wird mit dieser Gröÿe auch die ächenmäÿige Eisbedeckung angegeben, hier ist jedoch zu beachten, dass dies nicht der absoluten bedeckten Fläche (Area) entspricht, sondern hier alle Zellen, deren Bedeckung oberhalb der Schwelle liegen, aufsummiert werden. Daher ist der absolute Wert der bedeckten Flächen meist wesentlich kleiner. Anomaly gibt den Unterschied einer der oben genannten Gröÿen gegenüber ihrem zeitlichen Mittel an. Wird beispielsweise die Konzentrations-Anomalie des arktischen Meereises im September 2007 angegeben, bezieht sie sich auf den Durchschnittswert der September-Konzentrationen einer möglichst langen Zeit. Sea Ice Index des National Snow and Ice Data Centers, University of Boulder, Colorado verwendet werden, wird hier über einen Da im Folgenden meist Daten des Zeitraum von 1979 bis 2000 gemittelt, fals nichts anderes angegeben wird. Neben der Ausdehnung spielen auch die Oberächentemperatur des Eises sowie dessen Dicke eine wichtige Rolle bei der Erforschung des Meereises. Im Folgenden sollen die einzelnen Methoden der Fernerkundung vorgestellt werden, welche sich im Wesentlichen nach der Wellenlänge der erwendeten elektromagnetischen Strahlen einteilen lassen. Sichtbarer Spektralbereich (λ ≈ 400 − 780nm) Aufgrund der groÿen Albedo ist es sehr leicht, auf Satellitenaufnahmen im sichtbaren Spektralbereich Eis von Meerwasser zu unterscheiden. Daher eignet sich diese Methode gut, um Önungen des Meereises wie Polynjas zu beobachten. 3 MEEREIS 23 An Abbildung 23a) sieht man das Aufbrechen des Meereises in der Beaufort-See im April 2004. Schön zu erkennen ist hier die Abgrenzung des Meereises, dass schon von Rissen durchzogen ist, von der Küste Alaskas und einer Schicht fest verankerten soliden, weiÿen Eises an der Küste. Die Satellitenaufnahmen im sichtbaren Spektralbereich bringen allerdings zwei deutliche Nachteile mit sich. Zum Einen basieren die Aufnahmen ja auf der Reexion des Sonnenlichts, was zur Folge hat, dass nur tagsüber Aufnahmen gemacht werden können. Gerade in den Gebieten nördlich des Polarkreises ist dies natürlich ein groÿer Nachteil, da die Tageszeiten sehr kurz sind. Ein weiteres Problem ist ansatzweise schon in Abbildung 23 b) zu erkennen, in der ein Satellitenbild der Hudson-Bay nordöstlich von Kanada gezeigt ist. Da auch Wolken im sichtbaren Spektralbereich gut reektieren, verhindern sie eine Sicht auf das Meereis. Zum Nachteil dieser Technologie sind die Polarregionen und somit das Meereis 70-90% der Zeit von Wolken bedeckt. (a) Beaufort-See vor der Küste Alaskas (b) Hudson-Bay nordöstlich von Kanada Abbildung 23: Satellitenaufnahmen im sichtbaren Spektralbereich Infrarot (λ ≈ 780nm − 1mm) Da Körper, die eine für die Erdoberäche typische Temperatur (ca. -50 bis +50°C) besitzen, nach dem Planck'schen Strahlungsgesetz den gröÿten Anteil ihrer Strahlung im infraroten Bereich abstrahlen (siehe Vortrag 1), eignen sich Satellitenbilder im infraroten Spektralbereich sehr gut, um die Erdoberäche zu betrachten. Positiv für diese Methode wirkt sich der meist groÿe Temperaturunterschied zwischen dem Meereis und dem umgebenden Meerwasser aus: Im Winter liegt die typische Temperatur des Meereises zwischen -20 -40°C, während die des umgebenden Wassers in der Regel oberhalb des °C und Gefrierpunktes liegt. Wie in den Abbildungen 24 a) und b) zu erkennen ist, liefern die Infrarotaufnahen noch den weiteren Vorteil, dass durch Farbkontraste zusätzlich die Temperatur des Eises mit angegeben werden kann, da man auf diese anhand der spektralen Abstrahlung schlieÿen kann. Im Bild b) werden beispielweise die höheren Temperaturen weiÿ dargestellt, während niedrigere Temperaturen eher grau erscheinen. Jedoch hat auch diese Methode den Nachteil, dass die Wolken infrarote Strahlung 3 MEEREIS 24 emittieren und reektieren, weshalb sie die Sicht auf das Meereis behindern. Hinzukommt, dass im Sommer die Temperaturen des schmelzenden Eises nahe derer des umgebenden Wassers liegen, weshalb oft nicht mehr zwischen schmelzendem Eis, Schmelzwasser auf dem Eis und Meerwasser unterschieden werden kann. (a) James-Bay, Kanada (b) Bering-See Abbildung 24: Satellitenaufnahmen im infraroten Spektralbereich Einige Beispiele für Satellitenprojekte, die Aufnahmen im sichtbaren und infraroten Spektralbereich liefern: The Defense Meteorological Satellite Program: Operational Linescan System (OLS) The National Oceanic and Atmospheric Administration: Advanced Very High Resolution Radiometer (AVHRR) The National Aeronautics and Space Administration: Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer (MODIS) Mikrowellen (λ ≈ 1mm − 10cm, passiv) Da sämtliche Körper auf der Erdoberäche auch Mikrowellenstrahlung emittieren, lässt sich auch diese detektieren. Diese von allen Körpern emittierte Strahlung nennt man passive Mikrowellenstrahlung. Sie ist jedoch von wesentlich geringerer Intensität als z.B. die infrarote, und hängt weniger stark von der Temperatur des Körpers als von seiner physikalischen Beschaenheit ab. So emittiert Eis mit seiner kristallinen Struktur wesentlich mehr Strahlung im Mikrowellenbereich als Wasser. Daher lässt sich auch hier das Meereis gut von den umgebenden, oenen Stellen des Meeres unterscheiden. Allerdings ist zu beachten, dass die abgestrahlte Intensität trotzdem sehr gering ist, weshalb eine genaue Ortsauösung schwerfällt. Man kann beispielsweise Risse im Meereis nur sehr schlecht oder garnicht detektieren. Auÿerdem ist dadurch gerade in den wärmeren Sommerzeiten der Rand des Meereises oft nicht klar abgrenzbar. Man geht von einer Verschlechterung der normalerweise unter 5% liegenden Genauigkeit auf 10-20% während der Eisschmelze aus. Der groÿe Vorteil der Mikrowellenradiometrie ist der, dass sie unabhängig von 3 MEEREIS 25 Tages- und Nachtzeit und vom Bewölkungsgrad stattnden kann, da Wolken in diesem Spektralbereich kaum absorbieren und emittieren. Anhand dieser Technik wurden die meisten Langzeitbeobachtungen durchgeführt, und sie liefert zuverlässig tägliche Bilder des Meereises. Zwei exemplarische Bilder, die die Meereis-Konzentration der Arktis und der Antarktis zu bestimmten Zeitpunkten zeigen, sind in Abbildung 25 zu sehen. (a) Arktis, 21. Nov. 09 (b) Antarktis,21. Nov. 09 Abbildung 25: Konzentration des Meereises in Satellitenaufnahmen anhand passiver Mikrowellenstrahlung Enige Beispiele für Satellitenprojekte mit passiven Mikrowellenradiometern: Scanning Multichannel Microwave Radiometer (SMMR) Special Sensor Microwave/Imager (SSM/I) Advanced Microwave Scanning RadiometerEarth Observing System (AMSR-E) Mikrowellen (aktiv, Radar) Bei aktiven Mikrowellensystemen wird zusätzlich Strahlung im Mikrowellenbereich emittiert, und die rückreektierte und rückgestreute Strahlung detektiert. Ähnlich wie die passive Mikrowellenstrahlung hängt auch diese von dem physikalischem Aufbau des Materials ab, weshalb zwischen Eis und Wasser unterschieden werden kann. Es gibt verschiedene Techniken des Radars, welche hier nur genannt werden sollen: Imaging Radar Non-Imaging Radar (Scatterometer) Altimetry Diese Methoden bringen die gleichen Vorteile wie die passive Mirkowellenstrahlung mit sich, haben aber zusätlich den Vorteil einer höheren möglichen Auösung. In Abbildung 26 sind zwei Aufnahmen mit solchen 3 MEEREIS 26 Radar-Methoden dargestellt, an Bild b), welches in der Beaufort-See aufgenommen worden ist, lässt sich der Vorteil der höheren Auösung gut erkennen. (a) Antarktis, aufgenommen mit einem sog. (b) hochauösendes Bild der Beaufort-See Scatterometer Abbildung 26: Aufnahmen anhand aktiver Mikrowellen-Systeme Um zusätzlich die Dicke des Eises bestimmen zu können, wurden im Laufe der Zeit verschiedene Methoden angewendet: In früheren Zeiten konnte die Dicke des Eises nur punktuell durch Bohrungen vor Ort durchgeführt werden. Neben dieser in-situ Methode mussten zunehmend andere Methoden entwickelt werden, um groÿächige Bestimmungen zu ermöglichen. Dazu wurde vor allem die Sonartechnik genutzt, um mit U-Booten unter dem Eis den Unterschied zwischen Eis-Unteräche und Meeresspiegel zu bestimmen. Anhand dieses Tiefgangs konnte durch die bekannte Dichte des Meereises die gesamte Dicke der Eisschicht bestimmt werden (Meereis ist ca. 12% leichter als Wasser, so dass sich 88% des Eises unter Wasser benden). Um gröÿere Flächen zu erschlieÿen, und Messungen ortsunabhängig durchführen zu können, musste zusätzlich zu Messungen aus der Luft gegrien werden, da die Nutzung von U-Booten auÿerhalb militärischer Einüsse nur begrenzt möglich ist. Dazu erweiterten Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhafen, basierend auf den früheren Forschungen von kanadischen Wissenschaftlern, die Methodik der elektromagnetischen Induktionsmessung, und passten diese an die Messung von Eisdicken an. Bei dieser Messmethode werden ausgehend von Sonden an Helikoptern oder Luftschien niederfrequente elektromagnetische Felder erzeugt (Primärfeld, 1-5 kHz), welches das Eis aufgrund der extrem geringen elektrischen Leitfähigkeit beinahe unvermindert durchdringt. Unterhalb des Eises werden aufgrund des Primärfeldes Wirbelströme im Meerwasser induziert, die wiederum ein Sekundärfeld erzeugen, das gemessen werden kann. Die Stärke des Sekundärfeldes hängt nun vom Abstand des Wassers von der Sonde, also bei bekanntem Abstand zur Eisoberäche, von der Eisdicke ab. Auf diese Weise kann auf groÿen Strecken ein Prol der Eisdicke erstellt werden. Ein typisches Prol einer Eisscholle ist in Abbildung 27 b) zu sehen, wobei hier z=0 die Wasseroberäche darstellt. 3 MEEREIS (a) Helikopter mit EM-Eisdickensonde 27 (b) Antarktis, August 2008 Abbildung 27: Bestimmung der Eisdicke mittels EM-Induktionsmessung 3.6 Entwicklung des Meereises, Gründe und mögliche Prognosen Um Aussagen über die Entwicklung des Meereises treen zu können, benötigt man zuverlässige, groÿächige, und vor allem über möglichst lange Zeiträume gesammelte Daten über das Eis. Wie oben schon erläutert stehen solche Daten erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zur Verfügung, die meisten davon durch die Technologie der passiven Mikrowellenradiometrie. Für frühere Zeiträume stehen lediglich für einige bestimmte lokale Regionen der Arktis einige Messreihen zur Verfügung, für die Antarktis nahezu keine. Wie nachfolgend ersichtlich wird, weichen die Entwicklungen des Meereises in Arktis und Antarktis stark voneinander ab, weshalb sie hier auch vorerst getrennt behandelt werden sollen. Entwicklung in der Arktis Wie in nachfolgender Grak zu sehen ist, ist seit dem Beginn der Satellitenaufzeichnungen ein deutlicher Rückgang der Meereisbedeckung in der Arktis fetszustellen. Das arktische Meereis hat seit 1979 um ca. 4% pro Dekade abgenommen, die Abnahme des Sommereises ist sogar noch gröÿer (8,9%). Wie in Abbildung 28 gut zu erkennen ist, in der die jährlichen Variationen des arktischen Meereises von 2005, 2007, 2008, 2009 und deren zeitliches Mittel mit einer Standardabweichung gezeigt sind, hat die Meereis-Ausdehnung 2007 ein drastisches Minimum erreicht, von dem es sich auch bisher nicht erholt hat. Daher sind die letzten drei Jahre (inkl. 2009) die der kleinsten Ausdehnung an Meereis in der Arktis seit Aufzeichnung der Daten. Nimmt man die Daten aus früheren Messungen mit in die Messreihe auf, so zeigt sich, dass der Rückgang der Meereisbedeckung in der Arktis schon früher begonnen hat, jedoch erst zu Beginn der 70er Jahre so stark zugenommen hat. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass trotz der guten Übereinstimmung zu Beginn der Satellitenmessungen die früheren Messungen aus oben genannten Gründen als wesentlich ungenauer anzusehen sind. Siehe dazu Abbildung 29, in der die monatlichen und jährlichen Anomalien der Ausdehnungen, bezogen auf das Mittel von 1968-1996, im Zeitraum von 1953 und 2009 dargestellt sind. Auch die Dicke der Eisschichten hat stark abgenommen, die Werte hierfür variieren allerdings stark. Es wird von einer Abnahme von bis zu 40% ausgegangen. Exemplarisch wird hier an Abbildung 29 b) gezeigt , wie sich die Eisdickenverteilung 3 MEEREIS 28 (a) Ausdehnung des arktischen Meereises jeweis im (b) Jährliche Variation der Ausdehnung des arktiOktober von 1979 bis 2009 schen Meereises im zeitlichen Mittel und von ausgewählten Jahren Abbildung 28: Entwicklung in der Arktis von Eisschollen im Transpolarstrom zwischen 1991 und 2004 veränderte. Gründe für die Entwicklung in der Arktis Die Gründe für den drastischen Rückgang des arktischen Meereises sind vielfältig. Zum Einen ist dieser mit Sicherheit auf den Temperaturanstieg der bodennahen Luftschichten in der Arktis zurückzuführen, der zwischen 1981 und 2003 im Mittel 0,54°C betrug, und damit weit über dam globalen Mittel lag. Auÿerdem dringt in letzter Zeit verstärkt warmes Meerwasser aus dem Atlantik in die arktische See ein, was zusammen mit der Erhöhung der Lufttemperaturen zu einer Verkürzung der Eisbildungsphase, also einer Verlängerung der Schmelzphase um ca. 10 Tage pro Jahrzehnt seit den 80er Jahren geführt hat. Dies hat zur Folge, dass sich die mittlere Eisdicke verringert, und das Eis nicht mehr so lange in der Arktis verbleibt, da es die Schmelzperiode im Sommer nicht übersteht. Diese Eekte werden natürlich von der schon besprochenen Meereis-Albedo-Rückkopplung erheblich verstärkt. Eine weitere Ursache ist die Verschiebung der Nordatlantischen Oszillation (NAO) hin 5 , was eine Abschwächung des Beaufortwirbels und ein zu einem positiven Index zunehmendes Eindringen von Zyklonen in die arktischen Gebiete zur Folge hatte. Dies wiederum führt zu einer geringeren Verweildauer des Eises in der Arktis und einer Verstärkung der Eismassenbewegung Richtung Atlantik. Zwar hat sich der Index der NAO wieder normalisiert, die Eisschmelze hält aber an. Man geht davon aus, dass diese Entwicklung durch den Anstieg der Temperaturen und den positiven Index des NAO in den 80er und 90er Jahren gestartet wurde, jetzt allerdings zu einer Eigendynamik geführt hat, die sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Für den extrem starken Rückgang im Jahr 2007 sind zusätzlich warme, südliche Winde verantwortlich. 5 Der NAO-Index basiert auf der Dierenz der standardisierten Luftdruckabweichungen zwischen dem Azorenhoch und dem Islandtief und ist ein Maÿ zur Abschätzung der Zonalzirkulation (Westwinddrift). Ein positiver Index bedeutet einen gröÿeren Luftdruckunterschied und stärkere Westwinde über dem nördlichen Atantik. 3 MEEREIS 29 (a) Monatliche und jährliche Anomalien der arktischen Meereis- (b) Eisdickenverteilung Ausdehnung von Eis- schollen im Transpolarstrom Abbildung 29: Entwicklung in der Arktis Prognosen für die Arktis Da davon ausgegangen wird, dass die Erderwärmung weiter voranschreitet, wird für die Zukunft mit einem weiteren Rückgang des Meereises in der Arktis gerechnet. Es gibt verschiedenste Modelle, die aufgrund der Komplexität von Klimavorhersagen sehr stark variieren. Allen gemein ist jedoch eine starke Abnahme des Meereises bis Ende des Jahrhunderts. Einige der Modelle gehen sogar von einem kompletten Verschwinden der Meereisbedeckung im arktischen Sommer aus. Abbildung 30 zeigt die Voraussagen der Modelle für das Sommer-Meereis in der Bandbreite ihrer Variationen und die tatsächlche Abnahme des arktischen Meereises bis 2007 (braune Kurve). Anhand dieser Darstellung lässt sich leicht erkennen, dass der tatsächliche Trend momentan noch wesentlch drastischer ausfällt. Diese Beobachtungen riefen nun neue Prognosen auf den Plan, die teilweise schon ein vollständiges Abschmelzen des arktischen Sommereises innerhalb von 40 Jahren voraussagen. Schon bei der Diskussion der Gründe für das Abschmelzen wird deutlich, dass es sich hierbei um ein sehr komplexes Zusammenspiel verschiedenster Faktoren handelt, weshalb auch bei Klimaprognosen immer sehr deutlich darauf geachtet werden muss, dass sie lediglich als Trend, nicht jedoch als quantitative Vorhersage gelten können. So verhält es sich also auch bei den Modellen für die zukünftige Entwicklung des arktischen Meereises. Sicher ist, dass das arktische Sommer-Meereis bei Anhalten der momentanen Entwicklung auf kurz oder lang endgültig abschmelzen wird. Entwicklung in der Antarktis Wie oben schon erwähnt, stehen für das antarktische Meereis weniger Messungen aus der Zeit vor der Fernerkundung zur Verfügung. Auch die Entwicklung der Dicke des Meereises der südlichen Hemisphäre ist weniger gut erforscht als die der Arktis. Dabei stellt sich die Frage, warum das antarktische Meereis für die Forschung nicht so interessant zu sein scheint wie das arktische. Das hat die Gründe, dass das Meereis 3 MEEREIS 30 Abbildung 30: Verschiedene Modelle zur Vorhersage der arktischen Meereisbedeckung im Sommer und der tatsächliche Verlauf bis 2007 (braune Kurve) rund um Antarktika schon seit Beginn der Erforschung im Sommer nahezu abschmilzt. Während man davon ausgeht, dass die Arktis im Sommer seit mindestens 5.500 Jahren (Schätzungen gehen zurück bis zu 125.000 Jahren) nicht eisfrei war, geht man davon aus, dass sich das saisonale Abschmelzen in der Antarktis seit Jahrtausenden sozusagen im Gleichgewicht mit dem Klima bendet. Die drastische Verringerung des arktischen Eises stellt daher sozusagen eine Neuheit in der jüngsten Erdgeschichte dar, die immense Auswirkungen auf das globale Klima haben könnte. Natürlich gibt es dennoch verschiedene Forschergruppen, die sich mit der Entwicklung des Meereises in der Antarktis beschäftigen. Jedoch ist hier kein signikanter, langzeitiger Trend anzugeben. Wie in Abbildung 31 zu sehen ist, die die Entwicklungen der Meereis-Ausdehnungen in Arktis und Antarktis gegenüberstellt, ist insgesamt eine leichte Zunahme der Meereis-Ausdehnung in der Antarktis festzustellen. Aufgrunde der groÿen saisonalen Schwankungen ist dieser Trend aber nur sehr schwach zu sehen. Abbildung 31: Vergleich der monatlichen und jährlichen Ausdehnung von Arktis und Antarktis Anomalien der Meereis- 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 31 Gründe für die Entwicklung in der Antarktis Entgegen der vielleicht vorhandenen Vorstellung, dass sich durch die sog. globale Klimaerwärmung die Temperatur überall auf der Erde erhöht, ist es tatsächlich so, dass Klimaforscher gleichzeitig zur Erhöhung der globalen Durchschnittstemperaturen eine temporäre Abkühlung an manchen Stellen der Erde vorhersagen. So widerspricht auch die Entwicklung in der Antarktis nicht den Theorien zur Klimaerwärmung. Die Stagnation oder leichte Zunahme des Meereises in der Antarktis lässt sich durch mehrere Ursachen erklären. Zum Einen ist die Durchmischung des südlichen Polarmeeres wesentlich gröÿer, d.h. an der Oberäche erwärmtes Wasser vermischt sich schneller mit kühleren, unteren Schichten, so dass ein Schmelzen des Eises an der Oberäche verlangsamt wird. Zum Anderen hat die Zunahme von Treibhausgasen und die Abnahme der Ozonschicht zu einer Verstärkung der Winde rund um den Südpol geführt, was die Antarktis vor einer Erwärmung etwas abgeschirmt hat, und weiteres Eiswachstum ermöglichte. Hinzukommt, dass eine Veränderung des Winter-Meereises in der Antarktis keinen allzugroÿen Eekt auf das Weltklima haben dürfte, da die Eis-Albedo-Rückkopplung weniger stark ins Gewicht fällt als in der Arktis, da die Sonneneinstrahlung im Winter in diesen Breiten pro Fläche ohnehin eine sehr geringe Intensität besitzt. 4 Gletscher, Eisschilde und Schelfeis 4.1 Gletscher allgemein Ein Gletscher ist eine aus Schnee hervorgegangene Eismasse mit einem klar denierten Einzugsgebiet, die sich aufgrund von Hangneigung, Struktur des Eises, Temperatur und der aus der Masse des Eises und den anderen Faktoren hervorgehenden Schubspannung eigenständig bewegt. Gletscher benötigen eine Reihe von entscheidenden Faktoren zu ihrer Entstehung. So ist eine langfristig ausreichend niedrige Temperatur nötig, damit es zu Schneefall kommt. Die Höhenlinie, ab der im langjährigen Mittel mehr Schnee fällt als dort abtauen kann, ist die klimatische Schneegrenze. Diese kann bedingt durch Beschattung oder exponierte Sonnenlagen (z. B. Südhang in einem Gebirge der Nordhalbkugel) lokal um mehrere hundert Meter vom eigentlichen Mittelwert der Region abweichen. Man spricht in diesem Fall von der orograschen Schneegrenze. Nur oberhalb dieser Grenzlinien kann bei geeignetem Relief auf Dauer so viel Schnee fallen, dass dieser eine Metamorphose durchlaufen kann. Akkumulation und Metamorphose Der Prozess der Ansammlung von Schneemassen wird Akkumulation genannt, und infolgedessen der Entstehungsbereich eines Gletschers auch Akkumulationsgebiet (Nährgebiet). Reicht die Schneemächtigkeit aus, dass durch die Auast der oberen die tieferen Schichten zusammengepresst werden, beginnt die Metamorphose des Schnees hin zu Gletschereis. Dabei wird durch den in der Tiefe immer höher werdenden Druck die im Neuschnee noch 90 % des Volumens ausmachende, in Hohlräumen eingeschlossene Luft herausgepresst. In Gletschereis kann somit der Luftanteil bis auf etwa 2 % sinken. Eis mit einem so geringen Luftanteil besitzt meist eine bläuliche, seltener auch leicht grünliche Farbe. 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 32 Höhere Temperaturen beeinussen die Metamorphose positiv auf zweierlei Wegen. Zum einen bilden sich in wärmeren (temperierten) Gletschern in der Regel kleinere Eiskristalle, wodurch hier und auch in den Vorstufen des Eises wie Firn und granularem Eis eine leichtere Bewegung möglich ist, bei der leichter Luft freigesetzt werden kann. Darüber hinaus kann auch oberächliches Material aufschmelzen und erneut gefrieren, ohne den Gletscher zu verlassen. So kann zumindest in kleineren Mengen sogar im Tageszyklus eine Metamorphose von Schnee zu Eis stattnden ohne die bei der Druckmetamorphose üblichen Zwischenstufen. Ablation Schmelzwasser kann oberächlich oder unter dem Gletscher (subglazial) diesen verlassen und wird so dem Massenhaushalt des Gletschers entzogen. Subglaziale Schmelzwässer treten meist aus einer als Gletschertor bezeichneten Önung in der Gletscherzunge aus, die sich im sog. Zehrgebiet bendet, dem Gegenstück zum Nährgebiet über der Gleichgewichtslinie. Ist ein solcher Abuss versperrt bzw. tritt nicht auf, entsteht ein unter dem Eis bendlicher, verborgener Gletschersee, die sog. Wassertasche. Insbesondere polare Gletscher verlieren auch an Masse durch den Prozess der Sublimation, wobei Wasser direkt vom festen in den gasförmigen Aggregatszustand übergeht. Manche Gletscher werden darüber hinaus durch das Relief zur Ablation gezwungen. Dies ist der Fall, wenn beispielsweise ein Gebirgsgletscher an eine steile Felskante wächst und dann Material als Eissturz diese Steilkante herabfällt, oder eine Inlandeismasse bis an eine Küste heranwächst und sich dort kein Eisschelf ausbilden kann, sondern der Gletscher hier zum Abkalben gezwungen ist. Dabei brechen Teile des Eises heraus und können daraufhin als Eisberge über das Meer treiben. Tafeleisberge entstehen, wenn Teile eines Eisschelfs herausbrechen, welches aufgrund seiner schwimmenden Ausgangslage eine sehr ebene Ober- und Unteräche ausgebildet hat. Mit den Begrien Akkumulation und Ablation lässt sich eine einfache Formel für den Massenhaushalt angeben: b=c+a (1) mit b (mass balance), c (accumulation), a (ablation) welche normalerweise in Volumenäquivalent an Wasser angegeben werden. Nachfolgende Grak zeigt die Entwicklung anhand ausgewählter Referenzgletscher seit 1980. Nachfolgende Abbildung gibt einen Querschnitt über den Aufbau typischer Gletscher: 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 33 Abbildung 32: Entwicklung der Massenbalance Gletscheraufbau Abbildung 33: Die fünf Zonen eines Gletschers, [2] Zu den Schichten: Trockenschnee Zone(Dry-snow zone): Auch während der Sommermonate schmilzt kein Schnee ab. Die einzigen Trockenschnee-Zonen sind im Innenbereich Grönlands und der Antarktis sowie in Gipfelnähe der höchsten Gebirge in Alaska, Yukon und Zentralasien zu nden. Filtrationszone(Percolation zone): (Schmelz)wasser kann bei Temperaturen unter 0 °C bis zu einer gewissen Tiefe einsickern. Das Wiedergefrieren von Schmelzwasser hat den gröÿten Anteil an der Erwärmung des Schnees. ( 1 g gefrierendes Wasser erwärmt 160 g Schnee um 1 Nasschnee Zone(Wet-snow °C ) zone): Hier kann (Schmelz)wasser auch in Schichten aus vergangenen Jahren einsickern. 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS Lagerzone(Superimposed 34 Ice zone): In niedrigeren Höhen wird soviel Schmelzwasser produziert, dass die Eisschichten in eine kontinuierliche Eismasse übergehen. Die Lagerzone ist die Grenzlinie zwischen Firn und Eis auf der Gletscheroberäche zum Ende der Schmelzsaison. Abbauzone(Ablation area): Unterhalb der Gleichgewichtslinie beginnt die Abbauzone. Hier ndet über das ganze Jahr hinweg gesehen ein Nettomassenverlust statt. Gletschertypen Je nach Entwicklungsstadium und Entstehungsweise unterscheidet man verschiedene Gletschertypen: Auslassgletscher bilden sich am Rand von Eiskappen oder Eisschilden, wenn das Eis durch relativ schmale Auslässe ieÿen muss, die vom Relief vorgegeben sind. Meist haben sie die Form von Talgletschern, manchmal auch von Vorlandgletschern. Eisstromnetz: Wachsen Talgletscher so stark an, dass das Gletschereis die Talscheiden überieÿen kann, spricht man von einem Eisstromnetz. Die Bewegung des Eises wird aber dennoch vor allem vom vorhandenen Relief gesteuert. Die Gletscher der Alpen erzeugten auf dem Höhepunkt der letzten Vereisung ein solches Netz. Heute ndet man solche Eisstromnetze noch zum Beispiel in Franz-Joseph-Land (Nordpolarmeer), Spitzbergen oder Alaska. Hanggletscher: Meist vergleichsweise kleine Eisansammlung an einem Berghang, die ohne deutliche Zungenbildung enden oder über eine Wandstufe abbrechen (Eisbalkon). Ein Extremfall ist der Hängegletscher. Hängegletscher sind Gletscher, die an steilen Felswänden mit über 40° Neigung hängen. Oft haben sie kein Zehrgebiet, da die Zungen durch das eigene Gewicht abbrechen oder in einem tiefergelegenen Hang- oder Talgletscher enden. Ihr Nährgebiet wird meist von groÿen Firnrinnen, Eiskappen oder Hanggletschern gebildet. Kargletscher: Eismassen geringer Gröÿe, die sich sonnengeschützt in einer Mulde, dem so genannten Kar, benden. Kargletscher besitzen keine deutlich ausgebildete Gletscherzunge. Oft sind sie Hängegletscher. Durch die geschützte Mulde können sie tiefer auftreten als Talgletscher. Lawinengletscher: Gletscher, die unterhalb der Schneegrenze liegen und daher kein eigenes Nährgebiet haben. Sie liegen meist im Schutz groÿer sonnenabgewandter Bergwände und werden von abgelagertem Lawinenschnee gespeist. Daher können sie noch sehr weit unterhalb der Schneegrenze auftreten. Obwohl sie nicht sehr groÿ werden, zeigen sie je nach Verhältnissen alle typischen Gletschermerkmale wie Eisbewegung und Gletscherspalten. Der am tiefsten gelegene Gletscher Mitteleuropas ist die Eiskapelle am Fuÿ der Watzmann-Ostwand, ca. 950 m Höhe. Sie ist ein typischer Lawinengletscher. Piedmontgletscher oder Vorlandgletscher: Bilden sich in Bergketten vorgelagerten Ebenen. Eismassen, die sich aus den Tälern des Gebirges 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 35 vorschieben, breiten sich ringförmig beziehungsweise fächerförmig im vorgelagerten Flachland aus. Der gröÿte Gletscher dieser Art ist der Malaspinagletscher in Alaska. Plateaugletscher oder Eiskappe: Ein kleines Inlandeis, begrenzt auf Hochplateaus (Beispiele: der Vatnajökull auf Island, oder der Jostedalsbreen in Skandinavien) oder im Kleinformat auf die Gipfelkuppen breiter Bergmassives, zum Beispiel am Montblanc. Auch der Gepatschferner in den Ötztaler Alpen ist ein Plateaugletscher, dessen Zunge zusätzlich einen Auslassgletscher bildet. Talgletscher: Eismassen, die ein deutlich begrenztes Einzugsgebiet besitzen und sich unter dem Einuss der Schwerkraft in einem Tal abwärts bewegen. Klassisch dafür sind die groÿen Gebirgsgletscher. Sowohl die Menge des Schmelzwassers als auch die Flieÿgeschwindigkeit des Gletschers variiert im Jahresverlauf mit einem Maximum im Sommer. Obwohl Talgletscher nur etwa ein Prozent der vergletscherten Gebiete der Erde ausmachen, sind sie wegen ihres imposanten Aussehens der bekannteste Gletschertyp (Beispiel: Aletschgletscher). Sie können selbst auÿerhalb der Polargebiete gewaltige Ausmaÿe annehmen: Die gröÿten Gletscher dieser Art sind der Fedtschenkogletscher (78 km) im Pamir, der Kahiltnagletscher (77 km) am Mount McKinley (Alaska) und der Baltorogletscher (57 km, mit seinen Zuüssen Godwin-Austen und Gasherbrum-Gletscher etwa 78 km) im Karakorum. Inlandeis oder Eisschild: Die gröÿten Gletscher überhaupt. Eismassen, die so mächtig werden, dass sie das Relief fast vollständig überdecken und sich auch weitgehend unabhängig von ihm bewegen (z. B. in Grönland oder der Antarktis). Einige Wissenschaftler unterscheiden jedoch die groÿen Inlandeismassen von den kleineren Gletschern und bezeichnen sie deshalb nicht als Gletscher. 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 36 Abbildung 34: Der Briksdalsbreen in Norwegen als Beispiel für den gröÿten Plateugletscher Europas, Auÿer den Eisschilden Grönlands und der Antarktis und den daran angelagerten Schelfeis, welche im Hinblick auf Klimaveränderungen und -modellierungen und für die Erfassung von Klimadaten am interessantesten sind, soll hier nicht weiter auf die verschiedenen Gletschertypen eingegangen werden. Anders als die groÿen Eisschilde besitzen Gletscher und Eiskappen nur eine sehr geringe Wirkung auf das globale Klima. Die unmittelbaren klimatischen Auswirkungen (Albedo, Wärmeentzug) reichen über lokale und allenfalls regionale Dimensionen nicht hinaus. Die etwa 160 000 Gletscher und Eiskappen der Erde (einschlieÿlich der an die groÿen Eisschilde angrenzenden Gletscher) bedecken eine Fläche von etwa 680000km2 und 3 bilden ein Volumen von 180000km , was ungefähr einem Meeresspiegelanstieg von 0,5 m entspricht. Ohne die Gletscher in den Randzonen der Eisschilde Grönlands und Antarktikas, deren Abschmelzen einen Meeresspiegelanstieg von 0,34 m verursachen würde, wäre der Einuss auf den Meeresspiegel mit 16 cm noch viel geringer. Hier werden die grönländischen und antarktischen Randgletscher in die Betrachtung nicht mit einbezogen und nur die Gletscher der arktischen Inseln, der Hochgebirge der mittleren und niederen Breiten sowie die Eiskappen auf Plateaus und den Inseln der höheren Breiten berücksichtigt. 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 37 Abbildung 35: Verteilung der Gletscher auf der Erde, [9] Gletscher reagieren allerdings sehr sensibel auf Klimaänderungen und sind damit ein Schlüsselindikator für die globale Erwärmung. Während die Gletscher während der so genannten kleinen Eiszeit zwischen dem 16. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts weltweit auf dem Vormarsch waren, ist seitdem ein fast durchgehender Rückzug mit Ausnahme der Jahre 1950-1980 zu beobachten, der sich seit 1980 noch einmal deutlich beschleunigt hat. Der nahezu uniforme Rückzug der Gletscher rund um den Globus gilt als eindeutiges Zeichen des vom Menschen verursachten Treibhauseekts. Eine aktuelle Untersuchung von 169 Gletschern in Europa, Asien, Nord- und Südamerika und Neuseeland zeigt ein nahezu übereinstimmendes Bild: Seit ca. 1800 nahm die mittlere Gletscherlänge fast überall ab. Zwischen 1900 und 1980 befanden sich 142 der untersuchten 144 Gletschern auf dem Rückzug. Im Jahrzehnt zwischen 1993 und 2003 hat sich der Massenverlust der Gletscher auÿerhalb Grönlands und der Antarktis gegenüber den 30 Jahren davor sogar noch verdoppelt. Abbildung 36: Massen-Balance von Gletschern verschiedener Regionen, [9] 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 38 Im Einzelnen zeigen den Flächen- und Längenverlust die Gletscher und Eiskappen von den Inseln der nördlichen Polarregion bis zu den tropischen Hochgebirgsgletschern, mit wenigen, zumeist temporären Ausnahmen. So hat sich die Länge fast aller Auslassgletscher des Vatnajökull auf Island, der gröÿten Eiskappe in Europa, verkürzt, z.T. um 2 km und mehr. Die Masse der Eiskappen in der kanadischen Arktis ist in den wenigen Jahren zwischen 1995 und 2000 um 25km3 zurückgegangen. Und auch auf Spitzbergen haben sich einzelne Gletscher in den letzten 80 Jahren um bis zu 2 km zurückgezogen. Ein ähnlicher Trend ist auch fast überall in den Hochgebirgen der mittleren Breiten zu beobachten. Besonders stark schmelzen die zahlreichen Gletscher in Alaska dahin, wo sich auf 90000km2 etwa 13% aller Gebirgsgletscher der Erde benden, mit einigen der gröÿten Eismassen auÿerhalb Grönlands und der Antarktis. Insgesamt wird für die Jahre 1995-2001 der jährliche Massenverlust auf fast 100km3 geschätzt, was einem Meeresspiegelanstieg von 0,27 mm pro Jahr entspricht. In den Alpen verlieren ebenfalls beinahe alle Gletscher an Länge und Masse. Die Beobachtung von 930 Gletschern in der Schweiz ergab zwischen 1973 und 1999 eine Verringerung der Ausdehnung um 18% und eine Abnahme des Volumens um 25km3 . Einzelne Gletscher wie etwa der Groÿe Aletschgletscher verloren seit Ende des 19. Jahrhunderts fast 3 km an Länge. Dabei haben besonders die kleineren Gletscher und die Gletscher in tieferen Lagen zu diesem Verlust beigetragen. In den Rocky Mountains, im Himalaya und den Anden sieht die Entwicklung ähnlich aus. In den Anden Patagoniens ist sogar der schnellste Gletscherschwund weltweit festgestellt worden. 4.2 tropische Gletscher Besonders auällig ist der Gletscherschwund bei den wenigen mit Eis bedeckten sehr hohen tropischen Bergen. Tropische Gletscher sind aufgrund der allgemein hohen Temperaturen auf isolierte hohe Berggipfel beschränkt und reagieren stark auf klimatische Veränderungen. In Afrika gibt es Gletscher nur auf dem Mount Kilimandscharo, dem Mount Kenia und dem Ruwenzori-Gebirge die alle eine deutliche Rückzugstendenz zeigen und in wenigen Jahrzehnten ganz verschwunden sein werden. So gab es auf den Gipfeln des ostafrikanischen Ruwenzori-Gebirges um 1900 noch ein Gletschergebiet von ca. 6, 5km2 , dass bis 1987 auf 2km2 und bis 2003 auf 0, 96km2 zusammengeschmolzen ist. Die Ausdehnung des Eises auf dem Kilimandscharo ist zwischen 1912 und 2000 um 82% zurückgegangen. Zwischen 2015 und 2020 wird der höchste Berg Afrikas wahrscheinlich eisfrei sein. 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 39 Abbildung 37: Gletscherrückgang Kilimandscharo, [9] Hier sei noch auf die groÿen soziokulturellen Probleme hingewiesen. So ist quasi die gesamte Landwirtschaft im Einzugsbereich des Kilimandscharo abhängig von dem Wasser der Gletscherüsse. Auÿerdem ist der schneebedeckte Berg neben den Safariparks der bezüglich des Tourismus (25 000 Besteiger jährlich) der gröÿte Arbeitgeber des Landes. Die Massenbilanz von Gletschern und Eiskappen hängt sowohl von der Temperatur wie von der Menge und der Form der Niederschläge ab. Die Temperatur spielt allerdings in der Regel die entscheidende Rolle, und ihr Anstieg ist global gesehen die Hauptursache der Gletscherschmelze. Um die Wirkung einer Temperaturerhöhung von 1 °C auszugleichen, müssten sich die Niederschläge schon um 25% erhöhen. Und der Rückgang der Gletscher weltweit lieÿe sich nur über eine lang anhaltende Dürre globalen Ausmaÿes erklären, für die es keine Anzeichen gibt. Dagegen konnte in nahezu allen Gebieten mit Gletscherrückgang auch ein entsprechender Temperaturanstieg nachgewiesen werden. So waren die 1990er Jahre in den Alpen ein auÿerordentlich warmes Jahrzehnt, das dann aber noch übertroen wurde durch die ersten Jahre des neuen Jahrhunderts, insbesondere den Hitzesommer 2003. Auch in anderen Gletscherregionen wie im Himalaya, in den Anden, in Ostafrika oder den Rocky Mountains lag die Erwärmung der letzten Jahrzehnte in den Hochgebirgen zumeist über dem globalen Mittel. Ein wichtiger Grund dafür ist die Schnee- und Eis-Albedo-Rückkopplung. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass einige Aerosole wie besonders Ruÿ in der unteren und mittleren Troposphäre, wo sich die meisten Gletscher benden, erwärmend wirken. Auch Ruÿablagerungen auf Eis- und Schneeächen, die zu einer stärkeren Absorption der Sonnenstrahlung führen, könnten von Bedeutung sein. 4.3 Eisschilde und Schelfeis Im Grunde existieren auf der Erde nur die beiden Eisschilde auf Grönland und der Antarktis. Während der letzten Kaltzeit lagen auch über groÿe Teile Nordamerikas und Eurasiens mächtige Inlandeismassen, und das Eisvolumen während des letzten glazialen Maximums vor 21000 Jahre war mehr als doppelt so groÿ wie heute. Die 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS groÿen Eisschilde der Gegenwart bilden zusammen ein Volumen von 40 33M illionenkm3 Eis, in denen eine so groÿe Wassermenge gebunden ist, dass beim vollständigen Abtauen der globale Meeresspiegel um etwa 70 m steigen würde. Eisschilde reagieren auf klimatische Veränderungen in Zeiträumen von bis zu zehntausend Jahren. Gegenwärtige Prozesse können daher sowohl Folgen aktueller Klimaänderungen als auch Langzeitwirkungen des nacheiszeitlichen Klimawandels sein. Dabei verhalten sich die Eisschilde auf Grönland und der Antarktis durchaus verschieden. Abbildung 38: Prinzipieller Aufbau eines Eisschildes mit Schelfeis, [4] Abbildung 39: Flächen - und Volumendaten für Eisschilde und Schelfeis, [4] Der grönländische Eisschild Gegenüber der Antarktis ist das aufgrund der geographischen Lage um 10-15 °C wärmere Klima Grönlands eher fremdbestimmt und wird stark durch die nordamerikanische und eurasische Landmasse und vor allem den Nordatlantik beeinusst. Einerseits sind daher die Niederschläge deutlich höher als über der Antarktis, andererseits gibt es im Sommer umfangreiche Schmelzvorgänge an der Oberäche, die sich über nahezu die Hälfte des Eisschildes erstrecken und deren Wasser gröÿtenteils ins Meer abieÿt. Ein anderer Teil des Eises geht auch hier durch das Kalben ins Meer verloren. Während der antarktische Eisschild mit Ausnahme einiger Randgebiete wie der Westantarktischen Halbinsel nur sehr verzögert auf Klimaänderungen reagiert, zeigt der Eisschild auf Grönland deutlich stärker die Folgen des aktuellen Klimawandels. 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 41 Methoden zur Datengewinnung Eine in jüngster Zeit angewandte Art, die Massenbilanz eines Eisschilde zu bestimmen, ist die geodätische Methode, bei der die Höhenänderungen der Eisoberäche über einen bestimmten Zeitraum bestimmt werden. Dazu werden die Oberächenhöhen durch Satellitenmessungen erfasst. Die Satellitendaten müssen jedoch durch Bodenmessungen überprüft und bei Bedarf korrigiert werden, da die Eisoberäche sich auch durch Dichteschwankungen im Firneis oder durch isostatische Bewegungen des Untergrundes verändern kann. Ein Problem bei diesen Messungen sind u.a. die kurzen Zeitreihen, da Satellitenmessungen nicht weit zurückreichen. Nachfolgende Abbildung stellt die Veränderung der Oberäche des Grönlandeisschildes seit Mitte der 1990er Jahre dar. Die Daten zeigen starke Niveauabsenkungen zwischen 10 und 60 cm, an manchen Stellen auch über 60 cm pro Jahr im Küstenbereich. In den höheren Regionen ab 2000m herrscht entweder eine ausgeglichene Massenbilanz mit einem Gleichgewicht zwischen Akkumulation und Abschmelzen bzw. Abtransport durch Eisströme oder ein Überwiegen der Akkumulation. Abbildung 40: Veränderung der Eishöhe von 1996 bis 2005 anhand "Laser altimeter measurements"(Flugzeug daten). Orte mit schnell abschmelzenden Ablassgletschern bei Jakobshavn(J), Kangerdlugssuaq(K), Helheim(H) und entlang der Süd-Ost-Küste (SE) bezüglich der totalen Massenbilanz ( [ Gt · yr−1 Ṁ ] = ), [4] Die Ausdünnung des Eises in den tieferen Lagen ist weitgehend konsistent mit den ansteigenden Sommertemperaturen der letzten Jahre. Neben Abschmelzprozessen spielen dynamische Veränderungen des Eisabusses eine wichtige Rolle. Von dem Eisverlust von 60km3 pro Jahr Mitte der 1990er Jahre waren etwa 24km3 dynamisch 3 3 bedingt; um das Jahr 2000 gingen von den 80km Eisverlust pro Jahr bereits 34km 3 auf das Konto des verstärkten Eisabusses. Davon wurden allein 10km pro Jahr durch 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS die Abussveränderungen eines einzigen Gletschers, des 42 Jakobshavn Isbrae an der Westküste, verursacht, dessen Abussgeschwindigkeit sich in wenigen Jahren (1997-2002) von 7 auf 12 km/Jahr erhöhte. In den letzten Jahren sind zwei Gletscher an der Ostküste mit ähnlichem Verhalten hinzugekommen, der der Kangerdlugssuaq und Helheim-Gletscher. Abbildung 41: Entwicklung der maximalen Ausdehnung der sommerlichen Schmelzäche, [9] Jüngere Abschätzungen gehen sogar von einem Massenverlust von 138km3 /Jahr in 3 2000 und 224km /Jahr in 2005 aus und schätzen den Anteil der Eisdynamik auf 3 Zweidrittel, wovon allein 64km /Jahr auf das Konto der drei genannten Gletscher gehen sollen. Abbildung 42: Rückzug der Aufsetzlinie des Jakobshavn Isbrae, [9] Die unmittelbaren Ursachen für die stärkere Dynamik der Eisströme sind vielfältig und noch keineswegs ganz verstanden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit liegen ihnen aber die höheren Luft- und Wassertemperaturen seit Mitte der 1990er Jahre zugrunde. Entgegen dem globalen Trend erlebte Grönland eine Abkühlung von den 1930ern bis zur Mitte der 1990er Jahre, seitdem aber einen deutlichen Temperaturanstieg, der allerdings die auÿergewöhnliche Erwärmung der 1930er Jahre noch nicht erreicht hat. Ob der jüngsten Erwärmung eine natürliche Dekadenschwankung oder der globale Klimawandel zugrunde liegt, lässt sich gegenwärtig nicht entscheiden. In jedem Fall zeigen die Beobachtungen der letzten 10 Jahre aber, dass ein relativ mäÿiger Temperaturanstieg von ca. 1 °C erhebliche Folgen für die Massenbilanz des Eisschildes haben kann. Eine wichtige Folge der Erwärmung ist das Abschmelzen und Zerbrechen des vorgelagerten Eisschelfs, das zur Instabilität der an der Küste mündenden 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 43 Auslassgletscher führt. Eine ähnliche Folge ist die Destabilisierung von Gletscherzungen, die direkt ins Meer münden. Wahrscheinlich sind diese Prozesse hauptsächlich angetrieben durch wärmeres Ozeanwasser, das bis zur Aufsetzlinie unterhalb der schwimmenden Gletscherzunge vordringt und dort zu Abschmelzprozessen führt und die Aufsetzlinie, wie in Abb. gezeigt, immer weiter zurückverlegt.Ein weiterer Antrieb liegt in dem zunehmenden Eindringen von Schmelzwasser in Eisspalten bis auf den Grund, wo es unter dem Eis eine Art Schmierlm bilden und damit die Abussgeschwindigkeit der Gletscher beschleunigen kann. Die jüngst beobachtete Beschleunigung der Gletscherströme sind allerdings noch zu jung und die Datenreihen zu kurz, um mit Sicherheit zu entscheiden, ob es sich um eine kurzfristige Schwankung oder einen längeren Trend handelt. Ausblick Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wird es nach konservativen Modellberechnungen keine gröÿeren Veränderungen geben. Der Massenverlust durch Schmelzen und Kalben von Eisbergen wird die Akkumulation zunehmend, aber nur langsam übertreen, bei einem durchschnittlichen Beitrag zum Meeresspiegelanstieg von 0,4 mm/Jahr. Allerdings berücksichtigen Modelle die Eisdynamik nicht, so dass diese Einschätzungen als deutlich zu niedrig eingestuft werden müssen. Bei einer längerfristigen Temperaturzunahme von 3 °C und mehr wird auch nach diesen Modellsimulationen das Abschmelzen der Oberäche die Akkumulation deutlich übersteigen und der Eisschild wird sich verkleinern oder ganz verschwinden. Wird die atmosphärische CO2 -Konzentration in den nächsten 200-300 Jahren auf 1000 ppm steigen und sich auf diesem Niveau stabilisieren wird die Temperatur um 8 °C zunehmen, was in den nächsten 1000 Jahren zum völligen Abschmelzen des Grönlandeises und einem Meeresspiegelanstieg um 7 m führen wird. Dieses Ergebnis wird wahrscheinlich irreversibel sein. Denn ohne Eisschild wird sich das Klima auf Grönland wegen der wesentlichen geringeren Albedo der nicht mehr vom Eis bedeckten Landoberäche deutlich erwärmen. Und selbst wenn die Konzentration der Treibhausgase und die globalen Klimaverhältnisse wieder zu den vorindustriellen Bedingungen zurückkehren sollten, wird sich der grönländische Eisschild daher wahrscheinlich nicht wieder aufbauen. Der antarktische Eisschild Der antarktische Eisschild ruht auf einer kontinentalen Landmasse nahezu konzentrisch um den Südpol. Die klimatischen Verhältnisse über der Antarktis und dem umgebenden Ozean werden im wesentlichen durch den Eisschild selber bestimmt. Durch die kalten Bedingungen des antarktischen Klimas kommt es nur zu geringen Abschmelzvorgängen an der Eisoberäche. Eisverluste geschehen primär durch das Kalben von Tafeleisbergen an der Schelfeisgrenze ins Meer, das durch Eisströme aus dem Innern angetrieben wird, und durch das Abschmelzen von Schelfeis an der Unterseite. Bis vor kurzem wurde angenommen, dass sich Eisströme grundsätzlich nur sehr langsam bewegen und ihre Geschwindigkeit nicht schnell ändern können. Neuere Beobachtungen haben gezeigt, dass die Geschwindigkeit der Eisströme sich verhältnismäÿig schnell ändern kann, ohne dass die Gründe dafür schon geklärt sind. Das Eisvolumen der Antarktis ist etwa neun Mal so groÿ wie das des grönländischen Eisschildes. Es verteilt sich auf unterschiedliche Teile des antarktischen Kontinents. In 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 44 der Ostantarktis liegt das Eis auf felsigem und gebirgigem Untergrund und erreicht eine maximale Eisdicke von fast 5 km. Zum Rand hin behindern ähnlich wie auf Grönland Gebirgszüge den Eisabuss. Der Westantarktische Eisschild ruht zu einem groÿen Teil auf Felsuntergrund unter dem Meeresspiegel und ist von groÿen Schelfeisgebieten umgeben, die etwa 11% der Ausdehnung des Eisschildes ausmachen und in die relativ schnell ieÿende Gletscher aus dem Innern münden. Auch an der Küste zur Amundsensee gibt es einen bedeutenden Gletscherabuss. Eine Sonderstellung nimmt die Antarktische Halbinsel ein, die bis 62,5 °S nach Norden reicht und der klimatisch sensitivste Bereich ist. Abbildung 43: Der Eisschild der Antarktis mit Eisschelfen,[9] Abschätzungen für den gesamten antarktischen Eisschild sind in jüngster Zeit durch Satellitenbeobachtungen des Oberächenniveaus und solche der Schwerkraft des antarktischen Kontinents versucht worden. Die Beobachtungen der Höhenänderungen zeigen für das gesamte Innere der Ostantarktis nördlich von 82 °S von 1992 bis 2003 eine leichte Anhebung des Niveaus durch vermehrten Schneefall, während in der Westantarktis relativ starke Absenkungen, also Massenverlust, dominieren. Eine Gesamtbilanz wird nicht versucht, da die Massenverluste in den Küstenregionen durch Eisdynamik nur sehr schwierig einbezogen werden können. Die aktuellen Gravimetermessungen, bei denen auch die Regionen südlich des 82 °S berücksichtigt wurden, kommen zu einem etwas anderen Ergebnis. Sie zeigen für den gesamten Eisschild 2002 bis 2005 eine negative Massenbilanz von 152km3 /Jahr, was einem Meeresspiegelanstieg von 0,4 mm/Jahr entspricht. Dabei wird der gesamte Massenverlust fast ausschlieÿlich dem Westantarktischen Eisschild zugeschrieben, während der Ostantarktische Eisschild sich möglicherweise im Gleichgewicht bendet. Regionale Untersuchungen der einzelnen Eisabussgebiete ergeben ein sehr dierenziertes Bild. So sind die Abüsse von der Ostantarktis und auch Teilen der Westantarktis ins Filchner-Ronne-Schelfeis (und damit ins Weddelmeer) wahrscheinlich im Gleichgewicht. Die Abussbereiche der Westantarktis ins Rossmeer zeigen einen Massenzuwachs von ca. 33km3 /Jahr. Auch für die Abussgletscher aus der Ostantarktis ins Ross-Schelfeis zeichnet sich eine positive Bilanz ab. Den gröÿten Massenverlust weisen mit 72km3 /Jahr die Gletscherströme auf, die aus der 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 45 Abbildung 44: Höhenänderungen zwischen 1992 und 2003 aus ESR Satelliten Radar Aufnahmen,[4] Westantarktis in die Amundsensee ieÿen. Abbildung 45: Veränderung der Eismasse in Ost- und Westantarktis. Gesamtvolumen: 26 · 106m3 , [9] Während die Massenzunahme mit hoher Wahrscheinlichkeit auf verstärkte Niederschläge, die mit der globalen Erwärmung im Zusammenhang stehen, zurückzuführen ist, wird der Hauptgrund für die Massenverluste des antarktischen Eisschildes in der Eisdynamik in den Küstenregionen gesehen. Entscheidend ist dabei die Rolle der Schelfeisgebiete. Ähnlich wie an manchen Küstengebieten Grönlands ist ihre Instabilität die Ursache für ein stärkeres Abieÿen von Auslassgletschern und Eisströmen. Die Schelfeise werden von zahlreichen Zuüssen gespeist, die seit der letzten Eiszeit den Boden bis weit unter die Meeresoberäche erodiert haben. Sie erstrecken sich von der Aufsetzlinie über einen erodierten Meeresboden, der an einer Endmoräne aus dem glazialen Maximum der Eisausdehnung endet. Über diese Moräne dringt relativ warmes und salzreiches Wasser in die Kaverne unterhalb des Schelfeises ein und verursacht das Abschmelzen an der Unterseite. Durch Aufnahme von Schmelzwasser wird der Salzgehalt und damit die Dichte gesenkt. Das nunmehr leichtere Wasser strömt nach oben entlang der Schelfeisunterseite aus der Kaverne heraus, wodurch neues warmes und salzreiches Wasser Richtung Aufsetzlinie herein gezogen wird .Die so entstehende Zirkulation kann zu immer neuem Abschmelzen 4 GLETSCHER, EISSCHILDE UND SCHELFEIS 46 an der Schelfeisunterseite führen, wodurch das Schelfeis instabil und brüchig werden und ins Meer abdriften kann. Diese Prozesse sind stark von Veränderungen der Ozeantemperaturen abhängig. So haben Modellrechnungen eine Verdoppelung der Schmelzrate bei einer Erhöhung der Ozeantemperatur um 0,5 °C ergeben. Abbildung 46: Schmelzen von Schelfeis an der Unterseite durch Eindringen von warmem Meerwasser in die Eiskaverne,[9] Besonders das an die Amundsen-See angrenzende Schelfeis zeigte zwischen 1992 und 2001 starke Verringerungen der Eisdicke um bis zu 5,5 m pro Jahr. Die Ursache liegt in dem Abschmelzen an der Unterseite der Eisschelfe durch warmes Ozeanwasser mit Schmelzraten von 4-17 m/Jahr. Seit 1992 gingen dadurch 92 Gt Eis pro Jahr verloren und die Eissschelfe verloren 1-7% ihrer Mächtigkeit. Gleichzeitig hat sich die Aufsetzlinie zurückgezogen, und das Eis ist an der Auÿenkante zum Meer zunehmend abgebrochen. Die Folge war ein verstärkter Abuss der Auslassgletscher aus dem Innern des Westantarktischen Eisschildes. Das Schelfeis bremst normalerweise den Abuss der Gletscher aus dem antarktischen Eisschild. Wird es brüchig oder fehlt es, nimmt die Geschwindigkeit der abieÿenden Gletscher zu. Damit wird zunehmend mehr Eis dem Ozean zugeführt. Zwischen 1992 und 2001 hat sich dadurch die Oberäche des Westantarktischen Eisschildes rund um die Amundsen-See um bis zu 59 cm pro Jahr abgesenkt. Abbildung 47: Veränderung der Schelfeisgrenze an der antarktischen Halbinsel,[9] Andere Ursachen als an der Amundsen-See hatte die bekannte Auösung des Larsen-B-Schelfeises an der Ostküste der Antarktischen Halbinsel im Jahre 2002, 5 SEE- UND FLUßEIS 47 nachdem 1995 schon das kleinere Larsen-A-Schelfeis verschwunden war. Die Antarktische Halbinsel reicht am weitesten nach Norden und zeigte in den letzten 50 Jahren die stärkste regionale Erwärmung der Welt. Hier wurde seit den 1950er Jahren eine Erhöhung der Temperatur um fast 3 °C bzw. 0,54 °C pro Jahrzehnt gemessen (das globale Mittel liegt bei 0,11 °C pro Jahrzehnt). Und auch die Ozeantemperaturen sind im Sommer um über 1 °C angestiegen. Aufgrund der weit nach Norden reichenden Lage und der deutlichen Erwärmung ist die Antarktische Halbinsel das einzige Gebiet des antarktischen Kontinents, bei dem das Abschmelzen an der Oberäche von Bedeutung ist. Bei der Auösung des Larsen-Schelfeises hat denn auch das Oberächenschmelzwasser, das in Gletscherspalten drang, wohl die entscheidende Rolle gespielt. Auch hier hat sich der Abuss der Auslassgletscher in das Schelfeisgebiet des Larsen-B-Eises nach dessen Auösung und Abbrechen erhöht, und zwar bis um das Achtfache. Ausblick Anders als bei dem grönländischen Eisschild ergeben Modellrechnungen für die Antarktis für die nächsten 100 Jahre eine positive Massenbilanz durch zunehmende Akkumulation. Der Meeresspiegelanstieg bis 2100 durch das Abschmelzen auf Grönland wird dadurch in etwa ausgeglichen. Auch für die nächsten Jahrhunderte wird kein gröÿerer Nettoverlust des antarktischen Eisschildes erwartet. Allerdings werden in den Modellrechnungen die in jüngster Zeit entdeckten Prozesse, die zu den unerwarteten Veränderungen vor allem der Schelfeisgebiete und der in sie mündenden Auslassgletscher geführt haben, nicht oder nur teilweise berücksichtigt. 5 See- und Fluÿeis 5.1 Bedeutung von See- und Fluÿeis Süÿwassereis ist eine der Hauptkomponenten der terrestischen Kryosphäre. Sie beeinusst einen groÿen Anteil des globalen Wasserkreislaufsystems und beinhaltet die Flüsse und Seen in den höher gelegenen und alpinen Gebieten (hauptsächlich auf der nördlichen Hemisphäre ). Saisonale Eisbedeckung entwickelt sich in Nordamerika ab 33 °N , in Eu- rasien ab 26 °N und nimmt damit Einuss auf 7 der 15 weltgröÿten Flusssysteme und 11 der 15 gröÿten Seen weltweit. Fluÿ- und Seeis modiziert viele biologische, chemische und hydrologische Prozesse, stellt für viele Länder eine wichtige Möglichkeit des Transports in den Wintermonaten dar und kann menschlicher Infrastruktur groÿen Schaden zufügen. Da die verschiedenen Formen und Entstehungsarten von Frischwassereis direkt von atmosphärischen Parametern abhängen ( Temperatur und Niederschläge ) können die räumlichen und zeitlichen Veränderungen als Indikator für Klimavariabilität und -veränderung benutzt werden. Obwohl dramatischere Veränderung im zeitlichen Ablauf und der Dauer einer Eissaison für die Zukunft vorausgesagt werden ist unser Verständnis davon wie das Klima die Frischwassereisbildung beeinusst hat bzw wie sie diese beeinussen wird ( Zusammensetzung der Eisbedeckung, Dicke, Auftau-Dynamik) sehr gering. 5 SEE- UND FLUßEIS 48 5.2 Entwicklung Begrenzt von der Verfügbarkeit detailierter Beobachtungsmethoden, reduzierten sich historische Untersuchungen von Süÿwassereis auf realtiv einfache Parameter, wie die Veränderung der herbstlichen Gefrierzeiten bzw. der Auftauzeiten und die maximale Dicke der Eisbedeckung. Basierend auf 27 Langzeit-Daten ( ca. 150 Jahre) aus der nördlichen Hemisphäre konnte geschlossen werden, dass sich Gefrierzeiten um ca. 6 Tage pro hundert Jahre verzögerten und die Auftauzeiten sich um ähnliche Zeiträume nach vorne verschoben. Dieses resultiert in einer fast zwei-swöchigen Reduktion der Eisbedeckung in der Saison. Abbildung 48: Gefrier- und Auftauzeiten ausgewählter Flüsse der nördlichen Hemisphäre,[3] Zahlreiche andere regionale und groÿräumige Sudien wurden mit Hilfe besserer rämlicher Auösungsmethoden, welche ab der zweiten Hälfte des 20ten Jahrhunderts zur Verfügung standen, durchgeführt. Diese zeigen, dass es starke Kontraste zwischen den Gefrier- und Auftauzeiten in Zeitabständen von Jahrzehnten und zwischen den Regionen gibt, welche sehr parallel zu groÿräumigen atomosphärischen Schwankungen ablaufen. Ein Langzeitzuwachs der Herbst- bzw. Frühlingstemperatur um 2-3 °C prodziert dabei eine Verzögerung von 10 bis 15 Tagen der Gefrier- bzw. Auftauzeiten. Allerdings sind diese temperaturbasierten Beziehungen kritisch zu betrachten, da diese mit der Zeit variieren können. Groÿräumige Daten von Fluss- und Seeisdicken sind wenig vorhanden. In Kanada wurden über die zweite Hälfte des 20ten Jahrhunderts einige Daten gesammelt, diese zeigten jedoch keine signikante Änderung im Gegensatz zu Daten aus Nordeuropa und Asien, 5 SEE- UND FLUßEIS 49 Abbildung 49: Entwicklung der Frühjahrtemperturen in Kanada,[3] welche eine Tendenz zu dünneren Eisbedeckungen erkennen lassen. Wegen der komplexen Beziehung von Frischwassereisbildung und dem Klima, basieren Zukunftsprognosen nur auf der Basis der Temperaturentwicklung. Diese deuten eher auf eine weitere Verzögerung der Auftauzeiten und eine weitere Verschiebung der Gefrierzeiten, porportional zur Temperaturenwicklung, hin. Für einen genauere Verhersage vieler anderer Eischarakteristika wie Zusammensetzung, Dicke oder Härte müssten komplizierte Einüsse von Schneebedeckung mit einberechnet werden. 5.3 Fluÿcharakteristik, Auftau und Überutung Das Auftauen der Flüsse in kalten Regionen ist meist das dramatischste hydrologische Ereignis des Jahres. Es führt oft zu so hohen Fluÿwasserständen wie es unter ungefrorenen Bedingungen nicht möglich wäre. In gemäÿigten Klimazonen können Flüÿe über eine ganze Zeit zwischen Gefrieren und Wiederauftauen wechseln, in kälteren Regionen hingegen ist das Auftauen meist ein einziges Frühjahrsereignis. In beiden Fällen beginnt das Auftauen wenn die treibenden Kräfte - primär die Flutwelle aus der Schneeschmelze, oft unterstützt von einsetzenden Niederschlägen - die konservativen Kräfte, also die der intakten Eisdecke ( Dicke und Härte ), 5 SEE- UND FLUßEIS 50 übersteigen Abbildung 50: Jährliche Flusshöchststände bei Normalwasser und Schneeschmelze,[3] Wie zuvor angemerkt, sind eher Tendenzen zu erkennen, dass sich die Auftauzeiten proportional zu Temperaturveränderungen verschieben. Es wurden jedoch wenige Versuche unternommen einen Zusammenhang zur Heftigkeit des Auftauens herzustellen. Es wurden jedoch Überlegungen angestellt wie sich die nord-süd-Temperaturgradienten entwickeln werden, da bei diesen erwartet wird, dass sie das Auftreten und die Heftigkeit von eisinduzierten Überutungen stark beeinussen. Ähnliche Überlegungen existieren für Eisschmelzen während der Wintermontate, welche jedoch sehr viel schlechter zu vorhersagen sind, jedoch genauso heftig sein können. (a) [3] (b) [3] Abbildung 51: Prognose für die Entwicklung der NS-Temperaturgradienten 6 GEFRORENER BODEN UND PERMAFROST 51 Generell resultieren die heftigsten Frühjahrsüberschwemmungen der nordwärtsieÿenden Flüsse in den subpolaren bis polaren Regionen der nördlichen Hemisphäre auf starken Temperaturgradienten zwischen dem Wasser aus dem südlichen Oberlauf und der nördlichen Auslaufseite. In diesen Fällen trit das südliche Frühjahrsschmelzwasser auf eine relativ intakte nordliche Eisbedeckung. 5.4 Auswirkung auf menschliche Strukturen Die gröÿten Auswirkungen von Frischwassereis auf Menschen stammen aus eben beschriebenen Überschwemmungen, welche aus dynamischen Gefrier- und Auftauereignissen hervorgehen. Für viele Regionen übersteigen die Kosten für solche Überschwemmung die von konventionellen um vieles. In Nordamerika liegen diese bei ca 250 Mio $ pro Jahr; eine einzige Schmelzsaison hat im östlichen Russland 2001 Kosten in Höhe von 100 $ verursacht. Auch sind solche Überutungen potentiell gefährlicher, da sie im Vergleich schneller und unverhersagbarer auftreten können. Abbildung 52: Überschwemmung nach Eisschmelze in Finnland,[3] Viele nördliche Siedlungen wurden im Einzugsbereich von Flüssen gegründet oder an Stellen an denen Flüsse in Seen eintreten. Eisbildungs - und Schmelzprozesse sowie Variationen in der Eisdicke können regelmäÿig zu Problemen bei Wasserkraftwerken, Brücken, Piplines und bei den Transportwegen führen. All diese Prozesse werden sich unter veränderten Klimabedingungen ebenso stark verändern. 6 Gefrorener Boden und Permafrost 6.1 Entstehung und Begrisklärung Gefrorener Boden entsteht, wenn die Temperatur im Boden unter 0°C fällt, und im Boden eingeschlossenes Wasser gefriert. Hierbei handelt es sich um sogenanntes Poren-Eis, was bedeutet, dass das Wasser in den sich im Boden bendendenden Hohlräume zwischen, Erde, Sand, Felsen und kleinen Kieseln (je nach Bodenbeschaenheit) gefriert. Daher spricht man beim Auftauen dieses Eises auch vom Tauen des gefrorenen Bodens, nicht von Schmelzen, da der Boden ja sowohl zuvor als auch danach fest ist. Aufgrund der Dichtezunahme des Wassers kommt es beim Gefrieren und beim Tauen zu Spannungen im Boden, die, wie weiter unten beschrieben, zu typischen Landschaftsformen und bebauungstechnischen Schwierigkeiten führen können. Beim Gefrieren des Bodens kann es aber auch zur Bildung zusammenhängender, solider Eisschichten kommen (segregated ice). 6 GEFRORENER BODEN UND PERMAFROST 52 Diese entstehen durch den Eekt der sog. cryosuction, was die Anziehung von Wasser durch schon gefrorenes Eis aufgrund des (durch das Gefrieren entstandenen) Gradienten in der Wasserkonzentration meint. Durch diesen Eekt wird die Eisschicht also sukzessive vergröÿert, was in extrem feuchten Böden eine Volumenausdehnung um bis zu 50% hervorrufen kann. In Abbildung 53 a) ist auf Kniehöhe der Person eine solche Eisschicht im Permafrost zu erkennen. Gefrorener Boden, der nicht dauerhaft gefroren ist, sondern beispielweise nur im Winter, wird saisonal gefrorener Boden (seasonally frozen ground) genannt, während Boden, der für mindestens zwei Jahre unterhalb einer Temperatur von 0°C bleibt, Permafrost genannt wird. Dabei muss der Boden allerdings kein Wasser oder Eis enthalten. Selbst wenn er absolut trocken ist, handelt es sich um Permafrost, solange die Temperatur unterhalb des Gefrierpunktes liegt. Oft treten diese beiden Typen auch gemeinsam auf, dann bendet sich oberhalb des Permafrosts eine Schicht, die saisonal gefriert und taut. Diese wird aktive Schicht oder Auftauboden (active layer) genannt. Des Weiteren unterschedet man verschiedene Permafrostvorkommen anhand ihrer ächenhaften Ausdehnung. Wie in Abbildung 53 b) veranschaulicht, unterscheidet man regional groÿächig zusammenhängenden, unzusammenhängenden und sporadi- schen Permafrost (sporadischer Permafrost wird nach der amerikanischen Konvention als solcher bezeichnet, wenn zwischen 10 und 50% der Fläche von Permafrost durchsetzt ist). Die Dicke des gefrorenen Bodens ist durch die Wärme im Erdinneren beschränkt. Je (a) segregated ice (b) Unterscheidung nach ächenhaftem Zu- sammenhang am Beispiel des Permafrostprols von Alaska Abbildung 53: Permafrost nach Klimabedingungen variiert die Mächtigkeit des Permafrosts zwischen wenigen Dezimetern und bis zu über 1000 Metern. In Sibierien wird die tiefste Permafrostschicht vermutet, bei der eine Mächtigkeit von 1650 m gemessen wurde. Diese hängt nicht nur von den Temperaturen, sondern auch von den Niederschlägen ab. Unter einer dicken Schneedecke wird es meist keinen sehr tiefen Permafrost geben, da die Schneedecke den Boden gegenüber der kalten Atmosphäre gut isoliert. Aber auch der gefrorene Boden isoliert sich sozusagen selbst gegenüber der Luft. Gefrorene Oberächenschichten schützen so weiter unten liegende Permafrostschichten im Sommer vor dem Tauen. 6.2 Ausdehnung Der gröÿte Anteil an gefrorenem Boden bendet sich auf der Norhalbkugel. Zwar gibt es in Hochgebirgslagen auch in der südlichen Hemisphäre Permafrost und saisonal gefro- 6 GEFRORENER BODEN UND PERMAFROST 53 renen Boden, jedoch fällt die Ausdehnung auf der Nordhalbkugel wesentlich gröÿer aus, da dort das Verhältnis von Land zu Ozean wesentlich gröÿer ist. Auf Antarktika gibt es vermutlich groÿächigen Permafrost, jedoch weiÿ man dies nur für die knapp 0,3% des Kontinents der nicht von Eis bedeckt ist. Man vermutet zwar auch unter dem Eis groÿe gefrorene Bodenächen, die Erforschung fällt hier aufgrund der tausende Meter mächtigen Eisdecke jedoch schwer. Auf der Nordhalbkugel sind im jährlichen Maximum 55 Millionen km2 des Bodens gefroren, was einem Anteil von 58% der gesamten Landäche entspricht. Permafrost hingegen besteht auf ca. 23 Millionen km2 des Landes (24% der Landäche). Wie in Abbildung 54 zu sehen ist, benden sich groÿe Permafrostächen beispielweise im tibetanischen Hochplateau, in Sibirien, im Norden von Kanada oder in Alaska. Wie man an Abbildung 54 b) erkennen kann, gibt es auch unter dem arktischen Ozean (a) Permafrost der Landächen (b) Verschiedene Typen des Permafrosts Abbildung 54: Permafrost auf der Nordhalbkugel Permafrost, den sogenannten subsea permafrost . Dieser entstand in der letzten Eis- zeit, also vor mindenstens 11.000 Jahren. Da die Temperaturen damals wesentlich geringer waren, war mehr Wasser auf der Erde in Form von Eis vorhanden, der Meeresspiegel war dementsprechend niedriger. Damalige Küstengebiete konnten also durchfrieren und sind später vom Meer überutet worden. 6.3 Typische Landschaftsformen und Probleme der Bebauung Wie oben schon erwähnt, kommt es aufgrund der Dichteanomalie des Wassers beim Gefrieren (Tauen) des im Boden vorhandenen Wassers zu einer Ausdehnung (Kontraktion) des Bodens, welche zu typischen Landschaftsformen über Permafrostgebieten führen kann. Diese Eekte werden als frost heave und uneven thawing bezeichnet, und bereiten gerade Bauprojekten wie Straÿen in Permafrostgebieten groÿe Probleme, wie in Abbildung 55a) zu sehen ist. Das Problem des Tauens verstärkt sich, wenn Bauprojekte realisiert werden sollen, die ihrerseits selbst das Auftauen des Bodens beschleunigen. Beispielsweise hat man schnell erkannt, dass Gebäude, deren Inneres geheizt wird, auf Stelzen gebaut werden müssen, um ein Auftauen des Permafrostbodens unterhalb des 6 GEFRORENER BODEN UND PERMAFROST 54 Gebäudes zu verhindern (siehe Abb. 55b)). Man unterscheidet viele verschiedene Landschaftsphänomene, die aufgrund dieser Eekte auftreten, von denen hier nur einige wenige exeplarisch genannt werden sollen. Needle Ice Lange, nadelförmige Eiskristalle, die wenige Zentimeter unterhalb der Oberäche beginnen, und unter den passenden Bedingungen bis zu 40 cm aus dem Boden ragen können (Abbildung 55 c)). Pingos Kleine, vulkanartig aussehende Hügel von bis zu 50 Meter Höhe, die entstehen, wenn eingeschlossene Mengen an üssigem Wasser durch Gefrieren starken Druck im Boden erzeugen, und diesen schlieÿlich anheben. Angeblich können Pingos wie kleine Vulkane explodieren, und Wasser und Eis ausspucken (Abbildung 55 d)). Patterned Ground Groÿe, ächenhafte Muster in der Landschaft wie Kreise, Linien oder Ähnliches, oft verbunden mit der Bildung von Seen. Sie entstehen durch die Bewegung von felsiger Bodenmasse durch Gefrieren und Auftauen (Abbildung 55e)). Rock Glaciers Groÿe, gletscherähnliche Flüsse aus Erde, Stein und Dreck, die durch langzeitliche Schneeniederschläge entstehen, die sich durch wiederholtes Tauen und Gefrieren mit dem Boden vermischen (Abbildung 55 f )). Drunken forests Aufgrund des Tauens von Permafrost (siehe Entwicklung des Permafrosts) unter Waldächen kommt es oft dazu, dass die Wurzeln der Bäume zu schwach sind, um die Bäume in dem weicheren Boden ausreichend verankern zu können, weshalb die Bäume kippen und schlieÿlich umfallen können (Abbildung 55 g)). 6 GEFRORENER BODEN UND PERMAFROST (a) Auswirkungen des uneven thawing auf ei- 55 (b) Wohnhaus in Dawson-City, Kanada ne Straÿe in Tibet (c) Needle Ice (d) Pingo in Tibet (e) Patterned Ground in Alaska (f ) Rockglacier in Kanada (g) Drunken Forest in Alaska Abbildung 55: Typische Auswirkungen des Permafrosts auf Landschaft und Bebauung 6 GEFRORENER BODEN UND PERMAFROST 56 6.4 Permafrost und Klima Wie jedes Subsystem stehen auch die gefrorenen Böden in Wechselwirkung mit dem Klimasystem. Ein Zusammenhang, der vielleicht intuitiv nicht gleich zu erkennen ist, ist die leichte wärmende Wirkung des Permafrosts auf die unteren Luftschichten über ihm. Dieser Prozess ist umgekehrt zur isolierenden Wirkung der Schneemassen beim 6 des Wassers wird beim Ge- Abschmelzen zu verstehen. Die Gefrier- oder Schmelzwärme frieren der oberen Bodenschichten im Winter frei, und hält die Luft somit wärmer, als sie ohne den Permafrost wäre. Die gefrorenen Schichten im Boden regulieren auÿerdem den Feuchtigkeitshaushalt des Bodens und der Luft darüber. Permafrost tritt gerade in kontinentalen Klimazonen auf, wo aufgrund der geringen Niederschläge keine dicke Schneeschicht vorhanden ist. Trotzdem sind Permafrostgebiete meist eher solche mit feuchten Böden, im Sommer sogar mit Sumpf- und Seenlandschaften. Diese Nässe, die gerade auch für die Flora und Fauna dieser Gebiete essentiell ist, wird zu einem groÿen Teil nur durch die gefrorenen Bodenschichten gehalten. Sie wirken wie eine wasserdichte Schicht, die das Abieÿen und Versickern des Wassers verhindert. Wären sie nicht vorhanden, wäre das Land in diesen niederschlagsarmen Gebieten wesentlich trockener und karger. Auch die Feuchtigkeit, die unter einer Permafrostschicht im Boden gespeichert ist, kann aufgrund dieser nicht verdunsten. Eine weitere Auswirkung des Permafrosts betrit den Kohlenstokreislauf der Erde. In allen Bodenschichten ist Kohlensto in Form von Kohlendioxid, Methan und anderen Treibhausgasen gebunden, der beim Zerfall und Abbau von Tieren und Panzen im Boden entsteht. Dieser wird mit der Zeit an die Atmosphäre abgegeben, was in Permafrostböden verhindert wird, da der Abbau der panzlichen und tierischen Stoe gestoppt ist. Dieser Kohlenstokreislauf war lange Zeit im Gleichgewicht mit dem globalen Klima, solange die Menge der an die Atmosphäre abgegebenen Treibhausgase nicht zunahm. Wissenschaftler gehen davon aus, dass in Permafrostböden ca. die gleiche Menge an Kohlensto vorhanden ist, wie bisher schon in der Atmosphäre. Ein Abtauen von Permafrost hätte also eine enorme Zunahme von Kohlensto in der Atmosphäre zur Folge, was wiederum eine positive Rückkopplung über eine Temperaturerhöhung bewirken würde. Gerade in sehr altem Permafrost, der zur lezten Eiszeit entstanden ist (sog. re- lict permafrost ) ist teilweise sehr viel Kohlensto gebunden. Ein spezieller Typ dieses Permafrosts ist beispielweise das Yedoma. Diese Böden nden sich vorwiegend in Sibirien, und beinhalten einen extrem hohen Anteil an Abbauprodukten aus tierischen und panzlichen Materialien. Sie sind daher aktuelles Forschungsobjekt, da sie nicht nur eine groÿe Auswirkung auf das Klima haben können, sondern auch wertvolle Informationen über die Vegetation und Tierwelt vergangener Zeiten beinhalten. 6.5 Erforschung und Entwicklung des Permafrosts, mögliche Folgen Gefrorene Böden stellen durch ihre zeitliche Variation über beinahe alle Zeitskalen ,von Tagen bis Wochen bei saisonal gefrorenem Boden bis zu Jahrtausenden bei eiszeitlichem Permafrost, eine für die Forschung extrem interessante Komponente dar. Hinzukommt, dass einige sehr alte Permafrostvorkommen Informationen über die Zeit ihrer Entstehung beinhalten können. Dennoch hat die wirklich ächenmäÿige, regelmäÿige Beobachtung der globalen Permafrostgebiete erst vor einigen Jahren begonnen. Dies mag daran liegen, dass die Ausmaÿe von Permafrostböden nicht leicht zu bestimmen sind. Früher wurde die 6 Bei Wasser beträgt die Schmelzwärme 333, 7kJ/kg 6 GEFRORENER BODEN UND PERMAFROST 57 Ausdehnung des Permafrosts nur über die Oberächentemperatur oder die Lufttemperatur bestimmt. Dies liefert jedoch keine zufriedenstellenden Werte, da die Lufttemperatur weit unter dem Gefrierpunkt liegen kann, ohne dass der Boden gefroren ist. Beispielsweise ist der Boden unter Gletschern oder Flüssen sehr oft nicht gefroren, während die Lufttemperaturen dies vielleicht erwarten lieÿen. Nach wie vor nden zur Erforschung des Permafrosts und der saisonal gefrorenen Böden Feldstudien statt, in denen Bohrungen Aufschlüsse über die Dicke der aktiven Schicht, das Grundwasservorkommen und die Temperatur liefern. Zusätzlich werden ortsfeste Beobachtungsanlagen installiert, die dauerhaft Daten liefern, was essentiell für die Erforschung der Entwicklung des Permafrosts und für mögliche Prognosen ist. Die Nutzung von Fernerkundungsmethoden gestaltet sich nach wie vor schwierig, was mehrere Gründe hat. Zwar eignen sich Satelliten sehr gut, um die meist niederschlagsarmen, wenig bebauten Gebiete zu beobachten, jedoch ist Permafrost im Gegensatz zu den anderen Komponenten der Kryosphäre nicht auf Anhieb auf der Erdoberäche zu erkennen. Man muss vielmehr landschaftliche Eigenheiten und Vegetationstypen wie die oben beschriebenen deuten, und anhand derer auf das Vorhandensein von gefrorenen Böden und deren Entwicklung schlieÿen. Auch anhand der Oberächentemperaturen, die via Satellit problemlos zu detektieren sind, lässt sich aus oben genannten Gründen nicht direkt auf Permafrostvorkommen schlieÿen. Dennoch liefert die Kombination und der Vergleich von Satellitenaufnahmen und In-situMessmethoden mittlerweile gute Ergebnisse. Unterstützt durch Laborversuche, in denen unter kontrollierten Bedingungen Prozesse wie das Gefrieren in verschiedenen Bodenmaterialien untersucht werden, haben Simulationen auch unter Verwendung anderer Daten wie die der Schneebedeckung zu Ergebnissen geführt, die allesamt einen Rückgang sowohl der Dicke als auch der Ausbreitung des Permafrosts in der Vergangenheit zeigen, sowie diesen auch für die Zukunft vorhersagen. Bisherige Entwicklung Aufgrund der globalen Erwärmung und der Zunahme an Niederschlägen in einigen Bereichen ist es seit den 1980er Jahren zu einem deutlichen Anstieg der Temperaturen im Permafrost gekommen. Während im Nordosten Chinas und in Tibet die Temperaturen um 0,5°C bis 1,5°C zunahmen, haben sie in Kanada und Sibirien um 2°C, im nördlichen Alaska sogar um 3°C zugenommen. Man geht davon aus, dass die Temperaturen im Laufe des gesamten 20. Jahrhunderts im Mittel um 6°C zugenommen haben. Auÿerdem hat die Dicke und die Ausdehnung der Permafrostgebiete abgenom- men. In Sibirien wurde eine Zunahme der aktiven Schicht um im Mittel ca. 25 cm beobachtet (Zunahme der aktiven Schicht bedeutet gleichzeitig Abnahme der Permafrostschicht darunter), in Tibet um ca. 100 cm. Gleichzeitig wandert die Grenze der Ausdehnung der gefrorenen Böden nach Norden, zusammenhängende Zonen werden durch unzusammenhängende ersetzt, unzusammenhängende durch sporadische Vorkommen. Prognosen Die Vorhersagen bezüglich der Entwicklung der Dicke und der Ausdehnung des Permafrosts variieren stark, haben jedoch alle eine weitere drastische Abnahme beider Faktoren gemein. Sie ergeben eine Reduzierung der Ausbreitung des Permafrosts um ca. ein Drittel und eine Zunahme der Dicke der aktiven Schicht um bis zu über 50% bis 2080. Die Entwicklung der Ausdehnung ist anhand der Abbildung 56 zu sehen, die die momentane Ausdehnung und die simulierte für 2050 zeigt. Eine Modellrechnung nach 6 GEFRORENER BODEN UND PERMAFROST 58 dem A2-Emissionsszenario des IPCC geht soger von einer Reduzierung der Gesamtäche zusammenhängender Permafrostvorkommen von momentan 10,5 Mio. km2 auf unter 1 2 Mio. km bis 2100 aus. (a) Permafrost-Ausdehnung 2003 (b) Simulierte Permafrost-Ausdehnung 2050 Abbildung 56: Permafrost-Entwicklung auf der Nordhalbkugel Mögliche Folgen Die gerade beschriebene Entwicklung kann sehr vielseitige und drastische Folgen haben, die zum Teil auch jetzt schon erkennbar sind. Zum Einen führt ein beschleunigtes Auftauen von Permafrost zu einer beschleunigten Abgabe des darin gespeicherten Kohlenstos an die Atmosphäre, was wiederum die Erwärmung beschleunigt, usw. Da so eine gigantische Menge an Kohlensto im Permafrost vermutet wird (bis zu 1000 Gigatonnen), ist dieser Eekt nicht zu vernachlässigen. Zum Anderen bildet sich in Permafrostgebieten, die abtauen, zunehmend sogenannter Thermokarst, also Bodeneinbrüche, die versumpfen oder in denen sich Seen bilden. Satellitenaufnahmen zeigen beispielsweise, dass sich die in Sibirien von Seen eingenommene Fläche in den letzten 30 Jahren bereits um 12% vergröÿert hat. Dies hat zwar einerseits zur Folge, dass sich in der ehemaligen Tundra Wälder ausbreiten, sich also die Waldgrenze nach Norden verschiebt, was die Aufnahme von CO2 aus der Atmosphäre begünstigt, andererseits wird dieser Eekt Schätzungen zufolge wohl durch den Albedo-Verlust wieder aufgehoben. Hinzukommt, dass die Feuchtlandschaften nur solange bestehen, bis die zusammenhängende Permafrostschicht komplett taut, da dann das Wasser abieÿen kann und die niederschlagsarmen Gegenden austrocknen werden. Einen eher geringen Eekt hat das Abtauen von Permafrost auf den Anstieg der Meeresspiegel, man geht davon aus, dass das komplette Abtauen von Permafrost nur einen Anstieg von 3-10 cm zur Folge hätte. Auf viele arktische Küstengebiete hat diese Entwicklung aber dennoch drastische Auswirkungen. Zusammen mit dem Verschwinden des Meereises vor den Küsten sorgt das Auftauen der teils lockeren, sandigen Böden zu einer beschleunigeten Erosion der Küsten Abbildungsverzeichnis 59 ins Meer. Die folgende Abbildung 57 zeigt als Beispiel zwei Bilder, die in einem Abstand von nur zwei Stunden hintereinander an der Küste Shishmaref, Alaska aufgenommen wurden. Dabei handelte es sich um einen verhältnismäÿig leichten Sturm, was deutlich macht, wie anfällig manche arktische Küsten auf Erosion sind, wenn das schützende Meereis und der den Boden stabilisierende Permafrost verschwinden. In den mittleren Breiten stellt die Auösung des sogenannten alpinen Permafrosts Abbildung 57: Erosion der Küste von Shishmaref in Alaska ein besonderes Problem dar. Dort verlieren gerade Steilhänge enorm an Sabilität, und es kommt zu vermehrten Erdrutschen und Steinschlägen, wie es im Sommer 2003 in den schweizer Alpen zu beobachten war. Dort lag die Temperatur im Sommer um bis zu 5°C höher als im langjährigen Mittel. Gerade die Permafrostschichten an Steilhängen sind für solch eine Temperaturerhöhung sehr sensibel, da sie meist keine oder keine dicke Schneebedeckung besitzen. Abbildungsverzeichnis 1 Fläche, Volumen und SeaLevelEquivalent der Komponenten, [6] . . . . . . 3 2 Lage der Planeten in Phasendiagramm von Wasser, [2] . . . . . . . . . . . 4 3 Komponenten und Verweilzeit von Wasser eben dort, [6] 4 Eisstruktur schematisch und unter Mikroskop . . . . . . . . . . 4 . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5 Hochdruck Eisphasen - Diagramm,[?] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 6 Albedowerte für Eis und Schnee im Vergleich, [9] 7 7 . . . . . . . . . . . . . . spektrale Albedos über Schnee, Eis, schneebedecktes Eis und schmelzendes Eis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 8 Morphologie von Schnee anhand der betreenden physik. Parameter, [9] 9 9 Wechselwirkung der Kryosphäre im Klimasystem Erde, [2] . . . . . . . . . 10 10 Schneebedeckung der NH Januar 1979, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 11 Saisonale Schneebedeckung der NH 1978-2005, [8] . . . . . . . . . . . . . . 12 12 . a: Schneebedeckung der NH 1972-2003, [9]; b: Dierenz der Schneetage 1978-2006, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 13 Berechnete Änderung der Schneetage in Hochgebirgslagen, [9] . . . . . . . 14 14 Salinität und Dichte, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 15 Formen des Meereises, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 16 Driftsysteme der Arktis, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 17 Vergleich Meereis Arktis und Antarktis, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 18 Eisdrift arktisches Polarmeer, [8] 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis 60 19 Eisdrift antarktisches Polarmeer, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 20 Albedo von Meer, Eis ,Schnee, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 21 Polynjas, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 22 Oene Stellen im Meereis, [8] 23 VIS-Aufnahmen, [8] 24 IR-Aufnahmen, [8] 25 Aufnahmen mittels passiver Mikrowellenstrahlung, [8] . . . . . . . . . . . 25 26 Radar-Aufnahmen, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 27 Eisdickenmessung, [12] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 28 Entwicklung des arktischen Meereises, [8] 28 29 a: Anomalien des arktischen Meereises, [8]; b: Dicken von Eisschollen im . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transpolarstrom, [12] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 30 Modelle zur arktischen Meereisentwicklung, [9] . . . . . . . . . . . . . . . 30 31 Anomalien des Meereises in Arktis und Antarktis, [8] . . . . . . . . . . . . 30 32 Entwicklung der Massenbalance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 33 Die fünf Zonen eines Gletschers, [2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 34 Der Briksdalsbreen in Norwegen als Beispiel für den gröÿten Plateugletscher Europas, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 35 Verteilung der Gletscher auf der Erde, [9] 37 36 Massen-Balance von Gletschern verschiedener Regionen, [9] 37 Gletscherrückgang Kilimandscharo, [9] 38 Prinzipieller Aufbau eines Eisschildes mit Schelfeis, [4] . . . . . . . . . . . 40 39 Flächen - und Volumendaten für Eisschilde und Schelfeis, [4] . . . . . . . . 40 40 Veränderung der Eishöhe von 1996 bis 2005 anhand "Laser altimeter mea- . . . . . . . . 37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 surements"(Flugzeug daten). Orte mit schnell abschmelzenden Ablassgletschern bei Jakobshavn(J), Kangerdlugssuaq(K), Helheim(H) und entlang der Süd-Ost-Küste (SE) bezüglich der totalen Massenbilanz ( [ Gt · yr−1 41 Ṁ ] = ), [4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Entwicklung der maximalen Ausdehnung der sommerlichen Schmelzäche, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 42 [9] Rückzug der Aufsetzlinie des Jakobshavn Isbrae, [9] . . . . . . . . . . . . . 42 43 Der Eisschild der Antarktis mit Eisschelfen,[9] . . . . . . . . . . . . . . . . 44 44 Höhenänderungen zwischen 1992 und 2003 aus ESR Satelliten Radar Aufnahmen,[4] 45 45 Veränderung der Eismasse in Ost- und Westantarktis. Gesamtvolumen: 26 · 106m3 , 46 [9] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Schmelzen von Schelfeis an der Unterseite durch Eindringen von warmem Meerwasser in die Eiskaverne,[9] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 47 Veränderung der Schelfeisgrenze an der antarktischen Halbinsel,[9] 46 48 Gefrier- und Auftauzeiten ausgewählter Flüsse der nördlichen Hemisphäre,[3] 48 49 Entwicklung der Frühjahrtemperturen in Kanada,[3] 50 Jährliche Flusshöchststände bei Normalwasser und Schneeschmelze,[3] . . 50 51 Prognose für die Entwicklung der NS-Temperaturgradienten . . . . . . . . 50 52 Überschwemmung nach Eisschmelze in Finnland,[3] . . . . . . . . . . . . . 51 53 a: Segregated Ice, [8]; b: schematisches Prol des Permafrosts Alaskas, [9] 52 54 Permafrost der NH, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 55 Auswirkungen des Permafrosts, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 56 Entwicklung des Permafrosts der NH, [9] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 57 Küstenerosion in Shishmaref, Alaska, [8] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Literatur 61 Literatur Klimatologie, Klimaforschung im 21. Jahrhundert - Herausforderungen für Natur- und Sozialwissenschaften, Spektrum Akademischer [1] Kappas, Martin, 2009: Verlag Heidelberg [2] O. Slaymaker, R. E.J. Kelly, 2007: Change, The Cryosphere and Global Environmental Blackwell Publishing [3] Terry D. Prowse, Barrie R. Bonsal, Claude R. Duguay, Dag O. Hessen, Valery Sl Vuglinsky, 2007: River and Lake Ice, United Nations Environment Programme (UNEP), [http://www.unep.org/geo/geo_ice/PDF/GEO_C8_LowRes.pdf ] [4] Charles Ice R. Bentley, Sheet, United Robert H. Nations Thomas, Isabella Environment Velicogna, Programme 2007: (UNEP), [http://www.unep.org/geo/geo_ice/PDF/GEO_C6_LowRes.pdf ] [5] Hamish D. Pritchard, Robbert J. Arthern, David G. Vaughan, Laura A. Ed- extensive dynamic thinning on the margins of the Greenland and Antarctic ice sheets, Nature Vol 461 wards,2009: [6] Lemke, P., J. Ren, R.B. Alley, I. Allison, J. Carrasco, G. Flato, Y. Fujii, G. Kaser, P. Mote, R.H. Thomas, T. 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