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01|Überuns
scinexx.de-DasWissensmagazin
scinexx®-sprich['saineks],eineKombinationaus“science”und“next
generation”-bietetalsOnlinemagazinseit1998einenumfassenden
Einblick in die Welt des Wissens und der Wissenschaft. Mit einem
breiten Mix aus News, Trends, Ergebnissen und Entwicklungen
präsentiert scinexx.de anschaulich Informationen aus Forschung
undWissenschaft.
DieSchwerpunktthemenliegenindenBereichenGeowissenschaften,
Biologie und Biotechnologie, Medizin, Astronomie, Physik, Technik
sowie Energie- und Umweltforschung. Das Internetmagazin spricht
allewissbegierigenUseran-obinBeruf,StudiumoderFreizeit.
scinexx wurde 1998 als Gemeinschaftsprojekt der MMCD NEW
MEDIA GmbH in Düsseldorf und des Heidelberger Springer Verlags
gegründet und ist heute Teil der Konradin Mediengruppe mit dem
bekannten Magazin Bild der Wissenschaft sowie den
Wissensangeboten:wissen.de,wissenschaft.de,scienceblogs.de,
natur.deunddamals.de.
02|Inhalt
01
02
ÜBERUNS
INHALT
03
LAUNENDERNATUR
SchnabeltiereundAmeisenigel
04
IMPRESSUM
03|LaunenderNatur
Schnabeltiereund
Ameisenigel
VONDIETERLOHMANN
Fabelwesen,biologischeKuriositätodergarMissgeschickderNatur:
SchnabeltiereundAmeisenigelhabenseitihrerEntdeckungvorgut
200JahrenimmerwiederdieFantasiederWissenschaftlerbeflügeltheftigeSpekulationenüberihrenPlatzimStammbaumdesLebens
inklusive.
EIN„DING“AUSEINERANDERENWELT
D
chnabeltier: Original oder Fälschung? England, wir
schreiben das Jahr 1798. Aus der britischen Kolonie
Neuholland – dem heutigen Australien – ist mal wieder
ein Schiff eingetroffen. Nicht unbedingt ungewöhnlich,
denn es herrscht reger Verkehr zwischen dem Mutterland England
unddennochrelativneuenÜberseegebieten.SträflingeundSiedler
strömen in das Land „down under“, im Gegenzug kommen
Edelhölzer und andere Naturprodukte, aber auch exotische
Geschöpfe nach England. Längst ist es unter Wissenschaftler kein
Geheimnis mehr, dass in Australien eine einzigartige Tier- und
Pflanzenweltexistiert.
DiesesMaljedochhatdasSchiffeineFrachtanBord,diesichspäter
als ganz besondere wissenschaftliche Sensation entpuppen wird. Es
handelt sich um die Überreste eines Tieres, das im heutigen
australischen Bundesstaats New South Wales neu entdeckt wurde –
angeblich.DochesscheintSkepsisangebracht,denndasLebewesen
hat ein groteskes Aussehen: Entenschnabel, Biberschwanz,
Säugetierfell. Jeder, der es zu
Gesichtbekommt,tipptsofort
auf eine Fälschung. Das liegt
zum Teil daran, dass das Tier
nicht lebend in Europa
eingetroffen ist, sondern nur
sein Balg, eine abgezogene
Haut mit Haaren und
Körperanhängen. Dazu gibt
es ein paar einfache Skizzen,
die es in seinem Lebensraum
zeigen.
Schnabeltiere:EchtoderFake?©John
Gould:TheMammalsofAustralia/
gemeinfrei(historisch)
Echtoder„fake“?
Auch der Forscher George Shaw aus der Abteilung für
NaturgeschichteimBritischenMuseuminLondonstutztbeimAnblick
des Balges. Er beschäftigte sich bereits Jahren mit der Tierwelt
Australiens und ist, was ungewöhnliche Lebewesen betrifft, einiges
gewohnt.DochdieseshierfälltvölligausdemRahmen.Aucherhält
es deshalb erst einmal nicht für eine neue Art, sondern für ein von
findigen Tierpräparatoren zusammengebasteltes Kunstwesen. Erst
nacheingehenderPrüfungänderterseineMeinungundmachtsich
1799 an die wissenschaftliche Beschreibung der neuen Art. Nach
einigem Hin und Her unter den Tiersystematikern erhält sie
schließlich den Namen Schnabeltier oder Ornithorhynchus anatinus.
Weitere Schnabeltierrelikte, die mit der Zeit in England eintreffen,
stützenspäterShawsEinschätzung:DasmerkwürdigeDingauseiner
anderen Welt ist echt. Die Fachwelt zeigt sich begeistert von dem
bisher unbekannten Erdbewohner. Forscher und andere
Naturinteressierte stellen aber auch die erstaunlichsten Theorien
überseineStellungimTierreichundüberseineEntstehungauf.Das
ThemaEvolutionspieltdabeiaberkeineRolle,dafüristdieZeitnoch
nichtreif.CharlesDarwinlebtnochnicht,seineThesenzurEvolution
sowieseinHauptwerk„OntheOriginofSpecies“(DieEntstehungder
Arten)erscheinenerstknapp60Jahrespäter.
DiskussionenohneEnde
ManchehaltendasSchnabeltierdeshalb
für eine „verrückte Laune der Natur“,
andere für das Resultat eines
„promiskuitiven
Verkehrs
der
unterschiedlichen
Tiergeschlechter“.
Hand und Fuß haben alle diese
SchnabeltierimBrokenRiver©
Spekulationen nicht, denn dazu weiß
ChristineFerdinand/GFDL
man zunächst viel zu wenig über das
australische
Tier,
über
sein
Aussehen
und
seine
Lebensgewohnheiten. Nichtsdestotrotz wird in den nächsten
Jahrzehnten auch über Fragen wie „Sind Schnabeltiere Säugetiere
oder Reptilien?“ und „Legen sie Eier oder gebären sie lebende
Junge?“ ausgiebig und heftig gestritten – allerdings ohne
durchschlagenden Erfolg. Der deutsche Zoologe und Schriftsteller
Alfred Brehm fasst in seinem 1883 erschienenen Thierleben das
angebliche Wissen über die Schnabeltiere so zusammen: „Endlich
gelang es dem unermüdlichen Forscher [gemeint ist der Zoologe
GeorgeBennett,derMittedes19.JahrhundertsmehrfachAustralien
besuchte], einen Bau mit drei Jungen zu entdecken, welche etwa 5
Centim. lang waren. Nirgends fand man etwas auf, was auf die
Vermuthung hätte führen können, daß die Jungen aus Eiern
gekommen,unddieEiervondenAltenweggetragenwordenwären.
Man konnte nicht mehr im Zweifel sein, daß das Schnabelthier
lebendigeJungengebiert.Bennettglaubtnicht,daßdieEingebornen
die Mutter jemals säugend gesehen, und entschuldigt sie deshalb
wegenihrerlügenhaftenErzählunghinsichtlichdesEierlegens.“Doch
Bennet und damit auch Brehm hatten sich geirrt – und zwar völlig.
Dasweißmanheutenatürlichlängst.
EINEIERLEGENDERSÄUGER
D
esonderheiten von Ornithorhynchus anatinus Länge: 50
oder 60 Zentimeter. Gewicht: bis 2,5 Kilogramm.
Lebensweise: nachtaktiver Einzelgänger; Fleischfresser;
guterSchwimmersowohlinFlüssenalsauchinTümpeln
und Seen. Lebenserwartung: knapp zehn Jahre. Der Kurzsteckbrief
des Schnabeltiers liest sich wie der eines x-beliebigen Lebewesens.
Doch die im Osten und Südosten des australischen Festlandes und
auf den vorgelagerten Inseln lebende Art ist alles andere als
„normal“. „Viele Merkmale, wie das Eierlegen und der Schnabel,
lassendieVerwandtschaftzuReptilienundVögelnvermuten.Andere
Merkmale,wiederBesitzeinesFellsunddieAufzuchtderJungenmit
Milch, deuten jedoch auf die Säugetierverwandtschaft hin“, meint
Jürgen
Schmitz
von
der
Universität
Münster.
Der
Schnabeltiernachwuchs nuckelt allerdings nicht an Zitzen, sondern
lecktdieMilchdirektausdemFellanderBrustderMutter.
SäugermitReptilieneinschlag
Da sie die drei klassischen
Säugermerkmale besitzen Haare, Milchfütterung, drei
Gehörknöchelchen - ordnen
Evolutionsbiologen
und
Systematiker die scheinbaren
Mischwesen heute trotz aller
Widersprüche in die Gruppe
der Säugetiere ein. Genauer
gesagt zählen sie die
SchnabeltiervorErdbau©Rainbow606/
Schnabeltiere zu den so
CCBY-SA3.0
genannten
Monotremata
oderKloakentieren.DennSchnabeltierebesitzenandersalsfastalle
übrigen Säuger nur eine einzige Öffnung für Exkremente und die
Fortpflanzung. Neben den Schnabeltieren gehören zu den
Monotremata nur noch die vier Arten der Ameisenigel, die sich
ebenfalls in Australien, aber auch auf Neuguinea tummeln. Dass
SchnabeltieresehrurtümlicheSäugersindundvonihremKörperbau
und den Verhaltensweisen den Reptilien noch sehr nahe stehen,
zeigennachAnsichtvonBiologenvieleBeispiele.Sobesitzensiemit
etwa 32° Celsius eine deutlich niedrigere Körpertemperatur als die
meisten anderen Säugetierarten. Mindestens ebenso ungewöhnlich
sind die Giftsporne der männlichen Schnabeltiere, die sich in der
Fersengegend der Hinterbeine befinden. Sie stehen in Verbindung
mit speziellen Giftdrüsen am Oberschenkel und kommen vor allem
beimKampfumdieGunstderWeibchengegenRivalenzumEinsatz.
Ein solcher Giftapparat mit dem hohlen Stachel ist im Säugerreich
einzigartig.
KonvergenteEvolution
Das Gift von Ornithorhynchus anatinus ähnelt dem von Schlangen,
die Giftgene bei den beiden Tiergruppen unterscheiden sich nach
den Erkenntnissen von Forschern aber deutlich. „Das Gift von
Schnabeltieren und Reptilien muss sich
in der Evolution also konvergent, das
heißt
unabhängig
voneinander
entwickelt haben“, konstatiert Jürgen
BrosiusvonderUniversitätMünster,der
im Jahr 2008 zusammen mit Kollegen
das
Genom
der
Schnabeltiere
untersucht hat. Soweit man bisher weiß,
GiftspornamHinterfußeines
ist das Gift nicht tödlich, weder für die
Schnabeltiers©E.Lonnon/
GFDL
artinternen Konkurrenten noch für den
Menschen.DennochdarfmandieWirkungnichtunterschätzen.Dies
zeigt ein früher Erfahrungsbericht aus dem Jahr 1817. Ein
Beobachter beschreibt darin den Ablauf und die Folgen der
Giftattacke eines Schnabeltiers so: „Das Schnabeltier jagte seine
Sporne mit einer solchen Wucht in die Handfläche und den Rücken
der rechten Hand und hielt sie darin so fest, dass sie nicht entfernt
werden konnten bevor das Tier getötet war. Die Hand schwoll
anschließend zu einer ungeheuren Größe an. Der Schmerz war von
Beginnanunerträglich.EsdauerteneunWochen,bisderMannseine
Handwiederuneingeschränktbenutzenkonnte.“
SchmerzundÖdeme
Klinische Studien haben solche Anekdoten längst weitgehend
bestätigt. Danach sind heftiger, langanhaltender Schmerz, der auch
durchMorphiumnichtzubekämpfenist,undÖdemetypischeFolgen
des Schnabeltiergiftes. Die genaue Zusammensetzung und
Wirkungsweise des Sekrets ist aber bis heute Gegenstand der
Forschung.
SCHNABELTIEREJAGENMITELEKTROSINN
U
Säuger spüren elektrische Felder der Opfer auf Haie
können es, Welse oder Rochen auch und viele andere
Raubfischeebenfalls:AlledieseTierenehmenelektrische
Felder wahr, die andere Tiere beispielsweise beim
Schwimmen erzeugen. Der so genannte Elektrosinn hat seinen Sitz
im Seitenlinienorgan dieser Fische, das gleichzeitig auch für den
Tastsinnverantwortlichist.
PassiveElektroortung
Vergleichbare Fähigkeiten waren lange Zeit von Säugetieren nicht
einmal ansatzweise bekannt – einzige Ausnahme auch hier: die
Kloakentiere. Beim Schnabeltier beispielsweise dient der Elektrosinn
dazu, Nahrung wie Süßwassergarnelen oder Würmer im Schlamm
der Flüsse oder Seen aufzuspüren. Wissenschaftler sprechen dabei
auch von einer „passiven Elektroortung“. Die Methode funktioniert
einwandfrei, obwohl Augen, Ohren und Nasenlöcher beim Tauchen
fest verschlossen sind. Sie können deshalb bei der Nahrungssuche
keineHilfestellunggeben.DerElektrosinnistjedochsosensibel,dass
erselbstdieextremschwachenelektrischenFeldervonvierbisfünf
MikrovoltproZentimeteridentifiziert,diedurchdieMuskelarbeitder
potenziellen Opfer erzeugt werden. Die Sinneszellen zur Aufnahme
der elektrischen Reize befinden sich im entenartigen „Schnabel“ der
Tiere,dereigentlicheineverlängerteNaseist.
Superempfindliche
Tastrezeptoren
Ergänzt
wird
das
Handwerkszeug für die Jagd
durch
superempfindliche
Tastrezeptoren unter der
Nasenhaut. Sie können noch
die
seichtesten
Wellenbewegungen,
SchwimmendesSchnabeltier©
Rainbow606/CCBY-SA3.0
ausgelöst
durch
die
Fortbewegung
von
Insektenlarven oder Krebsen, wahrnehmen. Die Informationen aus
der Umgebung gelangen nach Angaben von Wissenschaftlern
schließlich über einen vergleichsweise mächtigen Nervenstrang im
Kiefer der Schnabeltiere zum Gehirn – der Räuber schnappt
blitzschnellzu.SchnabeltierevertilgendieBeuteabernichtgleichvor
Ort, sondern erst später in aller Ruhe. Die gefangenen Kleintiere
werden deshalb wie bei unserem einheimischen Hamster in den
Backentaschen zwischengelagert. Erst nach dem Auftauchen
zermalmendieSäugerihreBeutemitdenHornplatten,dieanStelle
vonZähnendieKieferzieren.
DelfinemachenSchnabeltierenKonkurrenz
Mittlerweile hat das Schnabeltier was den Elektrosinn angeht aber
seine „Monopolstellung“ unter den
Säugetieren verloren. Im Juli 2011
konnten Forscher um Wolf Hanke von
der Universität Rostock zusammen mit
amerikanischen Kollegen zeigen, dass
auchDelphineElektrosensorenbesitzen.
Diese befinden sich bei ihnen in den so
genannten Vibrissengruben in der
Sotalia©Archilider/GFDL
Schnauze der Tiere. „Unsere Ergebnisse
zeigen, dass Elektrorezeptoren sich aus einem Tastsinnesorgan
entwickeln können, das nahezu alle Säugetiere besitzen. Das deutet
darauf hin, dass diese Art der Elektrowahrnehmung auch bei
anderen Säugetierarten entdeckt werden könnte“, berichten die
Forscher in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B:
BiologicalSciences“.
SPURENSUCHEIMSCHNABELTIER-GENOM
F
her finden faszinierende Mischung von Eigenschaften im
ErbgutDassnichtnurdasAussehenunddasVerhaltender
SchnabeltierejedeMengeÜberraschungenbieten,sondern
auch ihre DNA, hat sich erstmals im Jahr 2004 bestätigt.
Damals untersuchten Wissenschaftler um Frank Grützner von der
Australian National University in Canberra und der University of
MelbourneerstmalsdasErbgutderTiereimDetail.Dabeikamensie
einemfürSäugetiereeinzigartigenmolekularbiologischenPhänomen
aufdieSpur:Schnabeltierebesitzen-warumauchimmer-stattder
üblichen zwei Geschlechtschromosomen, wie etwa der Mensch,
gleich zehn. So sind die Zellen der Schnabeltiermänner mit fünf Xund fünf Y-Chromosomen ausgestattet, die Schnabeltierfrauen
kommendagegenaufzehnX-Chromosomen.
X-ChromosomistnichtgleichX-Chromosom
Wie die Analysen der Forscher weiter zeigten, gibt es im
Schnabeltiergenomnocheine
weitere Kuriosität: Die XChromosomenunterscheiden
sichdeutlichinderLängeund
im Aussehen. So erinnerten
die Gene im größten XChromosom stark an ihre
GegenstückebeimMenschen.
Die DNA-Sequenzen eines
anderen
X-Chromosoms
glichen dagegen stark der
Vogel-DNAundspeziellderen
X-ChromosomdesMenschen©MMCD
sogenanntemZ-Chromosom.
LetzterebesitzenzudembeideeinenErbgutbausteinmitdemNamen
DMRT1,
der
bei
Vögeln
höchstwahrscheinlich
das
geschlechtsbestimmende Gen darstellt. Ob das DMRT1-Protein bei
Schnabeltieren dieselbe Funktion besitzt, ist bis heute unklar. Die
Funde könnten nach Ansicht der Forscher womöglich sogar ein
neues Licht auf die Evolution der Säugetiere werfen. Die
Wissenschaftler um Grützner und Marilyn Renfree vermuten, dass
der noch reptilienartige Vorfahre aller Säugetiere möglicherweise
irgendwann ein Z-Chromosom-ähnliches Geschlechtschromosom
besessenhabenkönnte.
GenomderSchnabeltiereentschlüsselt
MittlerweileweißmanallerdingsnochvielmehrüberdasGenomder
Schnabeltiere. Denn einem internationalen Wissenschaftlerteam um
WesleyC.WarrenvomGenomeSequencingCenterderWashington
University in St. Louis hat im Jahr 2008 das Erbgut der Kloakentiere
nahezu vollständig entschlüsselt. Es umfasst rund 2,4 Milliarden
Basenpaare und 18.500 Gene. Damit sei es von der Größe her
durchausmitanderenSäugergenomenvergleichbar,soForscherum
Jürgen Schmitz von der Universität Münster, die an der
Genomanalyse entscheidend beteiligt waren. Die Aufteilung auf 52
Chromosomen sei dagegen ungewöhnlich und habe eher
Reptiliencharakter.„IhreGenorganisationwarseltsamundeinwenig
unerwartet“,ergänztMarkBatzervonderLouisianaStateUniversity,
einer der Co-Autoren der Studie. „Sie erschien weitaus Vogel- und
Reptilien-ähnlicher als Säuger-typisch,
obwohlesalsSäugetiereingestuftwird.“
WildeMischung
SchnabeltierimLonePine
KoalaSanctuary©
Rainbow606/CCBY-SA3.0
Auch im Detail entpuppte sich die DNA
derSchnabeltierealswildeMischungaus
Vogel-, Reptilien- und Säuger-DNA, wie
die
internationale
Forschergruppe
feststellte. 82 Prozent aller Gene teilen
die
Schnabeltiere
demnach
mit
Säugetieren, Reptilien oder Vögeln. Die
restlichen 18 Prozent kommen dagegen
ausschließlichbeidenKloakentierenvor,
so die Genetiker. In ihrer Studie
entdeckten sie dabei sowohl Säugertypische
Gene,
die
für
die
Milchproduktion eine wichtige Rolle
spielen. Es gab aber auch Erbanlagen –
etwa für die Eierproduktion-, die denen von Vögeln und Echsen
verblüffend gleichen. „Diese faszinierende Mischung von
EigenschaftenimErbgutliefertunsvieleAnhaltspunktedafür,wiedie
Erbanlagen aller Säugetiere funktionieren und sich entwickelten“,
meint Richard Wilson von der Washington University, der
KoordinatordesProjekts.
Schnabeltiereriechenbesseralsgedacht
Das Schnabeltiergenom hielt
aber
noch
mehr
Überraschungen parat. Es
erlaubte
beispielsweise
Rückschlüsse
auf
das
RiechvermögenderTiere,das
imGegensatzzumSehenund
Hören bislang als eher
unterentwickelt eingeschätzt
wurde. Doch die urtümlichen
DNA-Analyse©PNNL
Säuger „erschnüffeln“ ihre
Umwelt offenbar viel besser als gedacht. Darauf deuten zumindest
zahlreiche„Geruchsgene“hin,diedieForscherimErbgutentdeckten.
DieGenekodierenRezeptorproteine,diefürdieWahrnehmungvon
Düften eine entscheidende Rolle spielen. „Wir hätten nur sehr
Wenige erwartet, weil die Tiere ja den Großteil ihres Lebens unter
Wasser verbringen“, sagte Warren 2008 im Spiegel. Welche
BedeutungderGeruchssinnfürdasLebenderSchnabeltierehatund
wobei er genau eingesetzt wird, ist nach Angaben der
Wissenschaftler zurzeit noch unklar. „Last but not Least“ lieferte das
Genom wichtige Indizien zur Position des Schnabeltiers im
StammbaumderSäuger.DieAnalysevonFossilienundmolekularen
Daten ergab nach Angaben der Forscher, dass sich die Linie der
Kloakentiere bereits vor rund 166 Millionen Jahren als Seitenzweig
von reptilienähnlichen Säugetiervorfahren abgespalten hat. Bislang
ging man meist von einer Trennung vor rund 17 bis 65 Millionen
Jahrenaus.
(ZU)„HEISSE“ZEITENFÜRSCHNABELTIERE
K
wandel bringt urtümliche Säuger in Gefahr Trotz der
verblüffenden Fähigkeiten und Anpassungen war das
Leben im heißen und trockenen Australien für
Schnabeltiere noch nie einfach. Doch nun sieht es so aus,
als wenn die Zeiten für die wehrhaften Wesen bald noch deutlich
härter werden könnten. Diese Ansicht vertreten zumindest
Wissenschaftler um Jenny Davis, Ross Thompson und Melissa Klamt
vonderMonash-UniversityinMelbourne.DieÖkologenvomCenter
für Biodiversitätsforschung sind im Jahr 2011 auf eine Bedrohung
gestoßen, deren Wirkung auf die Schnabeltiere bislang offenbar
vollständig unterschätzt wurde: Den Klimawandel. Wie die
Wissenschaftler bei der Analyse von Wetter- und Populationsdaten
ausdenletztengut200Jahrenfeststellten,reagierendieurtümlichen
SäugerbereitsjetztvielempfindlicheraufdieglobaleErwärmungals
bislanggedacht.
Nichtanpassungsfähiggenug?
„Schnabeltiere sind erstaunliche Tiere,
Ornithorhynchusanatinus
©StefanKraft/GFDL
von denen wir glaubten, dass sie
ziemlich anpassungsfähig sind“, meint
Klamt. „Aber wir haben Indizien dafür
gefunden, dass die Erwärmung ihr
Verbreitungsgebiet
entscheidend
beeinflusst.“ Der Trend zu höheren
Temperaturen und immer weniger
Regen bis hin zu langandauernden Dürren in Südostaustralien wird
zudemdenLebensraumfürSchnabeltiereindennächsten60Jahren
um rund ein Drittel schrumpfen lassen, so die Forscher weiter. Im
Extremfall könnten die Tiere sogar nur in einigen wenigen, heute
noch deutlich kühleren Bereichen wie Tasmanien oder King und
Kangaroo Island auf Dauer überleben. Ein Grund: Die drohenden
Hitzewellen und Dürren könnten künftig viele der bei den
Schnabeltieren beliebten Gewässer verschwinden lassen. In den
verbliebenen Flüssen, Tümpeln und Teichen müssten die Säuger
zudemmitimmerwärmerwerdendemWasserzurechtkommen.Und
genau das könnte sie nach Angaben der Wissenschaftler in echte
Schwierigkeitenbringen.
Luxuriöse„Pelzmäntel“
„Ein Schnabeltier ist ein wunderbar isoliertes Tier – es schwimmt
herum in einem der luxuriösesten ‚Pelzmäntel‘ überhaupt“, erklärt
Davis.Diesererlaubeesihmbeispielsweise,zehnStundenamTagin
nahe0°GradkaltemWassernachNahrungzusuchen.Dochgenau
diese gute Wärmedämmung könnte sich bei steigenden (Wasser)Temperaturen als Achillesferse erweisen. „Schnabeltiere haben nur
begrenzte Möglichkeiten, ihre Körpertemperatur zu verringern“,
erklärt Davis. Sie könnten lediglich in ihren vergleichsweise kühlen
Erdbauten Schutz suchen. Doch spätestens wenn der Hunger zu
groß wird oder die Paarungszeit ansteht, müssen sie diese immer
wieder für einen längeren Zeitraum verlassen. Dann droht der Tod
durch gefährliche Überhitzung. „Wenn die Sommertemperaturen
künftigzuwarmwerden,sindSchnabeltiereverwundbar“,lautetdas
Fazit der Ökologin. Und ihr Kollege Thompson meint: „Dies ist ein
weitererBeweisdafür,dassderKlimawandeleinwichtigerFaktorist,
der unsere einheimische Artenvielfalt beeinflusst.“ Neben der
globalen Erwärmung haben die Wissenschaftler aber auch noch
andereFaktorenausgemacht,diedenLebensraumderSchnabeltiere
in den nächsten Jahrzehnten zunehmend einschränken könnten.
Dazu
gehören
starke
Wasserentnahmen aus den
Flüssen, das Abholzen der
wenigenverbliebenenWälder
und der Bau von Dämmen –
etwazurEnergiegewinnung.
Pilze bedrohen tasmanische
Schnabeltiere
Ein ganz anderes Phänomen
macht
dagegen
den
Schnabeltierforschern
auf
TasmanienseiteinigenJahren
Schnabeltier-Lebensraum©User:Nil/
GFDL
zu schaffen und lässt sie um
denErhaltderdortigenPopulationenzittern:EinePilzkrankheit.„Die
Krankheit wurde das erste Mal 1986 von einem Tierarzt in
Tasmanienbeschrieben.ErwarmitseinenHundenspazieren,alser
einige sehr krank und traurig aussehende Schnabeltiere entdeckte,
mit großen Geschwüren auf dem Rücken und dem Schwanz. Erst
acht Jahre später haben wir herausgefunden, dass diese Krankheit
voneinemPilzausgelöstwird,dernormalerweiseAmphibienbefällt”,
sagtderMedizinerNiallStewartvonderUniversitätvonTasmanienin
einem Beitrag des Deutschlandfunks. Längst seien viele Tiere an
dieser Erkrankung gestorben, die erstaunlicherweise nur die
tasmanischenundnichtdieaustralischenSchnabeltierebefällt.Neue
Zahlenzeigtenjedoch,dassdieEpidemiemitMucoramphibiorum,so
der Name des Pilzes, langsam abzuebben scheint – warum auch
immer. Doch die Wissenschaftler können und wollen noch keine
Entwarnung geben. Denn über die tatsächlichen Bestände der
scheuentasmanischenSchnabeltiereistnochvielzuwenigbekannt.
SchnabeltierevordemAus?
Klimawandel,LebensraumzerstörungdurchdenMenschen,Seuchen:
Bedrohungen wie diese könnten die zurzeit noch häufigen
Schnabeltiere nach Ansicht von vielen Wissenschaftlern schon bald
an den Rand des Aussterbens bringen – lange bevor alle Rätsel um
dieurtümlichstenallerheutelebendenSäugetieregelöstsind.
DESSCHNABELTIERSMERKWÜRDIGEVERWANDTEN
A
enigel zeigen bizarres Sexleben So kurios und
ungewöhnlich das australische Schnabeltier auch wirken
mag,esgibtnocheinigewenigenaheVerwandte,dieihm
beinahe das Wasser reichen können – sowohl was das
kuriose Aussehen als auch was die bizarren Verhaltensweisen
betrifft. Gemeint sind die so genannten Ameisenigel oder
Schnabeligel, die sich fast ausschließlich von Ameisen, Termiten und
Würmernernähren.
Mehralsnurein„Schnabeltier-Double“
Genau wie die Schnabeltiere bringen die vier heute noch
existierenden Arten keine lebenden Jungen zur Welt, sondern legen
Eier. Auch sie füttern ihre Jungen mit Milch und besitzen einen
Elektrosinn. Doch bei allen verblüffenden Parallelen sind die
Ameisenigelkeinsimples„Double“derSchnabeltiere,siesehenihnen
nicht einmal besonders ähnlich. Dafür sorgen schon der
vergleichsweisekleineKopfmitderlangenröhrenförmigenSchnauze
und der eher stummelartige Schwanz. Ein besonderes
Markenzeichen der Tiere ist zudem das dichte Stachelkleid, das als
perfekter Verteidigungsschild gegen Fressfeinde wie Warane oder
Dingosdient.WerdenAmeisenigelangegriffen,rollensiesichwiedie
heimischen Igel zu einer nahezu
undurchdringlichen
Stachelkugel
zusammen. Sie graben sich bei
feindlichen
Attacken
aber
auch
blitzschnell in den Boden ein, bis nur
noch der stachelbewehrte Rücken
herausschaut.
Ameisenigel©AllanWhittome
(Whitto)/gemeinfrei
BizarresSexleben
Einzigartig und ungewöhnlich
zugleich ist jedoch vor allem
das bizarre Sexleben der
Ameisenigel. Das fängt schon
mit dem „Vorspiel“ an. Denn
zurPaarungszeitkommendie
Stachelkugel©Nachoman-au/GFDL
sonst
eher
einzelgängerischen Männchen häufig in bis zu elf Mitglieder
umfassenden „Herren-Clubs“ der besonderen Art zusammen.
Angelockt von Sexuallockstoffen eines Weibchens reihen sie sich
hinter der „Angebeteten“ fein säuberlich wie in einer Warteschlange
oderKolonneaufundwartendarauf„ihrenJobmachenkönnen“,wie
Forscher um Steve Johnston von der Universität von Queensland in
Gattonsagen.DeneigenenKopfamPodesVordermannesverfolgen
sie dabei zum Teil über Wochen hartnäckig ein einziges Weibchen,
bisdiesesendlichPaarungsbereitschaftsignalisiert.
GrabenkämpfebeiAmeisenigeln
Dann beginnt jedoch erst das eigentliche Spektakel. Die „Freier“
graben eine mehr oder minder tiefe Rinne um das begehrte
Weibchen und tragen darin unermüdlich ihre Rivalenkämpfe aus.
Nach und nach schubst dabei das das stärkste oder trickreichste
MännchenseineKonkurrentennachundnachausdem„Ring“,bises
am Ende alleine übrig ist. Anschließend erfolgt die Paarung, die viel
Streichelzeit umfasst und alles in allem schon mal sieben Stunden
dauern kann. Dies haben einige der wenigen erfolgreichen
FreilandbeobachtungenderscheuenTieregezeigt,dieausschließlich
inTeilenAustraliensundaufNeuguinealeben.
VIERPENIS-SPITZEN,ZWEIEINGÄNGE
R
umdenGeschlechtsaktderAmeisenigelgelöstUmbeiden
Weibchen zum Zuge zu kommen, zeigen AmeisenigelMännchen viel Geduld und Ausdauer. Das ist schon seit
längerembekannt.RätselgabdenWissenschaftlernbisvor
einigen Jahren jedoch noch der eigentliche Geschlechtsakt auf. Das
Kuriosedaran:DiemännlichenAmeisenigelbesitzeneinenPenismit
vier Spitzen, das Weibchen aber nur einen Fortpflanzungstrakt mit
zwei Eingängen. Wie konnte und sollte das funktionieren? Die
Forscher hatten keine schlüssige Erklärung parat – bis zum Jahr
2007.
ForscherfilmenErektionundSamenerguss
Denn da lüfteten Wissenschaftler um Steve Johnston von der
Universität von Queensland in Gatton auch dieses Geheimnis. Die
Lösung lieferte ein Männchen, das aus einem Zoo verbannt wurde,
weil es bei Vorführungen häufig durch eine Dauererektion
aufgefallen war. Dieses filmten die Wissenschaftler ausgiebig und
kamen so erstmals der Erektion und dem Samenerguss der
AmeisenigelaufdieSpur.„WennwirfrüherSamenflüssigkeitmithilfe
der Elektrostimulation sammeln wollten,
bekamen wir keinen einzigen Tropfen
zusammen“,sagtJohnston.„Dergesamte
Penis schwoll zu einem vierköpfigen
Monster an, der nicht in den
Geschlechtstrakt mit seinen zwei Ästen
passen konnte. Nun wissen wir, dass
während einer normalen Erektion zwei
Kurzschnabeligel©JohnGould,
Köpfe stillgelegt werden und die
MammalsofAustralia/
anderen beiden passen dann.“ Beim
gemeinfrei(historisch)
nächstenMal,wennderAmeisenigelSex
hat, wird einfach getauscht und die beiden anderen Köpfe kommen
zumEinsatz,sodieForscher.
ReptilienalsGleichgesinnte
Sie haben mit der Enthüllung
desSexlebenseinenweiteren
wichtigen
Beleg
für
reptilienähnliche
Verhaltensweisen bei den
Ameisenigelngefunden.Denn
der
Geschlechtsakt
der
Kloakentiere erinnert stark
daran, wie die Paarung bei
Eidechsen oder Schlangen
abläuft. Letztere besitzen
AmeisenigelbeimEingraben©FritzGellerGrimm/CC-By-SA-2.5
zwarnureinen„doppelten“Penis–auchHemipenisgenannt–doch
nur einer davon wird jeweils bei der Kopulation verwendet. Der
andere hat Pause und muss auf das nächste Weibchen und die
nächste Begattung warten. Die evolutionäre Bedeutung der nur
halbseitigenEjakulationbeidenSchnabeltierenundReptilienistnach
AngabenderWissenschaftlernochweitgehendunklar.Johnstonund
seine Kollegen vermuten jedoch, dass dieses Phänomen eine
wichtigeRollebeiderKonkurrenzderSpermienumdieBefruchtung
des Eis spielen könnte – vor allem, wenn sich das Weibchen
nacheinandermitvielenverschiedenenMännchenpaart.
Gestützt wird diese Theorie durch eine
Studie aus den 1980er Jahren. Darin
hatten Forscher um Russell Jones von
derUniversityofNewcastleinNewSouth
Wales die Samenflüssigkeit toter
Ameisenigel untersucht. Ergebnis: Darin
waren „Bündel“ von über hundert
Spermien enthalten. Diese schwammen
nach Angaben der Wissenschaftler viel
JungerSchnabeligel©Ujullala
/GFDL
schneller als einzelne Samen. Auch dies
stellt offenbar eine weitere Anpassung beim Wettlauf der Spermien
dar.
04|Impressum
scinexx.de-DasWissensmagazin
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