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Hessischer Rundfunk
hr-iNFO
Redaktion:
Wissenswert
Verhaltensbiologie heute:
Von Affen und Elstern lernen
Karl-Heinz Wellmann
Sprecher: Karl-Heinz Wellmann
Sendung: 10.09.16, hr-iNFO
Copyright
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Anmod.
Keine Tierart steht uns Menschen so nahe wie die Schimpansen und
die Bonobos. Aber auch andere Affen, wie zum Beispiel die Paviane,
sind in jedem Zoo ein Magnet für die Besucher. Wie in einem Spiegel,
zumindest wie in einem Zerrspiegel, nimmt man im Verhalten der
Affen das eigene Verhalten wahr. Ein "erkenne Dich selbst" nach Art
der Biologen. Eine Professorin aus Göttingen geht einen Schritt
weiter. Sie erforscht zurzeit im Freiland eine Affengruppe, und zwar
unter anderem mit modernsten technischen und genetischen
Methoden. Mein Name ist Karl-Heinz Wellmann.
Trenner
O-Ton 1
"Wie man arbeitet im Feld, das hängt sehr von der Affen-Art ab und
vom Entwicklungsstand des Projekts. Was wir im Senegal gemacht
haben, ist, ein Projekt ganz neu aufzubauen, von Null an."
Autor
Prof. Julia Fischer vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Vor
rund vier Jahren war das.
O-Ton 2
"Das heißt, wir haben erst mal die Gegend erkundet und geguckt, wo
sind viele Paviane. Jetzt könnte man sagen: Noch ein Pavian-Projekt,
es gibt doch schon so viele. Aber tatsächlich ist die Art, die im Senegal
lebt, noch überhaupt nicht erforscht worden ist. Ja, und dann fängt
man erst mal damit an, die Tiere an sich zu gewöhnen.“
Autor
Soll heißen: Man vermeidet alles, was die Paviane erschrecken
könnte, diese Guinea-Paviane, so lautet ihr korrekter Artname; man
versucht, ihren täglichen Wanderungen von den Schlafbäumen zu den
Futterplätzen zu folgen; man nähert sich ihnen also allmählich immer
stärker – so lange, bis sie die Scheu vor den zuvor unbekannten
Beobachtern verloren haben, bis sie also nicht mehr weglaufen vor
den Menschen. Das kann Jahre dauern.
O-Ton 3
"Und das Tolle bei den Guinea-Pavianen ist, dass wir so wenig wissen,
und dass man wirklich das Gefühl hat: Das ist Neuland, es gibt
niemand, der einen solchen Grad an Kenntnis bisher hatte wie wir –
man läuft da herum und kommt sich wirklich vor wie ein Entdecker ,
und das ist unheimlich beflügelnd. Es ist ja nicht so einfach,
Feldforschung dort zu machen. Es ist unfassbar heiß in Senegal. Es
geht tagsüber hoch in die hohen 40er, da ist man abends schon froh,
wenn es mal auf 38 Grad abkühlt. Es ist staubig, aber gleichzeitig ist
dann die Belohnung da, dass man etwas herausfindet, was noch
keiner wusste bis jetzt."
Autor
Gewisse Kenntnisse über das Verhalten der Guinea-Paviane hatte
natürlich auch die Göttinger Primatenforscherin Julia Fischer schon,
als sie ihre Forschungsstation einrichtete: im westafrikanischen Staat
Senegal, bei einer Ranger-Station im Nationalpark Niokolo Koba. Sie
wusste beispielsweise, dass die Paviane morgens von ihren
Schlafbäumen herabsteigen und sich auf die Suche nach Futter
machen, und dass sie abends wieder auf einen Schlafbaum klettern;
nur hoch oben im Geäst sind Affen nachts vor Raubtieren sicher. Julia
Fischer wusste außerdem, dass die Guinea-Paviane in festen Gruppen
leben. Aus früheren Forschungsprojekten war zudem folgendes
bekannt: die in Afrika weiter südlich vorkommenden Steppenpaviane
leben in Gruppen, die aus mehreren Männchen und mehreren
Weibchen bestehen. Die im nördlichen Afrika lebenden Gruppen der
Mantelpaviane bestehen hingegen in der Regel nur aus einem
einzigen Männchen, das mehrere Weibchen um sich schart.
O-Ton 4
"Das heißt es sind Harems, die Männchen haben Weibchen, auf die sie
auch sehr gut aufpassen und die sie immer wieder zurückholen, wenn
sie weglaufen. Die sind da ganz streng mit ihren Weibchen, was die
Savannen-Paviane nicht so sind."
Autor
Annika
Patzelt.
Sie
schreibt
ihre
Doktorarbeit
über
die
senegalesischen Guinea-Paviane, und sie war im Jahr 2007
gewissermaßen die Frau der ersten Stunde, denn sie hat die
Feldstation im Niokolo Koba-Nationalpark federführend aufgebaut.
Dazu gehörte auch, eine der Pavian-Gruppen auszudeuten, deren
Verhalten künftig genau analysiert werden soll.
O-Ton 5
"Wir gehen morgens raus und finden die Paviane an ihren
Schlafplätzen. Wir müssen aufpassen, dass wir rechtzeitig da sind.
Wir sind immer in der Trockenzeit da für die Studie, weil das Habitat in
der Regenzeit sehr dicht ist, das Gras sehr hoch: In der Trockenzeit
gibt es wenig Futter, das heißt, die Tiere müssen morgens früh los
und weite Wege hinter sich bringen, um an Futter zu kommen."
Autor
Die Guinea-Paviane sind Allesfresser, so wie unsereiner und wie
unsere frühen Vorfahren vor 2 oder 3 Millionen Jahren. Unsere
Vorfahren haben übrigens damals auch noch des Nachts in der Nähe
von Flüssen auf Schlafbäumen geruht, und sie sind tagsüber aus
diesen so genannten Galeriewäldern ins angrenzende Grasland
gezogen, um Nahrung zu suchen. In dieser Beziehung ist der
Unterschied zwischen unseren frühen Vorfahren und den heute
lebenden Pavianen gar nicht so groß. Annika Patzelt.
O-Ton 6
"Die fressen mehr oder weniger alles. Normalerweise fressen sie
Blätter, Früchte – aber manchmal fressen sie auch kleine Antilopen,
grade in der Trockenzeit sehen wir das öfters. Oder auch kleine
Geckos – alles Mögliche.“
Autor
Ob die Guinea-Paviane auch in der Gruppe gewissermaßen auf Jagd
gehen, das ist derzeit noch unklar. Aber einen ersten Beleg dafür gibt
es immerhin.
O-Ton 7
"Mein Kollege hat letztens beobachtet, dass sie wirklich auf eine
Antilope raufgesprungen sind, die haben sie aber nicht getötet, die
war zu groß. Meistens sind es die kleineren Antilopen, die Jungtiere,
die es dort gibt. Und Vögel fressen sie zum Beispiel auch, also: alles
Mögliche…. alles, was ihnen zwischen die Finger kommt sozusagen."
direkt dran:
"Was so ein bisschen befremdlich war, schon in den ersten Wochen,
dass die Gruppe unterschiedlich groß war. Irgendwann haben wir
dann gesehen, es gibt noch eine Nachbargruppe – naja, vielleicht
tauschen die die Schlafplätze. Dann haben wir aber gesehen, dass ein
bestimmtes Weibchen einmal in der einen Gruppe war und dann in der
anderen. Und da wussten wir: Hier ist irgendwie alles anders. Hier
stimmt was nicht."
Autor
Julia Fischer. Das Gemeinschaftsleben der Guinea-Paviane weicht
demnach erheblich von dem der anderen Pavian-Arten ab.
O-Ton 8
"Das heißt, wir wussten eigentlich nie, wem wir grade hinterher
laufen. Das hat diesen Prozess, dass sie sich an uns gewöhnt haben,
ungeheuer langwierig gemacht.“
Autor
Drei Jahre hat das gedauert. Aber dann stand fest: Die GuineaPaviane leben zwar in Gruppen von etwa 20 Tieren, darunter drei oder
vier oder auch mal fünf Männchen. Aber, anders als erwartet, sind
diese Gruppen weitaus weniger stabil als bei den anderen PavianArten. Warum das so ist, weiß bisher niemand.
O-Ton 9
"Man hat gewissermaßen Untergruppen von zwei, drei Männchen mit
ein paar Weibchen, die meistens, aber nicht immer, mit diesen
Männchen zusammen sind. Die nennen wir Partys, diese Gruppen.
Diese Partys können sich dann mit anderen Partys zusammentun,
wobei es oft gewisse Präferenzen gibt, dass sich also meistens die
Gruppe 2 mit der Gruppe 4 zusammen tut, manchmal aber auch mit
der Gruppe 9, und die können dann gewissermaßen noch höhere
Aggregate bilden, also wenn es besonders viel zu essen gibt in der
Regenzeit, dann hat man plötzlich diese Riesentruppen mit 300
Tieren."
direkt dran:
"Ich untersuche jetzt das Verhalten der Männchen. Ich habe immer …
ein Männchen dem ich eine Stunde versuche zu folgen und alle
Interaktionen aufschreibe … das heißt zum Beispiel positive wie
Körperkontakt oder Fellpflege – oder Aggression. Da habe ich
insgesamt
14
Männchen,
mit
denen
herauszufinden, wie die soziale Struktur ist."
ich
das
mache,
um
Autor
Das
Ergebnis
dieser
Beobachtungen
sind
detaillierte
Verhaltensprotokolle, und die sind das Ergebnis einer wahrhaft
anstrengenden Tätigkeit. Ab 10 oder 11 Uhr vormittags nämlich steigt
das Thermometer im Senegal bis jenseits der 45 Grad. Das aber
scheint nur die Menschen zu belasten – die Affen sind auch dann noch
ziemlich mobil. Sie laufen morgens eilig los, ihre Verfolger müssen
ihnen über Stock und Stein folgen, durch Gebüsch und hohes Gras,
sechs Stunden lang oder länger, und dabei müssen sie in einem
tragbaren Computer auch noch notieren, was in der Gruppe so alles
passiert. Um den Überblick nicht zu verlieren, konzentriert sich
Annika Patzelt stundenweise auf ein einziges Tier, auf ihr Fokustier.
O-Ton 10
"Da lauf ich meinem Fokustier hinterher und dann geb' ich die ganze
Zeit an, was es macht, damit ich hinterher den genauen zeitlichen
Verlauf habe, wann was wie passiert ist, wie lange Interaktionen
gedauert haben, mit wem sie waren und so weiter. Und bei den
Guinea-Pavianen ist es so, dass sie sehr viel positiver miteinander
umgehen als andere Paviane. Deshalb vermuten wir, dass, wenn
verschiedene
Individuen
kooperieren,
gegenseitige
Fellpflege
betreiben, dass das auf Verwandtschaft basieren könnte. Deswegen
mache ich in meiner Doktorarbeit dann auch noch genetische
Analysen. Wir haben Proben von den Affen und werden untersuchen,
ob die Männchen in einer kleinen Untergruppe näher miteinander
verwandt sind als mit anderen kleineren Untergruppen dieser
Community. Wir erwarten, dass es Brüder oder Cousins sind, und
dass es dadurch erklärt werden kann, dass sie so positiv miteinander
interagieren und kooperieren."
Autor
Um sich das Notieren der beobachteten Verhaltensweisen etwas zu
erleichtern, haben die Göttinger Primatenforscher eine Liste aller bei
den Affen üblichen Verhaltensweisen erstellt.
O-Ton 11
"Da klickt man einfach an: jetzt frisst er, jetzt läuft er, jetzt setzt er
sich hin, jetzt groomt er, und dann kann man eintragen, mit wem
groomt er – also Fellpflege – jetzt grüßt er ein anderes Tier, wen grüßt
er, von wem wird er begrüßt, wie viele Tiere sind in der Nähe. Also
man protokolliert kontinuierlich seine Körperkontakte, die Fellpflege,
Aggressionsverhalten, gegen wen geht das und das setzt man dann
zusammen mit den räumlichen Informationen und dann irgendwann
auch mit den genetischen Informationen. Wir haben ja, zum Teil, weil
wir die gefangen haben, um Radiosender anzubringen, aber auch
durch Kotproben können wir auch gucken: Wer ist mit wem
verwandt?“
Autor
Schon die Schimpansen-Forscherin Jane Goodall hat in den 1960erJahren solche Verhaltensprotokolle erstellt. Ergänzt wird diese
klassische Vorgehensweise der Verhaltensbiologen heute aber durch
die Analyse der Erbanlagen, um zu klären, welches Tier ist mit wem
und wie eng verwandt. Dafür muss man den Affen gar nicht einmal
allzu nah auf den Pelz rücken, erläutert Julia Fischer mit deutlichen
Worten:
O-Ton 12
"Wir sagen immer 'Affenscheiße ist das Gold der Affenforscher'. Man
kann da unheimlich viel rausziehen. Nicht nur Verwandtschaft,
sondern aus Stresslevels. Man kann die Stoffwechselprodukte von
Stresshormonen analysieren. Man kann feststellen, ob ein Weibchen
einen Eisprung hat oder nicht, ob's schwanger ist. Wir können
Testosteron, das Männlichkeitshormon nachweisen – man kann in der
Kombination mit verschiedenen Methoden inzwischen unheimlich viel
verstehen, was früher einfach nicht möglich war.“
Autor
Wer hat den meisten Stress in der Affenhorde? Steigt der Stress,
wenn sich mehrere Gruppen zusammenschließen? Solche Fragen
wird man in einigen Jahren wohl für die Guinea-Paviane beantworten
können. Die erwähnten Radiosender sind übrigens deshalb an einigen
der Affen befestigt worden, weil sie mal hier, mal dort die Nacht auf
einem Baum zubringen. Mit Ortungs-Ausrüstung kann man sie daher
morgens leichter finden. Inzwischen können sich die Forscherinnen
und Forscher den Guinea-Pavianen auf fünf bis zehn Meter nähern,
ohne dass die Affen Notiz von ihnen nehmen. Oder ohne sich
anmerken zu lassen, dass sie Notiz von ihnen nehmen. Zumindest
meistens. Annika Patzelt.
O-Ton 16
"Man muss halt schon sehr aufpassen. Es gibt schon einige, die
manchmal aggressiv werden können. Wir hatten das bisher noch
nicht, dass wir angegriffen wurden – sie drohen einen nur an. Aber
was heißt nur: Es ist schon beeindruckend, wenn die Männchen auf
einen zugelaufen kommen und nur ganz kurz vorher abbremsen. Sie
machen dann ihr Drohgesicht und geben auch Laute ab, das ist dann
schon ziemlich beeindruckend. Aber eigentlich, wenn man sich richtig
verhält, dann sind sie relativ friedlich."
Trenner
Mod.
Die ersten großen Studien an frei lebenden Affen fanden in den 1960er
Jahren statt: Jane Goodall beobachtete Schimpansen, Dian Fossey
Gorillas und Biruté Galdikas Orang-Utans. Hintergrund bei allen drei
Forscherinnen war: sie wollten vom Verhalten dieser drei großen
Menschenaffen zurückschließen auf das Verhalten der frühen
Vorfahren des Menschen; sie wollten die Affen verstehen, um etwas
über den Menschen zu lernen. Das ist, zumindest am Rande, auch ein
Motiv für die Pavian-Forschung im Senegal. Und manchmal kommt
einem der Zufall zu Hilfe, auch davon kann Julia Fischer einiges
erzählen.
Trenner
Autor
In Rocamadour, im südlichen Zentralfrankreich gibt es eine Art SafariPark ausschließlich für Affen – und natürlich für die Menschen als
Besucher. Ein Rundweg führt mitten durch ein 20 Hektar großes
Waldgebiet. In ihm leben rund 130 Berberaffen, in drei voneinander
getrennten Bereichen, im Sommer wie im Winter. Berberaffen sind
nämlich recht robuste Tiere; sie sind gleichsam 'winterfest'. Auch bei
Frost werden sie nicht krank, denn ihre Heimat ist das Atlas-Gebirge,
also die kühlere Region von Marokko und von Algerien. In
Rocamadour dürfen die Affen mit einer speziellen PopcornZubereitung gefüttert werden, viele der Tiere sind daher handzahm.
O-Ton 1
"Die Affen sind wunderbar geeignet für kleine Experimente, weil sie
vollkommen an Menschen gewöhnt sind. Man kann sich vor die
setzen, auf dem Boden was aufbauen und denen was zeigen. Und dann
kann man deren Verhalten filmen und hinterher auswerten."
Autor
Prof. Julia Fischer vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Im
Park von Rocamadour hat sie ihre Doktorarbeit verfasst, und dorthin
lotst sie auch regelmäßig ihre Studentinnen und Studenten, die einen
Master-Abschluss im Fachgebiet Verhaltensforschung anstreben.
Erste Gehversuche als Tierbeobachter finden dort statt. Dank der
regelmäßigen Besuche aus Deutschland ist inzwischen recht genau
bekannt, welcher Berberaffe mit welchem anderen – und wie eng –
verwandt ist. Da könnte der wissenschaftliche Nachwuchs dann zum
Beispiel
herausfinden,
ob
eng
verwandte
Affen
freundlicher
miteinander umgehen als bloß weitläufig verwandte.
O-Ton 1b
"Man kann in solch einem Park aber bestimmte Fragen auch nicht
stellen. Es wäre völlig albern zu fragen, womit verbringen die ihren
Tag? Weil die viel Zeit damit verbringen, Popcorn entgegen zu nehmen
oder rechtzeitig zur Fütterung zu erscheinen. Wir können uns auch
das Paarungsverhalten, die Funktion von bestimmtem Verhalten nicht
ankucken, weil die Tiere geburtenkontrolliert sind. Damit fallen viele
Fragen aus, die kann man vernünftig nur im Freiland stellen. Und das
machen wir ja auch."
Autor
In Afrika erforscht Julia Fischer beispielsweise Schimpansen und frei
lebende Paviane. Aber auch die in einem Großgehege gehaltenen
Berberaffen haben den Wissensschatz der Verhaltensforscher
vergrößert. Damit die Studierenden die einzelnen Tiere rasch
voneinander
unterscheiden
können,
gibt
es
Fotobücher
mit
Abbildungen der Tiere. Zur Nutzung durch die Tierbeobachter
wohlgemerkt.
O-Ton 2
"Und dann haben die gesagt: Der Affe hat mir das Fotobuch geklaut
und hat sich das angekuckt. Können die sich eigentlich erkennen? Und
dann haben wir gesagt: Probiert das doch mal aus. Dann haben die
also Fotos gemacht von Gruppenmitgliedern und von Mitgliedern einer
anderen Gruppe – es gibt in dem Park in Frankreich drei Gruppen –
und haben dann diese Fotos den Affen gezeigt und haben
aufgenommen, wie lange sich die diese Bilder angucken."
Autor
Besonders intensiv betrachteten die zweijährigen Berberaffen die
Bilderbücher.
O-Ton 3
"Die waren sehr interessiert, einer hat ein Bild gegrüßt, da haben wir
ein ganz wunderbares Video, wo der schnatternd vor diesem Bild sitzt,
die klappern dann mit den Lippen und schmatzen, und manche
machen auch Angstgrinsen – grade die jüngeren reagieren sehr stark
drauf, es ist einfach ein sehr starker Reiz, so ein Gesicht."
Autor
Und wie lange muss ein Mensch gucken, bis er den einen Affen vom
anderen unterscheiden kann?
O-Ton 4
"Das kommt sehr auf die Art an. Die Berberaffen sind sehr dankbar,
die haben sehr unterschiedliche Gesichter und haben Pigmentflecke
im Gesicht. Das ist großartig. Man kann die relativ schnell
auseinander halten. Ganz furchtbar sind Paviane. Die sehen am
Anfang alle gleich aus. Ich habe ja mal 1 ½ Jahre in Botswana
gearbeitet und hatte dort eine Gruppe von 84 Pavianen, die ich
auswendig lernen musste. Bei den 12 Männchen ging das noch, die
hatte ich nach einer Woche gekannt. Bei den Weibchen hat es ziemlich
lange gedauert, und bei den Jungtieren bin ich schier verzweifelt. Da
habe ich gedacht: Die sehen doch genau gleich aus, alle. Mein
Feldassistent kannte die, der hat immer gesagt: Der eine dort ist ein
bisschen heller. Ich habe dann gesagt: Ich seh' das nicht, dass der
heller ist. Aber am Ende fand ich auch, dass er heller ist. Es geht
letztlich schon, aber man braucht viel Zeit."
Autor
Klar ist also, dass die Berberaffen ein unbekanntes Affengesicht von
einem ihnen bekannten Gesicht unterscheiden können, auch wenn das
Gesicht nur auf einem Foto vor ihnen liegt. In dieser Beziehung
gleichen sie uns Menschen. Was die Affen von diesen Fotos halten,
das ist allerdings völlig unklar. Julia Fischer.
O-Ton 5
"Ich würde dazu neigen, zu sagen, dass sie nicht verstehen, dass es
nur ein Bild ist. Aber sie wissen natürlich auch, dass es kein Affe ist.
Ich glaube, was das jetzt ist, darüber denken sie weniger nach, aber
trotzdem unterscheiden sie anscheinend bekannt und unbekannt und
kucken länger wenn's unbekannt ist."
direkt danach:
"Ein Bewusstsein über den eigenen Körper, über einen selbst, das ist
in jedem Fall ein großer Vorteil. Und ich denke, das haben viele Tiere.
Die kritische Frage ist nun, ist das kognitive System so flexibel, dass
man das mit etwas in Verbindung bringen kann, was einem quasi
gegenüber steht?"
Autor
Prof. Helmut Prior. Er lehrt Psychologie an der Universität in
Frankfurt am Main. Helmut Prior hat eine noch weitergehende Frage
untersucht: Erkennt ein Tier sich selbst im Spiegel?
O-Ton 6
"Ein Grund, der häufig genannt wird, warum sich das bei
verschiedenen Tieren entwickelt, ist, dass das Tiere sind, die aufgrund
ihres sozialen Lebens viel davon profitieren, wenn sie die Fähigkeit zur
Perspektiven-Übernahme haben. Das heißt, sich vorstellen zu können,
dass dort, wo der Andere gerade ist, man selber ist, und quasi die
Welt durch seine Augen zu sehen."
Autor
Zumindest von Schimpansen heißt es, dass sie sich im Spiegel selbst
erkennen. Helmut Prior warnt hier aber vor allzu raschen
Verallgemeinerungen.
O-Ton 7
"Ein wichtiger Punkt der im Hinblick auf das Sich-Erkennen im
Spiegel bei den Schimpansen häufig übersehen wird, ist, dass die
Mehrheit der Schimpansen das nicht macht. Das heißt, es ist ein
gewisser Teil der Schimpansen, so 20 bis 40 Prozent während es beim
Menschen im Grunde alle sind."
Autor
Und anders als beim erwachsenen Menschen, funktioniert die
Eigenwahrnehmung im Spiegel bei den Schimpansen nicht auf Anhieb.
O-Ton 8
"Spiegel-Erfahrung ist bei Schimpansen ohnehin Voraussetzung.
Wenn man die zum ersten Mal vor einen Spiegel bringt, dann zeigt im
Grunde jeder Schimpanse Verhalten, das gegen einen Artgenossen
gerichtet ist. Aber offenbar entwickelt sich hier in der Evolution grade
ein System, das beim Schimpansen schon ein bisschen entwickelt ist,
dass es bei einem Teil der Individuen reicht, und bei einem anderen
Teil ist es noch nicht so weit entwickelt. Ein Schimpansen-Gehirn ist
etwa so groß wie 1/3 Menschengehirn."
Autor
Es gibt bislang nur wenige Tierarten, die den so genannten Spiegeltest
bestanden haben. Glaubwürdige Berichte gibt es von allen großen
Menschenaffen, aber auch von einigen Elefanten und Delfinen heißt
es, dass sie sich selbst im Spiegel wiedererkannt haben. Professor
Helmut Prior hat dieses Verhalten auch bei Elstern nachgewiesen.
O-Ton 9
"Bei Vögeln ist es überraschend gewesen, vor allem auch, weil Vögel
ein sehr viel kleineres Gehirn haben, und man hat ja sehr, sehr lange,
das hält im Grunde bis heute an, Intelligenz an der Hirngröße
festgemacht. Wenn man diesen anderen Ansatz wählt, dass man
schaut, was brauchen die Vögel eigentlich, dann sieht das Bild anders
aus. Grade von den Rabenvögeln weiß man, dass verschiedene Arten
sehr stark soziale Konkurrenz zeigen, sich gegenseitig täuschen, sich
merken können, wer von den Kollegen wo was versteckt hat und das
Wissen auch nutzen, dann sieht der Erwartungshorizont plötzlich
anders aus."
Autor
Sich selbst im Spiegel zu erkennen, das halten manche Forscher für
eine wichtige Voraussetzung, um einem Tier eine Art SelbstBewusstsein
zuzuschreiben.
Ob
das
wirklich
miteinander
zusammenhängt, ist allerdings umstritten.
O-Ton 10
"Bei den Elstern haben wir, mit gewissen Anpassungen für die Art, ein
klassisches Experiment von Gordon Gallup gemacht. Das sieht so aus,
dass nach einer gewissen Gewöhnung an einen Spiegel die Tiere eine
nicht direkt sichtbare Markierung erhalten. Wir haben kleine bunte
Papierklebepunkte genommen, und dann schaut man sich an, wir
haben das anhand von Videos ausgewertet, ob anschließend deutlich
mehr auf die entsprechende Körperregion gerichtetes Verhalten
auftritt."
Autor
Was so einfach klingt, ist in der Praxis keineswegs so einfach. Die
Vorbereitung kann Wochen dauern; die Tiere müssen sich an einen
Spiegel im Käfig erst gewöhnen. Die Klebepunkte müssen unbemerkt
am Federkleid angebracht werden – die Testtiere müssen also
handzahm sein. Und das wiederum sind sie in der Regel nur dann,
wenn sie vom Testleiter schon als Nestlinge versorgt und von ihm
aufgezogen wurden.
O-Ton 11
"Wir haben das auf den Kopf geklebt, knapp unterhalb des Schnabels,
da können die nicht direkt hinschauen, aber im Spiegel können sie das
sehen. Die Reaktion war, dass mit einem Spiegel (wir hatten
Kontrollen ohne Spiegel oder auch mit einem unsichtbaren schwarzen
Fleck): Wenn der Fleck bunt war, dann waren plötzlich Versuche da
seitens der Tiere, mit den Füßen oder auch mit dem Schnabel diese
Stelle zu erreichen, die nicht selten auch zu einer erfolgreichen
Entfernung dieses kleinen Papierfleckchens geführt haben."
Autor
Mit anderen Worten: Die Elstern haben im Spiegel bemerkt, dass es
ihr eigener Körper ist, der mit dem Klebepunkt verunstaltet wurde.
Ein Fremdkörper, der weggeputzt werden muss. Wie aber kam
Helmut Prior überhaupt auf den Gedanken, solche Experimente mit
Elstern zu machen?
O-Ton 12
"Wir sind nicht von Null auf 100 gegangen mit dem Spiegeltest,
sondern wir haben Schritt für Schritt gesehen, was leisten diese Tiere,
wie verhalten sie sich, wenn sie einen Spiegel in der Nähe haben, das
heißt, können sie mit Hilfe des Spiegels Objekte richtig lokalisieren.
Und ein, natürlich wichtiger Teil, war dann können sie sich vor dem
Spiegel erkennen."
Autor
Helmut Prior hat in einem seiner vielen Experimente mit Elstern
übrigens noch etwas herausgefunden: Diese Vögel verstehen es, wenn
sie per Spiegel um eine Ecke herum blicken können und wenn sie dort
einen Leckerbissen entdecken, dass sie dann um diese Ecke herum
laufen müssen und nicht etwa gegen den Spiegel.
Trenner
Mod.
"Verhaltensforschung heute" – wir stellten Ihnen einige Beispiele
dafür vor, welche Fragen heute in diesem Grenzgebiet von Biologie
und Psychologie bearbeitet werden. Und wenn wir Sie neugierig
gemacht haben auf weitere Beiträge der Reihe Wissenswert, dann
schauen Sie einfach mal in unser Podcast-Angebot auf hrinforadio.de, unter der Rubrik Wissenswert. Mein Name ist Karl-Heinz
Wellmann, guten Abend.
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