Zeitschrift für historische Bildung C 21234 ISSN 0940 – 4163 Heft 4/2004 Militärgeschichte Militärgeschichte im Bild: ARRAY ENCOUNTER 90 Dresden im Bombenkrieg Finnische Jägerbewegung Operation »Nordlicht« Das Ende des »Dritten Reichs« Militärgeschichtliches Forschungsamt MGFA IMPRESSUM Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt durch Oberst Dr. Hans Ehlert und Oberstleutnant i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.) Produktionsredakteur der aktuellen Ausgabe: Hauptmann Agilolf Keßelring M.A. Redaktion: Major Heiner Bröckermann M.A. (hb) Hauptmann Agilolf Keßelring M.A. (aak) Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina Sandig Redaktionsassistenz: Richard Göbelt, Cand. Phil. Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić Layout/Grafik: Maurice Woynoski Karten: Bernd Nogli, Dipl. Ing. Anschrift der Redaktion: Redaktion »Militärgeschichte« Militärgeschichtliches Forschungsamt Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam Telefon: (03 31) 97 14 -569 Telefax: (03 31) 97 14 -507 Homepage: www. mgfa.de Technische Herstellung: MGFA, Schriftleitung Manuskripte für die Militärgeschichte werden an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt der Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Honorarabrechnung erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise, fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung durch die Redaktion und mit Quellenangaben erlaubt. Dies gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen auf CD-ROM. Die Redaktion hat keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte derjenigen Seiten, auf die in dieser Zeitschrift durch Angabe eines Link verwiesen wird. Deshalb übernimmt die Redaktion keine Verantwortung für die Inhalte aller durch Angabe einer Linkadresse in dieser Zeitschrift genannten Seiten und deren Unterseiten. Dieses gilt für alle ausgewählten und angebotenen Links und für alle Seiteninhalte, zu denen Links oder Banner führen. Editorial die vorliegende Winterausgabe der Militärgeschichte bietet zwei Themenschwerpunkte: Es mehren sich die Gedenktage zum »letzten Akt« des Zweiten Weltkriegs. Im Frühjahr 1944 stand wohl bereits fest, wer in diesem Krieg Sieger und wer Besiegter sein würde. Dies lässt die Schrecken der letzten Kriegsjahre in der Rückschau noch grausamer erscheinen. Team Militärgeschichte v.l.n.r.: Oberst Dr. Hans Ehlert, Oberstleutnant i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack, Dr. Aleksandar-S. Vuletić, Maurice Woynoski, Richard Göbelt, Dipl.-Phil. Marina Sandig, Hauptmann Agilolf Keßelring, Major Heiner Bröckermann Nicht nur in der Betrachtung des Bombenkrieges, eines in Wissenschaft und Medien viel und kontrovers diskutierten Themas, wird dies deutlich. Die Zerstörung Dresdens, des »Elbflorenz«, das zu einem Sinnbild für den Krieg aus der Luft geworden ist, gilt es aber nicht losgelöst vom restlichen Kriegsgeschehen zu betrachten. Auch war das Kriegsende mehr als nur »der Untergang« des sogenannten Tausendjährigen Reichs; keimte doch bald in den Trümmern die Hoffnung auf eine friedliche, bessere Zukunft. Nach Skandinavien führt uns das Heft mit zwei Beiträgen. Der Rückzug der deutschen 20. Gebirgsarmee aus Nord-Finnland nach Nord-Norwegen und die verheerende »Taktik der verbrannten Erde« sind aus dem kollektiven Gedächtnis der Norweger nicht wegzudenken – vielleicht wie Dresden aus dem Gedächtnis der Deutschen. Häufig überlagert die Geschichte des Zweiten Weltkriegs diejenige des Ersten. In Finnland stellt aber die Jägerbewegung des Ersten Weltkriegs noch heute eine Traditionssäule der Streitkräfte dar. Im deutschen Kaiserreich kam es vor nunmehr 90 Jahren zur Aufstellung einer eigenen »finnischen Legion«, dem Königlich Preußischen Jägerbataillon Nr. 27. In eigener Sache möchte die Redaktion der Militärgeschichte noch folgende Hinweise geben: Mit dem ehemaligen Amtschef des MGFA, Kapitän zur See Dr. Jörg Duppler, ging Ende November auch unser langjähriger Mitherausgeber in den Ruhestand. An dieser Stelle möchte die Redaktion sich herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken. Der neue Leiter der Abteilung Ausbildung Informationen, Fachstudien (AIF) des MGFA, Oberstleutnant i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack, tritt neben dem neuen Amtschef Oberst Dr. Hans Ehlert die Herausgeberschaft an. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit im neuen Team! Ihnen, liebe Leserinnen und Leser wünschen wir eine interessante Lektüre der aktuellen Ausgabe und ein gesegnetes und friedvolles Jahr 2005! © 2004 für alle Beiträge beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber ermittelt worden sein, bitten wir ggf. um Mitteilung. Druck: SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden ISSN 0940-4163 Ihr Agilolf Keßelring M.A. Hauptmann D i e A u t o r e n Inhalt • »Sah nur überall Flammen« 4 Der Luftkrieg und die Bombardierung Dresdens 1945 • »Finnische Legion« Dr. Thomas Widera, geboren 1958 in Karl-Marx-Stadt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V., Dresden Die Jägerbewegung im Ersten Weltkrieg • »Mitleid mit der Zivilbevölkerung ist nicht am Platze« 10 14 Die Zerstörung Nordnorwegens durch deutsche Truppen 1944 Agilolf Keßelring, geboren 1972 in Tokyo/Japan, Hauptmann und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am MGFA, Potsdam Dr. Armin Lang, geboren 1953 in Breisach a. Rh., Leiter der Schriftleitung im MGFA, Potsdam • »...Hoffnung auf eine bessere Zukunft« – das Ende des »Dritten Reichs« 18 22 • Service Das historische Stichwort: Der russisch-japanische Krieg 1904/05 22 Medien online/digital 24 Lesetipp 26 Ausstellungen 28 Geschichte kompakt 30 • Militärgeschichte im Bild 31 ARRAY ENCOUNTER 90: Deutsche Kampftruppen üben erstmals im NATO-Verbund auf norwegischem Boden Richard Göbelt, geboren 1982 in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), Student der Geschichte und Osteuropastudien an der Freien Universität Berlin Foto: LLFmKp 200 Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe: Dr. Cord Eberspächer, Oldenburg, Clemens Heitmann M.A., Meißen, René Henn M.A., Salzwedel, Dr. Andreas Kunz M.A., Bundesarchiv / Außenstelle Ludwigsburg, Thomas Morlang M.A., Essen, Prof. Dr. Rolf-Dieter Müller, MGFA Dresden im Bombenkrieg »Sah nur überall Flammen ...« akg-images Der Luftkrieg und die Bombardierung Dresdens 1945 D ie Weichenstellungen für den Einsatz von Luftstreitkräften im Zweiten Weltkrieg erfolgten lange vor 1939. Nach 1918 offenbarten Politiker aller Nationen ihr Unvermögen, verantwortliche Konsequenzen aus der Entgrenzung der Gewalt im Verlauf des zurückliegenden Ersten Weltkrieges zu ziehen. Obwohl sich die Unmöglichkeit einer durchgängigen Unterscheidung zwischen Militärangehörigen und Zivilbevölkerung wie auch des rationalen Einsatzes von Ressourcen im Krieg des industriellen Zeitalters gezeigt hatte, waren die 4 Verantwortlichen von einer generellen Ächtung des Krieges weiter denn je entfernt. Die von der zweiten Haager Friedenskonferenz 1907 verabschiedete Konvention hatte Angriffe auf militärische Objekte auch im zivilen Hinterland der Front gestattet – damit war die bis heute gültige Doktrin vom »militärischen Objekt« und die völkerrechtliche Grundlage für den strategischen Luftkrieg entstanden. Die »Haager Luftkriegsregeln« präzisierten 1923 die unzulänglichen Bestimmungen zum Schutz der Bevölkerung und verboten jedes Bombardement zum Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 Zweck ihrer Terrorisierung. Sie wurden allerdings von den Staaten nicht ratifiziert, dennoch kristallisierte sich daraus ein allgemein akzeptiertes Völkergewohnheitsrecht, das sich in Anweisungen an die Flugzeugbesatzungen niederschlug. Die tatsächliche spätere Praxis des Bombenkrieges und die damit verbundenen verhängnisvollen Fehlentscheidungen resultierten aber vor allem aus falschen Überzeugungen und dem Glauben an die militärische Überlegenheit moderner Waffen. Nach den verlustreichen Stellungskämpfen des truppen unterstützen, Jagdflugzeuge die feindlichen Linien angreifen und Gefechtsfelder abschirmen. Doch die Abwehr der im Mai 1940 beginnenden britischen Bomberoffensive und der Kampf um die Luftherrschaft bewirkte einen enormen Verschleiß der deutschen Luftwaffe. Die gesamte deutsche Flugzeugproduktion von zwei Jahren ging verloren, die Totalverluste summierten sich im Zeitraum eines Jahres, von Juni 1940 bis Mai 1941, auf 4153 Maschinen. Die Fortsetzung der britischen Luftangriffe auf deutsche Industrieanlagen und Städte zwang die Wehrmachtführung, die dringend an der Front benötigten Jagdflieger abzu- Lübeck einen Flächenangriff, bei dem unter Einsatz von Brandbomben ein dicht bebauter, mittelalterlicher Stadtkern vernichtet wurde. Thomas Mann kommentierte den Untergang seiner Heimatstadt im britischen Rundfunk mit der Frage: »Hat Deutschland geglaubt, es werde für die Untaten, die sein Vorsprung in der Barbarei ihm gestattete, niemals zu zahlen haben?« Er verwies auf die politischen Absichten der Alliierten und ihren unabänderlichen Willen, den nationalsozialistischen Verbrechen ein Ende zu bereiten. Seine Hoffnungen allerdings und die vieler anderer Menschen, der Krieg könne beendet werden, ehe zahlreiche 3Start eines Lancaster-III-Bombers der britischen Luftwaffe 5 Blick auf die Dresdner Altstadt, Luftbildaufnahme 1929 5 Blick über das kriegszerstörte Zentrum von Dresden, Mai 1945 ten zu können, widerlegt, doch aus den Memoranden der Politiker aller Seiten spricht das Bewusstsein, entgegen wohlbegründeter Bedenken eine völkerrechtliche Grauzone zur Überschreitung bislang beachteter ethischer Grenzen zu nutzen und bei Bedarf Flächenbombardements zuzulassen. Während in den USA und in Großbritannien mit dem Aufbau strategischer Bomberflotten begonnen wurde, orientierte sich die deutsche Luftwaffe vorrangig an Bedürfnissen des Heeres. Obwohl auch deutsche Militärstrategen die Option taktischer Luftschläge erwogen, wie an der späteren Bombardierung Warschaus und Rotterdams zu sehen war, räumten sie der Panzerwaffe die größte Priorität ein. Sturzkampfbomber sollten Angriffe der Boden- ziehen. Das fehlende Militärpotential beeinträchtigte erheblich die Schlagkraft des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion 1941. Zugleich lag in der Eröffnung des strategischen Luftkriegs eine politische Geste des britischen Premierministers Winston Churchill: Nach der Kapitulation Frankreichs auf sich allein gestellt, demonstrierte so Großbritannien der Welt seinen unbeirrten Willen, den Kampf fortzusetzen. Die Entscheidung zu einem Abnutzungskrieg gegen die deutsche Kriegsproduktion und gegen die in den Arbeitervierteln wohnenden »Produktivkräfte« stand somit längst fest, als Air Marshal Arthur Harris im Februar 1942 das britische Bomberkommando übernahm. Erstmals führte die Royal Air Force (RAF) Ende März gegen weitere Städte zerstört würden, erfüllten sich nicht. Besonders in den letzten Monaten des Krieges kamen noch Millionen Soldaten und Zivilpersonen ums Leben. Der Luftkrieg gegen deutsche Städte wurde erheblich intensiviert, er forderte allein seit Sommer 1944 cirka 135 000 zivile Todesopfer; bis zum 1. Juli 1944 waren erst 28 Prozent der gesamten Bombentonnage abgeworfen worden. akg-images akg-images Ersten Weltkrieges faszinierte die strategischen Planer die Möglichkeit, unbehelligt von feindlichen Armeen mit Flugzeugen direkt ein gegnerisches Führungszentrum angreifen und lahm legen zu können und so unter geringen eigenen Opfern eine schnelle Kriegsentscheidung herbeizuführen. Ihre daran geknüpfte Erwartung, mit Präzisionsschlägen Opfer unter der Bevölkerung zu vermeiden, war noch zu sehr den Anschauungen des traditionellen Krieges verhaftet, ohne die hohe Komplexität moderner Industriegesellschaften in Betracht zu ziehen. Zwar hatten Analysen die Illusion, unbeteiligte Zivilisten aus Kampfhandlungen heraushal- Erste Bomben auf Dresden Bereits 1935 hatte an der Dresdner Dreikönigsschule ein Schüler mit einem Aufsatz zum Thema »Feindliche Flieger über Dresden« den Unwillen seines Lehrers erregt, weil er verheerende Zerstörungen und große Opfer unter der Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 5 Dresden im Bombenkrieg akg-images 3 Air Marshal Arthur Harris bei der Auswertung von Luftangriffen im Februar 1944 Bevölkerung infolge eines Bombenangriffs ausmalte. Galten zu jenem Zeitpunkt massive Bombardements inmitten Deutschlands als undenkbar, hatte nun – fünf Jahre nach Kriegsbeginn – die deutsche Luftabwehr längst den Kampf gegen die Übermacht der angloamerikanischen Bomberflotten verloren. Dresden war allein deswegen noch nicht angegriffen worden, weil sich die Stadt außerhalb der Reichweite alliierter Flugzeuge befand. Am 7. Oktober 1944 fielen die ersten Bomben. In der Mittagszeit warfen 29 amerikanische Boeing B-17 etwa 70 Tonnen Sprengbomben ab, innerhalb von nur zwei Minuten wurden 2755 Menschen obdachlos. 200 Personen, unter ihnen 28 ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, verloren ihr Leben. Trotz des vergleichsweise geringen Umfangs der Zerstörungen konstatierte Victor Klemperer, der von den Nationalsozialisten aus dem Hochschuldienst entlassene und als Jude verfolgte Romanist, »ein sehr verändertes Grundgefühl«. Hatten doch viele Dresdner Einwohner aus dem Umstand, dass ihre Stadt bisher nicht bombardiert worden war, die Hoffnung geschöpft, vom Krieg verschont zu bleiben. Unter ihnen kursierten deswegen Gerüchte, unter anderem das von einer hier wohnenden Tante Churchills. Realitätsferne Illusionen dieser Art bildeten eine gefährliche Selbsttäuschung, 6 da die deutsche Führung trotz der massiven Überlegenheit der Alliierten keineswegs an eine Beendigung der Kämpfe dachte. Spätestens nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 hätte jedem klar werden müssen, dass das NS-Regime den Krieg auch auf dem Territorium des eigenen Landes weiter führen würde. Der Führererlass vom 25. September 1944 befahl die Aufstellung des »Volkssturms« und Ende 1944 ordnete der Generalstab des Heeres die Einrichtung des »Verteidigungsbereiches Dresden« an. Man rechnete mit einem Vordringen der alliierten Truppen bis in die Mitte des Deutschen Reiches und plante eine Verteidigungslinie entlang der Elbe von Hamburg bis Prag. Im Januar 1945 wurde mit dem Bau von festen Stellungen in und um Dresden begonnen. Teilstücke eines Panzergrabens verliefen rund um die Stadt; Panzersperren sollten die Einfallsstraßen und Elbbrücken sichern. Zwischen Dresden und Meißen wurden Geschützstellungen errichtet. Trotz gebotener Zweifel am Sinn des ganzen Vorhabens verschlossen Offiziere wie Zivilisten ihre Augen vor der Realität. Am 16. Januar 1945 starben 334 Menschen in Dresden durch Bomben. Bei diesem amerikanischen Tagesangriff entluden 127 Flugzeuge mehr als 250 Tonnen Spreng- und zusätzlich 40 Tonnen Brandbomben. Während für Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 die meisten Einwohner die Gefahren des Luftkrieges überwogen, kam für die sich in Dresden befindenden Kriegsgefangenen und Konzentrationslagerhäftlinge die Bedrohung durch den nationalsozialistischen Terror hinzu. Tausende von ihnen ersetzten die in den Rüstungsbetrieben fehlenden deutschen Facharbeiter. Dem Rassismus der Nationalsozialisten galt das Leben der so genannten »Fremdarbeiter« (siehe Militärgeschichte 4/2003) aus dem Osten, der kriegsgefangenen Soldaten und der KZ-Sklaven wenig. Hunger und Misshandlungen standen auf der Tagesordnung. Sie befanden sich sozusagen zwischen den Fronten, konnten nur auf eine rasche Befreiung und auf ihr Überleben hoffen. Der Angriff vom 13./14. Februar 1945 Völlig unbehelligt von der deutschen Luftabwehr flogen in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 243 britische Lancaster-Bomber das ihnen vorgegebene Zielgebiet an und warfen kurz nach 22 Uhr Ortszeit ihre tödliche Bombenlast über Dresden ab. Als sich nach 1 Uhr in der Nacht wiederum Flugzeuge näherten, konnten die in der Innenstadt mit dem Löschen ihrer Häuser und dem Bergen von Hausrat beschäftigten Menschen wegen des Ausfalls der Warnanlagen keinen Luftalarm hören. Ein erneuter Angriff von 529 britischen Flugzeugen steigerte das Inferno zur Apokalypse. Insgesamt fielen in dieser Nacht 1477 Tonnen Sprengbomben und 1181 Tonnen Brandbomben. Die Kombination von Spreng- und Brandbomben wirkte verheerend. Die Sprengladungen unterbrachen die Energie- und Wasserversorgung, sie zerfetzten die Dächer der Häuser und die Brandsätze setzten ungehindert die Wohnungen in Flammen. In den engen Straßen und schmalen Gassen der dicht bebauten Innenstadt entstanden riesige Flächenbrände. Dabei entwickelte sich durch den enormen Sauerstoffverbrauch ein Sog, der wiederum Feuerstürme verursachte, die im weiten Umkreis alles Brennbare verzehrten und ein Stadtgebiet von 15 Quadratkilometern vernichteten. Die Verwüstung war so vollkommen und das Chaos so unübersichtlich, dass der Überblick über das Geschehen vollständig verloren ging. Aus diesem Grund wurde später von übertrieben hohen Opferzahlen gesprochen. Inzwischen lässt sich anhand der städtischen Archivakten nachweisen, dass einschließlich der zwei amerikanischen Tagesangriffe am nächsten und am übernächsten Tag mit jeweils 311 und 210 Flugzeugen sowie einer Bombenlast von weiteren 1200 Tonnen etwa 25 000 Menschen starben. Diese bis dahin in einem einzigen Großangriff unerreicht hohe Zahl an zivilen Opfern hatte mehrere Ursachen. Der überdurchschnittlich große Anteil von Brandbomben verweist auf die Absicht, in Kenntnis der für die Entfachung von Großbränden anfälligen Architektur Dresdens, gezielt durch Feuer unter der Bevölkerung Entset- akg-images 4 Leichenverbrennung auf dem Dresdner Altmarkt, Foto: 25. Februar 1945 Der Bombenkrieg in der Diskussion Zahlreiche Menschen betonen heute die militärisch sinnlose und mörderische Praxis des alliierten Luftkriegs, dem Dresden und andere Städte zum Opfer fielen. Eine analytische Betrachtung der Rahmenbedingungen wird die Eskalation der Gewalt im Krieg konstatieren und feststellen müssen, »dass die Vernichtungsangriffe auf Dresden und Hiroshima [...] Endund Gipfelpunkte und damit Teil eines kriegerischen Konflikts gerüsteter Staaten waren« – so Herbert Jäger in seiner klassischen Studie »Verbrechen unter totalitärer Herrschaft«. Jede Strategie, die auf Vernichtung des gegnerischen Kriegspotenzials zielt, führt zum Tod von Menschen, und unter den Bedingungen des modernen industriellen Krieges auch zum Tod von Nichtkombattanten. Nach dem 1. September 1939 hatten die Alliierten festzulegen, wie sie nach bestem Wissen unter Minimierung der eigenen Verluste den Krieg siegreich führen könnten. Vor diesem Hintergrund bildeten Bombenangriffe eine wirkungsvolle Möglichkeit, Deutschland direkt anzugreifen. »Niemals ging es um Terror als Selbstzweck, auch wenn die Folgen zweifellos schrecklich waren«, bemerkte dazu der britische Historiker Richard Overy, dessen Auffassung jedoch unter Historikern nicht unumstritten ist (vgl. Beitrag R.-D. Müller, S. 9). Oft wird gefragt, ob die Flächenbombardierungen deutscher Städte gegen Ende des Krieges Kriegsverbrechen gewesen seien. Kriegsrechtlich galt Dresden als Bestandteil militärischer Stellungen. Die militärische Notwendigkeit der Bombardierung kann angezweifelt werden, nicht aber, dass sie auf die rasche Beendigung des Krieges zielte. Außerdem wird häufig übersehen, dass Görlitz und Breslau, wie andere vom Bombenkrieg verschonte Städte, zu Festungen erklärt und heftig umkämpft wurden – die Planungen für Dresden waren vergleichbar. Wird der retrospektive historische Blick, der die Notwendigkeit der vernichtenden Zerstörung Dresdens hinterfragt, weil er zwischen diesem Ereignis und dem baldigen Kriegsende nur eine kurze Zeitspanne von wenigen Wochen sieht, der politischen Verantwortung der damaligen Entscheidungsträger gerecht? Die kriegführenden Seiten betonten immer wieder, dass die Angriffe innerhalb völkerrechtlicher Regeln blieben. Die Luftkriegspraxis hat somit das bis Kriegsbeginn allgemein akzeptierte Gewohnheitsrecht keineswegs aufgehoben, und die besonders in der britischen Öffentlichkeit geführten Debatten offenbaren ein Bewusstsein für die Rechtsverstöße. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wurde verletzt, nachdem die Alliierten unter erheblichen eigenen Opfern die Lufthoheit über Deutschland errungen hatten und als sie die massiven Luftschläge unvermindert fortsetzten, obwohl sie die Wirkungslosigkeit in Bezug auf die mit dieser Strategie verfolgten Absichten registrierten: Der Gegner sollte durch die Heftigkeit der Bombardierung überzeugt werden, den sinnlos gewordenen Widerstand aufzugeben, zeigte sich aber gegenüber jeder rationalen Einsicht unzugänglich. Die Luftkriegsstrategie hätte revidiert werden müssen. Dass dies erst so spät, kurz vor dem Ende des Krieges geschah, wurde bereits damals als Fehler betrachtet. Thomas Widera Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 7 akg-images Dresden im Bombenkrieg 5 Blick vom Rathausturm auf die Ruinen der Dresdner Innenstadt 5 Dresden 1979: Blick auf die Prager Strasse zen und Tod zu verbreiten. Nach dem ersten Angriff schon zeigte sich die örtliche Einsatzleitung zu einer koordinierten Hilfeleistung nicht in der Lage, die Feuerwehr arbeitete sporadisch, noch in der Nacht brach jegliche Organisation zusammen. Die Fahrzeughalle der Dresdner Luftschutzpolizei ging mit dem gesamten Fahrzeugpark in Flammen auf, in der zentralen Befehlsstelle funktionierte kaum ein Telefon. Löschgerät fehlte, mit Eimern schöpften die Helfer Wasser aus der Elbe zur Bekämpfung gewaltiger Brände. Die Luftschutzkeller erwiesen sich als tödliche Fallen, aus diesen vermeintlich sicheren Orten konnte das Geschehen draußen nicht überblickt werden. Vielen Menschen wäre nach dem ersten Angriff ein Entkommen aus der Innenstadt möglich gewesen. Da sie die Bedrohung der sie einschließenden Flammen nicht erkannten, erstickten und verbrannten sie in den unzulänglich gesicherten Kellern. Der Augenzeuge Victor Klemperer »sah nur überall Flammen, hörte den Lärm des Feuers und des Sturms, von der brennenden Zeughausstraße zur Elbe hinab, im weiten Umkreis nichts als Brände. Diesseits der Elbe besonders hervorragend als Fackel der hohe Aufbau am Pirnaischen Platz, jenseits der Elbe weißglühend, taghell das Dach des Finanzministeriums.« Er verbrachte die Nacht im Freien. Eine um Kopf und Schultern gelegte Wolldecke verdeckte als sehr problematisch. Täglich gingen in der Vermisstenzentrale und in den Außenstellen bis zu 10 000 Suchmeldungen ein. Die Dienststellen des Vermisstennachweises erhielten oft keine Rückmeldung über wieder gefundene Angehörige. Viele Dresdner Einwohner hielten sich nach den Angriffen auswärts auf und wurden irrtümlich vermisst, keiner wusste über die Anzahl der Flüchtlinge in der Stadt Bescheid. Wegen einer Person ergingen bis zu 20 Anfragen, die Vermisstenanzeigen trieben die Opferzahlen spekulativ in die Höhe. Die Identität zahlreicher Toter ließ sich nicht ermitteln, viele wurden noch in den verschütteten Kellerräumen vermutet. Um den Ausbruch von Seuchen zu verhindern, verbrannte auf dem Altmarkt ein mit der Technologie der Menschenvernichtung vertrautes SS-Kommando etwa 7000 unbekannte Bombenopfer auf Feuerrosten aus Eisenträgern. Ungeachtet der Opfer und Zerstörungen liefen die Vorbereitungen für den »Endkampf« um die Ruinen weiter. Soldaten, Angehörige des Volkssturms und Zivilisten beräumten die militärisch wichtigen Durchgangsstraßen und setzten den Stellungsbau fort. In den Vormittagsstunden des 2. März warfen 406 amerikanische B-17 über 1000 Tonnen Bomben ab. Ihr Ziel bildeten die Bahnanlagen in Dresden, ein Schlüsselglied der letzten intakten Verkehrsverbindungen, deren unerlässliche Funktion für die Versorgung der Front auch sowjetische Dar- 8 den diskriminierenden gelben Stern, den ihm seine Frau bald darauf von der Kleidung trennte. Unerkannt konnten beide in Richtung Westen fliehen und sich retten. Auswärtige Sanitätsbereitschaften trafen am Vormittag des 14. Februar ein; sie bargen Verwundete und Tote in den Trümmern, versorgten die ihren zerstörten Häusern Entkommenen und leisteten erste Hilfe. Der lokale Einsatzstab trat zwar zusammen, war aber von der Dimension der Katastrophe überfordert. Behörden und Ortsgruppen der NSDAP konnten den Ausfall der zentralen Institutionen nicht kompensieren und kapitulierten vor der Menge der Hilfesuchenden und Umherirrenden. Die am Stadtrand eingerichtete Befehlsstelle des Interministeriellen Luftkriegsschäden-Ausschusses (ILA) begann erst nach mehreren Tagen, die Hilfsaktionen aufeinander abzustimmen. Die militärische Führung vor Ort veranlasste ebenfalls Hilfeleistungen, doch der gesamte Einsatz war desorganisiert und chaotisch. Militäreinheiten, die rasch zu Einsatztrupps hätten zusammengestellt werden können, blieben zu lange in den Kasernen. Rechtzeitig eintreffende Bergungstrupps konnten Verschüttete häufig lebend retten, die zu spät ausrückenden Wehrmachtskompanien nur Tote bergen. Überdies fehlte schwere Räumtechnik. Die korrekte Zahl der Opfer zu ermitteln, erwies sich aus mehreren Gründen Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 akg-images Die größte Revolution der Kriegführung V or hundert Jahren sorgten Visionen eines möglichen Luftkrieges für Aufregung. Die ersten Fluggeräte waren aber kaum mehr als »Grashüpfer«. Im Ersten Weltkrieg (1914–1918) freilich schon bombardierten deutsche Zeppeline London. Alliierte Bomber attackierten deutsche Rüstungswerke und einzelne Städte. Den Kriegsausgang beeinflussten sie jedoch nicht. Dennoch hielten manche Experten es sogar für möglich, künftig durch die Drohung eines strategischen Bombenkrieges gegen Bevölkerungszentren Kriege verhindern bzw. allein durch den Einsatz von Bombern entscheiden zu können. Besonders innerhalb der britischen Royal Air Force (RAF) fanden solche Theorien positiven Widerhall. Sie entsprachen dem traditionellen Denken einer Seemacht, die im Blockadekrieg durch gezielte Attacken auf die Stützpunkte die Versorgung der Bevölkerung des Gegners und damit dessen Widerstandswillen zu brechen versucht. Beim Wiederaufbau von Luftstreitkräften ab 1933 setzte die Kontinentalmacht Deutschland stärker auf die Unterstützung von Bodentruppen durch mittlere Kampfbomber. Vorbereitungen für den Bau einer strategischen Bomberflotte wie in Großbritannien und den USA verzögerten sich aufgrund technischer Fehlentscheidungen und knapper Rohstoffe. stellungen des Kriegsverlaufs betonten. Die Ausschaltung des Verkehrsknotenpunktes Dresden gelang stets nur vorübergehend. Daher bombardierte die amerikanische Luftwaffe am 17. April mit annähernd 600 Flugzeugen beinahe eineinhalb Stunden lang die Verkehrseinrichtungen, den Güterbahnhof Friedrichstadt, den Hauptbahnhof und die Marienbrücke. Damit traf sie einen Lebensnerv der Wehrmacht. Die Beeinträchtigung der Nachschublinien schwächte die Kampfkraft der deutschen Truppen erheblich und trug so dazu bei, dass der Krieg nicht noch weiter verlängert wurde. n Thomas Widera Literaturtipp: Götz Bergander, Dresden im Luftkrieg. Vorgeschichte, Zerstörung, Folgen, 2. überarb. und erw. Aufl., Weimar, Köln, Wien 1994; Lothar Kettenacker (Hrsg.), Ein Volk von Opfern? Die neue Debatte um den Bombenkrieg 1940–45, Berlin 2003; Rolf-Dieter Müller, Der Bombenkrieg 1939–1945. Unter Mitarbeit von Florian Huber und Johannes Eglau, Berlin 2004 Nach dem deutschen »Blitzkrieg« gegen Frankreich entschloss sich die britische Regierung, einen strategischen Bombenkrieg gegen Deutschland zu eröffnen; für Churchill war dies die einzige Möglichkeit, das deutsche Hinterland zu treffen. Im Zuge der Luftschlacht um England (Sommer 1940) wurden auch die deutschen Angriffe gegen militärische Punktziele und Rüstungsfabriken in britischen Städten (z.B. Coventry) schließlich so ausgeweitet, dass die Bevölkerung in immer stärkerem Maße in Mitleidenschaft geriet. Nach einzelnen Attacken der RAF auf Berlin ordnete Hitler Vergeltung an und lockerte seine zögerliche Haltung gegenüber Terrorangriffen auf die Bevölkerung. Denn er versprach sich eine schnellere und größere Wirkung durch gezielte Luftangriffe auf die feindliche Rüstung. Die britischen Angriffe steigerten sich, als die deutsche Luftwaffe im Ostfeldzug gebunden wurde. Im Mai 1942 traf der erste Tausend-Bomber-Angriff Köln. Die systematische Entwicklung von Zerstörungstechniken (Brandbomben) machte rasche Fortschritte. Jetzt griff die US Air Force ein. Sie setzte auf Präzisionsangriffe ihrer »Fliegenden Festungen« gegen deutsche Rüstungsziele bei Tage, während die Briten Flächenangriffe bei Nacht bevorzugten. Das Bomberkommando der RAF versuchte den Nachweis zu erbringen, dass massive Terror-Angriffe die Moral der deutschen Bevölkerung brechen und so den Krieg schneller beenden könnten. Luftmarschall Arthur Harris ließ deshalb seine Liste deutscher Großstädte »abarbeiten« und wähnte sich dicht am Ziel. Doch es gelang den nationalsozialistischen Machthabern trotz steigender Opferzahlen (allein in Hamburg 1943 rd. 35 000 Tote) das Abbröckeln der »Heimatfront« zu bremsen. Die Luftverteidigung konnte das Vordringen der anwachsenden alliierten Bomberströme nicht verhindern. Besonders wirkungsvoll waren 1944 massive Angriffe gegen deutsche Rüstungsziele und die Infrastruktur. Sie ermöglichten die alliierte Landung in der Normandie und beschleunigten den Zusammenbruch der Wehrmacht. Hitler setzte vergeblich auf den Einsatz von »Vergeltungs«Waffen (Flugbomben und Raketen). Nicht nur in Deutschland traf dieser Schlagabtausch im totalen Krieg vorwiegend Menschen in Großstädten, für die es keinen absoluten Schutz gab. Militärisch fragwürdige Terrorangriffe blieben bis zuletzt an der Tagesordnung (Dresden), weil Hitler den »Endkampf« ohne Rücksicht auf sein Volk fortsetzen wollte. Die alliierten Luftstreitkräfte sorgten 1945 für einen schnellen Vormarsch im Reichsgebiet und verhinderten so langwierige blutige Bodenkämpfe. Gegen Japan setzten sie zu diesem Zweck auch Atombomben ein. Im Zweiten Weltkrieg starben weltweit rd. 1,5 Millionen Zivilpersonen im Bombenhagel, ein Drittel davon in Deutschland. Bei einer Gesamtzahl von mehr als 50 Millionen Kriegstoten sicher kein geringer Preis für die neue Art der Kriegführung, bei der das Instrument des Bombenkrieges bis über die Grenze dessen erprobt und eingesetzt wurde, was aus heutiger Sicht und Erkenntnis als legitim und sinnvoll erscheinen mag. Rolf-Dieter Müller Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 9 5 Finnland fiel im Frieden von Hamina (1809) gänzlich von Schweden an Russland. Das zaristische Februarprogramm zur Russifizierung (1899) machte in Finnland Russisch zur Amtssprache, entmachtete den finnischen Senat und zerschlug die bis dahin eigenständige finnische Armee. Das 1899 entstandene Bild Hyökkäys (Angriff) von Eetu Isto zeigt allegorisch den Angriff des »russischen Doppeladlers« auf Finnland. D er Erste Weltkrieg hat die Landkarte Europas grundlegend verändert. Eine dieser Veränderungen ist die Existenz eines unabhängigen Finnland seit dem 6. Dezember 1917. Die Geschichte der finnischen Unabhängigkeit ist durch die finnische Jägerbewegung eng mit der deutschen Militärgeschichte verbunden. Mit der russischen Generalmobilmachung zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde über Finnland der Kriegszustand verhängt. Die militärische Führung in St. Petersburg befürchtete eine direkte Bedrohung der Hauptstadt durch eine deutsche Truppenlandung im westfinnischen Hanko (schwedisch Hangö) für den Fall, dass Deutschland seinen strategischen Schwerpunkt in den Osten läge. Mit dem Kriegseintritt Großbritanniens wurde jedoch 10 »Finnische Legion« Die Jägerbewegung Das Museum zur Geschichte des Königlich-Preußischen Jägerbataillons 27 – der Finnischen Jäger, Hohenlockstedt Finnisches Nationalmuseum, Helsinki Finnische Jägerbewegung im Ersten Weltkrieg klar, dass das Kaiserreich auch zur See einen westlichen Schwerpunkt wählen musste – die Ostsee wurde zum maritimen Nebenkriegsschauplatz. Die öffentliche Meinung des neutralen Schwedens im Auge, drahtete das Auswärtige Amt im August 1914 folgenden Erlass an den deutschen Gesandten in Stockholm: »Um in Finnland Stimmung für uns zu machen, eventuell Aufstand gegen Russland hervorzurufen, wäre es geboten, alsbald mit leitenden Persönlichkeiten schwedischer Partei in Finnland Fühlung zu nehmen und ihnen im Falle für uns günstigen Kriegsausgangs autonomen Pufferstaat Finnland (Republik) in Aussicht zu stellen.« Das neutrale Schweden sollte auf die deutsche Seite gezogen werden. Von einem deutschen Sieg sollte es durch die Existenz eines eigenständigen Finnland, Annexion der Ålandinseln (Ahvenanmaa) und die Möglichkeit zu Grenzbefestigungen an der Ostsee gegen Russland profitieren. Neben dem Auswärtigen Amt war auch der Admiralstab der Marine an Finnland interessiert. Im Mittelpunkt seiner Betrachtungen standen die Ålandinseln sowie die Unterbrechung der britisch-russischen Verbindungen; insbesondere die Unterbrechung der finnischen Bahnstrecken nach Schweden durch Sabotagekommandos wurde untersucht. Am 8. Dezember 1914 nahm der finnische Aktivist Herman Gummerus mit dem kaiserlichen Marineattaché Kapitän zur See von Fischer-Lossainen in Stockholm Verbindung auf. Etwa zwei Monate vorher hatten Studenten in Finnland das »Provisorische Zentralkomitee für die Aktivistische Bewegung« gegründet. Über Gummerus ließ die Aktivistische Bewegung anfragen, ob das Deutsche Reich bereit sei, etwa 150 junge Finnen in Deutschland militärisch auszubilden. Parallel aber unab- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 5 Fahne des kgl. preuß. Jägerbataillons Nr. 27: preußische Eckmedaillons und finnischer Löwe. hängig davon wurde in Berlin unter der Schirmherrschaft des Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger zur »Unterstützung von Finnländern, welche durch den Krieg von ihrer Heimat abgeschnitten worden sind«, das »Finnische Unterstützungskomitee« gegründet. In der Tat fielen die Finnen in Deutschland als Untertanen des russischen Zaren in die Kategorie »feindliche Ausländer«. Als solche wurden sie aus den Städten ausgewiesen, mussten sich zweimal täglich bei der Polizei melden oder wurden im Zuge der »Spionagefurcht« interniert. Während die deutsche Auslandspropaganda unter Erzberger auf das »Finnische Unterstützungskomitee« setzte, hielt das Auswärtige Amt Kontakt zum »Finnischen Komitee«. Dieses bestand aus einer kleinen Gruppe finnischer Aktivisten ebenfalls in Berlin unter Vorsitz des finnischen Juristen Fredrik Wetterhoff. Die Zielrichtung und die Vorgehensweise der Finnlandpolitik der einzelnen deutschen Behörden waren insgesamt recht unterschiedlich. Während der Admiralstab an Sabotageaktionen in Finnland interessiert war, hofften das Auswärtige Amt und Erzberger auf die propagandistische Wirkung auf Schweden und die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen im Zarenreich. Während Gottlieb von Jagow, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, die Otavan arkisto Möglichkeit eines Separatfriedens mit Russland nicht mit der Finnlandfrage belasten wollte, hielt General Erich von Falkenhayn, Chef des Generalstabs des Feldheeres »die Erregung eines Aufstandes für wünschenswert«. Zur Koordinierung der verschiedenen an Finnland interessierten Behörden fand auf Falkenhayns Vorschlag am 26. Januar 1915 eine kommissarische Besprechung statt. Hierzu waren Vertreter des Kriegsministeriums, des Stellvertretenden Generalstabs in Berlin, des Admiralstabs wie des Auswärtigen Amts geladen. »Kriegskursus für Ausländer« Auf dieser Besprechung wurde beschlossen, dass obwohl eine Landung in Finnland »noch auf lange Zeit hinaus nicht möglich« sei, 200 finnische Aktivisten im Lager Lockstedt (heute Hohenlockstedt) nördlich von Hamburg ausgebildet werden sollten, um ihnen »die Sympathie Deutschlands mit Finnland zu beweisen und sie mit der Kulturhöhe und dem militärischen Geist Deutschlands bekannt zu machen, ferner aber um sie im Falle eines aktiven Vorgehens Schwedens gegen Russland oder eines selbständigen finnischen Aufstandes zur Erfüllung militärischer Aufgaben befähigt zu machen«. Mit diesem »Kriegskursus für Ausländer« wurde Major Maximilian Bayer betraut. Ihm sollten zwei Hauptleute (ein Infanterist und ein Pionier) als Lehrer zur Verfügung stehen. In einem vierwöchigen streng geheimen Kurs sollten neben allgemeiner militärischer Ausbildung, wie »Aneignung militärischen Geistes, Schießen, Gefechtsausbildung kleiner Abteilungen, Sicherung, Erdarbeiten und Infanterieaufklärung«, auch militärfachliche Inhalte, wie »Zerstörung von Eisenbahnen und Kunstbauten aller Art, von Hafeneinrichtungen und Schiffen« sowie »Parteigängerkrieg im Rücken eines feindlichen Heeres«, nahegebracht werden. Der Schwerpunkt der Ausbildung lag in dieser ersten Phase also im – vom Admiralstab geforderten – Jagdkampf im rückwärtigen Raum des Gegners. Die Bekleidung wurde an die Pfadfindertracht angelehnt, die Bewaffnung erfolgte mit russischen Beutegewehren. 5 Finnische Jäger an der Misse Die künftigen Kursteilnehmer mussten sich illegal über den Landweg, bei Schnee und Eis auf Skiern oder Schneeschuhen, in kleinen Gruppen erst einmal nach Schweden durchschlagen. Aufgrund der extremen Witterungsbedingungen, aber auch weil es sich bei ihrem Kampf für die finnische Selbständigkeit nach russischer Sichtweise um Hochverrat handelte war der Weg der Aktivisten auf den »Etappenrouten« nicht selten lebensgefährlich. In Stockholm wurden sie durch die deutsche Botschaft mit Pässen und Geld versorgt, um anschließend unerkannt nach Hamburg zu reisen. Von dort wurden die Finnen von einem Verbindungsmann ins Lager Lockstedt geschickt. Bis zum befohlenen Kursbeginn am 15. Februar 1915 (nur 20 Tage nach der Entscheidung!) gelang es nicht, alle Kursteilnehmer nach Deutschland zu bringen; so beschloss das Kriegsministerium zusätzlich, sich bereits in Deutschland aufhaltende Finnen aus Dresden, Hamburg, Lübeck, Wismar sowie Hannover und München anzuwerben. Im April 1915 erreichte der Kurs schließlich eine Stärke von 170 Teilnehmern. Etwa ein Sechstel von ihnen hatte seinen Wohnsitz vorher als »feindliche Ausländer« im Deutschen Reich. Ausbildungstruppe Lockstedt Bei einem erneuten Treffen der Teilnehmer der kommissarischen Besprechung vom Januar 1915 kamen die verantwortlichen deutschen Behörden überein, dass der »Kriegskursus für Ausländer« zu einer 1200 Mann starken »Ausbildungstruppe Lockstedt«, bestehend aus vier Infanteriekompanien, einer Pionierkompanie und einer Maschinengewehrabteilung, erweitert werden solle. Doch bereits einen Monat später wurde diese Entscheidung wieder in Frage gestellt. Während Falkenhayn (Generalstab) »auf eine weitere Verfolgung der finnischen Angelegenheiten verzichten« wollte, erschien es dem für die »finnische Legion« verantwortlichen Oberst von Zimmermann (Stellvertretender Generalstab) ratsam, »die in Lockstedt bereits in der Ausbildung befindlichen Finnen dort zu belassen« und auch die »neuen finnischen Rekruten in die Legion aufzunehmen«, um bei »Ausbruch einer allgemeinen großen Revolution in Russland mit dem finnischen Element in Fühlung zu bleiben«. Das Kriegsministerium sprach sich wiederum gegen eine »Vermehrung des finnischen Korps« aus und argumentierte, dass es notwendig sei, das für die Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 11 Finnische Jägerbewegung Finnen erforderliche Ausbildungspersonal frei zu bekommen – es handelte sich hierbei um zwölf (!) Unteroffiziere. Der Kommandeur der Ausbildungstruppe, Major Bayer, schlug daraufhin vor, diese durch geeignete Finnen zu ersetzen. Das Auswärtige Amt schließlich befürchtete im Falle einer Auflösung der »Finnischen Legion« negative propagandistische Auswirkungen auf die »Aufwiegelung« anderer »Fremdvölker«. Kaiser Wilhelm II. lehnte jedoch am 19. Juli 1915 das »finnische Unternehmen« mit folgenden Worten ab: »Nein, dazu gebe ich mich nicht her. Ich will in den Ländern des Zaren keine Revolution anzetteln.« Kriegsminister Generalleutnant Adolf Wild von Hohenborn – dessen Ministerium inzwischen auf die befürwortende Linie des Stellvertretenden Generalstabs und des Auswärtigen Amtes eingeschwenkt war – meinte etwa drei Wochen später, dass er den Eindruck habe, der Kaiser befürchte »ein Aufstand in Finnland könne den Thron des Zaren gefährden«. Genau dies war aber der Plan des Auswärtigen Amts. Ihm gelang es schließlich mit dem Argument, die Auflösung der Finnentruppe habe negative Auswirkungen auf des Kaisers »Möchtegern-Verbündeten« Schweden, am 29. Juli 1915 die Zustimmung des obersten Kriegsherrn zu erhalten. Am 26. August 1915 gab Kriegsminister Wild von Hohenborn den Befehl zur Aufstellung der nun »Ausbildungstruppe Lockstedt« genannten »Finnischen Legion«. Die stetig anwachsende Zahl der Freiwilligen – im finnischen Untergrund erfolgte der Aufbau einer regelrechten Rekrutierungsorganisation – wurde nun zu einem selbstständigen Jägerbataillon geformt. Ausrüstung und Uniformierung entsprachen derjenigen »gewöhnlicher« deutscher Jäger: Grüner Waffenrock und Tschako wiesen die Finnen als Angehörige dieser infanteristischen Elite aus. Jääkäriliike – Jägerbewegung wurde von nun an in Finnland zur Bezeichnung der seitens Deutschland gestützten bewaffneten Freiheitsbewegung. Lediglich die Bewaffnung bestand aus russischen Beutegewehren, um sich im Falle eines Einsatzes der Jäger in Finnland aus den dortigen russischen Waffenlagern versorgen zu können. 12 »Aufwiegelung der Fremdvölker« Da es dem deutschen Kaiserreich nicht gelang, den Krieg auf dem Schlachtfeld für sich zu entscheiden, wurden andere Wege gesucht, die Gegner zu schwächen. Die »politische Variante« der Kriegsführung bot sich für Deutschland aufgrund der strategischen Schwerpunktbildung des Heeres im Westen (Schlieffenplan) insbesondere für den östlichen Kriegsschauplatz an. Für den Reichstagsabgeordneten Matthias Erzberger, der kurz nach Kriegsausbruch die Leitung der deutschen Auslandspropaganda übernommen hatte, war das russische Vielvölkerreich lediglich ein »Koloss auf tönernen Füßen«. Durch »Aufwiegelung der Fremdvölker«, also der nichtrussischen Völker im Zarenreich – so dachte man auch im Auswärtigen Amt – könne man »die Russen fast ohne jeden Soldaten bis hinter Warschau treiben«. Neben Polen, Esten und Kaukasiern wurden die Finnen zu den erfolgversprechenden »Fremdvölkern« im Zarenreich gezählt. Einsatzoptionen Was hatte das Kaiserreich aber nun mit dieser »Finnischen Legion« vor? Was sollte ihr Auftrag sein? Die deutschen Stellen waren sich hierüber selbst nicht einig. Im Admiralstab und im Auswärtigen Amt wurde lange auf den verschiedenen Ebenen der Plan des Marineattachés Fischer-Lossainen diskutiert. Dieser sah vor, durch eine Landung der finnischen Jäger auf den Ålandinseln Schweden in den Krieg zu zwingen: »Es wird sich vielleicht ein nördlicher Nebenkriegsschauplatz bilden. Sollte dann wider Erwarten Schweden ruhig mit ansehen können, wie das finnische Freikorps auf Åland verblute, so hat Deutschland doch wenigstens alles getan, was ihm zur Zeit für die Lösung der skandinavischfinnischen Frage im germanischen Sinne zu tun möglich war.« Aufgrund des nach wie vor im Westen liegenden Schwerpunktes der deutschen Kriegführung und seiner Hoffnung, durch einen Separatfrieden mit Russland Divisionen für das Niederringen Frank- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 reichs freizubekommen, lehnte es Generalstabschef Falkenhayn ab, die für solch ein Unternehmen seitens des Generalstabs geforderten 5000 Heeressoldaten zu stellen. Als schließlich klar wurde, dass es aufgrund der öffentlichen Stimmung in Schweden ohnehin kein gemeinsames deutsch-schwedisches Vorgehen gegen Russland geben würde, fiel in Absprache mit finnischen Exilpolitikern etwa im Februar 1916 die Entscheidung, die Jäger an der Ostfront einzusetzen. Dem Kommandeur der Ausbildungstruppe zufolge sollten die Finnen am nördlichsten Teil der Ostfront mit der Ostsee als »linken Nachbarn« eingesetzt werden. Bei einem schnellen Vormarsch auf Reval (estnisch Tallinn, etwa 80 km Luftlinie von Finnland entfernt) könne, so Bayers Plan, nachts aus Finnland ein Teil der »unbenutzten Rekrutenreserve von rund 300 000 Mann« über die Meerenge geschafft werden um nach kurzer Ausbildung »die Russen in Finnland niederkämpfen«. An der Ostfront: Jägerbataillon 27 Am 17. März 1916 erreichte die »Finnische Legion« ihren personellen Sollbestand von 1502 Mann. Am 13. März erhielt, nachdem bekannt geworden war, dass das schwedische Heer einen Mangel an steilfeuernder Artillerie aufwies, die Ausbildungstruppe noch eine Batterie leichte Feldhaubitzen. Am 22. Mai meldete Bayer den Status »kriegsverwendungsbereit«. Mit der Mobilmachung am 30. Mai erhielt der mobile Teil der »Finnischen Legion« den Namen »Königlich Preußisches Jägerbataillon Nr. 27«. Am nächsten Tag erfolgte der Eisenbahntransport Richtung Mitau (Jelgava). Das Jägerbataillon unterstand nun der 3. verstärkten Kavalleriebrigade der Gruppe Mitau der 8. Armee. Das Jägerbataillon 27 hielt in der Folge vier Frontkilometer bei Mitau an der Misse – also nicht wie vom Kommandeur geplant und mit den finnischen Exilpolitikern abgesprochen an der Ostsee. Als den russischen Truppen bekannt wurde, woher die Gegner im Graben gegenüber ursprünglich kamen, belegten sie die 27er Jäger mit »sehr schwerem und anhaltendem Artilleriefeuer«. Dem stets optimisti- 5 Jääkärikunniamerkki: die Ehrenmedaille der Jäger zeigt die Bataillonsnummer »27« auf einem »Eisernen Kreuz« Sammlung A. Keßelring schen Bericht des Kommandeurs zufolge ließ »die gute Stimmung auch unter dem Eindruck der ersten blutigen Verluste nicht nach«. In Tittelmünde musste jedoch ein »Erholungsheim« für die infolge der artilleristischen Feuerwalze »an den Nerven leidenden Leute« eingerichtet werden. Nach zweieinhalbmonatigem Einsatz im Stellungskrieg an der Misse wurde das Jägerbataillon aus der Front gezogen und mit der Bahn nach Tuckum gebracht. Nach kurzer Auffrischung ging es Anfang September 1916 in die neuen Stellungen. Wie im Plan Bayers vorgesehen, wurde die »Finnische Legion« jetzt an der nördlichsten Stelle der Ostfront eingesetzt. Die Jäger sicherten nun nach Norden fünf Kilometer der Ostseeküste und verteidigten die drei nördlichsten Frontkilometer. Zu einem schnellen Vormarsch auf Reval kam es jedoch nicht (Riga wurde erst ein Jahr später im September 1917, Reval im Februar 1918 eingenommen). Hinzu kamen ein zurückgenommener Angriffsbefehl und extreme Witterungsbedingungen. Unzufriedenheit bei den Mannschaften bis hin zu Desertionen und Befehlsverweigerungen waren die Folge. Viele Finnen fühlten sich von Deutschland betrogen und an der Ostfront »verheizt«. Die gegenüber dem deutschen Kaiserreich loyalen finnischen Führer und Unterführer suchten teils durch drakonische Maßnahmen, teils durch Fürsprache bei den deutschen Vorgesetzten die Lage in den Griff zu bekommen – was letztendlich auch Wirkung zeigte. Einsatz in Finnland Die deutsche Führung suchte nach dem Prinzip »Zuckerbrot und Peitsche« der schwierigen Situation Herr zu werden. Einerseits bekam die »Finnische Legion« eine eigene Strafeinheit, das Kommando der Arbeitssoldaten in Altona-Bahrenfeld, andererseits wurden jetzt die – bisher schlicht nicht vorhandenen – versorgungsrechtlichen Ansprüche der Jäger geklärt. Politische Veränderung brachten erst der Wechsel zur 3. Obersten Heeresleitung im Reich und der russische Machtverfall infolge der dortigen Februarrevolution des Jahres 1917. Am 20. März ging die Verantwortlichkeit der »finnischen Frage« vom Stellvertretenden Generalstab auf den Generalstab über. Nun sollte die »Finnische Legion« des Kaisers direkt für die Revolutionierung Finnlands kämpfen. Als sich infolge der russischen Oktoberrevolution Finnland für unabhängig erklärte (6.12.1917), wurde das Königlich Preußische Jägerbataillon Nr. 27 am 13. Februar formell aufgelöst und der finnische Teil auf die »weiße« (bürgerliche) Regierung Finnlands vereidigt. Genau drei Jahre nach dem offiziellen Kursbeginn im Lager Lockstedt begrüßte der neue, nun finnische, Oberbefehlshaber, General Carl Gustaf Freiherr von Mannerheim, die Jäger in der Interimshauptstadt der »weißen« finnischen Regierung, Vaasa (schw. Vasa). Im finnischen Bürgerkrieg, der zugleich ein Unabhängigkeitskrieg gegen das nun sowjetische Russland war, bildeten die ehemaligen Angehörigen der »Finnischen Legion« sowie die Ostseedivision unter General Graf Rüdiger von der Goltz das »Zünglein an der Waage« zur Veränderung der Landkarte im Norden Europas. Eine Geschichte mit langer Wirkung; noch bis Ende der 1950er Jahre bestand die finnische Militärelite überwiegend aus ehemaligen 27er-Jägern. Während in der deutschen Militärgeschichte die Jägerbewegung oft nur eine Fußnote wert ist, gedenkt das finnische Militär noch heute jährlich am 25. Februar – dem Tag der Gründung und der Landung in Finnland – der Lockstedter Jäger. n Agilolf Keßelring Literaturtipp: Agilolf Keßelring, Des Kaisers »Finnische Legion«. Die finnische Jägerbewegung im Ersten Weltkrieg im Kontext der deutschen Finnlandpolitik; Berlin 2005 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 13 Operation »Nordlicht« »Mitleid mit der Zivilbevölkerung ist nicht am Platze«. Die Zerstörung Nordnorwegens durch deutsche Truppen 1944 U nter dem harmlos klingenden Operationsnamen »Nordlicht« zerstörten deutsche Truppen gezielt und umfassend 1944 die beiden nördlichsten Provinzen Norwegens. Die Verwüstung der Finnmark und des nördlichen Teiles von Troms sowie die Evakuierung ihrer Bevölkerung erfolgten im Zusammenhang mit dem Rückzug der deutschen 20. Gebirgsarmee unter ihrem Oberbefehlshaber Generaloberst Lothar Rendulic vom nördlichen Flügel der Gesamtfront gegen die Sowjetunion und sollten das Nachrücken der Roten Armee verhindern. Erzwungen wurde die Rückführung der deutschen Truppen, als Finnland Anfang September 1944 die sogenannte »Deutsch-Finnische Waffenbrüderschaft« im Kampf gegen die Sowjetunion aufkündigte und Deutschland aufforderte, »seine Truppen vom finnischen Staatsgebiet innerhalb zwei Wochen zurückzuziehen«; andernfalls sollten die deutschen Einheiten entwaffnet und ausgeliefert werden, erfuhr der deutsche Gesandte vom finnischen Außenminister. Beschwerlicher Rückzug Die deutsche Seite reagierte darauf mit der Rücknahme der 20. Gebirgsarmee in den finnischen Nordraum (Deckname »Birke«). Am 6. September begann das XVIII. Gebirgsarmeekorps sich von russischem Territorium auf finnisches Gebiet in Richtung Rovaniemi zurückzuziehen und sich entlang der schwedisch-finnischen Grenze in Richtung Norwegen zu bewegen. Das XXXVI. Gebirgsarmeekorps setzte sich fünf Tage später zunächst nach Südwesten ab, um dann nördlich Rovaniemi auf die Eismeerstraße einzuschwenken. Das XIX. Gebirgsarmee- 14 5 Das Gemälde von Ivar Selø zeigt die Stadt Vadsø vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg korps blieb vorerst noch in seinem Einsatzraum an der Murmansk-Front. Anfang Oktober stimmte Hitler grundsätzlich zu, die Gebirgsarmee weiter bis zum norwegischen Lyngen-Fjord zurückzuführen. Als Tarnbezeichnung für die militärische Operation wurde der Name »Nordlicht« festgelegt. Von dieser schwierigen militärischen Aufgabe war eine Armee mit rund 200 000 Mann, etwa 60 000 Nutztieren, Tausenden von Fahrzeugen – darunter allein eineinhalbtausend Schneepflüge – sowie einer großen Zahl von Kriegsgefangenen und Verwundeten betroffen, die unter den Bedingungen des arktischen Winters bei gleichzeitigen heftigen Kämpfen mit den Verfolgern zurückzuführen waren. Darüber hinaus wurden ungeheure Vorräte an Lebensmitteln, Waffen, Munition, Bekleidung, Baumaterialien, Brennstoffen mitgeführt – allein im Bereich des XIX. Gebirgsarmeekorps eine Bevorratung für 100 000 Mann für ein Jahr. Für die Rückführung des XIX. wie auch des XXXVI. Gebirgsarmeekorps stand mit der norwegischen Reichsstraße 50 nur eine kümmerliche Verkehrsader zur Verfügung. Dieser, durch etliche Fährstellen unterbrochene Fahrweg, war ständig durch Schneeverwe- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 hungen bedroht, was den Bau langer Schneezäune und zum Teil von kilometerlangen hölzernen Tunnelkonstruktionen erforderte. Die Situation im besetzten Norwegen Das besetzte norwegische Territorium, auf das die 20. Gebirgsarmee zurückgeführt wurde, stand seit über vier Jahren unter der Verwaltung des »Reichskommissars für die besetzten norwegischen Gebiete«, Josef Terboven, der Hitler unmittelbar unterstellt war. Die deutschen militärischen Belange vor Ort wurden vom Wehrmachtbefehlshaber Norwegen, Generaloberst Nikolaus von Falkenhorst, wahrgenommen, dessen »Norwegen-Armee« mehrere hunderttausend Soldaten umfasste. Mit dem deutschen Besatzungssystem kollaborierte die norwegische Bewegung »Nasjonal Samling« (Nationale Sammlung, NS), an deren Spitze Vidkun Quisling, seit Februar 1942 als »Ministerpräsident« Chef einer Pro-forma-Regierung, stand. Mit dem Übertritt auf norwegisches Gebiet wurden die 20. Gebirgsarmee und die Norwegen-Armee miteinander verschmolzen. Falkenhorst erhielt den Abschied, und Rendulic wurde sein Nachfolger als Wehrmachtbefehlshaber in Norwegen. Zwischen den Situationsbewertungen durch das Reichskommissariat und die Wehrmacht gab es große Unterschiede. Gemeinsam war zwar beiden die Furcht vor dem Nachrücken der Roten Armee auf norwegisches Gebiet. Terboven sah aber schwerwiegende politische Gefahren für das übrige besetzte Norwegen voraus, sobald das Räumungsgebiet unter sowjetischer Kontrolle stünde. Ähnliche Befürchtungen hegten Quisling und seine Mitstreiter, deren Stand durch die erwartete Rückkehr von Vertretern der 1940 nach London geflüchteten legitimen norwegischen Regierung in das evakuierte Territorium noch schwerer werden würde. Als geographisch geeignetsten Ort, um das Nachrücken von Russen und möglicherweise von Finnen zu stoppen, bot sich der mit rund 20 km verhältnismäßig schmale Landstreifen zwischen dem südlichen Ende des Lyngen-Fjords und der Grenze zum neutralen Schweden an. Alle norwegischen Gebiete nordöstlich der Lyngen-Stellung waren dem nachrückenden Gegner preisgegeben. Damit dieser sich einerseits nicht als ›Befreier aufspielen‹ und andererseits nicht aus dem Lande leben konnte, wurde schließlich harter militärischer Logik folgend die Evakuierung der beiden norwegischen Provinzen Finnmark und Nord-Troms beschlossen. Von der »freiwilligen« zur erzwungenen Evakuierung Das betroffene Areal umfasste mit rund 60 000 Quadratkilometern in etwa ein Fünftel der Fläche des norwegischen Festlandes; vor dem Kriege lebten hier rund 50 000 Menschen, die im Wesentlichen vom Fischfang ihr Auskommen bezogen, hauptsächlich in kleinen und weit verstreuten Siedlungen. Die zunächst – vor allem von zwei in den Norden entsandten Ministern Quislings – propagierte freiwillige Evakuierung, wonach sich die Bevölkerung in den Süden des Landes begeben sollte, zeigte kaum Wirkung. Dafür gab es vielerlei Gründe; nicht zuletzt konnte die Bevölkerung in diesem zivilisatorischen Außenposten mit dem unbe- kannten, militärisch geprägten Begriff ›Evakuierung‹ wenig anfangen. Terboven drängte angesichts der geringen Resonanz auf eine zwangsweise Evakuierung der Einwohner unter Beteiligung der Wehrmacht, deren Hauptaugenmerk allerdings auf die Rückführung der eigenen Soldaten gerichtet war. Ausschließlich norwegische Fischkutter, deren Anzahl Terboven in zweckoptimistischer Weise zu hoch ansetzte, sollten für den Transport der Evakuierten über See genutzt werden. Der Befehl: Evakuieren und Verbrennen Terbovens Klagen über den schleppenden Fortgang der Aktion führten schließlich zu der im Namen Hitlers verkündeten Anordnung, wonach »die gesamte norwegische Bevölkerung ostwärts des Lyngenfjords im Interesse ihrer eigenen Sicherheit zwangsweise zu evakuieren und alle Wohnstätten niederzubrennen bezw. zu zerstören sind. Ob[erbefehlshaber] Nordfinnland ist dafür verantwortlich, dass der Führerbefehl rücksichtslos durchgeführt wird. [...] Mitleid mit der Zivilbevölkerung ist nicht am Platze.« Der Befehl wurde mit Hilfe eines plakatierten Aufrufs von Terboven und Ren- dulic bekannt gemacht, wobei darauf hingewiesen wurde, daß die Rückführung der Bevölkerung von norwegischen Behörden durchgeführt werde. Die Durchführung der Evakuierung Der Evakuierungsbefehl führte zu der größten Wanderbewegung und den umfassendsten Zerstörungen auf norwegischem Boden überhaupt. Militärische Abteilungen zogen von Ort zu Ort, von Gehöft zu Gehöft und trieben die Menschen aus ihren Häusern, die Kranken aus den Hospitälern, das Vieh aus den Ställen. Die Gebäude wurden in der Regel nach kurzer Frist in Brand gesetzt, das Vieh zum Teil an Ort und Stelle geschlachtet, zum Teil auch mitverbrannt, zum Teil auf die Reise mitgenommen. Auf den kleinen Fischkuttern herrschten wegen Überfüllung zum Teil unbeschreibliche Zustände. Auf der »Karl Arp«, einem Schiff von rund 6000 Bruttoregistertonnen, waren 1850 Menschen mehrere Tage von Finnmark bis Narvik unterwegs, zusammengepfercht im Laderaum. Zu den qualvollen räumlichen Bedingungen und der ungenügenden Versorgung kamen die katastrophalen sanitären Verhältnisse (zwei Toiletten), die epidemieartige Erkrankungen nach sich zogen. Die Helfer, welche die Evakuierten in Narvik aus den Laderäumen bargen, konn- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 15 Operation »Nordlicht« ten nur mit Gasmasken arbeiten. Rund 300 Personen mussten sofort in Krankenhäuser gebracht werden. 25 Tote soll das Sterberegister von Narvik nach diesem Transport verzeichnet haben. Obwohl die Evakuierungsmaßnahmen sehr umfassend waren, gelang es doch vielen Norwegern in Verstecke zu flüchten. Beispielsweise konnten sich in einer Gemeinde mit ursprünglich 1650 Einwohnern rund 500 rechtzeitig absetzen, die übrigen wurden zwangsevakuiert. Von den Geflüchteten wurden 130 anschließend wieder von einer deutschen Patrouille entdeckt. Das Schicksal der vertriebenen Bevölkerung war eine Seite der Tragödie. Eine andere war das der mitgeführten Kriegsgefangenen. Das Küstenfrachtschiff »Rigel« beispielsweise war in Alta mit sowjetischen Kriegsgefangenen und deutschen Wachmannschaften beladen worden. In der Höhe von Tjetta wurde es von britischen Flugzeugen angegriffen und versenkt. Dies war vermutlich die größte Einzelkatastrophe auf norwegischem Gebiet während des Krieges. 2570 Menschen kamen dabei um, 160 Gefangene überlebten. Noch Monate lang seien die Leichen der Ertrunkenen an Land getrieben worden, heißt es. Deutsche und norwegische Statistiken Das Oberkommando der 20. Gebirgsarmee errechnete Mitte Dezember 1944 die Zahl von insgesamt rund 43 000 Evakuierten gegenüber etwa 18 700 davon nicht erfassten Personen. Norwegische Zahlen aus der Nachkriegszeit gehen dagegen von rund 50 000 evakuierten Menschen und etwa 23 000 geflüchteten Personen aus. Östlich der Linie Berlevåg-Kvenangen waren die Zerstörungen offenbar zu nahezu 100 Prozent durchgeführt, im übrigen Gebiet zu etwa 75 Prozent. Auswirkungen des Widerstandes Zum Gesamtbild der Ereignisse gehört, dass die norwegische Exilregierung und der Widerstand im Lande anfänglich die Parole ausgaben, wonach die 16 Zwangsevakuierung das Werk der Deutschen und der NS-Regierung sei. Behinderung der Evakuierung war demnach auch eine Behinderung des militärischen Gegners und Hilfe für die Evakuierten war nach dieser Logik auch Unterstützung für den Gegner, so dass es aus Sicht der Exilregierung und des Widerstandes als ›unnational‹ galt, wenn sich medizinisches Personal für die Betreuung der Evakuierten zur Verfügung stellte. Darüber hinaus wurde beispielsweise durch norwegischen Druck aus London der sogenannte Hufeisenverkehr mit der Eisenbahn von Narvik über schwedisches Gebiet nach Südnorwegen gestoppt. Man verlangte von der schwedischen Regierung, dass die damit transportierten Evakuierten auf schwedischem Gebiet bleiben sollten. Dadurch wurde der von der NS-Regierung und dem Roten Kreuz zustande gebrachte zusätzliche Transportweg unterbunden. Deutsche Proteste gegen die Evakuierungsmaßnahmen Die Zerstörung von Nord-Troms und Finnmark war auch in den deutschen Reihen nicht unumstritten, jedoch weniger aus humanitärer Rücksichtnahme, sondern vielmehr wegen militärisch-technischer Bedenken im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit mancher Maßnahmen. Unter denen, die sich kritisch gegen die zwangsweise Evakuierung und die totale Zerstörung wandten, befanden sich beispielsweise Falkenhorst und sein Stab ebenso wie der Chef des XIX. Gebirgsarmeekorps, General der Gebirgstruppen Ferdinand Jodl. Beide schätzten die Gefahr russischen Nachdrängens gering ein, wie sie auch in der Mitwirkung an der Evakuierung eine zusätzliche schwere Belastung für die Truppe sahen, die »durch Kampf, Marsch und Rückführung militärischen Gerätes und sonstiger Vorräte« voll ausgelastet sei. Die Furcht vor verstärkter »Bandentätigkeit« bis hin zum »Aufflammen einer Partisanenbewegung« wurde ebenfalls gegen die Evakuierung angeführt. Sogar der berüchtigte Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Norwegen, SS-Oberführer Heinrich Fehlis, richtete am 28. Oktober 1944 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 warnende Worte an Terboven und Bormann. Fehlis bezweifelte nicht nur, dass die Mitnahme der obdachlos gewordenen Bevölkerung aus militärischen Gründen durchführbar sei, sondern er forderte auch die »Belassung von einzelnen Stück Vieh je Familie«, um das Leben der mitgeführten Kinder zu retten. Auch hielt er eine »geordnete Rückführung über See« für fraglich, was den »Tod zahlloser Menschen« nach sich ziehen würde. Die Stellungnahme aus dem Wehrmachtführungsstab vom 12. November 1944 stellte dagegen lakonisch fest, dass die »ausgesprochenen Befürchtungen und Folgen [...] im wesentlichen gegenstandslos geworden oder übertrieben gesehen« seien. Befreiung durch die Rote Armee Zu den vielfältigen Aspekten der norwegischen Erinnerung an die Aktion Nordlicht gehört auch der Umstand, dass die Zerstörung Nordnorwegens zugleich die Befreiung des norwegischen Festlandes von den deutschen Besatzern – wenn auch sehr teuer erkauft – einleitete. Für die norwegische Kriegsgeneration war dies vor allem die Leistung der Roten Armee. Auch in den Zeiten des Kalten Krieges galt das Verhältnis der Nordnorweger zu den nordöstlichen Nachbarn daher als entspannt und freundschaftlich und blieb weitgehend unbeeinflusst von der langjährigen Konfrontation der Machtblöcke. Im Gegenzug hielten sich hier entsprechend auch die Ressentiments gegen die Deutschen sehr viel länger als im übrigen Norwegen. bequemeren Weg gewählt hätte. Ein Stück weit war somit gegenseitiges Misstrauen Bestandteil beider Haltungen. Die norwegische Militärmission Als im Mai 1945 die Okkupationszeit mit der kampflosen Übergabe der »Festung Norwegen« endete, zog es viele Evakuierte bereits im Sommer des Jahres in ihre alten Wohnorte zurück. Das war von den Behörden so gar nicht erwünscht, aber der Rückkehrdrang und der Wiederaufbau ließen sich kaum steuern. Die Bevölkerung half sich erst einmal mit Baracken, die später festen Häusern wichen. Der langsame, mehrere Jahrzehnte dauernde Wiederaufbau alter Ortschaften in neuem Gewand konnte die Bevölkerung aber nicht mit ihrem Schicksal versöhnen, das ihr ohne eigene Schuld die Zerstörung der Heimat durch die deutschen Truppen im Spätjahr 1944 gebracht hatte. Einig war man sich darin, dass ein überraschend mildes Herbstwetter, wie man es seit 60 Jahren nicht mehr erlebt hatte, noch Schlimmeres verhindert hatte. Mit der Roten Armee überschritt – nicht ganz zur Freude, aber letztlich mit Zustimmung der Sowjets und der Westalliierten – auch eine norwegische Militärmission am 11. November mit knapp 300 Mann die sowjetisch-norwegische Grenze, um formal an der Befreiung norwegischen Bodens teilzunehmen. Sie kamen in eine weitgehend verwüstete Region, in der die menschlichen Siedlungen und Behausungen niedergebrannt waren. Ihre Aufgabe bestand vor allem darin, nach Landsleuten zu suchen, die vor der Evakuierung geflüchtet waren, sie mit dem Nötigsten zu versorgen und vor möglichen deutschen Übergriffen zu schützen. Gelegentlich kam es auch noch zu Zusammenstößen mit deutschen Sicherungstrupps, die im evakuierten Gebiet unterwegs waren. Innernorwegische Konflikte Die Begegnung mit den eigenen Landsleuten erwies sich als nicht unproblematisch, da sich die Erwartungen und Einstellungen der im besetzten Lande Verbliebenen und der aus dem Ausland zurückkommenden norwegischen Soldaten zum Teil sehr deutlich unterschieden. Die Landsleute konfrontierten ihre Soldaten mehr oder minder stark mit der Enttäuschung über die so lange ausgebliebene Hilfe ebenso wie mit der Unzufriedenheit über die auch jetzt noch mangelhafte Unterstützung. Die norwegischen Soldaten wiederum mussten erkennen, dass sie nicht nur unbequeme Bittsteller bei den Westalliierten und bei den Sowjets waren, sondern darüber hinaus auch von Teilen der eigenen Bevölkerung aus jener Gemeinsamkeit ausgeschlossen wurden, deren verbindendes Element die Erfahrung der Besatzung und das erlittene Leid bildeten. Das Gegenstück dazu war der latente Vorwurf aus den Reihen der Soldaten, wonach die im Lande Verbliebenen letztlich den Wiederaufbau mit Schwierigkeiten »Nordlicht« – ein verdrängtes Kapitel deutscher Geschichte? Narvik, Nordkap und Nordlicht sind Stichworte für traditionelle touristische Reiseziele – gerade für Deutsche jeden Alters. Sie tun gewiss gut daran, sich über die ganze Bedeutung des mythischen Begriffes »Nordlicht« zu informieren, bevor sie die Landschaft erkunden, die im Spätjahr 1944 evakuiert und verwüstet wurde. Zu einer nennenswerten deutschen Aufarbeitung des Geschehens ist es nie gekommen, durchaus im bequemen Gleichklang mit der formaljuristischen Sichtweise des amerikanischen Militärgerichtshofs V in Nürnberg vom 19. Februar 1948. Rendulic wurde dort zwar wegen Kriegsverbrechen in Jugoslawien zu insgesamt 20 Jahren Gefängnis verurteilt, in Bezug auf die Zerstörung Nordnorwegens jedoch freigesprochen – im Zweifel urteilte das Gericht zugunsten des Angeklagten. Im deutschen kollektiven Bewusstsein sind die geschilderten Ereignisse nicht verankert, handelt es sich doch um eine militärisch begründete Zerstörungsaktion wie andere im Verlauf des Zweiten Weltkrieges auch, ins nationale norwegische Gedächtnis sind sie aber eingebrannt als die humanitäre und wirtschaftliche Katastrophe des Landes – ins Werk gesetzt von deutschen Soldaten. Es sollte deshalb 45 Jahre dauern, bis Soldaten aus Kampfverbänden der Bundeswehr an NATOManövern in Nordnorwegen teilnehmen konnten. Bei der Rückführung der 20. (Geb.)Armee aus Finnland über Nordnorwegen wurden unter Hinweis auf einen Befehl Hitlers (»Mitleid mit der Zivilbevölkerung ist nicht am Platze«) in einem Gebiet von der anderthalbfachen Größe Dänemarks 50 000 Menschen evakuiert und dazu 11 000 Wohnhäuser zerstört, ebenso wie: 4700 Ställe und Nebengebäude, 230 Gebäude für Industrie und Handwerk, 420 Geschäfte, 306 Fischereibetriebe, 53 Hotels und Gastwirtschaften, 106 Schulen, 60 Gebäude der öffentlichen Verwaltung, 21 Krankenhäuser und Krankenstuben, 140 Versammlungsgebäude, 27 Kirchen; dazu kamen die Zerstörungen an Straßen, Brücken, Kaianlagen, Booten, Telefonmasten, Brunnen und Leuchtfeuern. Darüber hinaus wurden in den meisten Orten die Haustiere geschlachtet und Minen verlegt. Im übrigen Norwegen wurden zwischen 1940 und 1945 rund 4000 Wohngebäude beschädigt, davon 380 in Bodø sowie 156 total und 940 teilweise zerstört in Narvik1. 1 Angaben der Fylkeskonservatoren in Finnmark, Troms und Nordland, Wiederaufbauausstellung 1985, wiedergegeben in: Knut Einar Eriksen und Terje Halvorsen, Frigjørg, Oslo 1987 (= Norge i krig, Bd 8), S. 78. n Arnim Lang Abb. von S. 14 aus: Knut Einar Eriksen, Terje Halvorsen, Frigjøring, Oslo 1987 (= Norge i krig. Fremmedåk og frihetskamp 1940–1945. Hovedredaktør: Magne Skodvin, Bd. 8), S. 54 Abb. von S. 16 aus: Anders Ole Hauglid, Knut Erik Jensen, Harry Westrheim, Til Vefolkningen! Brannhøsten 1944 – gjenreisingen etterpä, Tromsø, Oslo, Bergen, Stavanger o.J., S. 45 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 17 Das Ende des »Dritten Reichs« »...Hoffnung auf eine bessere Zukunft« – das Ende des »Dritten Reichs« Am 30. Januar 1945, dem 12. Jahrestag der so genannten Machtergreifung, wandte sich Adolf Hitler in einer Rundfunkansprache das letzte Mal an die Deutschen. Er prophezeite ihnen die »Errettung des Volkes« und den Sieg über die »plutokratisch-bolschewistische Verschwörung«. Wenige Wochen später, am 18. März, erläuterte Hitler seinem Rüstungsminister Albert Speer in sozialdarwinistischem Wahn, dass das deutsche Volk sich in diesem Krieg als zu schwach erwiesen habe und »dem stärkeren Ostvolk … ausschließlich die Zukunft gehöre. Was nach dem Kampf übrig bliebe, seien ohnehin nur die Minderwertigen; denn die Guten seien gefallen.« Entschlossen, das deutsche Volk in seinen eigenen Untergang mitzureißen, verfasste Hitler in der Nacht zum 29. April 1945 sein Testament, in dem er den Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine, Großadmiral Karl Dönitz, zu seinem Nach- 18 folger im Amt des Reichspräsidenten und Oberbefehlshaber der Wehrmacht bestimmte. Als sich Hitler am folgenden Tag das Leben nahm, stand das Deutsche Reich vor dem völligen Zusammenbruch. Die deutsche Wehrmacht befand sich in Auflösung. Deutschlands Städte lagen in Schutt und Asche. In Berlin, das einmal Hauptstadt eines Großgermanischen Weltreichs werden sollte, stand die Rote Armee. Millionen Deutsche aus dem Osten des Reiches befanden sich auf der Flucht. Vormarsch der Anti-Hitler-Koallition Das Jahr 1945 begann unter den selben Vorzeichen, wie das Jahr 1944 endete, die Spuren der baldigen totalen Niederlage des Deutschen Reichs zeich- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 akg-images 5 Nach der Kapitulation: sowjetische Kampfflugzeuge überfliegen das Ullstein-Haus in Berlin-Tempelhof, Foto im Mai 1945. neten sich in immer präziseren Konturen ab. Zum einen endete die seit dem 16. Dezember 1944 laufende deutsche Ardennenoffensive (»Wacht am Rhein«) als katastrophale militärische Niederlage der Wehrmacht, zum anderen verwandelte sich auch die Großoffensive »Bodenplatte« der deutschen Luftwaffe in einen fatalen Misserfolg. Darüber hinaus drohten die Alliierten mit der systematischen Bombardierung deutscher Hydrierwerke, in denen synthetischer Treibstoff hergestellt wurde, die völlige Immobilität deutschen Kriegsgeräts herbeizuführen. Den Westalliierten gelang es Anfang Januar 1945 rasch, in Richtung Berlin vorzudringen. Im Februar erreichten die vorrückenden britischen, französischen und US-amerikanischen Truppen das Rheinland. Mit der Eroberung der Ludendorff-Brücke bei Remagen am 7. März gelang es den amerikanischen Kampfverbänden, einen Brückenkopf am östlichen Rheinufer zu errichten, von wo nun der westalliierte Angriff in das Zentrum des Deutschen Reichs erfolgen sollte. Die seit dem 12. Januar 1945 überaus erfolgreich laufende Winteroffensive der zahlen- und materialmäßig über- akg-images legenden Sowjetarmee rollte die Ostfront in kürzester Zeit von der Weichsel bis zur Oder auf. Zugleich setzte in der ersten Jahreshälfte 1945 eine chaotische und panikartige Massenflucht der deutschen Bevölkerung vor der Roten Armee aus Ostdeutschland, Ostmittel- und Südosteuropa in das westliche Reichsgebiet ein. Die Zahl der Deutschen, die durch die Flucht und später durch die von den neuen Machthabern durchgeführte Vertreibung ihre Heimat verloren, beläuft sich auf 12 Millionen; hinzu kommen 2 Millionen Tote. In Deutschland brach nun die Kriegswirtschaft zusammen und es gab keine erzwungenen Nahrungsmittelzufuhren mehr aus den vormals von deutschen Truppen besetzten Ländern, welche die Ernährung der deutschen Bevölkerung sichergestellt hatten. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln stockte. Nichts hielt die Alliierten in dieser Zeit stärker zusammen, als der unbändige Wille, das nationalsozialistische Deutschland zu vernichten. »Diese Entschlossenheit, den Sieg um jeden Preis zu erringen, gab der Kampfkraft der Alliierten Nahrung und stillte ihren Durst nach Vergeltung« (Richard Overy). Zur ersten direkten Begegnung der westalliierten und sowjetischen Verbände kam es am 25. April 1945 an der Elbe bei Torgau. Von Westen stieß die US-Armee mit der 69. Infanteriedivision über Leipzig nach Torgau vor. Von Osten näherte sich die sowjetische 58. Garde-Schützendivision der Stadt. Die stürmische Begrüßung der GI´s (Abk. für Government Issue, ugs. für den amerikanischen Soldat) durch Rotarmisten auf der zerstörten Elbbrücke in der Mitte Deutschlands stand symbolisch für das jähe Ableben des NSRegimes. Fünf Tage später hissten Soldaten des 756. Schützenregiments der 1. Weißrussischen Front der Roten Armee, nach erbitterten Kämpfen, die Rote Fahne auf dem Reichstag. Am 2. Mai brach die Verteidigung Berlins nach zehntägigen Kämpfen vollständig zusammen. Damit befand sich der mitteleuropäische Kernraum unter sowjetischer Kontrolle. Die westalliierten Truppen waren akg-images / Foto: Jewgeni Chaldej 4 Sowjetische Soldaten hissen auf der Quadriga des Brandenburger Tors die Flagge der Sowjetunion. 5 Bei Torgau an der Elbe treffen am 25. April 1945 vorgeschobene Teile amerikanischer und sowjetischer Truppen zusammen. Rotarmisten und US-Soldaten reichen sich auf der zerstörten Brücke die Hände. auf der Linie Wismar–Wittenberge– Elbe–Mulde–Karlsbad–Pilsen–Linz stehen geblieben. Der schnelle britische Vorstoß zur Ostsee zwischen Wismar und Lübeck hatte ein weiteres Vordringen der Roten Armee bis nach Schleswig-Holstein verhindert. Bedingungslose Kapitulation Großadmiral Karl Dönitz, der Anfang Mai die testamentarisch übertragene Regierungsgewalt und die Kontrolle über die verbliebenen deutschen Streitkräfte übernommen hatte, galt als Anhänger des nationalsozialistischen Gedankenguts, der auch noch in den letzten Kriegsmonaten an einer schicksalhaften Wendung für das Deutsche Reich festhielt. An einen militärischen Sieg in letzter Minute glaubte er jedoch nicht mehr. Nachdem er das nationalsozialistische Erbe angetreten hatte, war es sein Ziel, den Krieg auf eine Weise zu beenden, sodass noch möglichst viele Soldaten an der Ostfront vor der sowjetischen Kriegsgefangenschaft entkommen und möglichst viele Flüchtlinge in den Westen gelangen konnten. Um dafür genügend Zeit zu gewinnen, verfolgte Dönitz eine geschickte stufenweise Kapitulationspolitik, auf die vor allem die britische Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 19 Das Ende des »Dritten Reichs« 5 Soldaten der Wehrmacht passieren das Brandenburger Tor auf dem Weg in die Kriegsgefangenschaft, Foto Anfang Mai 1945. militärische Führung, aber auch einige amerikanische Befehlshaber eingingen. Am 4. Mai 1945 kapitulierten die deutschen Streitkräfte in den Niederlanden, in Nordwestdeutschland und in Dänemark. Ein lokal begrenztes Kapitulationsangebot, dass den Sowjets vorgelegt wurde, stieß allerdings in gleichem Maße auf Ablehnung, wie das von Dönitz an die Westalliierten gerichtete Angebot einer Teil-Kapitulation, das die Sowjets ausschloss. Die Anti-Hitler-Koalition bestand darauf, dass sich die deutschen Streitkräfte bedingungslos allen drei Alliierten ergeben müssten. Am 7. Mai 1945 wurde von Generaloberst Jodl eine erste umfassende Kapitulationsurkunde in der westfranzösischen Stadt Reims, dem Sitz des Hauptquartiers des Oberbefehlshabers der alliierten Streitkräfte in Europa (SACEUR), US-General Dwight D. Eisenhower, unterzeichnet, der zufolge »das Oberkommando der Deutschen Wehrmacht … allen unter deutschem Befehl stehenden Streitkräften den Befehl [gab], die Kampfhandlungen um 23.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit am 8. Mai 1945 einzustellen«. Um den Beitrag der Roten Armee an der Befreiung Europas vom NS-Regime zu würdigen, wurde eine Wiederholung der Kapitulation im Sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst vereinbart. Am 9. Mai 1945 um 0.16 Uhr unterzeichneten im Namen des Oberkommandos der Wehrmacht Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg und Generaloberst Hans-Jürgen Stumpff eine zweite Kapitulationsurkunde, die sich zwar sachlich nicht von 20 der des Vortages unterschied, mit der aber erst der Krieg in Europa zu einem Ende gebracht werden konnte. Besatzung Pläne und Gedanken, was mit Deutschland nach der bedingungslosen Kapitulation geschehen sollte, hatten sich zwar die Alliierten Mächte gemacht, eine einheitliche politische Konzeption hatten sie aber nicht entwickelt. Nahmen bereits die Spannungen zwischen den Hauptsiegermächten in den letzten Wochen des Krieges scharfe Konturen an, kam in den Wochen nach der Kapitulation, auf Grund unterschiedlicher Vorstellungen zunehmend Unsicherheit über das künftige Verhältnis zwischen den beiden »Supermächten« USA und UdSSR auf. Die Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde wurde somit zugleich die Schnittstelle zwischen zwei Epochen der europäischen Geschichte. Solange aber insbesondere der Krieg in Ostasien anhielt, überwog die Bereitschaft zur Kooperation gerade auf amerikanischer Seite. Ein Sieg über Japan ohne sowjetische Hilfe galt zum damaligen Zeitpunkt als nahezu ausgeschlossen. Einig blieben sich die »Waffenbrüder« zunächst in der Frage der Verbrechensaufklärung und Bestrafung der Verantwortlichen des Dritten Reiches, dessen Schrecken nun immer massiver ans Tageslicht drangen und die Abscheu der Kriegsgegner Deutschlands vor dem nationalsozialistischen Regime vermehrten. Über die Einrichtung eines internationalen Gerichtsver- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 akg-images fahrens, dem die Alliierten selbst vorstehen würden, konnte ein Konsens gefunden werden. Auch die Wiederherstellung der Souveränität ehemals deutsch besetzter Staaten wie Österreich, Polen und der Tschechoslowakei fand allgemeine Zustimmung. Außerdem kam man überein, sich die amtierende Regierung Dönitz zunutze zu machen, um eine geordnete und schnelle Kapitulation zu gewährleisten. Die Alliierten waren ebenfalls daran interessiert, die isolierten deutschen Truppen von den französischen Atlantikhäfen bis zur Ostsee sowie die deutschen U-Boote auf See so schnell wie möglich zur Aufgabe der Kampfhandlungen zu bewegen. Insgesamt gerieten etwa 11,1 Millionen deutsche Soldaten in alliierte, davon circa 3,15 Millionen in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Am 23. Mai 1945 wurden alle Mitglieder der Regierung Dönitz verhaftet. Im Gegensatz zum Kriegsende 1918 existierte in Deutschland nach der unter sowjetischem Druck herbeigeführten Verhaftung des Kabinetts Dönitz keine Zentralregierung mehr und somit auch keine Instanz, die den Anspruch hätte erheben können, im Namen des gesamten deutschen Volkes zu sprechen. Diese Situation wurde von den Alliierten bewusst herbeigeführt, entsprach sie doch ihrer Abneigung, irgendwelche Kontakte auf Regierungsebene mit den ehemaligen Führungspersönlichkeiten des Dritten Reichs aufzunehmen. Um ihre Herrschaftsansprüche sichtbar zum Ausdruck zu bringen, gaben die Alliierten am 5. Juni 1945 die Berliner Erklärung ab, mit der sie die »oberste Regierungsgewalt in bezug SKA 5 Nachdem bereits am 31. August 1994 die sowjetischen Streitkräfte offiziell verabschiedet worden waren, war der Große Zapfenstreich der Bundeswehr am 8. September 1994 zur Verabschiedung der westlichen Alliierten ein Zeichen der Freundschaft und der wiedergewonnenen gesamtstaatlichen Souveränität. auf Deutschland« übernahmen, darin aber gleichzeitig feststellten, dass dies nicht eine Annexion von Deutschland bedeute. Gleichwohl wurde durch diese einseitige Deklaration der Alliierten nun nach der militärischen auch die staatlich-politische Kapitulation formal vollzogen. So wurde erst 1990 im 2+4 Vertrag eine abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland durch die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges getroffen. Der Einzug der westalliierten Truppen in ihre Berliner Sektoren ebnete den Weg für die Schlusskonferenz der siegreichen Alliierten in Potsdam. Zur selben Zeit, vom 1. bis 4. Juli 1945, marschierte die Rote Armee in die zuvor von westalliierten Truppen besetzten Gebiete Sachsens, Brandenburgs, Mecklenburgs sowie Thüringens ein. Konferenz von Potsdam Auch wenn es auf der Konferenz von Potsdam vom 17. Juli bis 2. August 1945 den »Großen Drei« (d.h. der sowjetische Diktator Stalin, US-Präsident Harry S. Truman und der britische Premierminister Clement Attlee) mit Frankreich an ihrer Seite nochmals gelang, nach außen den Eindruck einer Solidargemeinschaft zu vermitteln, so wurden die Verhandlungen von zunehmenden Interessengegensätzen, vor allem zwischen den beiden Westmächten Großbritannien und USA einerseits und der UdSSR andererseits, überschattet. Besonders umstritten waren die neuen polnischen Grenzen (»Westverschiebung« Polens) und die deut- schen Reparationszahlungen. Nach fast zweiwöchigen ergebnislosen Beratungen gelang es jedoch US-Außenminister James Francis Byrnes, in direkten Verhandlungen mit seinem sowjetischen Amtskollegen Wjatscheslaw M. Molotow, der Konferenz doch noch zu einem Erfolg zu verhelfen. Unter stillschweigendem Fallenlassen der »Zerstücklungspläne« in Bezug auf Deutschland einigten sich die »Großen Drei« am 30. Juli 1945 darauf, Deutschland während der Besatzungszeit zumindest als »wirtschaftliche Einheit« zu betrachten. Zwar sollte »bis auf weiteres« keine deutsche Zentralregierung geschaffen werden, wohl aber unter dem Dach des Alliierten Kontrollrats »einige wichtige zentrale deutsche Verwaltungsstellen« unter »Staatssekretären« ins Leben gerufen werden. Darüber hinaus verzichtete die UdSSR auf Zahlung einer festen Reparationssumme, wenn die Westmächte, so die Kompromissformel, einer Westverschiebung der polnischen Grenze an die Flüsse Neiße und Oder bis zum Abschluss eines Friedensvertrags zustimmten. Dennoch wurden auf dem Territorium Restdeutschlands mit dem Potsdamer Kommuniqué zwei voneinander getrennte ökonomische Sphären (sozialistische und kapitalistische Ordnung) geschaffen. Eine Teilung Deutschlands auf der Ost-West-Demarkationslinie wurde fortan maßgeblich von der Entwicklung des sowjetisch-amerikanischen Verhältnisses bestimmt. Der Abwurf der beiden ersten Atombomben über Hiroshima (6. August 1945) und Nagasaki (9. August 1945), und die damit einhergehende verheerende Vernichtung beider Städte, brachte Japan unter dem Eindruck einer politisch-militärisch-technologischen Katastrophe dazu, auf raschem Wege das »Feuer einzustellen«. Mit der Unterzeichnung der Kapitulation des japanischen Kaiserreichs am 2. September 1945 endete nun auch der Zweite Weltkrieg formell in Ostasien. In einer Welt des ideologischen Gegensatzes zwischen US-amerikanischen Demokratievorstellungen und sowjetischen Kommunismusvisionen sollte die am Ende des Zweiten Weltkriegs geschaffene atomare Bedrohung die Kriegsgefahr zwischen den einstigen gegen Hitler Verbündeten Mächten für die nächsten Jahrzehnte bannen. Am Ende der Katastrophe für Deutschland, für Europa und die Welt, stand so der Beginn einer neuen Weltordnung, die knapp ein halbes Jahrhundert das Schicksal der Menschen bestimmen sollte. Für die Deutschen bedeutete das Kriegsende nicht nur die von außen unternommene Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes und den Auftakt zu über vierzig Jahren zweistaatlicher Entwicklung. Das Leben ging eben auch damals weiter, und gemessen am 30. Januar 1933, begriffen letztlich die Deutschen, wie der ehemalige Bundespräsident Richard Freiherr von Weizsäcker 1985 feststellte, das Ende des Zweiten Weltkriegs in der Tat als Befreiung, barg dieses Ende doch »den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft«. n Richard Göbelt Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 21 Service Das historische Stichwort 5 Angriff eines japanischen Torpedobootes auf ein russisches Kriegsschiff; Farbholzschnitt, Japan D er Krieg kam buchstäblich über Nacht. Die Besatzungen der Kriegsschiffe auf der Reede vor Port Arthur wurden in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 1904 durch Explosionen aus dem Schlaf gerissen, als japanische Torpedoboote überraschend angriffen. Vor dem koreanischen Hafen Chemulpo schaltete ein überlegenes japanisches Geschwader den russischen Kreuzer »Warjag« und das Kanonenboot »Korejetz« aus. Die japanische Flotte unter Admiral Tōgō Heihachiro war bereits in See, um den russischen Hafen zu blockieren und japanische Truppen hatten mit der Landung in Korea begonnen. Japan hatte erst kurz zuvor die diplomatischen Beziehungen mit dem Zarenreich abgebrochen und nun ohne Kriegserklärung den Krieg um die Vormachtstellung in Nordostasien begonnen. Obwohl der eigentliche Kriegsausbruch für viele Zeitgenossen plötzlich kam, hatte sich der Konflikt lange angekündigt. Japan hatte sich nach seiner erzwungenen Öffnung 1853 in rasantem Tempo modernisiert und bald begonnen, ostasiatische Großmachtambitionen zu entwickeln. 1894/95 kam es zum Krieg zwischen Japan und 22 1904/05 China um die Vorherrschaft in Korea. Japan siegte und erlangte nicht nur weitgehend freie Hand in Korea, sondern auch den chinesischen Kriegshafen Port Arthur. Diesen Hafen an der Südspitze der Halbinsel Liaodong in wichtiger strategischer Lage wollte Russland den Japanern aber nicht zugestehen und drängte Japan gemeinsam mit Frankreich und Deutschland 1895 im Einspruch von Shimonoseki erfolgreich zum Verzicht – um den Hafen nur drei Jahre später selbst zu annektieren. Zum Ende des 19. Jahrhunderts drang Russland verstärkt in die chinesische Mandschurei vor und streckte seine Fühler nach Korea aus. Dieses russische Vorgehen kollidierte direkt mit den Expansionsplänen Japans. Bereits im März 1901 warnte der deutsche Marineattaché in Tokio, Korvettenkapitän Erich Gühler, »dass Japan, vielleicht in naher Zukunft, sich genötigt sieht zum Schutz wirklicher oder vermeintlicher Interessen, mit bewaffneter Hand Russland gegenüber zu treten.« Der russisch-japanische Konflikt war der erste Krieg der Moderne. Waren im amerikanischen Bürgerkrieg bereits Elemente des totalen Krieges zu verzeichnen und wurde der Burenkrieg in Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 Südafrika 1899–1902 schon mit Schützengräben, Maschinengewehren und Stacheldraht geführt, entfaltete sich im russisch-japanischen Krieg zum ersten Mal fast die ganze Palette der Militärmaschinerie, die allgemeinhin erst mit dem Ersten Weltkrieg verbunden wird. Der Kampf um Port Arthur und die folgende Schlacht bei Mukden nahmen in vieler Hinsicht bereits den Grabenkrieg an der Westfront vorweg. Auch der Krieg zur See brachte erstmals umfangreiche Erfahrungen mit Torpedoeinsätzen und Minenfeldern. Die Japaner nutzten von Beginn an die Schwäche ihres Gegners. Ende April 1904 überschritten japanische Truppen den Yalu, den Grenzfluss zwischen Korea und China. Bis Ende Mai gelang es ihnen, die Russen soweit zurückzudrängen, dass sie Port Arthur von den Verbindungen zum russischen Feldheer abgeschnitten hatten. Im August überstürzten sich die Ereignisse: Die Japaner hatten inzwischen das Vorgelände Port Arthurs erobert und begannen mit dem direkten Angriff auf die Festung selbst. Am 9. August gelang mit dem Erstürmen der Höhe bei Takuschan der wohl entscheidende Durchbruch – jetzt konnte die japanische bpk, Berlin / Original: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Museum für Ostasiatische Kunst / 90000(3)-E1432; Foto: Dietrich Graf Der russisch-japanische Krieg Ingeneurbüro J. Zwick, Gießen Artillerie direkt in die Stadt schießen. Hatte die russische Flotte im Hafen von Port Arthur bislang mit ihren Geschützen die Verteidigung unterstützt, war sie jetzt dem japanischen Feuer ausgeliefert. Admiral Witthöft ging am 10. August mit einem Geschwader von sechs Linienschiffen und vier Kreuzern in See. Der russische Ausbruchsversuch scheiterte kläglich. Nur dem Linienschiff »Zessarewitsch«, drei Kreuzern und einigen kleineren Schiffen gelang der Durchbruch, Witthöft selbst wurde getötet. Der Rest der Flotte kehrte nach Port Arthur zurück und blieb dort bis zum Fall der Stadt. Die ausgebrochenen Schiffe legten in neutralen Häfen auf, die oberflächlich beschädigte »Zessarewitsch« im deutschen Pachtgebiet Tsingtau. (siehe Militärgeschichte 2/2004) Gleichzeitig tobte der Krieg auf der Landseite. Die Annahme auf russischer Seite, dass sich mit dem weiteren Kriegsverlauf eine Überlegenheit zu Land ergeben würde, trog. Der »Goliath« Russland erwies sich im Verlauf des Krieges immer wieder dem Ansturm des »David« Japan unterlegen. Nach der Schlacht von Liaoyang vom 26. August bis 3. September reklamierte der russische Oberbefehlshaber General Aleksej N. Kuropatkin (1848–1925) zwar den Sieg für sich, musste aber dennoch den Rückzug antreten. Der Versuch einer groß angelegten Südoffensive scheiterte im Oktober. Port Arthur blieb abgeschnitten. Obwohl die Besatzung die Stadt noch wochenlang halten konnte und die japanischen Angreifer hohe Verluste zu verbuchen hatten, musste Port Arthur am 2. Januar 1905 kapitulieren. Auch die russischen Truppen in der Mandschurei gerieten weiter in die Defensive. Nach der Niederlage in der Schlacht bei Mukden vom 19. Februar bis 10. März – bis dahin vielleicht der größten Landschlacht der Geschichte mit fast einer halben Million Soldaten auf beiden Seiten – war Russland zu Land geschlagen. Die Schlacht endete mit dem ungeregelten Rückzug der russischen Armee. Endgültig besiegelt wurde die russische Niederlage aber erst zur See. Russland hatte 1904 seine baltische Flotte mobilisiert und – ergänzt durch verschiedene, teilweise kaum brauchbare Kriegsschiffe – im Oktober als 2. ostasiatisches Geschwader unter dem Kommando Admiral Roshestwenskijs (1848–1909) zum Entsatz nach Port Arthur geschickt. Es sollte sich in Ostasien mit den in Port Arthur eingeschlossenen Schiffen vereinigen, die japanische Flotte besiegen und damit zur See das Blatt wenden. Aus verschiedenen Gründen verzögerte sich die Fahrt des Geschwaders, so dass es erst weit nach der Kapitulation Port Arthurs Japan erreichte. Am 27. und 28. Oktober wurde das russische Geschwader in der Seeschlacht von Tsushima von der japanischen Flotte unter Admiral Tōgō vernichtend geschlagen. Die Seeschlacht von Tsushima steht in Dimension und Bedeutung in einer Reihe mit so klangvollen Namen wie Salamis (480 v. Chr.), Lepanto (1571) oder Trafalgar (1805). Im Juni akzeptierten beide Kriegsgegner das Angebot der USA, einen Friedensvertrag zu vermitteln. Für Russland war der Krieg auf ganzer Linie verloren und Japan war durch die hohen Verluste und die immensen Kriegskosten auch kaum noch in der Lage, die Kampfhandlungen fortzuführen. In dem am 5. September unterzeichneten Friedensvertrag von Portsmouth musste Russland die Halbinsel Liaodong mit Port Arthur und die südliche Hälfte Sachalins an Japan abtreten, zusätzlich erhielt Japan außerordentliche Sonderrechte in Korea. Der russisch-japanische Krieg war für die Europäer keineswegs so weit entfernt, wie es zunächst den Anschein haben mochte. Die Niederlage in Ostasien bedeutete nicht nur einen enormen Prestigeverlust für Russland, sondern hatte das Zarenreich auch militärisch deutlich geschwächt – spätestens nachdem Russland in der Schlacht von Tsushima im Mai 1905 fast seine komplette Flotte eingebüßt hatte. Der Krieg war ein wichtiger Auslöser für die russische Revolution von 1905, die deutlich die politische Instabilität des Zarenreichs aufzeigte. Insofern spielte der russisch-japanische Krieg nicht nur als militärischer Erfahrungshorizont, sondern auch durch seine konkreten Ergebnisse eine nicht zu unterschätzende Rolle im Vorfeld des Ersten Weltkriegs – immerhin war eine Überlegung auf deutscher Seite noch 1914, dass ein Krieg gegen Russland geführt werden müsse, bevor das Zarenreich wieder seine alte Stärke erreicht habe. Japan etablierte sich dagegen nach 1905 als neue Großmacht in Ostasien und legte mit dem Sieg über Russland den Grundstein zu einer aggressiven Expansionspolitik, die erst mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg beendet wurde. Cord Eberspächer Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 23 Service Medien online/digital Feuersturm. Der Bombenkrieg »Der Führer muss beseitigt gegen Deutschland werden« die Uhrig-Römer-Gruppe, die dem kommunistischen Widerstand zuzurechnen ist. Eindrucksvoll und in minuziöser Genauigkeit widmet sich Sarkowicz den beiden bekanntesten Attentatsversuchen: vom 8. November 1938, für das der Königsbrunner Schreiner und Uhrmacher Georg Elser die Verantwortung trug (siehe Militärgeschichte Heft 1/2003), und vom 20. Juli 1944 (siehe Militärgeschichte Heft 3/2004). Mit Hilfe zahlreicher Original-Tondokumente aus dem Rundfunk und Zeitzeugengesprächen hat Sarkowicz ein lebendiges aber auch zugleich beklemmendes Feature geschaffen, das den Zuhörer für 75 Minuten in eineWelt aus Konspiration, Terror, Furchtlosigkeit, Rache und Mord entführt. online D ie DVD mit dem leider etwas reißerischen Titel »Feuersturm« lässt die Kontrahenten der Debatte über den alliierten Luftkrieg gegen Deutschland, Jörg Friedrich und Richard Overy, zu Wort kommen. Kurze Interviews mit beiden Historikern durchziehen wie ein roter Faden das Programm. In 14 Kapiteln, die u.a. »Strategie des Bombenkrieges«, »Aufräumarbeiten« und »Luftkampf« schildern, nähert sich die Darstellung dem Komplex Bombenkrieg aus verschiedenen Richtungen. Luftkrieg wird hierbei als Teil des »totalen Krieges« verstanden. Zeitgenössisches Filmmaterial zu den Luftangriffen auf Hamburg, Braunschweig, Berlin, Dresden, Köln und Swinemünde (heute Świnoujście) findet Verwendung. Ein US-Propagandafilm über die Bomberbesatzung einer B-17 sowie Filmaufnahmen, die aufgrund ihrer »demoralisierenden Wirkung« von Goebbels´ Propagandaministerium kassiert wurden, vermitteln ein bedrückendes Bild des Krieges. Als Fazit bleibt: Die DVD hilft beim Versuch, die deutsche Niederlage 1945 in ihrer Totalität zu begreifen – eine Voraussetzung für die Beschäftigung mit der Nachkriegsgeschichte. aak Feuersturm. Der Bombenkrieg gegen Deutschland [DVD-Edition Spiegel TV history] € 22, 99 24 K urz vor dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 sagte Berthold Graf von Stauffenberg, der Bruder des bekannteren Attentäters Claus: »Das Furchtbarste ist, zu wissen, dass es nicht gelingen kann und dass man es dennoch für unser Land und unsere Kinder tun muss.« Als Zeitreise in das nationalsozialistische Deutschland beleuchtet das Hörbuch von Hans Sarkowicz »Der Führer muss beseitigt werden« die Richard Göbelt Widerstand und Dissidenten über 40 Versuche, den Diktator des »Dritten Reiches« zu töten. Dass alle Attentate scheiterten ist bekannt. Der selbsternannte Führer nahm sich im Angesicht der totalen Niederlage am 30. April 1945 selbst das Leben. Sarkowicz beabsichtigt mit seiner Dokumentation, die Hintergründe für das Misslingen der Anschläge und die Motive der einzelnen Umstürzler dem Zuhörer näher zu bringen. Hitler selbst bemühte als Erklärung für das Scheitern der Attentate die »Vorsehung«, unter deren besonderem Schutz er zu stehen glaubte. Zwar kam der Zufall Hitler öfters zur Hilfe, doch spielte auch er nicht die ausschlaggebende Rolle. Vielmehr war es Hitler selbst, der oft spontan handelte, Routen ständig änderte, Zeitpläne umschreiben lies und damit längerfristig geplanten Aktionen jegliche Aussicht auf Erfolg nahm. Die Attentäter, die zwischen 1933 und 1944 dem Diktator entgegentraten, so wird deutlich, kamen aus allen sozialen Schichten und vertraten verschiedene politische Auffassungen: der Student Helmut Hirsch etwa, die Offiziere um Ludwig Beck und Franz Halder oder Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 I n den Novembertagen des Jahres 1976 schlossen sich erstmals seit vielen Jahren namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der DDR zusammen, um sich mit einer gemeinsamen Erklärung gegen die Entscheidung der SED Führung zu stellen, den Liedermacher Wolf Biermann auszubürgern. »Wolf Biermann war und ist ein unbequemer Dichter – das hat er mit vielen Dichtern der Vergangenheit gemein. Unser sozialistischer Staat [...] müßte [...] eine solche Unbequemlichkeit gelassen nachdenkend ertragen können.« Der SED Führung war aber eine Haltung fremd, die mit öffentlicher Kritik gelassen umzugehen vermochte. Nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns eröffnete das Regime eine Medienkampagne gegen all jene, die mit Biermann sympathisierten. Innerhalb eines Jahres verließen 30 bekannte Künstler die DDR. Besonders hart gingen SED und Staatssicherheit gegen jene Unterstützer Biermanns vor, die nicht durch ihre Prominenz geschützt waren. Allein vom 17. bis zum 21. November 1976 wurden 40 Menschen festgenommen, unter ihnen viele Angehörige oppositioneller Gruppen. Die Geschichte um Wolf Biermann steht exemplarisch für all jene Men- digi Oberst i.G. Albrecht Ritter von Mertz von Quirnheim und Major Philipp Freiherr von Boeselager. Insgesamt bleibt aber die Frage offen, wie und mit welchen konkreten Mitteln überhaupt antidiktatorischer Widerstand in den beiden unterschiedlichen Diktaturen untersucht wurde. Dies wäre auch insofern notwendig, um von vornherein der Gefahr einer Gleichsetzung der beiden Regime zu begegnen. Wünschenswert wäre auch eine audiovisuelle Ergänzung des, ansonsten einmaligen, Internetangebots. Richard Göbelt Operation Gomorrha I m Zuge der »Operation Gomorrha« starben in der Nacht vom 27./28. Juli 1943 binnen drei Stunden 35 000 Menschen im Bombenhagel des alliierten Luftangriffs gegen Hamburg. In keiner deutschen Stadt sind jemals so viele Menschen innerhalb so kurzer Zeit getötet worden. Unter www.bombenkrieg-gegen-hamburg.de schen, die während des NS-Regimes und in der DDR der Willkürherrschaft widerstanden, Zivilcourage leisteten und mit höchstem persönlichem Risiko für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie eintraten. Gerade anhand von Einzelschicksalen zeigt die Internetseite www.gegen-diktatur.de, die im Zuge der gleichnamigen Ausstellung entstand, wie und woran sich Opposition und Widerstand gegen Diktatur in Deutschland entzündete. Was antidiktatorischer Widerstand bedeutet, wird in insgesamt 30 Unterkapiteln, die untereinander verlinkt sind, in seiner ganzen Vielfalt dargestellt. Zahlreiche Biografien, Briefe, Bilder und Publikationen zeigen das gesamte Spektrum widerständigen Verhaltens. So finden sich auch hier konkrete Einblicke in den militärischen Widerstand im Dritten Reich, sei es anhand so berühmter Oppositioneller wie Oberst i.G. Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Generalmajor Henning von Treskow, oder dem Laien nicht so bekannte wie ital bietet das Landesbildarchiv Hamburg einen besonders bewegenden Einblick in die Ereignisse der Julinacht des Jahres 1943. Bereits das Intro, mit seiner schwermütigen Musik und seinen schockierenden Bildern der zerstörten Hansestadt, bietet dem Betrachter einen bedrückenden Überblick über das ganze Ausmaß des Schreckens. In vier Kapiteln wird die Geschichte des Angriffes, seine Auswirkungen und das damit verbundene Schicksal der Hamburger Bevölkerung in prägnanter Weise erzählt. Wer sich für weiterführende Lektüre interessiert, dem sei der Link Buchtipps empfohlen. Dort werden regionalspezifische Publikationen zur Geschichte Hamburgs im Krieg vorgestellt. Ansonsten finden sich auf der Website zahlreiche Fotographien, die den Zustand der Stadt Hamburg und das Leid der Zivilbevölkerung nach den schweren Luftangriffen veranschaulichen. Angesichts dieser erschreckenden Aufnahmen rücken die Motive für den Bombenkrieg insgesamt, dem auch unzählige andere europäische Städte zum Opfer fielen, in den Hintergrund. Die Dokumentation sensibilisiert also vielmehr den Betrachter für die Leiden der Zivilbevölkerung, als das sie versucht eine wissenschaft- liche oder militärische Erklärung für das Geschehene zu geben. Gleichzeitig regt sie aber auch Interesse, sich auf eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema Bombenkrieg einzulassen. Die Internetseite leistet damit einen wichtigen Beitrag, die Erinnerung an den Luftkrieg des Zweiten Weltkriegs in unserem historischen Bewusstsein zu bewahren. Richard Göbelt Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 25 Service Lesetipp Kriegsende 1945 Erster Weltkrieg E s verdient Anerkennung, wie der renommierte Publizist und frühe Hitler-Biograph Joachim Fest das Ende des Diktators und den Zusammenbruch des »Dritten Reichs« vor dem geistigen Auge des Lesers auszubreiten versteht. Zwei Wochen dauerten die Kämpfe um Berlin, nachdem die Rote Armee ihre Offensive am 16. April 1945 begonnen hatte. Sie endeten kurz nachdem sich Hitler am 30. April das Leben genommen hatte. Sein persönliches Scheitern vor Augen, war es dem Diktator seit längerem allein darum gegangen, den eigenen geschichtsmächtigen Untergang zu B rauchen wir eine neue Heldenverehrung? Der Journalist Jürgen Busche meint ja und plädiert deshalb in seinem unterhaltsam geschriebenen Buch für eine Aufwertung von Heldentum. Angesichts der Tatsache, dass Kampfeinsätze der Bundeswehr fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind, möchte er, dass die militärischen Leistungen der Deutschen im 20. Jahrhundert wieder mehr gewürdigt Joachim Fest, Der Untergang. Hitler und das Ende dass »er politisch nie zu den Klügsten im Lande gehört hatte«, wirklich ein Vorbild für Soldaten der Bundeswehr sein? Busches Wunsch nach Reaktivierung der alten »Helden« ist mehr als überflüssig. Thomas Morlang M it ausgesprochen schwungvoller Feder und großem erzählerischen Können entwirft Michael Salewski in seinem Buch »Der Erste Weltkrieg« ein Panorama der Jahre von 1914 bis 1918. Salewski versucht mit seinem Weltkriegswerk eine Art »eigenständige Textsorte« zu konzipieren, indem er auf interessante Weise Parallelen zu anderen historischen Entwicklungen und Konstellationen aufzeigen will. Im Resultat ergibt sich eine sehr meinungsfreundliche Darstellung, die durch den Einschub bisweilen eher kontrafaktischer Gedan- des Dritten Reiches. Eine historische Michael Salewski, Skizze. Der Erste Weltkrieg, Reinbek: Rowohlt 2. Aufl., Paderborn Taschenbuchverlag 2004. 2003. ISBN 3506774034; ISBN 3-399-61537-1; 208 S., 8,90 € Jürgen Busche, 400 S., 29,90 € Heldenprüfung. Das verweigerte Erbe des Ersten Weltkriegs, München 2004. ISBN 3-421-05779-6, inszenieren. Und als Bühne für den Schlussakt des nationalsozialistischen Dramas diente die Reichshauptstadt. In geradezu fesselnder Weise beschreibt Fest die Vorgänge in der isolierten Bunkerwelt des »Führerhauptquartiers«, während die Millionenstadt die Apokalypse erlebte. Der Leser erhält vielfältige Eindrücke von der in permanentem Ausnahmezustand befindlichen und in Auflösung begriffenen Gesellschaft in den letzten Tagen der NSHerrschaft. Zwischen die den Fortgang der Ereignisse erzählenden Kapitel hat Fest zusätzliche Beiträge eingeschoben, die das Geschehen in den Gesamtzusammenhang der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus einbetten. Fazit: ein spannend geschriebenes und nachdenklich stimmendes Buch über einen historischpolitischen Untergang, den ungezählte Betroffene als Weltuntergang empfanden. Andreas Kunz 26 196 S., 18,90 € werden. Denn die deutschen Soldaten, die in Auslandseinsätzen ihr Leben riskierten, hätten ein Recht auf offiziell verordnete Vorbilder, anderenfalls würden sie sich ihre eigenen suchen. Aber welche Militärs haben überhaupt Vorbildcharakter? Busche schlägt sechs Namen vor, allesamt Männer, die vor allem wegen ihrer Taten während des Ersten Weltkriegs zu Kriegshelden gemacht wurden. Zu ihnen gehören die Marineoffiziere Franz von Hipper und Felix Graf Luckner, der Jagdflieger Ernst Udet, »Wüstenfuchs« Erwin Rommel, der Schriftsteller Ernst Jünger sowie der Kolonialoffizier Paul von Lettow-Vorbeck, deren Lebensläufe der Autor ausführlich und mit unverhohlener Sympathie schildert. Doch Busches Auswahl überzeugt nicht. Kann etwa jemand wie Lettow-Vorbeck, der am Kapp-Putsch 1920 beteiligt war und über den selbst der Autor schreibt, Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 kenspiele (also der Frage »was wäre gewesen wenn...«), an mehreren Stellen zum Widerspruch herausfordert. Doch dies macht gerade den Reiz der Darstellung aus, zumal sich Salewski hiermit auch auf einem Feld der Geschichtswissenschaft bewegt, dem in der Vergangenheit schnell das Markenzeichen unseriös aufgetragen wurde, aber in letzter Zeit in der angloamerikanischen Geschichtsforschung immer mehr Anklang findet. Salewski wendet sich gegen dogmatische Betrachtungsweisen und gibt so den Blick auf alternative Ereignisketten frei. Die Schilderung des Ersten Weltkriegs, in deren Mittelpunkt die Betrachtung der deutschen Politik und Kriegsführung steht, erhebt somit keinen Anspruch darauf, den Anforderungen eines Hand- oder Lehrbuches zu genügen. Gerade der eher essayistische Stil des Bandes trifft den Nerv des historisch interessierten Laien. Wer sich insbesondere über die Seekriegführung des Deutschen Reiches, die strategische Grundkonzeption des Krieges und den Gang der Kampfhandlungen informieren möchte, findet hier eine reichhaltige und vor allem leserfreundliche Lektüre. Richard Göbelt Die Leipziger Prozesse N ach dem für das Deutsche Reich 1918 verlorenen Ersten Weltkrieg planten die siegreichen Ententemächte, deutsche Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen. Denn die Empörung über die deutsche Kriegführung war zu groß, als dass in einem Friedensvertrag wie üblich einfach eine Amnestie für die verantwortlichen Politiker und Generale hätte vereinbart werden können. So war beispielsweise in der amerikanischen Öffentlichkeit die Versenkung des Schiffes »Lusitania« unvergessen, die Bevölkerung Frankreichs und Belgiens beschuldigte die deutschen Truppen, hunderte Zivilisten ermordet zu haben, und in Großbritannien warf man dem gericht, zehn Beschuldigte angeklagt, von denen anschließend vier verurteilt wurden. Alle anderen Verfahren wurden eingestellt – das letzte im Jahr 1931. Im Laufe der Prozesse wurden erstmalig die Rechtmäßigkeit von Kriegshandlungen sowie die Frage geprüft, was als Kriegsverbrechen anzusehen ist. Letztlich scheiterte dieser erste Versuch der straf- und völkerrechtlichen Untersuchung des Ersten Weltkrieges; viele der vor Gericht behandelten Tatvorwürfe konnten nicht aufgeklärt werden und ein Teil der Juristen erwies sich als unfähig, von eigenen patriotischen oder nationalistischen Überzeugungen Abstand zu nehmen. Nicht zuletzt wegen dieser Erfahrungen entschieden sich die Alliierten 1945, die Rechtsprechung bei den Nürnberger Prozessen nicht noch einmal deutschen Richtern anzuvertrauen. Das Scheitern der Leipziger Prozesse behandeln die beiden hier vorgestellten Bücher. Während sich Hankels Buch auf die Prozesse als solche konzentriert, bieten Horne und Kramer in ihrem Buch Einblick in die Entstehung späterer Anklagepunkte. Anhand des Auftretens der deutschen Truppen wäh- John Horne und Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004. ISBN 3-930908-94-8; 741 S., 40,00 € Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrecht- Reich insbesondere den als heimtückisch empfundenen U-Boot-Krieg vor. Als Beschuldigte sollten über neunhundert Militär- und Zivilpersonen, u.a. der abgedankte Kaiser Wilhelm II und die deutsche Generalität, angeklagt werden. Die neue, republikanische Reichsregierung erklärte sich schließlich bereit, die Beschuldigten vor ein deutsches Gericht zu stellen, so dass die Siegermächte auf die Durchführung eines internationalen Tribunals verzichteten. In den Jahren 1921/22 wurden dann vor dem höchsten deutschen Gericht, dem Leipziger Reichs- liche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003. ISBN 3-930908-85-9; 550 S., 30,00 € rend der Besetzung Belgiens und Teilen Frankreichs werden die Folgen einer harten Besatzungspolitik für die Zivilbevölkerung geschildert. Die Autoren zeigen zudem die Auswirkungen einer sich gegenseitig verleugnenden Propaganda, die das eigentliche Geschehen stark dramatisiert bzw. verschleiert. Beiden Büchern ist letztlich gemein, dass sie Einsichten in einen oftmals vergessenen Aspekt des Ersten Weltkrieges gewähren. Ihnen ist deshalb ein großer Leserkreis zu wünschen. Clemens Heitmann und René Henn Höchstädt 1704 Was waren das für Zeiten, als der Militärhaushalt noch mindestens 50 Prozent der Staatsausgaben ausmachte! Bücher über Schlachten, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, sind selten und für den geneigten Leser mitunter etwas trocken aufgemacht. Dass dieses Buch zur Schlacht von Höchstädt vom 13. August 1704 (siehe Militärgeschichte 3/2002) in vielerlei Hinsicht ein Gewinn ist, hängt auch mit seinem Entstehen als Begleitband zur Ausstellung »Brennpunkt Europas 1704« zusammen, die vom 1. Juli bis zum 7. November 2004 im Schloss Höchstädt a.d. Donau stattfand. 55 000 Johannes Erichsen und Katharina Heinemann (Hrsg.), Die Schlacht von Höchstädt. Brennpunkt Europas 1704, Ostfildern, 2004. ISBN 3-7995-0215-7; 343 S., 39,90 € Besucher haben diese Ausstellung gesehen. Auf den ersten rund 100 Seiten beschreiben namhafte Autoren, darunter Heinz Duchhardt und Marcus Junkelmann, den Verlauf dieser bedeutenden Schlacht des Spanischen Erbfolgekrieges und ordnen sie in den großen Zusammenhang europäischer Fürstenpolitik ein. Der folgende, umfangreich bebilderte Katalogteil stellt den Schwerpunkt des Bandes dar. Hier werden die einzelnen Abschnitte der Ausstellung zum Spanischen Erbfolgekrieg sorgfältig eingeleitet und die Exponate durchgehend von Fachleuten, u.a. Wissenschaftler des Bayerischen Armeemuseums aus Ingolstadt, erklärt. So kann dieser Band auch nach Ende der Ausstellung dem an der frühneuzeitlichen Militärgeschichte interessierten Leser weiterhin eine wertvolle und unterhaltsame Lektüre sein. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 hb 27 Service Ausstellungen •Berlin »Warschau – Hauptstadt der Freiheit. Der Warschauer Aufstand – August bis Oktober 1944« 19. Juli 2004 bis 31. März 2005 »20. Juli 1944 – Vermächtnis und Erinnerung« 4. Oktober 2004 bis 30. Juni 2005 Gedenkstätte Deutscher Widerstand Stauffenbergstraße 13–14 10785 Berlin Telefon: (0 30) 26 99 50 00 Telefax: (0 30) 26 99 50 10 www.gdw-berlin.de e-mail: [email protected] Montag bis Mittwoch und Freitag 9.00 bis 18.00 Uhr Donnerstag 9.00 bis 20.00 Uhr Sonnabend, Sonntag und an Feiertagen 10.00 bis 18.00 Uhr Verkehrsanbindungen: Bus: Linie 129 bis Haltestelle »Gedenkstätte Deutscher Widerstand«; U-Bahn: U1 bis Station »Kurfürstenstraße« (10 Minuten Fußweg), U2 bis Station »Potsdamer Platz«; S-Bahn: S1, S2, S25 bis Station »Potsdamer Platz« (10 Minuten Fußweg), Eingang über den Ehrenhof Gute Deutsche und gute Juden. Jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg Jüdisches Museum Berlin Lindenstraße 9–14 10969 Berlin Telefon: (0 30) 25 99 33 00 ð 28 Telefax: (0 30) 25 99 34 09 www.jmberlin.de e-mail: [email protected] Montag 10.00 bis 22.00 Uhr Dienstag bis Sonntag 10.00 Uhr bis 20.00 Uhr Eintritt: 5 € ermäßigt: 2,50 € HYPERLINK: mailto:[email protected] 7. Oktober 2004 bis 31. März 2005 Verkehrsanbindungen: U-Bahn: U1, U6, U1 bis Station »Hallesches Tor« oder U6 bis Station »Kochstraße«; Bus: Linie 129 bis Haltestelle »Oranienstr./Lindenstr.«, Linie 240 bis Haltestelle »Am Jüdischen Museum«, Linie 341 bis Haltestelle »Blücherplatz« •Bonn Nähe und Ferne. Deutsche, Tschechen und Slowaken Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Museumsmeile Willy-Brandt-Allee 14 53113 Bonn Telefon: (02 28) 9 16 50 Telefax: (02 28) 9 16 53 02 ð Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 www.hdg.de e-mail: [email protected] Eintritt frei Dienstag bis Sonntag 9.00 bis 19.00 Uhr 3. Dezember 2004 bis 28. März 2005 Verkehrsanbindungen: U-Bahn: U16, 63, 65 bis Station »Heussallee/ Museumsmeile«; Bus: Linien 610, 630 bis Haltestelle »Bundeskanzlerplatz/Heussallee« •Delitzsch Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen das NS- Regime 1933–1945 •Darmstadt Die Welt von Byzanz – Europas östliches Erbe Archäologische Staatssammlung München Lerchenfeldstrasse 2 80538 München Telefon: (0 89) 2 11 24 02 www.archaeologie-bayern.de e-mail: [email protected] Dienstag bis Sonntag 9.00 bis 16.30 Uhr Donnerstag 9.00 bis 21.00 Uhr Eintritt: 6 € ermäßigt: 5 € 22. Oktober 2004 bis 3. April 2005 Verkehrsanbindungen: U-Bahn: U4/U5 bis Station »Lehel«; Straßenbahn: Linie 17 bis Haltestelle »Nationalmuseum/Haus der Kunst«; Bus: Linie 53 bis Haltestelle »Nationalmuseum/Haus der Kunst« Unteroffizierschule des Heeres Feldwebel-Boldt-Kaserne Fw-Boldt-Str.1 04509 Delitzsch Telefon: (0 34 20) 27 70 Täglich geöffnet, Besuch von Nichtangehörigen der Bundeswehr nach Absprache möglich 13. Januar bis 27. Februar 2005 •Dresden Sachsen im Bombenkrieg Militärhistorisches Museum Olbrichtplatz 3 01099 Dresden Telefon: (03 51) 82 30 Telefax: (03 51) 8 23 28 05 www.MilHistMuseum.de e-mail: MilHistMuseumBw [email protected] Dienstag bis Sonntag 9.00 bis 17.00 Uhr 4. Februar bis 30. September 2005 Verkehrsanbindungen: Parkplatz am Museum; ð Linien 7, 8, 91 bis Haltestelle »Militärhistorisches Museum« •Heidelberg Der Winterkönig – Heidelberg zwischen höfischer Pracht und Dreißigjährigem Krieg Jägerbataillons 27 – der Finnischen Jäger Am Wasserturm Lohmühlenweg 32a 25551 Hohenlockstedt Telefon: (0 48 26) 14 83 www.hohenlockstedtmuseum.de Sonntag 14.00 bis 17.00 Uhr 56076 Koblenz Telefon: (02 61) 8 96 56 11 Montag bis Donnerstag 9.00 bis 16.00 Uhr Freitag 9.00 bis 12.00 Uhr Führungen nach Absprache 2. Dezember 2004 bis 31. März 2005 •Kiel Bilder und Macht im 20. Jahrhundert Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Grimmaische Straße 6 04109 Leipzig Telefon: (03 41) 2 22 00 Telefax: (03 41) 2 22 05 00 e-mail: [email protected] Eintritt frei Dienstag bis Freitag 9.00 bis 18.00 Uhr Samstag und Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr 26. November 2004 bis 28. März 2005 ð Deutsche Jüdische Soldaten. Von der Epoche der Emanzipation bis zum Zeitalter der Weltkriege Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg Hauptstraße 97 69117 Heidelberg Telefon: (0 62 21) 5 83 40 00 Telefax: (0 62 21) 5 83 49 00 e-mail: kurpfaelzischesmuseum @heidelberg.de Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 5 €; ermäßigt: 2,50 € 21. November 2004 bis 27. Februar 2005 Verkehrsanbindungen: Bus: Linien 12, 35, 41, 42 bis Haltestelle »Kongreßhaus/Stadthalle«, Linien 11, 41, 42 bis Haltestelle »Universitätsplatz«, Linien 11, 33 bis Haltestelle »Peterskirche« • Hohenlockstedt Das Museum zur Darstellung der Ortsgeschichte Hohenlockstedts und der Geschichte des Königlich-Preußischen ð •Leipzig Verkehrsanbindungen: Straßenbahn: Linie 9 bis Haltestelle »Thomaskirche«; Bus: Linie 89 bis Haltestelle »Altes Rathaus/Markt« Richard Göbelt Walther Rathenau Kieler Landtag Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Telefon: (04 31) 9 88 11 22 täglich 10.00 bis 18.00 Uhr 12. Januar bis 30. Januar 2005 Verkehrsanbindungen: Bus: Linien 41, 42 und 51 bis Haltestelle »Reventloubrück« bzw. »Reventlouallee« • Koblenz Der Erste Weltkrieg Zentrum Innere Führung Von-Witzleben-Straße 17 ð Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 29 Die Brücke von Remagen Soldaten der 9th Armoured Division der US-Armee erkämpften sich am 7. März 1945 den Rheinübergang bei Remagen. Die Ludendorff-Brücke gelangte fast unversehrt in alliierte Gewalt und diente zum Aufbau des ersten amerikanischen Brückenkopfes am ostwärtigen Rheinufer. Zuvor hatten US-Amerikaner und Briten den deutschen »Westwall« überwunden und planten das wirtschaftliche Zentrum der deutschen Kriegsindustrie, das Ruhrgebiet, einzukesseln. Der westlich des Rheins verteidigenden deutschen Heeresgruppe B war ein rechtzeitiges Zurückgehen auf den 5 Die Rheinbrücke nach Rhein verboten worden. Gegen durchgebrochene Feindteile der Eroberung unter waren daher keine ausreichenden Kräfte am Rhein verfügbar deutschem Geschützfeuer gewesen. Gleichzeitig war das Sprengen von Übergängen erst stehend (akg-images) in letzter Minute erlaubt worden und gelang bei Remagen zudem durch eine Verkettung von Zufällen nicht ausreichend. Der Brückenkopf von Remagen wurde schnell durch Pontonbrücken in der Umgebung ergänzt. Versuche die beschädigte Brücke zu reparieren, die zudem von Stuka-, Artillerieund V2-Angriffen immer wieder erschüttert worden war, scheiterten. Am 17. März brach die Brücke zusammen. Der Brückenkopf auf dem ostwärtigen Rheinufer war jedoch etabliert und wurde Basis des Angriffs auf das Ruhrgebiet. Die Einnahme der Brücke von Remagen hat zwar einen erheblichen Zeitvorteil für die Alliierten gebracht, die Entscheidung des Zweiten Weltkrieges war aber schon vorher gefallen. Die Reichsführung reagierte mit drakonischen Strafen »Fliegender Standgerichte«, deren Sinn nur noch im angsterzeugendem Terror gegen die eigene Bevölkerung bestand. hb 5. März 1970 Inkrafttreten des Atomwaffensperrvertrages Nach Einrichtung des »Heißen Drahtes« – einer direkten Telefonverbindung zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml – und der Unterzeichnung eines begrenzten Teststoppvertrages für Kernwaffen Anfang der sechziger Jahre gelang es der USRegierung, einen Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen mit der Sowjetunion und Großbritannien auszuhandeln. Dieser Vertrag, der als Atomwaffensperrvertrag in die Geschichte einging, trat am 5. März 1970 in Kraft und war zunächst auf 25 Jahre befristet. Am 11. Mai 1995 wurde er von den Vereinten Nationen auf unbe5 Erster Atombombentest der USA auf stimmte Zeit verlängert. dem Bikini-Atoll (Mikronesien) am 1.Juli Das Abkommen beruhte auf Gegenseitigkeit, 1946 – Operation Crossroads bei dem sich die Kernwaffenmächte verpflichte(akg-images) ten, Nuklearwaffen nicht weiterzugeben und in einem zweiten Schritt mit Gesprächen über die Begrenzung bzw. Reduzierung ihrer eigenen Kernwaffenbestände zu beginnen. Die Nichtkernwaffenmächte verzichteten darauf, solche Waffen anzunehmen, zu erwerben, zu lagern oder herzustellen. Der Nichtverbreitungsvertrag hielt somit die Zahl der Atommächte in engen, überschaubaren Grenzen, um die Rationalität und Kalkulierbarkeit des Systems der gegenseitigen nuklearen Abschrekkung zu erhalten und ein verantwortungsloses Spiel mit der Bombe zu verhindern. Der Atomwaffensperrvertrag begründete somit den Auftakt für eine neue Politik der weltweiten Entspannung, hin zur Unterzeichung der Schlussakte der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im August 1975. Der Entwurf der USA, der Sowjetunion und Großbritanniens für den Atomwaffensperrvertrag wurde schon im Juni 1968 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen mit großer Mehrheit gebilligt. Er erlangte 1970 Gültigkeit, nachdem er von den drei so genannten Verwahrländern (USA, Sowjetunion, Großbritannien) sowie weiteren 40 Staaten unterzeichnet worden war. Die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete den Vertrag 1969 und ratifizierte ihn 1975. Inzwischen sind ihm 188 Länder beigetreten. Richard Göbelt 30 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Ü Vorschau »Einwohner von Bagdad, erinnert Euch, dass Ihr seit 26 Generationen unter fremden Tyrannen gelitten habt, die immer darum bemüht waren, Zwietracht zwischen den arabischen Häusern zu säen, um aus Ihren Meinungsverschiedenheiten Nutzen zu ziehen. Großbritannien und seine Verbündeten verabscheuen eine solche Politik, da weder Frieden noch Wohlstand gedeihen können, wo Feindschaft oder Misswirtschaft herrschen. Unsere Armeen kommen nicht als Eroberer oder Feinde in Ihre Städte und Gemeinden, sondern als Befreier.« Nein – dieser Aufruf ist nicht vom letzten Jahr, sondern vom 11. März 1917. Er wurde damals anlässlich des britischen Einmarsches in Bagdad vom siegreichen Generalleutnant Sir Frederick S. Maude verkündet. Ein von ihm getrunkenes Glas frischer Milch schaffte bald danach, was den türkisch-deutschen Truppen der 6. Osmanischen Armee vorher nicht gelungen war. An der Cholera erkrankt, starb Maude am 18. November 1917. akg-images / Gerard Degeorge 7. März 1945 Geschichte kompakt Heft 1/2005 Service 5 Ninive (Irak), zwischen den Flüssen Tigris und Zab, gegenüber von Mosul gelegen. Teilansicht der Stadtmauer mit dem Großen Tor. Aber auch der große Gegenspieler der Briten an Euphrat und Tigris, der preußische und osmanische Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz-Pascha hatte ein Jahr zuvor bei Kut-El-Amara sein Leben verloren; durch Läuse an Flecktyphus erkrankt, war er (wie im übrigen 3 Millionen Menschen im Ersten Weltkrieg) an dieser durch die lästigen Begleiter der Soldaten ausgelösten Krankheit gestorben. Die nächste Ausgabe der Militärgeschichte wird sich in einem Beitrag seiner Person und den Kämpfen im Gebiet des heutigen Irak zur Zeit des Ersten Weltkrieges widmen. Und unter dem Motto »Entschieden für Frieden – 50 Jahre Bundeswehr« werden wir eine neue Reihe von Beiträgen zum Jubiläum unserer Streitkräfte beginnen. hb Militärgeschichte im Bild ARRAY ENCOUNTER 90 I m Trubel der vielfältigen Veränderungen und »historischen Momente« des Jahres 1990 ging ein Ereignis, das in ruhigeren Zeiten sicherlich mehr Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hätte, beinahe unter: Das NATO-Manöver »Array Encounter 90«. Zum ersten Mal seit der Zeit der deutschen Besatzung (1940–1945) landeten deutsche Kampftruppen in Norwegen. Im Rahmen der Allied Mobile Force (AMF) – der sogenannten NATO-Feuerwehr – trafen am 14. Februar 1990 die insgesamt 1400 Soldaten des Fallschirmjägerbataillons 253 und der Luftlandemörserkompanie 250 per Schiff und Flugzeug in Norwegen ein. Der deutsche Angriff 1940, die Besatzungszeit, insbesondere aber der mit Brutalität geführte Kampf gegen die norwegische militärische Widerstandsbewegung (Milorg) und die Taktik der verbrannten Erde in Nordnorwegen (Operation Nordlicht, siehe Beitrag in diesem Heft) hatten in großen Teilen der norwegischen Bevölkerung ein negatives Deutschlandbild hinterlassen. In Deutschland wurden norwegische Soldaten zur Entlastung der britischen Besatzungstruppen ab Februar 1947 eingesetzt. Bis im April 1953 die letzten norwegischen Soldaten mit einer feierlichen Parade verabschiedet wurden, waren jeweils etwa 4000 Soldaten der norwegischen »Deutschlandbrigade« erst im Harz, später in Schleswig-Holstein stationiert. Als Besatzungstruppe hatten sie im operativen Rahmen der britischen Besatzungsmacht »für Ruhe und Ordnung zu sorgen«. Der norwegische Verteidigungsminister erklärte hierzu, der Auftrag der Brigade sei nicht »Rache an den Deutschen«, sondern »Hilfe beim Aufbau eines neuen, demokratischen Deutschlands«. Mit Beginn des »Kalten Krieges« wurde 1948 die norwegische Brigade weg von der Zonengrenze im Harz nach Schleswig-Holstein verlegt. Die Norweger sollten nun – neben ihrem Besatzungsauftrag – im Kriegsfall den Raum nördlich der Elbe verteidigen. Nach der Gründung der NATO im Jahr 1949 wurde der Chef des norwegischen Deutschlandkommandos sogar Oberbefehlshaber aller in Schleswig-Holstein stationierten NATO-Einheiten. Diese insgesamt 7500 Mann starke Truppe aus Norwegern, Dänen und Briten sollte im Falle eines sowjetischen Angriffs ein Übersetzen feindlicher Truppen über den Nord-OstseeKanal verhindern und gegebenenfalls kämpfend bis Dänemark ausweichen. Norwegen nahm – als einziger NATO-Mitgliedsstaat mit einer direkten Grenze zur Sowjetunion – innerhalb des Atlantischen Bündnisses eine Sonderrolle ein. Der Sowjetunion militärisch weit unterlegen, bemühte sich Norwegen diese zwar militärisch abzuschrecken, aber dennoch nicht zu provozieren. Der Schlüssel zur Stärkung der schwachen NATO-Nordflanke lag in der westdeutschen Wiederbewaffnung. Über das (West)deutsch-norwegische Verhältnis schrieb 1953 der norwegische Außenminister Lange – er hatte das Konzentrationslager Sachsenhausen als Häftling erlebt: »Wenn ich rational an die Sache herangehe, sehe ich zwar ein, dass wir ein gutes, partnerschaftliches Verhältnis aufbauen müssen, emotional bin ich aber nicht wirklich in der Lage dazu.« Als nach dem Eintritt der Bundesrepublik Deutschlands in die NATO (1955) nun auch Bundeswehroffiziere beim NATO-Oberkommando EuropaNord (AFNORTH) in der Nähe von Oslo ihren Dienst antraten, bot dies der Sowjetunion die Möglichkeit zur Agitation gegen die NATO unter Ausnutzung vorhandener antideutscher Ressentiments in der Bevölkerung: Die in Norwegen tätigen Bundeswehroffiziere wurden als »Nazi-Generale«, das alliFoto: LLFmKp 200 Foto: LLFmKp 200 Deutsche Kampftruppen üben erstmals im NATO-Verbund auf norwegischem Boden 5 NATO-Übung unter arktischen Bedingungen: ARRAY ENCOUNTER 90 ierte Kommando AFNORTH als »Kommandozentrale der aggressiv-imperialistischen deutsch dominierten« NATO dargestellt. Mit Rücksicht auf die norwegische Öffentlichkeit – es ging schließlich um die Akzeptanz der NATO in einem 1945 teilweise von der Sowjetunion befreiten Land – nahmen künftig deutscherseits lediglich Sanitäter an NATO-Übungen in Norwegen teil. Mit dem Ende des Kalten Kriegs war 1990 erstmals eine Situation da, die eine Übung deutscher Fallschirmjäger im NATO-Verbund auf norwegischem Boden zuließ. Auch im Norden Europas war die Nachkriegszeit nun Geschichte. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004 aak 31 N E U E P U B L I K ATIONEN DES MGFA Deutsche Marinen im Wandel. Vom Symbol nationaler Einheit zum Instrument internationaler Sicherheit. Im Auftrag des MGFA hrsg. von Werner Rahn, München: Oldenbourg 2005, XIV, 738 S. (= Beiträge zur Militärgeschichte, 63), 49,80 Euro, ISBN: 3-486-57674-7 Mit diesem Sammelband wird der Versuch unternommen, den wechselvollen Weg deutscher Marinen von historischen Wurzeln im Mittelalter über die Entstehung einer ersten Marine 1848, über die Konfrontationen in beiden Weltkriegen sowie im Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts bis zur internationalen Kooperation in der Gegenwart aus unterschiedlicher Perspektive zu betrachten. Das Spektrum der Beiträge reicht von Detailuntersuchungen bis zu übergreifenden Analysen zum strategischen und machtpolitischen Denken der jeweiligen Marineführung. Dabei wurden inhaltliche Überschneidungen bewußt in Kauf genommen, um unterschiedliche Interpretationen vorzustellen.