Militärgeschichte im Bild ARRAY ENCOUNTER 90

Werbung
Zeitschrift für historische Bildung
C 21234
ISSN 0940 – 4163
Heft 4/2004
Militärgeschichte
Militärgeschichte im Bild: ARRAY ENCOUNTER 90
Dresden im Bombenkrieg
Finnische Jägerbewegung
Operation »Nordlicht«
Das Ende des »Dritten Reichs«
Militärgeschichtliches Forschungsamt
MGFA
IMPRESSUM
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Herausgegeben
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
durch Oberst Dr. Hans Ehlert und
Oberstleutnant i.G. Dr. Hans-Hubertus
Mack (V.i.S.d.P.)
Produktionsredakteur der
aktuellen Ausgabe:
Hauptmann Agilolf Keßelring M.A.
Redaktion:
Major Heiner Bröckermann M.A. (hb)
Hauptmann Agilolf Keßelring M.A. (aak)
Bildredaktion:
Dipl.-Phil. Marina Sandig
Redaktionsassistenz:
Richard Göbelt, Cand. Phil.
Lektorat:
Dr. Aleksandar-S. Vuletić
Layout/Grafik:
Maurice Woynoski
Karten:
Bernd Nogli, Dipl. Ing.
Anschrift der Redaktion:
Redaktion »Militärgeschichte«
Militärgeschichtliches Forschungsamt
Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam
Telefon: (03 31) 97 14 -569
Telefax: (03 31) 97 14 -507
Homepage: www. mgfa.de
Technische Herstellung:
MGFA, Schriftleitung
Manuskripte für die Militärgeschichte werden
an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt
eingesandte Manuskripte wird nicht gehaftet.
Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt
der Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Honorarabrechnung erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die
Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise, fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung sind nur nach vorheriger schriftlicher
Zustimmung durch die Redaktion und mit Quellenangaben erlaubt. Dies gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen auf CD-ROM. Die Redaktion hat
keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die
Inhalte derjenigen Seiten, auf die in dieser Zeitschrift durch Angabe eines Link verwiesen wird.
Deshalb übernimmt die Redaktion keine Verantwortung für die Inhalte aller durch Angabe
einer Linkadresse in dieser Zeitschrift genannten Seiten und deren Unterseiten. Dieses gilt
für alle ausgewählten und angebotenen Links
und für alle Seiteninhalte, zu denen Links oder
Banner führen.
Editorial
die vorliegende Winterausgabe der Militärgeschichte bietet zwei Themenschwerpunkte:
Es mehren sich die Gedenktage zum »letzten Akt« des Zweiten Weltkriegs.
Im Frühjahr 1944 stand wohl bereits fest, wer in diesem Krieg Sieger und wer
Besiegter sein würde. Dies lässt die Schrecken der letzten Kriegsjahre in der
Rückschau noch grausamer erscheinen.
Team Militärgeschichte
v.l.n.r.: Oberst Dr. Hans
Ehlert, Oberstleutnant i.G.
Dr. Hans-Hubertus Mack,
Dr. Aleksandar-S. Vuletić,
Maurice Woynoski,
Richard Göbelt, Dipl.-Phil.
Marina Sandig,
Hauptmann Agilolf
Keßelring, Major
Heiner Bröckermann
Nicht nur in der Betrachtung des Bombenkrieges, eines in Wissenschaft und
Medien viel und kontrovers diskutierten Themas, wird dies deutlich. Die Zerstörung Dresdens, des »Elbflorenz«, das zu einem Sinnbild für den Krieg aus
der Luft geworden ist, gilt es aber nicht losgelöst vom restlichen Kriegsgeschehen zu betrachten. Auch war das Kriegsende mehr als nur »der Untergang« des sogenannten Tausendjährigen Reichs; keimte doch bald in den
Trümmern die Hoffnung auf eine friedliche, bessere Zukunft.
Nach Skandinavien führt uns das Heft mit zwei Beiträgen. Der Rückzug
der deutschen 20. Gebirgsarmee aus Nord-Finnland nach Nord-Norwegen
und die verheerende »Taktik der verbrannten Erde« sind aus dem kollektiven
Gedächtnis der Norweger nicht wegzudenken – vielleicht wie Dresden aus
dem Gedächtnis der Deutschen.
Häufig überlagert die Geschichte des Zweiten Weltkriegs diejenige des
Ersten. In Finnland stellt aber die Jägerbewegung des Ersten Weltkriegs noch
heute eine Traditionssäule der Streitkräfte dar. Im deutschen Kaiserreich kam
es vor nunmehr 90 Jahren zur Aufstellung einer eigenen »finnischen Legion«,
dem Königlich Preußischen Jägerbataillon Nr. 27.
In eigener Sache möchte die Redaktion der Militärgeschichte noch folgende
Hinweise geben: Mit dem ehemaligen Amtschef des MGFA, Kapitän zur See
Dr. Jörg Duppler, ging Ende November auch unser langjähriger Mitherausgeber in den Ruhestand. An dieser Stelle möchte die Redaktion sich herzlich
für die gute Zusammenarbeit bedanken. Der neue Leiter der Abteilung Ausbildung Informationen, Fachstudien (AIF) des MGFA, Oberstleutnant i.G.
Dr. Hans-Hubertus Mack, tritt neben dem neuen Amtschef Oberst Dr. Hans
Ehlert die Herausgeberschaft an. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit im
neuen Team!
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser wünschen wir eine interessante Lektüre
der aktuellen Ausgabe und ein gesegnetes und friedvolles Jahr 2005!
© 2004 für alle Beiträge beim
Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)
Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber ermittelt
worden sein, bitten wir ggf. um Mitteilung.
Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden
ISSN 0940-4163
Ihr Agilolf Keßelring M.A.
Hauptmann
D i e
A u t o r e n
Inhalt
• »Sah nur überall Flammen«
4
Der Luftkrieg und die Bombardierung
Dresdens 1945
• »Finnische Legion«
Dr. Thomas Widera,
geboren 1958 in Karl-Marx-Stadt,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Hannah-Arendt-Institut für
Totalitarismusforschung e.V.,
Dresden
Die Jägerbewegung im Ersten Weltkrieg
• »Mitleid mit der Zivilbevölkerung
ist nicht am Platze«
10
14
Die Zerstörung Nordnorwegens durch deutsche
Truppen 1944
Agilolf Keßelring, geboren 1972
in Tokyo/Japan, Hauptmann und
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am
MGFA, Potsdam
Dr. Armin Lang, geboren 1953
in Breisach a. Rh., Leiter der
Schriftleitung im MGFA, Potsdam
• »...Hoffnung auf eine bessere
Zukunft« – das Ende des
»Dritten Reichs«
18
22
• Service
Das historische Stichwort:
Der russisch-japanische Krieg 1904/05
22
Medien online/digital
24
Lesetipp
26
Ausstellungen
28
Geschichte kompakt
30
• Militärgeschichte im Bild
31
ARRAY ENCOUNTER 90: Deutsche Kampftruppen
üben erstmals im NATO-Verbund auf norwegischem Boden
Richard Göbelt, geboren 1982
in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz),
Student der Geschichte und
Osteuropastudien an der Freien
Universität Berlin
Foto: LLFmKp 200
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe: Dr. Cord Eberspächer, Oldenburg, Clemens Heitmann M.A., Meißen, René Henn M.A., Salzwedel,
Dr. Andreas Kunz M.A., Bundesarchiv / Außenstelle Ludwigsburg, Thomas Morlang M.A., Essen, Prof. Dr. Rolf-Dieter Müller, MGFA
Dresden im Bombenkrieg
»Sah nur überall
Flammen ...«
akg-images
Der Luftkrieg und die
Bombardierung Dresdens 1945
D
ie Weichenstellungen für den
Einsatz von Luftstreitkräften
im Zweiten Weltkrieg erfolgten lange vor 1939. Nach 1918 offenbarten Politiker aller Nationen ihr Unvermögen, verantwortliche Konsequenzen
aus der Entgrenzung der Gewalt im
Verlauf des zurückliegenden Ersten
Weltkrieges zu ziehen. Obwohl sich
die Unmöglichkeit einer durchgängigen Unterscheidung zwischen Militärangehörigen und Zivilbevölkerung
wie auch des rationalen Einsatzes von
Ressourcen im Krieg des industriellen
Zeitalters gezeigt hatte, waren die
4
Verantwortlichen von einer generellen
Ächtung des Krieges weiter denn je
entfernt. Die von der zweiten Haager
Friedenskonferenz 1907 verabschiedete Konvention hatte Angriffe auf
militärische Objekte auch im zivilen
Hinterland der Front gestattet – damit
war die bis heute gültige Doktrin vom
»militärischen Objekt« und die völkerrechtliche Grundlage für den strategischen Luftkrieg entstanden. Die
»Haager Luftkriegsregeln« präzisierten
1923 die unzulänglichen Bestimmungen zum Schutz der Bevölkerung und
verboten jedes Bombardement zum
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
Zweck ihrer Terrorisierung. Sie wurden
allerdings von den Staaten nicht ratifiziert, dennoch kristallisierte sich daraus
ein allgemein akzeptiertes Völkergewohnheitsrecht, das sich in Anweisungen an die Flugzeugbesatzungen niederschlug.
Die tatsächliche spätere Praxis des
Bombenkrieges und die damit verbundenen verhängnisvollen Fehlentscheidungen resultierten aber vor allem
aus falschen Überzeugungen und dem
Glauben an die militärische Überlegenheit moderner Waffen. Nach den
verlustreichen Stellungskämpfen des
truppen unterstützen, Jagdflugzeuge
die feindlichen Linien angreifen und
Gefechtsfelder abschirmen. Doch die
Abwehr der im Mai 1940 beginnenden
britischen Bomberoffensive und der
Kampf um die Luftherrschaft bewirkte
einen enormen Verschleiß der deutschen Luftwaffe. Die gesamte deutsche
Flugzeugproduktion von zwei Jahren
ging verloren, die Totalverluste summierten sich im Zeitraum eines Jahres,
von Juni 1940 bis Mai 1941, auf 4153
Maschinen. Die Fortsetzung der britischen Luftangriffe auf deutsche Industrieanlagen und Städte zwang die
Wehrmachtführung, die dringend an
der Front benötigten Jagdflieger abzu-
Lübeck einen Flächenangriff, bei dem
unter Einsatz von Brandbomben ein
dicht bebauter, mittelalterlicher Stadtkern vernichtet wurde. Thomas Mann
kommentierte den Untergang seiner
Heimatstadt im britischen Rundfunk
mit der Frage: »Hat Deutschland geglaubt, es werde für die Untaten, die
sein Vorsprung in der Barbarei ihm
gestattete, niemals zu zahlen haben?«
Er verwies auf die politischen Absichten der Alliierten und ihren unabänderlichen Willen, den nationalsozialistischen Verbrechen ein Ende zu bereiten. Seine Hoffnungen allerdings und
die vieler anderer Menschen, der Krieg
könne beendet werden, ehe zahlreiche
3Start eines Lancaster-III-Bombers der
britischen Luftwaffe
5 Blick auf die Dresdner Altstadt,
Luftbildaufnahme 1929
5 Blick über das kriegszerstörte Zentrum
von Dresden, Mai 1945
ten zu können, widerlegt, doch aus
den Memoranden der Politiker aller
Seiten spricht das Bewusstsein, entgegen wohlbegründeter Bedenken eine
völkerrechtliche Grauzone zur Überschreitung bislang beachteter ethischer
Grenzen zu nutzen und bei Bedarf Flächenbombardements zuzulassen.
Während in den USA und in Großbritannien mit dem Aufbau strategischer Bomberflotten begonnen wurde,
orientierte sich die deutsche Luftwaffe
vorrangig an Bedürfnissen des Heeres.
Obwohl auch deutsche Militärstrategen die Option taktischer Luftschläge
erwogen, wie an der späteren Bombardierung Warschaus und Rotterdams zu
sehen war, räumten sie der Panzerwaffe
die größte Priorität ein. Sturzkampfbomber sollten Angriffe der Boden-
ziehen. Das fehlende Militärpotential
beeinträchtigte erheblich die Schlagkraft des deutschen Angriffs auf die
Sowjetunion 1941. Zugleich lag in der
Eröffnung des strategischen Luftkriegs
eine politische Geste des britischen Premierministers Winston Churchill: Nach
der Kapitulation Frankreichs auf sich
allein gestellt, demonstrierte so Großbritannien der Welt seinen unbeirrten
Willen, den Kampf fortzusetzen.
Die Entscheidung zu einem Abnutzungskrieg gegen die deutsche Kriegsproduktion und gegen die in den
Arbeitervierteln wohnenden »Produktivkräfte« stand somit längst fest, als
Air Marshal Arthur Harris im Februar
1942 das britische Bomberkommando
übernahm. Erstmals führte die Royal
Air Force (RAF) Ende März gegen
weitere Städte zerstört würden, erfüllten sich nicht. Besonders in den letzten Monaten des Krieges kamen noch
Millionen Soldaten und Zivilpersonen
ums Leben. Der Luftkrieg gegen deutsche Städte wurde erheblich intensiviert, er forderte allein seit Sommer
1944 cirka 135 000 zivile Todesopfer; bis
zum 1. Juli 1944 waren erst 28 Prozent
der gesamten Bombentonnage abgeworfen worden.
akg-images
akg-images
Ersten Weltkrieges faszinierte die strategischen Planer die Möglichkeit, unbehelligt von feindlichen Armeen mit
Flugzeugen direkt ein gegnerisches
Führungszentrum angreifen und lahm
legen zu können und so unter geringen
eigenen Opfern eine schnelle Kriegsentscheidung herbeizuführen. Ihre daran
geknüpfte Erwartung, mit Präzisionsschlägen Opfer unter der Bevölkerung
zu vermeiden, war noch zu sehr den
Anschauungen des traditionellen Krieges verhaftet, ohne die hohe Komplexität moderner Industriegesellschaften in
Betracht zu ziehen. Zwar hatten Analysen die Illusion, unbeteiligte Zivilisten aus Kampfhandlungen heraushal-
Erste Bomben auf Dresden
Bereits 1935 hatte an der Dresdner
Dreikönigsschule ein Schüler mit einem
Aufsatz zum Thema »Feindliche Flieger über Dresden« den Unwillen seines
Lehrers erregt, weil er verheerende Zerstörungen und große Opfer unter der
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
5
Dresden im Bombenkrieg
akg-images
3 Air Marshal Arthur Harris bei der Auswertung von Luftangriffen im Februar 1944
Bevölkerung infolge eines Bombenangriffs ausmalte. Galten zu jenem Zeitpunkt massive Bombardements inmitten Deutschlands als undenkbar, hatte
nun – fünf Jahre nach Kriegsbeginn
– die deutsche Luftabwehr längst den
Kampf gegen die Übermacht der angloamerikanischen Bomberflotten verloren. Dresden war allein deswegen noch
nicht angegriffen worden, weil sich die
Stadt außerhalb der Reichweite alliierter Flugzeuge befand.
Am 7. Oktober 1944 fielen die ersten
Bomben. In der Mittagszeit warfen 29
amerikanische Boeing B-17 etwa 70
Tonnen Sprengbomben ab, innerhalb
von nur zwei Minuten wurden 2755
Menschen obdachlos. 200 Personen,
unter ihnen 28 ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, verloren
ihr Leben. Trotz des vergleichsweise
geringen Umfangs der Zerstörungen
konstatierte Victor Klemperer, der von
den Nationalsozialisten aus dem Hochschuldienst entlassene und als Jude
verfolgte Romanist, »ein sehr verändertes Grundgefühl«. Hatten doch
viele Dresdner Einwohner aus dem
Umstand, dass ihre Stadt bisher nicht
bombardiert worden war, die Hoffnung
geschöpft, vom Krieg verschont zu bleiben. Unter ihnen kursierten deswegen
Gerüchte, unter anderem das von einer
hier wohnenden Tante Churchills. Realitätsferne Illusionen dieser Art bildeten eine gefährliche Selbsttäuschung,
6
da die deutsche Führung trotz der
massiven Überlegenheit der Alliierten
keineswegs an eine Beendigung der
Kämpfe dachte. Spätestens nach dem
Scheitern des Attentats auf Hitler vom
20. Juli 1944 hätte jedem klar werden
müssen, dass das NS-Regime den Krieg
auch auf dem Territorium des eigenen
Landes weiter führen würde.
Der Führererlass vom 25. September
1944 befahl die Aufstellung des »Volkssturms« und Ende 1944 ordnete der
Generalstab des Heeres die Einrichtung des »Verteidigungsbereiches Dresden« an. Man rechnete mit einem Vordringen der alliierten Truppen bis in
die Mitte des Deutschen Reiches und
plante eine Verteidigungslinie entlang
der Elbe von Hamburg bis Prag. Im
Januar 1945 wurde mit dem Bau von
festen Stellungen in und um Dresden
begonnen. Teilstücke eines Panzergrabens verliefen rund um die Stadt;
Panzersperren sollten die Einfallsstraßen und Elbbrücken sichern. Zwischen Dresden und Meißen wurden
Geschützstellungen errichtet. Trotz
gebotener Zweifel am Sinn des ganzen
Vorhabens verschlossen Offiziere wie
Zivilisten ihre Augen vor der Realität.
Am 16. Januar 1945 starben 334 Menschen in Dresden durch Bomben. Bei
diesem amerikanischen Tagesangriff
entluden 127 Flugzeuge mehr als 250
Tonnen Spreng- und zusätzlich 40
Tonnen Brandbomben. Während für
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
die meisten Einwohner die Gefahren
des Luftkrieges überwogen, kam für
die sich in Dresden befindenden Kriegsgefangenen und Konzentrationslagerhäftlinge die Bedrohung durch den
nationalsozialistischen Terror hinzu.
Tausende von ihnen ersetzten die in
den Rüstungsbetrieben fehlenden deutschen Facharbeiter. Dem Rassismus der
Nationalsozialisten galt das Leben der
so genannten »Fremdarbeiter« (siehe
Militärgeschichte 4/2003) aus dem
Osten, der kriegsgefangenen Soldaten
und der KZ-Sklaven wenig. Hunger
und Misshandlungen standen auf der
Tagesordnung. Sie befanden sich sozusagen zwischen den Fronten, konnten
nur auf eine rasche Befreiung und auf
ihr Überleben hoffen.
Der Angriff vom
13./14. Februar 1945
Völlig unbehelligt von der deutschen
Luftabwehr flogen in der Nacht vom
13. zum 14. Februar 243 britische Lancaster-Bomber das ihnen vorgegebene
Zielgebiet an und warfen kurz nach 22
Uhr Ortszeit ihre tödliche Bombenlast
über Dresden ab. Als sich nach 1 Uhr in
der Nacht wiederum Flugzeuge näherten, konnten die in der Innenstadt
mit dem Löschen ihrer Häuser und
dem Bergen von Hausrat beschäftigten Menschen wegen des Ausfalls der
Warnanlagen keinen Luftalarm hören.
Ein erneuter Angriff von 529 britischen
Flugzeugen steigerte das Inferno zur
Apokalypse. Insgesamt fielen in dieser
Nacht 1477 Tonnen Sprengbomben und
1181 Tonnen Brandbomben.
Die Kombination von Spreng- und
Brandbomben wirkte verheerend. Die
Sprengladungen unterbrachen die
Energie- und Wasserversorgung, sie
zerfetzten die Dächer der Häuser und
die Brandsätze setzten ungehindert die
Wohnungen in Flammen. In den engen
Straßen und schmalen Gassen der dicht
bebauten Innenstadt entstanden riesige Flächenbrände. Dabei entwickelte
sich durch den enormen Sauerstoffverbrauch ein Sog, der wiederum Feuerstürme verursachte, die im weiten
Umkreis alles Brennbare verzehrten
und ein Stadtgebiet von 15 Quadratkilometern vernichteten. Die Verwüstung
war so vollkommen und das Chaos
so unübersichtlich, dass der Überblick
über das Geschehen vollständig verloren ging. Aus diesem Grund wurde
später von übertrieben hohen Opferzahlen gesprochen. Inzwischen lässt
sich anhand der städtischen Archivakten nachweisen, dass einschließlich der
zwei amerikanischen Tagesangriffe am
nächsten und am übernächsten Tag mit
jeweils 311 und 210 Flugzeugen sowie
einer Bombenlast von weiteren 1200
Tonnen etwa 25 000 Menschen starben.
Diese bis dahin in einem einzigen
Großangriff unerreicht hohe Zahl an
zivilen Opfern hatte mehrere Ursachen.
Der überdurchschnittlich große Anteil
von Brandbomben verweist auf die
Absicht, in Kenntnis der für die Entfachung von Großbränden anfälligen
Architektur Dresdens, gezielt durch
Feuer unter der Bevölkerung Entset-
akg-images
4 Leichenverbrennung auf dem Dresdner
Altmarkt, Foto: 25. Februar 1945
Der Bombenkrieg in der Diskussion
Zahlreiche Menschen betonen heute die militärisch sinnlose und mörderische Praxis des alliierten Luftkriegs, dem Dresden und andere Städte zum Opfer fielen. Eine analytische Betrachtung der Rahmenbedingungen wird die Eskalation der
Gewalt im Krieg konstatieren und feststellen müssen, »dass die Vernichtungsangriffe auf Dresden und Hiroshima [...] Endund Gipfelpunkte und damit Teil eines kriegerischen Konflikts gerüsteter Staaten waren« – so Herbert Jäger in seiner klassischen Studie »Verbrechen unter totalitärer Herrschaft«. Jede Strategie, die auf Vernichtung des gegnerischen Kriegspotenzials zielt, führt zum Tod von Menschen, und unter den Bedingungen des modernen industriellen Krieges auch zum Tod
von Nichtkombattanten. Nach dem 1. September 1939 hatten die Alliierten festzulegen, wie sie nach bestem Wissen unter
Minimierung der eigenen Verluste den Krieg siegreich führen könnten. Vor diesem Hintergrund bildeten Bombenangriffe
eine wirkungsvolle Möglichkeit, Deutschland direkt anzugreifen. »Niemals ging es um Terror als Selbstzweck, auch wenn
die Folgen zweifellos schrecklich waren«, bemerkte dazu der britische Historiker Richard Overy, dessen Auffassung jedoch
unter Historikern nicht unumstritten ist (vgl. Beitrag R.-D. Müller, S. 9).
Oft wird gefragt, ob die Flächenbombardierungen deutscher Städte gegen Ende des Krieges Kriegsverbrechen gewesen
seien. Kriegsrechtlich galt Dresden als Bestandteil militärischer Stellungen. Die militärische Notwendigkeit der Bombardierung kann angezweifelt werden, nicht aber, dass sie auf die rasche Beendigung des Krieges zielte. Außerdem wird häufig
übersehen, dass Görlitz und Breslau, wie andere vom Bombenkrieg verschonte Städte, zu Festungen erklärt und heftig
umkämpft wurden – die Planungen für Dresden waren vergleichbar. Wird der retrospektive historische Blick, der die
Notwendigkeit der vernichtenden Zerstörung Dresdens hinterfragt, weil er zwischen diesem Ereignis und dem baldigen
Kriegsende nur eine kurze Zeitspanne von wenigen Wochen sieht, der politischen Verantwortung der damaligen Entscheidungsträger gerecht?
Die kriegführenden Seiten betonten immer wieder, dass die Angriffe innerhalb völkerrechtlicher Regeln blieben. Die
Luftkriegspraxis hat somit das bis Kriegsbeginn allgemein akzeptierte Gewohnheitsrecht keineswegs aufgehoben, und die
besonders in der britischen Öffentlichkeit geführten Debatten offenbaren ein Bewusstsein für die Rechtsverstöße. Das
Prinzip der Verhältnismäßigkeit wurde verletzt, nachdem die Alliierten unter erheblichen eigenen Opfern die Lufthoheit
über Deutschland errungen hatten und als sie die massiven Luftschläge unvermindert fortsetzten, obwohl sie die Wirkungslosigkeit in Bezug auf die mit dieser Strategie verfolgten Absichten registrierten: Der Gegner sollte durch die Heftigkeit der Bombardierung überzeugt werden, den sinnlos gewordenen Widerstand aufzugeben, zeigte sich aber gegenüber
jeder rationalen Einsicht unzugänglich. Die Luftkriegsstrategie hätte revidiert werden müssen. Dass dies erst so spät, kurz
vor dem Ende des Krieges geschah, wurde bereits damals als Fehler betrachtet.
Thomas Widera
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
7
akg-images
Dresden im Bombenkrieg
5 Blick vom Rathausturm auf die Ruinen der Dresdner Innenstadt
5 Dresden 1979: Blick auf die Prager Strasse
zen und Tod zu verbreiten. Nach dem
ersten Angriff schon zeigte sich die örtliche Einsatzleitung zu einer koordinierten Hilfeleistung nicht in der Lage,
die Feuerwehr arbeitete sporadisch,
noch in der Nacht brach jegliche Organisation zusammen. Die Fahrzeughalle
der Dresdner Luftschutzpolizei ging
mit dem gesamten Fahrzeugpark in
Flammen auf, in der zentralen Befehlsstelle funktionierte kaum ein Telefon.
Löschgerät fehlte, mit Eimern schöpften die Helfer Wasser aus der Elbe
zur Bekämpfung gewaltiger Brände.
Die Luftschutzkeller erwiesen sich als
tödliche Fallen, aus diesen vermeintlich sicheren Orten konnte das Geschehen draußen nicht überblickt werden.
Vielen Menschen wäre nach dem ersten
Angriff ein Entkommen aus der Innenstadt möglich gewesen. Da sie die
Bedrohung der sie einschließenden
Flammen nicht erkannten, erstickten
und verbrannten sie in den unzulänglich gesicherten Kellern. Der Augenzeuge Victor Klemperer »sah nur überall Flammen, hörte den Lärm des
Feuers und des Sturms, von der brennenden Zeughausstraße zur Elbe hinab,
im weiten Umkreis nichts als Brände.
Diesseits der Elbe besonders hervorragend als Fackel der hohe Aufbau
am Pirnaischen Platz, jenseits der Elbe
weißglühend, taghell das Dach des
Finanzministeriums.« Er verbrachte die
Nacht im Freien. Eine um Kopf und
Schultern gelegte Wolldecke verdeckte
als sehr problematisch. Täglich gingen
in der Vermisstenzentrale und in den
Außenstellen bis zu 10 000 Suchmeldungen ein. Die Dienststellen des Vermisstennachweises erhielten oft keine Rückmeldung über wieder gefundene Angehörige. Viele Dresdner Einwohner hielten sich nach den Angriffen auswärts auf
und wurden irrtümlich vermisst, keiner
wusste über die Anzahl der Flüchtlinge in
der Stadt Bescheid. Wegen einer Person
ergingen bis zu 20 Anfragen, die Vermisstenanzeigen trieben die Opferzahlen spekulativ in die Höhe. Die Identität
zahlreicher Toter ließ sich nicht ermitteln, viele wurden noch in den verschütteten Kellerräumen vermutet. Um
den Ausbruch von Seuchen zu verhindern, verbrannte auf dem Altmarkt ein
mit der Technologie der Menschenvernichtung vertrautes SS-Kommando etwa
7000 unbekannte Bombenopfer auf Feuerrosten aus Eisenträgern.
Ungeachtet der Opfer und Zerstörungen liefen die Vorbereitungen für den
»Endkampf« um die Ruinen weiter.
Soldaten, Angehörige des Volkssturms
und Zivilisten beräumten die militärisch
wichtigen Durchgangsstraßen und setzten den Stellungsbau fort. In den Vormittagsstunden des 2. März warfen 406
amerikanische B-17 über 1000 Tonnen
Bomben ab. Ihr Ziel bildeten die Bahnanlagen in Dresden, ein Schlüsselglied der
letzten intakten Verkehrsverbindungen,
deren unerlässliche Funktion für die Versorgung der Front auch sowjetische Dar-
8
den diskriminierenden gelben Stern,
den ihm seine Frau bald darauf von der
Kleidung trennte. Unerkannt konnten
beide in Richtung Westen fliehen und
sich retten.
Auswärtige Sanitätsbereitschaften
trafen am Vormittag des 14. Februar
ein; sie bargen Verwundete und Tote
in den Trümmern, versorgten die ihren
zerstörten Häusern Entkommenen und
leisteten erste Hilfe. Der lokale Einsatzstab trat zwar zusammen, war aber von
der Dimension der Katastrophe überfordert. Behörden und Ortsgruppen der
NSDAP konnten den Ausfall der zentralen Institutionen nicht kompensieren
und kapitulierten vor der Menge der
Hilfesuchenden und Umherirrenden.
Die am Stadtrand eingerichtete Befehlsstelle des Interministeriellen Luftkriegsschäden-Ausschusses (ILA) begann erst
nach mehreren Tagen, die Hilfsaktionen aufeinander abzustimmen.
Die militärische Führung vor Ort veranlasste ebenfalls Hilfeleistungen, doch
der gesamte Einsatz war desorganisiert
und chaotisch. Militäreinheiten, die
rasch zu Einsatztrupps hätten zusammengestellt werden können, blieben zu
lange in den Kasernen. Rechtzeitig eintreffende Bergungstrupps konnten Verschüttete häufig lebend retten, die zu
spät ausrückenden Wehrmachtskompanien nur Tote bergen. Überdies fehlte
schwere Räumtechnik.
Die korrekte Zahl der Opfer zu ermitteln, erwies sich aus mehreren Gründen
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
akg-images
Die größte Revolution der Kriegführung
V
or hundert Jahren sorgten Visionen eines möglichen Luftkrieges für Aufregung. Die ersten
Fluggeräte waren aber kaum mehr als »Grashüpfer«. Im Ersten Weltkrieg (1914–1918)
freilich schon bombardierten deutsche Zeppeline London. Alliierte Bomber attackierten
deutsche Rüstungswerke und einzelne Städte. Den Kriegsausgang beeinflussten sie jedoch nicht.
Dennoch hielten manche Experten es sogar für möglich, künftig durch die Drohung eines strategischen Bombenkrieges gegen Bevölkerungszentren Kriege verhindern bzw. allein durch den Einsatz von Bombern entscheiden zu können. Besonders innerhalb der britischen Royal Air Force
(RAF) fanden solche Theorien positiven Widerhall. Sie entsprachen dem traditionellen Denken
einer Seemacht, die im Blockadekrieg durch gezielte Attacken auf die Stützpunkte die Versorgung der Bevölkerung des Gegners und damit dessen Widerstandswillen zu brechen versucht.
Beim Wiederaufbau von Luftstreitkräften ab 1933 setzte die Kontinentalmacht Deutschland
stärker auf die Unterstützung von Bodentruppen durch mittlere Kampfbomber. Vorbereitungen
für den Bau einer strategischen Bomberflotte wie in Großbritannien und den USA verzögerten
sich aufgrund technischer Fehlentscheidungen und knapper Rohstoffe.
stellungen des Kriegsverlaufs
betonten. Die Ausschaltung des
Verkehrsknotenpunktes Dresden gelang stets nur vorübergehend. Daher bombardierte
die amerikanische Luftwaffe
am 17. April mit annähernd 600
Flugzeugen beinahe eineinhalb
Stunden lang die Verkehrseinrichtungen, den Güterbahnhof Friedrichstadt, den Hauptbahnhof und die Marienbrücke. Damit traf sie einen
Lebensnerv der Wehrmacht.
Die Beeinträchtigung der
Nachschublinien schwächte die
Kampfkraft der deutschen
Truppen erheblich und trug so
dazu bei, dass der Krieg nicht
noch weiter verlängert wurde.
n Thomas Widera
Literaturtipp:
Götz Bergander, Dresden im
Luftkrieg. Vorgeschichte, Zerstörung,
Folgen, 2. überarb. und erw. Aufl.,
Weimar, Köln, Wien 1994;
Lothar Kettenacker (Hrsg.), Ein Volk
von Opfern? Die neue Debatte um
den Bombenkrieg 1940–45,
Berlin 2003;
Rolf-Dieter Müller, Der Bombenkrieg
1939–1945. Unter Mitarbeit von
Florian Huber und Johannes Eglau,
Berlin 2004
Nach dem deutschen »Blitzkrieg« gegen Frankreich entschloss sich die britische Regierung,
einen strategischen Bombenkrieg gegen Deutschland zu eröffnen; für Churchill war dies die
einzige Möglichkeit, das deutsche Hinterland zu treffen. Im Zuge der Luftschlacht um England
(Sommer 1940) wurden auch die deutschen Angriffe gegen militärische Punktziele und Rüstungsfabriken in britischen Städten (z.B. Coventry) schließlich so ausgeweitet, dass die Bevölkerung in immer stärkerem Maße in Mitleidenschaft geriet. Nach einzelnen Attacken der RAF auf
Berlin ordnete Hitler Vergeltung an und lockerte seine zögerliche Haltung gegenüber Terrorangriffen auf die Bevölkerung. Denn er versprach sich eine schnellere und größere Wirkung durch
gezielte Luftangriffe auf die feindliche Rüstung.
Die britischen Angriffe steigerten sich, als die deutsche Luftwaffe im Ostfeldzug gebunden
wurde. Im Mai 1942 traf der erste Tausend-Bomber-Angriff Köln. Die systematische Entwicklung von Zerstörungstechniken (Brandbomben) machte rasche Fortschritte. Jetzt griff die US
Air Force ein. Sie setzte auf Präzisionsangriffe ihrer »Fliegenden Festungen« gegen deutsche Rüstungsziele bei Tage, während die Briten Flächenangriffe bei Nacht bevorzugten. Das Bomberkommando der RAF versuchte den Nachweis zu erbringen, dass massive Terror-Angriffe die
Moral der deutschen Bevölkerung brechen und so den Krieg schneller beenden könnten. Luftmarschall Arthur Harris ließ deshalb seine Liste deutscher Großstädte »abarbeiten« und wähnte
sich dicht am Ziel.
Doch es gelang den nationalsozialistischen Machthabern trotz steigender Opferzahlen (allein
in Hamburg 1943 rd. 35 000 Tote) das Abbröckeln der »Heimatfront« zu bremsen. Die Luftverteidigung konnte das Vordringen der anwachsenden alliierten Bomberströme nicht verhindern. Besonders wirkungsvoll waren 1944 massive Angriffe gegen deutsche Rüstungsziele und die
Infrastruktur. Sie ermöglichten die alliierte Landung in der Normandie und beschleunigten den
Zusammenbruch der Wehrmacht. Hitler setzte vergeblich auf den Einsatz von »Vergeltungs«Waffen (Flugbomben und Raketen).
Nicht nur in Deutschland traf dieser Schlagabtausch im totalen Krieg vorwiegend Menschen
in Großstädten, für die es keinen absoluten Schutz gab. Militärisch fragwürdige Terrorangriffe
blieben bis zuletzt an der Tagesordnung (Dresden), weil Hitler den »Endkampf« ohne Rücksicht
auf sein Volk fortsetzen wollte. Die alliierten Luftstreitkräfte sorgten 1945 für einen schnellen
Vormarsch im Reichsgebiet und verhinderten so langwierige blutige Bodenkämpfe. Gegen Japan
setzten sie zu diesem Zweck auch Atombomben ein.
Im Zweiten Weltkrieg starben weltweit rd. 1,5 Millionen Zivilpersonen im Bombenhagel, ein
Drittel davon in Deutschland. Bei einer Gesamtzahl von mehr als 50 Millionen Kriegstoten
sicher kein geringer Preis für die neue Art der Kriegführung, bei der das Instrument des Bombenkrieges bis über die Grenze dessen erprobt und eingesetzt wurde, was aus heutiger Sicht und
Erkenntnis als legitim und sinnvoll erscheinen mag.
Rolf-Dieter Müller
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
9
5 Finnland fiel im Frieden von Hamina (1809)
gänzlich von Schweden an Russland. Das
zaristische Februarprogramm zur Russifizierung (1899) machte in Finnland Russisch zur
Amtssprache, entmachtete den finnischen
Senat und zerschlug die bis dahin eigenständige finnische Armee. Das 1899 entstandene Bild Hyökkäys (Angriff) von Eetu Isto
zeigt allegorisch den Angriff des »russischen
Doppeladlers« auf Finnland.
D
er Erste Weltkrieg hat die
Landkarte Europas grundlegend verändert. Eine dieser
Veränderungen ist die Existenz eines
unabhängigen Finnland seit dem
6. Dezember 1917. Die Geschichte der
finnischen Unabhängigkeit ist durch
die finnische Jägerbewegung eng mit
der deutschen Militärgeschichte verbunden.
Mit der russischen Generalmobilmachung zu Beginn des Ersten Weltkrieges
wurde über Finnland der Kriegszustand verhängt. Die militärische Führung in St. Petersburg befürchtete
eine direkte Bedrohung der Hauptstadt
durch eine deutsche Truppenlandung
im westfinnischen Hanko (schwedisch
Hangö) für den Fall, dass Deutschland seinen strategischen Schwerpunkt
in den Osten läge. Mit dem Kriegseintritt Großbritanniens wurde jedoch
10
»Finnische Legion«
Die Jägerbewegung
Das Museum zur Geschichte des Königlich-Preußischen
Jägerbataillons 27 – der Finnischen Jäger, Hohenlockstedt
Finnisches Nationalmuseum, Helsinki
Finnische Jägerbewegung
im Ersten Weltkrieg
klar, dass das Kaiserreich auch zur See
einen westlichen Schwerpunkt wählen
musste – die Ostsee wurde zum maritimen Nebenkriegsschauplatz.
Die öffentliche Meinung des neutralen
Schwedens im Auge, drahtete das Auswärtige Amt im August 1914 folgenden
Erlass an den deutschen Gesandten in
Stockholm: »Um in Finnland Stimmung für uns zu machen, eventuell
Aufstand gegen Russland hervorzurufen, wäre es geboten, alsbald mit
leitenden Persönlichkeiten schwedischer Partei in Finnland Fühlung
zu nehmen und ihnen im Falle für
uns günstigen Kriegsausgangs autonomen Pufferstaat Finnland (Republik) in Aussicht zu stellen.«
Das neutrale Schweden sollte auf die
deutsche Seite gezogen werden. Von
einem deutschen Sieg sollte es durch
die Existenz eines eigenständigen
Finnland, Annexion der Ålandinseln
(Ahvenanmaa) und die Möglichkeit
zu Grenzbefestigungen an der Ostsee
gegen Russland profitieren. Neben dem
Auswärtigen Amt war auch der Admiralstab der Marine an Finnland interessiert. Im Mittelpunkt seiner Betrachtungen standen die Ålandinseln sowie
die Unterbrechung der britisch-russischen Verbindungen; insbesondere die
Unterbrechung der finnischen Bahnstrecken nach Schweden durch Sabotagekommandos wurde untersucht.
Am 8. Dezember 1914 nahm der finnische Aktivist Herman Gummerus mit
dem kaiserlichen Marineattaché Kapitän zur See von Fischer-Lossainen in
Stockholm Verbindung auf. Etwa zwei
Monate vorher hatten Studenten in
Finnland das »Provisorische Zentralkomitee für die Aktivistische Bewegung«
gegründet. Über Gummerus ließ die
Aktivistische Bewegung anfragen, ob
das Deutsche Reich bereit sei, etwa 150
junge Finnen in Deutschland militärisch auszubilden. Parallel aber unab-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
5 Fahne des kgl. preuß. Jägerbataillons
Nr. 27: preußische Eckmedaillons und
finnischer Löwe.
hängig davon wurde in Berlin unter
der Schirmherrschaft des Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger zur
»Unterstützung von Finnländern,
welche durch den Krieg von ihrer
Heimat abgeschnitten worden sind«,
das »Finnische Unterstützungskomitee« gegründet. In der Tat fielen die
Finnen in Deutschland als Untertanen
des russischen Zaren in die Kategorie
»feindliche Ausländer«. Als solche
wurden sie aus den Städten ausgewiesen, mussten sich zweimal täglich bei
der Polizei melden oder wurden im
Zuge der »Spionagefurcht« interniert.
Während die deutsche Auslandspropaganda unter Erzberger auf das »Finnische Unterstützungskomitee« setzte,
hielt das Auswärtige Amt Kontakt zum
»Finnischen Komitee«. Dieses bestand
aus einer kleinen Gruppe finnischer
Aktivisten ebenfalls in Berlin unter
Vorsitz des finnischen Juristen Fredrik
Wetterhoff.
Die Zielrichtung und die Vorgehensweise der Finnlandpolitik der einzelnen
deutschen Behörden waren insgesamt
recht unterschiedlich. Während der
Admiralstab an Sabotageaktionen in
Finnland interessiert war, hofften das
Auswärtige Amt und Erzberger auf die
propagandistische Wirkung auf Schweden und die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen im Zarenreich.
Während Gottlieb von Jagow, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, die
Otavan arkisto
Möglichkeit eines Separatfriedens mit
Russland nicht mit der Finnlandfrage
belasten wollte, hielt General Erich
von Falkenhayn, Chef des Generalstabs des Feldheeres »die Erregung
eines Aufstandes für wünschenswert«.
Zur Koordinierung der verschiedenen
an Finnland interessierten Behörden
fand auf Falkenhayns Vorschlag am
26. Januar 1915 eine kommissarische
Besprechung statt. Hierzu waren Vertreter des Kriegsministeriums, des Stellvertretenden Generalstabs in Berlin,
des Admiralstabs wie des Auswärtigen
Amts geladen.
»Kriegskursus für Ausländer«
Auf dieser Besprechung wurde beschlossen, dass obwohl eine Landung
in Finnland »noch auf lange Zeit
hinaus nicht möglich« sei, 200 finnische
Aktivisten im Lager Lockstedt (heute
Hohenlockstedt) nördlich von Hamburg ausgebildet werden sollten, um
ihnen »die Sympathie Deutschlands
mit Finnland zu beweisen und sie
mit der Kulturhöhe und dem militärischen Geist Deutschlands bekannt zu
machen, ferner aber um sie im Falle
eines aktiven Vorgehens Schwedens
gegen Russland oder eines selbständigen finnischen Aufstandes zur Erfüllung militärischer Aufgaben befähigt
zu machen«.
Mit diesem »Kriegskursus für Ausländer« wurde Major Maximilian Bayer
betraut. Ihm sollten zwei Hauptleute
(ein Infanterist und ein Pionier) als
Lehrer zur Verfügung stehen. In einem
vierwöchigen streng geheimen Kurs
sollten neben allgemeiner militärischer
Ausbildung, wie »Aneignung militärischen Geistes, Schießen, Gefechtsausbildung kleiner Abteilungen, Sicherung, Erdarbeiten und Infanterieaufklärung«, auch militärfachliche Inhalte,
wie »Zerstörung von Eisenbahnen und
Kunstbauten aller Art, von Hafeneinrichtungen und Schiffen« sowie »Parteigängerkrieg im Rücken eines feindlichen Heeres«, nahegebracht werden.
Der Schwerpunkt der Ausbildung lag
in dieser ersten Phase also im – vom
Admiralstab geforderten – Jagdkampf
im rückwärtigen Raum des Gegners.
Die Bekleidung wurde an die Pfadfindertracht angelehnt, die Bewaffnung
erfolgte mit russischen Beutegewehren.
5 Finnische Jäger an der Misse
Die künftigen Kursteilnehmer mussten sich illegal über den Landweg,
bei Schnee und Eis auf Skiern oder
Schneeschuhen, in kleinen Gruppen
erst einmal nach Schweden durchschlagen. Aufgrund der extremen Witterungsbedingungen, aber auch weil es
sich bei ihrem Kampf für die finnische
Selbständigkeit nach russischer Sichtweise um Hochverrat handelte war
der Weg der Aktivisten auf den »Etappenrouten« nicht selten lebensgefährlich. In Stockholm wurden sie durch
die deutsche Botschaft mit Pässen und
Geld versorgt, um anschließend unerkannt nach Hamburg zu reisen. Von
dort wurden die Finnen von einem
Verbindungsmann ins Lager Lockstedt
geschickt. Bis zum befohlenen Kursbeginn am 15. Februar 1915 (nur 20
Tage nach der Entscheidung!) gelang
es nicht, alle Kursteilnehmer nach
Deutschland zu bringen; so beschloss
das Kriegsministerium zusätzlich, sich
bereits in Deutschland aufhaltende
Finnen aus Dresden, Hamburg, Lübeck,
Wismar sowie Hannover und München
anzuwerben. Im April 1915 erreichte
der Kurs schließlich eine Stärke von
170 Teilnehmern. Etwa ein Sechstel von
ihnen hatte seinen Wohnsitz vorher als
»feindliche Ausländer« im Deutschen
Reich.
Ausbildungstruppe Lockstedt
Bei einem erneuten Treffen der Teilnehmer der kommissarischen Besprechung vom Januar 1915 kamen die
verantwortlichen deutschen Behörden
überein, dass der »Kriegskursus für
Ausländer« zu einer 1200 Mann starken »Ausbildungstruppe Lockstedt«,
bestehend aus vier Infanteriekompanien, einer Pionierkompanie und einer
Maschinengewehrabteilung, erweitert
werden solle. Doch bereits einen Monat
später wurde diese Entscheidung
wieder in Frage gestellt. Während
Falkenhayn (Generalstab) »auf eine
weitere Verfolgung der finnischen
Angelegenheiten verzichten« wollte,
erschien es dem für die »finnische
Legion« verantwortlichen Oberst von
Zimmermann (Stellvertretender Generalstab) ratsam, »die in Lockstedt
bereits in der Ausbildung befindlichen
Finnen dort zu belassen« und auch
die »neuen finnischen Rekruten in die
Legion aufzunehmen«, um bei »Ausbruch einer allgemeinen großen Revolution in Russland mit dem finnischen
Element in Fühlung zu bleiben«. Das
Kriegsministerium sprach sich wiederum gegen eine »Vermehrung des
finnischen Korps« aus und argumentierte, dass es notwendig sei, das für die
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
11
Finnische Jägerbewegung
Finnen erforderliche Ausbildungspersonal frei zu bekommen – es handelte
sich hierbei um zwölf (!) Unteroffiziere.
Der Kommandeur der Ausbildungstruppe, Major Bayer, schlug daraufhin
vor, diese durch geeignete Finnen zu
ersetzen. Das Auswärtige Amt schließlich befürchtete im Falle einer Auflösung der »Finnischen Legion« negative
propagandistische Auswirkungen auf
die »Aufwiegelung« anderer »Fremdvölker«. Kaiser Wilhelm II. lehnte jedoch am 19. Juli 1915 das »finnische
Unternehmen« mit folgenden Worten
ab: »Nein, dazu gebe ich mich nicht her.
Ich will in den Ländern des Zaren keine
Revolution anzetteln.«
Kriegsminister Generalleutnant Adolf
Wild von Hohenborn – dessen Ministerium inzwischen auf die befürwortende
Linie des Stellvertretenden Generalstabs und des Auswärtigen Amtes eingeschwenkt war – meinte etwa drei
Wochen später, dass er den Eindruck
habe, der Kaiser befürchte »ein Aufstand in Finnland könne den Thron des
Zaren gefährden«. Genau dies war
aber der Plan des Auswärtigen Amts.
Ihm gelang es schließlich mit dem
Argument, die Auflösung der Finnentruppe habe negative Auswirkungen
auf des Kaisers »Möchtegern-Verbündeten« Schweden, am 29. Juli 1915 die
Zustimmung des obersten Kriegsherrn
zu erhalten.
Am 26. August 1915 gab Kriegsminister Wild von Hohenborn den Befehl
zur Aufstellung der nun »Ausbildungstruppe Lockstedt« genannten »Finnischen Legion«. Die stetig anwachsende
Zahl der Freiwilligen – im finnischen
Untergrund erfolgte der Aufbau einer
regelrechten Rekrutierungsorganisation
– wurde nun zu einem selbstständigen Jägerbataillon geformt. Ausrüstung und Uniformierung entsprachen
derjenigen »gewöhnlicher« deutscher
Jäger: Grüner Waffenrock und Tschako
wiesen die Finnen als Angehörige
dieser infanteristischen Elite aus.
Jääkäriliike – Jägerbewegung wurde
von nun an in Finnland zur Bezeichnung der seitens Deutschland gestützten bewaffneten Freiheitsbewegung.
Lediglich die Bewaffnung bestand aus
russischen Beutegewehren, um sich im
Falle eines Einsatzes der Jäger in Finnland aus den dortigen russischen Waffenlagern versorgen zu können.
12
»Aufwiegelung der Fremdvölker«
Da es dem deutschen Kaiserreich
nicht gelang, den Krieg auf dem
Schlachtfeld für sich zu entscheiden,
wurden andere Wege gesucht, die
Gegner zu schwächen. Die »politische Variante« der Kriegsführung bot
sich für Deutschland aufgrund der
strategischen Schwerpunktbildung
des Heeres im Westen (Schlieffenplan) insbesondere für den östlichen
Kriegsschauplatz an. Für den Reichstagsabgeordneten Matthias Erzberger, der kurz nach Kriegsausbruch die
Leitung der deutschen Auslandspropaganda übernommen hatte, war
das russische Vielvölkerreich lediglich ein »Koloss auf tönernen Füßen«.
Durch »Aufwiegelung der Fremdvölker«, also der nichtrussischen Völker
im Zarenreich – so dachte man auch
im Auswärtigen Amt – könne man
»die Russen fast ohne jeden Soldaten
bis hinter Warschau treiben«. Neben
Polen, Esten und Kaukasiern wurden
die Finnen zu den erfolgversprechenden »Fremdvölkern« im Zarenreich
gezählt.
Einsatzoptionen
Was hatte das Kaiserreich aber nun mit
dieser »Finnischen Legion« vor? Was
sollte ihr Auftrag sein? Die deutschen
Stellen waren sich hierüber selbst nicht
einig. Im Admiralstab und im Auswärtigen Amt wurde lange auf den
verschiedenen Ebenen der Plan des
Marineattachés Fischer-Lossainen diskutiert. Dieser sah vor, durch eine Landung der finnischen Jäger auf den
Ålandinseln Schweden in den Krieg
zu zwingen: »Es wird sich vielleicht
ein nördlicher Nebenkriegsschauplatz
bilden. Sollte dann wider Erwarten
Schweden ruhig mit ansehen können,
wie das finnische Freikorps auf Åland
verblute, so hat Deutschland doch
wenigstens alles getan, was ihm zur
Zeit für die Lösung der skandinavischfinnischen Frage im germanischen Sinne
zu tun möglich war.« Aufgrund des
nach wie vor im Westen liegenden
Schwerpunktes der deutschen Kriegführung und seiner Hoffnung, durch
einen Separatfrieden mit Russland Divisionen für das Niederringen Frank-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
reichs freizubekommen, lehnte es
Generalstabschef Falkenhayn ab, die
für solch ein Unternehmen seitens des
Generalstabs geforderten 5000 Heeressoldaten zu stellen.
Als schließlich klar wurde, dass es
aufgrund der öffentlichen Stimmung in
Schweden ohnehin kein gemeinsames
deutsch-schwedisches Vorgehen gegen
Russland geben würde, fiel in Absprache mit finnischen Exilpolitikern etwa
im Februar 1916 die Entscheidung,
die Jäger an der Ostfront einzusetzen.
Dem Kommandeur der Ausbildungstruppe zufolge sollten die Finnen am
nördlichsten Teil der Ostfront mit der
Ostsee als »linken Nachbarn« eingesetzt werden. Bei einem schnellen Vormarsch auf Reval (estnisch Tallinn,
etwa 80 km Luftlinie von Finnland entfernt) könne, so Bayers Plan, nachts
aus Finnland ein Teil der »unbenutzten Rekrutenreserve von rund 300 000
Mann« über die Meerenge geschafft
werden um nach kurzer Ausbildung
»die Russen in Finnland niederkämpfen«.
An der Ostfront: Jägerbataillon 27
Am 17. März 1916 erreichte die »Finnische Legion« ihren personellen Sollbestand von 1502 Mann. Am 13. März
erhielt, nachdem bekannt geworden
war, dass das schwedische Heer einen
Mangel an steilfeuernder Artillerie aufwies, die Ausbildungstruppe noch eine
Batterie leichte Feldhaubitzen. Am 22.
Mai meldete Bayer den Status »kriegsverwendungsbereit«. Mit der Mobilmachung am 30. Mai erhielt der mobile Teil
der »Finnischen Legion« den Namen
»Königlich Preußisches Jägerbataillon
Nr. 27«. Am nächsten Tag erfolgte der
Eisenbahntransport Richtung Mitau
(Jelgava). Das Jägerbataillon unterstand
nun der 3. verstärkten Kavalleriebrigade der Gruppe Mitau der 8. Armee.
Das Jägerbataillon 27 hielt in der Folge
vier Frontkilometer bei Mitau an der
Misse – also nicht wie vom Kommandeur geplant und mit den finnischen Exilpolitikern abgesprochen an
der Ostsee. Als den russischen Truppen bekannt wurde, woher die Gegner
im Graben gegenüber ursprünglich
kamen, belegten sie die 27er Jäger
mit »sehr schwerem und anhaltendem
Artilleriefeuer«. Dem stets optimisti-
5 Jääkärikunniamerkki:
die Ehrenmedaille
der Jäger zeigt die
Bataillonsnummer »27«
auf einem »Eisernen Kreuz«
Sammlung A. Keßelring
schen Bericht des Kommandeurs zufolge ließ »die gute Stimmung auch
unter dem Eindruck der ersten blutigen
Verluste nicht nach«. In Tittelmünde
musste jedoch ein »Erholungsheim«
für die infolge der artilleristischen
Feuerwalze »an den Nerven leidenden Leute« eingerichtet werden. Nach
zweieinhalbmonatigem Einsatz im Stellungskrieg an der Misse wurde das
Jägerbataillon aus der Front gezogen
und mit der Bahn nach Tuckum gebracht.
Nach kurzer Auffrischung ging es
Anfang September 1916 in die neuen
Stellungen. Wie im Plan Bayers vorgesehen, wurde die »Finnische Legion«
jetzt an der nördlichsten Stelle der Ostfront eingesetzt. Die Jäger sicherten
nun nach Norden fünf Kilometer der
Ostseeküste und verteidigten die drei
nördlichsten Frontkilometer. Zu einem
schnellen Vormarsch auf Reval kam es
jedoch nicht (Riga wurde erst ein Jahr
später im September 1917, Reval im Februar 1918 eingenommen). Hinzu kamen
ein zurückgenommener Angriffsbefehl
und extreme Witterungsbedingungen.
Unzufriedenheit bei den Mannschaften bis hin zu Desertionen und Befehlsverweigerungen waren die Folge. Viele
Finnen fühlten sich von Deutschland
betrogen und an der Ostfront »verheizt«.
Die gegenüber dem deutschen Kaiserreich loyalen finnischen Führer und
Unterführer suchten teils durch drakonische Maßnahmen, teils durch Fürsprache bei den deutschen Vorgesetzten
die Lage in den Griff zu bekommen –
was letztendlich auch Wirkung zeigte.
Einsatz in Finnland
Die deutsche Führung suchte nach
dem Prinzip »Zuckerbrot und Peitsche« der schwierigen Situation Herr
zu werden. Einerseits bekam die »Finnische Legion« eine eigene Strafeinheit,
das Kommando der Arbeitssoldaten
in Altona-Bahrenfeld, andererseits
wurden jetzt die – bisher schlicht nicht
vorhandenen – versorgungsrechtlichen
Ansprüche der Jäger geklärt. Politische
Veränderung brachten erst der Wechsel zur 3. Obersten Heeresleitung im
Reich und der russische Machtverfall
infolge der dortigen Februarrevolution
des Jahres 1917. Am 20. März ging
die Verantwortlichkeit der »finnischen
Frage« vom Stellvertretenden Generalstab auf den Generalstab über. Nun
sollte die »Finnische Legion« des Kaisers direkt für die Revolutionierung
Finnlands kämpfen. Als sich infolge der
russischen Oktoberrevolution Finnland
für unabhängig erklärte (6.12.1917),
wurde das Königlich Preußische Jägerbataillon Nr. 27 am 13. Februar formell
aufgelöst und der finnische Teil auf die
»weiße« (bürgerliche) Regierung Finnlands vereidigt. Genau drei Jahre nach
dem offiziellen Kursbeginn im Lager
Lockstedt begrüßte der neue, nun finnische, Oberbefehlshaber, General Carl
Gustaf Freiherr von Mannerheim, die
Jäger in der Interimshauptstadt der
»weißen« finnischen Regierung, Vaasa
(schw. Vasa). Im finnischen Bürgerkrieg, der zugleich ein Unabhängigkeitskrieg gegen das nun sowjetische
Russland war, bildeten die ehemaligen
Angehörigen der »Finnischen Legion«
sowie die Ostseedivision unter General
Graf Rüdiger von der Goltz das »Zünglein an der Waage« zur Veränderung
der Landkarte im Norden Europas.
Eine Geschichte mit langer Wirkung;
noch bis Ende der 1950er Jahre bestand
die finnische Militärelite überwiegend
aus ehemaligen 27er-Jägern. Während
in der deutschen Militärgeschichte die
Jägerbewegung oft nur eine Fußnote
wert ist, gedenkt das finnische Militär
noch heute jährlich am 25. Februar –
dem Tag der Gründung und der Landung in Finnland – der Lockstedter
Jäger.
n Agilolf Keßelring
Literaturtipp:
Agilolf Keßelring, Des Kaisers »Finnische
Legion«. Die finnische Jägerbewegung im
Ersten Weltkrieg im Kontext der deutschen
Finnlandpolitik; Berlin 2005
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
13
Operation »Nordlicht«
»Mitleid mit der Zivilbevölkerung ist nicht am Platze«.
Die Zerstörung Nordnorwegens
durch deutsche Truppen 1944
U
nter dem harmlos klingenden
Operationsnamen »Nordlicht«
zerstörten deutsche Truppen
gezielt und umfassend 1944 die beiden
nördlichsten Provinzen Norwegens.
Die Verwüstung der Finnmark und des
nördlichen Teiles von Troms sowie die
Evakuierung ihrer Bevölkerung erfolgten im Zusammenhang mit dem Rückzug der deutschen 20. Gebirgsarmee
unter ihrem Oberbefehlshaber Generaloberst Lothar Rendulic vom nördlichen Flügel der Gesamtfront gegen die
Sowjetunion und sollten das Nachrücken der Roten Armee verhindern.
Erzwungen wurde die Rückführung
der deutschen Truppen, als Finnland
Anfang September 1944 die sogenannte »Deutsch-Finnische Waffenbrüderschaft« im Kampf gegen die Sowjetunion aufkündigte und Deutschland
aufforderte, »seine Truppen vom finnischen Staatsgebiet innerhalb zwei
Wochen zurückzuziehen«; andernfalls
sollten die deutschen Einheiten entwaffnet und ausgeliefert werden,
erfuhr der deutsche Gesandte vom finnischen Außenminister.
Beschwerlicher Rückzug
Die deutsche Seite reagierte darauf
mit der Rücknahme der 20. Gebirgsarmee in den finnischen Nordraum
(Deckname »Birke«). Am 6. September
begann das XVIII. Gebirgsarmeekorps
sich von russischem Territorium auf
finnisches Gebiet in Richtung Rovaniemi zurückzuziehen und sich entlang
der schwedisch-finnischen Grenze in
Richtung Norwegen zu bewegen. Das
XXXVI. Gebirgsarmeekorps setzte sich
fünf Tage später zunächst nach Südwesten ab, um dann nördlich Rovaniemi auf die Eismeerstraße einzuschwenken. Das XIX. Gebirgsarmee-
14
5 Das Gemälde von Ivar Selø zeigt die Stadt Vadsø vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg
korps blieb vorerst noch in seinem Einsatzraum an der Murmansk-Front.
Anfang Oktober stimmte Hitler grundsätzlich zu, die Gebirgsarmee weiter
bis zum norwegischen Lyngen-Fjord
zurückzuführen. Als Tarnbezeichnung
für die militärische Operation wurde
der Name »Nordlicht« festgelegt.
Von dieser schwierigen militärischen
Aufgabe war eine Armee mit rund
200 000 Mann, etwa 60 000 Nutztieren,
Tausenden von Fahrzeugen – darunter
allein eineinhalbtausend Schneepflüge
– sowie einer großen Zahl von
Kriegsgefangenen und Verwundeten
betroffen, die unter den Bedingungen
des arktischen Winters bei gleichzeitigen heftigen Kämpfen mit den Verfolgern zurückzuführen waren. Darüber hinaus wurden ungeheure Vorräte
an Lebensmitteln, Waffen, Munition,
Bekleidung, Baumaterialien, Brennstoffen mitgeführt – allein im Bereich des
XIX. Gebirgsarmeekorps eine Bevorratung für 100 000 Mann für ein Jahr.
Für die Rückführung des XIX. wie
auch des XXXVI. Gebirgsarmeekorps
stand mit der norwegischen Reichsstraße 50 nur eine kümmerliche Verkehrsader zur Verfügung. Dieser, durch
etliche Fährstellen unterbrochene Fahrweg, war ständig durch Schneeverwe-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
hungen bedroht, was den Bau langer
Schneezäune und zum Teil von kilometerlangen hölzernen Tunnelkonstruktionen erforderte.
Die Situation im
besetzten Norwegen
Das besetzte norwegische Territorium,
auf das die 20. Gebirgsarmee zurückgeführt wurde, stand seit über vier Jahren
unter der Verwaltung des »Reichskommissars für die besetzten norwegischen Gebiete«, Josef Terboven, der
Hitler unmittelbar unterstellt war. Die
deutschen militärischen Belange vor
Ort wurden vom Wehrmachtbefehlshaber Norwegen, Generaloberst Nikolaus von Falkenhorst, wahrgenommen,
dessen »Norwegen-Armee« mehrere
hunderttausend Soldaten umfasste. Mit
dem deutschen Besatzungssystem kollaborierte die norwegische Bewegung
»Nasjonal Samling« (Nationale Sammlung, NS), an deren Spitze Vidkun
Quisling, seit Februar 1942 als »Ministerpräsident« Chef einer Pro-forma-Regierung, stand.
Mit dem Übertritt auf norwegisches
Gebiet wurden die 20. Gebirgsarmee
und die Norwegen-Armee miteinander verschmolzen. Falkenhorst erhielt
den Abschied, und Rendulic wurde
sein Nachfolger als Wehrmachtbefehlshaber in Norwegen.
Zwischen den Situationsbewertungen
durch das Reichskommissariat und
die Wehrmacht gab es große Unterschiede. Gemeinsam war zwar beiden
die Furcht vor dem Nachrücken der
Roten Armee auf norwegisches Gebiet.
Terboven sah aber schwerwiegende
politische Gefahren für das übrige
besetzte Norwegen voraus, sobald das
Räumungsgebiet unter sowjetischer
Kontrolle stünde. Ähnliche Befürchtungen hegten Quisling und seine Mitstreiter, deren Stand durch die erwartete Rückkehr von Vertretern der 1940
nach London geflüchteten legitimen
norwegischen Regierung in das evakuierte Territorium noch schwerer werden
würde.
Als geographisch geeignetsten Ort,
um das Nachrücken von Russen und
möglicherweise von Finnen zu stoppen, bot sich der mit rund 20 km
verhältnismäßig schmale Landstreifen
zwischen dem südlichen Ende des
Lyngen-Fjords und der Grenze zum
neutralen Schweden an. Alle norwegischen Gebiete nordöstlich der Lyngen-Stellung waren dem nachrückenden Gegner preisgegeben. Damit dieser
sich einerseits nicht als ›Befreier aufspielen‹ und andererseits nicht aus dem
Lande leben konnte, wurde schließlich
harter militärischer Logik folgend die
Evakuierung der beiden norwegischen
Provinzen Finnmark und Nord-Troms
beschlossen.
Von der »freiwilligen« zur
erzwungenen Evakuierung
Das betroffene Areal umfasste mit rund
60 000 Quadratkilometern in etwa ein
Fünftel der Fläche des norwegischen
Festlandes; vor dem Kriege lebten hier
rund 50 000 Menschen, die im Wesentlichen vom Fischfang ihr Auskommen
bezogen, hauptsächlich in kleinen und
weit verstreuten Siedlungen.
Die zunächst – vor allem von zwei
in den Norden entsandten Ministern
Quislings – propagierte freiwillige Evakuierung, wonach sich die Bevölkerung in den Süden des Landes begeben
sollte, zeigte kaum Wirkung. Dafür gab
es vielerlei Gründe; nicht zuletzt konnte
die Bevölkerung in diesem zivilisatorischen Außenposten mit dem unbe-
kannten, militärisch geprägten Begriff
›Evakuierung‹ wenig anfangen. Terboven drängte angesichts der geringen
Resonanz auf eine zwangsweise Evakuierung der Einwohner unter Beteiligung der Wehrmacht, deren Hauptaugenmerk allerdings auf die Rückführung der eigenen Soldaten gerichtet war. Ausschließlich norwegische
Fischkutter, deren Anzahl Terboven
in zweckoptimistischer Weise zu hoch
ansetzte, sollten für den Transport der
Evakuierten über See genutzt werden.
Der Befehl: Evakuieren
und Verbrennen
Terbovens Klagen über den schleppenden Fortgang der Aktion führten
schließlich zu der im Namen Hitlers
verkündeten Anordnung, wonach
»die gesamte norwegische Bevölkerung ostwärts des Lyngenfjords im
Interesse ihrer eigenen Sicherheit
zwangsweise zu evakuieren und alle
Wohnstätten niederzubrennen bezw.
zu zerstören sind.
Ob[erbefehlshaber] Nordfinnland ist
dafür verantwortlich, dass der Führerbefehl rücksichtslos durchgeführt
wird. [...] Mitleid mit der Zivilbevölkerung ist nicht am Platze.«
Der Befehl wurde mit Hilfe eines plakatierten Aufrufs von Terboven und Ren-
dulic bekannt gemacht, wobei darauf
hingewiesen wurde, daß die Rückführung der Bevölkerung von norwegischen Behörden durchgeführt werde.
Die Durchführung der Evakuierung
Der Evakuierungsbefehl führte zu der
größten Wanderbewegung und den
umfassendsten Zerstörungen auf norwegischem Boden überhaupt. Militärische Abteilungen zogen von Ort zu
Ort, von Gehöft zu Gehöft und trieben
die Menschen aus ihren Häusern, die
Kranken aus den Hospitälern, das Vieh
aus den Ställen. Die Gebäude wurden
in der Regel nach kurzer Frist in Brand
gesetzt, das Vieh zum Teil an Ort und
Stelle geschlachtet, zum Teil auch mitverbrannt, zum Teil auf die Reise mitgenommen.
Auf den kleinen Fischkuttern herrschten wegen Überfüllung zum Teil
unbeschreibliche Zustände. Auf der
»Karl Arp«, einem Schiff von rund
6000 Bruttoregistertonnen, waren 1850
Menschen mehrere Tage von Finnmark
bis Narvik unterwegs, zusammengepfercht im Laderaum. Zu den qualvollen räumlichen Bedingungen und der
ungenügenden Versorgung kamen die
katastrophalen sanitären Verhältnisse
(zwei Toiletten), die epidemieartige
Erkrankungen nach sich zogen. Die
Helfer, welche die Evakuierten in Narvik aus den Laderäumen bargen, konn-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
15
Operation »Nordlicht«
ten nur mit Gasmasken arbeiten. Rund
300 Personen mussten sofort in Krankenhäuser gebracht werden. 25 Tote
soll das Sterberegister von Narvik nach
diesem Transport verzeichnet haben.
Obwohl die Evakuierungsmaßnahmen sehr umfassend waren, gelang es
doch vielen Norwegern in Verstecke
zu flüchten. Beispielsweise konnten
sich in einer Gemeinde mit ursprünglich 1650 Einwohnern rund 500 rechtzeitig absetzen, die übrigen wurden
zwangsevakuiert. Von den Geflüchteten wurden 130 anschließend wieder
von einer deutschen Patrouille entdeckt.
Das Schicksal der vertriebenen Bevölkerung war eine Seite der Tragödie.
Eine andere war das der mitgeführten
Kriegsgefangenen. Das Küstenfrachtschiff »Rigel« beispielsweise war in
Alta mit sowjetischen Kriegsgefangenen und deutschen Wachmannschaften beladen worden. In der Höhe von
Tjetta wurde es von britischen Flugzeugen angegriffen und versenkt. Dies
war vermutlich die größte Einzelkatastrophe auf norwegischem Gebiet
während des Krieges. 2570 Menschen
kamen dabei um, 160 Gefangene
überlebten. Noch Monate lang seien
die Leichen der Ertrunkenen an Land
getrieben worden, heißt es.
Deutsche und norwegische
Statistiken
Das Oberkommando der 20. Gebirgsarmee errechnete Mitte Dezember
1944 die Zahl von insgesamt rund
43 000 Evakuierten gegenüber etwa
18 700 davon nicht erfassten Personen.
Norwegische Zahlen aus der Nachkriegszeit gehen dagegen von rund
50 000 evakuierten Menschen und
etwa 23 000 geflüchteten Personen
aus. Östlich der Linie Berlevåg-Kvenangen waren die Zerstörungen offenbar zu nahezu 100 Prozent durchgeführt, im übrigen Gebiet zu etwa 75
Prozent.
Auswirkungen des
Widerstandes
Zum Gesamtbild der Ereignisse gehört,
dass die norwegische Exilregierung
und der Widerstand im Lande anfänglich die Parole ausgaben, wonach die
16
Zwangsevakuierung das Werk der
Deutschen und der NS-Regierung sei.
Behinderung der Evakuierung war
demnach auch eine Behinderung des
militärischen Gegners und Hilfe für
die Evakuierten war nach dieser Logik
auch Unterstützung für den Gegner,
so dass es aus Sicht der Exilregierung
und des Widerstandes als ›unnational‹
galt, wenn sich medizinisches Personal
für die Betreuung der Evakuierten zur
Verfügung stellte.
Darüber hinaus wurde beispielsweise
durch norwegischen Druck aus London
der sogenannte Hufeisenverkehr mit
der Eisenbahn von Narvik über schwedisches Gebiet nach Südnorwegen
gestoppt. Man verlangte von der
schwedischen Regierung, dass die
damit transportierten Evakuierten auf
schwedischem Gebiet bleiben sollten.
Dadurch wurde der von der NS-Regierung und dem Roten Kreuz zustande
gebrachte zusätzliche Transportweg
unterbunden.
Deutsche Proteste gegen die
Evakuierungsmaßnahmen
Die Zerstörung von Nord-Troms und
Finnmark war auch in den deutschen
Reihen nicht unumstritten, jedoch
weniger aus humanitärer Rücksichtnahme, sondern vielmehr wegen militärisch-technischer Bedenken im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit mancher
Maßnahmen. Unter denen, die sich kritisch gegen die zwangsweise Evakuierung und die totale Zerstörung wandten, befanden sich beispielsweise Falkenhorst und sein Stab ebenso wie
der Chef des XIX. Gebirgsarmeekorps,
General der Gebirgstruppen Ferdinand
Jodl.
Beide schätzten die Gefahr russischen
Nachdrängens gering ein, wie sie auch
in der Mitwirkung an der Evakuierung eine zusätzliche schwere Belastung für die Truppe sahen, die »durch
Kampf, Marsch und Rückführung militärischen Gerätes und sonstiger Vorräte« voll ausgelastet sei. Die Furcht
vor verstärkter »Bandentätigkeit« bis
hin zum »Aufflammen einer Partisanenbewegung« wurde ebenfalls gegen
die Evakuierung angeführt.
Sogar der berüchtigte Befehlshaber
der Sicherheitspolizei und des SD
in Norwegen, SS-Oberführer Heinrich
Fehlis, richtete am 28. Oktober 1944
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
warnende Worte an Terboven und Bormann. Fehlis bezweifelte nicht nur, dass
die Mitnahme der obdachlos gewordenen Bevölkerung aus militärischen
Gründen durchführbar sei, sondern
er forderte auch die »Belassung von
einzelnen Stück Vieh je Familie«, um
das Leben der mitgeführten Kinder zu
retten. Auch hielt er eine »geordnete
Rückführung über See« für fraglich,
was den »Tod zahlloser Menschen«
nach sich ziehen würde.
Die Stellungnahme aus dem Wehrmachtführungsstab vom 12. November 1944 stellte dagegen lakonisch fest,
dass die »ausgesprochenen Befürchtungen und Folgen [...] im wesentlichen gegenstandslos geworden oder
übertrieben gesehen« seien.
Befreiung durch die Rote Armee
Zu den vielfältigen Aspekten der norwegischen Erinnerung an die Aktion
Nordlicht gehört auch der Umstand,
dass die Zerstörung Nordnorwegens
zugleich die Befreiung des norwegischen Festlandes von den deutschen
Besatzern – wenn auch sehr teuer
erkauft – einleitete. Für die norwegische Kriegsgeneration war dies vor
allem die Leistung der Roten Armee.
Auch in den Zeiten des Kalten Krieges
galt das Verhältnis der Nordnorweger
zu den nordöstlichen Nachbarn daher
als entspannt und freundschaftlich und
blieb weitgehend unbeeinflusst von der
langjährigen Konfrontation der Machtblöcke. Im Gegenzug hielten sich hier
entsprechend auch die Ressentiments
gegen die Deutschen sehr viel länger
als im übrigen Norwegen.
bequemeren Weg gewählt hätte. Ein
Stück weit war somit gegenseitiges
Misstrauen Bestandteil beider Haltungen.
Die norwegische Militärmission
Als im Mai 1945 die Okkupationszeit
mit der kampflosen Übergabe der »Festung Norwegen« endete, zog es viele
Evakuierte bereits im Sommer des
Jahres in ihre alten Wohnorte zurück.
Das war von den Behörden so gar
nicht erwünscht, aber der Rückkehrdrang und der Wiederaufbau ließen
sich kaum steuern. Die Bevölkerung
half sich erst einmal mit Baracken,
die später festen Häusern wichen. Der
langsame, mehrere Jahrzehnte dauernde Wiederaufbau alter Ortschaften
in neuem Gewand konnte die Bevölkerung aber nicht mit ihrem Schicksal
versöhnen, das ihr ohne eigene Schuld
die Zerstörung der Heimat durch die
deutschen Truppen im Spätjahr 1944
gebracht hatte. Einig war man sich
darin, dass ein überraschend mildes
Herbstwetter, wie man es seit 60 Jahren
nicht mehr erlebt hatte, noch Schlimmeres verhindert hatte.
Mit der Roten Armee überschritt –
nicht ganz zur Freude, aber letztlich
mit Zustimmung der Sowjets und der
Westalliierten – auch eine norwegische
Militärmission am 11. November mit
knapp 300 Mann die sowjetisch-norwegische Grenze, um formal an der
Befreiung norwegischen Bodens teilzunehmen. Sie kamen in eine weitgehend
verwüstete Region, in der die menschlichen Siedlungen und Behausungen
niedergebrannt waren. Ihre Aufgabe
bestand vor allem darin, nach Landsleuten zu suchen, die vor der Evakuierung geflüchtet waren, sie mit dem
Nötigsten zu versorgen und vor möglichen deutschen Übergriffen zu schützen. Gelegentlich kam es auch noch zu
Zusammenstößen mit deutschen Sicherungstrupps, die im evakuierten Gebiet
unterwegs waren.
Innernorwegische Konflikte
Die Begegnung mit den eigenen Landsleuten erwies sich als nicht unproblematisch, da sich die Erwartungen
und Einstellungen der im besetzten
Lande Verbliebenen und der aus dem
Ausland zurückkommenden norwegischen Soldaten zum Teil sehr deutlich
unterschieden.
Die Landsleute konfrontierten ihre
Soldaten mehr oder minder stark mit
der Enttäuschung über die so lange
ausgebliebene Hilfe ebenso wie mit der
Unzufriedenheit über die auch jetzt
noch mangelhafte Unterstützung.
Die norwegischen Soldaten wiederum
mussten erkennen, dass sie nicht nur
unbequeme Bittsteller bei den Westalliierten und bei den Sowjets waren,
sondern darüber hinaus auch von
Teilen der eigenen Bevölkerung aus
jener Gemeinsamkeit ausgeschlossen
wurden, deren verbindendes Element
die Erfahrung der Besatzung und das
erlittene Leid bildeten. Das Gegenstück dazu war der latente Vorwurf aus
den Reihen der Soldaten, wonach die
im Lande Verbliebenen letztlich den
Wiederaufbau mit Schwierigkeiten
»Nordlicht« – ein verdrängtes
Kapitel deutscher Geschichte?
Narvik, Nordkap und Nordlicht sind
Stichworte für traditionelle touristische
Reiseziele – gerade für Deutsche jeden
Alters. Sie tun gewiss gut daran, sich
über die ganze Bedeutung des mythischen Begriffes »Nordlicht« zu informieren, bevor sie die Landschaft erkunden, die im Spätjahr 1944 evakuiert
und verwüstet wurde.
Zu einer nennenswerten deutschen
Aufarbeitung des Geschehens ist es
nie gekommen, durchaus im bequemen Gleichklang mit der formaljuristischen Sichtweise des amerikanischen Militärgerichtshofs V in Nürnberg vom 19. Februar 1948. Rendulic
wurde dort zwar wegen Kriegsverbrechen in Jugoslawien zu insgesamt 20
Jahren Gefängnis verurteilt, in Bezug
auf die Zerstörung Nordnorwegens
jedoch freigesprochen – im Zweifel
urteilte das Gericht zugunsten des
Angeklagten.
Im deutschen kollektiven Bewusstsein sind die geschilderten Ereignisse
nicht verankert, handelt es sich doch
um eine militärisch begründete Zerstörungsaktion wie andere im Verlauf des
Zweiten Weltkrieges auch, ins nationale norwegische Gedächtnis sind sie
aber eingebrannt als die humanitäre
und wirtschaftliche Katastrophe des
Landes – ins Werk gesetzt von deutschen Soldaten. Es sollte deshalb 45
Jahre dauern, bis Soldaten aus Kampfverbänden der Bundeswehr an NATOManövern in Nordnorwegen teilnehmen konnten.
Bei der Rückführung der 20. (Geb.)Armee aus Finnland über Nordnorwegen wurden unter Hinweis auf
einen Befehl Hitlers (»Mitleid mit
der Zivilbevölkerung ist nicht am
Platze«) in einem Gebiet von der
anderthalbfachen Größe Dänemarks
50 000 Menschen evakuiert und
dazu 11 000 Wohnhäuser zerstört,
ebenso wie: 4700 Ställe und Nebengebäude, 230 Gebäude für Industrie
und Handwerk, 420 Geschäfte, 306
Fischereibetriebe, 53 Hotels und
Gastwirtschaften, 106 Schulen, 60
Gebäude der öffentlichen Verwaltung, 21 Krankenhäuser und Krankenstuben, 140 Versammlungsgebäude, 27 Kirchen; dazu kamen die
Zerstörungen an Straßen, Brücken,
Kaianlagen, Booten, Telefonmasten,
Brunnen und Leuchtfeuern. Darüber hinaus wurden in den meisten
Orten die Haustiere geschlachtet und
Minen verlegt. Im übrigen Norwegen wurden zwischen 1940 und 1945
rund 4000 Wohngebäude beschädigt, davon 380 in Bodø sowie 156
total und 940 teilweise zerstört in
Narvik1.
1
Angaben der Fylkeskonservatoren in Finnmark, Troms und Nordland, Wiederaufbauausstellung 1985, wiedergegeben in:
Knut Einar Eriksen und Terje Halvorsen,
Frigjørg, Oslo 1987 (= Norge i krig, Bd 8),
S. 78.
n Arnim Lang
Abb. von S. 14 aus: Knut Einar Eriksen,
Terje Halvorsen, Frigjøring, Oslo 1987
(= Norge i krig. Fremmedåk og frihetskamp
1940–1945. Hovedredaktør:
Magne Skodvin, Bd. 8), S. 54
Abb. von S. 16 aus: Anders Ole Hauglid,
Knut Erik Jensen, Harry Westrheim, Til Vefolkningen! Brannhøsten 1944 – gjenreisingen etterpä,
Tromsø, Oslo, Bergen, Stavanger o.J., S. 45
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
17
Das Ende des »Dritten Reichs«
»...Hoffnung auf eine
bessere Zukunft« – das
Ende des »Dritten Reichs«
Am 30. Januar 1945, dem 12. Jahrestag
der so genannten Machtergreifung,
wandte sich Adolf Hitler in einer Rundfunkansprache das letzte Mal an die
Deutschen. Er prophezeite ihnen die
»Errettung des Volkes« und den Sieg
über die »plutokratisch-bolschewistische Verschwörung«. Wenige Wochen
später, am 18. März, erläuterte Hitler
seinem Rüstungsminister Albert Speer
in sozialdarwinistischem Wahn, dass
das deutsche Volk sich in diesem Krieg
als zu schwach erwiesen habe und
»dem stärkeren Ostvolk … ausschließlich die Zukunft gehöre. Was nach dem
Kampf übrig bliebe, seien ohnehin nur
die Minderwertigen; denn die Guten
seien gefallen.« Entschlossen, das deutsche Volk in seinen eigenen Untergang mitzureißen, verfasste Hitler in
der Nacht zum 29. April 1945 sein Testament, in dem er den Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine, Großadmiral Karl Dönitz, zu seinem Nach-
18
folger im Amt des Reichspräsidenten
und Oberbefehlshaber der Wehrmacht
bestimmte. Als sich Hitler am folgenden Tag das Leben nahm, stand
das Deutsche Reich vor dem völligen
Zusammenbruch. Die deutsche Wehrmacht befand sich in Auflösung.
Deutschlands Städte lagen in Schutt
und Asche. In Berlin, das einmal Hauptstadt eines Großgermanischen Weltreichs werden sollte, stand die Rote
Armee. Millionen Deutsche aus dem
Osten des Reiches befanden sich auf
der Flucht.
Vormarsch der
Anti-Hitler-Koallition
Das Jahr 1945 begann unter den selben
Vorzeichen, wie das Jahr 1944 endete,
die Spuren der baldigen totalen Niederlage des Deutschen Reichs zeich-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
akg-images
5 Nach der Kapitulation:
sowjetische Kampfflugzeuge überfliegen
das Ullstein-Haus in Berlin-Tempelhof,
Foto im Mai 1945.
neten sich in immer präziseren Konturen ab. Zum einen endete die seit
dem 16. Dezember 1944 laufende deutsche Ardennenoffensive (»Wacht am
Rhein«) als katastrophale militärische
Niederlage der Wehrmacht, zum anderen verwandelte sich auch die Großoffensive »Bodenplatte« der deutschen
Luftwaffe in einen fatalen Misserfolg.
Darüber hinaus drohten die Alliierten
mit der systematischen Bombardierung deutscher Hydrierwerke, in denen
synthetischer Treibstoff hergestellt
wurde, die völlige Immobilität deutschen Kriegsgeräts herbeizuführen.
Den Westalliierten gelang es Anfang
Januar 1945 rasch, in Richtung Berlin
vorzudringen. Im Februar erreichten
die vorrückenden britischen, französischen und US-amerikanischen Truppen das Rheinland. Mit der Eroberung
der Ludendorff-Brücke bei Remagen
am 7. März gelang es den amerikanischen Kampfverbänden, einen Brückenkopf am östlichen Rheinufer zu
errichten, von wo nun der westalliierte
Angriff in das Zentrum des Deutschen
Reichs erfolgen sollte.
Die seit dem 12. Januar 1945 überaus
erfolgreich laufende Winteroffensive
der zahlen- und materialmäßig über-
akg-images
legenden Sowjetarmee rollte die Ostfront in kürzester Zeit von der Weichsel bis zur Oder auf. Zugleich setzte in
der ersten Jahreshälfte 1945 eine chaotische und panikartige Massenflucht
der deutschen Bevölkerung vor der
Roten Armee aus Ostdeutschland, Ostmittel- und Südosteuropa in das westliche Reichsgebiet ein. Die Zahl der
Deutschen, die durch die Flucht und
später durch die von den neuen Machthabern durchgeführte Vertreibung ihre
Heimat verloren, beläuft sich auf 12
Millionen; hinzu kommen 2 Millionen
Tote. In Deutschland brach nun die
Kriegswirtschaft zusammen und es gab
keine erzwungenen Nahrungsmittelzufuhren mehr aus den vormals von
deutschen Truppen besetzten Ländern,
welche die Ernährung der deutschen
Bevölkerung sichergestellt hatten. Die
Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln stockte.
Nichts hielt die Alliierten in dieser
Zeit stärker zusammen, als der unbändige Wille, das nationalsozialistische
Deutschland zu vernichten. »Diese
Entschlossenheit, den Sieg um jeden
Preis zu erringen, gab der Kampfkraft
der Alliierten Nahrung und stillte
ihren Durst nach Vergeltung« (Richard
Overy).
Zur ersten direkten Begegnung der
westalliierten und sowjetischen Verbände kam es am 25. April 1945 an der
Elbe bei Torgau. Von Westen stieß die
US-Armee mit der 69. Infanteriedivision über Leipzig nach Torgau vor. Von
Osten näherte sich die sowjetische 58.
Garde-Schützendivision der Stadt. Die
stürmische Begrüßung der GI´s (Abk.
für Government Issue, ugs. für den
amerikanischen Soldat) durch Rotarmisten auf der zerstörten Elbbrücke
in der Mitte Deutschlands stand symbolisch für das jähe Ableben des NSRegimes.
Fünf Tage später hissten Soldaten des
756. Schützenregiments der 1. Weißrussischen Front der Roten Armee, nach
erbitterten Kämpfen, die Rote Fahne
auf dem Reichstag. Am 2. Mai brach
die Verteidigung Berlins nach zehntägigen Kämpfen vollständig zusammen.
Damit befand sich der mitteleuropäische Kernraum unter sowjetischer Kontrolle. Die westalliierten Truppen waren
akg-images / Foto: Jewgeni Chaldej
4 Sowjetische Soldaten hissen auf der
Quadriga des Brandenburger Tors die
Flagge der Sowjetunion.
5 Bei Torgau an der Elbe treffen am 25. April 1945 vorgeschobene Teile amerikanischer
und sowjetischer Truppen zusammen. Rotarmisten und US-Soldaten reichen sich auf der
zerstörten Brücke die Hände.
auf der Linie Wismar–Wittenberge–
Elbe–Mulde–Karlsbad–Pilsen–Linz
stehen geblieben. Der schnelle britische
Vorstoß zur Ostsee zwischen Wismar
und Lübeck hatte ein weiteres Vordringen der Roten Armee bis nach Schleswig-Holstein verhindert.
Bedingungslose Kapitulation
Großadmiral Karl Dönitz, der Anfang
Mai die testamentarisch übertragene
Regierungsgewalt und die Kontrolle
über die verbliebenen deutschen Streitkräfte übernommen hatte, galt als
Anhänger des nationalsozialistischen
Gedankenguts, der auch noch in den
letzten Kriegsmonaten an einer schicksalhaften Wendung für das Deutsche
Reich festhielt. An einen militärischen
Sieg in letzter Minute glaubte er jedoch
nicht mehr. Nachdem er das nationalsozialistische Erbe angetreten hatte,
war es sein Ziel, den Krieg auf eine
Weise zu beenden, sodass noch möglichst viele Soldaten an der Ostfront
vor der sowjetischen Kriegsgefangenschaft entkommen und möglichst viele
Flüchtlinge in den Westen gelangen
konnten. Um dafür genügend Zeit
zu gewinnen, verfolgte Dönitz eine
geschickte stufenweise Kapitulationspolitik, auf die vor allem die britische
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
19
Das Ende des »Dritten Reichs«
5 Soldaten der Wehrmacht passieren das Brandenburger Tor auf dem Weg in die Kriegsgefangenschaft, Foto Anfang Mai 1945.
militärische Führung, aber auch einige
amerikanische Befehlshaber eingingen.
Am 4. Mai 1945 kapitulierten die deutschen Streitkräfte in den Niederlanden,
in Nordwestdeutschland und in Dänemark. Ein lokal begrenztes Kapitulationsangebot, dass den Sowjets vorgelegt wurde, stieß allerdings in gleichem
Maße auf Ablehnung, wie das von
Dönitz an die Westalliierten gerichtete
Angebot einer Teil-Kapitulation, das
die Sowjets ausschloss. Die Anti-Hitler-Koalition bestand darauf, dass sich
die deutschen Streitkräfte bedingungslos allen drei Alliierten ergeben müssten. Am 7. Mai 1945 wurde von Generaloberst Jodl eine erste umfassende
Kapitulationsurkunde in der westfranzösischen Stadt Reims, dem Sitz des
Hauptquartiers des Oberbefehlshabers
der alliierten Streitkräfte in Europa
(SACEUR), US-General Dwight D.
Eisenhower, unterzeichnet, der zufolge
»das Oberkommando der Deutschen
Wehrmacht … allen unter deutschem
Befehl stehenden Streitkräften den
Befehl [gab], die Kampfhandlungen
um 23.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit
am 8. Mai 1945 einzustellen«. Um den
Beitrag der Roten Armee an der Befreiung Europas vom NS-Regime zu würdigen, wurde eine Wiederholung der
Kapitulation im Sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst vereinbart. Am 9. Mai 1945 um 0.16 Uhr
unterzeichneten im Namen des Oberkommandos der Wehrmacht Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg und Generaloberst Hans-Jürgen
Stumpff eine zweite Kapitulationsurkunde, die sich zwar sachlich nicht von
20
der des Vortages unterschied, mit der
aber erst der Krieg in Europa zu einem
Ende gebracht werden konnte.
Besatzung
Pläne und Gedanken, was mit Deutschland nach der bedingungslosen Kapitulation geschehen sollte, hatten sich
zwar die Alliierten Mächte gemacht,
eine einheitliche politische Konzeption hatten sie aber nicht entwickelt.
Nahmen bereits die Spannungen zwischen den Hauptsiegermächten in den
letzten Wochen des Krieges scharfe
Konturen an, kam in den Wochen nach
der Kapitulation, auf Grund unterschiedlicher Vorstellungen zunehmend
Unsicherheit über das künftige Verhältnis zwischen den beiden »Supermächten« USA und UdSSR auf. Die Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde
wurde somit zugleich die Schnittstelle
zwischen zwei Epochen der europäischen Geschichte. Solange aber insbesondere der Krieg in Ostasien anhielt,
überwog die Bereitschaft zur Kooperation gerade auf amerikanischer Seite.
Ein Sieg über Japan ohne sowjetische
Hilfe galt zum damaligen Zeitpunkt
als nahezu ausgeschlossen.
Einig blieben sich die »Waffenbrüder« zunächst in der Frage der Verbrechensaufklärung und Bestrafung der
Verantwortlichen des Dritten Reiches,
dessen Schrecken nun immer massiver ans Tageslicht drangen und die
Abscheu der Kriegsgegner Deutschlands vor dem nationalsozialistischen
Regime vermehrten. Über die Einrichtung eines internationalen Gerichtsver-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
akg-images
fahrens, dem die Alliierten selbst vorstehen würden, konnte ein Konsens
gefunden werden. Auch die Wiederherstellung der Souveränität ehemals
deutsch besetzter Staaten wie Österreich, Polen und der Tschechoslowakei
fand allgemeine Zustimmung. Außerdem kam man überein, sich die amtierende Regierung Dönitz zunutze zu
machen, um eine geordnete und schnelle
Kapitulation zu gewährleisten. Die Alliierten waren ebenfalls daran interessiert, die isolierten deutschen Truppen
von den französischen Atlantikhäfen bis
zur Ostsee sowie die deutschen U-Boote
auf See so schnell wie möglich zur Aufgabe der Kampfhandlungen zu bewegen. Insgesamt gerieten etwa 11,1 Millionen deutsche Soldaten in alliierte,
davon circa 3,15 Millionen in sowjetische Kriegsgefangenschaft.
Am 23. Mai 1945 wurden alle Mitglieder der Regierung Dönitz verhaftet. Im
Gegensatz zum Kriegsende 1918 existierte in Deutschland nach der unter
sowjetischem Druck herbeigeführten
Verhaftung des Kabinetts Dönitz keine
Zentralregierung mehr und somit auch
keine Instanz, die den Anspruch hätte
erheben können, im Namen des gesamten deutschen Volkes zu sprechen.
Diese Situation wurde von den Alliierten bewusst herbeigeführt, entsprach
sie doch ihrer Abneigung, irgendwelche Kontakte auf Regierungsebene mit
den ehemaligen Führungspersönlichkeiten des Dritten Reichs aufzunehmen. Um ihre Herrschaftsansprüche
sichtbar zum Ausdruck zu bringen,
gaben die Alliierten am 5. Juni 1945 die
Berliner Erklärung ab, mit der sie die
»oberste Regierungsgewalt in bezug
SKA
5 Nachdem bereits am 31. August 1994 die sowjetischen Streitkräfte offiziell verabschiedet worden waren,
war der Große Zapfenstreich der Bundeswehr am 8. September 1994 zur Verabschiedung der westlichen
Alliierten ein Zeichen der Freundschaft und der wiedergewonnenen gesamtstaatlichen Souveränität.
auf Deutschland« übernahmen, darin
aber gleichzeitig feststellten, dass dies
nicht eine Annexion von Deutschland
bedeute. Gleichwohl wurde durch diese einseitige Deklaration der Alliierten
nun nach der militärischen auch die
staatlich-politische Kapitulation formal
vollzogen. So wurde erst 1990 im 2+4
Vertrag eine abschließende Regelung
in Bezug auf Deutschland durch die
Siegermächte des Zweiten Weltkrieges
getroffen.
Der Einzug der westalliierten Truppen in ihre Berliner Sektoren ebnete
den Weg für die Schlusskonferenz der
siegreichen Alliierten in Potsdam. Zur
selben Zeit, vom 1. bis 4. Juli 1945, marschierte die Rote Armee in die zuvor
von westalliierten Truppen besetzten
Gebiete Sachsens, Brandenburgs, Mecklenburgs sowie Thüringens ein.
Konferenz von Potsdam
Auch wenn es auf der Konferenz von
Potsdam vom 17. Juli bis 2. August
1945 den »Großen Drei« (d.h. der sowjetische Diktator Stalin, US-Präsident
Harry S. Truman und der britische
Premierminister Clement Attlee) mit
Frankreich an ihrer Seite nochmals
gelang, nach außen den Eindruck einer
Solidargemeinschaft zu vermitteln, so
wurden die Verhandlungen von zunehmenden Interessengegensätzen, vor
allem zwischen den beiden Westmächten Großbritannien und USA einerseits und der UdSSR andererseits, überschattet. Besonders umstritten waren
die neuen polnischen Grenzen (»Westverschiebung« Polens) und die deut-
schen Reparationszahlungen. Nach fast
zweiwöchigen ergebnislosen Beratungen gelang es jedoch US-Außenminister James Francis Byrnes, in direkten Verhandlungen mit seinem sowjetischen Amtskollegen Wjatscheslaw
M. Molotow, der Konferenz doch noch
zu einem Erfolg zu verhelfen. Unter
stillschweigendem Fallenlassen der
»Zerstücklungspläne« in Bezug auf
Deutschland einigten sich die »Großen
Drei« am 30. Juli 1945 darauf, Deutschland während der Besatzungszeit
zumindest als »wirtschaftliche Einheit«
zu betrachten. Zwar sollte »bis auf weiteres« keine deutsche Zentralregierung
geschaffen werden, wohl aber unter
dem Dach des Alliierten Kontrollrats
»einige wichtige zentrale deutsche Verwaltungsstellen« unter »Staatssekretären« ins Leben gerufen werden. Darüber hinaus verzichtete die UdSSR
auf Zahlung einer festen Reparationssumme, wenn die Westmächte, so
die Kompromissformel, einer Westverschiebung der polnischen Grenze
an die Flüsse Neiße und Oder bis
zum Abschluss eines Friedensvertrags
zustimmten.
Dennoch wurden auf dem Territorium Restdeutschlands mit dem Potsdamer Kommuniqué zwei voneinander
getrennte ökonomische Sphären (sozialistische und kapitalistische Ordnung)
geschaffen. Eine Teilung Deutschlands
auf der Ost-West-Demarkationslinie
wurde fortan maßgeblich von der Entwicklung des sowjetisch-amerikanischen Verhältnisses bestimmt.
Der Abwurf der beiden ersten Atombomben über Hiroshima (6. August
1945) und Nagasaki (9. August 1945),
und die damit einhergehende verheerende Vernichtung beider Städte,
brachte Japan unter dem Eindruck
einer politisch-militärisch-technologischen Katastrophe dazu, auf raschem
Wege das »Feuer einzustellen«. Mit der
Unterzeichnung der Kapitulation des
japanischen Kaiserreichs am 2. September 1945 endete nun auch der Zweite
Weltkrieg formell in Ostasien.
In einer Welt des ideologischen
Gegensatzes zwischen US-amerikanischen Demokratievorstellungen und
sowjetischen Kommunismusvisionen
sollte die am Ende des Zweiten Weltkriegs geschaffene atomare Bedrohung
die Kriegsgefahr zwischen den einstigen gegen Hitler Verbündeten Mächten
für die nächsten Jahrzehnte bannen.
Am Ende der Katastrophe für Deutschland, für Europa und die Welt, stand so
der Beginn einer neuen Weltordnung,
die knapp ein halbes Jahrhundert das
Schicksal der Menschen bestimmen
sollte.
Für die Deutschen bedeutete das
Kriegsende nicht nur die von außen
unternommene Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes und den
Auftakt zu über vierzig Jahren zweistaatlicher Entwicklung. Das Leben
ging eben auch damals weiter, und
gemessen am 30. Januar 1933, begriffen
letztlich die Deutschen, wie der ehemalige Bundespräsident Richard Freiherr von Weizsäcker 1985 feststellte,
das Ende des Zweiten Weltkriegs in
der Tat als Befreiung, barg dieses Ende
doch »den Keim der Hoffnung auf eine
bessere Zukunft«.
n Richard Göbelt
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
21
Service
Das historische Stichwort
5 Angriff eines japanischen Torpedobootes auf ein russisches Kriegsschiff;
Farbholzschnitt, Japan
D
er Krieg kam buchstäblich
über Nacht. Die Besatzungen
der Kriegsschiffe auf der
Reede vor Port Arthur wurden in der
Nacht vom 8. auf den 9. Februar 1904
durch Explosionen aus dem Schlaf
gerissen, als japanische Torpedoboote
überraschend angriffen. Vor dem koreanischen Hafen Chemulpo schaltete
ein überlegenes japanisches Geschwader den russischen Kreuzer »Warjag«
und das Kanonenboot »Korejetz« aus.
Die japanische Flotte unter Admiral
Tōgō Heihachiro war bereits in See,
um den russischen Hafen zu blockieren und japanische Truppen hatten mit
der Landung in Korea begonnen. Japan
hatte erst kurz zuvor die diplomatischen Beziehungen mit dem Zarenreich
abgebrochen und nun ohne Kriegserklärung den Krieg um die Vormachtstellung in Nordostasien begonnen.
Obwohl der eigentliche Kriegsausbruch für viele Zeitgenossen plötzlich
kam, hatte sich der Konflikt lange angekündigt. Japan hatte sich nach seiner
erzwungenen Öffnung 1853 in rasantem Tempo modernisiert und bald
begonnen, ostasiatische Großmachtambitionen zu entwickeln. 1894/95 kam
es zum Krieg zwischen Japan und
22
1904/05
China um die Vorherrschaft in Korea.
Japan siegte und erlangte nicht nur
weitgehend freie Hand in Korea, sondern auch den chinesischen Kriegshafen Port Arthur. Diesen Hafen an
der Südspitze der Halbinsel Liaodong
in wichtiger strategischer Lage wollte
Russland den Japanern aber nicht zugestehen und drängte Japan gemeinsam
mit Frankreich und Deutschland 1895
im Einspruch von Shimonoseki erfolgreich zum Verzicht – um den Hafen
nur drei Jahre später selbst zu annektieren. Zum Ende des 19. Jahrhunderts
drang Russland verstärkt in die chinesische Mandschurei vor und streckte
seine Fühler nach Korea aus. Dieses russische Vorgehen kollidierte direkt mit
den Expansionsplänen Japans. Bereits
im März 1901 warnte der deutsche
Marineattaché in Tokio, Korvettenkapitän Erich Gühler, »dass Japan, vielleicht in naher Zukunft, sich genötigt
sieht zum Schutz wirklicher oder vermeintlicher Interessen, mit bewaffneter
Hand Russland gegenüber zu treten.«
Der russisch-japanische Konflikt war
der erste Krieg der Moderne. Waren
im amerikanischen Bürgerkrieg bereits
Elemente des totalen Krieges zu verzeichnen und wurde der Burenkrieg in
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
Südafrika 1899–1902 schon mit Schützengräben, Maschinengewehren und
Stacheldraht geführt, entfaltete sich im
russisch-japanischen Krieg zum ersten
Mal fast die ganze Palette der Militärmaschinerie, die allgemeinhin erst mit
dem Ersten Weltkrieg verbunden wird.
Der Kampf um Port Arthur und die
folgende Schlacht bei Mukden nahmen
in vieler Hinsicht bereits den Grabenkrieg an der Westfront vorweg. Auch
der Krieg zur See brachte erstmals
umfangreiche Erfahrungen mit Torpedoeinsätzen und Minenfeldern.
Die Japaner nutzten von Beginn an die
Schwäche ihres Gegners. Ende April
1904 überschritten japanische Truppen
den Yalu, den Grenzfluss zwischen
Korea und China. Bis Ende Mai gelang
es ihnen, die Russen soweit zurückzudrängen, dass sie Port Arthur von den
Verbindungen zum russischen Feldheer abgeschnitten hatten. Im August
überstürzten sich die Ereignisse: Die
Japaner hatten inzwischen das Vorgelände Port Arthurs erobert und begannen mit dem direkten Angriff auf die
Festung selbst. Am 9. August gelang
mit dem Erstürmen der Höhe bei Takuschan der wohl entscheidende Durchbruch – jetzt konnte die japanische
bpk, Berlin / Original: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Museum
für Ostasiatische Kunst / 90000(3)-E1432; Foto: Dietrich Graf
Der russisch-japanische Krieg
Ingeneurbüro J. Zwick, Gießen
Artillerie direkt in die Stadt schießen.
Hatte die russische Flotte im Hafen von
Port Arthur bislang mit ihren Geschützen die Verteidigung unterstützt, war
sie jetzt dem japanischen Feuer ausgeliefert. Admiral Witthöft ging am 10.
August mit einem Geschwader von
sechs Linienschiffen und vier Kreuzern
in See. Der russische Ausbruchsversuch scheiterte kläglich. Nur dem Linienschiff »Zessarewitsch«, drei Kreuzern und einigen kleineren Schiffen
gelang der Durchbruch, Witthöft selbst
wurde getötet. Der Rest der Flotte
kehrte nach Port Arthur zurück und
blieb dort bis zum Fall der Stadt.
Die ausgebrochenen Schiffe legten in
neutralen Häfen auf, die oberflächlich
beschädigte »Zessarewitsch« im deutschen Pachtgebiet Tsingtau. (siehe Militärgeschichte 2/2004)
Gleichzeitig tobte der Krieg auf der
Landseite. Die Annahme auf russischer Seite, dass sich mit dem weiteren Kriegsverlauf eine Überlegenheit
zu Land ergeben würde, trog. Der
»Goliath« Russland erwies sich im Verlauf des Krieges immer wieder dem
Ansturm des »David« Japan unterlegen. Nach der Schlacht von Liaoyang vom 26. August bis 3. September
reklamierte der russische Oberbefehlshaber General Aleksej N. Kuropatkin
(1848–1925) zwar den Sieg für sich,
musste aber dennoch den Rückzug
antreten. Der Versuch einer groß angelegten Südoffensive scheiterte im Oktober. Port Arthur blieb abgeschnitten.
Obwohl die Besatzung die Stadt noch
wochenlang halten konnte und die
japanischen Angreifer hohe Verluste zu
verbuchen hatten, musste Port Arthur
am 2. Januar 1905 kapitulieren. Auch
die russischen Truppen in der Mandschurei gerieten weiter in die Defensive.
Nach der Niederlage in der Schlacht
bei Mukden vom 19. Februar bis 10.
März – bis dahin vielleicht der größten Landschlacht der Geschichte mit
fast einer halben Million Soldaten auf
beiden Seiten – war Russland zu Land
geschlagen. Die Schlacht endete mit
dem ungeregelten Rückzug der russischen Armee.
Endgültig besiegelt wurde die russische Niederlage aber erst zur See.
Russland hatte 1904 seine baltische
Flotte mobilisiert und – ergänzt durch
verschiedene, teilweise kaum brauchbare Kriegsschiffe – im Oktober als
2. ostasiatisches Geschwader unter dem
Kommando Admiral Roshestwenskijs
(1848–1909) zum Entsatz nach Port
Arthur geschickt. Es sollte sich in Ostasien mit den in Port Arthur eingeschlossenen Schiffen vereinigen, die
japanische Flotte besiegen und damit
zur See das Blatt wenden. Aus verschiedenen Gründen verzögerte sich
die Fahrt des Geschwaders, so dass es
erst weit nach der Kapitulation Port
Arthurs Japan erreichte. Am 27. und
28. Oktober wurde das russische
Geschwader in der Seeschlacht von
Tsushima von der japanischen Flotte
unter Admiral Tōgō vernichtend geschlagen. Die Seeschlacht von Tsushima
steht in Dimension und Bedeutung in
einer Reihe mit so klangvollen Namen
wie Salamis (480 v. Chr.), Lepanto
(1571) oder Trafalgar (1805).
Im Juni akzeptierten beide Kriegsgegner das Angebot der USA, einen Friedensvertrag zu vermitteln. Für Russland war der Krieg auf ganzer Linie
verloren und Japan war durch die
hohen Verluste und die immensen
Kriegskosten auch kaum noch in der
Lage, die Kampfhandlungen fortzuführen. In dem am 5. September unterzeichneten Friedensvertrag von Portsmouth musste Russland die Halbinsel
Liaodong mit Port Arthur und die südliche Hälfte Sachalins an Japan abtreten, zusätzlich erhielt Japan außerordentliche Sonderrechte in Korea.
Der russisch-japanische Krieg war für
die Europäer keineswegs so weit entfernt, wie es zunächst den Anschein
haben mochte. Die Niederlage in
Ostasien bedeutete nicht nur einen
enormen Prestigeverlust für Russland,
sondern hatte das Zarenreich auch militärisch deutlich geschwächt – spätestens nachdem Russland in der Schlacht
von Tsushima im Mai 1905 fast seine
komplette Flotte eingebüßt hatte. Der
Krieg war ein wichtiger Auslöser für
die russische Revolution von 1905, die
deutlich die politische Instabilität des
Zarenreichs aufzeigte. Insofern spielte
der russisch-japanische Krieg nicht nur
als militärischer Erfahrungshorizont,
sondern auch durch seine konkreten
Ergebnisse eine nicht zu unterschätzende Rolle im Vorfeld des Ersten Weltkriegs – immerhin war eine Überlegung auf deutscher Seite noch 1914,
dass ein Krieg gegen Russland geführt
werden müsse, bevor das Zarenreich
wieder seine alte Stärke erreicht habe.
Japan etablierte sich dagegen nach
1905 als neue Großmacht in Ostasien
und legte mit dem Sieg über Russland
den Grundstein zu einer aggressiven
Expansionspolitik, die erst mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg beendet
wurde.
Cord Eberspächer
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
23
Service
Medien online/digital
Feuersturm. Der Bombenkrieg »Der Führer muss beseitigt
gegen Deutschland
werden«
die Uhrig-Römer-Gruppe, die dem
kommunistischen Widerstand zuzurechnen ist. Eindrucksvoll und in minuziöser Genauigkeit widmet sich Sarkowicz den beiden bekanntesten Attentatsversuchen: vom 8. November 1938,
für das der Königsbrunner Schreiner
und Uhrmacher Georg Elser die Verantwortung trug (siehe Militärgeschichte
Heft 1/2003), und vom 20. Juli 1944
(siehe Militärgeschichte Heft 3/2004).
Mit Hilfe zahlreicher Original-Tondokumente aus dem Rundfunk und Zeitzeugengesprächen hat Sarkowicz ein
lebendiges aber auch zugleich beklemmendes Feature geschaffen, das den
Zuhörer für 75 Minuten in eineWelt
aus Konspiration, Terror, Furchtlosigkeit, Rache und Mord entführt.
online
D
ie DVD mit dem leider etwas
reißerischen Titel »Feuersturm«
lässt die Kontrahenten der
Debatte über den alliierten Luftkrieg
gegen Deutschland, Jörg Friedrich und
Richard Overy, zu Wort kommen.
Kurze Interviews mit beiden Historikern durchziehen wie ein roter Faden
das Programm. In 14 Kapiteln, die u.a.
»Strategie des Bombenkrieges«, »Aufräumarbeiten« und »Luftkampf« schildern, nähert sich die Darstellung dem
Komplex Bombenkrieg aus verschiedenen Richtungen. Luftkrieg wird hierbei als Teil des »totalen Krieges« verstanden. Zeitgenössisches Filmmaterial zu den Luftangriffen auf Hamburg,
Braunschweig, Berlin, Dresden, Köln
und Swinemünde (heute Świnoujście)
findet Verwendung. Ein US-Propagandafilm über die Bomberbesatzung
einer B-17 sowie Filmaufnahmen, die
aufgrund ihrer »demoralisierenden
Wirkung« von Goebbels´ Propagandaministerium kassiert wurden, vermitteln ein bedrückendes Bild des Krieges.
Als Fazit bleibt: Die DVD hilft beim
Versuch, die deutsche Niederlage 1945
in ihrer Totalität zu begreifen – eine
Voraussetzung für die Beschäftigung
mit der Nachkriegsgeschichte.
aak
Feuersturm.
Der Bombenkrieg gegen Deutschland
[DVD-Edition Spiegel TV history]
€ 22, 99
24
K
urz vor dem Attentat auf Adolf
Hitler am 20. Juli 1944 sagte
Berthold Graf von Stauffenberg, der Bruder des bekannteren
Attentäters Claus: »Das Furchtbarste
ist, zu wissen, dass es nicht gelingen
kann und dass man es dennoch für
unser Land und unsere Kinder tun
muss.« Als Zeitreise in das nationalsozialistische Deutschland beleuchtet das
Hörbuch von Hans Sarkowicz »Der
Führer muss beseitigt werden« die
Richard Göbelt
Widerstand und Dissidenten
über 40 Versuche, den Diktator des
»Dritten Reiches« zu töten. Dass alle
Attentate scheiterten ist bekannt. Der
selbsternannte Führer nahm sich im
Angesicht der totalen Niederlage am
30. April 1945 selbst das Leben. Sarkowicz beabsichtigt mit seiner Dokumentation, die Hintergründe für das Misslingen der Anschläge und die Motive
der einzelnen Umstürzler dem Zuhörer
näher zu bringen. Hitler selbst bemühte
als Erklärung für das Scheitern der
Attentate die »Vorsehung«, unter
deren besonderem Schutz er zu
stehen glaubte. Zwar kam der
Zufall Hitler öfters zur Hilfe,
doch spielte auch er nicht die
ausschlaggebende Rolle. Vielmehr
war es Hitler selbst, der oft spontan
handelte, Routen ständig änderte, Zeitpläne umschreiben lies und damit längerfristig geplanten Aktionen jegliche
Aussicht auf Erfolg nahm. Die Attentäter, die zwischen 1933 und 1944
dem Diktator entgegentraten, so wird
deutlich, kamen aus allen sozialen
Schichten und vertraten verschiedene
politische Auffassungen: der Student
Helmut Hirsch etwa, die Offiziere um
Ludwig Beck und Franz Halder oder
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
I
n den Novembertagen des Jahres
1976 schlossen sich erstmals seit
vielen Jahren namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der
DDR zusammen, um sich mit einer
gemeinsamen Erklärung gegen die Entscheidung der SED Führung zu stellen,
den Liedermacher Wolf Biermann auszubürgern. »Wolf Biermann war und
ist ein unbequemer Dichter – das hat
er mit vielen Dichtern der Vergangenheit gemein. Unser sozialistischer Staat
[...] müßte [...] eine solche Unbequemlichkeit gelassen nachdenkend ertragen
können.« Der SED Führung war aber
eine Haltung fremd, die mit öffentlicher Kritik gelassen umzugehen vermochte. Nach der Ausbürgerung Wolf
Biermanns eröffnete das Regime eine
Medienkampagne gegen all jene, die
mit Biermann sympathisierten. Innerhalb eines Jahres verließen 30 bekannte
Künstler die DDR. Besonders hart
gingen SED und Staatssicherheit gegen
jene Unterstützer Biermanns vor, die
nicht durch ihre Prominenz geschützt
waren. Allein vom 17. bis zum 21.
November 1976 wurden 40 Menschen
festgenommen, unter ihnen viele Angehörige oppositioneller Gruppen.
Die Geschichte um Wolf Biermann
steht exemplarisch für all jene Men-
digi
Oberst i.G. Albrecht Ritter von Mertz
von Quirnheim und Major Philipp Freiherr von Boeselager.
Insgesamt bleibt aber die Frage offen,
wie und mit welchen konkreten Mitteln
überhaupt antidiktatorischer Widerstand in den beiden unterschiedlichen
Diktaturen untersucht wurde. Dies
wäre auch insofern notwendig, um von
vornherein der Gefahr einer Gleichsetzung der beiden Regime zu begegnen.
Wünschenswert wäre auch eine audiovisuelle Ergänzung des, ansonsten einmaligen, Internetangebots.
Richard Göbelt
Operation Gomorrha
I
m Zuge der »Operation Gomorrha« starben in der Nacht vom
27./28. Juli 1943 binnen drei Stunden 35 000 Menschen im Bombenhagel
des alliierten Luftangriffs gegen Hamburg. In keiner deutschen Stadt sind
jemals so viele Menschen innerhalb
so kurzer Zeit getötet worden. Unter
www.bombenkrieg-gegen-hamburg.de
schen, die während des NS-Regimes
und in der DDR der Willkürherrschaft
widerstanden, Zivilcourage leisteten
und mit höchstem persönlichem Risiko für Freiheit, Menschenrechte und
Demokratie eintraten. Gerade anhand
von Einzelschicksalen zeigt die Internetseite www.gegen-diktatur.de, die im
Zuge der gleichnamigen Ausstellung
entstand, wie und woran sich Opposition und Widerstand gegen Diktatur in
Deutschland entzündete. Was antidiktatorischer Widerstand bedeutet, wird
in insgesamt 30 Unterkapiteln, die
untereinander verlinkt sind, in seiner
ganzen Vielfalt dargestellt. Zahlreiche
Biografien, Briefe, Bilder und Publikationen zeigen das gesamte Spektrum
widerständigen Verhaltens. So finden
sich auch hier konkrete Einblicke in
den militärischen Widerstand im Dritten Reich, sei es anhand so berühmter
Oppositioneller wie Oberst i.G. Claus
Schenk Graf von Stauffenberg und
Generalmajor Henning von Treskow,
oder dem Laien nicht so bekannte wie
ital
bietet das Landesbildarchiv Hamburg
einen besonders bewegenden Einblick
in die Ereignisse der Julinacht des
Jahres 1943. Bereits das Intro, mit
seiner schwermütigen Musik und
seinen schockierenden Bildern der zerstörten Hansestadt, bietet dem Betrachter einen bedrückenden Überblick über
das ganze Ausmaß des Schreckens. In
vier Kapiteln wird die Geschichte des
Angriffes, seine Auswirkungen und
das damit verbundene Schicksal der
Hamburger Bevölkerung in prägnanter Weise erzählt. Wer sich für weiterführende Lektüre interessiert, dem sei
der Link Buchtipps empfohlen. Dort
werden regionalspezifische Publikationen zur Geschichte Hamburgs im Krieg
vorgestellt. Ansonsten finden sich auf
der Website zahlreiche Fotographien,
die den Zustand der Stadt Hamburg
und das Leid der Zivilbevölkerung
nach den schweren Luftangriffen
veranschaulichen. Angesichts dieser
erschreckenden Aufnahmen rücken die
Motive für den Bombenkrieg insgesamt, dem auch unzählige andere europäische Städte zum Opfer fielen, in den
Hintergrund. Die Dokumentation sensibilisiert also vielmehr den Betrachter
für die Leiden der Zivilbevölkerung,
als das sie versucht eine wissenschaft-
liche oder militärische Erklärung für
das Geschehene zu geben. Gleichzeitig regt sie aber auch Interesse, sich
auf eine intensivere Beschäftigung mit
dem Thema Bombenkrieg einzulassen.
Die Internetseite leistet damit einen
wichtigen Beitrag, die Erinnerung an
den Luftkrieg des Zweiten Weltkriegs
in unserem historischen Bewusstsein
zu bewahren.
Richard Göbelt
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
25
Service
Lesetipp
Kriegsende 1945 Erster Weltkrieg
E
s verdient Anerkennung, wie der
renommierte Publizist und frühe
Hitler-Biograph Joachim Fest das Ende
des Diktators und den Zusammenbruch des »Dritten Reichs« vor dem
geistigen Auge des Lesers auszubreiten versteht. Zwei Wochen dauerten
die Kämpfe um Berlin, nachdem die
Rote Armee ihre Offensive am 16. April
1945 begonnen hatte. Sie endeten kurz
nachdem sich Hitler am 30. April das
Leben genommen hatte.
Sein persönliches Scheitern vor
Augen, war es dem Diktator seit längerem allein darum gegangen, den eigenen geschichtsmächtigen Untergang zu
B
rauchen wir eine neue Heldenverehrung? Der Journalist Jürgen
Busche meint ja und plädiert deshalb
in seinem unterhaltsam geschriebenen
Buch für eine Aufwertung von Heldentum. Angesichts der Tatsache, dass
Kampfeinsätze der Bundeswehr fast
zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind, möchte er, dass die militärischen Leistungen der Deutschen im 20.
Jahrhundert wieder mehr gewürdigt
Joachim Fest,
Der Untergang.
Hitler und das Ende
dass »er politisch nie zu den Klügsten
im Lande gehört hatte«, wirklich ein
Vorbild für Soldaten der Bundeswehr
sein? Busches Wunsch nach Reaktivierung der alten »Helden« ist mehr als
überflüssig.
Thomas Morlang
M
it ausgesprochen schwungvoller Feder und großem erzählerischen Können entwirft Michael
Salewski in seinem Buch »Der Erste
Weltkrieg« ein Panorama der Jahre
von 1914 bis 1918. Salewski versucht
mit seinem Weltkriegswerk eine Art
»eigenständige Textsorte« zu konzipieren, indem er auf interessante Weise
Parallelen zu anderen historischen Entwicklungen und Konstellationen aufzeigen will. Im Resultat ergibt sich
eine sehr meinungsfreundliche Darstellung, die durch den Einschub bisweilen eher kontrafaktischer Gedan-
des Dritten Reiches.
Eine historische
Michael Salewski,
Skizze.
Der Erste Weltkrieg,
Reinbek: Rowohlt
2. Aufl., Paderborn
Taschenbuchverlag
2004.
2003.
ISBN 3506774034;
ISBN 3-399-61537-1;
208 S., 8,90 €
Jürgen Busche,
400 S., 29,90 €
Heldenprüfung. Das verweigerte Erbe des Ersten Weltkriegs, München 2004.
ISBN 3-421-05779-6,
inszenieren. Und als Bühne für den
Schlussakt des nationalsozialistischen
Dramas diente die Reichshauptstadt. In
geradezu fesselnder Weise beschreibt
Fest die Vorgänge in der isolierten Bunkerwelt des »Führerhauptquartiers«,
während die Millionenstadt die Apokalypse erlebte. Der Leser erhält vielfältige Eindrücke von der in permanentem Ausnahmezustand befindlichen
und in Auflösung begriffenen Gesellschaft in den letzten Tagen der NSHerrschaft. Zwischen die den Fortgang
der Ereignisse erzählenden Kapitel hat
Fest zusätzliche Beiträge eingeschoben,
die das Geschehen in den Gesamtzusammenhang der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus einbetten. Fazit: ein spannend
geschriebenes und nachdenklich stimmendes Buch über einen historischpolitischen Untergang, den ungezählte
Betroffene als Weltuntergang empfanden.
Andreas Kunz
26
196 S., 18,90 €
werden. Denn die deutschen Soldaten,
die in Auslandseinsätzen ihr Leben
riskierten, hätten ein Recht auf offiziell verordnete Vorbilder, anderenfalls
würden sie sich ihre eigenen suchen.
Aber welche Militärs haben überhaupt
Vorbildcharakter? Busche schlägt sechs
Namen vor, allesamt Männer, die vor
allem wegen ihrer Taten während
des Ersten Weltkriegs zu Kriegshelden
gemacht wurden. Zu ihnen gehören
die Marineoffiziere Franz von Hipper
und Felix Graf Luckner, der Jagdflieger Ernst Udet, »Wüstenfuchs« Erwin
Rommel, der Schriftsteller Ernst Jünger
sowie der Kolonialoffizier Paul von
Lettow-Vorbeck, deren Lebensläufe der
Autor ausführlich und mit unverhohlener Sympathie schildert. Doch Busches
Auswahl überzeugt nicht. Kann etwa
jemand wie Lettow-Vorbeck, der am
Kapp-Putsch 1920 beteiligt war und
über den selbst der Autor schreibt,
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
kenspiele (also der Frage »was wäre
gewesen wenn...«), an mehreren Stellen
zum Widerspruch herausfordert. Doch
dies macht gerade den Reiz der Darstellung aus, zumal sich Salewski hiermit
auch auf einem Feld der Geschichtswissenschaft bewegt, dem in der Vergangenheit schnell das Markenzeichen unseriös aufgetragen wurde, aber
in letzter Zeit in der angloamerikanischen Geschichtsforschung immer
mehr Anklang findet. Salewski wendet
sich gegen dogmatische Betrachtungsweisen und gibt so den Blick auf alternative Ereignisketten frei. Die Schilderung des Ersten Weltkriegs, in deren
Mittelpunkt die Betrachtung der deutschen Politik und Kriegsführung steht,
erhebt somit keinen Anspruch darauf,
den Anforderungen eines Hand- oder
Lehrbuches zu genügen. Gerade der
eher essayistische Stil des Bandes trifft
den Nerv des historisch interessierten
Laien. Wer sich insbesondere über die
Seekriegführung des Deutschen Reiches, die strategische Grundkonzeption
des Krieges und den Gang der Kampfhandlungen informieren möchte, findet
hier eine reichhaltige und vor allem
leserfreundliche Lektüre.
Richard Göbelt
Die Leipziger
Prozesse
N
ach dem für das Deutsche Reich
1918 verlorenen Ersten Weltkrieg
planten die siegreichen Ententemächte,
deutsche Kriegsverbrecher vor Gericht
zu stellen. Denn die Empörung über die
deutsche Kriegführung war zu groß,
als dass in einem Friedensvertrag wie
üblich einfach eine Amnestie für die
verantwortlichen Politiker und Generale hätte vereinbart werden können.
So war beispielsweise in der amerikanischen Öffentlichkeit die Versenkung
des Schiffes »Lusitania« unvergessen,
die Bevölkerung Frankreichs und Belgiens beschuldigte die deutschen Truppen, hunderte Zivilisten ermordet zu
haben, und in Großbritannien warf man
dem
gericht, zehn Beschuldigte angeklagt,
von denen anschließend vier verurteilt wurden. Alle anderen Verfahren
wurden eingestellt – das letzte im
Jahr 1931. Im Laufe der Prozesse
wurden erstmalig die Rechtmäßigkeit
von Kriegshandlungen sowie die Frage
geprüft, was als Kriegsverbrechen anzusehen ist. Letztlich scheiterte dieser
erste Versuch der straf- und völkerrechtlichen Untersuchung des Ersten
Weltkrieges; viele der vor Gericht behandelten Tatvorwürfe konnten nicht
aufgeklärt werden und ein Teil der
Juristen erwies sich als unfähig, von
eigenen patriotischen oder nationalistischen Überzeugungen Abstand zu
nehmen. Nicht zuletzt wegen dieser
Erfahrungen entschieden sich die Alliierten 1945, die Rechtsprechung bei
den Nürnberger Prozessen nicht noch
einmal deutschen Richtern anzuvertrauen.
Das Scheitern der Leipziger Prozesse
behandeln die beiden hier vorgestellten
Bücher. Während sich Hankels Buch
auf die Prozesse als solche konzentriert,
bieten Horne und Kramer in ihrem
Buch Einblick in die Entstehung späterer Anklagepunkte. Anhand des Auftretens der deutschen Truppen wäh-
John Horne und
Alan Kramer,
Deutsche Kriegsgreuel
1914. Die umstrittene
Wahrheit,
Hamburg 2004.
ISBN 3-930908-94-8;
741 S., 40,00 €
Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse.
Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrecht-
Reich insbesondere den als heimtückisch empfundenen U-Boot-Krieg vor.
Als Beschuldigte sollten über neunhundert Militär- und Zivilpersonen,
u.a. der abgedankte Kaiser Wilhelm
II und die deutsche Generalität, angeklagt werden. Die neue, republikanische Reichsregierung erklärte sich
schließlich bereit, die Beschuldigten vor
ein deutsches Gericht zu stellen, so dass
die Siegermächte auf die Durchführung eines internationalen Tribunals
verzichteten. In den Jahren 1921/22
wurden dann vor dem höchsten deutschen Gericht, dem Leipziger Reichs-
liche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg,
Hamburg 2003.
ISBN 3-930908-85-9; 550 S., 30,00 €
rend der Besetzung Belgiens und Teilen
Frankreichs werden die Folgen einer
harten Besatzungspolitik für die Zivilbevölkerung geschildert. Die Autoren
zeigen zudem die Auswirkungen einer
sich gegenseitig verleugnenden Propaganda, die das eigentliche Geschehen stark dramatisiert bzw. verschleiert. Beiden Büchern ist letztlich gemein,
dass sie Einsichten in einen oftmals
vergessenen Aspekt des Ersten Weltkrieges gewähren. Ihnen ist deshalb
ein großer Leserkreis zu wünschen.
Clemens Heitmann und René Henn
Höchstädt 1704
Was waren das für Zeiten, als der Militärhaushalt noch mindestens 50 Prozent der Staatsausgaben ausmachte!
Bücher über Schlachten, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, sind
selten und für den geneigten Leser
mitunter etwas trocken aufgemacht.
Dass dieses Buch zur Schlacht von
Höchstädt vom 13. August 1704 (siehe
Militärgeschichte 3/2002) in vielerlei
Hinsicht ein Gewinn ist, hängt auch
mit seinem Entstehen als Begleitband
zur Ausstellung »Brennpunkt Europas
1704« zusammen, die vom 1. Juli bis
zum 7. November 2004 im Schloss
Höchstädt a.d. Donau stattfand. 55 000
Johannes Erichsen und
Katharina Heinemann
(Hrsg.), Die Schlacht
von Höchstädt. Brennpunkt Europas 1704,
Ostfildern, 2004.
ISBN 3-7995-0215-7;
343 S., 39,90 €
Besucher haben diese Ausstellung gesehen.
Auf den ersten rund 100 Seiten
beschreiben namhafte Autoren, darunter Heinz Duchhardt und Marcus Junkelmann, den Verlauf dieser bedeutenden Schlacht des Spanischen Erbfolgekrieges und ordnen sie in den großen
Zusammenhang europäischer Fürstenpolitik ein. Der folgende, umfangreich
bebilderte Katalogteil stellt den Schwerpunkt des Bandes dar. Hier werden die
einzelnen Abschnitte der Ausstellung
zum Spanischen Erbfolgekrieg sorgfältig eingeleitet und die Exponate durchgehend von Fachleuten, u.a. Wissenschaftler des Bayerischen Armeemuseums aus Ingolstadt, erklärt. So kann
dieser Band auch nach Ende der Ausstellung dem an der frühneuzeitlichen
Militärgeschichte interessierten Leser
weiterhin eine wertvolle und unterhaltsame Lektüre sein.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
hb
27
Service
Ausstellungen
•Berlin
»Warschau – Hauptstadt
der Freiheit. Der Warschauer Aufstand – August
bis Oktober 1944«
19. Juli 2004 bis
31. März 2005
»20. Juli 1944 – Vermächtnis und Erinnerung«
4. Oktober 2004 bis
30. Juni 2005
Gedenkstätte Deutscher
Widerstand
Stauffenbergstraße 13–14
10785 Berlin
Telefon: (0 30) 26 99 50 00
Telefax: (0 30) 26 99 50 10
www.gdw-berlin.de
e-mail: [email protected]
Montag bis Mittwoch
und Freitag
9.00 bis 18.00 Uhr
Donnerstag
9.00 bis 20.00 Uhr
Sonnabend, Sonntag und
an Feiertagen
10.00 bis 18.00 Uhr
Verkehrsanbindungen:
Bus: Linie 129 bis Haltestelle
»Gedenkstätte Deutscher
Widerstand«; U-Bahn: U1 bis
Station »Kurfürstenstraße«
(10 Minuten Fußweg), U2
bis Station »Potsdamer Platz«;
S-Bahn: S1, S2, S25 bis
Station »Potsdamer Platz«
(10 Minuten Fußweg),
Eingang über den Ehrenhof
Gute Deutsche und gute
Juden. Jüdische Soldaten
im Ersten Weltkrieg
Jüdisches Museum Berlin
Lindenstraße 9–14
10969 Berlin
Telefon: (0 30) 25 99 33 00 ð
28
Telefax: (0 30) 25 99 34 09
www.jmberlin.de
e-mail: [email protected]
Montag
10.00 bis 22.00 Uhr
Dienstag bis Sonntag
10.00 Uhr bis 20.00 Uhr
Eintritt: 5 €
ermäßigt: 2,50 €
HYPERLINK:
mailto:[email protected]
7. Oktober 2004 bis
31. März 2005
Verkehrsanbindungen:
U-Bahn: U1, U6, U1 bis
Station »Hallesches Tor« oder
U6 bis Station »Kochstraße«;
Bus: Linie 129 bis Haltestelle
»Oranienstr./Lindenstr.«,
Linie 240 bis Haltestelle
»Am Jüdischen Museum«,
Linie 341 bis Haltestelle
»Blücherplatz«
•Bonn
Nähe und Ferne. Deutsche,
Tschechen und Slowaken
Stiftung Haus der Geschichte
der Bundesrepublik
Deutschland
Museumsmeile
Willy-Brandt-Allee 14
53113 Bonn
Telefon: (02 28) 9 16 50
Telefax: (02 28) 9 16 53 02 ð
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
www.hdg.de
e-mail: [email protected]
Eintritt frei
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 19.00 Uhr
3. Dezember 2004 bis
28. März 2005
Verkehrsanbindungen:
U-Bahn: U16, 63, 65 bis
Station »Heussallee/
Museumsmeile«;
Bus: Linien 610, 630
bis Haltestelle »Bundeskanzlerplatz/Heussallee«
•Delitzsch
Aufstand des Gewissens.
Militärischer Widerstand
gegen das NS- Regime
1933–1945
•Darmstadt
Die Welt von Byzanz –
Europas östliches Erbe
Archäologische
Staatssammlung
München
Lerchenfeldstrasse 2
80538 München
Telefon: (0 89) 2 11 24 02
www.archaeologie-bayern.de
e-mail: [email protected]
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 16.30 Uhr
Donnerstag
9.00 bis 21.00 Uhr
Eintritt: 6 €
ermäßigt: 5 €
22. Oktober 2004 bis
3. April 2005
Verkehrsanbindungen:
U-Bahn: U4/U5 bis
Station »Lehel«;
Straßenbahn:
Linie 17 bis Haltestelle
»Nationalmuseum/Haus
der Kunst«;
Bus: Linie 53 bis Haltestelle
»Nationalmuseum/Haus der
Kunst«
Unteroffizierschule
des Heeres
Feldwebel-Boldt-Kaserne
Fw-Boldt-Str.1
04509 Delitzsch
Telefon: (0 34 20) 27 70
Täglich geöffnet, Besuch
von Nichtangehörigen
der Bundeswehr nach
Absprache möglich
13. Januar bis
27. Februar 2005
•Dresden
Sachsen im
Bombenkrieg
Militärhistorisches Museum
Olbrichtplatz 3
01099 Dresden
Telefon: (03 51) 82 30
Telefax: (03 51) 8 23 28 05
www.MilHistMuseum.de
e-mail: MilHistMuseumBw
[email protected]
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 17.00 Uhr
4. Februar bis
30. September 2005
Verkehrsanbindungen:
Parkplatz am Museum;
ð
Linien 7, 8, 91 bis
Haltestelle »Militärhistorisches Museum«
•Heidelberg
Der Winterkönig –
Heidelberg zwischen
höfischer Pracht und
Dreißigjährigem Krieg
Jägerbataillons 27 – der
Finnischen Jäger
Am Wasserturm
Lohmühlenweg 32a
25551 Hohenlockstedt
Telefon: (0 48 26) 14 83
www.hohenlockstedtmuseum.de
Sonntag
14.00 bis 17.00 Uhr
56076 Koblenz
Telefon: (02 61) 8 96 56 11
Montag bis Donnerstag
9.00 bis 16.00 Uhr
Freitag 9.00 bis 12.00 Uhr
Führungen nach Absprache
2. Dezember 2004 bis
31. März 2005
•Kiel
Bilder und Macht im
20. Jahrhundert
Zeitgeschichtliches Forum
Leipzig
Grimmaische Straße 6
04109 Leipzig
Telefon: (03 41) 2 22 00
Telefax: (03 41) 2 22 05 00
e-mail: [email protected]
Eintritt frei
Dienstag bis Freitag
9.00 bis 18.00 Uhr
Samstag und Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
26. November 2004 bis
28. März 2005
ð
Deutsche Jüdische
Soldaten. Von der Epoche
der Emanzipation bis zum
Zeitalter der Weltkriege
Kurpfälzisches Museum
der Stadt Heidelberg
Hauptstraße 97
69117 Heidelberg
Telefon: (0 62 21) 5 83 40 00
Telefax: (0 62 21) 5 83 49 00
e-mail: kurpfaelzischesmuseum
@heidelberg.de
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 5 €; ermäßigt: 2,50 €
21. November 2004 bis
27. Februar 2005
Verkehrsanbindungen:
Bus: Linien 12, 35, 41, 42
bis Haltestelle »Kongreßhaus/Stadthalle«, Linien 11,
41, 42 bis Haltestelle »Universitätsplatz«, Linien 11, 33 bis
Haltestelle »Peterskirche«
• Hohenlockstedt
Das Museum zur Darstellung der Ortsgeschichte
Hohenlockstedts und der
Geschichte des
Königlich-Preußischen ð
•Leipzig
Verkehrsanbindungen:
Straßenbahn: Linie 9 bis
Haltestelle »Thomaskirche«;
Bus: Linie 89 bis Haltestelle
»Altes Rathaus/Markt«
Richard Göbelt
Walther Rathenau
Kieler Landtag
Düsternbrooker Weg 70
24105 Kiel
Telefon: (04 31) 9 88 11 22
täglich
10.00 bis 18.00 Uhr
12. Januar bis
30. Januar 2005
Verkehrsanbindungen:
Bus: Linien 41, 42 und 51 bis
Haltestelle »Reventloubrück«
bzw. »Reventlouallee«
• Koblenz
Der Erste Weltkrieg
Zentrum Innere Führung
Von-Witzleben-Straße 17 ð
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
29
Die Brücke von Remagen
Soldaten der 9th Armoured Division der US-Armee erkämpften sich am 7. März 1945 den Rheinübergang bei Remagen.
Die Ludendorff-Brücke gelangte fast unversehrt in alliierte
Gewalt und diente zum Aufbau des ersten amerikanischen
Brückenkopfes am ostwärtigen Rheinufer.
Zuvor hatten US-Amerikaner und Briten den deutschen
»Westwall« überwunden und planten das wirtschaftliche Zentrum der deutschen Kriegsindustrie, das Ruhrgebiet, einzukesseln. Der westlich des Rheins verteidigenden deutschen
Heeresgruppe B war ein rechtzeitiges Zurückgehen auf den
5 Die Rheinbrücke nach
Rhein verboten worden. Gegen durchgebrochene Feindteile
der Eroberung unter
waren daher keine ausreichenden Kräfte am Rhein verfügbar
deutschem Geschützfeuer
gewesen. Gleichzeitig war das Sprengen von Übergängen erst
stehend (akg-images)
in letzter Minute erlaubt worden und gelang bei Remagen
zudem durch eine Verkettung von Zufällen nicht ausreichend.
Der Brückenkopf von Remagen wurde schnell durch Pontonbrücken in der Umgebung
ergänzt. Versuche die beschädigte Brücke zu reparieren, die zudem von Stuka-, Artillerieund V2-Angriffen immer wieder erschüttert worden war, scheiterten. Am 17. März brach
die Brücke zusammen. Der Brückenkopf auf dem ostwärtigen Rheinufer war jedoch etabliert und wurde Basis des Angriffs auf das Ruhrgebiet. Die Einnahme der Brücke von
Remagen hat zwar einen erheblichen Zeitvorteil für die Alliierten gebracht, die Entscheidung des Zweiten Weltkrieges war aber schon vorher gefallen. Die Reichsführung reagierte
mit drakonischen Strafen »Fliegender Standgerichte«, deren Sinn nur noch im angsterzeugendem Terror gegen die eigene Bevölkerung bestand.
hb
5. März 1970
Inkrafttreten des Atomwaffensperrvertrages
Nach Einrichtung des »Heißen Drahtes« – einer
direkten Telefonverbindung zwischen dem Weißen
Haus und dem Kreml – und der Unterzeichnung
eines begrenzten Teststoppvertrages für Kernwaffen Anfang der sechziger Jahre gelang es der USRegierung, einen Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen mit der Sowjetunion und
Großbritannien auszuhandeln. Dieser Vertrag, der
als Atomwaffensperrvertrag in die Geschichte einging, trat am 5. März 1970 in Kraft und war
zunächst auf 25 Jahre befristet. Am 11. Mai 1995
wurde er von den Vereinten Nationen auf unbe5 Erster Atombombentest der USA auf
stimmte Zeit verlängert.
dem Bikini-Atoll (Mikronesien) am 1.Juli
Das Abkommen beruhte auf Gegenseitigkeit,
1946 – Operation Crossroads
bei dem sich die Kernwaffenmächte verpflichte(akg-images)
ten, Nuklearwaffen nicht weiterzugeben und in
einem zweiten Schritt mit Gesprächen über die Begrenzung bzw. Reduzierung ihrer eigenen Kernwaffenbestände zu beginnen. Die Nichtkernwaffenmächte verzichteten darauf,
solche Waffen anzunehmen, zu erwerben, zu lagern oder herzustellen. Der Nichtverbreitungsvertrag hielt somit die Zahl der Atommächte in engen, überschaubaren Grenzen, um
die Rationalität und Kalkulierbarkeit des Systems der gegenseitigen nuklearen Abschrekkung zu erhalten und ein verantwortungsloses Spiel mit der Bombe zu verhindern. Der
Atomwaffensperrvertrag begründete somit den Auftakt für eine neue Politik der weltweiten Entspannung, hin zur Unterzeichung der Schlussakte der KSZE (Konferenz für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im August 1975.
Der Entwurf der USA, der Sowjetunion und Großbritanniens für den Atomwaffensperrvertrag wurde schon im Juni 1968 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen
mit großer Mehrheit gebilligt. Er erlangte 1970 Gültigkeit, nachdem er von den drei so
genannten Verwahrländern (USA, Sowjetunion, Großbritannien) sowie weiteren 40 Staaten unterzeichnet worden war. Die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete den Vertrag 1969 und ratifizierte ihn 1975. Inzwischen sind ihm 188 Länder beigetreten.
Richard Göbelt
30
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Ü Vorschau
»Einwohner von Bagdad, erinnert Euch, dass Ihr
seit 26 Generationen unter fremden Tyrannen
gelitten habt, die immer darum bemüht waren,
Zwietracht zwischen den arabischen Häusern zu
säen, um aus Ihren Meinungsverschiedenheiten
Nutzen zu ziehen. Großbritannien und seine
Verbündeten verabscheuen eine solche Politik, da
weder Frieden noch Wohlstand gedeihen können,
wo Feindschaft oder Misswirtschaft herrschen.
Unsere Armeen kommen nicht als Eroberer oder
Feinde in Ihre Städte und Gemeinden, sondern
als Befreier.«
Nein – dieser Aufruf ist nicht vom letzten
Jahr, sondern vom 11. März 1917. Er wurde
damals anlässlich des britischen Einmarsches
in Bagdad vom siegreichen Generalleutnant
Sir Frederick S. Maude verkündet. Ein von
ihm getrunkenes Glas frischer Milch schaffte
bald danach, was den türkisch-deutschen
Truppen der 6. Osmanischen Armee vorher
nicht gelungen war. An der Cholera erkrankt,
starb Maude am 18. November 1917.
akg-images / Gerard Degeorge
7. März 1945
Geschichte kompakt
Heft 1/2005
Service
5 Ninive (Irak), zwischen den Flüssen Tigris und Zab,
gegenüber von Mosul gelegen. Teilansicht der
Stadtmauer mit dem Großen Tor.
Aber auch der große Gegenspieler der Briten
an Euphrat und Tigris, der preußische und
osmanische Generalfeldmarschall Colmar
Freiherr von der Goltz-Pascha hatte ein Jahr
zuvor bei Kut-El-Amara sein Leben verloren;
durch Läuse an Flecktyphus erkrankt, war
er (wie im übrigen 3 Millionen Menschen im
Ersten Weltkrieg) an dieser durch die lästigen
Begleiter der Soldaten ausgelösten Krankheit
gestorben. Die nächste Ausgabe der Militärgeschichte wird sich in einem Beitrag seiner
Person und den Kämpfen im Gebiet des heutigen Irak zur Zeit des Ersten Weltkrieges
widmen. Und unter dem Motto »Entschieden
für Frieden – 50 Jahre Bundeswehr« werden
wir eine neue Reihe von Beiträgen zum Jubiläum unserer Streitkräfte beginnen.
hb
Militärgeschichte im Bild
ARRAY ENCOUNTER 90
I
m Trubel der vielfältigen Veränderungen und »historischen Momente« des Jahres 1990 ging ein
Ereignis, das in ruhigeren Zeiten sicherlich mehr Aufmerksamkeit auf sich
gelenkt hätte, beinahe unter: Das
NATO-Manöver »Array Encounter 90«.
Zum ersten Mal seit der Zeit der deutschen Besatzung (1940–1945) landeten
deutsche Kampftruppen in Norwegen.
Im Rahmen der Allied Mobile Force
(AMF) – der sogenannten NATO-Feuerwehr – trafen am 14. Februar 1990
die insgesamt 1400 Soldaten des Fallschirmjägerbataillons 253 und der Luftlandemörserkompanie 250 per Schiff
und Flugzeug in Norwegen ein.
Der deutsche Angriff 1940, die Besatzungszeit, insbesondere aber der mit
Brutalität geführte Kampf gegen die
norwegische militärische Widerstandsbewegung (Milorg) und die Taktik
der verbrannten Erde in Nordnorwegen (Operation Nordlicht, siehe Beitrag in diesem Heft) hatten in großen
Teilen der norwegischen Bevölkerung
ein negatives Deutschlandbild hinterlassen.
In Deutschland wurden norwegische
Soldaten zur Entlastung der britischen
Besatzungstruppen ab Februar 1947
eingesetzt. Bis im April 1953 die letzten
norwegischen Soldaten mit einer feierlichen Parade verabschiedet wurden,
waren jeweils etwa 4000 Soldaten der
norwegischen »Deutschlandbrigade«
erst im Harz, später in Schleswig-Holstein stationiert. Als Besatzungstruppe
hatten sie im operativen Rahmen der
britischen Besatzungsmacht »für Ruhe
und Ordnung zu sorgen«. Der norwegische Verteidigungsminister erklärte
hierzu, der Auftrag der Brigade sei
nicht »Rache an den Deutschen«, sondern »Hilfe beim Aufbau eines neuen,
demokratischen Deutschlands«. Mit
Beginn des »Kalten Krieges« wurde
1948 die norwegische Brigade weg von
der Zonengrenze im Harz nach Schleswig-Holstein verlegt. Die Norweger
sollten nun – neben ihrem Besatzungsauftrag – im Kriegsfall den Raum nördlich der Elbe verteidigen. Nach der
Gründung der NATO im Jahr 1949
wurde der Chef des norwegischen
Deutschlandkommandos sogar Oberbefehlshaber aller in Schleswig-Holstein stationierten NATO-Einheiten.
Diese insgesamt 7500 Mann starke
Truppe aus Norwegern, Dänen und
Briten sollte im Falle eines sowjetischen Angriffs ein Übersetzen feindlicher Truppen über den Nord-OstseeKanal verhindern und gegebenenfalls
kämpfend bis Dänemark ausweichen.
Norwegen nahm – als einziger
NATO-Mitgliedsstaat mit einer direkten Grenze zur Sowjetunion – innerhalb des Atlantischen Bündnisses eine
Sonderrolle ein. Der Sowjetunion militärisch weit unterlegen, bemühte sich
Norwegen diese zwar militärisch abzuschrecken, aber dennoch nicht zu provozieren. Der Schlüssel zur Stärkung
der schwachen NATO-Nordflanke lag
in der westdeutschen Wiederbewaffnung. Über das (West)deutsch-norwegische Verhältnis schrieb 1953 der norwegische Außenminister Lange – er
hatte das Konzentrationslager Sachsenhausen als Häftling erlebt: »Wenn
ich rational an die Sache herangehe,
sehe ich zwar ein, dass wir ein
gutes, partnerschaftliches Verhältnis
aufbauen müssen, emotional bin ich
aber nicht wirklich in der Lage dazu.«
Als nach dem Eintritt der Bundesrepublik Deutschlands in die NATO
(1955) nun auch Bundeswehroffiziere
beim NATO-Oberkommando EuropaNord (AFNORTH) in der Nähe von
Oslo ihren Dienst antraten, bot dies der
Sowjetunion die Möglichkeit zur Agitation gegen die NATO unter Ausnutzung vorhandener antideutscher Ressentiments in der Bevölkerung: Die in
Norwegen tätigen Bundeswehroffiziere
wurden als »Nazi-Generale«, das alliFoto: LLFmKp 200
Foto: LLFmKp 200
Deutsche Kampftruppen üben erstmals im
NATO-Verbund auf norwegischem Boden
5 NATO-Übung unter arktischen Bedingungen:
ARRAY ENCOUNTER 90
ierte Kommando AFNORTH als »Kommandozentrale der aggressiv-imperialistischen deutsch dominierten« NATO
dargestellt. Mit Rücksicht auf die
norwegische Öffentlichkeit – es ging
schließlich um die Akzeptanz der
NATO in einem 1945 teilweise von der
Sowjetunion befreiten Land – nahmen
künftig deutscherseits lediglich Sanitäter an NATO-Übungen in Norwegen
teil. Mit dem Ende des Kalten Kriegs
war 1990 erstmals eine Situation da,
die eine Übung deutscher Fallschirmjäger im NATO-Verbund auf norwegischem Boden zuließ. Auch im Norden
Europas war die Nachkriegszeit nun
Geschichte.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2004
aak
31
N E U E P U B L I K ATIONEN DES MGFA
Deutsche Marinen im Wandel.
Vom Symbol nationaler
Einheit zum Instrument
internationaler Sicherheit.
Im Auftrag des MGFA hrsg. von
Werner Rahn, München:
Oldenbourg 2005,
XIV, 738 S.
(= Beiträge zur Militärgeschichte, 63),
49,80 Euro, ISBN: 3-486-57674-7
Mit diesem Sammelband wird der Versuch unternommen, den wechselvollen Weg deutscher
Marinen von historischen Wurzeln im Mittelalter über die Entstehung einer ersten Marine
1848, über die Konfrontationen in beiden Weltkriegen sowie im Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts bis zur internationalen Kooperation in der Gegenwart aus unterschiedlicher Perspektive
zu betrachten. Das Spektrum der Beiträge reicht von Detailuntersuchungen bis zu übergreifenden Analysen zum strategischen und machtpolitischen Denken der jeweiligen Marineführung.
Dabei wurden inhaltliche Überschneidungen bewußt in Kauf genommen, um unterschiedliche
Interpretationen vorzustellen.
Herunterladen