die chatten - Nida

Werbung
DIE CHATTEN
INHALT:
1) DIE HERKUNFT DES STAMMES
2) DER WERDEGANG DER CHATTEN IM
1.Jh.v.CHR.
3) DER WERDEGANG DER CHATTEN VON
TRAJAN BIS ZUM ERSTEN AUFTRETEN DER
ALAMANNEN IM JAHRE 289
4) DER WERDEGANG DER CHATTEN AB DER
SPÄTANTIKE
1) DIE HERKUNFT DES STAMMES:
Die Beleggeschichte des Chattennamens beginnt 11 v.Chr. und endet
im 5.Jh.. Wer war dieser Stamm, der so unvermittelt und gleichzeitig
massiv das Licht der Geschichte betrat und aus welchen
rechtsrheinischen Regionen stammte er? Erste Hinweise liefert uns
der Bericht des Cassius Dio über Drusus Germanenfeldzüge.
Darin heißt es: „„Mit Frühlingsanfang aber brach er wieder zum
Kriege auf, überschritt den Rhein und unterwarf die Usipeter, schlug
eine Brücke über die Lippe und fiel in das Land der Sugambrer ein. Er
rückte durch dieses auch in das Gebiet der Cherusker vor, bis zur
Weser. Er war hierzu in der Lage, weil die Sugambrer gegen die
Chatten, die einzigen unter ihren Nachbarn, die sich nicht mit ihnen
hatten verbünden wollen, hierüber erbittert, mit ihrem gesamten
Heerbann zu Felde gezogen waren; gerade in diesem Zeitpunkt war
Drusus heimlich durch ihr Gebiet gezogen. Er hätte auch die Weser
überschritten, wenn er nicht Mangel an Lebensmitteln gehabt hätte
und der Winter hereingebrochen und auch ein unheimlicher
Bienenschwarm in seinem Lager erschienen wäre. Deswegen rückte
er nicht weiter vor. Auf dem Rückmarsch in befreundetes Gebiet geriet
er in furchtbare Gefahr, denn die Feinde taten ihm nicht nur durch
Hinterhalte manchen Schaden: einmal hätten sie ihm, als sie ihn in
einem engen Talkessel eingeschlossen hatten, ums Haar den
Untergang bereitet und ihn mit seiner ganzen Streitmacht vernichtet,
wenn sie nicht aus Verachtung des Gegners, den sie schon gefangen
und auf den ersten Hieb fallen wähnten, mit den Römern in
ungeordneten Haufen das Handgemenge begonnen hätten. So aber
wurden sie geschlagen und hatten seitdem nicht mehr den gleichen
Kampfesmut, sondern suchten ihnen nur noch aus der Ferne Abbruch
zu tun: zum Nahkampf wagten sie sich nicht mehr heran, so dass
Drusus, der sie seinerseits verachtete, dort, wo die Lippe und Elison
sich vereinigen, ein Kastell gegen sie errichtete sowie ein anderes im
Gebiet der Chatten, unmittelbar am Rhein (Cassius Dio 54, 33, 1ff.).“
Dank dieses Berichtes erfährt man einige interessante Einzelheiten
über die Chatten: Erstens waren sie prorömisch, bis sie im Jahre 11
v.Chr. von ihren nördlichen Nachbarn, den Sugambrern angegriffen
wurden. Anschließend wechselten sie die Fronten und traten aus Ärger
über die Römer, die ihnen nicht zu Hilfe eilten, der antirömischen
Partei in Germanien bei.
Zuletzt erfährt man, dass die Römer als Reaktion darauf, ein
Militärlager in ihrem Lande einrichteten, das in rheinnähe lag! In
Frage kann nur das ehemalige Stammesgebiet der Ubier in Frage
kommen, die 19 v.Chr. von Agrippa auf die linksrheinische Seite um
Köln umgesiedelt wurden. Möglicherweise lag das noch unentdeckte
Lager im Neuwieder Becken.
Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Chatten erst ab 19 v.Chr. in dieses
Gebiet einwandern konnten und dass auch nur mit ausschließlich
römischer Erlaubnis. Da zudem die Römer mit ihnen militärisch
problemlos fertig wurden, kann dieser Stamm zahlenmäßig nicht groß
gewesen sein. Doch 26 Jahre später sollte dies schon gänzlich anders
aussehen.
Trotz des interessanten Berichtes bleibt aber immer noch unklar,
woher sie kamen, beziehungsweise wo die Römer sie das erste Mal
antrafen und bei ihnen anfragten, ob sie Interesse hätten, ins ubische
Gebiet umzusiedeln. Auch bleibt unklar, ob alle Chatten umsiedelten
oder zahlreiche Stammesgenossen in ihrer alten Heimat, wo auch
immer sie lag, zurückgeblieben sind.
Der erste antike Autor, der sich mit den Verhältnissen rechts des
Rheins ausführlich auseinander setzte, war Julius Caesar. Im Zuge des
Gallischen Krieges lernte er aus eigener Anschauung die
rechtsrheinischen Verhältnisse kennen. Interessant ist, dass Caesar ab
55 v.Chr. die Cherusker kannte, also die unmittelbaren Nachbarn der
Chatten ab nachweislich 15 n.Chr.. Doch erwähnte er die Chatten mit
keinem Wort.
Was erzählen die anderen antiken Autoren über sie? Fangen wir mit
Strabon an. Strabon nennt ihren Namen gleich mehrmals! Bei der
ersten Nennung zählt er sie zu den 11 Nordweststämmen, welche noch
ärmer seien als die Sueben. „Andere noch ärmere germanische Völker
sind die Cherusker, Chatten, Gambrivier und Chattuarier, ferner in
der Nähe des Ozeans die Sugambrer, Chauber, Bataver, Cimbern,
Chauken, Kaulken, Kampsiarier und andere mehr (7,13).“
In der Folge stellt Strabon die Chatten aus den Nordweststämmen
heraus und beschreibt ihre besondere Rolle, die sie neben Sugambrern
und Cheruskern in den augusteischen Germanenkriegen spielten.
Plinius zählte die Sueben, Hermunduren, Chatten und Cherusker zu
den Hermionen. Den mit Abstand umfangreichsten ethnographischen
Bericht über sie schrieb schließlich Tacitus. Er stellte in seiner
Germania zugleich sie den Sueben gegenüber. Für Tacitus ist der
Hercynische Wald (kommt aus dem keltischen und bedeutet „hoch,
erhaben“) die Urheimat der Chatten und beschreibt sie als eine
Kriegerkaste, die in vielen Zügen an die Berserker in der
altnordischen Literatur erinnert. Auch waren sie mit den Batavern
verwandt!
„Es gibt fünf Hauptstämme der Germanen: Die Vandiler, zu denen die
Burgodionen, Variner, Chariner und Gutonen gehören. Der zweite
Hauptstamm sind die Inguäonen, die sich in die Cimbern, Teutonen
und die Stämme der Chauker aufteilen. Die dem Rhenus am nächsten
sind aber die Istuäonen, von denen die Sugambrer ein Teil sind. Im
Landesinneren wohnen die Hermionen, zu denen die Sueben,
Hermunduren, Chatten und Cherusker gehören. Der fünfte Teilstamm
sind die Peukiner und Bastarnen, die den oben erwähnten Dacern
benachbart sind (Plinius, Buch IV, 100).“
„Weiter nördlich (vom sogenannten Decumatenland aus gesehen – es
ist das Gebiet zwischen Rhein und obergermanischer Limes!) beginnt
mit dem hercynischen Walde das Land der Chatten. Sie wohnen nicht
in so flachen und sumpfigen Gebieten wie die übrigen Stämme, die das
weite Germanien aufnimmt. Denn die Hügel dauern an und werden
erst allmählich seltener und so begleitet der Hercynische Wald seine
Chatten und endet mit ihnen.
Bei diesem Volk sind kräftiger die Gestalten, sehnig die Glieder,
durchdringend der Blick und größer die geistige Regsamkeit. Für
Germanen zeigen sie viel Umsicht und Geschick. Sie stellen Männer
ihrer Wahl an die Spitze, gehorchen den Vorgesetzten, kennen Reih
und Glied, nehmen günstige Umstände wahr, verschieben einmal
einen Angriff, teilen sich ein für den Tag, verschanzen sich für die
Nacht. Das Glück halten sie für unbeständig und nur die eigene
Tapferkeit für beständig. Und was überaus selten und sonst allein
römischer Kriegszucht möglich ist: sie geben mehr auf die Führung
als auf das Heer. Ihre Stärke liegt ganz beim Fußvolk, dem sie nicht
nur Waffen, sondern auch Schanzzeug und Verpflegung aufbürden.
Andere zieht man in die Schlacht ziehen, die Chatten in den Krieg.
Selten kommt es zu Streifzügen und nicht geplanten Kampf. Es ist ja
auch die Art berittener Streitkräfte, rasch den Sieg zu erringen und
rasch wieder zu entweichen. Doch Schnelligkeit grenzt an Furcht,
Zögern kommt standhaftem Mute näher
Ein Brauch, der auch bei anderen germanischen Stämmen vorkommt,
Jedoch selten und als Beweis vereinzelten Wagemuts, ist bei den
Chatten allgemein üblich geworden: mit dem Eintritt in das
Mannesalter lassen sie Haupthaar und Bart wachsen, und erst, wenn
sie einen Feind erschlagen haben, beseitigen sie diesen sie diesen der
Tapferkeit geweihten und verpfändeten Zustand ihres Gesichts. Über
dem Blut und der Waffenbeute enthüllen sie ihre Stirn und glauben,
erst jetzt die Schuld ihres Daseins entrichtet zu haben und des
Vaterlandes sowie ihrer Eltern würdig zu sein. Die Feigen und
Kriegsscheuen behalten ihren Wust.
Die Tapfersten tragen überdies einen eisernen Ring, sonst eine
Schande bei diesem Stamm, wie eine Fessel, bis sie sich durch Tötung
eines Feindes davon befreien. Vielen Chatten gefällt dieses Aussehen,
und sie werden grau mit ihren Kennzeichen, von Freund und Feind
gleichermaßen beachtet. Sie eröffnen jeden Kampf; sie sind stets das
vorderste Glied, ein befremdender Anblick; denn auch im Frieden
nimmt ihr Gesicht kein milderes Aussehen an. Keiner von ihnen hat
Haus oder Hof sonstige Pflichten. Wen immer sie aussuchen, von dem
lassen sie sich je nach den Verhältnissen bewirten. Sie sind
Verschwender fremden und Verächter eigenen Gutes, bis das kraftlose
Alter sie zu so rauhem Kriegerdasein unfähig macht.......Jetzt habe ich
von den Sueben zu berichten. Sie sind nicht, wie die Chatten und
Tencterer, ein einheitlicher Stamm. Sie bewohnen nämlich den
größeren Teil Germaniens und gliedern sich wieder in besondere
Stämme mit eigenen Namen, wenn sie auch insgesamt als Sueben
bezeichnet werden..... (Tacitus; Germania 30, 31 und 38,1).“
„Von allen diesen Stämmen sind die Bataver am tapfersten. Sie
bewohnen einen Streifen am linken Ufer und in der Hauptsache die
Rheininsel. Ursprünglich ein Zweig der Chatten, zogen sie wegen des
inneren Zwistes in die jetzigen Wohnsitze, wo sie dem römischen
Reich einverleibt werden sollten (Tacitus; Germania 29,1).“
.......Germanicus übergab also Caecina vier Legionen, 5000 Mann
Bundestruppen und die schnell zusammengerafften Scharen
diesseitiger Germanen. Ebensoviel Legionen und doppelt soviel
auxiliarer Truppen nahm er unter seinen eigenen Befehl, erbaute auf
dem Taunusgebirge über den Trümmern der von seinem Vater
angelegten Befestigungen ein Kastell (Friedberg oder Bad Nauheim,
Rödgen ist wohl nicht gemeint) und führte das gepäcklose Heer eiligst
in das Chattenland. L.Apronius blieb zurück, um die Straßen und
Flüsse in gangbarem Zustand zu erhalten. Der Marsch war nämlich
infolge einer in jenem Klima seltenen Dürre, bei geringem
Wasserstand der Flüsse, ohne Hindernis vonstatten gegangen. Nun
fürchtete er, bei dem Rückmarsch Regenwetter und angeschwollene
Flüsse zu finden. Den Chatten kam seine Ankunft derart unerwartet,
dass alle Widerstandsunfähigen, Greise, Kinder, Weiber, auf der
Stelle gefangen genommen oder niedergehauen wurden. Die Krieger
hatten sich schwimmend über die Eder gerettet, und suchten den Bau
einer Brücke, den die Römer begannen, zu hindern. Wurfmaschinen
und Pfeile verjagten sie; sie machten vergebliche Versuche,
Friedensunterhandlungen anzuknüpfen. Dann liefen einige zu
Germanicus über; die übrigen ließen Gau und Dorf im Stich und
zerstreuten sich in die Wälder. Der Caesar steckte Mattium (irgendwo
nördlich der Eder), so heißt der Hauptort des Stammes, in Brand,
verwüstete das offene Land und kehrte an den Rhein zurück, ohne dass
die Feinde wagten, die Abziehenden auf dem Marsch zu beunruhigen.
Sie pflegen das zu tun, wenn sie mehr aus List als aus Furcht
zurückgewichen sind. Die Cherusker hatten beabsichtigt, den Chatten
zu Hilfe zu kommen; doch Caecina, der sich bald hier, bald dort
zeigte, setzte sie in Schrecken, ebenso wie er die Marsen, die den
Kampf mit ihm wagten, durch ein glückliches Treffen in Schach hielt
(Tacitus Annalen; Buch I, 56).“
In demselben Sommer wurde zwischen Hermunduren und Chatten
eine große Schlacht geschlagen, in der sie um den salzführenden
Grenzfluss stritten. Außer ihrer Neigung, alles mit den Waffen zu
entscheiden, wirkte dabei noch die religiöse Überzeugung mit, daß
dieses Land dem Himmel am nächsten sei, und dass die Götter
nirgends die Gebete der Menschen aus größerer Nähe hörten. Daher
komme auch durch die Gnade der Götter in jenem Strome und in
jenen Wäldern Salz zutage, nicht wie bei den anderen Völkern durch
Ausscheidung beim Eintrocknen des Seewassers, sondern indem
Wasser über einen brennenden Holzstoß gegossen werde, wachse das
Salz aus den feindlichen Elementen Feuer und Wasser zusammen.
Der Krieg war für die Hermunduren glücklich und wurde für die
Chatten um so verhängnisvoller, als die Kämpfenden im Falle des
Sieges die Gegner dem Mars (Tiu) und Merkur (Wotan) geweiht
hatten. Durch dieses Gelübde verfällt alles Lebendige, Ross und
Mann, dem Tode. Und so wüteten unsere Feinde (die beiden sich
bekämpfenden Stämme) mit ihren Gelübden gegen sich selber
(Tacitus Annalen; 13.Buch, 57).“
Dank Tacitus erfahren wir zahlreiche interessante Einzelheiten über
die Chatten. Besonders interessant ist, dass sie in bestimmte
Beziehungen zu den Batavern und Mattiakern standen, vor allem zu
ersteren und dass sie einen anderen Hauptgott anbeteten als ihre
Nachbarn, die Hermunduren, und dass, obwohl beide laut Plinius zum
selben Hauptstamm der Germanen, den Hermionen, angehörten!
Dieses Bedarf Erklärungen. Laut Tacitus opferten die Chatten dem
Mercurius und die Hermunduren dem Mars. Mars wird üblicherweise
mit Tiwaz und Mercurius mit Wodan gleichgesetzt. Aber opferten die
Chatten tatsächlich Wodan? Jetzt müssen wir auf die Bataver zu
sprechen kommen.
Eine der bedeutendsten Städte der von
Bataver hieß Lugdunum Batavorum! In
der bedeutendsten keltischen Götter auf,
ein Hinweis sein, dass die Bataver in
Germanen waren!
den Chatten abstammenden
diesem Namen taucht einer
nämlich Lugus! Dies könnte
Wahrheit Kelten und keine
Warum sonst hätten sie einen Städtenamen beibehalten sollen, der auf
dem Namen eines fremden Gottes beruht? Auch andere batavische
Gründungen tragen einen keltischen Namen wie Noviomagus oder
Batavodurum. In jedem Fall führten die Bataver keltische Traditionen
mit sich. Wenn die Bataver ihre Hauptstadt dem Lugus weihten, dann
wird Lugus erst recht für Chatten und Mattiaker eine gewichtige
Gottheit gewesen sein.
Wenn sie alle tatsächlich keltische Stämme gewesen sind, dann stellt
sich die Frage nach ihrem Ursprungsgebiet. Ws haben wir bisher aus
den Quellen erfahren? Der Reihe nach: Die Chatten tauchen erstmals
im Raum des Neuwieder Beckens auf, die Bataver am Niederrhein.
Anschließend finden sich die Chatten im mittleren Lahntal, ehe sie für
15 n.Chr. erstmals in Nordhessen belegt sind.
Doch gibt es da noch die wenig beachtete Quelle des Velleius
Paterculus. Er berichtet für das Jahr 6 n.Chr., dass Chatten in
Mainfranken siedelten wie man seit der Entdeckung des augusteischen
Legionslagers von Marktbreit am Main nahe Würzburg sicher weiß.
Wie kommen die Chatten in diese Region? Zog sich nach der
Niederlage gegen Drusus im Jahre 11 v.Chr. ein Teil nach
Mainfranken zurück, während die anderen im mittleren Lahntal
verblieben?
„Diesen Mann (Marbod) und dieses Land beschloss Tiberius Caesar
im nächsten Jahr (6 n.Chr.) von verschiedenen Seiten anzugreifen.
Sentius Saturninus erhielt den Auftrag, nach Rodungen der
Waldungen an den hercynischen Wald (bei Marktbreit?) zu stoßen,
durch das Land der Chatten (gemeint ist Mainfranken und nicht
Nordhessen!) die Legionen nach Bojohemum - so heißt die Gegend,
welche Maroboduus inne hatte - rücken zu lassen.....(Velleius
Paterculus; Buch II, 109).“
„....Aber er kümmerte sich nicht darum, sondern fiel in das Gebiet der
Chatten ein (9 v.Chr.) und rückte bis zum Gebiet der Sueben vor. Das
Land, das er betrat, unterwarf er, aber nicht ohne blutige Kämpfe.
Von da zog er zum Lande der Cherusker, überschritt die Weser und
zog bis zur Elbe, indem er das ganze Land verwüstete......(Cassius
Dio; 55, 1).“
In diesem Zusammenhang gewinnt plötzlich eine Quelle bei Caesar
an Bedeutung, die bislang nicht einfach zu deuten war. Er weiß für
den mainfränkischen Raum und Umgebung folgendes zu berichten:
„Es gab einst eine Zeit, da die Gallier die Germanen an Tapferkeit
übertrafen, sie aus freien Stücken bekriegten und wegen der Größe
ihrer Bevölkerung und des Mangels an Ackerland Kolonisten über den
Rhein schickten. So besetzten die tectosagischen Volcer die
fruchtbarsten Landschaften Germaniens um den hercynischen Wald,
den schon Eratostheuer (275 – 196 v.Chr.) und andere Griechen
unter dem Namen des Orcynischen vom Hörensagen kannten. Jene
Tectosagen leben bis auf den heutigen Tag in diesen Wohnsitzen und
genießen wegen ihrer Gerechtigkeit und Tapferkeit hohes
Ansehen.....(Caesar, Bellum Gallicum, Buch VI, 24).“
Tacitus wusste zu berichten, daß im Hercynischen Wald die Chatten
lebten. Dagegen lebten laut Caesar seit mindestens um 200 v.Chr. die
Volcae Tectosages. Wer waren diese Leute? Bei den Volcae handelt es
sich wohl um einen Oberbegriff für alle keltischen Stämme, die rechts
des Rheins lebten.
Der Begriff Tectosagen bedeutet soviel wie „Herumtreiber, nach
Wohnsitzen suchende“. Der Begriff Volcae könnte etwas mit Wölfen
zu tun haben. Das heißt, Volcae Tectosages bedeutet soviel wie
„herumstreunende Wölfe“.
Das keltisch-germanische Mischphänomen, das Caesar bei den
Volcae beschreibt, finden wir bei Tacitus bei den Chatten wieder! Der
Hercynische Wald ist die geographische Klammer, die Volcae und
Chatten miteinander verknüpft. War deren Siedlungsgebiet identisch?
In jedem Fall scheinen die Chatten zu den Volcae gehört zu haben. Sie
waren wohl deren nordwestlichster Exponent.
Chatten wie wohl auch die Bataver und Mattiaker waren wohl der
bedeutendste verbliebene Stammesverband, seit Helvetier und Boier
um 85/60 v.Chr. nach Süden auswichen. Daher behielten sie zunächst
auch den übergeordneten ethnischen Begriff Volcae bei. Strabon und
Velleius um die Zeitenwende und Tacitus um 100 kannten dagegen
schon keine Volcae mehr.
Schuld daran dürften vor allem die augusteischen germanischen
Feldzüge gewesen sein, als in deren Zuge die Römer Germanien
bestens kennenlernten. Möglicherweise setzte auch schon mit der
Konfrontation zwischen Caesar und Ariovist 58 v.Chr. die
Germanisierung der chattischen Volcae in eine entscheidende Phase.
Doch verlief sie allen Anschein nach langsam.
Nun erneut zu den Batavern. Die Bataver besiedelten auch eine Insel
mit dem heutigen Namen Walcheren. Die Wortbildungsbasis erinnert
an Walha, die germanische Wiedergabe des Völkernamens Volcae. In
der belgischen Provinz Namur existierte der Ort Valceodurum.
Urheber der Benennung Walcheren dürften die Franken gewesen sein.
Im Nordosten Galliens, vor allem in der Pfalz, äußert sich der
gallische Götterglauben auf eine besondere Weise. Hier finden sich
Weihungen an eine Gruppe von Gottheiten namens „dii Casses“, die
wegen ihres Namens als Stammesgötter der oder bestimmten CassesStämme aufgefasst werden müssen. Sie lebten nahe zu den Chatten.
Der Chattenname ist somit also ursprünglich keltisch und passt nicht
nur hinsichtlich seiner sprachlichen Form und Etymologie, sondern
auch hinsichtlich seines Inhalts. Der Chattenname tauchte aber wie
zuvor erwähnt erst ab den augusteischen Germanenkriegen auf und
die Gewährsleute waren wohl in erster Linie Germanen gewesen.
„Casses“ bedeutet soviel wie „ordentlich frisiert“. Bei den Chatten
sollte die verwilderte Frisur ausdrücken, dass ihre Träger, ähnlich den
Beserkern, außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung standen, in den
meisten Fällen aber nur vorübergehend.
Eine Frage, die offen bleibt, ist, warum es zum Streit zwischen
Bataver und Chatten kam sowie wo und wann. Letzteres kann man
zeitlich eingrenzen zwischen dem Beginn des Bellum Gallicums 58
v.Chr. und dem Beginn der augusteischen Germanenkriege 12 v.Chr.
oder kurz vor der Umsiedlung der Ubier 19 v.Chr..
Hatte der Streit vielleicht etwas mit der Konfrontation zwischen
Caesar und Ariovist zu tun gehabt oder der arvernisch-haeduischen
Auseinandersetzung seit 72 v.Chr., in der auch die damals noch
rechtsrheinischen Helvetier, Boier und Ariovist verwickelt waren?
Konnte man sich nicht einigen, auf wessen Seite man sich schlagen
sollte? Auffallend ist in jeden Fall, dass ab 11 v.Chr. Bataver wie
Mattiaker auf römischer Seite, also antichattischer Seite standen!
Laut Tacitus sind die Chatten zudem die einzigen, bei denen die Sitte
des Berserkertums ganz regelmäßig, während dieses bei den
benachbarten Stämmen nur selten und als Zeichen des persönlichen
Wagemutes angeeignet haben. Auch die Chatten sind vom Phänomen
der Gefolgschaftsaristokratie geprägt. Hier weist sie aber ein
besonders archaisches religiöses Gepräge auf. Kriegertum hatte bei
den Chatten sakrale Wurzeln, eine Art Weihekriegertum.
Auch kann es kein Zufall sein, dass die antike Literatur den Brauch
der rot gefärbten Haare bei Chatten, Mattiakern und Batavern
lokalisiert. Demzufolge sind die Chatten rechts des Rheins derjenige
Stamm, der am ehesten die Bezeichnung Volcae/Wölfe verdient.
„Civilis (ein Bataver um 69/70) hatte nach einem bei Barbaren
üblichen Gelübde nach Ausbruch des Krieges gegen die Römer sich
das Haupthaar lang wachsen lassen und rot gefärbt. Nun erst, nach
dem Blutbad unter den Legionen, schnitt er es ab. Man berichtet auch,
er habe seinem kleinen Sohn einige der Gefangenen als Zielscheibe
für seine Kinderpfeile und Kinderspeere überlassen (Tacitus
Historien; Buch IV, 61,1).“
Plinius berichtete: „....Seife, eine Erfindung der gallischen Provinzen
für das Rotfärben der Haare, man macht sie aus Talg (Fett) und
Asche, die beste aus Buchenasche und Ziegentalg, und zwar in zwei
Varianten, fest und flüssig. Für beide haben bei den Germanen mehr
die Männer als die Frauen Verwendung...(Naturalis historiae Buch 28,
191)“
Martial Epigramme 14,26: „....chattische Seife entflamme die
teutonischen Haare.“ Epigramme 14,27: „Wenn du deine vom Alter
grauen Haare zu färben gedenkst, nimm mattiakische Seifenkugeln.“
Epigramme 8,33,20: „batavische Seife färbt latische Haare.“
Interessant ist, dass die roten Haare anderswo nicht beschrieben
werden, weder für Goten, Sueben, Hermunduren oder Marcomannen.
Sie verbleiben somit im geographischen, zum guten Teil aber auch im
ethnographischen Umfeld der Chatten! Daher ist es nicht
ungewöhnlich, dass sich auch die keltischen Galater und Boier ihre
Haare rot färbten. Die Galater stammten wohl ursprünglich aus dem
Raum der Volcer-Völker und die Boier waren ihre unmittelbaren
südlichen Nachbarn gewesen.
2) DER WERDEGANG
1.JH.n.CHR.:
DER
CHATTEN
IM
Nach dem offiziellen Kriegsende im Jahre 19 durch Kaiser Tiberius
zogen sich die Römer aus Germanien weitgehend zurück.
Hauptgrenzlinie wurde der Rhein mit seinen zahlreichen Militärlagern.
Ob im Zuge des Kriegsendes auch zu Verträgen mit den Chatten kam,
ist unklar. In jedem Fall war das Verhältnis zwischen Rom und den
Chatten um diese Zeit herum nicht durchgehend feindlich gewesen.
Am 26.5.17 nahmen Chatten als Gefangene wie auch als Gäste auf der
Ehrentribüne am Triumphzug des Germanicus in Rom teil. Während
des Krieges gab es wohl auch prorömische Chatten. „Dafür mussten
sie (die Aufständischen) aber alle büßen und dem jüngeren
Germanicus die Gelegenheit zu einem glänzenden Triumph bieten, bei
dem die vornehmsten Männer und Frauen persönlich im Triumphzug
aufgeführt wurden: Segimuntus, der Sohn des Segestes, Anführer der
Cherusker, und seine Schwester Thusnelda, die Frau des Arminius,
der bei den Cheruskern Heerführer gewesen war, als sie gegen
Quintilius Varus vertragsbrüchig wurden, und der noch jetzt (!) den
Krieg fortführt, und deren dreijähriger Sohn Thumelicus, ferner
Sesithacus, Sohn des Cheruskerfürsten Segimerus, mit seiner Frau
Ramis, Tochter des Chattenführers Ucromerus, und der Sugambrer
Deudorix, Sohn des Baetorix, eines Bruders des Melo. Segestes aber,
der Schwiegervater des Arminius, hatte sich von Anfang an seinen
Plänen widersetzt, war bei günstiger Gelegenheit übergelaufen und
war nun beim Triumphzug über seine engsten Verwandten unter den
Ehrengästen; auch Libes, Priester der Chatten, nahm als Zuschauer
teil. Im Triumphzug mitgeführt wurden auch andere Vertreter der
besiegten Stämme, der Kauker, Kampsaner, Bructerer, Usiper,
Cherusker, Chatten, Chattuarier, Lander, Tubantier (Strabon;
Geographika 7,1,4).“
Auch fragte im Jahre 20 ein Chatte bei den Römern an, ob er Arminius
vergiften dürfe: „Bei Schriftstellern jener Zeit aus dem Senat finde ich
die Nachricht, dass im Senat ein Brief des Chattenhäuptlings
Adgandestrius verlesen wurde, in welchem dieser sich anbot,
Arminius zu töten, wenn man ihm Gift schicke (gab es im Chattenland
keine Gifte?), um diese Tat auszuführen. Die Antwort lautete, das
römische Volk nehme an seinen Feinden nicht hinterlistig und
heimlich, sondern offen und mit dem Schwert in der Hand Rache (mal
was Neues). Mit diesem edlen Verhalten stellte sich Tiberius jenen
alten Feldherrn an die Seite, die es abgelehnt hatten, den König
Pyrrhos vergiften zu lassen, und ihm von dem Anschlag Mitteilung
gemacht hatten. Übrigens wollte sich Arminius nach dem Abzug der
Römer und der Vertreibung Marbods zum König machen, stieß aber
bei seinen freiheitsliebenden Landsleuten (hier: Cherusker) auf
Widerstand. Es kam zu einem Krieg gegen ihn. Er kämpfte mit
wechselndem Glück und fiel dann durch die Arglist seiner Verwandten
(Tacitus Annalen; 2.Buch, 88).“
Anschließend bleibt es an der chattischen Front für viele Jahre ruhig.
Beide Seiten scheinen einen Vertrag miteinander geschlossen haben,
der alle zufrieden stellte. Im Jahre 41 war es jedoch mit dem Frieden
zwischen beiden definitiv wieder vorbei, als der obergermanische
Statthalter Sulpicius Galba zu Beginn der Regentschaft Kaiser
Claudius die Chatten angriff.
„Es besiegte in diesem Jahr Galba Sulpicius die Chatten.....(Cassius
Dio; Römische Geschichte 60,8).“ „Vom Kaiser Caligula wurde
Galba an Stelle von Gaetulicus zum Legaten von Obergermanien
ernannt. Gleich am Tage nach seiner Ankunft bei den Legionen verbot
er den Soldaten, bei einem festlichen Schauspiel, ihren Beifall durch
Händeklatschen zu bekunden und erließ einen Tagesbefehl, sie hätten
die Hände unter dem Mantel zu halten. Sofort hieß es im ganzen
Lager: „Lern' Soldat, soldatisch Wesen, Galba ist's, nicht
Gaetulicus!“ Mit gleicher Strenge verweigerte er Urlaubsgesuche.
Die gedienten Leute wie die Rekruten härtete er durch
ununterbrochenen Dienst ab. Sehr bald warf er die Barbaren, deren
Einfälle sich bis nach Gallien hinein erstreckt hatten, zurück und
gewann, als der Kaiser Gaius (Caligula) das Land besuchte, sowohl
für seine Person als für sein Heer in dem Maße die kaiserliche
Anerkennung, dass unter den unzähligen, aus allen Provinzen
zusammengezogenen Truppenteilen keiner eine höhere Belobigung
und Belohnung erhielt (Sueton Galba 6.2.).“
Das ist schon alles. Wieso und weshalb es zum Krieg kam, ist unklar.
Bekannt ist, dass Kaiser Caligula, der am 24.1.41 ermordet wurde, im
Jahre 39 einen Germanenfeldzug startete, nachdem kurz zuvor
Germanen Gallien erfolglos angegriffen hatten. Leider sind die
Quellen aus jener Zeit mehr als unklar und Tacitus Angaben sind zu
allem Überfluss auch noch verschollen.
Unklar ist auch, wo genau die Kämpfe zwischen Römern und Chatten
stattfanden, außer in Obergermanien. Da die Kämpfe anscheinend
nicht lange andauernden, scheinen sie vor allem im Untermainraum
und Wetterau stattgefunden zu haben, dem Einfallstor nach und von
den chattischen Stammesgebieten.
Anschließend wurde es wieder an der chattischen Front ruhig und
Kaiser Claudius konnte in aller Ruhe im Jahre 43 seinen
Britannienfeldzug starten. Im Jahre 49/50 kam es jedoch wieder erneut
zu Kämpfen zwischen Chatten und Römern. Und dieses Mal wurde
nachweislich um den Untermainraum und die Wetterau gekämpft.
Zur selben Zeit setzte die Ankunft der Chatten, die auf Raub
ausgingen, Obergermanien in Angst. Der Legat P.Pomponius sandte
die Auxiliarcohorten der Vangionen (um Worms) und Nemeter (um
Speyer) samt bundesgenössischer Reiterei aus und erteilte den
Auftrag, die Räuber abzuschneiden oder sie unvermutet zu umzingeln,
wenn sie sich zerstreut hätten. Mit Eifer kamen die Soldaten der
Anordnung ihres Befehlshabers nach. Sie bildeten zwei getrennte
Züge. Der eine nahm seinen Weg links und schloss die Feinde, die
sich an ihren Beuteschätzen gütlich getan hatten und in tiefem Schlafe
lagen, auf dem Heimweg ein. Der Erfolg war um so erfreulicher, als
sie einige Leute von der Niederlage des Varus her nach
vierzigjähriger Gefangenschaft befreien konnten.
Die andere Abteilung marschierte rechter Hand und hatte also einen
kürzeren Weg eingeschlagen. Die Feinde stießen mit ihr zusammen,
wagten eine Schlacht und erlitten eine noch schlimmere Niederlage.
Mit Beute und Ruhm bedeckt, gingen sie zum „mons tauno“
(Friedberg in der Wetterau) zurück, wo Pomponius mit den Legionen
bereitstand, falls die Chatten, um Rache zu nehmen, sich auf eine
Schlacht einlassen sollten. Die aber fürchteten, die Römer möchten
ihnen auf der einen Seite, die Cherusker, mit denen sie ewig im Kampf
liegen, auf der anderen Seite den Weg abschneiden, und schickten
Gesandte und Geiseln nach Rom. Pomponius erhielt die
Triumphalabzeichen, die aber nur einen kleinen Teil des Ruhms
ausmachen, den er bei der Nachwelt genießt. Er ist als
hervorragender Dichter bekannt (Tacitus Annalen XII, 27 – 29).“
Der Legat Obergermaniens P.Pomponius Secundus wehrte also den
chattischen Angriff mit zwei aus Vangionen und Nemetern gebildeten
gemischten Kampftruppen erfolgreich ab. Unklar ist nur, ob es sich
hierbei um reguläre Cohorten oder kurz zuvor ausgehobene Einheiten
handelte. Auch ist der Verlauf der Kämpfe unklar, die aber mit
Sicherheit die gesamte Wetterau und wohl auch das mittlere Lahntal
umfasst haben. Interessant ist in jedem Falle, dass seit Germanicus
erstmals wieder römische Legionen am „mons tauno“ standen. Eine
Vorentscheidung im Kampf um die Wetterau und dem unteren
Maintal war somit gefallen und zwar zugunsten der Römer.
49, also dem Jahr der Kämpfe wurde nach neusten Erkenntnissen auch
die Pfahljochbrücke bei Koblenz errichtet. Die Römer versuchten also
auch im Neuwieder Becken rechts des Rheins Fuß zu fassen. Ebenfalls
wurden am Niederrhein zahlreiche neue Kastelle errichtet und in
Süddeutschland wurden die Kastelle vom Rhein an die Donau
vorverlegt.
Anschließend war es wieder für einige Jahre ruhig. Erst im Jahre 57,
nun unter Kaiser Nero, wurde es im Land der Chatten unruhig. Schuld
daran waren die Chauken, die aus unbekannten Gründen die
Ampsivarier aus ihrem Lande gejagt hatten und diese nun ziellos in
Germanien umherzogen, ehe sie versuchten im unmittelbaren Vorfeld
des römischen Machtbereiches zu siedeln. Das passte den Römern
überhaupt nicht und erneut mussten sie sich neues Siedelland zu
suchen, auch bei den Chatten. Dies passte ihnen ebenfalls nicht.
„Hierüber erregt antwortete Avitus: man müsse die Herrschaft der
Besseren ertragen, es sei der Wille der Götter, die sie anriefen, dass
bei den Römern die Entscheidung bleibe, was sie geben, was sie
wegnehmen wollten, und dass sie keinen anderen Richter duldeten als
sich selbst. Die entgegnete er den Ampsivariern in ihrer Gesamtheit,
dem Boiocalus selbst aber erklärte er sich bereit, im Gedenken an
seine Freundschaft Land zu geben. „Zum Leben kann der Raum uns
fehlen, zum Sterben nicht.“ So schieden sie, Feindschaft im Herzen.
Jene riefen die Bructerer, die Tencterer und auch entferntere Stämme
als Bundesgenossen zum Krieg auf. Avitus schrieb an Curtilius
Mancia, den Legaten der oberen Provinz, er solle den Rhein
überschreiten und seine Waffen im Rücken des Feindes zeigen. Er
selbst führte seine Legionen in die Mark der Tencterer und bedrohte
sie mit der Vernichtung, wenn sie sich nicht von jenen trennten. Als
diese zurücktraten, wurden die Bructerer durch dieselbe Drohung
abgeschreckt. Und da auch die anderen sich von fremder Not
abwandten, so blieb der Stamm der Ampsivarier allein und wich
zurück zu den Usipetern und Tubanten. Als sie, aus deren Ländern
vertrieben, die Chatten und dann die Cherusker angriffen, Fremdlinge
im Elend, Feinde auf anderer Leute Boden, da wurde ihre
Jungmannschaft erschlagen, die Wehrunfähigen als Beute verteilt
(Tacitus Annalen; 13.Buch, 56).“
Kaum hatten die Chatten dieses für sie unangenehme Problem gelöst,
bekamen sie ein neues. Es kam noch im selben Jahr zu schweren
Kämpfen mit ihren östlichen Nachbarn, den Hermunduren. Da diese
Verbündete der Römer waren, ist damit zu rechnen, dass sie ihre
Hände mit im Spiel hatten.
„In demselben Sommer wurde zwischen Hermunduren und Chatten
eine große Schlacht geschlagen, in der sie um den salzführenden
Grenzfluss stritten. Außer ihrer Neigung, alles mit den Waffen zu
entscheiden, wirkte dabei noch die religiöse Überzeugung mit, dass
dieses Land dem Himmel am nächsten sei, und dass die Götter
nirgends die Gebete der Menschen aus größerer Nähe hörten. Daher
komme auch durch die Gnade der Götter in jenem Strome und in
jenen Wäldern Salz zutage, nicht wie bei den anderen Völkern durch
Ausscheidung beim Eintrocknen des Seewassers, sondern indem
Wasser über einen brennenden Holzstoß gegossen werde, wachse das
Salz aus den feindlichen Elementen Feuer und Wasser zusammen. Der
Krieg war für die Hermunduren glücklich und wurde für die Chatten
um so verhängnisvoller, als die Kämpfenden im Falle des Sieges die
Gegner dem Mars (Tiu?) und Merkur (Lugus) geweiht hatten. Durch
dieses Gelübde verfällt alles Lebendige, Ross und Mann, dem Tode.
Und so wüteten unsere Feinde (die beiden sich bekämpfenden
Stämme) mit ihren Gelübden gegen sich selber (Tacitus Annalen;
13.Buch, 57).“
Beim in den Quellen genannten salzführenden Grenzfluss handelt es
sich offensichtlich um die Salinen von Soden an der Werra, wo heute
noch die Grenze zwischen Hessen und Thüringen verläuft. Selbst
Lambert von Hersfeld, er lebte im 11.Jh., nannte diesen Fluss als
Grenze zwischen Hessen und Thüringen. Im Jahr 57 wurde diese
Grenze für immer festgelegt. Von den Teilnehmern der Schlacht hatte
bestimmt niemand geahnt, dass ihr Tun solche gravierende Folgen
haben könnte.
Der eigentliche Sieger dieser Kämpfe waren jedoch die Römer
gewesen, die mit diesem Schachzug damit gesorgt hatten, dass die
Chatten vorerst anderweitig beschäftigt waren, so dass sie die
Wetterau- und Untermainregion vorläufig in Ruhe lassen mussten.
Ab dem Jahr 57 blieb es 12 Jahre ruhig in Germanien, ehe es erneut
drunter und drüber ging. Doch dieses Mal waren die Probleme aus
römischer Sicht hausgemacht. Am 9.6.68 verübte Kaiser Nero auf
Druck der römischen Bevölkerung Selbstmord. Da er kinderlos war,
starb mit ihm das julische Kaiserhaus aus.
Dies war die Sternstunde ehrgeiziger Generäle und gleich drei von
ihnen meldeten sich sowie ein Angehöriger des kaiserlichen
Hofstaates. Da mit Vitellius auch der Westen des Reiches
diesbezüglich einen Vertreter stellten, war vom beginnenden
Bürgerkrieg selbstredend auch diese Region betroffen gewesen. Den
germanischen Stämmen blieb dies nicht verborgen.
Im Zuge des Bürgerkrieges gelang es den Chatten im Verbund mit
Mattiakern und Usipetern, Mogontiacum (Mainz) zu belagern, also
ein Legionslager! „Dann besannen sich die Einser, Vierer und
Zweiundzwanziger und folgten wieder reumütig dem Vocula, von dem
sie neuerlich unter Eid auf Vespasian genommen und zum Entsatz von
Mogontiacum geführt wurden. Die Belagerer waren bereits
abgezogen, ein aus Chatten, Usipern und Mattiakern
zusammengewürfeltes Heer. Sie hatten genug Beute gemacht, mußten
aber schweren Blutzoll zahlen, als sie ohne feste Ordnung und
ahnungslos dahinzogen, waren unsere Soldaten über sie hergefallen.
Sogar einen mit Faschinen verstärkten Erdwall errichteten die
Treverer entlang ihrer Grenzen. Sie lagen im Krieg mit den
Germanen, unter großen Verlusten auf beiden Seiten (Tacitus;
Historien, Buch IV, 37).“
Sieger des Bürgerkrieges wurde im Jahre 70 Vespasian, der das
Kaiserhaus der Flavier begründete. Gleich nach seinem Sieg beendete
er die chaotischen Verhältnisse an der Rheingrenze. Statthalter in
Obergermanien wurde Annius Gallus, der 74 durch Pinarius
Cornelius Clemens abgelöst wurde. Unter ihm erfolgten die geplante
Eroberungen in diesem Raum für das Jahr 74, der dafür die
Triumphalinsignien erhielt. Es gab drei Operationsgebiete: a)
Wetterau, b) die rechte Rheintalebene und c) der obere Neckarraum.
Die ersten Erkundungszüge begannen wohl schon 70/71.
Gleichzeitig wurden auch in Britannien Feldzüge getätigt. Die
Operationen zur Eroberung Südwestdeutschlands erfolgten von
Argentorate und Vindonissa (Windisch – legio XI Claudia). Es war
die Geburtsstunde des Alblimes (Schwäbisch Alb), wenn er nicht doch
erst unter Trajan errichtet wurde. Mogontiacum stellte ebenfalls
Truppenteile.
Unklar ist, wer zu diesem Zeitpunkt in der Wetterau siedelte.
Stammesnamen sind nicht bekannt, was schließen lässt, dass hier
keine größeren ethnische und politische Verbände existierten, was
auch in gewisser Weise Tacitus bestätigt:
„Nicht zu den Völkerschaften Germaniens möchte ich die Leute
rechnen, die das Decumatenland bebauen, wenn sie sich auch jenseits
von Rhein und Donau angesiedelt haben; gallisches Gesindel und aus
Not Verwegene eigneten sich den umstrittenen Boden an. Bald darauf
wurden der Grenzwall angelegt und die Wachen vorgeschoben;
seither gilt das Gebiet als Vorland des Reiches und Teil der Provinz
(Tacitus Germania 29,3).“
Aufgrund der Bodenfunde kann man sagen, dass in der ersten Hälfte
des 1.Jhs. in der Wetterau und in der nördlichen Untermainebene eine
germanische Bevölkerungsgruppe lebte, die intensive Beziehungen zu
Mogontiacum und Umgebung unterhielten. Sie war aber nicht so groß,
dass es zur Anlage ausgedehnter, längerfristig belegter Nekropolen
kam.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass im rechtsrheinischen Vorfeld von
Mogontiacum und Argentorate germanische Militärsiedler angesiedelt
wurden und zwar in einer gewissen zeitlichen Staffelung, um die
Neuansiedlung besser unter Kontrolle zu haben. Diesen Siedlern oblag
die Vorfeldsicherung und der Schutz von Brücken und Straßen.
Hierbei könnte es sich um mattiakische Stammesgruppen gehandelt
haben, die nachweislich im östlichen Vorfeld von Mogontiacum
siedelten.
Unbedingt zuverlässig waren sie nicht, wie der Bataveraufstand
bewies. Andererseits muss das Verhältnis zwischen ihnen und den
Römern in großen und ganzen gut gewesen sein, denn sonst hätten die
Römer sie aus ihrem Vorfeld um Mogontiacum wieder vertrieben und
mit Sicherheit hätten die Römer später nicht die „Civitas
Mattiacorum“ eingerichtet. Selbst nach der erfolglosen Belagerung
von Mogontiacum unter anderem durch die Mattiaker ist nichts von
römischen Strafmaßnahmen gegenüber ihnen bekannt geworden.
Die Wetterau wurde flächenmäßig erschlossen. Sehr wahrscheinlich
erhielt Clemens die Triumphalinsignien für die Besetzung der
Wetterau. Denn nur hier gab es einen nennenswerten Feind zu
bekämpfen: die Chatten eben. Unter Vespasian herrschte schließlich
an der Chattenfront Ruhe. Dies änderte sich unter Kaiser Domitian,
dem jüngsten Sohn Vespasians im Jahre 83. Es folgte ein dreijähriger
Krieg, der schwerste zwischen Römern und Chatten seit Ende der
augusteischen Germanenkriegen. Interessant ist, dass dieses Mal die
Römer nicht auf einen chattischen Angriff reagierten, sondern selbst
in die Offensive gingen. Leider ist dieser Teil von Tacitus Historien
verloren gegangen, so dass bislang unklar ist, warum es zu diesem
schweren Krieg kam und war für Ziele die Römer eigentlich
verfolgten.
„Auch einen Feldzug gegen Gallien und die germanischen Provinzen
unternahm er, ganz unnötigerweise und gegen den Rat der Freunde
seines Vaters (Vespasians), nur um nicht an Macht und Ansehen
hinter seinem Bruder (Titus) zurückzustehen. Dies zog ihm den
heftigen Tadel seines Vaters zu; damit er so eher an seine Jugend und
seine Stellung gemahnt würde, musste er seitdem bei seinem Vater
wohnen (Sueton Domitian 2,1).“
„Seine Feldzüge unternahm er teils aus eigenem Antrieb, teils
gezwungenermaßen. Von sich aus den gegen die Chatten, aus Zwang
einen gegen die Sarmaten, welche eine Legion samt ihrem Legaten
niedergemetzelt hatten, und zwei gegen die Dacer; das eine Mal, um
die Niederlage des Consularen Oppius Sabinus, das zweite Mal, um
die des Praefecten der Praetorianercohorten, Cornelius Fuscus, zu
rächen, dem er den Oberbefehl in diesem Krieg übertragen hatte.
Nach mehreren Gefechten von ungleichem Erfolg hielt er über die
Chatten (83 und 89) und Dacer (86 und 89) je zweimal einen
Triumph. Zur Feier seines Sieges über die Sarmaten begnügte er sich,
dem Capitolinischen Jupiter seinen Lorbeerkranz darzubringen
(Sueton Domitian 6,1).“
„...Da der Kaiser Domitian Augustus Germanicus die Germanen, die
unter Waffen standen, überwältigen wollte und wohl wusste, dass sie
den Krieg mit größerem Kräfteaufgebot führen würden, wenn sie von
der Ankunft eines so mächtigen Heerführers vorher Kunde erhielten,
verschleierte er seinen Aufbruch zum Krieg durch das Eintreiben von
Steuern in Gallien. Während dieser Aktion griff er sie unerwartet an,
zerschlug die wilde Kraft der furchtbaren Völker und widmete sich
dann wieder dem Wohl der Provinzen (Frontinus, Strategemata –
Kriegslisten – I,1).“
„...Da die Germanen unsere Truppen nach ihrer Sitte öfter aus
Wäldern und dunklen Schlupfwinkeln angriffen und einen sicheren
Rückzug in die Tiefe der Wälder hatten, ließ der Kaiser Domitian
Augustus auf 120 Meilen limites errichten und veränderte hierdurch
nicht nur die Kriegslage, sondern unterwarf auch die Feinde seiner
Gewalt, da er ihre Zufluchtsorte abgeschnitten hatte (Frontinus,
Strategemata, I,3).“
„...Als die Chatten öfter das Reitergefecht durch ihren Rückzug in die
Wälder hineinzogen, befahl der Kaiser Augustus Germanicus seinen
Reitern abzusitzen, sobald sie auf Hindernisse stießen, und das
Gefecht zu Fuß zu führen. Durch dieses Verfahren erreichte er, dass
kein Ort seinen Sieg mehr aufhielt.
...Als der Kaiser Augustus Germanicus in dem Krieg, in dem er durch
den Sieg über die Feinde den Beinamen Germanicus verdiente, im
Gebiet der Kubier Kastelle errichtete, ließ er für die Ernte der Felder,
die er durch seinen Wall umschloss, Schadenersatz bezahlen, und so
machte er sich durch den Ruf der Gerechtigkeit alle zu Anhängern
(Frontinus, Strategemata, II, 2-3).“
„Bei diesem Volk sind kräftiger die Gestalten, sehnig die Glieder,
durchdringend der Blick und größer die geistige Regsamkeit. Für
Germanen zeigen sie viel Umsicht und Geschick. Sie stellen Männer
ihrer Wahl an die Spitze, gehorchen den Vorgesetzten, kennen Reih
und Glied, nehmen günstige Umstände wahr, verschieben einmal
einen Angriff, teilen sich ein für den Tag, verschanzen sich für die
Nacht. Das Glück halten sie für unbeständig und nur die eigene
Tapferkeit für beständig. Und was überaus selten und sonst allein
römischer Kriegszucht möglich ist: sie geben mehr auf die Führung
als auf das Heer. Ihre Stärke liegt ganz beim Fußvolk, dem sie nicht
nur Waffen, sondern auch Schanzzeug und Verpflegung aufbürden.
Andere zieht man in die Schlacht ziehen, die Chatten in den Krieg.
Selten kommt es zu Streifzügen und nicht geplanten Kampf. Es ist ja
auch die Art berittener Streitkräfte, rasch den Sieg zu erringen und
rasch wieder zu entweichen. Doch Schnelligkeit grenzt an Furcht,
Zögern kommt standhaftem Mute näher (Tacitus; Germania 30).“
„Hierauf zog er nach Gallien aus und plünderte einige Stämme
jenseits des Rheines, die in friedlichen Beziehungen mit den Römern
standen, eine Leistung, auf die er sich viel einbildete, wie wenn er
etwas Großes zustande gebracht hätte (Cassius Dio; Römische
Geschichte, Buch 67, 8,2).“
„Domitian unternahm einen Feldzug nach Germanien und kehrte
zurück, ohne nur irgendwo etwas vom Krieg gesehen zu haben
(Cassius Dio; Römische Geschichte, Buch 67, 8,4).“
„Die schwersten Kriege hatten die Römer zu dieser Zeit mit den
Dacern zu führen, die damals unter dem König Decebalus standen
(Cassius Dio; Römische Geschichte, Buch 67, 8,6).“
Das ist leider schon wieder alles, was uns die antiken Historiker über
die zwei Chattenkriege des Domitians überliefert haben. Wieviele
Feldzüge letztendlich geführt wurden und wo sie verliefen, ist
praktisch unbekannt. Frontinus berichtet von einem Guerillakrieg der
Chatten gegen die Römer, das heißt sie stellten sich ihnen keiner
Entscheidungsschlacht.
Dies zwang Domitian dazu mittels Schlagen von Schneisen in die
Wälder auf diese Weise den Nachschub zu sichern. Gleichzeitig
sicherte er damit auch das eroberte Gebiet. Wo diese aber angelegt
wurden und wann genau, ist unklar. Möglicherweise datiert die
spätere erste Limesanlage im Taunus und in der Wetterau in die Zeit
des ersten Chattenkrieges. Andererseits war dieses Gebiet seit den
Feldzügen des Legaten Clemens 72/74 fest in römischer Hand!
Wie weit nach Norden führten die Feldzüge? Auch darüber schweigen
die Quellen, auch die archäologischen. Sie konzentrierten sich in
jedem Falle auf das Wetterau- und Taunusgebiet. Das könnte
bedeuten, dass es Domitian tatsächlich wohl vor allem nur darum
ging, dass einst von Clemens erreichte für alle Zeiten für Rom zu
sichern.
Für diese Annahme könnte eine Bemerkung Cassius Dio sprechen, als
er meinte, dass die Römer den wichtigeren Krieg gegen die Dacer
kämpften und nicht gegen die Chatten und dass Domitian ihn aus
eigenen Antrieb begann und nicht aus Notwendigkeit. Auch dass er
angeblich im ersten Feldzugsjahr keinen Feind zu Gesicht bekommen
haben soll, spricht nicht unbedingt für die These, dass es Domitian
darum ging, die Chatten ins Römische Reich einzugliedern.
Merkwürdig ist auch die Stelle bei Frontinus, dass Domitian im
Gebiet der Kubier Kastelle anlegen ließ. Außer in dieser Stelle werden
die Kubier sonst nirgends in der antiken Literatur erwähnt.
Möglicherweise griff Frontinus hier auf eine ältere Quelle aus
augusteischer Zeit zurück.
Vielleicht liegt hier eine Begriffsverwechslung oder ein Schreibfehler
vor und gemeint waren die Ubier, die 19 v.Chr. von Agrippa
umgesiedelt wurden. Wenn dies stimmen sollte, dann würde diese
Stelle beweisen, dass einst die Wetterau und der Taunus ubisches
Stammesland gewesen war. Wichtig zu wissen ist, dass Domitian bis
zu seiner Thronbesteigung im Jahre 81 immer im Schatten seines
älteren Bruders Titus gestanden hatte. Nach seiner Thronbesteigung
stand er schließlich vor dem gleichen Problem wie seine Vorgänger
Caligula und Claudius. Sie mussten ihre virtus imperatoria gegenüber
ihrem Heer beweisen.
Als Kaiser hatten sie Anspruch auf den militärischen Oberbefehl,
doch keiner der drei genannten Kaiser konnte bei Amtsantritt
irgendwelche militärischen Leistungen vorweisen. Dabei war es für
einen Kaiser lebensnotwendig, von ihrem Heer anerkannt zu werden.
Um diese Anerkennung von ihnen zu erlangen, musste er einen
erfolgreichen Feldzug führen. Nur noch die Chatten boten sich bei
seinem Amtsantritt als ernstzunehmender Gegner an sowie die
permanent unruhige Donauregion. Cassius Dio schrieb zwar von
einem unnötigen Krieg, doch kann dies nicht ganz der Wahrheit
entsprechen; denn dazu bereitete er den Krieg sehr sorgfältig vor.
Zuerst inszenierte er in Gallien einen census (Steuererhebung), ehe er
überraschend die Chatten angriff. Wie wichtig ihm dieser Feldzug
war, lässt auch die hohe Anzahl der am Feldzug beteiligten Legionen
vermuten. Es waren sage und schreibe fünf Legionen samt einer
Vexillation. Seit den Tagen des Germanicus hatte kein römischer
Feldherr mit solch einer großen Streitmacht das freie Germanien
angegriffen.
Aus Obergermanien waren am Feldzug die legio I Adiutrix, XIV
Gemina VIII Augusta und die legio XI Claudia beteiligt. Aus
Niedergermanien nahm die legio XXI rapax aus Bonna teil sowie eine
Vexillation der legio IX Hispana aus Britannien. Als Ersatz für die
legio XXI rapax wurde die neuausgehobene legio Flavia Minerva in
Bonna stationiert, die möglicherweise ebenfalls am Krieg
teilgenommen hatte. Zumindest hatte sie den Rücken Domitians
gedeckt. Nahmen aber andererseits alle gleichzeitig an den Feldzügen
teil? Und warum waren so viele Legionen nötig? Kann es sein, dass
sich die Feldzüge nicht nur auf die nordhessischen Chatten
beschränkte, sondern sich auch gegen die mainfränkischen Chatten
richtete, die in der entgegengesetzten Richtung lebten? Dafür könnte
das 14ha große Kastell von Hanau-Kesselstadt westlich der Kinzig
gelegen sprechen. Es war neben Rottweil das größte flavische
Militärlager rechts des Rheins! Es diente möglicherweise als Depotund Versorgungslager für möglicherweise in Richtung Mainfranken
operierende Verbände. Interessant ist, dass dieses Lager wohl von
Anfang an aus Stein bestand! Es bestand aber nicht lange. Wohl im
Zusammenhang mit den Saturniusaufstand Anfang 89 wurde es
wieder aufgegeben.
Ein weiteres Militärlager aus dieser Zeit lag in Bad Nauheim und war
rund 6ha groß, also deutlich kleiner als das von Hanau-Kesselstadt.
Nahe des weiter nördlichen gelegenen späteren Limeskastells
Arnsburg entdeckte man kürzlich zwei weitere Militärlager. Ihre
Zeitstellung ist noch unklar. Falls eines aber domitianisch sei sollte,
spricht dies auch für massive Militäroperationen gen Norden.
Was machten zudem eigentlich die römischen Verbündeten in
Germanien, die bekanntlich an das Land der Chatten grenzten, also
die Cherusker und Hermunduren? Waren die Chatten wirklich so
stark, um sage und schreibe drei Jahre dieser Übermacht
standzuhalten? Wenn meine Annahme bezüglich Mainfranken zutrifft,
dann ließe sich erklären, warum der erste Chattenkrieg fast drei Jahre
lang dauerte. Die römischen Heere hatten mit Nordhessen und
Mainfranken ein riesiges Operationsgebiet abzudecken, dass zudem
stark bewaldet und teilweise kaum besiedelt war wie der Odenwald
und Spessart. Dies führte mit Sicherheit an vielen Stellen zu
gravierenden Nachschubproblemen. Was war der konkrete Anlass
dieses Krieges? Cassius Dio spricht von Ausplünderungen
rechtsrheinischer Stämme, die bis dahin positiv zu den Römern
standen. Was heißt das? War das der Grund, warum wir von
germanischen Verbündeten auf römischer Seite nichts hören? Wie
standen die Chatten zu Rom und den Flaviern nach Beendigung des
Bataverkrieges? Viele Fragen, keine Antworten. Wie gesagt, an
diesem Krieg ist vieles seltsam. Schade, dass Tacitus Berichte über
diesen Krieg verschollen sind.
„Als Nachbarn der Chauken und Chatten gaben sich die Cherusker
unbehelligt einem allzu langen und erschlaffenden Frieden hin. Der
brachte ihnen mehr Behagen als Sicherheit; denn es ist verfehlt, unter
Herrschsüchtigen und Starken der Ruhe zu pflegen. Wo das
Faustrecht gilt, sind Mäßigung und Rechtschaffenheit Namen, die nur
dem Überlegenen zukommen. So werden die Cherusker, die einst die
guten und gerechten hießen, jetzt Tölpel und Toren genannt; den
siegreichen Chatten rechnet man das Glück als Klugheit an. Der Sturz
der Cherusker riss auch die Foser mit sich, einen benachbarten
Stamm; im Missgeschick sind sie Bündner gleichen Rechts, während
sie im Glück zurückstehen mussten (Tacitus Germania 36).“
Leider sagt Tacitus nicht, wann genau die Chatten die Cherusker
endgültig besiegten. Was heißt in diesem Zusammenhang „einen
langen und erschlaffenden Frieden“? Endeten mit Italicus Sturz die
Bürgerkriege der Cherusker oder erst viel später? Da Tacitus seine
Germania im Jahre 98 schrieb, müssen die Chatten die Cherusker
irgendwann zwischen 47 und 98 besiegt haben.
Chariomerus, König der Cherusker, war wegen seiner Freundschaft
mit den Römern durch die Chatten der Herrschaft beraubt worden.
Zuerst sammelte er Gefährten, gewann die Oberhand und kehrte in
sein Reich zurück; danach wurde er, da er den Römern Geiseln
geschickt hatte, von seinen Gefährten im Stich gelassen und wandte
sich nun hilfesuchend an Domitian. Beistand wurde ihm nicht
gewährt, doch er erhielt Geld (Cassius Dio; Römische Geschichte;
Buch 67, 10,5).“ Leider ist auch hier unklar, wann genau die
Geschichte stattfand. Entweder geschah dies um 90 unmittelbar nach
dem zweiten Chattenkrieg oder vielleicht unmittelbar vor dem ersten
Chattenkrieg ab 83. Cassius Dios Angabe liegt leider nicht im
Original vor!
Noch eine kleine Geschichte am Rande: „Masyus aber, König der
Semnonen, und Ganna, eine Jungfrau, die nach Veleda in Germanien
als göttliche Weissagerin aufgetreten war, kamen zu Domitian;
nachdem sie ehrenvolle Aufnahme bei ihm gefunden hatten, kehrten
sie wieder in ihre Heimat zurück (Dies geschah im Jahr 84). Den
bedeutendsten Krieg aber hatten die Römer in dieser Zeit gegen die
Dacer zu führen (im Jahr 86.) (Cassius Dio, Römische Geschichte 67,
12,3).“
Hängen alle drei Geschichten miteinander in direkten Bezug? Wenn
ja, dann könnte man es sich erklären, warum es zu einem dreijährigen
Krieg mit den Chatten kam. Nach erfolgreicher Ausschaltung der
Cherusker war das von den Römern in Germanien geschaffene
Gleichgewicht empfindlich zu Gunsten der Chatten verschoben
wurde. Was machten eigentlich die Hermunduren zu dieser Zeit?
Hängt deren Nichterwähnung in irgendeinen Zusammenhang mit der
römischen Kontaktaufnahme zu den an der Elbe lebenden Semnonen?
Viele Fragen, aber keine sicheren Antworten.
Da die legio XXI rapax aus Bonna am Feldzug teilnahm, deutet
daraufhin, dass es nicht nur gegen die Chatten ging, sondern auch
gegen die im Neuwieder Becken lebenden Usipeter, die mit den
Chatten oft gemeinsame Sache gemacht haben. Für diese Vermutung
könnte ein Ereignis aus Britannien sprechen, als 83 eine nach
Britannien verlegte Usipetercohorte desertierte. Das bedeutet
wiederum, dass es Domitian schon gleich zu Anfang gelungen war,
das Neuwieder Becken zu besetzen. Ab 85 findet man auf viele
Münzen die Nachricht vom Sieg gegen die Chatten. Vielleicht ließ
Domitian zudem unter nachweislicher Beteiligung der legio XIV
Gemina den Ehrenbogen von Mainz-Castel errichten. Die legio XIV
Gemina war vor 43 und zwischen 70 und 97 in Mogontiacum
stationiert gewesen. Desweiteren ließ Domitian im gesamten Reich
weitere Siegesdenkmäler errichten. Das zeigt, wie innenpolitisch
wichtig dieser Krieg für Domitian gewesen war. Aber auch aus
militärischen Gründen war dieser Krieg alles andere als unnötig
gewesen wie es uns die antiken Autoren glauben machen wollen.
Durch das Abdrängen der Chatten ins Innere Germaniens hatte er für
den im Sommer 85 beginnenden Dacerkrieg die Hände frei gehabt. Er
musste keinen Zweifrontenkrieg mehr befürchten.
Der Chattenkrieg Domitians war so gesehen ein voller Erfolg! Nicht
umsonst sprach Domitian von der „Germania capta“ („besiegtes
Germanien“), auch wenn Tacitus darüber nur müde lächeln konnte:
„640 Jahre zählt unsere Stadt, als man unter dem Consulat des
Caecilius Metellus und Papirius Carbo zum ersten Male von den
Waffentaten der Cimbern vernahm. Rechnen wir von da ab bis zum
zweiten Consulat des Kaisers Trajan, dann ergeben sich ungefähr 210
Jahre: so lange schon wird Germanien besiegt (Tacitus, Germania
37)!“
Aber vielleicht hatte Tacitus ihn missverstanden und mit „Germania
capta“ feierte Domitian weniger den Sieg über die Chatten und über
ganz Germanien als die erfolgreiche Einrichtung der neuen
germanischen Provinzen. Immerhin nahm Domitian bekanntlich
schon im Herbst 83 den Ehrentitel „Germanicus“, obwohl der
Chattenkrieg offiziell noch längst nicht beendet war. Wurden wegen
der Einrichtung zweier neuer Provinzen so viele Legionen benötigt?
Unklar bleibt nur, wie Rom mit den geschlagenen Chatten
umgegangen ist. Ins Reich wurden sie in jedem Fall nicht
eingegliedert. Wie sah daher der Friedensvertrag aus, den es mit
Sicherheit gegeben haben muss, denn sonst hätte schließlich Domitian
kaum mit solchen Pomp seinen Sieg über die Chatten feiern können?
Kam es zu Unterwerfungsszenen seitens chattischer Adliger? Wurde
ein Clientelverhältnis begründet? Das wiederum würde bedeuten, dass
es den Römern gelungen, die romfeindliche Partei bei den Chatten zu
vertreiben oder zumindest stark zu schwächen. Die Quellen
schweigen. In jedem Fall war es Domitian gelungen, die römischen
Positionen in Hessen, die seit Vespasian bestanden, zu behaupten und
zwar auf Dauer. Durchaus ein großer Erfolg!
Bleibt noch eine interessante Frage offen. Was hat es mit den bei
Frontinus genannten „limites“ auf sich, die 120 Meilen lang gewesen
sein sollen und wo lagen diese? Man nimmt heute überwiegend an,
dass es sich nicht um die Urlinie des obergermanischen Limes
handelt, sondern um von den Römern in die Wälder geschlagenen
Schneisen, um den Vormarsch römischer Truppen zu erleichtern.
Neuerdings nimmt man an, dass eine dieser limites in der östlichen
Wetterau lag, an der Linie Heldenbergen - Windecken - Mittelbuchen Hanau-Salisberg. Jedoch ist noch unklar, ob diese Linie tatsächlich in
die Jahre des Chattenkrieges gehört und nicht vielleicht doch ein
wenig später errichtet wurde.
Im Januar 89 kam es in Mogontiacum zu einem Aufstand des dortigen
Statthalters Saturnius. An diesem nahmen auch die Chatten auf Seiten
des aufständischen Statthalters teil. Doch konnte der Aufstand rasch
zugunsten des Kaisers entschieden werden. So mussten sich die
Chatten vom Rhein wieder zurückziehen.
„Einen Bürgerkrieg, welchen der Statthalter von Obergermanien,
Lucius Antonius, angezettelt hatte, beendete Domitian, ohne
persönlich einschreiten zu müssen, mit Hilfe eines wunderbaren
Glücksumstandes;
denn
gerade
in
der
Stunde
des
Entscheidungskampfes taute plötzlich der Rhein auf und verhinderte
die Truppen der Barbaren (Chatten), die zu Antonius stoßen wollten,
am Überschreiten des Stromes. Von diesem Siege erfuhr der Kaiser
früher durch Vorzeichen, als durch Boten. Am Tage der
Entscheidungsschlacht nämlich umfasste ein prächtiger Adler seine
Statue in Rom mit den Flügeln und stieß dabei helle Jubelschreie aus.
Kurz darauf verbreitete sich die Nachricht, Antonius sei erschlagen,
mit solcher Bestimmtheit, dass viele sogar steif und fest behaupteten,
sie hätten seinen nach Rom gebrachten Kopf gesehen (Sueton,
Domitian 6,2).“
„Er (Domitian) verbot, zwei Legionen in ein Lager
zusammenzuziehen; ferner durfte kein Soldat mehr als 1000 Sesterzen
bei der Legionskasse hinterlegen. Denn es stellte sich heraus, dass
Lucius Antonius, der zwei Legionen in einem Winterlager vereinigt
hatte, seinen Aufstandsversuch gerade im Vertrauen auf die hohen
Summen der von seinen Soldaten deponierten Gelder in die Wege
geleitet hatte. Durch eine jährliche Zulage von drei Goldstücken
erhöhte der Kaiser die Löhnung der Soldaten um ein Drittel (Sueton,
Domitian 7,3).“
Im Zuge dieser Ereignisse wurden die beiden germanischen Provinzen
gegründet. Unklar ist bislang nur, wann genau. Zwei Militärdiplome
setzen die Gründung jedoch zwischen dem 20.9.82 und dem 27.10.90.
Möglicherweise hatte Domitian dies schon seit längerem geplant und
nutzte den ersten Chattenkrieg als Anlass zum Umsetzen seines
Vorhabens. In diesem Falle wäre die Gründung frühestens für das Jahr
84 anzusetzen.
Andererseits könnte die Ernennung des L.Iavolenus Priscus zum
neuen Statthalter Obergermaniens 89 für einen Zeitansatz nach den
beiden Chattenkriegen sprechen. Priscus war immerhin einer der
berühmtesten Juristen seiner Zeit. Auch hatte er kurz vorher in
Britannien bewiesen, was er auf diesem Gebiet konnte, nämlich eine
ganze Menge. Für diese Aufgabe war er somit bestens qualifiziert.
Auch sprach Domitian nach seinem Sieg über die Chatten von der
„Germania capta“.
Gleichzeitig bedeutete die Berufung eines Juristen auf diesen
wichtigen Posten eine Abkehr von einer weiteren Eroberungspolitik
gegenüber dem freien Germanien. Auch die Tatsache, dass nur noch
drei statt vier Legionen in Obergermanien stationiert blieben, ist ein
Indiz hierfür. In Argentorate lag die legio VIII Augusta und in
Vindonissa die legio XI Claudia, sowie in Mogontiacum die legio
XXII, beziehungsweise bis 97 vielleicht doch noch die legio XIV. Zu
Priscus Aufgaben gehörte auch, die neue Provinz auch nach außen hin
zu schützen und zu festigen. Das heißt die Schäden des Jahres 89
mussten als allererstes beseitigt werden.
Wie die Chatten auf die neueingerichteten Provinzen reagierten, ist
unbekannt. Da man aber bis zum Jahre 161 nichts mehr von ihnen
hört, ist damit zu rechnen, dass es zu irgendeinen römisch-chattischen
Vertrag gekommen sein muss, in dem die Einflussspähren beider
Mächte bestimmt wurden. Von einem Limes, wie man ihn heute im
Gelände noch größtenteils sehen kann, ist aber unter der Herrschaft
Domitians noch nicht zu sehen.
3) DER WERDEGANG DER CHATTEN VON
TRAJAN BIS ZUM ERSTEN AUFTRETEN DER
ALAMANNEN IM JAHRE 289:
Nach 101 lagen in den beiden germanischen Provinzen nur noch
jeweils zwei Legionen, also vier insgesamt. Noch im Jahre 10, also ein
Jahr nach der römischen Niederlage im Wiehengebirge, dem antiken
Teutoburger Wald, standen immerhin neun Legionen am Rhein, also
mehr als doppelt so viele. Allein dieser Umstand zeigt, wie sehr Rom
die inneren Angelegenheiten Germaniens mit der Zeit in den Griff
bekommen hatte. Rom brauchte wirklich nicht mehr Germanien bis
zur Elbe zu erobern. Nur die Zahl der in Germanien stationierten
Hilfstruppen (Auxilien) blieb konstant.
Wohl um 110 wurde schließlich die erste Linie des obergermanischraetischen Limes eingerichtet. Er erhielt laut Ammianus Marcellinus
den Namen „Munimentum Traiani“. Wie reagierten die Chatten
eigentlich auf diese sichtbare neue Grenzlinie? Da man nichts von
ihnen in dieser Phase hört, wurde sie wohl vertraglich festgelegt.
Im Zuge des Limesbaues ist es zudem sehr wahrscheinlich, dass unter
Trajan die ersten civitates eingerichtet wurden. Schließlich war er es,
der die Truppen aus dem Limeshinterland an die Front verlegte. Erst
mit dieser Maßnahme war es möglich geworden, die Provinz zivil zu
strukturieren. Unklar ist nur, in welchem Jahr dies geschah. Schon 98
oder erst mit dem endgültigen Truppenabzug?
Es waren die civitates Ulpia Mattiacorum mit dem Hauptort Aquae
Mattiacae (Wiesbaden), die civitates Ulpia Taunensium mit dem
Hauport Nida (Frankfurt-Römerstadt), die civitates Auderiensium mit
dem Hauptort Med...(Dieburg) und die civitates Ulpia Sueborum
Necretum mit dem Hauptort Lopodunum (Ladenburg).
Unklar ist, ob unter Trajan noch weitere Civitates eingerichtet werden
sollten. Als heißer Kandidat gilt das Hessische Ried mit seinem
Zentrum Groß-Gerau (Vicus Augustana?). In einem Mithräum fand
sich für spätere Zeit eine Weiheinschrift eines Stifters aus Castellum
Mattiacorum. Wurde das Ried schließlich der Civitas Mattiacorum
oder eher der Civitas Taunensium angeschlossen?
„Sein Nachfolger war Ulpius Crinitus Trajanus, zu Italica
(nordwestlich von Sevilla) in Spanien geboren, aus einer mehr alten
als berühmten Familie; denn sein Vater war der erste in ihr, der das
Consulat bekleidete; zum Kaiser aber wurde er bei Agrippina (Köln)
in Gallien ausgerufen. Seine Staatsverwaltung war eine solche, dass
er mit Recht allen anderen Regenten vorgezogen wird. Er besaß eine
außerordentliche Leutseligkeit und Tapferkeit. Die Grenzen des
Römischen Reiches, das seit Augustus mehr verteidigt als ansehnlich
vergrößert worden war, dehnte er weit und breit aus; er eroberte die
Städte Germaniens jenseits des Rheins wieder, unterwarf Dacien (101
– 103 und 105 – 106) nach Besiegung des Decebalus und gründete
jenseits der Donau eine Provinz (106) in den Landstrichen, welche
jetzt die Thaipalen, Victoalen und Thervinger inne haben. Diese
Provinz hatte einen Umfang von einer Million Schritten (ca.200
Meilen) (Eutrop, Abriss der Römischen Geschichte VIII, 2).“
Jenseits des Rheins kann Trajan zu dieser Zeit keine Städte erobert
haben, weil es nämlich keine gab. Daher vermutet man, Eutrop könnte
gemeint haben, dass Trajan endgültig alte Positionen für Rom jenseits
des Rheins wieder zurückerobert habe und mit dem Aufbau einer
richtigen Provinzialverwaltung begann. Diese Stelle ist der einzige
überlieferte versteckte Hinweis, dass tatsächlich unter Trajan die
Civitates rechts des Rheins eingerichtet wurden. Im Zuge dieser
Verwaltungsorganisation wurden wohl auch die letzten im Hinterland
liegenden Kastelle mit Ausnahme des in der Wetterau strategisch
wichtig gelegenen Friedberg aufgelöst. In Friedberg war bis um 260
die „cohors I Flaviae Damascenorum milliaria equitata
Sagittariorum“ stationiert.
Andererseits brechen die Münzreihen im Hinterland nicht völlig ab
und laufen weiter. Aus diesem Grunde lässt sich der Zeitpunkt der
Auflösung der Kastelle im Hinterland mit Ausnahme von Friedberg
nicht eindeutig bestimmen. Auch lässt sich nicht sagen, ob der
Standortwechsel von der Mitte an die Ränder in einem Jahr oder in
mehreren Jahren erfolgte. Obwohl dieses von Trajan initiierte
Grenzsystem äußerst empfindlich gegenüber feindlichen Übergriffen
war, änderte man an diesem Grenzkonzept nichts mehr. Es ist zudem
zu vermuten, dass berittene Aufklärungseinheiten existierten, die ihr
zugewiesenes
Vorfeld
regelmäßig
kontrollierten.
Auch
römisch/griechische Händler werden ihr Scherflein als Kundschafter
zur Sicherheit des Decumatenlandes beigetragen haben. So war kein
Germanenstamm in der Lage gewesen, einen Großangriff auf die
Provinz unbemerkt zu planen und durchzuführen. Nur kleinere
Räuberbanden konnten daher für die Bewohner des Decumatenlandes
ernsthaft gefährlich werden, da man sie höchstens durch Zufall
rechtzeitig entdecken konnte. Interessant in diesem Zusammenhang
sind auch die zu dieser Zeit von Rom herausgegebenen Münzen.
Besonders unter Trajans Nachfolger Hadrian (117 – 138) ließen deren
Münzbilder keinen Zweifel daran, dass Rom Germanien als einen Teil
des Reiches ansah. Rom hatte mit seiner Interpretation der
Verhältnisse in Germanien noch nicht einmal unrecht. Von
Propaganda kann meines Erachtens in diesem Falle keine Rede sein,
denn es gab in ganz Germanien für Rom zu dieser Zeit keinen
ernstzunehmenden Gegner mehr.
Hadrian legte schließlich die Grenzlinie endgültig fest, indem er um
119 den obergermanischen Limes mit einer Palisade befestigen ließ.
121/122 erschien der Kaiser gar persönlich in Germanien und an der
Grenzlinie, um zu sehen, ob seine Befehle auch tatsächlich wie
gewünscht ausgeführt wurden. Dabei wurden wohl erneut Verträge
mit den Grenznachbarn, allen voran den Chatten, geschlossen.
„Danach reiste er nach Gallien, wo er alle Gemeinden mit
verschiedenen Beweisen seiner Huld unterstützte. Von dort ging er
nach Germanien hinüber und übte, mehr nach Frieden als nach Krieg
trachtend, die Truppen ein, als ob der Krieg bevorstünde. Dabei gab
er den Soldaten ein Vorbild im Ertragen von Strapazen....
....Um diese Zeit – wie auch sonst öfter – ließ er in vielen Gegenden,
in denen die Barbaren nicht durch Flüsse, sondern durch Grenzwälle
von uns geschieden werden, mächtige Baumstämme als einen
mauerartigen Zaun tief in den Erdboden einrammen und miteinander
verbinden und errichtete so eine Markscheide zwischen uns und den
Barbaren. Den Germanen gab er einen König, Unruhen bei den
Mauren unterdrückte er,...(Scriptores historiae Augustae, Hadrian).“
Den Germanen gab er einen König! Was heißt das? Meinte er sich gar
selbst? Man kann nur spekulieren.
Wieviel Holz waren zum Bau der Palisade notwendig? Geht man von
einem durchschnittlichen Pfahldurchmesser von 15cm aus, so
benötigte man für 1km ca.6.660 Pfähle oder je nach verwendeter
Baumart beziehungsweise. –größe rund 2000 bis 3000 Bäume. Für
den obergermanischen Limes benötigte man maximal rund 1.125.000
Bäume, für den raetischen Limes maximal rund 525.000 Bäume, für
den obergermanisch-raetischen Limes insgesamt rund 1.650.000
Bäume!
Ausbesserungsarbeiten der raetischen Limespalisade zwischen
Gunzenhausen und Weißenburg fanden mittel eines Flechtwerkzaunes
statt. Dies war wohl als ein Provisorium gedacht, da anscheinend der
Ausbau mit Mauer schon geplant war oder gab es zu diesem Zeitpunkt
nicht mehr genügend Holz?
„Hadrian durchreiste eine Provinz nach der anderen, wobei er die
einzelnen Länder und Städte aufsuchte und alle Garnisonen und
Festungen besichtigte. Einige von diesen verlegte er an passendere
Plätze, andere hob er ganz auf, und wieder andere richtete er neu ein.
Hierbei nahm er alles und jedes persönlich in Augenschein und
überprüfte nicht nur die allgemeinen Ausstattungen der Lager wie
Waffen, Maschinen, Gräben, Wälle und Palisaden, sondern auch die
persönlichen Dinge eines jeden Einzelnen, sowohl der in der Truppe
dienenden Mannschaften als auch der Offiziere selbst, als da sind
Lebensweise, Quartiere und Sitten. Und in vielen Fällen änderte und
verbesserte er ihre Lebensgewohnheiten und Einrichtungen, die allzu
üppig geworden waren. Er exerzierte die Leute in jeder
Kampfesweise, zeichnete die einen aus, tadelte die anderen und
unterwies alle in den nötigen Aufgaben. Und damit sie aus seinem
persönlichen Vorbild Nutzen zögen, führte er allenthalben eine harte
Lebensweise, legte sämtliche Strecken zu Fuß oder zu Pferd zurück
und bestieg in dieser Zeit weder ein leichtes Gefährt noch einen
vierrädrigen Wagen. Er bedeckte auch weder bei Hitze noch bei Kälte
sein Haupt, sondern ging sowohl in den Schneemassen Germaniens
wie unter der Sonnenglut Ägyptens gleichermaßen barhäuptig einher.
Kurz gesagt, durch sein Beispiel wie durch seine Anweisungen drillte
und erzog er so das gesamte Heer über das gesamte Reich hin, dass
selbst heute noch die von ihm eingeführten Ordnungen den Soldaten
als Norm der Kriegführung dienen. Vor allem deshalb lebte auch
Hadrian die meiste Zeit in Frieden mit den fremden Völkern; denn da
sie seinen Rüstungsstand sahen und selbst keinen Übergriffen
ausgesetzt waren, ja sogar noch Zahlungen empfingen, dachten sie an
keinen Aufstand. Sein Militär war tatsächlich so ausgezeichnet geübt,
dass die sogenannte batavische Reiterei in ihrer Rüstung den Ister
durchschwamm. Indem sich nun die Barbaren dies alles vor Augen
hielten, erzitterten sie vor den Römern und wandten sich lieber
gegeneinander, wobei sie Hadrian zum Schiedsrichter ihrer
wechselseitigen Streitigkeiten nahmen (War dies vom Schreiber der
Scriptores gemeint, als er davon sprach, daß er den Germanen einen
König gab?). Er errichtete, während er durchs Land von Stadt und
Stadt reiste, auch Theater und ließ Spiele abhalten. Dabei verzichtete
er aber auf den kaiserlichen Prunk, dessen er sich niemals außerhalb
Roms bediente. Und doch sah er nie sein Heimatland, wiewohl er ihm
große Ehrungen erwies und viele glänzende Geschenke machte
(Cassius Dio, Römische Geschichte, Buch 69, 9 und 10).“
Nachdem Hadrian die Verhältnisse an der obergermanisch-raetischen
Grenze geklärt hatte, sah man und hörte man auch weiterhin nichts
von kriegerischen Aktivitäten seitens der Chatten. Wahrscheinlich
hatten sie vom Kaiser günstige Handelsverträge und
Zutrittsbedingungen in die beiden Provinzen erhalten, die es ihnen
erleichterte, diese neue Grenze endgültig zu akzeptieren.
Wohl 145/46 wurde der Limes in Stein ausgebaut. Ab 155 begannen
schließlich die Römer den Limes auf einer Linie von Wörth nach
Pförring um rund 30km auf die Linie Miltenberg-Aalen-Eining
vorzuverlegen. Dies geschah wohl unter dem obergermanischen
Statthalter C.Popilius Carus Pedo. Spätestens abgeschlossen war die
Vorverlegung im Jahre 161/62, als Agricola obergermanischer
Statthalter war. Zwischen Pedo und Aufidius Victorinus war Tuscus
Statthalter der Provinz.
Die Vorverlegung war wohl eine Reaktion auf einen starken
Bevölkerungszuwachs im mainfränkischen Raum, also im chattischen
Raum gewesen. Die Reaktion seitens der Chatten ließ nicht lange auf
sich warten. 162 folgten schwere chattische Angriffe auf den
obergermanisch-raetischen Limes.
„Es drohte ein Krieg in Britannien, und die Chatten waren in
Germanien und Raetien eingefallen. Gegen die Britannier wurden nun
Calpurnius Agricola und gegen die Chatten Aufidius Victorinus
geschickt (Historia Augusta; Marcus Aurelius 8).“
Der praktisch nur so nebenbei erwähnte Einfall der Chatten von 162
muss jedoch gefährlicher gewesen sein wie oft vermutet. Dies könnte
ein unscheinbarer Grabstein aus Obernburg am Main (Nemaninga?)
beweisen. In der Inschrift heißt es wie folgt: „Den Totengöttern. Für
die Eheleute Girisoni, Sohn des Cubus, und Bibulia, Tochter des
Verecundus, hat Gibais aus Pflichtgefühl dieses Erinnerungsmal
errichten lassen. Auch im Gedenken an den Spartaner Othryades.“
Interessant ist besonders die letzte Zeile, die auch einen Spartaner
namens Othryades nennt. Wer war dies? Dazu muss man weit
zurückgehen in die Zeit des großen griechischen Geschichtsschreibers
Herodot aus dem 5.Jh.v.Chr.. Unter anderem berichtete er von einem
Kampf zwischen 300 Argeiern und 300 Spartanern, die sich bis auf
zwei Argeiern und den Spartaner Othryades gegenseitig getötet
hatten. Othryades war so unglücklich darüber, dass er als einziger
überlebt hatte, dass er sich schließlich selbst umbrachte. Und so
nannte man noch in der römischen Kaiserzeit eine Schlacht, bei der es
sehr viele Tote gegeben hatte, „Schlacht des Othryades“!
Wohl gleichen Datums ist eine weitere Inschrift, genauer Bauinschrift,
aus Obernburg aus dem Jahre 162. Es heißt: „Dem Imperator Caesar
Marcus Aurelius Antoninus Augustus pontifex maximus, Consul zum
dritten Mal, und dem Imperator Caesar Lucius Aurelius Verus
Augustus, im zweiten Jahr seiner tribunizischen Gewalt, Consul zum
zweiten Mal, von der mit dem Bürgerrecht ausgestatteten cohors IIII
Aquitanorum equitata.“
Beide Inschriften beweisen meiner Meinung nach, dass es 162 im
Mittelmaingebiet sehr schwere Kämpfe zwischen Römern und
mainfränkischen Chatten gegeben haben muss, die für beide Seiten
äußerst verlustreich waren und zu schweren Schäden an den
Mittelmainkastellen führten, die sich archäologisch auch nachweisen
lassen.
Ab 165 begannen die Marcomannenkriege (165 – 175 und 177 – 182),
die zeitweise ganz Germanien in Unruhe versetzten. Im Zuge dieses
auch für die Römer verlustreichen Krieges versuchten 170/71 die
Chatten erneut, die römische-chattische Grenze zu ihren Gunsten zu
revidieren. Doch auch dieses Mal scheiterten sie und zwar gegen den
obergermanischen Statthalter Didius Julianus.
„...Das Aedilat erhielt er dank der Fürsprache des Marcus.
Demselben Gönner verdankte er die Praetur. Nach seiner Praetur
kommandierte er in der Provinz Germanien die 22.Legion, die den
Beinamen Primigenia führt. Dann verwaltete er lange Zeit höchst
gewissenhaft die Provinz Belgica. Dort trat er den Chauken,
germanischen Stämmen, die an der Elbe wohnten und
hereingebrochen waren, mit Hilfstruppen aus der Provinz entgegen,
die er in der Not eilig zusammengerafft hatte. Dadurch erwarb er sich
laut kaiserlichem Zeugnis einen Anspruch auf das Consulat. Auch die
Chatten schlug er völlig....(Scriptores Historiae Augustae, Didius
Julianus, 1).“
Dies ist die letzte sichere Erwähnung der Chatten in der antiken
Überlieferung. Alle weiteren Erwähnungen der Chatten gelten als
unsicher. Wo genau die Chatten in Obergermanien eingefallen waren,
ist nicht ganz klar. Aber die archäologischen Befunde sprechen von
größeren Zerstörungen im Bereich der Wetterau und Nidas, als uns die
Quellen glauben machen wollen.
Nach einem 1962 in Stockstadt gefundenen Münzschatz zu schließen,
war auch das Untermaingebiet von den Unruhen betroffen gewesen.
Der Münzschatz, in einer Papierfabrik gefunden, umfasste 1316
Denare und sechs Goldstücke. Er ist um 170 im Inneren des Kastells
in einem Tonkrug vergraben worden. Sein(e) Besitzer hatte(n) ihn
nicht wieder heben können. Da er innerhalb des Kastells gefunden
wurde, ist damit zu rechnen, dass hier die Ersparnisse von Soldaten
vergraben wurden, die möglicherweise in den Kämpfen umkamen.
171 wurden durch Helvius Pertinax, dem späteren Kaiser (1.1.193 –
28.3.193) Raetien und Noricum wieder von seinen Feinden befreit.
Als Folge der germanischen Besetzung wurde Raetien von einer
procuratorischen in eine praetorische Provinz umgewandelt. Bis 170
war der Chef der Verwaltung ein nahezu allmächtiger ritterlicher
Procurator gewesen, der vom Kaiser bestimmt wurde. Danach
übernahmen senatorische Legaten die Verwaltung, die nun vom Senat
bestimmt wurden. In Raetien fungierten bis ca.290 die Ritter aber als
ihre Stellvertreter, ehe sie wieder Raetien ganz übernahmen.
Der Besetzungswechsel geschah spätestens 179, dem Jahr, in der das
Legionslager von Castra Regina (Regensburg) eingeweiht und mit der
legio III Italica belegt wurde, die sich spätestens seit 174 nördlich der
Alpen bewegte und zur Überraschung in Obergermanien, genauer im
Limeskastell von Osterburken stationiert wurde.
Es ist durchaus möglich, dass beide Provinzen, nämlich Raetien und
Obergermanien zu dieser Zeit eine gemeinsame Verwaltung hatten.
Für diese These spricht ein in Osterburken aufgestellter Weihestein
(CBFIR 152) und die Tatsache, dass eine römische Großoffensive
unmittelbar bevorstand. Da war es durchaus von Vorteil, wenn die
militärische Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Provinzen, die
an der Flanke lagen, reibungslos funktionierte. Kompetenzprobleme
zwischen den Statthaltern und Legionskommandanten konnte Marc
Aurel zu diesem Zeitpunkt daher überhaupt nicht gebrauchen. Ab 179
wurde schließlich Raetien zum ersten Male seit den Alpenfeldzügen
des Tiberius und Drusus Standort einer Legion!
Diesen Hintergrund vor Augen ist es durchaus möglich, dass zur
Reorganisation Raetiens Truppen aus Obergermanien abgezogen
wurden und dies die mainfränkischen Chatten nutzten, um Beute zu
machen und wie erwähnt die obrgermanisch-raetische Grenzlinie zu
revidieren. Gab es irgendwelche Absprachen mit den Marcomannen?
Man war schließlich immerhin Nachbarn!
Nach 171/72 hört man wieder lange nichts mehr von den Chatten. Die
Römer hatten sich mit ihrer Grenzpolitik demnach erfolgreich
durchgesetzt. 185 wurden die germanischen Grenzprovinzen vom
Maternus-Aufstand heimgesucht. Wie die Chatten darauf reagierten,
ist unbekannt. Bekannt ist nur, dass Commodus am raetischen Limes
ein Bauprogramm startete und die obergermanischen Hilfstruppen mit
Waffen beschenkte. Dies hatte aber wohl nur mit den Truppenaufstand
zu tun gehabt.
Interessant ist, dass sich nach Beendigung der Marcomannenkriege
zahlreiche Germanen in den Vici der Limeskastelle ansiedelten, das
heißt, die Römer müssen ihre Grenzen für Einwanderungswillige
geöffnet haben. Hauptgrund waren wohl die schweren Folgen der aus
Persien eingeschleppten Pest, die für rund 20 Jahre im Römischen
Reich wütete und wohl mehr Opfer kostete als die
Marcomannenkriege. Mit dieser Maßnahme linderten sie den
Bevölkerungsdruck vor der germanisch-raetischen Grenze.
Auf diese Weise herrschte wieder Ruhe an den Grenzen auch während
der Bürgerkrieges zwischen Septimius Severus und Clodius Albinus
von Anfang 196 bis zum 19.2.197. Zur Vorbereitung dieses Krieges
folgten durch Septimius Severus um 194 Bauarbeiten am
obergermanischen Limes. Möglicherweise unter ihm wurde das WallGraben-System ohne Palisade errichtet.
Im späterhin hessischen Gebiet war der römische Personenname
„Cassius“ besonders beliebt. Man findet die Namen auch in Nida,
Mainz, Worms, aber auch in Köln. Viele Träger dieses Namens waren
wohl chattischer Herkunft und wurden nach ihrer Abstammung
Happjans (altgermanisch) genannt. Die germanische Lautung wurde
durch das galloromanische Cassius wiedergegeben.
In den Jahren von 206 bis 208 kam es im Mittelmaingebiet zu
umfangreichen Holzfällerarbeit, da Septimus Severus für 208 einen
Britannienfeldzug plante. Er benötigte Holz für seine Flotte. Das Holz
wurde vor allem wohl im chattischen Gebiet geschlagen. Da von
keinen Kämpfen die Rede ist, scheinen die Römer für das Holz bezahlt
zu haben. In dieser Phase wurde auch das Wall-Graben-System des
obergermanischen Limes errichtet!
213 war es aber mit dem Frieden zwischen Römern und Chatten
wieder vorbei gewesen. Kaiser Caracalla, Sohn und Nachfolger von
Septimius Severus, startete persönlich einen kurzen Feldzug von
Raetien aus gegen die mainfränkischen Chatten. Warum er dies tat
und was die Ziele dieses Feldzuges waren, darüber lassen uns die
Quellen uns im Unklaren.
„Wenn Antoninus (Caracalla) auf seinem Feldzug gegen die
Alamannen irgendwo einen zur Anlage von Gebäuden geeigneten
Platz sah, befahl er: „Hier soll ein Kastell gebaut werden! Hier soll
eine Stadt gegründet werden!“ Und er gab den Orten Benennungen
nach seinem Namen, ohne dass die einheimischen Benennungen
geändert wurden; die einen wussten nichts davon, die anderen
meinten, er scherze. Daher verachtete er sie, ließ sie auch nicht in
Frieden. Im Gegenteil, den Menschen, zu denen er seinen Worten
nach als Bundesgenosse gekommen war, tat er das Feindseligste und
Böseste an: Er rief ihre jungen Männer zusammen, angeblich sollten
sie in Sold genommen werden: er ließ alle, auf ein Zeichen hin, wozu
er selbst den Schild hob, umringen und niederhauen; die übrigen ließ
er durch nach allen Seiten ausgeschickte Reiter einfangen. Antoninus
hatte da den Pandion, früher ein Diener der Zügelhalter, der im Krieg
gegen die Alamannen sein Wagenlenker war und dazu sein Freund
und Mitstreiter; diesen lobte er vor dem Senat in einem Brief (gemeint
ist der Siegesbericht des Kaisers an den Senat), da er von ihm aus
einer ungeheuren Gefahr gerettet worden sei.
Antoninus zog gegen die Alamannen, erkaufte aber den Sieg, oder was
so aussah, mit Geld. Er nahm auch Frauen als Kriegsgefangene,
wobei die Frauen zu bewundern waren: als er sie fragte, ob sie
verkauft oder getötet werden wollten, sagten sie „getötet werden“. Als
sie verkauft wurden, töteten die meisten sich selbst.
Alle Frauen der Chatten und Alamannen, die gefangen wurden,
wollten den Sklavenzustand nicht ertragen. Als Antoninus fragte, ob
sie lieber verkauft oder getötet werden wollten, wählten sie den Tod.
Als sie dann verkauft wurden, töteten alle sich selbst, manche auch
ihre Kinder.
Den Antoninus hatten die Zaubersprüche der Feinde verrückt und irre
gemacht. Denn einige Alamannen, die davon hörten, sagten, sie hätten
gewisse Zaubermittel angewendet, um seinem Verstand einen Schock
zu versetzen. Er war krank, körperlich litt er an teils deutlich
erkennbaren, teils unerklärlichen Krankheiten, seelisch an heftigen,
quälenden Wahnvorstellungen.
Aber keiner der Götter, obschon er sich an alle die berühmtesten
wandte, gab ihm eine Antwort, die seinem Leib oder seiner Seele
Besserung brachte. Das zeigte sehr deutlich, dass sie nicht auf seine
Weihegeschenke und Opfer, sondern auf seine Gesinnung und Taten
achteten. Denn weder Apollo Grannus, noch Asklepios, noch Sarapis
halfen ihm, obgleich er oft und ausdauernd zu ihnen inständig betete.
Auch wenn er auf Reisen war, schickte er Gebete, Opfer und
Weihegeschenke an diese Götter, und viele Boten liefen hin und her,
die dem einen und dem anderen derlei überbrachten. Und er kam
auch persönlich zu ihnen in der Hoffnung, durch sein Erscheinen
mehr erreichen zu können und tat alles, was auch die Frömmsten
getan hätten, aber er erlangte nichts, was seine Genesung
vorangetrieben hätte (Cassius Dio Römische Geschichte, LXXVII 13,
4-6; 14,2; 15,2 und 3 bis 5).“
„Die Alamannen, ein Stamm mit zahlreichen Angehörigen, der
ausgezeichnet zu Pferde kämpft, besiegte er völlig in der Nähe des
Flusses Moenus (Main) (Aurelius Victor 21,2).“
„In Raetien tötete er nicht wenige Barbaren und ermahnte und
beschenkte seine Soldaten, als wären es Sullas Krieger.....Als er die
Germanen unterworfen hatte, nannte er sich Germanicus, wobei er,
sei es im Spaß oder im Ernst, einfältig und verrückt wie er war,
bemerkte, wenn er die Lukaner besiegt hätte, müsste er Lucanius
heißen......(Scriptores Historiae Augustae, Ant.Caracalla 5 , 4-5).“
„Nachdem er an den Senat wie nach einem Sieg eine Botschaft
gerichtet hatte, wurde er Parthicus genannt; den Namen Germanicus
hatte er nämlich schon zu Lebzeiten seines Vaters erlangt....
(Scriptores Historiae Augustae, Ant.Caracalla 6, 5).“
„Es ist wohl nicht abwegig, hier auch einen Witz, der auf seine Kosten
(Caracallas) geht, anzuführen. Da er sich die Titel Germanicus,
Parthicus, Arabicus, Alamannicus beilegte - er hatte nämlich die gens
der Alamannen völlig besiegt - ,soll Helvius Pertinax, der Sohn des
erwähnten Pertinax (sein Vater war 193 römischer Kaiser), spöttisch
gesagt haben: „Nenne dich doch, bitte, auch Geticus Maximus!“ – er
hatte nämlich den Geta, seinen Bruder, getötet und Getae werden
auch die Goten genannt, die er auf dem Weg in den Osten in hastigen
Gefechten nebenbei erledigt hatte (Scriptores Historiae Augustae,
Ant.Caracalla 10,5f.).“
„Antoninus gewann auch alle Germanen dort für sich und brachte sie
in ein Freundschaftsverhältnis, so dass er auch Hilfstruppen von
ihnen nahm und seine Leibwachen, wozu er vornehme und
gutaussehende Männer auswählte. Oft legte er auch die römische
Chlamys (den römischen Mantel) ab und zog die germanischen
Überwürfe an; er ließ sich in Gewändern sehen, wie sie bei ihnen
üblich sind, mit Silber aufgeputzt. Und er setzte sich blonde Haare auf
den Kopf, die nach dem Haarschnitt der Germanen hergerichtet
waren. Darüber freuten sich die Barbaren und waren ihm über die
Maßen zugetan (Herodianus IV, 7,3).“
„In diesem Jahr wurden am 16., 14. und 13.Tage vor den Kalenden
des Juni (17., 19. und 20.Mai) für je 100 Denare gespeist. Und die
Teilnehmer riefen aus: Glück und Heil! Glück und Heil! Glück und
Heil, wenn es dir wohl ergeht und du Sieger bist! O wir glücklichen,
die wir dich als Kaiser sehen! Auf Kosten unserer Jahre mehre Jupiter
dir die Jahre! Die Götter mögen dich, größter Bezwinger der
Germanen, bewahren! Die Götter mögen dich, größter Bezwinger der
Britannier, bewahren! Geht es dir wohl, sind auch wir wohlbehalten
und sicher! Unter deinem kaiserlichen Regiment ist der Senat
glücklich! Augustus, die Götter mögen dich in Ewigkeit bewahren! Ein
junger Mann an Triumphen, ein Greis als Kaiser! Du, größer als
Augustus, die Götter mögen dich bewahren!....Am dritten Tage vor
den Iden des August (11.August) kamen, weil unser Herr, der
hochheilige und gnädige Kaiser Marcus Aurelius Antoninus Augustus,
der Pontifex maximus, im Begriff stand, über den limetem Raetia
hinweg in das Land der Barbaren einzudringen, um die Feinde mit
Stumpf und Steil auszurotten, die Arvalbrüder auf dem Capitol vor der
Cella der Juno Regina zusammen, auf dass ihm dieses Unternehmen
gut und glücklich ausgehe, und sie opferten.....Unter denselben
Consuln kamen am Tage vor den Nonen des Oktober (6.Oktober)
wegen des Heils des Kaisers Marcus Aurelius Antoninus, des
gnädigen und glücklichen Augustus, des größten Bezwingers der
Parther, Britannier und Germanen, des Pontifex maximus, Inhabers
der tribunizischen Gewalt zum 16.Male, Imperator zum dritten Male,
Consul zum vierten Male und Proconsul, wegen des kaiserlichen
Sieges über die Germanen und wegen des Heils Julia Augusta, der
gnädigen und glücklichen Mutter unseres Kaisers Antoninus
Augustus, des Senats, der Militärlager und des Vaterlandes, die
Arvalbrüder auf dem Capitol vor der Cella der Juno Regina
zusammen und opferten (Auszug aus den Akten der Arvalbrüder; CIL
VI 2086).“
„Dem Gaius Octavius Appius Suetrius Sabinus, Clarissimus vir,
Pontifex und Augur, Consul ordinarius, Legatus Augusti pro praetore
von Pannonia inferior,....., Legatus Augusti pro praetore der Provinz
Raetia, Vexillationsbefehlshaber während der Germanicae
expeditionis, Begleiter unseres Kaisers, Legaten der Legio vicesima
secunda Primigenia, Juridicus in der Aemilia und der
Liguria,....Curator der Gemeinde von Ocriculum, Praetor de
liberalibus causis, Kandidaten für das Volkstribunat und für die
Quaestur, die Bevölkerung von Aquinum als ihrem ganz vortrefflichen
Patron (CIL X 5398, Ehreninschrift aus dem Jahr 214).“
„Für......, Legatus Augusti pro praetore der Provinz....., Legatus
Augusti pro praetore der Provinz....., Legatus Augusti pro praetore
der Provinz Raetia, Begleiter des Augustus, Führer von Vexillationen
der Legio prima Italica und der Legio undecima Claudia im Feldzug
gegen die Germanen, Legaten der Legio vicesima secunda
Primigenia, Pontifex und Augur, Juridicum in der Aemilia und der
Liguria, Curator der Gemeinde von Ocriculum, Legaten der Provinz
Africa, Praetor de liberalibus causis, Kandidaten für das
Volkstribunat und für die Quaestur, Sevirn von Reiterabteilungen,
Decemvir stlitibus iudicandis.....(CIL VI 1551).“
„Den Totengeistern. Für Septimius Aistomodius, regi Germanorum,
ihren unvergleichlichen Bruder, haben diesen Stein gesetzt Septimius
Philippus und Septimius Heliodorus (CIL III 4453).“ „Für Jupiter
Optimus Maximus, Silvanus, dem Bewahrer, und Diana Augusta, die
Vexillation der Legio XXII Antoniniana Primigenia Pia Fildelis, als
Ausführende in Sachen Holzbeschaffung unter der Aufsicht des Optio
Mamertinus Justus hat diesen Altar geweiht, als die beiden Asper
Consuln waren (CIL XIII 6618; Trennfurt am Main, für das Jahr
212).“
„Zur Ehre des göttlichen Kaiserhauses, für Jupiter Optimus Maximus
Dolichenus, die Vexillation der Legio XXII Primigenia Antoniniana
Pia Fidelis, als Ausführende in Sachen Holzbeschaffung unter dem
Anführer...., unter der Aufsicht des Optio....Celsius, als Mesalla und
Sabinus Consuln waren (CIL XIII 11781; Stockstadt am Main, für das
Jahr 214).“
Könnte der Anlass des Feldzuges vielleicht irgendetwas mit den
inschriftlich bezeugten römischen Holzbeschaffungsmaßnahmen zu
tun gehabt haben. War der Krieg vielleicht ein Krieg um Rohstoffe, in
diesem Fall um das um 200 immer knapper werdende Holz? Viele
Bäder wurden damals reduziert.
In jedem Fall kam, sah, siegte und verschwand der Kaiser wieder so
schnell er gekommen war. Tatsache jeden Fall ist, dass nach diesem
Ereignis an den germanisch-raetischen Grenzen erneut wieder
jahrelang Ruhe herrschte und zwar nachweislich bis 231 als die
Bonner Legion laut einer Inschrift Militäroperationen rechts des
Rheins aus unbekannten Gründen durchführte.
Unter Caracalla erhielten im Jahre 212 im übrigen alle freie
Bewohner des Reiches das römische Bürgerrecht. Zudem erhielten
zahlreiche Städte, wenn auch nicht alle, des sogenannten
Decumatenlandes Stadtmauern. Man traute anscheinend dem Frieden
so recht nicht mehr.
233 kam es nach langer Zeit dann wieder erneut zu schweren
Kämpfen an der Chattenfront, wenngleich die Chatten seit 213 nicht
mehr genannt werden. Die zeitgenössischen Historiker wissen nur von
Germanen als Angreifer. Aber das Hauptkampfgebiet lässt nur den
Schluß zu, dass erneut die Chatten die Angreifer waren.
Auslöser waren der umfangreiche Truppenabzug aus den westlichen
Grenzregionen durch Kaiser Alexander Severus. Er benötigte die
Truppen im Kampf gegen die Perser. Dies nutzten die Chatten
sogleich aus. Wie gefährlich letzten Endes der chattische Angriff war,
ist unklar. Mogontiacum, Argentorate, Castra Regina und Augusta
Vindelicum wurden definitiv nicht erreicht. Auch Nida im Norden
Frankfurt am Main wurde nicht attackiert.
Wahrscheinlich konnten sie den Limes trotz des Truppenabzuges nicht
nennenswert überwinden. Dennoch erzwangen die Westtruppen vom
Kaiser den Abbruch des Perserfeldzuges und kehrten eiligst zurück. In
Mogontiacum sammelten sich schließlich im Frühjahr 235 die
Truppen.
„Plötzlich beunruhigten Nachrichten und Briefe den Alexander und
versetzten ihn in größere Besorgnis; die mit der Verwaltung Illyriens
Betrauten nämlich meldeten ihm, dass Germanen dabei seien, den
Rhein und die Donau zu überschreiten, das römische Reich zu
verwüsten und die Lager, Städte und Dörfer an den Flussufern mit
großer Streitmacht zu berennen; so seien die illyrischen Völker, die an
Italien angrenzen und ihm benachbart sind, in nicht geringer Gefahr.
Also brauche man seine Gegenwart und das gesamte Heer, das mit
ihm sei. Diese Eröffnungen beunruhigten den Alexander und
bekümmerten die aus Illyrien stammenden Soldaten, die offensichtlich
von zweifachem Unglück betroffen waren: von dem, was sie im Kampf
gegen die Perser erlitten hatten, und von dem, was sie erfuhren über
den Untergang ihrer Angehörigen durch die Germanen. Sie waren
erzürnt und gaben dem Alexander schuld, da die Stellung im Osten
aus Sorglosigkeit oder Feigheit preisgegeben habe, bei den
Problemen im Norden sei er bedenklich und zaudere. Schon hatten
Alexander selbst und die Freunde in seiner Umgebung sogar Sorge
um Italien; denn sie glaubten, die Gefährdung von seiten der Perser
sei nicht so schlimm wie die von den Germanen drohende. Die im
Osten Wohnenden, durch lange Land- und weite Meerstrecken
abgetrennt, hören ja kaum etwas vom Land der Italiker; aber die
illyrischen Völker, auf engem Raum und mit ihrem wenigen Land
direkt an die Römer anschließend, machen insofern die Germanen zu
Angrenzern und Nachbarn der Italiker. Alexander gab also
widerwillig und voll Unmut den Befehl zum Aufbruch, nur weil die
dringende Notwendigkeit ihn dazu trieb....Er selbst zog in das Gebiet
der Germanen mit den übrigen Truppen. Nachdem er den Weg mit
großer Eile zurückgelegt hatte, stand er an den Ufern des Rheins und
rüstete zum Germanenkrieg. Mit Hilfe von Schiffen überspannte er
den Fluss; er glaubte, dieser werde, mit aneinander gebundenen
Schiffen überbrückt, den Soldaten einen mühelosen Übergang
gewähren....
Alexander brachte sehr viele Maurusier und eine große Anzahl
Bogenschützen aus dem Osten und aus dem Land der Osroëner mit;
auch einige Leute von den Parthern, Überläufer oder durch Geld
gewonnene, waren als Hilfstruppen mit ihm gekommen; diese stellte
er bereit, um sie gegen die Germanen einzusetzen. Denn ein solches
Heer wird ihnen besonders beschwerlich; da die Maurusier aus
großer Entfernung die Speere werfen und so die Vorstöße und
Rückzüge unwirksam machen, und die Bogenschützen auf die
ungeschützten Köpfe und langen, großen Körper der Germanen sehr
leicht auch von weitem zielen und treffen...sie liefen herzu zum
Nahkampf und hielten stand; oft waren sie den Römern gleichwertig.
Alexander also war mit diesen Angelegenheiten beschäftigt; überdies
beschloss er, eine Gesandtschaft zu den Germanen zu schicken und
über Frieden zu verhandeln. Er versprach ihnen, alles zu gewähren,
was sie brauchten; er habe reichlich die Mittel. Denn dadurch lassen
sich Germanen am ehesten bereden; sie sind geldgierig und stets
verschachern sie den Frieden an die Römer um Gold. Daher wollte
Alexander lieber versuchen, den Vertrag bei ihnen zu erkaufen, als
das Risiko des Krieges einzugehen. Die Soldaten allerdings waren
ärgerlich, dass eine sinnlose Verzögerung entstehe, und dass
Alexander gar keine edle, tapfere Einstellung zum Krieg zeige,
sondern mit Wagenlenken und Schwelgereien sich die Zeit vertreibe,
während man doch ausrücken und die Germanen für ihre dreisten
Taten strafen müsse.....
...Die Soldaten erinnerten einander an ihre Niederlagen im Osten, die
durch das Zaudern Alexanders entstanden waren, und dass er, ins
Land der Germanen gekommen, so gar keine tapfere, kraftvolle
Haltung zeige. Maximinus hatte den Strom überbrückt und war im
Begriff hinüberzuziehen gegen die Germanen. Denn zugleich mit der
Übernahme der Herrschaft begann er sofort mit Kriegshandlungen...
Maximinus hatte also die Schiffsbrücke zusammengefügt und wollte
hinüberziehen gegen die Germanen. Aber von Magnus sagte man, er
habe Soldaten – nicht wenigen, aber den hervorragendsten, und vor
allem denen, welchen die Bewachung der Brücke und die Sorge für sie
anvertraut war – zugeredet, die Brücke auseinanderzunehmen,
nachdem Maximinus hinübergegangen sei, und ihn den Barbaren
preiszugeben, da es dann ja keinen Rückweg für ihn gebe. Durch seine
Breite und Tiefe werde der Riesenstrom, der da fließt (gemeint ist der
Rhein), für ihn überschreitbar, wenn die Brücke unterbrochen sei; auf
dem feindlichen Ufer gebe es auch keine Schiffe.
Nach den oben erwähnten Anordnungen zog Maximinus mit dem
ganzen Heer furchtlos über die Brücke und schickte sich an zum
Kampf gegen die Germanen. Eine große Menge, und zwar fast die
ganze Streitmacht der Römer führte er mit sich, eine riesige Anzahl
von maurusischen Speerwerfern und von osroenischen und
armenischen Bogenschützen, die teils unterworfen, teils befreundet
und verbündet waren; auch einige Parther, die durch Geld gewonnen
und übergelaufen waren oder im Krieg gefangengenommen waren,
dienten den Römern. Diese Heeresmassen waren schon zuvor von
Alexander gesammelt worden; dann von Maximinus noch vermehrt
und zum Kriegsdienst gedrillt worden. Vor allem die Speerwerfer und
Bogenschützen erweisen sich als geeignet zum Kampf gegen die
Germanen, indem sie behende auf sie zulaufen, wenn sie es nicht
erwarten, und leicht wieder zurückweichen. Als Maximinus ins
Feindesland gekommen war, zog er weit hinein, ohne dass jemand ihm
Widerstand leistete; die Barbaren waren zurückgewichen. Er
verheerte das ganze Gebiet, als das Getreide gerade reif war, zündete
die Dörfer an und überließ sie den Truppen zum Plündern. Sehr leicht
nämlich verbreitet sich das Feuer über die Städte, die sie bewohnen,
und überhaupt über alle Behausungen. Denn an Steinen und
gebrannten Ziegeln ist bei ihnen Mangel, aber Wälder voller Bäume
gibt es, daher sie Holz in Hülle und Fülle haben, und dies fügen sie
zusammen, bearbeiten es und schlagen so ihre Hütten auf.
Maximinus also drang weit vor, tat wie oben gesagt und schleppte
Beute weg, gab auch den Soldaten die Herden, die man antraf. Die
Germanen aber waren vom ebenen Land und den baumlosen
Gebieten, die es da etwas gab, zurückgewichen, sie versteckten sich in
den Wäldern und hielten sich rings um die Sümpfe auf, in der Absicht,
dort ihre Kämpfe und Angriffe durchzuführen, da die
zusammenhängenden Gewächse die Geschosse und Speere der Feinde
in sich festhalten und die Tiefe der Sümpfe für die Römer, wegen
deren Unkenntnis der Gegend, gefährlich sein werde; ihnen selbst
aber, die sie aus Erfahrung ihr Land kennen und welche dem Fuß
Halt geben, werde es, auch wenn sie bis zum Knie nass würden, leicht
sein durchzukommen. Sie sind auch geübt zu schwimmen, da sie als
einziges Bad die Flüsse haben.
In jenen Gegenden nun vor allem geschahen die Zusammenstöße.
Dort begann der Kaiser selbst aufs tapferste den Kampf. Da war ein
riesiger Sumpf, in den die Germanen auf der Flucht zurückwichen,
den zur Verfolgung zu betreten die Römer zögerten; Maximinus drang
als erster auf seinem Pferde in den Sumpf ein, wenngleich das Pferd
bis über den Bauch nass wurde, er tötete die Barbaren, die
Widerstand leisteten, so dass das übrige Soldatenvolk sich schämte,
den für sie kämpfenden Kaiser im Stich zu lassen, Mut fasste und in
die Sümpfe eindrang: auf beiden Seiten fielen eine Menge, von den
Römern..., von den Barbaren fast die ganze vorhandene Streitmacht
(Schlacht am Harzhorn?); Maximinus zeichnete sich aus durch
Tapferkeit, so dass die Tümpel voller Leichen waren, das mit Blut
gemischte Sumpfwasser den zu Fuß kämpfenden Truppen den Anblick
einer Seeschlacht bot. Diese Schlacht und seine Tapferkeit verkündete
Maximinus nicht nur durch Briefe dem Senat und dem Volk, sondern
er ließ dies auch auf gewaltigen Gemälden darstellen, die er vor dem
Senatsgebäude anbringen ließ; damit die Römer von den großen
Ereignissen nicht hören, sondern sie auch sehen konnten. Maximinus
hatte viele Gefangene bei den Germanen in seine Hand bekommen
und Beute weggeschleppt; nun brach schon der Winter ein und er zog
zurück nach Pannonien....
Es folgte ihm (dem Kaiser Maximinus Thrax) auch eine nicht zu
verachtende Zahl Germanen, die er durch Waffengewalt in seine
Hand gebracht oder durch Überredung zu Freundschaft und
Waffengemeinschaft an sich gezogen hatte....(Herodian, Geschichte
des Kaisertums nach Marcus (Aurelius); VI 7,2 – 8,3; VII 1,5 –
8,10).“
„Er (Alexander) eilte schnellstens nach Gallien, das durch die
Plünderungen der Germanen heimgesucht wurde...
....Sie (Maximinus und sein Sohn Julius Verus) hatten zwei Jahre die
Macht in der Hand und kämpften nicht ohne Erfolg gegen die
Germanen...(Aurelius Victor, Caesares 24,2 und 26,1).“
„Es war äußerst belastend für den Staat und für ihn (Alexander)
selbst, dass durch die Raubzüge der Germanen Gallien verwüstet
wurde. Und es vergrößerte diese Beschämung die Tatsache, dass nach
dem Sieg über die Parther noch immer dieses Volk dem Staat
sozusagen im Nacken saß, das doch immer schon durch
unbedeutendere
Kaiser
unterworfen
schien.....der
ganze
Militärapparat, der später von Maximinus nach Germanien geführt
wurde, gehörte dem Alexander, und er war sehr stark durch die
Armenier, Osroener, Parther und Menschen der verschiedensten
Abstammung....Als Maximinus auf einer Schiffsbrücke in das Gebiet
der Germanen hinübergehen wollte, hatte man beschlossen, dass seine
Gegner mit hinübergehen sollten, die Brücke dann aufgelöst werde, er
auf Barbarengebiet umstellt und niedergehauen werde und Magnus
(Mitglied des Senats und Mitglied einer Verschwörung gegen
Maximinus Thrax) die Herrschaft an sich reiße.
Dann zog Maximinus nach Germanien mit dem ganzen Heer, den
Mauren, Osroenen, Parthern und allen Leuten, die Alexander mit sich
in den Krieg führte. Deshalb vor allem nahm er orientalische
Hilfstruppen mit sich, weil keine andere Waffenart besser ist im
Kampf gegen die Germanen als bewegliche Bogenschützen... Er
marschierte also in das Germanien jenseits des Rheins, und 30 oder
40 Meilen weit im Land der Barbaren verbrannte der Dörfer, trieb die
Herden weg, schleppte Beute davon, schlug die meisten Barbaren
nieder, führte seine Soldaten mit reichem Gewinn zurück, machte
zahllose Gefangene. Wenn die Germanen nicht aus den freien Feldern
in Sümpfe und Wälder geflüchtet wären, hätte er ganz Germanien in
die Gewalt der Römer gebracht. Er selbst tat noch dazu vieles mit
eigener Hand: er drang sogar ins Sumpfgebiet ein und wäre von den
Germanen umstellt worden, wenn ihn, der mit seinem Pferd
steckenblieb, seine Leute nicht befreit hätten. Er hatte eben diese
barbarische Tollkühnheit, dass er meinte, ein Feldherr müsse immer
auch die eigenen Hände gebrauchen. Schließlich lieferte er eine Art
Seegefecht im Sumpf und erledigte die meisten Germanen bei dieser
Gelegenheit. Als Germanien so besiegt war, schickte er einen Brief
nach Rom an Senat und Volk, der nach seinem Diktat geschrieben
war, dessen Inhalt etwa folgender war: „Wir können, Senatoren, gar
nicht alles sagen, was wir getan haben. 40 oder 50 Meilen weit haben
wir die Dörfer der Germanen verbrannt, die Herden weggeholt,
Gefangene abgeführt, Bewaffnete niedergemacht, im Sumpf gekämpft.
Wir wären ins Waldgebiet eingedrungen, wenn uns die tiefen Sümpfe
nicht den Durchgang verwehrt hätte.“... Er ließ Bilder malen mit der
Darstellung des Krieges und vor der Kurie anbringen, damit das
Gemälde seine Taten erzähle. Nach seinem Tod ließ der Senat diese
Bilder entfernen und verbrennen (Scriptores Historia Augustae
Alex.Severus 59,2 und 61,8 / Maximinus 10,2 und 11,7 – 12,27).“
Nach dem Tod Alexander Severus gingen die Kaiser so schnell wie sie
an die Macht gekommen waren. Besonders schlimm war es 238, als es
sage und schreibe fünf bis sechs Kaiser auf einmal gab, ehe sich noch
im selben Jahr Gordianus III. als alleiniger Kaiser für ein paar Jahre
durchzusetzen vermochte. Ob da auch die Chatten bei all den Kaisern
noch den Überblick behalten hatten? Nahmen zudem einige dieser
Kaiser und solche, die sich dafür hielten in jenen Jahren Kontakt mit
ihnen auf, in der Hoffnung, von ihnen unterstützt zu werden?
Möglich, aber derzeit nicht belegt.
242/43 erfolgte ein neuerlicher Germanenangriff und zwar in den
Raum um Castra Regina, da Gordianus III. zahlreiche Truppen gegen
die Perser benötigte. Das Legionslager wie auch das Umland erlitten
schwere Schäden. Mit Gordian III. schließen auch die Münzschätze
von den raetischen Grenzkastellen von Gunzenhausen und Pförring.
Augusta Vindelicum wurde aber erneut nicht betroffen. Wie es in
Obergermanien zur selben Zeit zuging, ist unklar. Kämpfe dort sind
auch archäologisch nicht belegt.
Da der Regensburger Raum betroffen war, ist unklar, wer die
Angreifer waren. Denn es kommen mehrere Kandidaten in Frage.
Allen voran natürlich die Chatten, aber vielleicht auch schon
Jouthungen und Semnonen, die für Sommer 260 tatsächlich
nachweislich in diesem Raum aktiv wurden, eventuell auch
Hermunduren. Wie Jouthungen und Semnonen überhaupt nach
Mainfranken gelangen konnten, ist völlig unklar, auch woher die für
das Jahr 260 erstmals genannten Jouthungen kamen? Hatten die
Römer dabei ihre Hände im Spiel gehabt, wenn ja aber wie?
253 zog Valerian zahlreiche Truppenverbände vom Limes ab und
sammelte sein Heer in Raetien, da er im Auftrag Kaiser Gallus einen
Feldzug gegen dessen Konkurrenten Aemilianus führen sollte. In
Raetien wurde er jedoch von seinem Heer zum neuen Kaiser
ausgerufen. Da kurz darauf seine beiden Rivalen ermordet wurden,
kam es zu keinem Bürgerkrieg.
Im Frühjahr 254 zog er mit seinen Truppen gegen die Perser zu Felde.
Zurück ließ er seinen Sohn und späteren Nachfolger Gallienus, der
sich sogleich gegen germanische Angriffe erwehren musste. Die
Germanenüberfälle erfolgten in das Oberrheingebiet und in das
nordwestliche Raetien. Der raetische Limes wurde schwer getroffen.
Wie es am obergermanischen Limes aussah, ist unklar. In jedem Fall
wurde 253 in Mogontiacum eine Stadtmauer errichtet. 255 siegte
Gallienus gegen Germanen am Rhein. 257/260 folgten Kämpfe am
Niederrhein. Die hier durchgebrochenen Germanen drangen bis
Hispanien vor, vielleicht gar bis Africa. 257/60 ließ Gallienus sich als
„Germanicus Maximus V“ feiern. Gegen wen Gallienus in Germanien
genau gekämpft hatte, wird in den vorhandenen Quellen nicht gesagt.
Dies ändert sich am 24/25.April 260. Dank einer Siegesinschrift hören
wir von einer schweren Schlacht zwischen Römern und Germanen,
die für die Römer siegreich verlief. Überraschend ist die Nennung der
Gegner. Anstelle der zu erwarteten Chatten hören wie von Jouthungen
und Semnonen als Gegner! Wie gelang es den Semnonen von der Elbe
an die raetische Grenze vorzustoßen? Und wie erwähnt, wer waren
eigentlich die erstmals genannten Jouthungen? Und was ist mit den in
Mainfranken siedelnden Chatten geschehen, die letztmals 213 genannt
wurden? Viele Fragen, aber keine Antworten. Indirekt werden die
Semnonen letztmals für das Jahr 278 genannt, die Jouthungen für 430.
260 begann zudem erneut ein Bürgerkrieg zwischen Gallienus und
Postumus, der sich in Köln zum Gegenkaiser erhoben hatte. Vor allem
Raetien und Obergermanien waren von den folgenden jahrelangen
Kämpfen betroffen gewesen. Auf diese Weise konnten sich die
Limestruppen nicht mehr erholen und das Decumatenland auch nicht.
Diese Region ging wirtschaftlich regelrecht pleite und die Menschen
wanderten aus, wenn sie vorher nicht im Bürgerkrieg umkamen.
„Der geheiligten Göttin Victoria wegen der Barbaren des Stammes
der Semnonen „sives“ Jouthungen am Tag, dem 8. und 7., vor den
Kalenden des Mai (24./25.April), niedergemacht und in die Flucht
geschlagen von den „militibus provinciae Raetia“, aber auch von den
„Germanicianis“, sowie von „popularibus“, wobei herausgerissen
wurden viele Tausende gefangener „Italorum“. Mächtig seiner
Gelübde hat Marcus Simplicinius Genialis, Ritter, handelnd anstelle
des Statthalters, mit demselben Heer freudig, nach Gebühr (den Altar)
aufgestellt. Geweiht am dritten Tag vor den Iden des September
(11.September), als der Herrscher unser Herr Postumus Augustus und
Honoratianus Consuln waren.“
275/76 gelang es germanischen Verbänden, den Limes rechts des
Rheins zu durchbrechen. Also auch nach dem Ende des sogenannten
Postumusreiches im Westen 274 muss der obergermanisch-raetische
Limes noch in Funktion gewesen sein. Aber auch für dieses Ereignis
erfahren wir nicht den/die Namen des Gegners. Schwer getroffen
wurden nachweislich Xanten, Speyer und Kaiseraugst.
„Ein Kaiser (Tacitus) muss gewählt werden....da auch eine Notlage
dazu zwingt. Denn die Germanen sollen den Limes jenseits des Rheins
durchbrochen und starke, angesehene, reiche mächtige Städte besetzt
haben (Script.Hist.Aug. Tac.3,3f.).“
281 hatte sich die militärische Lage so weit wieder beruhigt, dass der
Kaiser, der nun Probus hieß, endlich ordnend in die Verhältnisse. Er
war seit 235 der erste Kaiser, der mit seinem Heer persönlich das
sogenannte Decumatenland aufsuchte. Im Zuge dieses Feldzuges kam
es zu einem Vertrag mit neun germanischen Königen oder Stammes-,
Sippenführer. Es dürfte sich um einen Ansiedlungsvertrag gehandelt
haben. Dank der ständigen Bürgerkriege war der obergermanischraetische Limes und dessen Hinterland ausgeblutet und bedurfte
dringend neuer Bewohner. Daher dürfte Rom die Limesgrenzen für
von ihnen akzeptierten Neusiedler zeitweise geöffnet haben.
Als Gegenleistung durften von nun an die Neusiedler den
obergermanisch-raetischen
Limes
bewachen,
während
die
Reichstruppen auf die Rhein-Donau-Iller-Linie zurückgezogen
wurden. Limes und sogenanntes Decumatenland blieben aber auch
weiterhin römisches Staatsgebiet!
„Dann eilte er (Probus) mit einem riesigen Heer in die gallischen
Provinzen, die seit der Ermordung des Postumus ganz in Unruhe
geraten und nach dem Tod des Aurelians von Germanen in Besitz
genommen worden waren. Er führte dort so gewaltige Schlachten und
mit solchem Kriegsglück, dass er 60 sehr angesehene Städte auf
gallischem Gebiet von den Barbaren zurückgewann, dazu die ganze
Beute, durch die die Barbaren außer zu Reichtum, auch zu
besonderem Ruhm gekommen waren. Und als sie sich noch auf
unserem Rheinufer und überhaupt in ganz Gallien unbehelligt
umhertrieben, da machte Probus an die 400.000 nieder, die römischen
Boden besetzt hatten; die übrigen trieb er zurück bis über den Fluss
Nicer (Neckar) und die Alba (Schwäbische Alb). Soviel Beute brachte
er von den Barbaren, wie sie den Römern weggenommen hatten. Den
römischen Städten gegenüber errichtete er feste Plätze auf
barbarischem Gebiet (!) und legte Besatzungen hinein. Äcker und
Scheunen und Wohnungen und Getreidevorräte verschaffte er allen
Leuten jenseits des Rheins, das heißt denen, die er auf den Vorposten
gestellt hatte. Die Kämpfe hörten nicht auf, da ihm täglich
Barbarenköpfe gebracht wurden, das Stück zum Preis eines
Goldstücks, solange bis neun reguli (Könige?) von verschiedenen
gentes (Stämmen?) kamen und sich dem Probus zu Füßen warfen.
Zunächst verlangte er Geiseln von ihnen, die sofort gestellt wurden,
dann Getreide, schließlich auch Kühe und Schafe. Es heißt, er habe es
streng befohlen, so dass sie keinen Gebrauch von ihren Schwertern
machten, da sie den Schutz der Römer erwarten dürften, wenn sie vor
irgend jemand gesichert werden müssten (!). Aber offensichtlich
konnte das nur geschehen, wenn der römische Grenzwall
vorgeschoben und ganz Germanien zur Provinz gemacht würde (!).
Vor allem also ging man, mit Zustimmung der reges, gegen die vor,
die die Beute nicht gewissenhaft zurückgaben. Außerdem bekam
Probus 16.000 Rekruten, die er alle auf verschiedene Provinzen
verteilte, in der Weise, dass er nun den numeri oder Abteilungen der
limitanei je 500 oder 600 einreihte, wobei er sagte, man müsse es
spüren, nicht sehen, wenn der Römer durch barbarische Hilfstruppen
unterstützt würde. Nachdem er die Dinge in Gallien geordnet hatte,
schrieb Probus folgenden Brief an den Senat: „...Ganz Germanien
soweit es sich erstreckt, ist unterworfen; neun reges von
verschiedenen gentes haben sich flehend mir, vielmehr Euch, zu
Füßen geworfen. Alle Barbaren pflügen nun für Euch, dienen Euch
und stehen in Kriegsdienst gegen die Stämme weiter im Innern des
Landes....Auch 400.000 Feinde sind getötet, 16.000 Bewaffnete uns
angeboten, 70 sehr angesehene Städte aus der Hand der Feinde
gerettet, überhaupt ist ganz Gallien befreit....Die ganze Beute ist
zurückerobert, dazu weitere genommen, in größerer Menge, als zuvor
uns gerissen war. Die gallischen Äcker werden mit den Zugtieren der
Barbaren gepflügt, erbeutete Gespanne der Germanen bieten unseren
Pflügern die Nacken; für unsere Versorgung weidet das Vieh
verschiedener gentes, selbst ihre Pferde werden aufgezogen für unsere
Reiterei, mit Barbarengetreide sind unsere Vorratsspeicher gefüllt.
Was soll ich noch sagen? Nur den Erdboden haben wir ihnen
gelassen, alles was sonst ihnen gehört, besitzen wir. Wir hatten die
Absicht, Senatoren, einen neuen praeses (Statthalter?) für Germanien
(!) aufzustellen, doch haben wir es aufgeschoben bis zur noch
vollständigeren Erfüllung unserer Wünsche...(Script.Hist.Aug. Prob.
13,5 – 15,7).“
„...ließ er Raetien so befriedet zurück, dass dort keine Spur eines
Verdachtes
irgendeines
künftigen
Schrecken
zurückblieb
(Script.Hist.Aug. Prob. 16,1).“
Erneut lassen uns die Quellen im Stich, wer eigentlich als Neusiedler
angeworben wurden. Tatsache ist, dass kurz danach zeitgenössisch für
das Jahr 289 ein neuer bislang unbekannter germanischer Stamm
genannt wird: die Alamannen. Schon 297 wird das sogenannte
Decumatenland als „pars Alamannorum“ bezeichnet. 291 werden im
übrigen erstmals zeitgenössisch die Franken genannt. Von den
Chamaven könnte der Name „Franci“ seinen Ausgang genommen
haben. In der Peutingischen Tafel tragen die Chamaven den Vermerk
„Quielpranci“, was gewöhnlich als „qui et Franci“ gelesen wird, also
„die auch Franken heißen“.
4) DER WERDEGANG DER CHATTEN AB DER
SPÄTANTIKE:
Mit dem Auftauchen der Alamannen verschwinden nun die Chatten
und Semnonen. Aus den Hermunduren wurden die um 400 erstmals
genannten Thüringer. Wer aber waren diese Alamannen und was
wurde aus den Chatten? Waren sie ein Teilstamm der Alamannen oder
Franken? Oder blieben sie irgendwie weiterhin selbständig?
„Die Alamannen sind, wenn man dem Asinius Quadratus folgen darf,
einem Italiker, der Verhältnisse und Geschichte der Germanen genau
beschrieben hat, ein zusammengewürfeltes Mischvolk, und das drückt
auch ihre Benennung aus (Agathias, Historiae, 6,3).“
„Weil also Sueven mit Alamannen gemischt den Teil Germaniens
jenseits der Donau, den Teil Raetiens zwischen Alpen und Donau und
den Teil Galliens bis an den Araris (Aare in der Schweiz) besiedelt
haben, wobei die richtigen alten Namen erhalten blieben, wollen wir
von den Bewohnern den Namen ihrer Heimat ableiten und sie
Alamannien oder Suevien nennen. Es gibt also zwei Namen, die ein
Volk bezeichnen; mit dem ersten benennen uns die umliegenden
Völker, die Latein sprechen, mit dem zweiten pflegen uns die
Barbaren zu bezeichnen. Wir wissen, dass ähnlich die Franken Teilen
Germaniens oder Galliens nicht nur ihre Herrschaft, sondern auch
ihren Namen auferlegt haben (Walahfrid; Leben des Heiligen Gallus,
Aus der Vorrede).“
Dank diesen beiden Quellen erfahren wir interessante Einzelheiten
über die Herkunft der Alamannen. Erstens war es kein
neugegründeter, geschlossener Stamm gewesen, zweitens war ihr
Name keine Eigenbezeichnung, sondern stammte von den Lateinern,
also Römern und ihr zweiter Name Suaven gaben ihnen ihre
germanische Nachbarn! Und wie nannten sie sich selbst? Einen
Hinweis gibt uns Ammianus Marcellinus um 360. Er nannte vier
Teilstämme der Alamannen in seinen Werken: Brisigavi,
Bucinobantes, Lentienses und Raetovarii. Jeder dieser Teilstämme
hatte zudem seinen eigenen König. Einen Großkönig kannten die
Alamannen nicht.
Die vier überlieferten Teilstammnamen richteten sich nach ihrer neuen
Heimat. Die Brisigavi lebten im Breisgau, die Bucinobantes im
Untermain-Wetterauraum, die Lentienses nördlich vom Bodensee im
Linzgau und die Raetovarii im Nördlinger Ries. Die Einwanderer
hatten also nicht die Namen aus ihrer alten Heimat mitgenommen.
Von großem Interesse bezüglich des weiteren Werdeganges der
Chatten im 4.Jh. sind die Bucinobanten. Die Bucinobanten waren im
ehemaligen chattisch-mattiakischen Gebiet zu Hause. Waren sie ein
Teilstamm der Chatten? In diesem Namen steckt nämlich der Name
der Bacensis/Buconia, ein in Antike und Mittelalter oft genannter
Wald zwischen Rhein und Elbe. In der Antike nannte man ihn „silva
Bacenis“, im Mittelalter „Buconia silva“, im althochdeutschen
„Buochunna“. Südlich von Mainz lag ein Ort namens Buconica.
Daneben existieren noch die Begriffe „bucina“ und „bucinatores“.
Ersteres war ein Militärblasinstrument aus Bronze und letztere waren
römische Militärmusiker mit dem genannten Instrument.
Wo lag aber nun die „Buconia silva“? Die Belege konzentrieren sich
um das Gebiet um Fulda zu Zeiten Bonifatius im 8.Jh.. Bei Gregor
von Tours im 6.Jh. und Fredegar im 7.Jh. liegt der Wald in rheinnähe.
Zumindest ein großer Teil muss m heutigen Hessen gelegen haben.
Bei Caesar trennte die Bacenis 55 v.Chr. Cherusker und Sueben.
Der Name könnte etwas mit Buchen zu tun haben oder wurde aber
abgeleitet vom keltischen Waldgott Baco! Nach Angaben der antiken
und frühmittelalterlichen Quellen überschneiden sich Hercynia silva
und silva Bacenis/Buconia offenbar im Gebiet der Chatten.
Die Bucinobanten waren wohl die spätantiken Nachfolger der
Chatten, die sich nun ethnisch den Alamannen angeschlossen und
dabei ihre eigene Tradition verloren oder in die alamannische
Stammestradition eingebracht haben. Macrian sollte im 4.Jh. der
berühmteste Vertreter der Bucinobanten werden. Er trug auffallend
einen römischen Namen, sein Bruder Hariobaudes dagegen einen
germanischen. Macrian fiel nach 374 im Kampf gegen die Franken!
Die Bucinobanten waren antifränkisch!
Im alamannischen Raum konzentrieren sich die Abbildungen von
Wolfskriegern! Auch färbten sich zumindest Teile der Alamannen ihre
Haare. Ammianus Marcellinus berichtet: „Chnodomar, der unheilvolle
Anstifter
dieses
Krieges,
trug
einen
flammendroten
Helmbusch....(16.Buch; 12.Kapitel, 24).“ Diese Geschichte spielte am
Tag der Schlacht bei Argentorate (Straßburg) im Jahre 357. War
Chnodomar, der alle Alamannen damals um sich scharen konnte etwa
ein Bucinobante? Er verlor im übrigen die Schlacht gegen die Truppen
Julians, wurde gefangengenommen und verbannt.
Die nächste Geschichte spielte sich 365 ab unter Kaiser Valentinian I.:
„Allmählich rückte der außerordentlich fähige Feldherr (Jovinus)
weiter vor und erfuhr aus zuverlässiger Quelle, dass eine Schar von
Plünderern einige Landhäuser in der Umgebung ausgeraubt hatte und
sich nun am Fluss ausruhte. Schon näherte er sich ihnen, hielt sich
aber in einem Tal verborgen, das durch dichte Baumpflanzungen
beschattet war. Da sah er einige baden, andere sich
gewohnheitsmäßig die Haare rot färben, und wieder einige, die ihren
Durst stillten (27.Buch, 2,2).“ Handelte es sich um Bucinobanten? Bei
den Alamannen dürfte vor allem sie es gewesen sein, die sich ihre
Haare rot färbten.
Wenn die Bucinobanten tatsächlich die unmittelbaren Nachfahren der
Chatten waren, dann hatten sie letztendlich doch noch ihr Ziel
erreicht, die Wetterau und Untermaingebiet unter ihre Kontrolle zu
bekommen. Dennoch hatte der Kaiser auch hier immer noch das letzte
Wort und noch immer lebten vor allem in den rechtsrheinischen
Städten wie Nida, Dieburg und Kastellen wie Bad Ems und Friedberg
starke romanische Bevölkerungsteile. Das führende Brüderpaar
Macrian und Hariobaudes könnte zudem ein Indiz dafür sein, dass es
im 4.Jh. zu einer Verschmelzung romanischer und chattischer
Bevölkerungsteile gekommen war. Die antike Überlieferung des
Chattennamens endet im 5.Jh. mit der Nennung im AvitusPanegyrikon des Sidonius Apollinares.
„...Sobald er (Avitus) die Last der ihm aufgedrängten Stellung
übernommen hatte, schickst Du, Alamanne, Gesandte, die um Gnade
bitten sollen für das vorherige Wüten, hört der Ansturm des Sachsen
auf, hält die Elbe den Chatten fest mit ihrem sumpfigen
Flußlauf....(Sidonius Apollinaris; Lobrede auf den Kaiser Avitus vom
1.1.456).“
Als Galloromane könnte er durchaus diesen Stamm gekannt haben,
ohne auf irgendwelchen alten Karten diesen Namen für seine Lobrede
einfach zu übernehmen. Auffallend ist aber in jedem Fall, dass er die
Chatten weder den Franken noch den Alamannen zuordnet. Was dies
zu sagen hat, darüber kann man nur spekulieren, solange man nicht
weiß, wie er von diesem Namen erfahren hat.
Interessant in diesem Zusammenhang wäre auch noch eine andere
Quelle und zwar die des Kosmosgraphen Julius Honorius. Er fertigte
zum Unterrichtsgebrauch eine nur schwer lesbare Weltkarte im
4./5.Jh. an, die gegen seinen Willen später von seinen Schülern
veröffentlicht wurde und die heute in drei Rezensionen vorliegt.
In allen dreien wird der Name der Chatten erwähnt. Die Rezensionen
zwei und drei sind hierbei zu vernachlässigen, da sie im
Namensbestand so sehr erweitert wurden, dass man hier sogar die
Stammesnamen der Cimbern und Teutonen findet.
In der ersten Fassung, die in einer Handschrift des 6.Jh. erhalten ist,
kommen zwar neben den Chatten auch die wohl nicht mehr
existierenden Cherusker, Chauken und Usipeter vor, aber interessant
ist hierbei wie der Name der Chatten geschrieben wurde, nämlich
cazzi. Liegt hier ein Abschreibfehler oder eine Lautverschiebung von t
nach zz vor? 738 werden erstmals der Stamm Hessi erwähnt, die in
Nordhessen lebten. Chatti – Cazzi –Hessi? Darf man soweit gehen?
Während die Chatten verschwinden, bleiben die Chattuarier. Sie gibt
es auch noch zu Zeiten der Hessi. Die Chattuarier lebten im
niederdeutschen Gebiet und unterlagen somit keiner Alamannisierung.
Sie schlossen sich den Franken an. Es existierten auch die Chasuarii,
die Tacitus für um 98 erstmals erwähnte.
Sie lebten südöstlich der Angrivarier und Chamaven und nahe zu den
Chattuariern. Die Chasuarii wurden nur drei Mal erwähnt, letztmals
um 260. Ob Chattuarier und Chasuarier mit den Chatten verwandt
waren, ist unklar. Am 9.5.480 verstarb der letzte weströmische Kaiser
Julius Nepos und seitdem war der Westen des Römischen Reiches
ohne Kaiser, beziehungsweise der Ostkaiser übernahm juristisch auch
den Westen. So gesehen war das Reich wieder unter einer Kaiserkrone
vereint. Dennoch etablierten sich neue Mächte im Westen, wenngleich
mit formaler Zustimmung von Byzanz. Vor allem die Franken
Chlodwigs sollten die großen Sieger im Machtkampf in Gallien und
Germanien werden. Zwischen 496 und 506 folgten mindestens drei
Feldzüge Chlodwigs gegen die Alamannen, die die Franken alle für
sich entschieden. Dies hatte für die Alamannen schwere Folgen. Ein
Großteil der Alamannen flüchtete sich ins Ostgotenreich unter
Theoderich dem Großen und der Rest musste von nun an unter
fränkischer Oberherrschaft leben.
Was geschah mit den Bucinobanten? Im Rhein-Main-Gebiet hatten sie
in jeden Fall nichts mehr zu sagen gehabt. Es tauchen nun vermehrt
Gräber fränkischer Großer auf. Orientierten sich die Bucinobanten bis
496/506 an die Alamannen, mussten sie sich von nun an
umorientieren. 534 schrieb König Theudebert einen Brief an Kaiser
Justinian, in diesem er behauptete, die Nordsavorum in sein Reich
eingegliedert zu haben. Es ist auch das Jahr, in dem das
Thüringerreich endgültig von den Franken besiegt wurde. Mit den
Nordsavorum können eigentlich nur die Bewohner Nordhessens
gemeint sein. Gleichzeitig ist dies ein Hinweis, dass die
Chatten/Bucinobanten tatsächlich zu den Alamannen zählten und sich
die nördlichen Alamannen nach der Niederlagenserie gegen die
Franken möglicherweise den Thüringern angeschlossen hatten.
Gregor von Tours, der fränkische Geschichtsschreiber des 6.Jh.,
kannte die Chatten nur aus einem bericht des Sulpicius Alexander aus
dem Jahre 392. Andererseits, da das von den Römern 392
heimgesuchte Gebiet zwischen Ruhr und Ijssel lag, ist eher damit zu
rechnen, dass es die Chattuarier und nicht die Chatten waren. In
jedem Fall kannte Gregor die Chatten nicht, dafür aber Alamannen,
Baiern, Sachsen und Thüringer.
Auch Fredegar kannte keine Chatten oder Hessen, als er ausführlich
über die Kämpfe zwischen König Sigibert und dux Radulf von
Thüringen berichtete. Die Feldzüge des Königs berührten auch
Nordhessen. Fredegar berichtet: „Sigibert überschritt mit dem Heer
den Rhein, dann versammelten sich bei ihm die gentes undique de
universis regni sui pagus ultra Renum cum ipsum adunati sunt
(Völkerschaften von überall her, aus allen Gauen, die jenseits des
Rheins zu seinem Reich gehörten.)....(Fredegar; Buch IV, Kapitel
86).“
Fredegars Beschreibung lässt keine Zweifel zu. In Nord- und
Mittelhessen existierte im 7.Jh. definitiv kein Großstamm mehr,
sondern nur noch Kleinstämme! Sie waren dem König direkt
unterstellt. Ein Herzogtum wie in Thüringen ab 631 und Mainfranken
ab um 660 wurde hier nie eingerichtet.
Für 699 ist erstmals der Hessenname als Ortsname, aber nicht als
Stammesname, belegt und zwar im linksrheinischen Lothringen! Sie
heißen „ad Chassus“ und „Cassus“ südlich von Saarburg. Für 720
erfahren wir, dass Nordhessen der Kontrolle der Mainzer Kirche
unterlag, die seit um 550 wieder einen Bischof nach rund 100-jähriger
Pause beherbergte.
Endlich im Jahre 738 erfahren wir dank eines Briefes von Papst
Gregor III. an Bonifatius wie es in Hessen nördlich des Mains aussah.
Es heißt darin: „Papst Gregorius allen Edlen und dem Volk in den
Provinzen Germaniens, den Thuringis und Hessis, Bortharis und
Nistresis, Wedreciis und Lognais, Suduodis und Graffeltis sowie allen
im östlichen Landstrich Wohnenden.....(Bonifatius; Brief 43).“
738 existierten wie schon bei Fredegar angedeutet eine Reihe von
unabhängigen Stämmen. Woher stammt aber eigentlich der Begriff
„Hessen“ und was bedeutete er? Interessant ist, dass das Verb
„hessen“ erstmals bei den Alamannen in der Lex Alamannorum
(9.Jh.) auftaucht und gehört eindeutig in die Jagdterminologie und
erscheint weitgehend synonym mit „hetzen“, fast schon wie ein
Formvariante des Wortes. Der hier auch zu findende Begriff
„hessehunt“ bedeutet Jagdhund.
Es scheint, die Alamannen haben das Verb „hessen“ erstmals geprägt.
Das Verb lebt auch im Niederdeutschen und Niederländischen fort. Es
war also nicht autochthon, stammte aber mit Sicherheit aus der
unmittelbaren Nachbarschaft, wohl aus dem hessischen Raum. Dieses
Gebiet bildete schließlich die Kontaktzone zwischen Alamannen und
Franken.
In den Quellen des 8.Jh. werden die Hessen auch als „Hassi, Hessi,
Hessiii, Hassones, Hessiones, Hessones und Hazzoarii bezeichnet. Im
16.Jh. bezeichnete man mit „Hessen“ auch kurze Stoßdegen, so der
Chronist Wigand Lauze.
Herunterladen