Philharmonie für Einsteiger 5 Graham F. Valentine Freiburger BarockConsort Mittwoch 22. April 2015 20:00 Bitte beachten Sie: Ihr Husten stört Besucher und Künstler. Wir halten daher für Sie an den Garderoben Ricola-Kräuterbonbons bereit und händigen Ihnen Stofftaschentücher des Hauses Franz Sauer aus. Sollten Sie elektronische Geräte, insbesondere Mobiltelefone, bei sich haben: Bitte schalten Sie diese unbedingt zur Vermeidung akustischer Störungen aus. Wir bitten um Ihr Verständnis, dass Bild- und Tonaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet sind. Wenn Sie einmal zu spät zum Konzert kommen sollten, bitten wir Sie um Verständnis, dass wir Sie nicht sofort einlassen können. Wir bemühen uns, Ihnen so schnell wie möglich Zugang zum Konzertsaal zu gewähren. Ihre Plätze können Sie spätestens in der Pause einnehmen. Bitte warten Sie den Schlussapplaus ab, bevor Sie den Konzertsaal verlassen. Es ist eine schöne und respektvolle Geste gegenüber den Künstlern und den anderen Gästen. Mit dem Kauf der Eintrittskarte erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihr Bild möglicherweise im Fernsehen oder in anderen Medien ausgestrahlt oder veröffentlicht wird. Philharmonie für Einsteiger 5 Graham F. Valentine Sprecher Freiburger BarockConsort Petra Müllejans Violine Veronika Skuplik Violine Christa Kittel Viola Hille Perl Viola da Gamba Lee Santana Laute Torsten Johann Cembalo, Orgel Samuel Pepys’ London Diary und Musik aus dem England des 17. Jahrhunderts Mittwoch 22. April 2015 20:00 Pause gegen 20:45 Ende gegen 21:50 PROGRAMM Matthew Locke 1621 – 1677 »Curtain Tune« aus: »The Tempest« für zwei Violinen, Viola und Basso continuo Samuel Pepys 1633 – 1703 Tagebucheintrag am Jahreswechsel 1659/60 und vom 21. Februar 1660 Thomas Baltzar um 1630 – 1663 A Division on »John come kiss me now« aus: The Division Violin für Violine, Viola da Gamba, Laute und Orgel Samuel Pepys Tagebucheintrag vom 9. Februar 1668 Christopher Simpson um 1605 – 1669 Divisions on a Ground aus: The Division Viol (1665) für Viola da Gamba und Cembalo Samuel Pepys Tagebucheintrag vom 8. September 1667 Christopher Gibbons 1615 – 1676 Fantasia für zwei Violinen und Viola da Gamba Samuel Pepys Tagebucheintrag vom 27. Februar 1668 Thomas Farmer ?–1688 Ground für zwei Violinen, Viola und Basso continuo Pause 2 Samuel Pepys Tagebucheintrag vom 2. September 1666 Thomas Morgan fl. 1691 – 99 Suite aus »The younger Brother« für zwei Violinen, Viola und Basso continuo Overture Mr. Purcell’s Farewell Rondeau Chaconne Air Samuel Pepys Tagebucheintrag vom 27. Mai 1667 John Blow 1648/49 – 1708 Sonata a 4 in A für zwei Violinen und Basso continuo Largo Largo Brisk Samuel Pepys Tagebucheintrag vom 31. Mai 1669 Henry Purcell 1659 – 1695 Chacony g-Moll Z 730 für zwei Violinen, Viola und Basso continuo 3 ZUM KONZERT Samuel Pepys’ London Diary und Musik aus dem England des 17. Jahrhunderts Bürgerkrieg und Revolution, Commonwealth und Monarchie, Puritanismus und Sinnenfreudigkeit, Seeschlachten, Religionsfehden, dazu die Pest und ein desaströser Brand, der das Gesicht der Metropole London veränderte – wahrlich keine ereignisarme Epoche der englischen Geschichte, die das Leben des Samuel Pepys umgab und von der wir ohne diesen bemerkenswerten Mann kein so anschauliches Bild besäßen. 1633 in London geboren, kam Pepys früh in Kontakt mit der wohlhabenden Familie Montagu, der er seinen Einstieg in eine erfolgreiche Berufslaufbahn verdankte. Er besuchte dieselbe Schule, an der auch Oliver Cromwell ausgebildet wurde, später die Londoner St. Paul’s School und die Universität Cambridge, wo er sich mit Mathematik und klassischen Sprachen beschäftigte, Stenographie lernte und seinen musikalischen Neigungen nachging. Anschließend arbeitete er als Sekretär seines Vetters Edward Montagu und erhielt eine Stelle im Schatzamt der Stadt London. Der entscheidende Karriereschritt erfolgt 1660: Pepys wird zum Sekretär im Flottenamt ernannt und erarbeitet sich – ausgestattet mit enormer Energie und ebenso großem Ordnungssinn – eine Stellung als weithin anerkannter Schifffahrtsexperte. Während der Kriege gegen die Niederlande verteidigt Pepys vor dem Parlament erfolgreich die hohen Staatsausgaben für die Flotte und erntet einhelliges Lob für seine rhetorischen Fähigkeiten. Er wird Sekretär der Admiralität, Parlamentsabgeordneter und erhält die ehrenvolle Berufung zum Fellow der Royal Society. 1678 kommt seine berufliche Karriere zu einem jähen Ende: Pepys wird verdächtigt, Marine-Akten nach Frankreich geschmuggelt zu haben und verbringt sechs Wochen im Gefängnis. Der Verdacht erweist sich als haltlos, doch bleibt Pepys für einige Jahre ohne öffentliche Ämter und wird erst 1684 von König Charles II. wiederum zum Staatssekretär ernannt. Nach dem Sturz des Nachfolgekönigs James II. und der »Glorious Revolution« 1688 endet sein berufliches Leben endgültig, Pepys zieht sich ins Privatleben zurück, betätigt sich als Mäzen der Künste und Wissenschaften und führt Korrespondenzen mit einigen der klügsten Köpfe 4 seiner Zeit, darunter Isaac Newton. Seine Bibliothek gilt als eine der größten Privatsammlungen Londons. 1703 ist Pepys in Clapham gestorben. Dies alles ist gewiss erzählenswert, doch lebt Samuel Pepys in der kollektiven Erinnerung vor allem als Autor eines über 3000 Seiten umfassenden Tagebuchs weiter. Was hat diesen Mann bewogen, Ereignisse, die ihn umgaben – von den höchsten Staatsaffären über Theaterneuigkeiten und Kneipengespräche bis zu persönlichen Amouren – mit derartiger Akribie zu protokollieren? Ein Auslöser war gewiss sein großes Interesse an Politik: Um die Jahreswende 1659/60 konstituiert sich das sogenannte Rumpfparlament, um in mehreren Schritten die Rückführung des Landes von der puritanischen Quasi-Republik Cromwells – dem Commonwealth – zur Monarchie einzuleiten. Zugleich marschiert die Armee unter General Monck im Triumphzug in London ein. Verhandlungen mit dem legitimen Thronfolger – dem Sohn Charles’ I., den Cromwell 1649 hatte hinrichten lassen – werden aufgenommen, und nach Verkündung weitgehender Straf- und Religionsfreiheiten wird Charles II. als neuer König mit Jubel empfangen. Es beginnt die Epoche der Restauration, Wissenschaft und geistiges Leben, Theater und Musik streben zu neuen Blüten. Genau zu diesem Zeitpunkt setzt Pepys’ Tagebuch an. Die Epoche scheint wie für ihn geschaffen: Lebenslust und gelegentliche Anflüge von Eitelkeit sprechen ebenso aus seinen Zeilen wie sein offensichtliches Bedürfnis, Glücksmomente durch die Niederschrift zu intensivieren. Zugleich verfügte der Beamte über ein starkes Ordnungsbedürfnis. In seiner Liebe zu Akkuratesse und Symmetrie ist Pepys durchaus ein Kind des Puritanismus. Matthew Locke Musik nahm einen bedeutenden Platz in Pepys’ Leben ein. Er spielte Laute, Gambe, Blockflöte, sang leidenschaftlich gern und versuchte sich im Komponieren. Und er pflegte Umgang mit den vielen bedeutenden Musikern seiner Zeit, darunter auch einem »Maister of Musique« namens Pursell – gemeint ist entweder Henry Purcell, der Ältere oder Thomas Purcell, Onkel und Vater 5 des nachmaligen »Orpheus Britannicus«. In derselben Tagebuchpassage erwähnt Pepys auch einen »Mr. Lock«, niemand anderen also als Matthew Locke, den wohl bedeutendsten Meister des 17. Jahrhunderts neben – genauer: vor – Henry Purcell. Wie dieser war Locke Universalist, als Komponist von Kammer- und geistlicher Vokalmusik ebenso bedeutend wie als Verfasser von Bühnenwerken. Viele seiner Schauspielmusiken sowie Beiträge zu Masques und frühen Opern entstanden für das Theater des Dichters William Davenant. Dessen The Siege of Rhodes, uraufgeführt 1656, gilt als erste englische Oper überhaupt. Auch zu den Werken des Dramatikers Thomas Shadwell steuerte Locke Musiken bei, so etwa zu der 1674 uraufgeführten Shakespeare-Adaption The Tempest. Lockes Curtain Tune schildert den Sturm, mit dem das Stück beginnt. Die Partitur enthält einige der frühesten Beispiele für genau angegebene graduelle Lautstärkeveränderungen – Crescendo, calando – sowie Tremoli und andere Instrumentaleffekte. In seinen überraschenden Harmonie-Sequenzen entfaltet der Curtain Tune ein hohes Maß an Dramatik und Expressivität. Von hier führt ein direkter Weg zu Henry Purcell, der zwar wohl nie Lockes Schüler im unmittelbaren Sinne war, von seiner Musik jedoch entscheidende Einflüsse empfangen hat. Thomas Baltzar Geboren wurde er in Lübeck als Sohn einer alteingesessenen Musikerfamilie. In seiner Wahlheimat England erhielt Thomas Baltzar jedoch den Beinamen »The Swede« (Der Schwede), da er vor seiner Übersiedlung nach England einige Jahre eine gutbezahlte Stellung am schwedischen Hof innehatte. 1656 wirkte er mit bei der Premiere des Siege of Rhodes, und aus den Folgejahren sind begeisterte Berichte über sein staunenerregendes Geigenspiel erhalten. So etwa von Anthony Wood, der anmerkt, dass der ehedem als bester Geiger Englands angesehene Davis Mell seit Baltzars Erscheinen »nicht mehr so sehr bewundert wurde, obwohl er [Mell] über einen süßeren Ton verfügt habe und ein vollendeter Gentleman war, nicht wie Baltzar dem Trunk ergeben«. 1661 wurde der »Schwede« Mitglied der »King’s Private Musick«, doch schon 1663 starb Baltzar. Seine wenigen 6 erhaltenen Kompositionen enthüllen kaum das gesamte Spektrum seiner virtuosen Technik – die die Zeitgenossen vermutlich ohnehin nur in seinen Improvisationen zu hören bekamen –, doch enthält Baltzars Division über das populäre Lied John come kiss me now, die in John Playfords Sammelband The Division Violin (1685) im Druck erschienen, zumindest einige Doppelgriffpassagen und Andeutungen brillanten Figurenwerks. Christopher Simpson Dem Spieler wird empfohlen, »den Ground selbst schlicht und klar zu spielen«. Anschließend möge er ihn »in Viertel- und Achtelbewegung aufbrechen oder einen gefälligen langsamen Diskant hinzufügen«. Daran sollen sich schnelle Variationen und eine langsame Passage anschließen, »playing also sometimes loud or soft, to express Humour and draw on Attention«. Zeilen, die der Erklärung bedürfen: Sie entstammen einem The DivisionViolist überschriebenen theoretischen Werk von Christopher Simpson, das 1659 erstmals veröffentlicht wurde. Simpson galt seinen Zeitgenossen nicht nur als bedeutender Komponist und Gambist, sondern wurde vor allem seiner theoretischen Schriften wegen gepriesen. Sir Roger L’Estrange bezeichnete The DivisionViol – so der Titel der 2. Auflage – als »one of he best tutors in the world«, Jenkins und Locke zierten das Werk mit Lobesversen. Simpsons umfassendes Compendium of Practical Musick (1667) kommentierte Locke mit den Worten »neu, klar und rational; nichts Wesentliches auslassend, nichts Überflüssiges hinzufügend«. Noch eine Generation später lobte Purcell das »Compendium« ähnlich enthusiastisch. Simpsons Divisions on a Ground für Viola da Gamba und Continuo können als Schulbeispiel für die beschriebene Aufführungsform gehört werden: Zunächst wird der »Ground« – die ostinate Bassfigur – ohne weiteren Zierrat vorgestellt und anschließend in einer Reihe von »Divisions« auf sein Variations-Potential hin abgeklopft. Eine Komposition wie diese ist, überspitzt gesagt, kein »Werk« im emphatischen Sinne, sondern eher die modellhafte Darstellung einer Improvisation. Hierauf verweist Simpson im Untertitel seines Buchs: The DivisionViol, or the Art of Playing ex tempore to a Ground. 7 Christopher Gibbons Freunden der Alten Musik ist Orlando Gibbons ein Begriff. Dass sein Sohn Christopher Gibbons zu Lebzeiten mindestens eine ebenso große Zelebrität war, geht aus den Worten von John Evelyn hervor, des anderen bedeutenden Tagebuchschreibers dieser Zeit. Im Jahr 1654 hielt sich Evelyn in Oxford auf und hörte dort »Mr. Gibbon that famous Musitian, giving us a tast of his skill & Talent on that Instrument«, womit die Orgel des dortigen Magdalen College gemeint war. Dass Gibbons’ Name und Werk derart in Vergessenheit geraten konnten, ist kaum verständlich, denn er bekleidete gleich zwei bedeutende Organistenposten: diejenigen der Chapel Royal und der Westminster Abbey. Ebenso wie Locke und Baltzar war auch er beteiligt an der Aufführung des Siege of Rhodes, mit Locke arbeitete er überdies zusammen an der 1659 uraufgeführten Masque Cupid and Death. Roger North (1653 – 1734) charakterisiert Gibbons’ Musik als »kühn, kraftvoll, stark, jedoch auch unzusammenhängend [desultory] und nicht ohne gelegentliche Anflüge des Barbarischen«. Finden wir Belege hierfür in seiner dreistimmigen Fantasia? ›Flüchtig‹ oder ›barbarisch‹ tönt die Musik wahrlich nicht, die übrigen Adjektive jedoch hat North – der kluge Jurist, Autor und Amateurmusiker – gut gewählt: Die Fantasia gliedert sich in mehrere Abschnitte, die nahtlos miteinander verwoben sind. Ohne »Vorwarnung« wechseln Tempi, Stimmungen und Charaktere, die Gesamtanlage ist auf Kontraste angelegt. Keineswegs aber entsteht ein beliebiger, kaleidoskopartiger Höreindruck, vielmehr durchzieht eine schwebende Harmonik das ganze Werk und schafft Zusammenhänge gerade in ihrer scheinbaren Sprunghaftigkeit. Hier ist ein kühner, kraftvoller Komponist am Werk, den es wiederzuentdecken gilt. Thomas Farmer Über das Leben des Geigers und Komponisten Thomas Farmer besitzen wir nur wenige gesicherte Informationen: Spätestens seit 1675 gehörte er zum hochkarätigen Ensemble der »King’s Violinists«, 1684 ernannte ihn die Universität Cambridge zum 8 Bachelor of Music. Vor dem 8. Dezember 1688 muss er gestorben sein, denn auf diesen Tag ist eine Elegie datiert, die Henry Purcell zum Tod seines Kollegen komponiert hat. Die vertonten Worte – »Young Thirsis’ fate ye hills and groves deplore« – deuten an, dass Farmer in jungem Alter gestorben ist. Neben etwa 40 Songs, die in verschiedenen Sammlungen erhalten sind und teilweise als Einlagen für Theateraufführungen komponiert wurden, veröffentlichte Farmer 1686 ein Kompendium seiner Instrumentalmusik unter dem Titel A Consort of Musick in four Parts containing 33 Lessons beginning with an Overture. Posthum erschien 1890 mutmaßlich noch ein Second Consort, doch scheint dieses Werk verschollen. Wie alle Komponisten der Zeit beherrschte auch Farmer die Kunst, eine veritable Chaconne zu komponieren – oder, gemäß der Definition Christopher Simpsons: zu einem ostinaten Bass eine Reihe kontrastreicher »Divisions« zu ersinnen. Mag Farmers Ground vielleicht nicht von gleicher Tiefgründigkeit geprägt sein wie eine Purcellsche Chaconne, so zeigt die Komposition allemal Eleganz, melodischen Reiz und zudem einige ›schmerzliche‹ Beispiele für die Verwendung jener »sweet dissonances«, die die englische Instrumentalmusik dieser Zeit prägen, mehr noch: ihr ein unverkennbares Emblem verleihen. So wurde nirgends auf dem Kontinent komponiert. Thomas Morgan Vieles spricht dafür, hinter jenem »Mr. Morgan«, der als Komponist von Songs und instrumentaler Musik in einigen Sammelbänden genannt wird, den aus Dublin stammenden Organisten Thomas Morgan zu vermuten. Er war ausersehen, 1691 das Organisten-Amt an der Christ Church Cathedral in Dublin zu übernehmen, entschied sich jedoch für eine Übersiedlung nach England. Gemäß einer zeitgenössischen Quelle scheint Morgans Weiterbildungswunsch hierfür ausschlaggebend gewesen zu sein. Sein Ziel war es, »to endeavour to attain the perfection of an organist«, doch könnten auch politische Gründe eine Rolle gespielt haben: Nachdem Wilhelm von Oranien den nach Irland geflohenen König James II. 1690 in der Schlacht besiegt hatte, wurde aus der ehedem römisch-katholischen Dubliner Kathedrale ein Hort der 9 anglikanischen Kirche. War Morgan ein »heimlicher« Katholik, widerstrebte ihm der Dienst unter anglikanischer Ägide? In London indes scheint Morgan keineswegs nur dem Orgelspiel, sondern auch anderen musikalischen Betätigungsfeldern gehuldigt zu haben: John Eccles’ Theatre Musick (1698) enthält Instrumentalwerke aus Morgans Feder, und im Jahr 1696 komponierte er eine Schauspielmusik zu Aphra Behns am Drury Lane Theatre aufgeführter frivoler Sittenkomödie The Younger Brother oder The amorous jilt. Jemandem den Laufpass geben, ihn nach anfänglichen Avancen sitzen lassen, so oder ähnlich lauten umständliche Übersetzungsversuche jenes knackig-knappen Untertitels, und Urheberin des amorous jilt war eine bemerkenswerte Frau, die als freie Schriftstellerin, Feministin und Kritikerin rigider Moralgesetze für Furore sorgte: Aphra Behn war ein Star der Restaurationszeit, doch schon bald nach ihrem Tod fiel ihr Werk in Ungnade und wurde erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Morgans Suite aus der Schauspielmusik enthält neben Overture, Rondeau, Chaconne und Air ein musikalische Memento: Mr. Purcell’s Farewell, eine Huldigung an den großen Kollegen, der am 21. November 1695 sechsunddreißigjährig gestorben war. John Blow Ein Programm, in dem bedeutende englische Meister des 17. Jahrhunderts zum Klingen gebracht werden, wäre unvollständig ohne jenen Komponisten, der mutmaßlich zu den Lehrern Purcells gehörte und später ein unmittelbarer Weggefährte des »Orpheus Britannicus« war: John Blow. Der aus Nottingham­shire stammende Blow wirkte etwa seit 1668 in London, zunächst als einer von mehreren Organisten der Westminster Abbey, später an der Chapel Royal, wo er 1674 das Amt des Knabenchorleiters übernahm. Bedeutende Musiker wie Jeremiah Clark oder Henry Purcells Bruder Daniel wurden von Blow ausgebildet. Henry Purcell selbst hatte zur Zeit von Blows Amtsübernahme bereits seinen Stimmbruch hinter sich und arbeitet in der Folgezeit als musikalischer Assistent, Notenkopist, Orgelstimmer, ab 1677 schließlich als »Composer-in-ordinary for the violins« als Nachfolger John 10 Lockes. Man darf annehmen, dass John Blow während dieser Jahre in der Tat jener »Master to the famous Mr. H. Purcell« war, als den ihn sein Grabstein in der Westminster Abbey ausweist. 1676 erhielt Blow – in der Nachfolge von Christopher Gibbons – eine der drei Organistenpositionen an der Chapel Royal, 1682 wurde Henry Purcell hier sein Kollege. Nach 1687 arbeitete Blow für einige Jahre auch an der St. Paul’s Cathedral. Neben zahlreichen Kompositionen für den liturgischen Gebrauch, Anthems, weltlichen Oden, Songs und einer einzigen, wenngleich bedeutenden Bühnenkomposition – der Masque Venus and Adonis – hat Blow ein vergleichsweise knappes instrumentales Œuvre hinterlassen. Es besteht im wesentlichen aus Orgelwerken, in denen sich der Komponist als Meister der Kontra­punktik erweist, außerdem aus zum Teil zu Suiten zusammengefassten Cembalostücken. Lediglich drei Kammermusikwerke Blows sind erhalten, darunter die Sonata in A, in deren langsamem Satz ein thematischer Gedanke aus der Anthem The lord is my sheperd wieder aufgegriffen wird. Henry Purcell Kein Zweifel: Henry Purcell war eine Ausnahmeerscheinung. Die Imaginationskraft und technische Meisterschaft seiner Musik stellen ihn in eine Reihe mit den Größten seines Fachs. Zudem gehört Purcell – hierin Mozart durchaus vergleichbar – zu den wenigen echten Allroundern, will sagen: Vertretern ihrer Zunft, die in allen Gattungen inklusive Musik für die Bühne Meisterwerke hervorgebracht haben. Hören wir nun, wie im heutigen Konzert, Purcells Musik im Kontext seiner Zeit- und Nations-Genossen, so wird andererseits deutlich, dass er – nicht anders als Monteverdi oder Bach dies taten – unmittelbar an die ihn umgebende Tradition angeknüpft hat. Die Sprache seiner Musik – ihr Vokabular, ihre Syntax, ihre Grammatik – entstammt einem kulturellen Urgrund und ist in der Musik Lockes, Gibbons’ oder John Blows ebenfalls deutlich vernehmbar. Dies schmälert keineswegs Purcells Rang, sondern zeigt vielmehr, dass alle wahrhaft bedeutenden Komponisten die Kunst der Synthese beherrschten. Purcells Tonsprache fasst die Charakteristika der englischen Musik des 11 17. Jahrhunderts auf unvergleichliche Art zusammen. Dass zumal wir deutschen Musikhörer seinen Personalstil häufig als isoliertes Phänomen empfinden, resultiert aus der Tatsache, dass uns die anderen britischen Meister und ihre Werke – bedauerlicherweise – viel zu wenig bekannt sind. Seine vielleicht größten Leistungen vollbrachte Purcell auf dem Gebiet der Instrumentalmusik. Befreit von allen Verpflichtungen, die das Komponieren für royale oder kirchliche Anlässe mit sich bringt, konnte Purcell in seinen Fantasias, In Nomines und Sonaten im Sinne der alten Idee einer »Musica reservata« für den musikalischen Connaisseur komponieren. Dies gilt auch für die als Einzelwerk überlieferte ­Chacony g-Moll Z 730. Ästhetisierend schon ihr Beginn: Anstelle der zu erwartenden klaren Fixierung der Dominanttonart im zweiten Takt hören wir hier einen verschleierten Sextakkord, der durch die Wiederholung des tonikalen G im Diskant eine beißende Dissonanzwirkung entfaltet. Chromatische Alterationen und überraschende Harmoniewechsel geben dem Werk ihre besondere Färbung und »strapazieren« die strenge, basskonstante Form der Chaconne bis zum Äußersten. Gerhard Anders 12 BIOGRAPHIEN Graham F. Valentine Graham F. Valentine wurde in Schottland geboren und erhielt seine Ausbildung an den Universitäten von Aberdeen und Zürich sowie an der Theaterschule Jacques Lecoq in Paris. Engagements hatte er u. a. in Edinburgh, Manchester, London, am Royal Natio­ nal Theatre, am Royal Opera House Covent Garden, an der Scottish Opera, der Opéra Bastille, der Staatsoper Berlin, der Vlaamse Opera, am Théâtre de la Monnaie, am Burgtheater, an der Volksbühne Berlin, am Deutschen Schauspielhaus, am Schauspielhaus Zürich, am Theater Basel, am Théâtre de la Colline Paris und am Théâtre des 13 Vents Montpellier. Über viele Jahre wirkte er in Inszenierungen und Projekten von Deborah Warner, Claude Régy, François Verret und Anna Viebrock mit. Seit über 40 Jahren arbeitet er mit Christoph Marthaler zusammen, so u. a. in Stunde Null, Blanc et Immobile, Pierrot Lunaire, Winch Only, Twentieth Century Blues, Was Ihr Wollt, Seemannslieder, Papperlapapp, Meine Faire Dame und Das Weisse vom Ei. Graham F. Valentine war in Musiktheater-Produktionen wie Kurt Weills Die Dreigroschenoper, Luciano Berios Un re in ascolto, Strauss’ Ariadne auf Naxos und Enno Poppes Arbeit Nahrung Wohnung zu erleben. Er trat bei den Salzburger Festspielen, beim Edinburgh International Festival, beim Festival in Avignon und bei der Ruhrtriennale auf. Als Sprecher und Sänger arbeitete er mit Klangkörpern wie dem Ensemble intercontemporain, dem Klangforum Wien, dem Freiburger Barockorchester (King Arthur), dem Balthasar-Neumann-Ensemble, dem Hebrides Ensemble und dem Musikkollegium Winterthur zusammen. In der Kölner Philharmonie war er zuletzt im November 2006 zu Gast. 13 Freiburger BarockConsort Das Freiburger BarockConsort hat sich auf die kleiner besetzte Musik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts spezialisiert. Bestehend aus Mitgliedern des Freiburger Barockorchesters, verfolgt diese Formation seit ihrer Gründung das Ziel, mit ausgefallenen Programmen abseits vom gängigen Konzertrepertoire liegende Stücke wiederzuentdecken oder vermeintlich Bekanntes aus ungewohnter Perspektive in neuem Licht erklingen zu lassen. Der eigene programmatische Horizont erstreckt sich dabei von englischer (A Masque of Beauty) über norddeutsche Musik (Abendt-Musick, Bach und Freunde), von Kompositionen aus dem Habsburger Reich (Habsburger Serenade) und dem italienischen Frühbarock bis hin zur Kombination von barocker und zeitgenössischer Musik (Zeitsprünge). Vor allem die bildhaften und ungemein virtuosen Kompositionen von Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Heinrich Schmelzer, Georg Muffat und Antonio Bertali gehören zum Kernrepertoire des Freiburger BarockConsort. Neben CD-Einspielungen mit Werken dieser Komponisten hat sich das Ensemble in seiner 14 Aufnahmetätigkeit erfolgreich für die in Vergessenheit geratene Kammermusik Georg Philipp Telemanns eingesetzt. Die neueste CD des Freiburger BarockConsort erschien im April 2012 und widmet sich mit einem ausgewählten Programm erneut der Ins­ trumentalmusik Johann Heinrich Schmelzers. In der Kölner Philharmonie ist das Freiburger BarockConsort heute zum ersten Mal zu hören. 15 KölnMusik-Vorschau April MO 27 20:00 FR 24 Grigory Sokolov Klavier Johann Sebastian Bach Partita für Klavier B-Dur BWV 825 20:00 WDR Big Band Köln Maria Schneider ld, arr Ludwig van Beethoven Sonate für Klavier Nr. 7 D-Dur op. 10,3 Maria Schneider – More Masterpieces Franz Schubert Sonate für Klavier a-Moll op. 143 D 784 Westdeutscher Rundfunk Jazz-Abo Soli & Big Bands 6 Moments musicaux op. 94 D 780 19:00 Einführung in das Konzert SO 26 DI 28 16:00 SIGNUM saxophone quartet Blaž Kemperle Sopransaxophon Erik Nestler Altsaxophon Alan Lužar Tenorsaxophon David Brand Baritonsaxophon 11:00 Schülerinnen und Schüler aus 12 Kölner Grundschulen Gürzenich-Orchester Köln Andreas Fellner Dirigent Nominiert von Baden-Baden, Dortmund, Hamburg und Köln Michael Mienert Regisseur Georg Friedrich Haas Saxophonquartett Kompositionsauftrag von KölnMusik und European Concerthall Organisation (ECHO), Uraufführung Singen mit Klasse! sowie Werke von Sibelius, Glasunow, Ligeti und Gershwin Gordon Kampe Sechse kommen durch die ganze Welt Libretto von Dorothea Hartmann nach den Gebrüdern Grimm Kompositionsauftrag der KölnMusik Uraufführung Gefördert durch die Europäische Kommission Gefördert durch das Kuratorium KölnMusik e.V. Familiensache – Zu diesem Konzert bieten wir eine Kinderbetreuung an. KölnMusik gemeinsam mit dem Gürzenich-Orchester Köln 15:00 Einführung in das Konzert 14:00 Museum Ludwig Blickwechsel Musik und Malerei: »Monochrom« Rising Stars – die Stars von morgen 6 16 Samstag 25. April 2015 20:00 Foto: Reiner Pfisterer Franui Wolfgang Mitterer Orgel, präpariertes Klavier, Elektronik Tanz Boden Stücke Ob bei der Ruhrtriennale, den Salzburger Festspielen oder 2012 in der Kölner Philharmonie: Wo Franui aus Tirol aufspielt, löst die Musicabanda mit ihrem Mix aus Klassik, Jazz und Volksmusik Begeisterung aus. Bei ihrem neuesten Programm erhalten sie Unterstützung vom Tiroler Organisten Wolfgang Mitterer. Gemeinsam widmen sie sich Tanzmusik, wie sie in inneralpinen Tälern aufgespielt wurde und wird, wie sie Béla Bartók aufnotierte und wie sie bei dessen musikalischen Nachfahren Ligeti und Eötvös und auch bei Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Bruckner und Mahler widerhallt. Ihr nächstes Abonnement-Konzert DO Mi 30 24 20:00 Juni 20:00 New York Philharmonic Alan Gilbert Dirigent Jörg Widmann Klarinette Hagen Quartett Lukas Hagen Violine Rainer Schmidt Violine Veronika Hagen Viola Clemens Hagen Violoncello Igor Strawinsky Pétrouchka Burleske in vier Bildern für Orchester Maurice Ravel Valse nobles et sentimentales für Klavier. Bearbeitung für Orchester Wolfgang Amadeus Mozart Streichquartett D-Dur KV 575 (1789) »1. Preußisches« Richard Strauss Suite aus der Oper »Der Rosenkavalier« TrV 227d für Orchester Streichquartett B-Dur KV 589 (1790) »2. Preußisches« Quintett für Klarinette, zwei Violinen, Viola und Violoncello A-Dur KV 581 (1789) »Stadler-Quintett« Gefördert durch das Kuratorium KölnMusik e.V. Internationale Orchester 5 Philharmonie für Einsteiger 6 Mai MO 04 20:00 ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln Schola Heidelberg Ensemble Modern Orchestra Ingo Metzmacher Dirigent Porträtkonzert Louis Andriessen 1 Michael Gordon No Anthem Hymne für ein nicht existierendes Land für Ensemble Kompositionsauftrag von ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln finanziert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung Uraufführung Louis Andriessen De Snelheid (Velocity) für großes Ensemble De Staat für vier Frauenstimmen und großes Ensemble 19:00 Einführung in das Konzert durch Tilmann Claus 18 Lisa Batiashvili Violine The Philadelphia Orchestra Yannick NézetSéguin Dirigent Foto: Chris Lee Samstag 23. Mai 2015 20:00 Werke von Nico Muhly, Dmitrij Schostakowitsch und Sergej Rachmaninow Mit der ersten gemeinsamen Europatournee des Philadelphia Orchestra mit seinem Music Director Yannick Nézet-Seguin präsentieren sie ihre inspirierende Zusammenarbeit. Lisa Batiashvili hat mit Schostakowitschs Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll ein Stück gewählt, zu dem sie schon als junge Geigenschülerin eine besonders emotionale Beziehung hatte. Der Abend beginnt mit dem neuen, vom Philadelphia Orchestra in Auftrag gegebenen Werk »Mixed Messages« des US-Amerikaners Nico Muhly, der auch schon für Philip Glass und die isländische Sängerin Björk arbeitete und die Musik zum Film »Der Vorleser« komponierte. Philharmonie-Hotline 0221 280 280 ­koelner-­philharmonie.de Informationen & Tickets zu allen Konzerten in der Kölner ­Philharmonie! Kulturpartner der Kölner Philharmonie Herausgeber: KölnMusik GmbH Louwrens Langevoort Intendant der Kölner Philharmonie und Geschäftsführer der KölnMusik GmbH Postfach 102163, 50461 Köln ­koelner-­philharmonie.de Redaktion: Sebastian Loelgen Corporate Design: hauser lacour kommunikationsgestaltung GmbH Textnachweis: Der Text von Gerhard Anders ist ein Original­­­beitrag für dieses Heft. Fotonachweise: FBO/Stefan Lippert S. 14 Gesamtherstellung: adHOC ­Printproduktion GmbH koelner-philharmonie.de 0221 280 280 Foto: Ewa-Marie Rundquist Freitag 1. Mai 2015 20:00 Anne Sofie von Otter Russell Braun Bariton New York Philharmonic Alan Gilbert Dirigent Mezzosopran Werke von Esa-Pekka Salonen, Béla Bartók und Peter Eötvös