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Das „Polen-Jugendverwahrlager“ Litzmannstadt
1. Lagereröffnung vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Rassen- und Volkstumspolitik
„Manche fragen, wie lange wird der Krieg wohl noch dauern. […]
Einstweilen vergessen wir, dass wir uns in einer der riesigsten
Volkstumsauseinanderesetzungen, in einem der riesigsten Rassenkämpfe seit vielen Jahrhunderten uns befinden“ 1
(Heinrich Himmler, 24.10.1943)
Als am 11. Dezember 1942 die ersten Häftlinge, unter anderem Jan Balcerek, Jurek Bombowski, Halina Szturma und Józek Jatczyk2, in das neu errichtete „Polen-Jugendverwahrlager“ Litzmannstadt
überstellt wurden, war das Lagergelände bereits durch die jüdische Baukolonne vom übrigen Ghettobereich des Łodzer Stadtteils Marysin mit einem Bretterzaun abgetrennt. Die dort befindliche Süßwarenfabrik und ein früheres Präventorium (Einrichtung für Tuberkuloseinfizierte) wurden verlegt.3 Erste
Wohnbaracken und ein Gebäude mit Arrestzellen (Karzer) waren für die „Polenkinder“ fertiggestellt.
In den folgenden Monaten sollten die jungen Häftlinge zunächst für den Lagerausbau eingesetzt
werden. Im „Jugendverwahrlager“ Litzmannstadt wurden bis zum 18. Januar 1945, dem Tag der Befreiung durch die Sowjetarmee, polnische Kinder und Jugendliche im Alter von 2 bis 16 Jahren gefangen gehalten.
Die Stadt Łodz befand sich seit dem Herbst 1939 unter deutscher Besatzung. 1940 wurde Łodz zur
Hauptstadt des Reichsgaus Wartheland. Die Stadt wurde in „Litzmannstadt“ umbenannt. Die Bevölkerung Warthelands betrug ca. 4,5 Millionen Einwohner.4 Wartheland gehörte zu den sog. eingegliederten, d. i. durch das Dritte Reich annektierten west- und nördlichen Gebieten Polens.
Die deutsche Besatzungsmacht hat 1940 ein Ghetto in der Stadt eingerichtet, in dem (zunächst) die
polnisch-jüdische Bevölkerung, darunter viele Kinder und Jugendliche, unter unmenschlichen Bedingungen abgesondert wurde. Nach und nach wurden die Juden von dort in Vernichtungslager deportiert.
Die polnische Intelligenz sowie Personenkreise, die nach Auffassung der Nationalsozialisten im Kampf
um die Erhaltung des polnischen Staates eine Führungsrolle übernehmen könnten, (sog. Polenführer:
1
Heinrich Himmler, Posener Rede, 24.10.1943. In: DEUTSCHE REDEN BIS 1945 - Hitler, Himmler, Speer, Göring,
Goebbels, Hess… [2 DVDs in MP] Rede Nr. 539: 1943-10-24 - Heinrich Himmler und Arthur Greiser - Rede am
Tag der Freiheit in Posen (92m 59s) Im Internet abrufbar unter: http://archive.org/details/Hitler_Speeches,
Non_Hitler_Speeches/1943-10-24_-_Heinrich_Himmler_und_Arthur_Greiser__Rede_am_Tag_der_Freiheit_in_Posen_92m_59s.mp3
2
Witkowski, J.: Hitlerowski obóz koncentracyjny dla małoletnich w Łodzi [Das Nazi-Konzentrationslager für
Minderjährige in Lodz], Wrocław: 1975, S. 37 ; zit. Witkowski, Hitlerowski obóz …
3
Kronika getta łódzkiego (Ghetto-Chronik Litzmannstadt). Z oryginalu do druku przygotowali, wstępem i
przypisami zaopatrzyli Danuta Dąbrowska i Łucjan Dobroszycki, Teil II: Juni 1942 – Dezember 1942, Łódź 1965,
Tageschronik Nr. 148 (vom 29.09.1942) und Nr. 204 (vom 24.11.1942), S. 473, 556 f.
4
Röhr, W.: Occupatio Poloniae. Forschungen zur deutschen Besatzungspolitik in Polen 1939-1945, Berlin 2004,
S. 127
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1
politisch und gesellschaftlich Aktive, Geistliche) wurden verhaftet und erschossen oder in Konzentrationslager überstellt. Hunderttausende Polen wurden enteignet und in die besetzten polnischen Ostgebiete (Generalgouvernement) vertrieben oder zur Zwangsarbeit ins „Altreich“ verschleppt.
Entsprechend der nationalsozialistischen Volkstumspolitik sollte Wartheland germanisiert werden.
Die „Eindeutschung“ erfolgte vor allem durch Ansiedlung von volksdeutscher Bevölkerung („Germanisierung des Bodens“). Ein geringer Teil der einheimischen Bevölkerung Warthelands wurde in die
deutsche Volksliste aufgenommen („Germanisierung des Blutes“). Waren rassische Kriterien der Zugehörigkeit zum deutschen „Herrenvolk“ erfüllt, so vollzog sich diese „Eindeutschung“ auch unter
Zwang.5
„Die Eindeutschung wird als vollzogen angenommen, wenn einmal
der Grund und Boden in deutsche Hand übergeführt worden ist,
zum anderen, wenn die beruflich Selbstständigen, die Beamten, Angestellten, gehobenen Arbeiter und die dazugehörigen Familien
deutsch sind.“ 6
(Generalplan Ost, Juni 1942)
Die nach Vollzug dieser Maßnahmen verbleibende „rassisch minderwertige“ polnische Bevölkerung
sollte durch Ausbildungs- und Berufsverbote sowie Enteignungen zu einem „führerlosen Arbeitsvolk“
(H. Himmler) degradiert werden, perspektivisch sollte es in Wartheland keine Polen mehr geben.
In Folge von Kriegshandlungen, der Deportation zur Zwangsarbeit und von Maßnahmen der rassischvölkischen Besatzungspolitik verloren viele Kinder und Jugendliche einen oder beide Elternteile. Häufig bedeutete auch die extensive Ausbeutung der Arbeitskraft der Polen vor Ort für deren Kinder
faktisch einen Entzug der elterlichen Fürsorge. Mit der Abschaffung des polnischen Bildungssystems
entfiel auch eine schulische Betreuung und Erziehung. Eingerichtet wurden sog. polnische Schulen
mit deutscher Unterrichtsprache, Laienlehrkräften mit zeitlich und inhaltlich rudimentärem Unterrichtsprogramm7. 1940 hatte die Stadt mit rund 670 Tsd. Einwohnern nur eine solche Schule, 1944
waren es vier.8 Spätestens ab dem 14. Lebensjahr wurden minderjährige Polen zwangsweise zur Arbeit eingesetzt. Ab 1941 galten für sie dieselben Arbeitszeiten wie für Erwachsene.9 Die Lebensmit5
Im Unterschied zu Danzig-Westpreußen und Oberschlesien konnte in Warteland der Reichsstatthalter Arthur
Greiser weitgehend eine restriktive Politik in Bezug auf die Assimilierung der einheimischen Bevölkerung
durchsetzen, vgl. Madajczyk, Cz.: Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945, Berlin 1987, S.
512 ff.; zit. Madajczyk, Die Okkupationspolitik …
6
Generalplan Ost, Juni 1942. Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaues. Vorgelegt von SS-Oberführer Prof. Dr. Konrad Meyer, Berlin-Dahlem, Juni 1942, Institut für Zeitgeschichte, Archiv MA
1497.
7
„Ziel der Beschulung der polnischen Kinder ist in erster Linie die Erziehung zur Sauberkeit und Ordnung, zum
anständigen Benehmen und zum Gehorsam gegenüber den Deutschen“ - bestimmte der Erlass des Reichsstatthalter Wartheland vom 5.2.1942. Schulpflichtig waren nach diesem Erlass Kinder vom 9 bis zum 14 Lebensjahr, wobei eine Entlassung nach Vollendung des 12. Lebensjahres erfolgen konnte, wenn ein Arbeitseinsatz
„erforderlich und möglich“ war. Die Unterrichtszeit betrug „bis zu 2 Stunden“ täglich; vgl. Łuczak, Cz.: Położenie
ludności polskiej w tzw. Kraju Warty w okresie okupacji hitlerowskiej [Die Lage der polnischen Bevölkerung
Wartheland], in: Instytut Zachodni. Główna Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce (Hrsg., Hauptkommission zur Untersuchung der NS-Verbrechen in Polen): Documenta occupationis, Bd. 13 Poznań: 1990, S.
329 ff.; zit. Łuczak, Documenta occupationis …
8
Hansen, G.: Ethnische Schulpolitik im besetzten Polen, München 1995, S. 72
9
Madajczyk, Cz.: Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945, Berlin 1987, S. 275; zit.
Madajczyk, Die Okkupationspolitik …
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2
telrationen für Erwachsene wie Kinder „polnischen Volkstums“ waren grundsätzlich niedriger und
von geringerem Nährwert als die der Deutschen. Ab 1941 wurde nach und nach der Verkauf von Lebensmitteln wie Weizenmehl, Butter, Fisch, Obst, Säften, zum Teil auch Gemüse an die Polen verboten.10 Die Zuteilungen für nicht arbeitende polnische Kinder unter 14 Jahren waren um ca. 60% niedriger als entsprechende Rationen für deutsche Kinder.11 Kinder und Jugendliche kämpften um das
tägliche Überleben. Aus ihrer Notlage heraus bettelten sie auf öffentlichen Plätzen; fuhren aufs Land,
um in der Stadt nicht erhältliche Lebensmittel zu besorgen; betrieben verbotenen Handel, etwa mit
Lebensmittelkarten, und begingen kleine Diebstähle.
Im Geiste der polnischen Befreiungskämpfe erzogene Jugendliche nahmen an Geheimunterricht teil
und versuchten, sich gegen die Besatzungsmacht in kleinen Gruppen selbstständig zu organisieren.
Wenn sie entdeckt wurden, wurden sie wie Erwachsene verhaftet und erschossen.12Kinder und Jugendliche waren auch in der Widerstandsbewegung tätig. Sie vermittelten Nachrichten für die Partisanen, verteilten als Zeitungsjungen Flugblätter und waren an Sabotageakten beteiligt. Andere Kinder wuchsen nur in Familien auf, die gegen die Besatzungsmacht Widerstand leisteten oder unter
entsprechendem Verdacht standen und wurden allein aus diesem Grund wie ihre anderen Familienangehörigen nach dem Grundsatz der kollektiven Verantwortung scharfen Repressionen ausgesetzt.
Nach der sog. Polenstrafrechtsverordnung13 (4.12.1941, in Kraft seit 1.1.1942), einem Sonderstrafrecht für Polen und Juden, zog bereits eine deutschenfeindliche Äußerung in der Öffentlichkeit oder
die Aneignung von geringen Mengen von Lebensmitteln oder Kleidung drakonische Strafen bis hin
zur Todesstrafe nach sich – von Hilfeleistungen für die Juden, Zigeunern, Partisanen etc., Geschlechtsverkehr mit Deutschen, Schleichhandel oder der Verweigerung der Zwangsarbeit ganz zu
schweigen14. Die Todesstrafe konnte gegen polnische und jüdische Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr verhängt werden. Bei Strafmaßen über 6 Monate (später 12 Monaten) wurden die Häftlinge
gemäß besonderen Bestimmungen nach Verbüßung der Strafen in Konzentrationslager überstellt.15
Auf Anordnung Arthur Greisers wurden 1942 polizeiliche Standgerichte eingerichtet, die für „gefährliche politische Verbrechen“ der Polen, darunter auch Minderjährige16, Todesstrafen oder Einweisungen ins KZ verhängten. Wegen geringen Vergehen wurden Polen in zahlreiche Arbeitserziehungslager
und Polizeigefängnisse der Sicherheitspolizei eingewiesen. Die Einweisung erfolgte auf bestimmte
Zeit (meist bis zu sechs Monaten), die Lebensbedingungen glichen denen in den KZ.17
10
Łuczak, Documenta occupationis …, S. 283 ff.; Łuczak, Cz.: Pod niemieckim jarzmem (Kraj Warty 1939 – 1945)
Poznań 1996, [Unter dem deutschen Joch (Wartheland 1939-1945)], S. 169, zit. Łuczak, Pod niemieckim ...;
Majer, D.: „Fremdvölkische” im Dritten Reich, Boppard am Rhein, 1981, S. 456 ff.
11
Łuczak, Cz.: „Kraj Warty” 1939-1945. Studium historyczno-gospodarcze okupacji hitlerowskiej, Poznań 1972,
S. 200; zit. nach Madajczyk, Die Okkupationspolitik ..., S. 287
12
Góral, J.: Eksterminacja dzieci z rodzin członkow ruchu oporu, in: Zbrodnie hitlerowskie, Łódź 1979,
13
Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom
4.12.1941, in Kraft seit 1.1.1942 (RGBl. 1941 I 759 ff.)
14
Vgl. Łuczak, Pod niemieckim ..., S. 26
15
Erlass des Reichsicherheitshauptamtes von 11.03.1943, zit. nach Łuczak, Pod niemieckim ..., 30 ff.
16
1943 verurteilte das Standgericht Auschwitz eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen, darunter ein 8jährges Mädchen zum Tode, vgl. Waszczyński, J.: Hitlerowskie prawo karne wobec dzieci i młodzieży polskiej
(na terenach włączonych do Rzeszy)(NS-Kinder- und -jugend-strafrecht (in den eingegliederten Gebieten)) S. 27
ff.; in: Okręgowa Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich w Łodzi u.a., (Hrsg.): Zbrodnie hitlerowskie wobec
dzieci i młodzieży Łodzi i okręgu łódzkiego, Łódź 1979
17
Łuczak, Pod niemieckim ..., S. 26 und 32
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3
Das Polen-Jugendverwahrlager der Sicherheitspolizei Litzmannstadt wurde auf Anordnung Heinrich
Himmlers vom 28.11.1942 errichtet. Offiziell handelte es sich um ein polizeiliches Verwahrlager für
„kriminelle und sonst verwahrloste junge Polen […], die keine ausreichende häusliche Erziehung haben“. Unter dem Begriff „Jugend“ in der Lagerbezeichnung und nach offiziellen Rechtstexten wurden
Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 16 Jahren verstanden. Faktisch wurden dort Kinder ab einem Alter von 2 Jahren eingesperrt. Mit der Lagererrichtung wurden polnische Kinder und Jugendliche aus dem System der deutschen Fürsorge herausgenommen. Maßstab der Verwahrlosung und
Kriminalität war das Interesse der Besatzungsmacht an der Durchsetzung des nationalsozialistischen
Unrechtsregimes und der Wille zum Sieg im nationalsozialistischen Volkstums- und Rassenkampf.
2. Zur Einweisungspraxis
„Unsere Tochter ging raus auf die Straße, um dort zu spielen. Sie
wurde in einer Straßenrazzia aufgegriffen. […] Ich bemühte mich um
ihre Entlassung. Ohne Erfolg.“18
(Franciszek Kaczmarek, Vater von Urszula Kaczmarek)
Urszula Kaczmarek, Lagernummer 21, wurde von ihrer Heimatstadt Posen in den ersten Januartagen
des Jahres 1943 in das Jugendverwahrlager nach Łodz überstellt. Die Eltern hatten sich dem Regime
gefügt und arbeiteten in einem deutschen Unternehmen. Urszula durfte ihnen nach Hause schreiben.
In allen Briefen berichtete sie, sie sei gesund. Urszula starb am 9. Mai 1943 infolge von Misshandlungen auf der „Krankenstation“ des Lagers.19
Die Inhaftierung und Lagerunterbringung von in Razzien aufgegriffenen Kindern zeigen in aller Deutlichkeit die Willkür und den Terror des NS-Besatzungsregimes. Polnisches Kind zu sein, war bereits
ein ausreichender Grund für eine Einweisung. So enthalten die Einweisungsanträge als „Begründungen“ zum Teil nur den lakonischen Vermerk „polnisches Kind“.20
Erfüllten die Eltern die Kriterien der Zugehörigkeit zum „deutschen Volkstum“ und haben sich in die
Deutsche Volksliste eintragen lassen, so wurden ihre Kinder aus dem Lager entlassen:
„Demnach ist die Voraussetzung für die weitere Unterbringung des Jugendlichen, nämlich
seine fremdvölkische Zugehörigkeit, nicht mehr gegeben“ 21
Die Einweisung der Kinder aus „rassisch wertvollen“ Familien ins Lager wurde zum Teil als Druckmittel eingesetzt, sich in die Deutsche Volksliste eintragen zu lassen oder als Sanktion der Verweigerung
einer solchen Eintragung.22
18
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 80 f.
19
Witkowski, Hitlerowski obóz ... S. 80 f. , 153
20
Witkowski, Hitlerowski obóz ... 70 f., 109
21
Vgl. Entlassungsvorgang in der Sache Erna Juretzko und Ablehnung eines Einweisungsantrags in das Polenjugendverwahrlager nach Feststellung der Zuteilung in die Deutsche Volksliste; in: Archiv für Sozialgeschichte des
20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
22
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 108
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4
Ältere polnische Kinder, die nach rassischen Untersuchungen als „volksdeutsche (Ost-) Kinder“ zur
Assimilierung in sog. Deutsche Heimschulen verschleppt worden sind, dort jedoch als „zur Eindeutschung ungeeignet“ eingestuft, wurden sie in das Jugendverwahrlager Litzmannstadt deportiert.23
In das Lager wurden in erster Linie Kinder und Jugendliche aus Wartheland und den anderen annektierten Gebieten eingewiesen. Darüber hinaus waren polnische Kinder aus dem Generalgouvernement und dem „Altreich“, vereinzelt auch Kinder aus anderen Ländern wie Frankreich im Lager untergebracht. Im Staatsarchiv der Woiwodschaft Katowice werden zahlreiche Einweisungsunterlagen
aus Oberschlesien aufbewahrt.24 Die dortigen Einweisungsanträge enthalten u.a. folgende Begründungen (Kernaussagen):25
-„Der Vater ist im KZ Mauthausen gestorben, die berufstätige Mutter kann das Kind (10 Jahre) nicht
betreuen.“
-„Vater ist zur Arbeit im Reich, Mutter im Konzentrationslager, die Kinder drohen zu verwahrlosen.“
-„Bronisław Wojtaszek, 11 Jahre, seit Kriegsbeginn Waisenkind, treibt sich herum ohne Existenzmittel.“
-„Streunt herum und bettelt. Da ihm ein Bein und ein Arm fehlen, versucht er bei der Bevölkerung
Mitleid zu erwecken“
-„…stiehlt mit anderen Kindern Obst in den Gärten, besonders bei deutschen Bürgern. Die Mutter
kümmert sich nicht um ihn, der Vater ist tot.“
- „Der Junge befasst sich mit seinem Bruder Franciszek mit verbotenem Handel. Beide fahren zu diesem Zweck ins Generalgouvernement. Die Mutter wird wegen desselben Vergehens von der Polizei
gesucht.“
-„… hat illegal Lebensmittelkarten erworben.“
-„Verdacht auf Diebstahl, die Familie hat in der Gegend schlechten Ruf“
-„Der Junge stammt aus einer asozialen Familie“
-„Tadeusz Panenkowski, 12 Jahre, hat als Hirtenjunge die Kühe verlassen“
-„Der Junge (9 Jahre) wurde auf dem Bahnhof Kattowitz angetroffen. Er kam wahrscheinlich aus Krakau. Eltern unbekannt.“
- „Krystyna-Weronika Piętka, 9 Jahre: Herumtreiberei, Diebstahl“
-„Die Mutter ist tot. Der Junge wurde gefasst, als er Steine auf Eisenbahnschienen legte“.
23
Hopfer, I.: Geraubte Identität. Die gewaltsame „Eindeutschung“ von polnischen Kindern in der NS-Zeit, Wien
u.a. 2010, S. 124 und 131; zit. Hopfer, Geraubte Identität …
24
Staatsarchiv der Woiwodschaft Katowice, Bestand Provinzialverwaltung
25
Zitiert nach Hrabar, R. u.a.: Kriegsschicksale polnischer Kinder, S. 82 ff., sehr ausführlich zur Einweisungspraxis Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 68 ff.
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5
-„..steht in Verbindung mit einer Sabotagegruppe und mit Fallschirmspringern aus der Sowjetunion,
denen er Essen und Fahrkarten gebracht hat“
-Der Junge (9 Jahre) zeigt asoziale Neigungen und ist geistig und körperlich unterentwickelt“
-„Findelkind, 3 Jahre alt, im Waisenhaus Kattowitz untergebracht, schwererziehbar; nässt ein und
schüttelt mit dem Kopf; neigt zum Diebstahl“.
In das Polen-Jugendverwahrlager wurden u.a. Kinder aus Waisenhäusern, Erziehungsanstalten und
aus polnischen Pflegefamilien sowie aus „asozialen“ Familien“ (u.a. außereheliche Kindern oder Kinder von getrennten Eltern) eingewiesen.26 Auch die Zugehörigkeit der Eltern zu einer „staatsfeindlichen“ religiösen Minderheit, etwa den Bibelforschern, war ein hinreichender Haftgrund.27
Eine weitere Häftlingskategorie bildeten die sog. Terroristen- oder Banditenkinder. Eine größere
Gruppe dieser Kinder wurde im Herbst 1943 auf persönlichen Befehl Himmlers in das Lager eingewiesen. Es handelte sich um Kinder aus einer Massenverhaftung der Familien von Mitgliedern der Untergrundorganisation „Vergeltungsbund“ um Dr. Franciszek Witaszek in Poznań und Mosina bei Poznań.
Die verhafteten Mitglieder dieser Gruppierungen wurden hingerichtet oder in KZ gebracht. Die Familienmitglieder über 16 Jahren wurden in KZ, Kinder unter 16 Jahren in das Jugendverwahrlager überstellt.
Lagerkarte von Teresa
Iwicka aus Mosina enthält
den Vermerk: „Auf Befehl
des Reichsführers SS und
Chef der Deutschen Polizei
ist der Zögling I. zusammen
mit anderen Terroristenkindern in das Polenverwahrlager Litzmannstadt einzuweisen.“
Quelle: Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager
Litzmannstadt.
Es konnten Namen von 53 der in dieser Aktion ins Polen-Jugendverwahrlager transportierten Kinder
und Jugendlichen ermittelt werden. In dieser Gruppe finden sich 22 Kinder unter 8 Jahren. Das jüngste unter ihnen war der zwei Jahre und drei Monate alte Marek Zakrzewski. Ihre Geschwister, die über
16 Jahre alt waren, wurden als „junge polnische Verbrecher“ in die KZs Auschwitz und Ravensbrück
überstellt.28
26
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 69 ff.
27
Ebenda
28
Witkowski, J.: Dalsze informacje o „Polen-Jugendverwahrlager“ in Łódź. „Witaszkowcy“ (Weitere Informationen über das Polenjugendverwahrlager in Lodz. Die Gruppe um Dr. Witaszek), in: Przegląd lekarski, 1969, Nr 1,
S. 97 ff., zit. Witkowski, Dalsze informacje…
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6
Józefa Czechowska (geb. 1929), eines der „Terroristenkinder” aus Mosina bei Posen.
In das Jugendverwahrlager Litzmannstadt wurde sie mit ihren Schwestern Czesława
(geb. 1927) und Marianna (geb. 1932) in Mosina gebracht. Zwei weitere Schwestern
von Józefa sind im Herbst 1943 nach Auschwitz gebracht und dort umgekommen.
Czesława wurde als nach Vollendung ihres 16. Lebensjahres im Herbst 1944 vom
Lager Litzmannstadt in das Frauen-KZ Ravensbrück gebracht.
Quelle: Archiv für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt.
In das Polen-Jugendverwahrlager wurden auch Jugendliche überstellt, über die nach Verbüßung der
gerichtlichen Strafen Schutzhaft verhängt wurde, die aber wegen ihres Alters - unter 16 Jahren - nicht
direkt in Konzentrationslager eingewiesen werden konnten. So war Joanna Gajewska, die vom Amtsgericht Kutno gemäß der Polenstrafverordnung im Februar 1943 wegen Diebstahls zu einem Jahr
Straflager verurteilt worden war, nach Abbüßen der Strafe mit drei weiteren Häftlingen auf Anordnung der Gestapo in das Polen-Jugendverwahrlager Litzmannstadt überstellt worden: „Sämtliche vier
Häftlinge sind noch nicht 16 Jahre alt und können daher nicht in ein Konzentrationslager eingewiesen
werden“ – hieß ist es in einem Schreiben der Gestapo vom 8. Januar 1944 an das Stammlager/Strafgefängnis Wronki.29
Bekannt sind auch Fälle einer Überstellung von Jugendlichen aus dem KZ Auschwitz in das PolenJugendverwahrlager. 1943 hat das Standgericht in Auschwitz, dessen Urteile sofort an der sog. Todeswand ausgeführt wurden, von einer Verurteilung von Maria Bar-Małocha (geb. 1927) und Augusta
Borowiec (geb. 1927) abgesehen. Die Mädchen wurden in das Lager in Łodz gebracht.
Maria Bar-Małocha, die wegen unerlaubten Erwerbs einer Zuckerkarte festgenommen worden war,
berichtet:
„Nach dem Verhören in Chrzanów wurde ich nach Auschwitz versetzt und dort erneut lange verhört,
geschlagen und gefoltert. [...] Sie sagten, sie würden mich entlassen, wenn ich verrate, wo die Zuckerkarte herkommt. [...] Ich war mir im Klaren: Wenn ich diesen Untersuchungen nicht standhalte,
kann das für meine gesamte Familie und auch viele andere Personen den Tod bedeuten. […] Eines
Tages wurde ich in den Block 11, den Block an der Todeswand gebracht [...]. Ich weiß nicht mehr, wie
lange ich dort saß. [...] In den Verhandlungssaal wurde ich zusammen mit einer großen Gruppe von
Häftlingen gebracht. Davor hatte ich schon Schüsse und Jammertöne der erschossenen Menschen
gehört. [...] Ich war bereit zu sterben.30
Augusta Borowiec (geb. 1929)
Quelle: Archiv für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts Im
März 1943 wurde sie von der Gestapo wegen unerlaubten
Erwerbs von Lebensmittelkarten verhaftet und nach Auschwitz überstellt. Sie wurde im Todesblock gefangen gehalten.
Das Standgericht in Auschwitz hat von einem Urteil abgesehen und ihre Einweisung in das Polen-Jugendverwahrlager
Litzmannstadt angeordnet. Von Juli 1943 bis Januar 1945
arbeitete sie im Landwirtschaftsbetrieb Dzierżąznia. Sie litt
unter Typhus, Skorbut und Hungerödemen.
29
Vgl. Witkowski, Hitlerowski obóz ..., Fotodokumentation Nr. 302 und 303
30
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 87 und 89
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7
Antrag auf Einweisung von Augusta Borowiec (geb. 1927)
Quelle: Archiv für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager
Litzmannstadt
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8
Die Entscheidungen über die Einweisung in das Polen-Jugendverwahrlager Litzmannstadt wurden auf
dem Verwaltungsweg getroffen. Zuständig für Entscheidungen über Einweisungsanträge aus den
annektierten Gebieten war die Kriminalpolizeistelle Litzmannstadt, für Anträge aus den übrigen Gebieten die Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität Berlin. In den meisten Fällen fehlte
ein elementares Ermittlungsverfahren zu den Angaben über die vermeintliche Kriminalität bzw. Verwahrlosung. Rechtliche Möglichkeiten, sich gegen die polizeiliche Unterbringung zu wehren, waren
für polnische Minderjährige oder deren Eltern nicht vorgesehen.
Die Kinder wurden im Lager auf unbestimmte Zeit inhaftiert. „Der Tag der Entlassung kann jetzt nicht
angegeben werden. Anträge auf Entlassung sind zwecklos“, - dieser Auszug aus der Lagerhausordnung wurde auf den Briefvordrucken platziert.31
3. Zur Lagerentstehung
„Gegen diese polnischen Kinder einzuschreiten wird von allen Seiten als eine brennende Notwendigkeit und eine dringende Notmassnahme zum Schutz der volksdeutschen Jugend gefordert“32
(Reinhard Heydrich 2.11.1941)
Lagerkommandant Karl Ehrlich, Chef der Kriminalpolizei Litzmannstadt
Zu den Befürwortern eines besonderen Jugendschutzlagers für minderjährige Polen gehörten unter
anderem:


in Litzmannstadt: Chef der Kriminalpolizei Walter Zirpkins33, der Polizeipräsident Dr. Karl Wilhelm Albert, Oberbürgermeister Werner Ventzki,
in Kattowitz: Alvin Brockmann, Leiter des Landesjugendamtes der Provinz Oberschlesien,
31
Vgl. Rosin, R.: Korespondencja dzieci i młodocianych z obozu przy ulicy Przemysłowej w Łodzi (Briefverkehr
von Kindern und Jugendlichen aus dem Lager in der Przemysłowa Straße in Lodz), in: Okręgowa Komisja
Badania Zbrodni Hitlerowskich w Łodzi u.a., (Hrsg.): Zbrodnie hitlerowskie wobec dzieci i młodzieży Łodzi i
okręgu łódzkiego, Łódź 1979, S. 135 ff.
32
Brief Heydrichs an Himmler vom 2.11.1941 VA3 Nr. 589/41; Archiv für Sozialgeschichte des 20.Jahrhunderts,
Bestand Jugendverwahrlager Litzmannstadt
33
Vgl. Kosmala, B.: Das Polenjugendverwahrlager der Sicherheitspolizei in Litzmannstadt /Łódź, in: Benz, W.,
Distel, B.:Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 9: Arbeitserziehungslager, Ghettos, Jungendschutzlager, Polizeihaftlager, Sonderlager, Zigeunerlager, Zwangsarbeitslager, S.
115 ff.
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9

in Berlin: Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des SD, sowie Fritz Ruppert und
Dr. Hans Muthesius, Leiter und stellvertretender Leiter der Wohlfahrtsabteilung des Reichsinnenministeriums unter Dr. Wilhelm Frick.
Ausschlaggebend für die Entscheidung über die Lagererrichtung dürfte die Anregung und Konzeption
Heydrichs in seinem Brief an Himmler vom 2. November 1941 sein.34
Aus dem Brief Heydrichs an Himmler, 2.11.1941; Archiv für Sozialgeschichte des
20.Jahrhunderts, Bestand Jugendverwahrlager Litzmannstadt.
Die Befürworter des Lagers haben vorgebracht, die verwahrlosten polnischen Jugendlichen seien
eine Gefahr für die Entwicklung der deutschen Jugendlichen. Im Juni 1941 wurde der Oberbürgermeister Ventzki von einem für die Entscheidungen über Anträge auf Fürsorgeerziehung verantwortlichen Stadtrat über eine „erschreckend große Verwahrlosung“ der deutschen Jugend alarmiert. Diese
Verwahrlosung sei die auf den „Verkehr mit der polnischen Jugend“ zurückzuführen.35 In einer Besprechung am 16.07.1942 in Litzmannstadt weist der Polizeipräsident Albert auf die „dringende Notwendigkeit“ hin, „die deutsche Jugend vor gewissen kriminellen Einflüssen polnischer Jugend zu
schützen“.36
Als Ursachen der Verwahrlosung polnischer Jugendlichen wurde neben dem „vollständigen nunmehr
zweijährigen Stillstand jeglicher“ schulischen Betreuung37 (Albert, ähnlich Heydrich38) die kriminelle
Veranlagung „des Polen an sich“ hervorgehoben. Die Kriminalität der Polen komme bereits mit dem
7. Lebensjahr zum Vorschein (Albert).
Die Verwahrlosung der polnischen Kinder wurde weiterhin zurückgeführt auf das „unvorstellbar primitive Lebensniveau“ der Polen, „das bis vor dem Weltkrieg von den Russen bewusst gedrückt worden“ sei, sowie auf den „jüdischen Einfluss, der sich besonders in den Städten in verheerendem
34
Zur Rolle Heydrichs in der Diskussion Anfang 1940 und Himmlers Entscheidung über Errichtung spezieller
Jugendlager vgl. Guse, M.: Die Jugendschutzlager Moringen und Uckermark, in: Benz, W: … Bd. 9; und BArch
Berlin R 22/1189
35
Schreiben vom 16.06.1941; Archiv für die Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts
36
In dieser Besprechung, die unter Beteiligung der Vertreter des Reichsicherheitshauptamtes stattfand, wurde
u. a. über die Lokalisation und Bau- bzw. Ausbaukosten eines Lagers, für polnische „Jugendliche“ zwischen dem
8. und 16. Lebensjahr bei einer Belegstärke von 1 bis 2 Tsd. Personen gesprochen; vgl. Bericht über die Besprechung am 16.07.1942 im Polizeipräsidium Litzmannstadt, Berlin den 18.07 1941, Sign.: II B 2/19/2/Ld/Lo; in:
Archiv für die Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
37
Karl W. Albert: Vorschlag über die Beschäftigung und Arbeitsverteilung der in das Jugendverwahrlager einzuweisenden polnischen Jugendlichen vom 30. 08.1941, Sign. 214/41 – KD.; in: Archiv für die Sozialgeschichte
des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
38
Brief Heydrichs an Himmler vom 2.11.1941 VA3 Nr. 589/41; Archiv für Sozialgeschichte des 20.Jahrhunderts,
Bestand Jugendverwahrlager Litzmannstadt
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Masse ausgewirkt“ habe (Heydrich).39 Genannt wurde auch die mangelnde elterliche Fürsorge, die
durch den Krieg (Heydrich) bzw. durch polnische Tradition bedingt sei (Albert).
Karl W. Albert: Vorschläge über die Beschäftigung und Arbeitsverteilung der in das Jugendverwahrlager
einzuweisenden polnischen Jugendlichen vom 30. 08.1941; Archiv für die Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
Die Befürworter der Lagererrichtung argumentierten, eine polizeiliche Unterbringung der verwahrlosten Jugendlichen erfülle präventive Zwecke: die verwahrloste polnische Jugend drohe zu einem
„Reservoir des Berufsverbrechertums“ (Heydrich) zu werden. Daher sollten die Jugendlichen zur Arbeit herangezogen und „für die Allgemeinheit nutzbringend“ eigesetzt werden (Albert, ähnlich
Heydrich). Erziehung im Lager war als eine „politische Maßnahme“ gedacht. (Albert). Die Kinder sollten die Sekundärtugenden Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit sowie Gehorsam gegenüber den
Deutschen erlernen. Schulunterricht war nicht vorgesehen.
Karl W. Albert: Vorschlag über die Beschäftigung und Arbeitsverteilung der in das Jugendverwahrlager einzuweisenden polnischen Jugendlichen vom 30. 08.1941; Archiv für die Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts,
Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
39
Ebenda
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11
Aus dem Brief Heydrichs an Himmler vom 2.11.1941, als Lokalisation
hat Heydrich einen Landwirtschaftbetrieb in Dzierżąznia bei Łodz
(später Lagerfiliale) vorgeschlagen;
Archiv für Sozialgeschichte des 20.
Jahrhunderts, Bestand Jugendverwahrlager Litzmannstadt
Die Vertreter der Wohlfahrtsabteilung des Innenministeriums argumentierten, eine gesonderte Lagerunterbringung sei notwendig, da die deutsche Fürsorgeerziehung durch „fremdvölkische, insbesondere polnische Jugendliche belastet sei“.40
In Oberschlesien begrüßte Alvin Brockmann „Projekte für Zwangslager“, wo „fremdvölkische Kinder
ohne erschwerende gerichtliche Formalitäten“ eingewiesen werden können. „Das Recht auf Fürsorge
hat nur die rassisch vollwertige Jugend.“41
Gemäß dem Erlass des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) vom 28.11.1942 (V A 3 Nr. 3050/42 IV)42,
gezeichnet von Dr. Schefe, wird das Polen-Jugendverwahrlager Litzmannstadt am 1. Dezember 1942
eröffnet. Nach Pkt. 2 des Erlasses handle sich um ein Lager für „kriminelle oder sonst verwahrloste
junge Polen“, „die keine ausreichende häusliche Erziehung haben, so dass ihre polizeiliche Unterbringung dringend erforderlich ist, weil sie durch ihr Verhalten deutsche Kinder in ihrer Entwicklung gefährden oder weitere kriminelle Handlungen befürchten lassen“.
Im Punkt 2 des Erlasses wird das Alter der einzuweisenden „jungen Polen beiderlei Geschlechts“ auf
8 bis 16 Jahre festgelegt. Punkt 9 des Erlasses schränkt jedoch die Anwendbarkeit dieser Bestimmung
ein. Bis auf „weitere Weisung“ sollen „aus praktischen Erwägungen für die Einweisung zunächst
männliche Jugendliche im Alter von 12 - 16 Jahren in Frage“ kommen. Diese Einschränkung wird
durch das RSHA am 5. Januar 1943, gez. durch Dr. Schefe (V A 3 Nr. 3050/42 IV) mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Bereits im ersten Transport am 11. Dezember 1942 wurden ins Lager auch Mädchen überstellt. Bald kam es auch zur Einweisungen von Kindern zwischen 2 und 8 Jahren, für die das
Lager vielfach eine Durchgangsstation war.
40
Vgl. Schnellbrief des Reichsministers des Inneren vom 11. Dezember 1942, IV J I 76/42 II/ 8400, in: Archiv für
die Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
41
Alvin Brockmann, Leiter des Landesjugendamtes Kattowitz, Amtssitzung am 17. August 1942, zit. nach
Witkowski, J.: Dalsze informacje o „Polen-Jugendverwahrlager“ in Łódź. „Witaszkowcy“ (Weitere Informationen
über das Polenjugendverwahrlager in Lodz. Die Gruppe um Dr. Witaszek), in: Przegląd lekarski, 1969, Nr 1, S. 97
ff.)., zit. Witkowski, Dalsze informacje…
42
Erlass des RSHA vom 28.11.1942, V A 3 Nr. 3050/42 IV; Archiv für die Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts,
Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
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Erlass des RSHA vom
28.11.1942 (V A 3 Nr.
3050/42 IV); Quelle:
Archiv für die Sozialgeschichte des 20.
Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager
Litzmannstadt
Im Pkt. 8 des Erlasses wird die Möglichkeit einer Germanisierung der jungen polnischen Häftlinge
vorgesehen. Die Lagerleitung soll hierzu mit dem SS-Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) zusammenarbeiten.
Punkt 7 des Erlasses bestimmt, dass „wegen Namhaftmachung verwahrloster Polenkinder“ Kontakt
mit den Jugendämtern aufzunehmen“ ist. Ausführungsvorschriften zu dieser Bestimmung sowie weitergehende Bestimmungen zur Einweisung in das Lager wurden Anfang Dezember 1942 durch das
Reichinnenministerium verabschiedet.
In den Erlassen des Reichsministers des Inneren vom 3. und 11. Dezember 1942 (IV J 76/42, gez.
durch Dr. Hans Muthesius und IV J I 76/42 II; 8400. gez . durch Fritz Ruppert) werden die Gau- und
Landesjugendämter verpflichtet, dafür zu sorgen, dass alle in Fürsorgeerziehung befindlichen polnischen Minderjährigen sofort zur Einweisung in das Polen-Jugendverwahrlager bei der zuständigen
Kriminalleitstelle gemeldet werden. In Zukunft dürfen Jugendämter keine Anträge auf Fürsorgeerziehung für polnische Minderjährige stellen. Fälle von „drohender oder eingetretener Verwahrlosung“
sollen sofort der zuständigen Kriminalleitstelle gemeldet werden. In der Meldung ist darauf hinzuweisen, dass zum Schutz der deutschen Jugend eine Unterbringung im Polenverwahrlager erforderlich sei. Bis zum 15. Februar 1943 sollen bei der Wohlfahrtsabteilung Namenslisten mit allen in der
Fürsorgeerziehung untergebrachten minderjährigen Polen eingereicht werden.43
Erlass des RSHA vom 28.11.1942 (V A 3 Nr. 3050/42 IV); Quelle: Archiv für die Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
43
Erlasse des Reichsministers des Inneren vom 3. und 11. Dezember 1942 (IV J 76/42, gez. durch Dr. Hans Muthesius und IV J I 76/42 II; 8400. gez . durch Fritz Ruppert); Archiv für die Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
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Karl W. Albert: Vorschlag
über die Beschäftigung
und Arbeitsverteilung der
in das Jugendverwahrlager einzuweisenden polnischen Jugendlichen
vom 30.08.1941; Archiv
für die Sozialgeschichte
des 20. Jahrhunderts,
Bestand Jugendkonzentrationslager
Litzmannstadt
Das geplante Lager wurde neben den Jugendschutzlagern Moringen und Uckermark und Lagern wie
Dachau, Mauthausen, Flossenbürg und Auschwitz zunächst in ein Verzeichnis der Konzentrationslager des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes vom 30.04.1942 aufgenommen. In einem Brief
an Heydrich vom 30.05.1942 stellt der Chef des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes Oswald
Pohl klar: Die Entscheidung, die Errichtung und Verwaltung des Lagers Litzmannstadt aus den Haushaltsmitteln der Waffen-SS zu finanzieren, erfolgte in der irrtümlichen Annahme, es handele sich um
ein „übliches Jugendschutzlager für Zöglinge über 16 Jahren“. Ein polizeiliches Verwahrlager für polnische Kinder im Alter von 7 bis 16 Jahren falle aus diesem Rahmen; „[d]er Einsatz von Angehörigen
der Waffen-SS zur Erziehung und Bewachung von Kindern ist in keiner Weise vertretbar.“44
Auf der Grundlage eines Erlasses des RHSA vom 7.12.1942 wurde in Dzierżąznia bei Łodz eine Lagerfiliale errichtet. Lagerführer ab März 1943 war Heinrich Fuge. Inhaftiert wurden dort vorwiegend Mädchen ab 8 Jahren. Der Landwirtschaftbetrieb in Dzierżąznia sollte die Verpflegung des Hauptlagers in
Litzmannstadt sicherstellen und die Mädchen auf den späteren Einsatz bei deutschen Bauern vorbereiten.45
Das Lager in Łodz wurde, wie ab 1943 auch die „Jugendschutzlager“ in Moringen und Uckermark, der
Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität, Referat „Weibliche Kriminalpolizei“ des
Reichskriminalpolizeiamtes unterstellt.46 Alle drei Lager wurden von der Bundesrepublik Deutschland
neben dem Ost-Jugendverwahrlager der Sicherheitspolizei Konstantynów, wo russische und belarus-
44
Brief Pohls an Heydrich vom 30.05.1942; Archiv für die Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
45
Erlass des RHSA vom 7.12.1942, in: Archiv der Hauptkommission zur Untersuchung der NS-Verbrechen in
Polen, Sign. 1057z/OŁ/43 S. 1-2; zit. nach Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 224
46
Hepp, M.: Denn ihrer ward die Hölle. Kinder und Jugendliche im „Jugendverwahrlager Litzmannstadt“. In:
Mitteilungen der Dokumentationsstelle zur NS-Sozialpolitik. April 1986, Heft 11/12, S.49, 54; zit. Hepp, Denn
ihrer ward die Hölle …
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14
sische Kinder untergebracht waren, sowie der Filiale des Polen-Jugendverwahrlagers in Dzierżąznia
als Konzentrationslager anerkannt.
Lagerkommandant (1942- 1945) war Chef der Kriminalpolizei in Litzmannstadt SS-Sturmbahnführer
Karl Ehrlich. Lagerführer waren die SS-Offiziere und Kriminalpolizeisekrätere Hans Heinrich Fuge (später Leiter der Lagerfiliale Dzierżąznia), Arno Wruck und (…) Enders.47 Die Aufseher („Erzieher“) und
der Wachdienst bestanden aus Funktionären der Sicherheitspolizei und der SS, darunter ehemalige
Angestellte der polnischen Staatspolizei, die die Deutsche Volksliste unterschrieben hatten und der
SS beigetreten sind, sowie Ukrainer, Serben und Kroaten.48
4. Verwertung der Arbeitskraft und Verpflegungsfrage
„Der Pole ist – rassisch gesehen wie geschichtlich erwiesen ist – ein
Mensch minderwertigen Charakters, eine Knechtsnatur und will als
solcher behandelt werden […] Vom kriminellen wie vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus ist daher der Pole, im besonderen Fall der
jugendliche kriminelle Pole, als Arbeitskraft zu verwerten.“
(Dr. Karl Wilhelm Albert, Polizeipräsident von Litzmannstadt,
30.08.1941)
Der Lageralltag war für die jungen Insassen mit Arbeit ausgefüllt, die weit über ihre Kräfte hinausging. Ab dem 8. Lebensjahr mussten sie bei Hungerrationen 10 bis 12 Stunden täglich arbeiten. Erschöpfungszustände, Erkrankungen und ein schneller, „natürlicher“ Tod waren im Lagerkonzept mit
eingeplant. Die Arbeit wurde nicht vergütet.
„Schule gab es im Lager keine.“49
In der ersten Phase nach Lagerentstehung wurden die jungen Häftlinge vor allem beim Lagerausbau
eingesetzt. Jungen wurden in Gruppen als Zugkraft vor Wagen mit Baumarialien und tonnenschwere
Walzen zur Wegefestigung eingespannt50. Diese Schwerstarbeit war von körperlicher Gewalt und
Demütigungen seitens der Aufseher begleitet. Der ehemalige Häftling Jan Kosiński erinnert sich:
„Bis heute weiß ich nicht, warum ich dort eingesperrt wurde. Ich arbeitete […] zunächst beim Abriss
von alten Bruchbuden, der Ebnung des Geländes und dem Straßenbau für das Lager. Bei der Arbeit
wurden wir getreten und geschlagen. Besondere ‚Verdienste‘ hatte hier der Wachmann August.
Wenn wir von der Arbeit ermüdet aufhörten, schrie er: „Ihr Fleckfieber! Wollt ihr vielleicht Zeitschriften lesen oder was?!“ Und er fing an, uns zu verprügeln. 1943, als immer mehr Kindertransporte
kamen und alle Blocks schon besetzt waren, […] arbeiteten wir Tag und Nacht beim Bau neuer Bara-
47
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 39 f.
48
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 43
49
Bericht von Helena Haładaj (geb. 1931), in: Wnuk, J.: Dzieci polskie oskarżają (Polnische Kinder klagen an),
Lublin 1975, S. 94
50
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 125, 130 ff.
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15
cken für kommende Transporte. Wir schliefen anfangs auf zweistöckigen Pritschen, unter einer einzigen Decke. Vor Erschöpfung und Kälte machten manche Kinder ein.“51
Ab Frühling/Sommer 1943 entstanden auf dem Lagergelände viele Werkstätten, in denen die jungen
Häftlinge für die Bedürfnisse der Wehrmacht eingesetzt wurden. Die Kinder reparierten Schuhe der
Wehrmachtssoldaden, stellten Patronentaschen und Riemen her. Sie flochten Körbe für die Artilleriemunition. Sie wurden auch beim Geradebiegen von Nägeln beschäftigt. Eine große Häftlingsgruppe leistete Arbeit in der lagereigenen Gärtnerei. Viele wurden bei der Produktion von Schutzschuhen
aus Stroh für das Ghetto eingesetzt. Die jüngeren Kinder mussten u.a. Tüten kleben, künstliche Blumen und Blumentöpfe herstellen und auf dem Lagergelände Müll aufsammeln.52
Die Mädchen arbeiteten in der Wäscherei, Schneiderei, in der Küche und – abends nach der regulären Arbeitszeit und frühmorgens – bei der Reinigung von Büroräumen. Zu ihren Aufgaben gehörte
auch die Betreuung der Kleinkinder. Vorwiegend Mädchen wurden in der Lagerfiliale Dzierżążnia bei
Łodz in der Landwirtschaft beschäftigt. Die Arbeitszeit dort betrug bis zu 14 Stunden. Mädchen ab 8
Jahren wurden in allen in der Landwirtschaft anfallenden Arbeiten eingesetzt. Im Winter mussten sie
Brotbeuteln nähen. Die bis zu 154 Mädchen (Höchststand im Sommer 1944) wurden in einem ehemaligen Schulgebäude untergebracht.53
Bei ihrer Ankunft im Lager bekamen die Kinder Häftlingskleidung aus grauem Drillich und für die Arbeit unzweckmäßige, häufig zu große Holzschuhe. Nur in der ersten Phase des Lagerbestehens durften sie noch eigene Kleidung tragen. Warme Kleidung wie Pullover, Jacken oder Handschuhe wurden
nicht ausgegeben.54 Draußen eingesetzte Kinder waren das ganze Jahr über der Witterung ausgesetzt. Witterungsbedingte Arbeitspausen waren nicht erlaubt.55 In der Wäscherei kamen die Mädchen in Hautkontakt mit einer ätzenden Lauge, die zu akuten Entzündungen und bleibenden Behinderungen führte56.
In den monatlichen Sanitätsberichten wurden viele ambulante Behandlungen u.a. von Wunden und
Schnittverletzungen bei der Arbeit sowie von Erfrierungen und Verbrennungen erfasst. Aus Angst vor
Misshandlungen in der Lagerambulanz meldeten viele Kinder ihre Beschwerden erst gar nicht an.
Die Kinder litten unter Hunger und Durst. Die Verpflegung bestand aus einer Scheibe Brot und einem
Kaffeersatz morgens und abends sowie aus einer dünnen Gemüsesuppe zum Mittag. Nur selten war
das Brot mit etwas Rübenmarmelade oder Quark beschmiert, der Kaffee mit Sacharin gesüßt. Das für
die Suppe verwendete Gemüse – Kohl, Rüben, Steckrüben u.Ä. je nach Jahreszeit – war häufig bereits
verfault und roch unangenehm. Die Suppe wurde mit wenigen Kartoffeln samt Kartoffelschalen, selten mit etwas Pferdefleisch zubereitet.57
51
Bericht von Jan Kosiński, der in das Lager am 18. Dezember 1942 überstellt wurde, in: Jażdżyński, W.:
Reportaż z pustego pola [Bericht aus dem leeren Feld], Łódź 1965, S. 35
52
Witkowski, Hitlerowski obóz ... ,S. 130
53
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 129 f., 223, 225, 227, 229
54
Vgl. Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 116
55
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 130
56
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 129
57
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 120 f.
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16
Auf der Krankenstation untergebrachte Kinder bekamen nur eine halbe Essensration.58 Essensentzug
wurde zur Bestrafung verschiedener „Vergehen“, etwa dem Diebstahl von Lebensmitteln angewendet. Mit Suppenzulagen oder einer extra Portion Brot wurden manchmal unterwürfiges Verhalten,
Denunziation sowie sehr gute Arbeitsleistungen belohnt.
Etwas besser war die Verpflegung der Kinder unter acht Jahren. Ab und an bekamen sie die Reste der
„Wachmanns-Suppe“, ihr Brot war manchmal mit Margarine bestrichen. Milch bekamen auch die
jüngsten Kinder grundsätzlich nicht. Täglich wurden aus der Landwirtschaft in Dzierżąznia indessen
Magermilch für die Schweine und Vollmilch für das Lagerpersonal geliefert. Frisches Obst und Gemüse aus der Lagergärtnerei sowie Fleisch waren dem Lagerpersonal vorbehalten.59
Einmal im Monat durften die Häftlinge Pakete empfangen. Behalten durften sie Lebensmittel, die
offiziell für die polnische Bevölkerung auf Lebensmittelkarten erworben werden durften, und die sie
in drei Tagen allein aufessen konnten.60 Unerlaubte Lebensmittel wurden konfisziert, Paketreste nach
drei Tagen an Mithäftlinge ausgeteilt. Zugeschickte wärmere Kleidung (Handschuhe, Pullover, Socken, Strumpfhosen, Schals) wurde – außer an kleine Kinder – in der Regel nicht an die Häftlinge weitergegeben. Auf Grund der familiären Situation bekam nur ein geringer Teil der Insassen diese Art
von Unterstützung.61
„Ich habe meinem Sohn sehr oft Pakete geschickt und nur durch sie hat er überlebt. Nachdem er nach Hause zurückkehrt war, erzählte er, dass ihm die kostbarsten Lebensmittel wie
Zucker, Butter, Speck, sogar Weißbrot von den KZ-Aufsehern weggenommen worden waren.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen bekam ich die Erlaubnis, meinen Sohn zu sehen. Ich
fuhr nach Łódź und sah meinen Sohn, der abgemagert, kahlköpfig, blass war und einen grauen Sträflingsanzug und Holzschuhe trug. Als er mich sah, fing er an zu weinen, aber der Nazi,
der daneben stand, hat ihm befohlen aufzuhören, da wir ansonsten getrennt würden. Den
anderen Kindern hat er ebenfalls verboten zu weinen“62
Nur wenige Insassen bekamen Besuch von Familienangehörigen. Dieser musste beantragt werden,
durfte aber nur einmal im halben Jahr stattfinden. Briefe durften die jungen Häftlinge nach der
Hausordnung einmal im Monat schreiben und empfangen.63
5. Medizinische Versorgung und Hygiene
„Der allgemeine Gesundheitszustand der Zöglinge ist als gut zu bezeichnen“64
58
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 139
59
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 120, 194
60
Vgl. Auszug aus der Lagerhausordnung, in: Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 183
61
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 121 und 188 f.
62
Bericht von Helena Wojdak, Mutter von Henryk Wojdak, der 1943 in einer Straßenrazzia in Krakau aufgegriffen worden war und bis 1945 im Lager Litzmannstadt gefangen gehalten wurde, in: Witkowski, Hitlerowski
obóz ..., S. 81
63
Vgl. Auszug aus der Lagerhausordnung, in: Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 183
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17
Die Sanitätsberichte für die Monate November 1943, April, August und November 1944 enthielten
u.a. folgende Zahlangaben:65
November 1943:
Durchschnittliche Belegstärke: 1086; Zahl der Todesfälle: 2; Zahl der Infektionskrankheiten: 263, darunter Flecktyphus: 205; Zahl der Krankenhausaufenthalte: 198; Stationäre Behandlungen [auf der
Krankenstation des Lagers]: 64; Zahl der ambulanten Behandlungen: 370, darunter Hauterkrankungen und Furunkel: 183, Scheuerwunden: 46, Mundfäule: 55.
April 1944:
Durchschnittliche Belegstärke: 1059; Zahl der Todesfälle: 23; Zahl der Infektionskrankheiten: 55, darunter Lungentuberkulose: 50; Stationäre Behandlungen: 20; Zahl der ambulanten Behandlungen:
635, darunter: Hauterkrankungen und Furunkel: 101, Scheuerwunden: 46 , Zahnfleischentzündungen,
Augen- und Ohrenerkrankungen: 410, Verbrennungen und Erfrierungen: 48.
August 1944:
Durchschnittliche Belegstärke: 1034; Zahl der Todesfälle: 1; Zahl der Infektionskrankheiten: 53, darunter Lungentuberkulose: 15, Trachom: 16; Stationäre Behandlungen: 67; Zahl der ambulanten Behandlungen: 13889, darunter Hauterkrankungen und Furunkel: 101; Augenerkrankungen: 13800 [Rechnung stimmt nicht]. 506 an Augen erkrankte Kinder wurden isoliert und bekamen 2 Behandlungen am
Tag.
November 1944:
Durchschnittliche Belegstärke: 950; Zahl der Todesfälle: 0 ; Zahl Infektionskrankheiten: 62 , darunter
Lungentuberkulose: 1, Krätze: 40; Stationäre Behandlungen: 47; Zahl der ambulanten Behandlungen:
6598, darunter: Hauterkrankungen und Furunkel: 170, Scheuerwunden: 120, Augenerkrankungen:
6150, Verbrennungen und Erfrierungen: 87.
Die Richtigkeit der monatlichen Sanitätsberichte wird von den Zeitzeugen insbesondere in Bezug auf
die Zahl und Ursachen der Todesfälle sowie auf die aufgewiesene Belegstärke in Frage gestellt.66
64
Ständige Formel in 14 erhalten gebliebenen Sanitätsberichten (für die Monate September 1943 bis September 1944 und November 1944), die an das Reichskriminalamt Berlin verschicht wurden
65
Zit. nach Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 141, 143 und 145
66
Vgl. Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 148
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18
.
Der Monatsbericht über den Sanitätsdienst für März 1944 enthält die Erklärung, die Hauterkrankungen
und Furunkel seien auf vitaminarme Kost und teilweise mangelnde Hauptpflege zurückzuführen; Archiv
für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
Die medizinische Versorgung und die Hygiene im Lager waren völlig unzureichend. Das Lager hatte
keine Kanalisation. Es herrschte Wassermangel. Die jungen Häftlinge bekamen nicht genug Trinkwasser. Das Waschen erfolgte bei jedem Wetter draußen an einem Brunnen und dauerte nur wenige
Minuten. Die Häftlinge bekamen auch nur vereinzelt Wechselwäsche. Seife und Waschpulver wurden
nicht oder nur in sehr geringen Mengen ausgegeben. Infolge ungenügender Hautpflege und vitaminarmer Ernährung litten die Kinder an Hauterkrankungen (Krätze, Furunkel). Ein weiteres gesundheitliches Problem und Risikofaktor war der Läusebefall. Ein Bad und eine Entlausungsstation wurden
erst Ende Januar 1944 in Betrieb genommen.67 Infolge des Vitamin- und Mineralstoffmangels er-
67
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 137 ff.
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19
krankten Kinder an Skorbut (Mundfäule)68. Der Eiweißmangel führte zu Hungerödemen, an denen im
August 1944 ca. 50 % der Häftlinge litten.69
Die Häftlinge litten unter Ohren- und Augenerkrankungen. Im Sommer 1944 mussten wegen Trachoms bzw. des Verdachts auf Trachom 506, also knapp die Hälfte der Kinder behandelt und isoliert
werden (vgl. oben die Zahlangaben aus dem Sanitätsbericht für August 1944). Lungentuberkulose
und Lungenentzündungen hatten häufig einen tödlichen Verlauf. Weitere offiziell registrierte Todesursachen waren Nierenentzündungen, plötzlicher Herztod und Erschöpfungszustand. Es konnte allerdings nachgewiesen werden, dass die Angaben zu Todesursachen zum Teil zur Vertuschung der im
Lager begangenen Morde gefälscht wurden.70
Das Lager hatte keine zahnheilkundliche Betreuung und bis Sommer 1943 keine ärztliche Betreuung.
Ab dem Sommer 1943 ordinierte im Lager auf Anordnung der Gestapo zweimal in der Woche jeweils
eine Stunde lang der polnische Internist Dr. Leon Urbański. Der Arzt durfte nur Kinder behandeln, für
die die Sanitäterin Sydomia Bayer, die Leiterin der Krankenstation, die Behandlung zuließ. Die Versorgung mit Medikamenten war miserabel. Über die Verabreichung von vorhandenen Medikamenten entschied ebenso nicht der Arzt, sondern Sydomia Bayer. Dr. Urbański wurde von der Widerstandsbewegung unterstützt und behandelte Kinder heimlich mit mitgebrachten Medikamenten.71
„Als ich erkrankte, wurde ich auf die Krankenstation geschickt. Dort lag ein Mädchen namens
Gertrud … vielleicht Weinhold mit Nachnamen. Sie war an Hirnhautentzündung erkrankt. Dr.
Vogl wollte ihr ein Arzneimittel geben, aber Frau Bayer war nicht einverstanden und sagte,
für solche Drecksäcke seien die Medikamente zu schade, sie sollten verrecken. Das Mädchen
mussten wir festhalten, weil sie aus ihrem Bett geflüchtet war und nach ihrer Mama gerufen
hat. […] Nach dem Ausbruch der Typhusepidemie wurde weiterhin weder Seife noch Waschpulver ausgegeben. Wegen Dreck wurden wir aber geschlagen.72
Die katastrophalen sanitären Zustände führten im November 1943 zum Ausbruch einer Flecktyphusepidemie. Kurz vor Weihnachten wurde das Lager unter Quarantäne gestellt. Aus dem Ghetto wurde
der tschechische Kinderarzt Dr. Emil Vogl gebracht, der bereits im Zigeunerlager des Ghettos Typhus
behandelt hatte. Die erkrankten Kinder wurden in das Ghettokrankenhaus für Infektionskrankheiten
in der Dworska Straße (Martrosengasse) gebracht. Für die dortigen jüdischen Patienten bedeutete
das eine sofortige Entlassung:
„Vorgestern [22. Dezember 1943] wurden aus dem Spital alle Patienten hinausgeworfen. […]
Hinterher stellte sich heraus, dass ein Transport von Jungen aus dem polnischen Lager, dem
sogenannten Polenjugendlager, in das Spital kam, das an den Jüdischen Friedhof angrenzt.
68
Vgl. monatliche Sanitätsberichte, in: Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 140 ff.
69
Vgl. Brief von Dr. Emil Vogl an Józef Witkowski, abgedruckt in Witkowski: Dalsze informacje…, S. 104
70
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 149, 322
71
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 137
72
Bericht von Gertruda Nowak-Skrzypczak, die in den Jahren 1943–45 im Kinder-Konzentrationslager
Litzmannstadt gefangen gehalten wurde, in: Witkowski, Hitlerowski obóz …, S. 150
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20
Es waren über hundert, im Alter zwischen 12 und 15 Jahren. […] Als Sie gewaschen wurden –
und sie waren sehr schmutzig – bot sich den Augen der Ärzte und Schwestern ein furchtbarer
Anblick. Die Körper ausgemergelt, Haut und Knochen, die Spuren unmenschlicher Schläge
und Folter trugen. Die Schultern mit eiterndem Schorf bedeckt, einige von ihnen hatten gebrochene Gliedmaßen und Finger. Die Kinder litten an Flecktyphus und kein deutscher Arzt
wollte sie behandeln. Gegenwärtig hat sich dieser Aufgabe ein ganzer Stab jüdischer Ärzte
angenommen.“73
Die Ghettochronik verzeichnet für den Winter 1943/44 die Zahl von insgesamt 281 Kindern, die ins
Ghettokrankenhaus eingeliefert wurden.74 Die Ghettochronik vom 2. März 1944 berichtet, dass sämtliche Kinder das Spital gesund verlassen hätten und kein einziger Todesfall zu verzeichnen gewesen
sei.75 Dr. Vogl berichtet von einer niedrigen Sterberate. Nach den Untersuchungen von J. Witkowski
starben bereits im November 1943 auf dem Lagergelände sehr viele Kinder an Typhus. Witkowski
bezweifelt die Zahlangaben in den offiziellen Sanitätsberichten (November 1943: 2 Todesfälle, Dezember 1943: 5 Todesfälle usw.). Er geht von mehreren Hundert Todesfällen infolge des Typhus aus.
Er weist auch auf weitere mögliche Ungereimtheiten und Verfälschungen der Sanitätsberichte hin.76
Ehemalige Häftlinge und zum Teil auch das Lagerpersonal sprechen von massenhaftem Sterben im
Lager während der Epidemie.77 Nach der Aussage von Stanisław Stępniak musste für die vielen toten
Kinder eine neue Leichenhalle eingerichtet werden.78 Die Leichen würden nachts auf den Jüdischen
Friedhof rausgefahren und dort begraben.79
„1943/1944 brach die Typhusepidemie aus. Die Kranken wurden ins Ghetto-Krankenhaus
gebracht, aber auf dem Lagergelände sind sehr viele Häftlinge gestorben. […] Nachts wurden
aus der Leichenhalle Tote mit einer Pferdekutsche rausgefahren und auf dem Jüdischen
Friedhof begraben. Ich habe die Toten nachts in die Leichenhalle gebracht. Ein paar Mal habe
ich dort beim Hinbringen der Toten nackt ausgezogene Kinder gesehen, die sich noch rührten. Auch andere Häftlinge, die die Toten dort hinbrachten, haben das gesehen.80“
Dr. Vogl berichtet, dass er nur auf der Krankenstation unter der Aufsicht der Leiterin Sydomia Bayer
behandeln und dass er sich auf dem Lagergelände nicht frei bewegen durfte. Nach seinen Aussagen
73
Tagebuch von Jakub Poznański, Insasse von Ghetto Litzmannstadt, Eintrag vom 24. Dezember 1943, in: Loose
I.(Hrsg.): Jakub Poznański: Tagebuch aus dem Ghetto Litzmannstadt, Berlin 2011
74
Getto-Chronik, Einträge vom 24.12.1943, 15. 01.1944 und 2.03.1944; in: http://www.getto-chronik.de abgerufen am 7.01.2013
75
Getto-Chronik, Eintrag vom 2. März 1944, in: http://www.getto-chronik.de (abgerufen am 7.01.2013)
76
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 141, 146
77
Witkowski, S. 149 ff.
78
Zit. nach Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 150 f.
79
Ebenda
80
Bericht von Stanisław Stępniak, der als junger Lagerinsasse beim Begraben der an Typhus gestorbenen Kinder
eingesetzt wurde; einen ähnlichen Bericht liefert Gertruda Nowak-Skrzypczak, die Dr. Vogl beim Heraussuchen
der an Typhus erkrankten Kinder assistierte, in: Witkowski, Hitlerowski obóz …, S. 149 ff.
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wurde der Gesundheitszustand der Kinder mit der Zeit immer schlechter und erreichte im August
1944 seinen Tiefststand. Im August 1944 wurde Dr. Vogl nach Auschwitz abtransportiert.81
„Medikamente habe ich von niemandem bekommen; ein Teil stammte aus dem Ghetto, einen Teil stahl ich den Deutschen.“82
Kinder mit Blasenschwäche wurden auf Initiative von Sydomia Bayer 1943 in einer zum Abriss bestimmten Bruchbude abgesondert, im so genannten Block 8. Die Kinder schliefen dort zusammengepfercht auf einer großen Holzpritsche ohne Strohsäcke. In den Fenstern fehlten zum Teil Fensterscheiben, die Bedachung war undicht. Das Haus 8 wurde nicht beheizt. Wegen des Geruchs wurden
die Kinder meist draußen beschäftigt und damit erneut der Kälte ausgesetzt. Bei Erkrankungen wurden sie nur selten in die Krankenstation zur Behandlung gebracht.
„Es gab dort einen Block 8. Da lebten die Halbtoten.“83
Es wurden im Gegenteil teilweise Tuberkuloseerkrankte im Block der Kinder, die einnässten, untergebracht, so dass es zu Ansteckungen kam. Die Kinder aus dem Block 8 bekamen gekürzte Essensrationen. Mit der Zeit magerten sie bis auf Haut und Knochen ab. Sie waren sehr geschwächt, bewegten sich nur langsam und reagierten apathisch oder gar nicht auf die Umgebung, manche reagierten
nicht einmal mehr auf Schläge. Das Lager kannte das sog. Muselmann-Syndrom. Besonders die Winterzeit war für die Kinder schwer zu überstehen: „Sie starben im Schlaf, während sie für die Suppe
anstanden, im Stehen und im Sitzen...“, schreibt der ehemalige Häftling Witkowski.84
Edward Baran (geb. 1939) Lagerhäftling vom Oktober 1943 bis Juli 1944, litt
u.a. unter Augenerkrankungen, Skorbut, Lungenentzündungen. Nach seiner
Entlassung folgte ein mehrmonatiger Aufenthalt im Krankenhaus. Das Foto
wurde von den Eltern nach der Rückkehr des Sohnes gefertigt.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1944, nach der Entlassung von Sydomia Bayer, hat sich die Situation
dieser Häftlingsgruppe gebessert; der Block 8 wurde renoviert.85
6. Körperliche Gewalt, Misshandlungen, Strafen
81
Brief von Dr. Emil Vogl an Józef Witkowski, abgedruckt in Witkowski: Dalsze informacje…, S. 104
82
Ebenda
83
Erinnerungen von Jan Jaskot ( geb. 1932) , in: Witkowski, Hitlerowski obóz …, S. 156.
84
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 155
85
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 155
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„Der Pole als Knecht gehorcht, er erhält für seine Arbeit seinen Unterhalt und wenn er faul und träge wird, muss mit der Knute nachgeholfen werden[…]“
„An den Erzieher sind […] keinerlei große pädagogische Anforderungen zu stellen. Bei ihm kommt es vor allem darauf an, dass er eine in sich weltanschaulich und charakterlich festgelegte Persönlichkeit ist, die sich durchzusetzen vermag.86“
(Dr. Karl Wilhelm Albert, 30.08.1941)
Zur Durchsetzung des Lagerregimes mit seiner rücksichtlosen Ausnutzung der Arbeitskraft, der existenzbedrohlichen Verpflegung und unzureichenden sanitären Versorgung wurden harte körperliche
Gewalt (Auspeitschen), Essensentzug, Arrest und Unterbringung im sog. Strafblock angewendet. Weitere Bestrafungsmöglichkeiten bestanden in der Anordnung von zusätzlicher Arbeit, Nachtdienst,
dem Verbot des Briefeschreibens und -empfangs, dem Verbot des Empfangs von Besuchen und Paketen, der Anordung von Marschieren auf dem Lagergelände bis zur Erschöpfung und Sportdrill (Hochstrecksprünge, Sackhüpfen, durch den Schlamm robben etc.).
In der Rechtslosigkeit des Lagers waren die Kinder der „erzieherischen“ Gewalt und Willkür der SSMänner und ihrer Helfer, darunter der jungen Funktionshäftlinge und der Handwerker, absolut ausgeliefert. Geschlagen wurden die Kinder wegen Nichterfüllung der Arbeitsnormen, (unterstellter)
Sabotage, schlechten oder nachlassenden Arbeitsleistungen oder dem Einlegen von Arbeitspausen:
„In der Werkstatt, wo die Nägel gerade gebogen wurden, war der Meister ein Deutscher. Ich sah, wie
er meine Kollegen blutig geschlagen und verwundet hat. Er schlug wegen der Nichterfüllung der
Norm oder weil er 2–3 Nägel nicht genügend gerade gebogen fand. Er hat Kinder geschlagen, die sich
einen Moment Pause gegönnt haben. Es haben dort Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren gearbeitet.“87
Mit Verbitterung erinnern sich ehemalige Insassen an die Gewalt seitens der polnischen bzw. volksdeutschen Aufseher:
„Die Häftlinge haben Wasser gepumpt. Als die Helfer der Nazis dort vorbeigingen, ist dem Helfer
Stankiewicz aufgefallen, dass sich ein Häftling an die Pumpe lehnte und nicht pumpte. Daraufhin
fingen Nowak und Stankiewicz abwechselnd an, ihn zu verprügeln. Borkowski, Nowak, Pośpiech und
Stankiewicz waren Leute, die die Nazis im Quälen der Häftlinge häufig noch übertrafen. Sie waren
eifrige Lakaien der Nazis.“88
Als schweres Vergehen zählte im Lager der „Diebstahl“ von Nahrungsmitteln. In der Lagerkarte von
Augusta Borowiec aus der Lagerfiliale in Dzierżąznia wurden folgende Strafen vermerkt:
86
Dr. Karl Wilhelm Albert, der Polizeipräsident Litzmannstadt, Vorschlag über die Beschäftigung und Arbeitsverteilung der in das Jugendverwahrlager einzuweisenden polnischen Jugendlichen vom 30. 08.1941; Archiv für
die Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
87
Bericht von Zbigniew Lewandowski (geb. 1930), in: Witkowski, Hitlerowski obóz …, S. 131
88
Bericht von Franciszek Gałka (geb. 1927), in: Witkowski, Hitlerowski obóz …, S. 170
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23
„20.04.1944: 10 Stockhiebe wegen Diebstahls einer Butterstulle, 03.08.1944 20 Stockhiebe, 3 Tage
Arrestzelle und 6 Monate Entzug von Vergünstigungen wegen Diebstahls von Äpfeln“
Augusta Borowiec hat die Bestrafung als lebensbedrohlich in Erinnerung behalten:
„Wir arbeiteten dort sehr hart von 4 Uhr morgens bis zur Abenddämmerung. Es herrschte Hunger.
Ich konnte der Versuchung nicht wiederstehen und habe zwei Äpfel vom Baum abgerissen. Fuge (der
Lagerleiter) hat das gesehen. Bestraft wurde ich von ihm mit schwerem Auspeitschen: 20 Hiebe und
Hungerarrest im Keller, wo die Ratten waren. Auf dem Appell bekam ich drei Tage, aber ich saß dort
mehrere Tage. Ich bin dort nur dank Hilfe der Kolleginnen nicht vor Hunger gestorben.“89
Leokadia Dziedzic; 16.08.1944: Haare abgeschnitten wegen Ungehorsam. Hat Kartoffeln
umgetauschen [Original], was ist verboten. Kommt zu Stufe III.90 [Häftlingskategorie: Unverbesserliche]
Halina Szturma: 15.09.1943: 3 Tage Arrest: Hat ihr Kleid an eine Freundin geborgt.91
Urszula Noga (geb 1930)
Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager Litzmannstadt
89
Bericht von Augustyna Borowiec (geb. 1929), In: Witkowski, Hitlerowski obóz …, S. 168, 252 f.
90
Mit „Stufe III“ wurde die Häftlingskategorie der „Unverbesserlichen“ bezeichnet, vgl. Witkowski, Hitlerowski
obóz ..., Fotodokumentation, Nr. 275
91
Vermerk in der Lagerkarte von Halina Szturma, in Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 168
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Lagerkarte von Urszula Noga, in der Lagerfiliale Dzierżąznia untergebracht; als Strafen sind 20 Stockhiebe
wegen Diebstahls von Äpfeln und Ungehorsam sowie das Abschneiden der Haare wegen Diebstahls von
Kartoffeln vermerkt. Der Eintrag „kommt zu Stufe III“ bedeutet, dass Urszula wegen ihrer „Vergehen“ in der
Kartei nunmehr als „Unverbesserliche“ geführt wurde. Häufig zog diese Einstufung die Umlegung in das
Hauptlager in Łodz nach sich. Mit „Stufe“ I wurden „Neuankömmlinge“ und mit „Stufe II“ „Besserungsfähige“ bezeichnet.
Quelle: Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bestand Jugendkonzentrationslager
Litzmannstadt.
Die ausgehungerten Kinder suchten im Müll nach Speiseresten, aßen ausgeschüttete Suppe vom
Boden und verspeisten gekochten Klebstoff. Die Kinder nahmen sich gegenseitig ihr Brot oder forderten einen Anteil am Paket des anderen. Das Bestehlen anderer Kinder wurde von den jungen Insassen als „Organisieren“ bezeichnet und meist positiv assoziiert. Mit der Mangelware Brot wurde gehandelt. Man borgte eine halbe Scheibe und bekam dafür am Tag darauf eine ganze. Insbesondere
für Funktionshäftlinge (Stubenälteste, Hausälteste) eröffnete sich in Beziehungen zu anderen Kindern
ein straffreier Raum. Die 14- bis 16-Jährigen durften die anderen Kinder nach eigenem Ermessen
körperlich bestrafen, Strafübungen oder Strafarbeiten verordnen oder die anderen Kinder bestehlen92.
Im Lager Łodz wurden Kinder über 8 Jahren zur „Strafe“ für bis zu zwei Wochen in Dunkelzellen eingesperrt. Das Lager hatte 5 bis 6 Zellen in einem gesonderten unbeheizten und feuchten Gebäude
mit Betonböden:93
„Mit Karzer wurden nur ältere Kinder bestraft, die über 8 Jahre alt waren.“94
92
Witkowski: Hitlerowski obóz ..., S. 196 ff.
93
Hrabar, R. u.a., Kriegsschicksale polnischer Kinder, S. 87 Witkowski, J.: Hitlerowski obóz ..., S. 57 f. und 167
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Zur Einschüchterung wurden die Kinder manchmal zusammen mit den Leichen ihrer Mithäftlinge
eingeschlossen: Eine der Arrestzellen diente als Leichenraum. Auf den Aufenthalt in der Dunkelzelle
folgte häufig die Verlegung in den sog. Strafblock. Danach kamen die Häftlinge häufig in die Krankenstation des Lagers oder in den sog. Block für „Bettnässer“.95
Ebenfalls als Strafe haben die Kinder das tägliche Reinigen mit kaltem Wasser draußen am Brunnen
empfunden, das bei jedem Wetter stattfand. Die Sekundärtugenden Sauberkeit und Ordnung wurden auf sehr verwirrende und willkürliche Weise mit Gewalt durchgesetzt. Oft wurden sie nur als
Vorwand gebraucht, um die Kinder zu misshandeln oder Feindseligkeiten unter ihnen zu schüren und
sie zu demoralisieren:
„Ich erinnere mich, dass ein SS-Mann bei einem Appell in unserer Baracke vorbeikam. Wir standen
wie immer in Zweierreihen, ausgezogen und barfuß. Als sich der SS-Mann sein Opfer ausgesucht hatte, berührte er es mit seinem Stock und stellte fest, dass es ein Dreckfink sei. Er befahl uns allen, die
Bretter aus den Betten rauszunehmen und zuzuschlagen. Wer keinen Eifer zeigte, dem zeigte er, wie
er zuzuschlagen hat.“96
„Die Kinder wurden in zwei Reihen Kopf an Kopf gegenübergestellt und mussten gegenseitig die Läuse suchen. Das Finden einer Laus wurde mit einer Scheibe Brot oder einer Suppenzulage belohnt. Das
Kind aber, bei dem die Laus gefunden wurde, wurde mit Peitschhieben und Essensentzug bestraft.“97
„Sie haben versucht, die Solidarität und jede edlere Regung zu zerstören. Ausgezeichnet
wurde Kriecherei und Spitzelei. Sie waren bemüht, ihre „Kapos“ wie in Erwachsenenlagern
heranzubilden.“98
Solidarität unter Häftlingen wurde auf grausame Weise sanktioniert:
„Zusammen mit mir war auf der Stube ein Junge namens Kafarski. Eines Tages entwendete er aus der
Küche zwei Laib Brot, das er unter uns, seinen Gefährten, teilte. Dafür hängten ihn die SS-Männer mit
den Beinen nach oben in der Garage auf. Sie benutzten dazu einen Flaschenzug, mit dessen Hilfe sie
den Kopf des Jungen in einen Kanal, in dem sich verbrauchtes Öl und Schmierfett befand, tauchten.
Der Junge starb zwei Tage nach diesen Folterungen.“99
Das Gemeinschaftsgefühl und gegenseitige Hilfe konnte nicht völlig unterbunden werden. Józef
Witkowski beschreibt, dass die jungen Insassen im Verlauf eines Lernprozesses Wege gefunden haben, wenigstens gelegentlich auch als Gemeinschaft gegen zu eifrige Funktionshäftlinge und „Spitzel“
vorzugehen.100 Das Gemeinschaftgefühl wurde durch das heimliche Singen von polnischen Liedern
94
Witkowski: Hitlerowski obóz ..., S. 167
95
Witkowski, Hitlerowski obóz ...,
96
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 171
97
Witkowski, Dalsze Informacje, S. 103 f.
98
Maria Jaworska (geb. 1928), in: Witkowski, Dalsze informacje..., S. 107
99
Bericht von Stanisław Bandrowski (1929), der Anfang 1943 bis zum Sommer 1944 ins Polenjugendverwahrlager Litzmannstadt überstellt wurde. Nach der Entlassung aus dem Lager wurde er zur Zwangsarbeit in der
Landwirtschaft verbracht, vgl. Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 159, 250
100
Witkowski, Dalsze informacje..., S. 103
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gestärkt, wie etwa der polnischen Nationalhymne: „Noch ist Polen nicht verloren…“101 Insgesamt
jedoch führten die harten Lebensbedingungen und die Gewalterfahrungen häufig zu emotionaler
Abstumpfung, die Kinder handelten nurmehr mit dem Ziel der Selbsterhaltung. Das ständige Weinen
der Kleinkinder im Kinderblock weckte allerdings das Mitgefühl manch älteren Kindes. Einige ältere
Mädchen kümmerten sich nach Möglichkeit aus eigener Initiative um die Kleinen. Ein Junge, der im
Pferdestall arbeitete, brachte unter den Block der Kleinkinder regelmäßig „organisierte“ gedampfte
Kartoffeln. An die Kleinsten wurde auch Süßes aus den Paketen weitergereicht. Kranke Kinder wurden nicht selten von ihren Kollegen heimlich auf der Station besucht und mit Essen versorgt. Auf
einigen Stuben pflegten die Kinder die ankommenden Pakete immer an alle zu verteilen. Es kam auch
vor, dass die Kinder in Briefen um Zusendung von Paketen für ihre Kollegen baten. Schließlich verschonten manche Funktionshäftlinge 8- bis 10-jährige Kinder unter verschiedenen Vorwänden von
kollektiven Bestrafungen und befreiten sie von den Nachtdiensten.102
Einige Aufseher und Handwerker sind den ehemaligen Kinderhäftlingen in guter Erinnerung geblieben. Der „alte Gärtner“, ein ukrainischer SS-Mann namens Lechner oder Lechmann drückte beim
Einpflanzen von Gemüse ein Auge zu: die Jungen konnten Bohnen oder Kartoffeln, die sie einpflanzen
sollten, mitnehmen. Er gab den Kindern auch oft Zwiebeln, Knoblauch, Karotten oder Kartoffeln. Er
half den Jungen bei der Arbeit und übernahm selbst die schwersten Arbeiten. Ein weiterer SS-Mann,
Gross, ließ es zu, dass die Jungen in einem Versteck unter dem Fußboden in seinem Büro „organisiertes“ Obst und Gemüse aufbewahrten. Fühlte er sich vom Lagerführer oder dem SS-Mann Hausch
beobachtet, so schrie er die Kinder an und verprügelte sie so, dass sie keinen größeren Schaden davontrugen. Mit Absicht ließ er angebrochene Brotstücke in den Mülleimer fallen. Kurz vor der Lagerbefreiung im Januar 1945 warnte er die Jungen vor einer möglichen „Liquidierung“ des Lagers und
sagte ihnen, sie sollen sich bei Gefahr in seinem Büro unter dem Fußboden verstecken.103 Die in der
Schneiderei beschäftigten Mädchen erinnern sich an sehr harte Arbeit, aber auch an eine ruhige und
heitere Arbeitsatmosphäre. Die dort als Aufseherin beschäftigte Polin Stefania Otto-Szafrańska sorgte für „Suppenzulagen“ für die Mädchen. Im Vorwerk Dzierżąznia ließ die Betreuerin Helena Biedermann die Mädchen unter Vorwänden zu sich nach Hause gehen, wo sie von ihrer Mutter mit heißer
Milch oder Mittagessen aufgepäppelt wurden. Sie führte die vom Lagerführer Fuge verordneten körperlichen Strafen nicht aus, sondern teilte den Mädchen nur mit, dass sie bestraft worden sind.
Manchmal täuschte sie in Absprache mit den Mädchen, die schreien sollten, die Prügelstrafe nur vor.
Bei ihr zu Hause kam es auch zu unerlaubten Besuchen der Kinder durch die Familie.104
Ehemalige Häftlinge berichten von einer panischen Angst vor dem Besuch der Krankenstation des
Lagers, wo Kinder auf grausame und sadistische Weise misshandelt wurden. Vor der Aufnahme auf
die Station wurde mit Schlägen getestet, ob das Kind tatsächlich krank ist und nicht etwa simuliert,
um der Arbeit zu entkommen. Sydomia Bayer schlug die Kinder mit Peitschen, die Kindernamen (etwa „Kazimierz“, „Mary“) trugen. Kranke Kinder bekamen nur eine halbe Essensration. Schnittwunden
und eiternde Wunden wurden mit dem scharfen Desinfektionsmittel Lysol behandelt. Viele Kinder
wurden überhaupt nicht behandelt und bei geringen oder ohne „Vergehen“ (etwa es nicht auf die
101
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 136
102
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 202 ff.
103
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 129
104
Witkowski, Hitlerowski obóz ...,S. 236
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27
Toilette zu schaffen) verprügelt. Kinder, die die Krankenstation nur besuchten, berichten von den
Leichen, die sie dort sahen.105
„Die Bereichsärztin Bayer kam zum Krätzeraum und schlug die nackten Kinder dort, so dass Blut nur
spritzte. Die Bayer lachte dabei. Ich brachte die Toten in die Leichenhalle.“106
„Ich traf Gertruda 1943 in Łodz wieder. Ich wurde auf die Krankenstation bestellt, wo man mich über
ihre vermeintliche Krankheit unterrichtete. Gertruda klagte, dass sie jeden Tag fürchterlich durch die
Vorgesetzte dort geprügelt wird […] Als ich sie das vorletzte Mal vor ihrem Tode sah, sah sie einfach
makaber aus. Sie war übel zugerichtet, geschwollen und blau. […] Ein paar Tage später kam ein Krankenwagen […] Bis heute weiß ich nicht, wo sie begraben ist.“107
Sydomia Bayer ließ kranke Kinder in den Schnee hinaustragen und mit Wasser übergießen. Nach dem
Krieg konnte ihr in einem Prozess vor dem Woiwodschaftsgericht Łodz der auf diese Weise begangene Mord an Urszula Kaczmarek nachgewiesen werden. Urszula Kaczmarek, in einer Straßenrazzia in
Poznań aufgegriffen, starb nach 5-monatigem Lageraufenthalt am 9. Mai 1943 an Lungenentzündung. In der Todesmeldung wurde als Todesursache „Herzschlag“ angegeben. Sydomia Bayer wurde
zum Tode verurteilt.108
Mitte 1943 wurde auf Initiative Alfred Hausch, des Leiters des Jungenlagers, ein Strafblock eingerichtet. Den Häftlingen aus diesem Block wurden die schwersten Arbeiten zugewiesen. Sie durften sich
nur im Laufschritt bewegen. Fehlte es an sinnvoller Arbeit, so wurden sie mit sinnlosen Beschäftigungen auf Trab gehalten, so hatten sie etwa Steine oder Sand hin- und herzutragen. Sie durften weder
Briefe noch Pakete erhalten und keinen Besuch empfangen. Ihre Kleidung wurde mit roter Farbe
gekennzeichnet. Die Kennzeichnung signalisierte auch den Mithäftlingen, dass sie von jeglichem
Schutz rausgenommen sind:
„Jeder Mithäftling durfte sie schlagen, auch erschlagen; der Tat wurde nicht nachgegangen.“109
Zu vielen Misshandlungen und Morden an Kindern kam es während und nach der Typhusepidemie.
Das Lagerpersonal durfte wegen der verhängten Quarantäne Weihnachten nicht zu Hause verbringen, was einige Aufseher sehr entzürnt hatte. Erinnerung an einen der ersten Häftlinge im Lager, das
Mordopfer Józef Jatczyk:
„Besonders ist ein großer und fürchterlich magerer Junge aufgefallen. Er trug die Nummer 8. Sein
Name war Józef Fatti […]. Er hat kaum gesprochen. Er wiederholte immer wieder seinen Namen,
wobei er seinen Nachnamen gebrochen aussprach. Der SS-Mann August [ein „Erzieher“] quälte ihn
von Anfang an und verpasste keine Gelegenheit, ihn mit seinem Stock zu schlagen. Józef war in ei105
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 149 ff.
106
Kazimierz Pachólski, in: Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 152
107
Erinnerungen von Bronislaw Weinhold, Bruder von der Gertruda Weinhold. Bronislaw und Gertruda wurden
zusammen mit ihren Eltern und zwei jüngeren Geschwistern verhaftet, weil die Eltern eine Eintragung in die
Deutsche Volksliste verweigert haben; in der Todesmeldung wurde als Todesursache Hirnhautentzündung
angegeben. Hitlerowski obóz ..., S. 164 und 285
108
Vgl. Hepp, Denn ihrer ward die Hölle …, S. 56
109
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 167 f.
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28
nem solchen Zustand, dass er weder auf Schläge noch auf Befehle reagierte. Die SS-Männer haben
sich ein Spiel daraus gemacht, Józefs Grenzen und Möglichkeiten zu testen. Sie schlugen ihm vor 20
Liter Suppe zu essen. Davor musste er aber 5 Liter Kaffeesatz essen. Józef hat das aufgegessen. Danach konnte es sich aber nicht gut bewegen. Das hatte den SS-Mann August rasend gemacht. Er
schlug auf Józef mit dem Stock ein. Das brachte aber nichts. Daraufhin schlug er ihn mit einem 6 cm
dicken Stiel. Er schlug so stark zu, dass der Stiel zerbrach. Józef wurde auf die Krankenstation gebracht. Später hat man den Jungs in der Dunkelzelle den Sarg mit seiner Leiche gezeigt, um sie einzuschüchtern.“110
7. Germanisierung
Das, was in den Völkern [des Ostens] an gutem Blut unserer Art
vorhanden ist, werden wir uns holen, indem wir, wenn notwendig,
die Kinder rauben und sie bei uns großziehen111
(Heinrich Himmler, Oktober 1943)
Gemäß Pkt. 8 des Erlasses des RSHA (Reichssicherheitshauptamtes) VA 3 Nr. 3050/42 vom 28.
11.1942 wurde die Lagerleitung beauftragt, im Benehmen mit dem SS-Rasse- und Siedlungshauptamt
(RuSHA) die „Prüfung der Eindeutschungsfähigkeit der Polenkinder“ zu veranlassen. Von Anfang 1943
bis Ende 1944 fanden hierzu nach Ankunft jedes größeren Transports im Lager besondere Appelle,
sog. Rassenappelle statt. Das Interesse der anwesenden RuSHA-Mitarbeiter galt vor allem jüngeren
Kindern.112 Die selektierten Kinder und Jugendlichen wurden in das Lager des RuSHA im ehemaligen
Klostergebäude in der Sporna Straße 73 gebracht. Dort wurden sie detaillierten rassischen und psychologischen Untersuchungen unterzogen. Beobachtet und getestet wurde insbesondere auch ihre
Anpassungsbereitschaft an die Anforderungen im Lager des RuSHA. Den Kindern wurde nicht mitgeteilt, dass für sie eine „Eindeutschung“ in Frage kommt. Sie erhielten Deutschunterricht und wurden
für jeden Gebrauch der polnischen Sprache streng bestraft. Mit Verlegung in das „Rassenlager“ verbesserte sich ihre Lebenssituation, insbesondere bekamen sie eine bessere Verpflegung. Kinder aus
dem Polen-Jugendverwahrlager, die nach den Untersuchungen als „für (Wieder-)Eindeutschung ungeeignet“ eingestuft wurden, wurden in das Lager zurückgeschickt. Kinder die als „rassisch wertvoll“
eingestuft wurden, wurden, meist mit einigen Zwischenstationen113 in das Deutsche Reich
(„Altreich“) gebracht.114 Die älteren Kinder wurden anfänglich in sog. Deutschen Heimschulen untergebracht, wo sie weiter germanisiert wurden und anschließend als „volksdeutsche Ostkinder“ an
deutsche Familien vermittelt werden sollten. Bekannt sind Fälle, wo jene Kinder, die ihr Polentum
betonten, nur wenig Fortschritte im Deutschunterricht machten oder Blasenprobleme hatten, als
110
Erinnerungen von Zdzisław Włoszczyński (geb. 1928), in: Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. In der Todesanmeldung hat die Lagerführung als Todesursache Herzversagen angegeben. Józef Jatczyk ist nach fünf Monaten
Lageraufenthalt am 15. Mai 1943 verstorben.
111
Posener Rede des Reichsführers SS und Kommissars für die Festigung deutschen Volkstums, Heinrich Himmler, Oktober 1943
112
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 173 f.
113
Assimilierungsheime wie z.B. das Gauskinderheim Kalisch, wo sie insbesondere auch verstärkt im Sinne der
NS-Ideologie geschult wurden (Ines Hopfer, Geraubte Identität S: 102 ff.
114
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 178 f.
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29
nicht vermittelbar bzw. nicht (wieder-)eindeutschungsfähig in das Polen-Jugendverwahrlager
Litzmannstadt überstellt wurden.115
Gut belegt ist das Schicksal der zwei germanisierten Töchter Alodia und Daria Witaszek, des Arztes
Dr. Franciszek Witaszek, des Leiters der Untergrundorganisation „Vergeltungsbund“ in Poznań und
Mosina. Dr. Witaszek und seine Mitarbeiter, u.a. Maria Gauss wurden im Januar 1943 in Fort VII in
Poznań hingerichtet. Nach der Hinrichtung wurde der abgetrennte Kopf von Dr. Witaszek in einem
Glas mit Spiritus aufbewahrt. Das Glas war mit der Aufschrift „Der Kopf eines intelligenten polnischen
Massenmörders“ versehen. Rassische Untersuchungen der Kinder des Erschossenen sowie seiner in
Fort VII inhaftierten Frau Halina folgten bereits im Februar 1943. Halina Witaszek wurde nach
Auschwitz gebracht. Die Töchter Alodia und Daria wurden zusammen mit anderen Kindern der Untergrundorganisation um Dr. Witaszek (sog. Terroristenkinder) ins Jugendverwahrlager Litzmannstadt
gebracht. Die beiden Mädchen waren nur etwa 4 bis 6 Wochen im Lager. Sie kamen ins Gaukinderheim Kalisch und später nach Bad Polzin bei Neustettin. Im Frühling 1944 sprachen die Mädchen nur
noch Deutsch. Das ältere Mädchen wurde als Alice Wittke an eine Familie in MecklenburgVorpommern, das jüngere als Dora Wittke an eine Familie bei Wien vermittelt. Die Mutter Halina
Witaszek hat das Konzentrationslager Auschwitz überlebt und nach dem Krieg mit Hilfe des Regierungsbeauftragten für die Rückforderung der polnischen Kinder Roman Hrabar die Töchter ausfindig
machen können. Die Suche hat zwei Jahre gedauert, erst im Herbst 1947 kamen die Mädchen zurück
nach Polen.116
8. Lagerbefreiung. Die Zahlen. Die Verantwortung
„Dorośli dzieciom zgotowali ten los.”117
Im Januar 1945 endete mit dem Einmarsch der Roten Armee die deutsche Besatzung Warthelands.
Die Deutschen zogen sich zurück. In der Nacht vom 17./18. Januar sahen die Häftlinge die Flammen
des Polizeigefängnisses in Radogoszcz. Der Leiter des Jungenlagers Hausch warnte die versammelten
Häftlinge, sie würden verbrannt, wenn sie rebellieren oder sich sonst nicht fügen würden. Auf dem
Dach des Verwaltungsgebäudes wurden Maschinengewehre aufgestellt. Alle Häftlinge wurden in zwei
Gebäuden zusammengepfercht.
Um die Gebäude herum liefen die Aufseher mit Behältern hin und her. In den Gebäuden herrschte
Panik. Manche Kinder wollten durch die Fenster fliehen, wurden aber von den anderen zurückgehalten. Plötzlich wurde es still. Die SS-Männer waren mit Autos abgeholt worden. Die Lagerdokumentation haben sie mitgenommen bzw. vernichtet.118
115
Ines Hopfer, Geraubte Identität…, S. 124
116
Bericht von Halina Witaszek, in: Wnuk, J.: Dzieci polskie oskarżają (Polnische Kinder klagen an), 2. veränderte und erweiterte Ausgabe, Lublin 1975, S. 50 f.
117
„Es waren Erwachsene, die den Kindern dieses Schicksal bereitet haben.” - in der polnischen Literatur in
Bezug auf das Lager Litzmannstadt gebräuchliche Abwandlung des vielzitierten, auf das Konzentrationslager
Auschwitz bezogenen Satzes in Zofia Nałkowska’s Werk „Medaillons“ („Medaliony) - „Menschen bereiteten
Menschen dieses Schicksal “ („Ludzie ludziom zgotowali ten los“).
118
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 242
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30
„Wir Mädchen aus der Küche fingen gewöhnlich halb vier oder um vier an zu arbeiten. Das
war auch an diesem Tag so, aber der Linke sagte uns, wir sollen in die Fässer reingehen, dort
stillsitzen und sich nicht rühren, wenn zum Appel geblasen wird, denn die wollten uns alle erschießen. Er sagte auch, wir sollen den anderen Bescheid sagen.119“
Die Anzahl der Häftlinge, die das Lager in der Zeit seines Bestehens durchliefen, lässt sich aufgrund
der Quellenlage kaum ermitteln. Nach Angaben von J. Witkowski haben etwa 800 bis 900 Kinder und
Jugendliche, darunter einige Duzend Mädchen aus der Lagerfiliale Dzierżąznia überlebt. In den erhaltenen Sanitätsberichten für die Monate September 1943 bis November 1944, die allerdings verfälscht sein können, wird die Belegstärke mit 926 bis 1086 Insassen angegeben. In der ersten Phase
seines Bestehens waren im Lager deutlich weniger Kinder inhaftiert. Im Fernschreiben vom 16. April
1943 teilt der Inspekteur der Konzentrationslager Glück Himmler mit, im Lager befänden sich 350
Kinder, das Lager hätte aber Platz für 2000 Häftlinge.120 Bis zum Ausbruch der Fleckfieberepidemie
Ende 1943 kamen viele Transporte an. Ende April 1943 wurden die Lagernummer 1759, Mitte September 1943 die Nummer 5889 vergeben. Die Höchste fortlaufende Lagernummer 7832 wurde Ende
1943 vergeben. In den letzten drei Monaten des Lagerbestehens kamen nur wenige Transporte an,
ältere Kinder wurden in dieser Zeit aus dem Lager herausgebracht. Ein Teil der Häftlinge wurde nach
Vollendung des 16. Lebensjahres aus dem Lager in Konzentrationslager überstellt. Durch Entlassung,
Tod oder Überstellung in KZ frei gewordene Nummern wurden erneut vergeben. Nicht bestimmt
werden kann die Anzahl der Kinder, die aus dem Lager zu Germanisierungszwecken weggebracht
wurden, sowie der Kinder, für die das Lager von Anfang an nur als Zwischenstation gedacht war. Die
Lagerführung operierte mit mehreren heute nicht überschaubaren Nummerierungssystemen.
Sehr schwer einzuschätzen ist die Anzahl der Todesopfer. Nach Zeitzeugenaussagen war die Sterblichkeit im Lager hoch. Kranke und weniger widerstandsfähige Kinder starben innerhalb kurzer Zeit
eines „natürlichen Todes“. Auf Grund der Verpflegung, der Kälte, der schweren Arbeit waren auch
andere Kinder schnell entkräftet und anfällig für Krankheiten. Im Prozess gegen Sydomia Bayer sagte
der ehemalige Arzt Dr. Urbański aus, es habe zwischen ihm und dem Lagerkommandanten ein Gespräch über die hohe Sterblichkeitsrate im Lager gegeben. Nicht geklärt werden kann die Zahl der
Mordopfer bzw. der Kinder, die infolge der körperlichen Züchtigungen und Misshandlungen verstorben sind. In gut 100 erhaltenen Todesmeldungen wird als die häufigste Todesursache Lungentuberkulose angegeben, daneben Nierenentzündungen, Erschöpfungszustand und plötzlicher Herztod.
Diese Angaben vertuschten zum Teil die begangenen Morde. Ein Dokument der Hauptkommission
zur Untersuchung der NS-Verbrechen in Polen enthält die Einschätzung; „Wahrscheinlich sind ca. 200
Kinder monatlich umgekommen“. Nach Aussagen der ehemaligen Häftlinge gab es einen bedeutenden Wechsel der Mithäftlinge, der Unterschied in der Belegstärke sei täglich spürbar gewesen. Einige
seien nicht von der Arbeit zurückgekommen.121 Nach Aussagen des Personals wurden Tote nachts
wegtransportiert, was die Einschätzungen erschwert. Die Sterblichkeit wird von ehemaligen Häftlingen und zwei Aufsehern auf ca. 1/3 geschätzt. Während die Sanitätsberichte keinen einzigen Todes-
119
Nelly Pawlowska-Pielaszewicz, in: Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 222
120
Hepp, Denn ihrer ward die Hölle …. S. 52, Witkowski, Hitlerowski obóz ... , 110
121
Wasiak, J.: Obóz dla dzieci i młodzieży polskiej przy ul. Przemysłowej (Das Lager für polnische Kinder und
Jugendliche in der Przemysłowa-Straße), Głowacki, A. / Abramowicz, S. (Hrsg.); in: Obozy hitlerowskie w Łodzi,
Łódź 1998, S. 167; zit: Wasiak, Obóz ...,
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31
fall direkt auf Typhus zurückführen, gehen ehemalige Häftlinge vom Tod von ca. 2/3 der üblichen
Belegstärke zu der Zeit aus.122
Die fragmentarische Dokumentation und die vorhandenen Zeitzeugenberichte erlauben keine Einschätzung der Anzahl der Todesfälle sowie der Personen, die das Lager durchlaufen haben. Die Einschätzung von J. Witkowski, der bei Annahme der Belegstärke von 2000-2500 Insassen von mindestens 12-13 Tsd. Kindern und Jugendlichen ausgeht, die das Lager durchliefen123, wird zum Teil als zu
hoch angesetzt bezeichnet.124 Sie kann jedoch auf Grund der Quellenlage wie auch niedrigere Einschätzungen weder wiederlegt oder bestätigt werden.
Unmessbar sind das erfahrene Leid und die Ausmaße des Unrechts, das den Kindern zugefügt wurde.
Etwa 90 % der Kinder haben infolge des Krieges mindestens einen Elternteil verloren, viele haben
ihre gesamte Verwandtschaft verloren. Im Lager haben sie Hunger, Kälte, Misshandlungen und tiefe
Missachtung ihrer Persönlichkeit erfahren. Die Erzieher des Städtischen Fürsorgenotdienstes in Łodz,
wo nach der Lagerbefreiung 233 der Kinder untergebracht wurden, berichteten von Verwilderung
der Kinder, ihrem absoluten Misstrauen gegenüber Erwachsenen und Übergriffen auf die Betreuer, in
denen sie ihre Lagererzieher sahen, vom Kampf um Lebensmittel, und einer lang andauernden Abneigung gegenüber dem organisierten Zusammenleben mit Schrillpfeifen und Appellen.125
Ärztliche Untersuchungen Ende der 60er Jahre von 150 zu dieser Zeit nunmehr 28- bis 42-jährigen
ehemaligen Lagerinsassen zeigten bei 53 % der Untersuchten Krankheiten des Verdauungstraktes,
Erkrankungen der Knochen und des Bewegungsapparates bei 52 %; bei 47 % psychische und neurotische Störungen und ähnliche Erkrankungen.126 Viele ehemalige Häftlinge waren nach dem Krieg zum
Teil oder ganz arbeitsunfähig und bezogen Invalidenrente.127
Anfang der 70er Jahre konnte der ehemalige Häftling Józef Witkowski nach einer aufwendigen Suche
in Polen ca. 300 ehemalige Häftlinge ausfindig machen. Auf persönliche Gespräche folgten schriftliche Antworten auf einen Fragebogen bzw. niedergeschriebene Erinnerungen sowie die Übergabe
vieler wertvoller Dokumente und Fotos. In seiner Monografie über das Lager nutzte der Autor u.a.
auch alle Ergebnisse der Ermittlungen der Łodzer Bezirkskommission zur Untersuchung der NSVerbrechen in Bezug auf das Polen-Jugendverwahrlager Litzmannstadt (12 Bände) und verwertete
darüber hinaus viele der zugänglichen deutschsprachigen Quellen. Sein Buch, das bislang nicht ins
Deutsche übersetzt ist, bleibt wegen der vielen Bezügen zu persönlichen Schicksalen der Kinderhäftlinge die einschlägige Quelle der Informationen über das Polenjugendverwahrlager Litzmannstadt.
Nach dem Krieg konnten einige Aufseher zur Verantwortung gezogen werden:
122
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 113 f.
123
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 109 ff.
124
So etwa Hepp, Denn ihrer ward die Hölle …, S. 71, Kosmala, Das Polenjugendverwahrlager …, S. 124
125
Niemyska-Hessenowa, M.: Dzieci z „Lagru” w Łodzi [Die Kinder aus dem „Lager” in Lodz]; in: Służba
społeczna, Nr. 1 (1946) , zit. nach Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 243.
126
Kempisty, Cz. / Frejtak, S.: Wstępne wyniki badań lekarskich byłych więźniów obozu dla dzieci i młodzieży w
Łodzi) Vorläufige Ergebnisse ärztlicher Untersuchungen an ehemaligen Häftlingen des Kinder- und Jugendlagers
in Lodz); in: Biuletyn Głównej Komisji Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce, Bd. 23 (1976), zit. nach Wasiak,
Obóz..., S. 167
127
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 244
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32
- Edward August (Ausbildung: vier Klassen Volksschule), einer der sadistischsten Aufseher, war vom
April 1943 bis Januar bis 1944 im Lager tätig. Nach einem Vorfall, bei dem er den Lagerführer beleidigte, wurde er aus dem Lager entlassen. Unmittelbar nach dem Krieg wurde er durch das Sonderstrafgericht in Łódź wegen zehnfachen Mordes an Kindern im Lager Litzmannstadt zum Tode verurteilt.
- Sydomia Bayer, vor dem Krieg als Verkäuferin, später als Arzthilfe und Aufseherin im Łodzer Frauengefängnis tätig, wurde Ende 1944 aus dem Lager entlassen. Nach dem Krieg wurde sie durch das
Woiwodschaftsgericht Łodz u.a. wegen des Mordes an Urszula Kaczmarek zum Tode verurteilt.
- Eugenia Pol /Genowefa Pohl (Ausbildung: sieben Klassen Volksschule) wurde 1942 als 19-Jährige
für die Kriminalpolizei angeworben und war bei Aufbau des Lagers als Aufseherin tätig. Nach dem
Krieg hat sie in Łodz als Kindergärtnerin gearbeitet. 1974 hat das Woiwodschaftsgericht Łodz sie zu
25 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
- Der Aufseher Teodor Busch (Ausbildung: vier Klassen Volksschule) ist 1945 im polnischen Gefängnis
verstorben.128
- Das Verfahren gegen den Lagerfüher Heinrich Fuge vor dem Landgericht Hamburg wurde 1978 aus
Altersgründen eingestellt.129
- Der Polizeipräsident von Litzmannstadt Dr. Karl Wilhelm Albert wurde im Zusammenhang mit NSVerbrechen niemals vernommen.130
- Dr. (seit 1950 Professor) Hans Muthesius, ehemals Reichsministerium des Inneren, war nach 1945
langjähriger Vorsitzender des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Für seine Arbeit auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge wurde er vielfach ausgezeichnet, u.a. 1953 mit Bundesverdienstkreuz.
128
Witkowski, Hitlerowski obóz ..., S. 48 ff., 52
129
ZstL, 203 AR-Z 182/1969, Bl. 27-193, Zitat Bl. 39, zit. nach http://www.gettochronik.de/de/tageschronik/tagesbericht-mittwoch-10-mai-1944, Fußnote (abgerufen am 7. Januar 2013)
130
Feuchert S. u.a. (Hrsg.): Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, Göttingen 2007, Band 5, S. 408.
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LITERATUR
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