Kosmische Landschaften Bild 1. Das Zentralgebiet des Coma-Haufens. Der Himmelsausschnitt hat eine Größe von 40' x 40'. 1 2 Der Coma-Haufen Eine sehr interessante Gegend am Himmel ist die Region des Sternbildes Coma Berenices. Dieses Sternbild liegt am Nordpol unserer Galaxis und ist im Frühjahr am Abendhimmel sichtbar (siehe Bild 1). Der Astronom Konon von Samos würdigte mit diesem Namen - Haar der Berenike - die Gemahlin des ägyptischen Königs Ptolemäus Euergetes. Bild 1. Die Himmelsgegend des Sternbildes Haar der Berenike. In diesem Gebiet befindet sich eine große Zahl von extragalaktischen Nebeln. Hier zeigt sich sehr deutlich, daß die Galaxien nicht einzeln auftreten, sondern in großen Ansammlungen - den Galaxienhaufen. Ein besonders typischer Vertreter in diesem Feld ist der Coma-Haufen (Tafel 1, Bild 1). Zu ihm gehören über 1000 sehr helle Galaxien und vielleicht viele tausend leuchtschwächere Mitglieder, die bisher nicht entdeckt werden konnten. In seinem Zentrum befinden sich zwei sehr helle elliptische Riesengalaxien, um die sich weitere ziemlich helle Galaxien gruppieren. Der gesamte Galaxienhaufen hat einen Durchmesser von 10 Millionen Lichtjahren. Das Licht dieser Galaxien benötigt für den Weg bis zu uns eine Zeit von etwa 350 Millionen Jahren. Alle seine Galaxien werden von der Schwerkraft im Haufen festgehalten - wie wir auf der Erde. Aber diese Galaxien bewegen sich auch mit bestimmten Geschwindigkeiten auf elliptischen Bahnen um sein Zentrum - ähnlich wie die Sterne um das Zentrum unserer Galaxis. Sie haben also eine bestimmte Bewegungsenergie wie eine von der Erdoberfläche abgeschossene Rakete. Damit die Galaxien den Haufen nicht verlassen können, muß seine gesamte Gravitationsenergie genauso groß sein wie die Bewegungs-energie aller seiner Galaxien. Die aus den Beobachtungen abgeleitete Gesamtmasse aus Galaxien und Gas ist aber dafür zu klein. Sie beträgt nur einige Prozent seiner erforderlichen Gesamtmasse. Man nimmt an, daß der Coma-Haufen - und andere Galaxienhaufen - zum weitaus größten Teil aus unsichtbarer dunkler Materie bestehen. Im zentralen Gebiet des Coma-Haufens beobachtet man kaum Spiralgalaxien. Vielleicht hat es sie in der Vergangenheit dort gegeben. Weil dort aber sicher sehr viele Galaxien existierten, sind sie möglicherweise oft zusammengestoßen. Darum ist es denkbar, daß sie miteinander verschmolzen sind. Vielleicht haben sich dabei elliptische Galaxien gebildet. 3 Röntgenstrahlung des Coma-Haufens Es zeigte sich schon sehr bald, daß man nicht nur das Licht der Galaxien in Galaxienhaufen - wie im Coma-Haufen - beobachten kann, sondern auch eine ziemlich starke Röntgenstrahlung. Diese Röntgenstrahlung stammt von einem Gas mit Temperaturen zwischen 10 und 100 Millionen Grad. Das meiste Gas befindet sich im Haufenzentrum. In seiner chemischen Zusammensetzung gleicht es der Materie, aus der Sterne bestehen. Möglicherweise haben die Galaxien bei ihren Zusammenstößen im dichten Zentralgebiet eines Haufens ihre äußeren Gashüllen verloren. Danach rasten die vom Gas getrennten Galaxien mit sehr großen Geschwindigkeiten von mehreren tausend Kilometern pro Sekunde durch das Gas. Dabei wurde das Gas durch Reibung sehr stark erhitzt. Darum sendet es Röntgenstrahlung aus. Weil die Galaxien ihr Gas verloren hatten, konnten sich in ihnen nun keine neuen Sterne mehr bilden. Das erklärt die Abwesenheit von Spiralarmen bei den Galaxien in den Haufenzentren - sie erscheinen als elliptische oder linsenförmige Galaxien. Das nebenstehende Bild zeigt eine Röntgenbeobachtung des Coma-Haufens durch den Satelliten ROSAT. Das eingezeichnete Quadrat markiert das auf dem optischen Bild dargestellte Zentralgebiet. Man erkennt eine deutlich langgezogene Struktur der Röntgenverteilung um die beiden zentralen hellen Galaxien. Für lange Zeit nahm man an, daß Galaxienhaufen einen symmetrischen Aufbau haben. Nach dieser Vorstellung befinden sich im Zentrum die meisten Galaxien, während ihre Anzahl nach außen in allen Richtungen gleichförmig abnimmt. Dasselbe müßte dann auch für das Gas - also für die Röntgenstrahlung - gelten. Frühere Untersuchungen des Coma-Haufens im Zentralinstitut für Astrophysik der Akademie der Wissenschaften (AdW) der DDR in Potsdam zeigten erstmals, daß sich im südwestlichen Außengebiet dieses Haufens eine zweite Galaxienkonzentration - ein zweiter Haufen - befindet. Die Röntgenverteilung des Coma-Haufens besitzt die entsprechende Struktur. In einem Abstand von ca. 50 Bogenminuten vom Haufenzentrum erkennt man im rechten unteren Außengebiet ein zweites Maximum der Röntgenemission. Also muß dort auch noch einmal viel Gas sein - und viele Galaxien: ein zweiter Galaxienhaufen. Ähnliche „Nebenhaufen“ und sogenannte „Unter-haufen“ gibt es auch bei den meisten anderen Galaxienhaufen. 4 Bild 1. Die Röntgenstrahlung des Coma-Haufens. 5 Galaxienhaufen Der Coma-Haufen ist kein Einzelfall - sondern nur ein sehr typischer Vertreter der Galaxienansammlungen. Wir hatten bereits gesehen, daß unsere Milchstraße einem kleinen Galaxienhaufen - der Lokalen Gruppe - angehört. Diese Lokale Gruppe ist ein Teil des lokalen Superhaufens - zu dem auch der bekannte Virgo-Haufen gehört. Sein Zentralgebiet ist im Bild 1 abgebildet. Das Bild 2 zeigt die Verteilung von Galaxiengruppierungen im lokalen Superhaufen. Die Galaxiengruppierungen haben meist unregelmäßige Formen, sind im Bild 2 aber als Kugeln dargestellt. Die Größe der Kugeln veranschaulicht die relative Größe der Gruppierungen. Die Galaxiengruppierungen des lokalen Super-haufens liegen im wesentlichen in einer Ebene - der Ebene des supergalaktischen Äquators. Die Zahlen in den Kugeln bezeichnen den Abstand von dieser Ebene. Die konzentrischen Kreise bezeichnen Abstände vom Zentrum der lokalen Gruppe. Die Zahlen bedeuten Millionen Lichtjahre. Bild 1. Darstellung der einzelnen Teile unseres lokalen Superhaufens mit unterschiedlichen Farben. Der Gesamtkomplex des lokalen Superhaufens besteht aus Ketten von einzelnen Gruppen und Teilhaufen. Die gesamte Länge des lokalen Superhaufens beträgt etwa 100 Millionen Lichtjahre. Inzwischen weiß man, daß es eine unbegrenzte Anzahl von solchen Galaxienhaufen gibt. Ihre Größen liegen zwischen 10 und 30 Millionen Lichtjahren. Viele Tausende dieser Objekte wurden von den Astronomen Fritz Zwicky und George Abell in Katalogen erfaßt. Die Haufen werden im ersten Katalog mit den Buchstaben Zw und anschließend mit den Koordinaten in Rektaszension und Deklination be-zeichnet, im zweiten Katalog mit dem Namen Abell und einer fortlaufenden Katalognummer. In den Bildern 3 bis 5 sind charakteristische Galaxienhaufen dargestellt und kurz beschrieben. Bild 2. Verteilung von Galaxiengruppierungen im lokalen Superhaufen. Erläuterungen sind im obenstehenden Text gegeben. Bild 3. Die Abbildung zeigt das Zentrum des Virgo-Galaxienhaufens. Er bildet den Kern des lokalen Superhaufens und hat von uns eine Entfernung von 70 Millionen Lichtjahren sowie eine sehr unregelmäßige Form. Sein Durchmesser ist 20 Millionen Lichtjahre. Insgesamt enthält er etwa 1000 Galaxien. Die zentrale helle Galaxie ist die Radioquelle Virgo A, deren aktiver Charakter mit dem Jetauswurf schon im vorangehenden Raum beschrieben wurde. Bild 5. Der Perseus-Haufen ist ein relativ kleiner und unregelmäßig geformter Galaxienhaufen mit einer Kette von hellen Galaxien im Zentrum. Seine Entfernung von uns beträgt 180 Millionen Lichtjahre, sein Durchmesser 250.000 Lichtjahre. Seine hellste Galaxie NGC 1275 ist eine tausendmal stärkere Radioquelle als die Milchstraße. Bild 4. Der Herkules-Galaxienhaufen (Abell 2151) ist eine sehr unregelmäßig geformte Galaxienansammlung mit einer gemischten Zusammensetzung von Ellipsen und Spiralen. Seine Entfernung von uns beträgt 700 Millionen Lichtjahre. Er gehört zum Verband des Herkules-Superhaufens, der sich über eine Region mit einem Durchmesser von 50 Millionen Lichtjahren erstreckt. 6 Klassifikation der Galaxienhaufen Wie bei den Galaxien ging man auch bei den Galaxienhaufen zuerst den Weg, daß man sie nach ihrer augenscheinlichen Struktur einteilte. Verschiedene Astronomen benutzten dabei unterschiedliche Kriterien. 1. Der Astronom Fritz Zwicky und seine Mitarbeiter versuchten 1961 die erste Klassifikation der Haufen, in dem sie sie nach der zentralen Konzentration der Galaxienverteilung als kompakte, mittelmäßig kompakte oder offene Galaxienhaufen bezeichneten. Bild 1. Haufenklassifikation cD. Bild 2. Haufenklassifikation B. 2. Das erste konkrete Klassifikationsschema für die Haufen wurde 1970 von Bautz und Morgan eingeführt. Sie benutzen drei Klassen I, II und III und entsprechende Zwischenstufen I-II und II-III je nach dem Grad der Galaxienkonzentration zum Zentrum des Haufens. 3. Nachdem sich herausstellte, daß die zentrale Konzentration der Galaxienverteilung zur morphologischen Beschreibung eines Galaxienhaufens allein nicht ausreichte, führten Rood und Sastry (1971) ein neues Klassifikationsschema mit den Gruppenbezeichnungen cD, B, L, C, F und I ein, das später durch Struble und Rood (1982) noch verfeinert wurde. Dabei wurde versucht, die relative Anordnung der einzelnen morphologischen Haufentypen zueinander so zu gestalten, daß sie einer möglichen dynamischen Entwicklung besser zuzuordnen sind. Im Einzelnen bedeuten: cD - ein Haufen mit einer dominierenden Galaxie im Haufenzentrum (cD = central Dominant), B - ein Haufen mit einem Paar sehr heller Galaxien im Haufenzentrum (B = Binary), Bild 3. Haufenklassifikation C. Bild 4. Haufenklassifikation L. C - ein Haufen mit einem Kern relativ heller Galaxien im Haufenzentrum und einem weiter außen liegenden Halo der Verteilung schwächerer Galaxien (C = Core-Halo), L - ein Haufen mit einer Reihe heller Galaxien im Haufenzentrum (L = Line), F - ein Haufen mit einer anscheinend flachen Galaxienverteilung (F = Flat) und I - ein Haufen mit einer unregelmäßigen Galaxienverteilung (I = Irregular). Bild 5. Haufenklassifikation F. Bild 6. Haufenklassifikation I. Allgemein geht man davon aus, daß sich auch Galaxienhaufen aus fortlaufender Verdichtung von intergalaktischer Materie beziehungsweise lockerer Verbindungen von Einzelgalaxien bilden. In einer von den Autoren benutzten Anordnung I - F - C – B - cD soll zum Ausdruck kommen, daß die Haufen vom Typ I als die Anfangszustände und die Haufen vom Typ cD als die Endzustände einer dynamischen Entwicklung zu denken wären. 4. Neben den großen oder „reichen“ Galaxienhaufen gibt es auch sehr viele Galaxiengruppen und sogenannte „arme“ Galaxienhaufen, die deshalb als gesonderte Gruppe betrachtet werden. 7 Unterstrukturen Galaxienhaufen werden seit langem mit den Schemata der Bautz-Morgan-Typen und der Rood-Sastry-Typen klassifiziert. Andererseits ging man meistens von der folgenden Prämisse aus, die anscheinend durch die Beobachtungen nahegelegt wurde: • Bild 1. Galaxienverteilung (links) und Röntgenverteilung (rechts) für den Galaxienhaufen Abell 1631. Die Galaxienverteilung dieses Haufens zeigt 4 - 5 Einzelhaufen. Nur innerhalb der drei südlichen Einzelhaufen gibt es auch relativ viel Gas. Weitere Gaskomplexe sind nicht mit vielen Galaxien verbunden. Galaxienhaufen sind „runde“ Gebilde mit einem deut-lichen Zentrum. Die räumliche Dichte der Galaxienverteilung und des intergalaktischen Gases ist im Zentrum der Haufen am höchsten. Die Verteilung der beiden Dichten ist symmetrisch zum Zentrum. Sie nehmen nach einem bestimmten Gesetz mit zunehmendem Abstand vom Zentrum nach außen ab. Auf der Grundlage der Untersuchung einer großen Anzahl von Galaxienhaufen in der Sternwarte Babelsberg in den achtziger Jahren konnte gezeigt werden, daß das nicht der Fall ist. • Bild 2. Galaxienverteilung (links) und Röntgenverteilung (rechts) für den Galaxienhaufen Abell 1644. Die Galaxienverteilung zeigt viele einzelne Galaxiengruppen von Norden (oben) nach Süden (unten). Das Gas erstreckt sich über ein ausgedehntes Gebiet und folgt nicht immer der Galaxienverteilung. Bei der Gaskonzentration oben-links (Nordosten am Himmel) gibt es wenige Galaxien. Die meisten Galaxienhaufen (mehr als 85 %) sind keine symmetrischen Gebilde. Sie bestehen aus einer mehr oder weniger großen Anzahl von Unterhaufen. Spätere Untersuchungen der Röntgenverteilung in diesen Haufen durch Röntgensatelliten zeigten, daß für sie dieselbe Aussage gilt. Galaxien- und Gasverteilung stimmen aber häufig nicht überein. Nebenstehend ist die flächenhafte Verteilung der Galaxiendichte und der Röntgenemission für eine Reihe von Galaxienhaufen dargestellt. Bild 3. Galaxienverteilung (links) und Röntgenverteilung (rechts) für den Galaxienhaufen Abell 1736. Die Galaxienverteilung zeigt viele Einzelgruppen. Die Gasverteilung sieht zusammenhängender aus als die Galaxienverteilung und erstreckt sich besonders weit nach links-oben (Nordosten am Himmel). Das Maximum der Gasverteilung ist nicht dort, wo die meisten Galaxien sind. Die Galaxiengruppe unten-links (Südosten am Himmel) besitzt eine konzentrierte Gasverteilung. 8 Entwicklung von Galaxienhaufen Aus den Beobachtungen von Galaxienhaufen zeigt sich also, daß sie keine abgeschlossenen „runden“ Komplexe sind, sondern daß mehr als 85 % aller Galaxienhaufen aus Untergruppierungen bestehen. Das betrifft die Verteilung der Galaxien wie die des heißen Gases. Wie bei den Galaxien stellt sich wieder die Frage nach der Entwicklung solcher Objekte. Dabei entsteht – wie immer - der Gedanke, daß die verschiedenen morphologischen Formen unterschiedliche Entwicklungszustände der Haufen repräsentieren. Ein loser Haufen könnte sich wegen der Gravitationskräfte im Laufe der Zeit immer mehr verdichten. Theoretisch ist aber auch die umgekehrte Entwicklungsrichtung als Folge irgendeiner Explosion in einem zentralen sehr dichten Körper denkbar. Auf der Grundlage der bisherigen Beobachtungsbefunde hat sich die erste Ansicht durchgesetzt. Die Untersuchungen weisen darauf hin, daß Haufen aus Verschmelzungen von kleineren Galaxienansammlungen hervorgehen. Die Unterstrukturen der Haufen sind vermutlich solche Galaxiengruppen, die schon früher in die Haufen eingestürzt sind, aber noch nicht durch die Gezeitenkräfte des Haufens zerrissen wurden. Die ausgedehnten lockeren Galaxienhaufen befinden sich danach offenbar noch in einer frühen Entwicklungsphase, in der noch viele neue Galaxien eingesammelt werden. Erst einige Milliarden Jahre später werden sie dann eine Struktur wie die wenigen sehr konzentrierten Haufen aufweisen. Da die meisten Galaxienhaufen Unterstrukturen besitzen, weist das auf ihr relativ geringes dynamisches Alter hin. Bild 1. Das Bild zeigt den Verschmelzungsprozeß einer Galaxiengruppe mit einem Haufen. Zur Er läuterung verweisen wir auf den nebenstehenden Text. Man stellt sich den Verschmelzungsprozeß folgendermaßen vor: Jeder Haufen besteht aus Galaxien und intergalaktischem mehr oder weniger heißen Gas. Wenn eine Gruppe von außen in einen Haufen eindringt, können sich die Galaxien ziemlich frei aneinander vorbei und durch das Gas des größeren Haufens bewegen. Das Gas des eindringenden Haufens wird abgebremst. Die Bewegungsenergie des Haufens wird dabei in thermische Energie des Haufengases umgewandelt - es wird heißer. Am Anfang einer Haufenverschmelzung erwartet man darum einzelne Unterhaufen aus Galaxien und Gas mit relativ niedrigen Temperaturen. Im Laufe der Zeit sollte sich das Gas von den Galaxien des eindringenden Haufens trennen und heißer werden. Nach genügend langer Zeit vermischen sich beide Galaxien- und Gaskomponenten. Es entstehen zentralsymmetrische Verteilungen der Galaxien und des Gases mit den höchsten Dichten der Galaxien und des Gases - und der höchsten Gastemperatur - im Zentralgebiet. Auf der Nebentafel werden die Verhältnisse in den Galaxienhaufen Abell 2256, Abell 754 und Abell 1795 beschrieben, die man als Vertreter von drei Stufen einer solchen Entwicklung betrachtet. Natürlich sind im Laufe der Zeit viele solcher Eindringprozesse von ursprünglich isolierten Gruppen oder Haufenvereinigungen möglich. Das beschriebene Entwicklungskonzept bedeutet darum ein Anwachsen der Haufenmasse (Gas und Galaxien) mit der Zeit. Junge Haufen sollten nach diesen Vorstellungen kleiner - also masseärmer - sein als ältere und weiter entwickelte Haufen. Wir sehen entfernte Galaxienhaufen wegen des Lichtweges in einem Zustand, in dem sie sich in einer früheren Entwicklungsphase des Universums befunden haben. Haufen mit größeren Rotverschiebungen müßten deshalb im Mittel kleiner sein - also auch weniger Röntgenstrahlung aussenden - als nahe Haufen. Eine Reihe von Untersuchungen scheint diese Vorstellung zu bestätigen. 9 Auf dieser Tafel sind die Gasverteilungen und die Verteilungen der Temperaturen des Gases für drei Galaxienhaufen wiedergegeben, die typische Entwicklungszustände bei Verschmelzungsprozessen darstellen. Bild 1. Verteilung der Röntgenemission (links) und der Gastemperatur (rechts) für den Galaxienhaufen Abell 2256. Für diesen Haufen wird angenommen, daß er aus zwei Galaxiengruppen besteht, die sich am Beginn ihrer Verschmelzung befinden. Das folgert man vor allem aus ihrer relativ niedrigen Temperatur (die Temperaturen steigen von Rot über Orange nach Gelb an). Bild 2. Verteilung der Röntgenemission (links) und der Gastemperatur (rechts) für den Galaxienhaufen Abell 754. Für diesen Haufen wird angenommen, daß in ihm die Verschmelzung zweier Gruppen bereits einige hundert Millionen Jahre weiter fortgeschritten ist. Die Gruppe ist sicher aus südöstlicher Richtung (von links unten) in den Haufen eingedrungen. Inzwischen haben sich die Galaxien der Gruppe von dem mitgeführten Gas getrennt und sind weit in den Haufen eingedrungen. Bild 3. Verteilung der Röntgenemission (links) und der Gastemperatur (rechts) für den Galaxienhaufen Abell 1795. Die Verteilung des Gases wie auch der Temperatur sind bei diesem Haufen sehr symmetrisch. Der Haufen ist seit einigen Milliarden Jahren ungestört. Im Zentrum ist das Gas relativ kühl. Wegen der höheren Dichte wurde dort Energie durch verstärkte Röntgenemission abgegeben. 10 Alternative Entwicklungsideen Bild 1. Das Modell des Urknalls steht für die heute in der Astronomie favorisierte Konzeption von der Entwicklung des Weltalls als Ganzem: Eine ursprüngliche Singularität mi t hoher Materiedichte und explosionsartigem Verhalten sowie eine anschließende Expansion zu verdünnten Materiezuständen. Die Vorstellungen von der Bildung der einzelnen kosmischen Objekte sind dagegen etwas zweideutig: Einerseits glaubt man, daß die Keime für die Strukturen (Galaxien, Galaxienhaufen, Superhaufen) bereits in der Anfangs-phase des Universums gelegen haben. Andererseits nimmt man aber an, daß sich diese Strukturen aus den „Keimen“ durch Ansammlung und Verdichtung von umgebener verdünnter Materie gebildet haben. Insofern stehen hier zwei unterschiedliche Entwicklungsrichtungen nebeneinander. Bild 2. Das Bild zeigt die aktive Galaxie M 82, die explosionsartige Prozesse im Kerngebiet aufweist. Vergleichbare Situationen sind typisch für eine große Zahl von Galaxien. Wir glauben heute an die Bildung der großen Galaxienhaufen durch die Verschmelzung von kleineren Haufen. Wir glauben auch an die Bildung von Sternen, Sternhaufen und Galaxien durch die Kontraktion von ursprünglich sehr dünn verteiltem Gas. Fast die ganze kosmische Entwicklung sollte danach von sehr dünn verteilter Materie zu Verdichtungen verlaufen. Es sollte die Frage erlaubt sein, ob das nicht auch alles anders sein könnte ? Immerhin gibt es eine Reihe von Beobachtungen zugunsten einer Entwicklung in der entgegengesetzten Richtung: 1. Wir akzeptieren heute die Vorstellung von der Expansion des gesamten Weltalls und die Idee vom Urknall. Das ist eine klare Entwicklung der Welt vom sehr Dichten zum sehr Dünnen. 2. Es gibt viele extragalaktische Objekte - aktive Galaxien und Quasare - mit beobachteten Explosionen. Beispiele sind die aktive Galaxie M82 (Bild 2) und die Zentralgalaxie M 87 im Virgohaufen. Insbesondere bei der letzteren beobachtet man einen Auswurf. 3. Der britische Astronom Halton Arp fand zahlreiche Fälle, bei denen anscheinend „neue“ Galaxien aus sogenannten Muttergalaxien ausgeworfen wurden (Bild 3). 4. Galaxienhaufen enthalten sehr viel mehr Bewegungsenergie als die sie zusammenhaltende Gravitationsenergie. Die Haufen würden also auseinanderfliegen, wenn man nicht außer der sichtbaren Materie in ihnen noch einen erheblichen Teil an unsichtbarer (dunkler) Materie akzeptieren würde. Solche und andere Beobachtungen führten eine Reihe von Astronomen zu Vorstellungen von einer Entwicklungshierarchie mit dem Anfangszustand einer dichten Materiekonzentration und explosionsartiger Aufspaltung in kleinere Einheiten. 1. Der armenische Astronom Victor A. Ambarzumjan glaubte, daß Expansion und Fragmentation von ursprünglich überdichter und explosiver Materie die gegenwärtig dominierenden Prozesse im Weltall sind. 2. Der britische Astronom Halton Arp schließt sich dieser Meinung an. 3. Der schwedische Physiker Hannes Alfvén konstruierte ein sogenanntes „Feuerwerk-Modell“ der kosmischen Entwicklung (Bild 4). Eine primäre Metagalaxie mit Materie und Antimaterie könnte nach seinen Vorstellungen kontrahieren und explodieren, wenn sich Materie und Antimaterie zu nahe kommen. Die dabei entstehenden Bruchstücke kontrahieren wieder, explodieren dann auch, und so geht es weiter. Das Ergebnis wäre eine Hierarchie von nacheinander entstehenden „Bruchstücken“. 4. Die britischen Astronomen Fred Hoyle und Jayant Narlikar postulieren auch eine „Erschaffung“ von Materie in außerordentlich dichten Regionen, die mit den Kernen von Galaxien und den sehr hellen Quasaren identifiziert werden. Letztere kommen wahrscheinlich im frühen Universum häufig vor. Analog zum einmaligen „Schöpfungsereignis“ Urknall könnten sich danach Gruppen, Haufen und Superhaufen von Galaxien durch häufige „lokale Schöpfungsereignisse“ bilden. Bild 3. Die Aufnahme zeigt die Galaxie NGC 4319 (oben) und einen Quasar (Markarian 205). Zwischen beiden Objekten besteht nach Ansicht des britischen Astronomen Halton C. Arp eine leuchtende Materiebrücke. Trotz sehr unterschiedlicher Rotverschiebungen nimmt Arp deshalb an, daß sich beide Objekte in gleicher Entfernung von uns befinden und der Quasar - durch einen explosionsartigen Vorgang - aus der Galaxie ausgeworfen wurde. Bild 4. Das Bild veranschaulicht das sogenannte „Feuerwerk-Modell“ des schwedischen Physikers und Nobellpreisträgers Hannes Alfvén. Ausgangspunkt seines Modells ist eine Proto-Metagalaxie, die aus Materie und Antimaterie besteht. Im Laufe einer Kontraktion der ProtoMetagalaxie könnte es zu einer Annäherung von Materie und Antimaterie kommen. Durch die Zerstrahlung können dann sehr große Energiemengen freigesetzt werden, die den Kollaps abbremsen und zu einer anschließenden Explosion führen. Dabei werden große Bruchstücke - Superhaufen - ausgeworfen, die wieder kontrahieren und explodieren können. Die Entwicklung läuft analog zu immer kleineren Niveaus weiter. Probleme in Zusammenhang mit dieser Kosmologie sind die Frage nach der Existenz von Antimaterie und die - zeitweilige räumliche Trennung beider Materieformen. Die Fragmentationsvorstellungen sind ebenfalls eine interessante Möglichkeit zur Erklärung der hierarchischen Galaxienverteilung (Unterhaufen, Haufen, Superhaufen), wenngleich die meisten Beobachtungsbefunde gegenwärtig für den entgegengesetzten Entwicklungsweg sprechen. Möglicherweise spielen beide Arten von Entwicklungsprozessen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten im Kosmos eine Rolle - je nach den vorliegenden Bedingungen. „Wir glauben, daß die Wissenschaft der Menschheit am besten dient, wenn sie sich von einer Beeinflussung durch irgendwelche Dogmen freihält und sich das Recht vorbehält, alle Thesen einschließlich ihrer eigenen anzuzweifeln.“ (Deklaration der 3. Pugwash-Konferenz in Kitzbühel 1958) 11 Großräumige Strukturen Wir haben in den ersten drei Räumen dieser Ausstellung einen weiten Weg zurückgelegt. Von der Erde bis zu sehr weit entfernten Himmelskörpern im Weltall. Wir haben gesehen, daß die Erde mit weiteren acht Planeten um die Sonne kreist. Und unsere Sonne ist auch nur einer von Milliarden Sternen in der Milchstraße. Sie kreist wie alle anderen Sterne um das Zentrum dieser riesigen Spiralgalaxie. Galaxien kommen aber auch kaum einzeln vor. Hunderte und Tausende von ihnen bilden große Galaxienhaufen. Diese sind wiederum Mitglieder von noch größeren Strukturen - den Superhaufen (Bild 1). Alle diese Strukturen im Weltall scheinen immer nur Teile von wieder größeren Gebilden zu sein. Geht das immer so weiter oder hat es irgendwann ein Ende ? Wir wissen es noch nicht. Aber die Astronomen sind auf dem Wege, diese Frage zu beantworten. Sie fertigen Karten vom Weltall an. Dazu müssen sie von sehr vielen Galaxien mit bekannter Position am Himmel auch ihre Entfernung wissen. Durch die Arbeiten von Edwin Hubble kennen sie den Zusammenhang zwischen Entfernung und Fluchtgeschwindigkeit - d. h. der Rotverschiebung - der Galaxien. Sie nehmen an, daß dieser Zusammenhang überall im Weltall gilt. Auf dieser Grundlage haben die Astronomen Valérie Lapparent, John Huchra und James Cornell im Observatorium auf dem Mount Hopkins (in Arizona, USA) bereits 1985 die Verteilung von 1100 Galaxien im Weltall untersucht. Bild 1. Die Abbildung zeigt die Größenordnungen kosmischer Strukturen. Bild 2. Das Bild zeigt unsere Position im Weltall (Milchstraße) mit dem Symbol der Spiralgalaxie. Von dort bestimmten die Astronomen Rotverschiebungen in den Spektren der Galaxien innnerhalb eines keilförmigen Ausschnitts mit einer Breite von 12 °. Die Rotverschiebungen werden im Sinne des Hubble-Gesetzes als Entfernungsindikatoren interpretiert. Die Abbildung zeigt, daß die Galaxien zumindest bis zu einer Entfernung von 450 Millionen Lichtjahren (äußerer Rand der dargestellten Kugel) nicht gleichmäßig verteilt sind. Vielmehr zeigt die Galaxienverteilung eine filamentartige Struktur mit dazwischenliegenden Leerräumen. Bild 3. Das Bild zeigt die Galaxienverteilung in einem Sektor wie in Bild 2 beschrieben. Unser Beobachtungspunkt befindet sich am untersten Punkt der Karte. Entlang des Radius ist die Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien in km/sec aufgetragen, auf dem Umfang die Koordinate Rektaszension. Die Breite des Gebietes umfaßt den Deklinationsbereich von 26,4 ° bis 32,5 ° (senkrecht zur Tafelebene). Bei Radialgeschwindigkeiten im Bereich von 7500 km/sec haben die leeren Gebiete eine Größe von ca. 150 Millionen Lichtjahren. In den Filamentgebieten mit besonders hoher Galaxiendichte liegen Galaxienhaufen. Das zentrale Gebiet mit der höchsten Galaxiendichte ist der bekannte Coma-Haufen. Bild 4. Das Bild zeigt eine ähnliche Verteilung wie Bild 3. Die Untersuchung erstreckt sich aber auf jeweils einen Sektor am Nord- und am Südhimmel sowie auf insgesamt 5000 Galaxien bis zu einer schwächeren Helligkeitsgrenze als in Bild 3. Auch hier sind wieder überall Leerräume und ausgeprägte Filamentstrukturen zu erkennen. Die nahezu waagerecht verlaufende Struktur im nördlichen Gebiet wird als die „Große Mauer“ (Great Wall) bezeichnet. Eine entsprechende Struktur existiert auch im südlichen Bereich. Sie bestimmten die Entfernungen aller dieser Galaxien in keilförmigen Ausschnitten einer gedachten Kugel am Himmel (weißes Gebiet, siehe Bild 2). Der äußere Rand der dargestellten Kugel ist 450 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Das Ergebnis zeigt eine ungleichmäßige Verteilung der Objekte in verschiedenen Entfernungen. Dasselbe Bild gilt für verschiedene Richtungen, wie sich inzwischen durch umfangreiche weitere Untersuchungen gezeigt hat. Es gibt Gebiete mit sehr vielen Galaxien und dazwischen fast leere Räume. Das Weltall besteht aus „Blasen“. Inzwischen konnte durch Simulationsrechnungen mit modernen Computern gezeigt werden, daß solche „Blasenbildung“ durch neueste Modelle zur Strukturbildung im Kosmos erklärt werden kann. An diesen Arbeiten sind auch die Mitarbeiter der Arbeitsgruppe „Kosmologie“ am Astrophysikalischen Institut Potsdam (AIP) beteiligt. 12 Der Kosmos als Landschaft Das Bild 1 zeigt die Landschaft Nordamerikas bei Nacht - eine Aufnahme im Rahmen des „USAF Defense Meteorological Satellite Programs“. Wir erkennen große und sehr große Lichtkonzentrationen bei den Großstädten. Kleinere Städte erscheinen als schwächere Lichtflecken. Die Orte an den Straßen zwischen den großen Städten verursachen lange Lichterketten. Dazwischen gibt es kleine und große dunkle Flächen. Alles wirkt fast wie ein Netz - wie eine Blasenstruktur. Bild 1. Die Landschaft Nordamerikas bei Nacht. Bild 2. Die „Großflächenstruktur“ des Universums auf der Grundlage der Galaxienzählungen von C. D. Shane und C. A. Wirtanen. Ähnlich kann man sich die Materiestrukturen im Weltall vorstellen. Das Bild 2 auf dieser Tafel zeigt die Verteilung der 1000 hellsten Galaxien des Nordhimmels. Die Karte basiert auf Galaxienzählungen der amerikanischen Astronomen C. D. Shane und C .A. Wirtanen vom Lick-Observatorium in Kalifornien. Diese „Landschaft“ sieht fast so aus wie die Landschaft Nordamerikas bei Nacht. Man kann zur Veranschaulichung der kosmischen Strukturen die Verteilung der Galaxien auch analog beschreiben: Galaxien sollen die Häuser im Weltall sein, die Sphären um die Fixsterne - mit vermutlich zahlreichen Planetensystemen - die Wohnräume in den Häusern. Die Galaxien (Häuser) ballen sich zu Gruppen, Haufen und Superhaufen (Dörfern, Städten und Großstädten). Dazwischen sehen wir lange Filamente und Ketten (die Häuser und Orte an den Verbindungstraßen). „Auf dem freien Land“ - in den Leerräumen - gibt es keine Häuser, dort leuchtet kein Licht. Wir sehen nur das Licht in den Häusern und auf den Straßen der Städte. Die dunklen Mauern, die eigentlichen Straßen, die Berge und die natürliche Landschaft – die „Dunkle Materie“ können wir nicht sehen. Aus der Verteilung des Lichtes können wir aber wichtige Rückschlüsse auf die Verteilung dieser „Dunklen Materie“ ziehen.