Vilnius und Kaunas, Litauen im Zeitalter der Weltkriege

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Prof. Dr. Jürgen Angelow (FU-Berlin)
Hauptseminar/Exkursion (in Verb. mit Agnieszka Kudelka/Warschau, und der Universität
Vilnius)
Vilnius und Kaunas. Litauen im Zeitalter der Weltkriege. 1914-45
Einführungsveranstaltungen
Das Hauptseminar wird durch einleitende Veranstaltungen an der FU-Berlin vorbereitet, in denen die
Geschichte und Kultur Litauens in einem weiten historischen Kontext dargestellt wird.
Seminarthemen
1. Litauische Mythen und Litauen unter polnischer Herrschaft im Mittelalter
2. Vilnius - Treffpunkt der Kulturen und Religionen, die Kirchen in Vilnius
3. Herrschaftswechsel zwischen den polnischen Teilungen und dem Ende der Sowjetunion
4. Nationalitäten und Nationalitätenkonflikte im 19. und 20. Jahrhundert
5. Die besondere Stellung der Juden in Litauen und Vilnius
6. Stadtelite, Künstler, Literaten und Kulturlandschaft von Vilnius
7. Vilnius als Wissenschaftszentrum. Die Universität von Vilnius
Literatur:
- Tomas Venclova: Vilnius. Eine Stadt in Europa, Frankfurt a. M. 2006.
- Laimonas Briedis: Vilnius. City of Strangers, Budapest 2009.
- Tomas Venclova: Vilnius. Stadtführer. Vilnius 2002.
- Czesław Miłosz: Die Straßen von Wilna, Frankfurt a. M. 1997.
Exkursion
Die Exkursion nach Vilnius wird vom 11.-18. Mai 2014 stattfinden. An markanten Punkten des
Stadtraumes werden studentische Vorträge gehalten und diskutiert. Dabei werden deutsche, polnische,
litauische und belorussische Perspektiven ausgetauscht. Die Exkursion gliedert sich thematisch in zwei
Teile: Die Zeit unmittelbar vor dem Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg sowie den Zweiten Weltkrieg
und die unmittelbare Nachkriegszeit. Unterbringung: Hostel, Savičiaus gatvė 12-1.
1. Vilnius vor Beginn und im Ersten Weltkrieg sowie in der Zwischenkriegszeit
Während die Entwicklung von Königsberg, Memel und Riga eng an die deutsche
Kultur und machtpolitisch an den entstehenden preußischen Staat angelehnt waren, sind deutsche
Spuren in Vilnius eher schwach ausgeprägt. Die Stadt gehörte seit dem Mittelalter zum polnischlitauischen Machtkomplex und nach den polnischen Teilungen zum russischen Einflussgebiet. Gegen
Ende des 19. Jahrhunderts brachen auch hier - im nördlichen Bereich der ostmitteleuropäischen
Bruchzone - die nationalen Konflikte auf, wobei vor allem litauische und polnische Prägungen
miteinander konkurrierten. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges und der Einnahme von Vilnius und
Kaunas durch das deutsche Heer etablierte sich in Litauen ein deutsches Besatzungsregime, das
zwischen den nationalen Orientierungen lavierte, die Stadt aber unbeschädigt ließ. Der im Ausgang
des Krieges gestartete deutsche Versuch, Litauen als einen abhängigen Sattelitenstaat unter einem
deutschen Operettenprinzen (Mindaugas II.) zu etablieren, scheiterte allerdings. Nach dem Ersten
Weltkrieg wurde die Stadt für kurze Zeit zum Kristallisationspunkt litauischer
Nationalstaatsbestrebungen (Unabhängigkeitserklärung 16. Februar 1918), bevor sie von polnischer
Seite annektiert und 1922 in den polnischen Staat integriert wurde. Während Kaunas Kern des neu
entstandenen litauischen Staates wurde, entwickelten sich Vilnius als polnische Provinzstadt. Das
kulturelle Leben war von den Polen beherrscht, nur wenige litauische und jüdische Einrichtungen
bestanden fort.
2. Vilnius im Zweiten Weltkrieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Der Holocaust in Litauen
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges fiel Vilnius zuerst in die deutsche, mit dem "Grenz- und
Freundschaftsvertrag" in die sowjetische Einflusszone. Die Stadt wurde nach einer kurzen Schonfrist
im Juli 1940 von der UdSSR annektiert. Im Juni 1941 begann die Massendeportation der litauischen
Eliten in sowjetischen Lager. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion besetzte die
Wehrmacht am 25. Juni 1941 die Stadt. Und obwohl das deutsche Besatzungsregime den litauischen
Nationalbestrebungen nicht nachgab, entwickelte sich im Alltag von Deutschen und Litauern ein
differenziertes System zwischen Kollaboration, Anpassung und Widerstand. Das Verhältnis zwischen
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Litauern und Polen blieb angespannt, nicht selten gab es Konflikte zwischen Litauern und der
polnischen Untergrundarmee. Besonders tragisch gestaltete sich das Schicksal der bis dahin
zahlenmäßig bedeutenden jüdischen Bevölkerung. Die jüdische Gemeinde von Vilnius wurde von den
deutschen Besatzern und ihren litauischen Helfern zunächst in Ghettos verbracht und schließlich fast
vollständig ermordet. Die Bewohner des Kleinen Ghettos, ca. 20.000 ältere und kranke Juden, wurden
im Oktober 1941 am Rande der Stadt in Paneriai erschossen. Die übrig gebliebenen Juden kamen im
Großen Ghetto um oder wurden in den Vernichtungslagern ermordet. Nur 5 Prozent der litauischen
Juden haben den Holocaust überlebt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die letzten
Spuren des jüdischen Lebens in Vilnius durch die Sowjetunion getilgt. Vilnius gehörte nun wieder zur
UdSSR und der Großteil der polnischen Bevölkerung verließ die Stadt. In den litauischen Wäldern
allerdings lebte der militärische Widerstand gegen das sowjetische Regime bis 1953 fort.
Literatur:
- Hermann Struck und Herbert Eulenberg: Skizzen aus Litauen, Weißrußland und Kurland.
60 Steinzeichnungen mit Text. Hergestellt in der Druckerei des Oberbefehlshabers Ost,
Berlin 1916.
- Samy Gronemann: Hawdoloh und Zapfenstreich. Erinnerungen an die ostjüdische Etappe
1916–1918. Mit Zeichnungen von Martin Zeller, Berlin 1925.
- Uwe Rada: Die Memel, Berlin 2010, S. 153–187.
- Paul Weber: Wilna: eine vergessene Kunststätte, Wilna 1917.
- Thomas Mann in Nidden. Menschen und Orte, 2007.
- Nidden. Künstlerkolonie auf der Kurischen Nehrung, 2009.
- Yad Vashem: Sag niemals Du gehst den allerletzten Weg. Jüdische Musik aus der Zeit des
Holocaust. http://www.yadvashem.org/yv/de/exhibitions/music/vilna_partisans.asp, 1.4.2013.
- Florian Freund, Franz Ruttner, Hans Safrian (Hrsg.): Ess firt kejn weg zurik … Geschichte
und Lieder des Ghettos von Wilna 1941–1943., Wien 1992, S. 123–129.
- Bert Hoppe, Hildrun Glass (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden
durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Sowjetunion mit annektierten
Gebieten I, München 2011, S. 532-534, 692-694, 695-696, 708-712.
- Joachim Tauber: Hitler, Stalin und der Antisemitismus in Litauen 1939–1941, in Jahrbuch für
Antisemitismusforschung 21/2012, S. 166–182.
- Christoph Dieckmann: Pogrome in Litauen im Sommer 1941, in: Jahrbuch für
Antisemitismusforschung 21/2012, S. 183–213.
- Bert Hoppe, Hildrun Glass (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden
durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Sowjetunion mit annektierten
Gebieten I, München 2011, S. 712-713, 609-610.
- Joachim Taubert, Ralph Tuchtenhagen: Vilnius. Kleine Geschichte der Stadt, Köln 2008, S.
105–115.
- Kim Priemel: Am Rande des Holocaust. Die Rettung von Juden durch
Wehrmachtsangehörige in Vilnius, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004), S.
1017–1034.
- Anna Lipphardt: Vilne. Eine transnationale Erinnerungsgeschichte. Die Juden aus Vilnius
nach dem Holocaust, Paderborn 2010, S. 1–45.
- Krieg nach dem Kriege. Bewaffneter antisowjetischer Widerstand in Litauen 1944-1953,
Ausstellungskatalog, Vilnius.
- Vinius. Sites of Jewish Memory. A Concise Guide, Vilnius.
- The Museum of Genocide Victims. A Guide to the Exhibitions, Vilnius.
Zeitplan / Vorträge
Tag 1: 11.05. – Sonntag
Ankunft (individuelle Anreise)
17.00 Uhr: - Stadtführung (Treffpunkt vor den Treppen des Rathauses am Marktplatz), ca. 2,5 Std.
20.00 Uhr: - Seminareröffnung im Restaurant Balzac, Saviciaus 7 (Alternative: Restaurant in Stiklių
gatvė)
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Tag 2: 12.05. – Montag
Herrschaft, nationale Identitäten und Nationalitätenkampf
10.00 Uhr: Treffpunkt Gediminas-Denkmal - Litauische Fürsten und ihre Bedeutung für die litauische
Identität
- Die Bedeutung von Gediminas für die litauische Identität. Das Gediminas-Denkmal (1996)
- Die Bedeutung von Mindaugas für die litauische Identität. Das Mindaugas-Denkmal (2005)
- Der deutsche Operetten-Prinz Mindaugas II.
12.00 Uhr: Treffpunkt Adam Mickiewicz-Denkmal
- Adam Mickiewicz, seine Bedeutung für Polen und seine Bindung an Vilnius
- Die polnische Minderheit sowie ihre Kultur und Schulpolitik im sowjetischen Vilnius nach 1945.
16.00 Uhr: Treffpunkt "Tor der Morgenröte" (Ostra Brama)
- Tradition und Bedeutung des Marienkultes für die Stadtbevölkerung von Vilnius. Die Rettung des
Stadttores in den napoleonischen Kriegen.
Tag 3: 13.05. – Dienstag
Zwischen Polen und Litauen. Rasu-Friedhof und Ciurlionis-Haus
10.00 Uhr: Treffpunkt Eingang Rasu-Friedhof
- Der "Zeligowski-Putsch" und der polnische Soldatenhain
- Józef Pilsudskis Herzgrab. Pilsudskis Konzept für Litauen und sein Scheitern
- Das Grab von Mikalojus Konstantinas Ciurlionis und dessen Bedeutung für die politische Kultur von
Vilnius
15.00 Uhr: Treffpunkt Ciurlionis Haus, Saviciaus 11
- Merkmale der Musik von Ciurlionis (anschließend Ciurlionis-Film)
Tag 4: 14.05. - Mittwoch
Kaunas - Die litauische Hauptstadt der Zwischenkriegszeit
09.00 Uhr: Treffpunkt wird noch bekanntgegeben (Bus oder Bahn) - Fahrt nach Kaunas
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- Die Festung Kaunas und die deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1914-18 sowie 1941-44 in
vergleichender Perspektive
Spaziergang durch die Innenstadt:
- Kaunas als provisorische Hauptstadt Litauens in der Zwischenkriegszeit und seine Architektur
- Besuch des Gedenkhains mit Büsten bekannter Litauer
- Besuch der Ciurlionis-Galerie: Merkmale der Malerei von Ciurlionis
19.00 Uhr: Abendvortrag in Vilnius: (Ort wird noch bekannt gegeben)
- Thomas Mann und die deutsche Künstlerkolonie in Nidden
Tag 5: 15.05. - Donnerstag
Das jüdische Vilnius und der Holocaust
10.00 Uhr: Treffpunkt Universität, Historische Fakultät - Umrundung des Kleinen Ghettos und
Fußweg durch das Große Ghetto zum Toleranzzentrum (Augarduko g. 10/2)
- Jüdische Kultur und jüdisches Leben in Vilnius vor dem Holocaust
- Die Wahrnehmung der Juden von Vilnius durch deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg
- Die Darstellung von Vilnius in deutschen Stadtführern
- Ausstellungs- und pädagogisches Konzept des Toleranzzentrums
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anschließend: Spaziergang zum Holocaust Museum (Grünes Haus, Pamenkalnio 12)
- Alltag der Juden im Großen Ghetto
- Die Darstellung des Holocausts im Museum
- Bedeutung und Grenzen von Zeitzeugeninterviews für die historisch-politische Bildung
17.00 Uhr: Ort wird noch bekannt gegeben
- Jüdische Lieder und jüdisches Theater
Tag 6: 16.05. - Freitag
Erinnerungsorte in der Umgebung von Vilnius
09.00 Uhr: Treffpunkt Hauptbahnhof (genaue Abfahrt des Zuges wird noch bekannt gegeben)
Fahrt nach Paneriai und Besichtigung des Memorialkomplexes
- Die Selektion und Ermordung der Juden des Kleinen Ghettos (September-Oktober 1941)
- Beschreibung eines Memorialkomplexes mit verschiedenen Erinnerungsschichten
- Paneriai als jüdischer Erinnerungsort
anschließend Weiterfahrt nach Trakai
- Die Wasserburg von Trakai, der litauische Nationalmythos und seine Funktion für die litauische
Identität
- Die Karaimen von Trakai
Tag 7. 17.05. - Sonnabend
Besatzungsherrschaft, Repression und Widerstand
10.00 Uhr: Treffpunkt Genozid-Museum (Aukų g. 2a) - Besichtigung des Museums
- Die Bedeutung des Hitler-Stalin-Paktes (1939) sowie der Konferenz von Jalta (1945) für Litauen
- Das Museumsgebäude und seine wechselnden Funktionen
- Museumskonzepte. Helden-Opfer-Diskurse und Multiperspektivität am Beispiel des Genozid-Museums
Nachmittag individuelle Stadterkundung
19.00 Uhr: Abschiedsabend im Restaurant „Savas kampas“, Vokiečių gatvė 4
Tag 8. 18.05. - Sonntag
Abreise
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