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Masterarbeit Thema der Arbeit: Die Polizeipräsidenten in Erfurt während der NS-Zeit Masterstudiengang „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“ Deutsche Hochschule der Polizei/Münster Studiengang 2007/2009 Bearbeiter: Andreas Röhner Kriminaloberkommissar Betreuer Herr Dr. Wolfgang Schulte (Deutsche Hochschule der Polizei) Zweitgutachter Herr KD Dr. Andreas Schneider (Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei) Themenausgabe Abgabedatum 04. Mai 2009 27. Juli 2009 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung............................................................................................................ 4 1.1 Fragestellung / Eingrenzung ...................................................................... 5 1.2 Forschungsstand / Quellen ......................................................................... 5 2 Die Entwicklung der Polizei im NS-Staat .......................................................... 7 2.1 Vorbemerkungen ........................................................................................ 7 2.2 Die Machtübergabe 1933 ........................................................................... 7 2.3 Die „Röhm-Revolte“ 1934 ....................................................................... 13 2.4 Die Verschmelzung mit der SS 1935-1937.............................................. 14 2.5 Die 1. Kriegsphase 1939-1941 ................................................................. 20 2.6 Die 2. Kriegsphase 1941-1942 ................................................................. 22 2.7 Der Übergang zum „Totalen Krieg“ 1943 ............................................... 24 2.8 Die Kriegsendphase 1944-1945 ............................................................... 25 3 Die Polizei im preußischen Regierungsbezirk Erfurt 1933-1945 ..................... 28 3.1 Der preußische Regierungsbezirk Erfurt.................................................. 28 3.1.1 „Provinzial“ – Einordnung ......................................................... 28 3.1.2 Die Verwaltungsstruktur im Überblick ...................................... 28 3.2 Die Stadt Erfurt im Nationalsozialismus ................................................. 29 3.3 Das Polizeipräsidium Erfurt: Formelle und informelle Instanzen des NS-Herrschafts- und Unterdrückungsapparates ................................. 35 3.3.1 Organisationsstruktur und Aufgaben des Polizeipräsidiums...... 38 3.3.2 Das Personal ............................................................................... 46 3.3.3 Die Liegenschaft......................................................................... 50 4 Die Erfurter Polizeipräsidenten während der NS-Zeit ..................................... 50 4.1 Überblick .................................................................................................. 50 1 4.2 Werner von Fichte – „Wiking-Führer“ und SA-Mann ............................ 52 4.3 Karl Pflomm – Der „Alte Kämpfer“ ........................................................ 65 4.4 Alexander von Woedtke – Ein Mann für alle Fälle ................................. 75 4.5 Heinrich (Heinz) Wicke – Der unbedingte Nationalsozialist .................. 84 4.6 Otto Gieseke – Der Kommandeur ............................................................ 92 5 Nachkrieg.......................................................................................................... 96 6 Schlussbetrachtung ......................................................................................... 100 Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................... 104 Literaturverzeichnis ............................................................................................. 106 Quellenverzeichnis .............................................................................................. 113 Anhang 1-6 .......................................................................................................... 114 2 Vorwort Die vorliegende Masterarbeit beschäftigt sich mit der Polizei im NS-Staat und insbesondere mit dem Polizeipräsidium Erfurt im Zeitraum von 1933 bis 1945. Dabei wird der Schwerpunkt auf die Betrachtung der Entwicklung der Polizeipräsidenten, von Kontinuitäten und Brüchen in der jeweiligen Amtsperiode, gelegt. Bei der Anfertigung dieser Arbeit haben mich viele Personen unterstützt. Ich bedanke mich bei Frau Kock (DHPol) für die freundliche Hilfe, Recherche und Beschaffung von unentbehrlicher Literatur. Ferner bedanke ich mich bei den Archivmitarbeitern, die mich bei den notwendigen Aktenrecherchen unterstützt haben, insbesondere bei Herrn Juchheim und Herrn Dr. Herrmann (Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg), Herrn Renz (Hauptstaatsarchiv Stuttgart), Frau Bock und Herrn Dr. Boblenz (Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar), Frau Barthel (Thüringer Staatsarchiv Gotha) und Frau Rose (Stadtarchiv Erfurt) für die Auskünfte und Hilfestellungen. Zum Suizid des SS-Brigadeführers Karl Pflomm gab es unterschiedliche Ausgangsinformationen. Ich bedanke mich bei dem Vorsitzenden des Geschichts- und Forschungsvereins Walpersberg e.V., Herrn Gleichmann, für die bereitgestellten Unterlagen zur definitiven Feststellung, dass Pflomm sich und seine Familie in Hummelshain erschoss. Frau Jornitz vom Bildungszentrum der Thüringer Polizei danke ich herzlich für die Korrekturen und Überarbeitungen. Insbesondere bedanke ich mich bei den Betreuern der Arbeit, Herrn Dr. Schulte (DHPol) und Herrn Dr. Schneider (VFHS Thüringen, Fachbereich Polizei), für die hilfreichen Informationen und Anregungen bei der Erstellung dieser Masterarbeit. Nicht zuletzt bin ich meiner Frau Christine und meinen Eltern, die mir während des Studiums und der Fertigung der Arbeit stets helfend beiseite gestanden haben, dankbar. 3 1 Einleitung Die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ermöglicht ein zureichendes Verständnis für die Gegenwart sowie eine verantwortungsvolle Gestaltung der Zukunft. Zwölf Jahre Nationalsozialismus bilden das schwärzeste Kapitel deutscher Geschichte und gehören zu unserem historischen Erbe. Dem Selbstverständnis einer modernen Polizei gebührt es, sich neben aktueller Polizeiarbeit ebenso mit der Berufsgeschichte auseinanderzusetzen. Dabei muss die Beschäftigung mit den zentralen historischen Fehlentwicklungen der deutschen Geschichte zu einem permanenten Prozess werden. Für die polizeiliche Alltagsarbeit, insbesondere nach negativen Schlagzeilen in der Presse, ist das Wissen über die Rolle der Organisation Polizei im NS-Staat und die Verdeutlichung des heutigen sensiblen und kritischen Umgangs mit rechtsextremen Phänomenen unverzichtbar. Besonders in der polizeilichen Aus- und Fortbildung sind jungen Menschen ethische Dimensionen zu vermitteln und dementsprechend auch Werte zu festigen. Dabei stellt die Auseinandersetzung mit antisemitischen und fremdenfeindlichen Entwicklungen in Deutschland und deren aktuelle Vermittlung einen wesentlichen Bestandteil dar. In einem polizeilichen Führungsverständnis müssen Kenntnisse über die Entwicklung der Organisation Polizei als wichtigstes innenpolitisches Machtinstrument vorhanden sein, um sich stetig der persönlichen Rolle für die Mitgestaltung einer Bürgerpolizei im demokratischen Rechtsstaat vergewissern zu können. Neben dieser berufsethischen Betrachtung stellt sich die Frage, wie man Untersuchungen im regionalen Kontext nachgeht und die gewonnenen Erkenntnisse aktiv nutzen kann. Die nachfolgende Masterarbeit beschäftigt sich mit den amtierenden Polizeipräsidenten in Erfurt in der Zeit des Nationalsozialismus. Es handelt sich dabei um folgenden Personenkreis: - Regierungsrat Rabe von Pappenheim, - SA-Obergruppenführer Werner von Fichte, - Staatsrat Franz Albert Stange, - Landrat Philipp Harte, - SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Karl Pflomm, - SS-Oberführer und Hauptmann d.R. a.D. Alexander von Woedtke, - SS-Standartenführer Heinrich (Heinz) Wicke, - SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Otto Gieseke. 4 Die Darstellung des Wirkens einzelner Personen bedarf der Erörterung des zeitlichen und organisatorischen Kontextes jener Epoche. Aus diesem Grund erfolgt eine grundsätzliche Annäherung an die spezifischen Biografien der jeweiligen Polizeipräsidenten. 1.1 Fragestellung / Eingrenzung Zuerst wird dargestellt, wie die Entwicklung der deutschen Polizei in der Zeit des Nationalsozialismus verlief. Dabei sind wesentliche Ereignisse und deren Bedeutung für die Polizei skizziert. In einem zweiten Schritt wird der preußische Regierungsbezirk Erfurt während der NS-Zeit 1933-1945 dargestellt. In diesem Kontext erfolgen die allgemeine Einordnung innerhalb der preußischen Provinz Sachsen und die Erörterung der Strukturen sowie der Aufgaben des damaligen Polizeipräsidiums Erfurt. Im Schwerpunkt beschäftigt sich die Arbeit dann mit dem Wirken der Polizeipräsidenten, die in der Zeit von 1933 bis 1945 das Erfurter Polizeipräsidium leiteten. Folgende Untersuchungsfragestellungen liegen der Arbeit zugrunde: 1. Welche Verantwortung und welcher Einfluss wurde den jeweiligen Polizeipräsidenten zuteil und wie waren diese in der Organisationshierarchie des NS-Staates strukturell eingebunden? 2. Was prädestinierte diese Personen aus Sicht der nationalsozialistischen Führung für eine leitende Stelle in der Organisation Polizei? 3. Welchem Wandel unterlagen die Wirkungsfelder der Polizeipräsidenten 1933-1945 und was hatte das für Auswirkungen? 4. Welche Erkenntnisse über Schicksale bzw. Karrieren der Polizeipräsidenten in der Nachkriegszeit lassen sich gewinnen? Eine Eingrenzung wird aufgrund der Vielzahl von aufgefundenen Dokumenten vorgenommen. Fünf der acht amtierenden Polizeipräsidenten werden hinsichtlich der Untersuchungsfragen ausführlich betrachtet. Alle Personen werden jedoch im biografischen Anhang1 anhand der Fakten ihres Lebensverlaufes dargestellt. 1.2 Forschungsstand / Quellen Über die Rolle der Polizei im Nationalsozialismus, und insbesondere über die Einbindung von Polizeibataillonen während der Shoah, wurden aufschlussreiche Forschungsleistungen erbracht.2 Neben einer Vielzahl von veröffentlichten Lokal- und Regionalstudien zum Wirken der Ordnungspolizei soll diese Arbeit anhand der Kollektiv- 1 2 Der biografische Anhang befindet sich im Anhang 6. Klemp (2005), Kenkmann, Spieker (2001), Dams, Dönecke, Köhler (2007), u.a. 5 biografie von Polizeipräsidenten einen Beitrag zur Betrachtung der Thüringer Geschichte leisten. Das Thema „Die Polizeipräsidenten in Erfurt während der NS-Zeit“ stellte bisher ein Forschungsdesiderat dar. Es soll aufgezeigt werden, wer die Männer waren, die im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie bei Verbrechen gegen Juden und anderer Zielgruppen mitwirkten. Die Spannweite der in der Literatur gefundenen Hinweise geht von verstreuten Befunden des Wirkens einzelner Personen, bis hin zu den spezifischen biografischen Angaben3 von Karl Pflomm und Otto Gieseke. Die gefundenen Einzelinformationen wurden im Detail geprüft und mit den gesichteten Akten abgeglichen. Hierbei entstand im Resultat eine kollektivbiografische Auflistung von Ereignissen, die den Lebensverlauf jedes einzelnen Polizeipräsidenten, hauptsächlich in seiner nationalsozialistischen Verwendung, darstellt. Für die vorliegende Untersuchung war es notwendig, umfangreiches Material durch archivalische Studien zu erschließen. Recherchen im Bundesarchiv Berlin, Außenstelle Lichterfelde (ehemals Berlin Document Center) ermöglichten ein ansehnliches Bild über die Personen innerhalb der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), der Schutzstaffel (SS) und dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Die Quellenlage zu den Nachkriegsverfahren ist spärlich. Einzig die Einblicke zur Person Alexander v. Woedtke in den Ermittlungsakten der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg rundeten dessen Wirken in der NS-Zeit durchaus ab. Bestände des Thüringischen Staatsarchivs Gotha verhalfen zu einem Überblick über die organisatorische und personelle Entwicklung der Polizei im preußischen Regierungsbezirk Erfurt.4 Hierdurch konnten zeitliche Ereignisse teilweise rekonstruiert werden. Im Stadtarchiv Erfurt konnte vereinzelter Schriftverkehr des Oberbürgermeisters mit den Polizeipräsidenten und Informationen zur genutzten Liegenschaft gewonnen werden. Im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar wurden Akten zu Otto Gieseke gesichtet und ausgewertet. Durch Recherchen im Kreisarchiv Saale-Holzland-Kreis konnten gesicherte Aussagen zum Tod Pflomms gewonnen werden. Persönliche Dokumente der Personen, wie Aufzeichnungen, Tagebücher und privater Schriftverkehr, lagen nicht vor. 3 4 Detaillierte Angaben zu Karl Pflomm und Otto Gieseke in: Schulz, Zinke (2008, 495-500) und Schulz, Wegmann (2003, 376-378). Unter anderem liegen im Staatsarchiv Gotha die Einwohnerbücher der Jahre 1926, 1928, 1930 und dann wieder beginnend ab 1935, 1937/1938, 1938, 1939/1940, 1941/1942 vor. 6 Auch die Beschreibung des Aufgabenwandels gestaltete sich schwierig. Einzig auf Grundlage der Einwohnerbücher Erfurt, aus dem Staatsarchiv Gotha basierend, konnten der Aufbau und die Zuständigkeit des Polizeipräsidiums beschrieben werden. 2 Die Entwicklung der Polizei im NS-Staat 2.1 Vorbemerkungen In einer komprimierten Form werden folgend der Prozess der Loslösung der Polizei von rechtsstaatlichen Prinzipien und die spezifischen nationalsozialistischen Elemente dieser Entwicklung dargestellt. Dabei sind die für die Auseinandersetzung wichtigen Gesichtspunkte der Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933 bis zur Shoah unter dem Aspekt der Mitwirkung der Polizei betrachtet worden. Dieses Kapitel bemüht sich, wesentliche Grundlagen für das Verständnis der Rolle der Polizei im NS-Staat zu schaffen. In einer überblickartigen Darstellung wird aufgezeigt, wie durch den Zugriff der nationalsozialistischen Machthaber auf die Polizei ein Agieren frei von rechtsstaatlichen Normen ermöglicht wurde. Dabei wird deutlich, wie die Akteure des NSStaates ihr eigenes Selbstverständnis entwickelten, in ihrem „Bezugsrahmen“ handelten und in „ihrer Zeit“ lebten. Überdies interessiert insbesondere die Schaffung eines Verständnisses für den zeitlichen Wandel der Rollen und der Funktionen der Polizei. Nach dem spezifischen Ansatz von Ernst Fraenkels „Der Doppelstaat“ durchlebte die Polizei die Transformation von einem Normenstaat, der an Gewaltenteilung und Gesetzgebung gebunden war, hin zu einer Institution des parallel existierenden Maßnahmenstaates. Hierbei wird deutlich, wie alte und neue Vorschriften im Rahmen des Normenstaates in dem Maße weiterbestanden, wie sie zur Sicherung der Macht notwendig waren. Gleichzeitig handelte das nationalsozialistische Regime im Sinne des Maßnahmenstaates unabhängig von Vorschriften, um seine politischen Ziele zu verwirklichen. Letztgenanntes setzte sich vielmals gegen den Normenstaat durch. Folgend soll dieser Entwicklungsprozess der Polizei dargestellt werden. 2.2 Die Machtübergabe 1933 Mit der Ernennung Hitlers am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler änderte sich die politische Konstellation in Deutschland von Grund auf (Wehler 2009, 52). Durch die Beauftragung von Wilhelm Frick als Reichsminister des Innern und Hermann Göring 7 als Reichsminister ohne Geschäftsbereich,5 der zugleich Preußischer Minister des Inneren war, standen ihm dabei zwei führende Nationalsozialisten im Kabinett zur Seite. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten spielten diese Berufungen eine entscheidende Rolle, da man nun zur Entledigung der politischen Gegner die notwendige Exekutivgewalt der unterstellten Ordnungsorgane innehatte. Göring besaß als Dienstherr die Verfügungsgewalt über die preußische Polizei, was zu seiner „persönlichen Machtentfaltung“ (Leßmann 1989, 388) diente.6 Dies wurde u.a. durch ein Schreiben des preußischen Ministers des Innern vom 15. Februar 1933 an die Polizeiverwaltungen verdeutlicht, indem jede polizeiliche Überwachung der NSDAP und der ihr angeschlossenen Organisationen verboten wurde.7 Mit dem am 07. Februar 1933 ernannten „Kommissar zur besonderen Verwendung“, SS-Gruppenführer Kurt Daluege,8 begannen die politischen Säuberungsaktionen des preußischen Polizeiapparates (Leßmann 1989, 384-385). Hierbei wurden am 15. Februar 1933 dreizehn preußische Polizeipräsidenten ihrer Ämter enthoben und teilweise durch SA-Führer ersetzt (Leßmann 1989, 386). Dabei darf nicht unbeachtet bleiben, dass bereits während des „Preußenschlages“ der Regierung Papen am 20. Juli 1932 republiktreue Polizeioffiziere ihres Amtes enthoben wurden (Linck 2000, 24). Hintergrund dieser Aktion war das besondere Interesse an der preußischen Schutzpolizei, die als „republikanische Schutztruppe“ galt und als größte Polizeiorganisation der Weimarer Republik angesehen wurde. In den 44 staatlichen Polizeiverwaltungen Preußens9 enthob man bis Anfang Oktober 1932 zweiundzwanzig sozialdemokratische 5 6 7 8 9 Daneben war Göring Reichskommissar für Luftfahrt. Mit der am 06. Februar 1933 in Kraft gesetzten „Verordnung des Reichspräsidenten zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen“ hatte Göring die volle Verfügungsgewalt über die preußische Polizei erhalten (Wilhelm 1999, 37). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 12962, Bl. 46. Kurt Daluege, geboren am 15. September 1897 in Kreuzburg, Beruf: Ingenieur, Angehöriger des Freikorps Roßbach, anschließend Ingenieur bei der Müllabfuhr in Berlin, Gründer und Führer der 1. SA-Gruppe in Berlin, 1928 bis 1933 Führer der SS-Gruppe Ost, 1932 Mitglied des Preußischen Landtages, NSDAP-Fraktion, 05. Mai 1933 Ministerialdirektor, 15. September 1933 Generalleutnant der Preußischen Landespolizei und Preußischer Staatsrat, 12. November 1933 Mitglied des Reichstages, Wahlkreis Berlin-Ost, 1936 Chef der Ordnungspolizei, 29. April 1942 Generaloberst der Polizei und SS-Oberstgruppenführer, stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, 24. Oktober 1946 von den Tschechen hingerichtet (Stockhorst 2000, 97). In der Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 22. Juli 1932 (Nr. 80) wurde u.a. beschlossen, dass in Erfurt der Oberregierungsrat Kretzschmar als kommissarischer Polizeipräsident eingesetzt wird (http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/1000/ vpa/vpa1p/kap1_2/kap2_81/para3_2.html;jsessionid=3B0F0CEACEFFD0C7D114429990BE 0587?highlight=true&search=Wiesmann&stemming=false&pnd=&start=&end=&field=all, letzter Zugriff vom 18. Juli 2009). 8 Polizeipräsidenten ihres Amtes und 94 der 588 politischen Beamten wurden entlassen (Leßmann 1989, 371).10 Göring vermittelte die Spannungen zwischen der Sturmabteilung (SA) und dem aus deren Sicht „mißachtete und bisweilen gefürchtete Büttel des alten Systems“ (Leßmann 1989, 389) der Schutzpolizei durch Integration von SA-Angehörigen in Polizeipositionen. Dabei achtete er bedächtig darauf, dass Röhm und Himmler ihre Leute nicht frei auf höheren Polizeiposten platzierten, was ihm in seiner Stellung geschadet hätte (Leßmann 1989, 386). Weiterhin bestand das Problem, qualifiziertes Personal in der Polizei nachzuführen, weshalb häufig die Versetzung von „unzuverlässigen“ Beamten erfolgte (Linck 2000, 27). Unerwünschtes Personal, wie Beamte „nichtarischer Abstammung“ und KPD-Angehörige, wurden insbesondere auf Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“11 vom 07. April 1933 entlassen. Bis zum 31. Dezember 1933 erfolgte durch diese rechtliche Legitimation in der Schutzpolizei die Entlassung bzw. Ruhestandversetzung von 7,3% der Offiziere und 1,7% der Polizeiwachtmeister (Leßmann 1989, 386). Diese bewusst verursachte Unsicherheit übte den gewollten Druck in der Beamtenschaft aus, die dadurch in den folgenden Umorganisationsprozessen besser zu kontrollieren war. Die Umstrukturierung vollzog sich in weiten Teilen der Führungsebene, in der eine nationalsozialistische Gesinnung ausschlaggebend für die Besetzung war. Göring verfügte am 17. Februar 1933 den in der Historik bekannten „Schießerlass“, der der preußischen Polizei den Waffengebrauch gegen kommunistische „Terrorakte“ erlaubte. Neben der Anweisung, mit der SA, der SS und dem Stahlhelm zu kooperieren, wurde die Polizei zum Gebrauch der Waffe gegen „Staatsfeinde“ ermächtigt (Leßmann 1989, 392). An dieser Stelle darf die Aufstellung der Hilfspolizei in Preußen am 22. Februar 193312 nicht unerwähnt bleiben, die als „zeitlich befristete Sonderorganisation der Polizei rechtlich legitimiert war“ (Linck 2000, 27). Mit dem Einsatz der mindestens 50.000 Hilfspolizisten im Zeitraum März bis Juni 1933 (Leßmann 1989, 392), welche u.a. durch Polizeioffiziere geführt wurden, sicherten sich die Nationalsozialisten ihre Macht ab. Die mit einer weißen Armbinde gekennzeichneten Hilfspolizisten, größtenteils aus den Reihen der SA und SS rekrutiert (Wehler 2009, 59), waren insbesondere zur Sicherung der angesetzten Neuwahlen am 05. März 193313 eingesetzt. 10 11 12 13 Unter anderem wurde der Berliner Polizeipräsident Albert Grzesinski während des Preußenschlages entlassen (Leßmann 1989, 365). RGBl. I, S. 175. Die Hilfspolizei bestand vom 22. Februar 1933 bis zum 02. August 1933 (Linck 2000, 26). Die Neuwahlen am 05. März 1933 sollten die nationalsozialistische Macht legitimieren. 9 Ab dem Jahr 1933 war die nationalsozialistische Regierung bestrebt, die verfassungsrechtlichen Schranken zu beseitigen. Mit Beginn ihrer Herrschaft erließen die Nationalsozialisten deshalb weitreichende Verordnungen und Gesetze,14 um ihre alleinige Machtstellung auszubauen, das Parlament auszuschalten und die Gleichschaltung der Länder voranzutreiben. Die bereits am 04. Februar 1933 erlassene Notverordnung „Zum Schutze des Deutschen Volkes“15 führte zu massiven Einschränkungen in das Versammlungs- und Presserecht. Bereits hier wurde die Polizei von den Nationalsozialisten instrumentalisiert, indem sie das Versammlungsverbot durchzusetzen hatte. Als am Abend des 27. Februar 1933 der Reichstag brannte, wurde dies von den Nationalsozialisten als kommunistischer Aufstandsversuch propagiert. Mit einer „rücksichtslosen Energie“ (Wehler 2009, 60) nutzte die Hitler-Regierung dieses aufsehenerregende Ereignis, um die Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“ 16 zu verkünden. Mit der Suspendierung der Grundrechte der Weimarer Verfassung war die Übernahme der Polizeigewalt durch die NS-Führung eingeleitet. Um „kommunistische, staatsgefährdende Gewaltakte abzuwehren“, setzte die Reichstagsbrandverordnung die Grundrechte auf Freiheit der Person, Meinungs- und Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Unverletzlichkeit der Wohnung sowie das Recht auf Eigentum außer Kraft. Das faktische Verbot der KPD- und SPD-Presse wurde hiermit legitimiert und die willkürliche Verhaftung in Form der Schutzhaft erlaubt (Heuer 1995, 127). Fraenkel (2001, 65) beschrieb sie als „ein Mittel, die Alleinherrschaft der NSDAP zu erhalten, d.h., die souveräne Diktatur zu errichten“. Mit der Schutzhaft wurden massive staatliche Eingriffe, wie Massenverhaftungen kommunistischer Funktionäre, legitimiert (Wilhelm 1999, 38). Die Gestapo stellte - frei von jeder richterlichen Kontrolle - gegen politisch unliebsame Personen Schutzhaftbefehle aus (Heuer 1995, 128) und im Rahmen der Kriminalprävention war es nun der Kriminalpolizei möglich, Berufs- und Gewohnheitsverbrecher sowie „Asoziale“ in Vorbeugehaft zu nehmen. Auch die Ordnungspolizei begann mit der legalisierten Wahrnehmung von menschenverachtenden Maßnahmen, u.a. bei der Beteiligung an Zuführungen zu Zwangssterilisationen und gipfelte in der späteren Deportation von psychisch Kranken, Juden und „Zigeunern“ in Ghettos und Vernichtungslagern. Mit der Beseitigung polizeirechtlicher Schranken entfiel auch 14 15 16 Einen umfassenden Überblick gibt Bauer (2008, 161-309). „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“ vom 04. Februar 1933 (RGBl. I 1933, S. 35-40). „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ (Reichstagsbrandverordnung) vom 28. Februar 1933 (RGBl. I 1933, S. 83). 10 das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eines Normenstaates (Fraenkel 2001, 77). Die Polizei musste die ergriffenen Maßnahmen nicht mehr dem angestrebten Ziel gegenüberstellen. Bei der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung begann der deutlich erkennbare Entzivilisierungsprozess. Eine deutliche Spezifizierung der Verordnungen erfolgte durch den Runderlass des preußischen Innenministers Göring am 03. März 1933, indem er ausdrücklich darauf hinwies, dass sich „die nach ihr zulässigen Maßnahmen in erster Linie gegen die Kommunisten und mit ihnen zusammenarbeitende Gegner des Nationalsozialismus zu richten habe“ (Wilhelm 1999, 54). Damit wurde die Richtung polizeilichen Einschreitens vorgegeben und legalisiert, was sich in der massenhaften Verhaftung von Kommunisten und Sozialdemokraten am 10./11. März 1933 auswirkte und sich in der Errichtung von Konzentrationslagern17 (KZ) manifestierte. So wurde in einem Funkspruch des Geheimen Staatspolizeiamtes Berlin an die Polizeiverwaltungen vom 24. Juni 1933 Folgendes angeordnet: „alle führenden spd funktionäre sofort in schutzhaft nehmen falls gefahr besteht, daß sa selbstständig vorgeht. für nicht inhaftierte tägliche meldepflicht anordnen.“18 Eine „entscheidende staatsrechtliche Weichenstellung“ (Wehler 2009, 63) stand mit dem „Ermächtigungsgesetz“19 vom 24. März 1933 bevor. Dieses erlaubte der Reichsregierung, Gesetze ohne die Zustimmung des Reichstages zu beschließen, hob damit die Gewaltenteilung auf und setzte die Weimarer Reichsverfassung faktisch außer Kraft. Seit dem 14. Juli 193320 wurde die NSDAP schließlich alleinige politische Partei und Deutschland war nunmehr ein Einparteienstaat. Die Übernahme der Staatsgewalt sicherte sich Hitler als Reichskanzler durch zwei Gleichschaltungsgesetze, in welchen den deutschen Länder ihre politische Souveränität genommen und der Übergang der Hoheitsrechte der Länder auf das Reich, einschließlich der Entsendung von Reichsstatthaltern, beschlossen wurde.21 17 18 19 20 21 Am 22. März 1933 wurde das erste offizielle Konzentrationslager in Dachau unter der Führung von Heinrich Himmler errichtet (Wehler 2009, 63). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 262. „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24. März 1933 (RGBl. I 1933, S. 41). „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“ vom 14. Juli 1933 (RGBl. I 1933, S. 479). Erstes Gleichschaltungsgesetz: „Vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder“ vom 31. März 1933 (RGBl. I 1933, S. 153), Zweites Gleichschaltungsgesetz vom 07. April 1933 (RGBl. I 1933, S. 173). 11 Mit dem dritten Gleichschaltungsgesetz22 wurde der Reichsrat aufgehoben und die Landesregierungen der Reichsregierung unterstellt. Damit oblag dem Reichsinnenminister nunmehr die unmittelbare Befehlsgewalt über die Länderpolizeien im Reich. Die Länder verfügten innerhalb ihrer Landesgrenzen nur noch über die Berechtigung zum „Einsatz kasernierter Einheiten bei besonders gespannten Lagen, Unruhen, öffentlichen Notständen, außergewöhnlichen Veranstaltungen und Repräsentation“ (Wilhelm 1999, 61). Hermann Göring wurde nach dem Rücktritt v. Papens am 10. April 1933 zum Ministerpräsidenten von Preußen ernannt und ließ vom Kabinett am 26. April 1933 das „Gesetz über die Errichtung eines Geheimen Staatspolizeiamtes“ verabschieden. Hiermit erfolgte die Herauslösung der politischen Abteilungen aus den Polizeiverwaltungen in das Geheime Staatspolizeiamt, welches dem Innenminister direkt unterstellt war (Linck 2000, 25).23 Die Errichtung dieser Organisation zur Durchsetzung der Staatsgewalt schränkte die Polizei in ihren Aufgaben erheblich ein. Mit der Ernennung Himmlers am 20. April 1934 zum stellvertretenden Leiter und Inspekteur der Gestapo in Preußen begann die Vereinigung der Geheimen Staatspolizei im ganzen Land. Angesichts der Zusammenlegung des Preußischen Innenministeriums mit dem Reichsministerium des Inneren am 01. November 1934 entstand die nunmehr konzentrierte Polizeimacht des Reiches unter Reichsinnenminister Dr. Frick.24 Als der „Führer und Reichskanzler“25, Adolf Hitler, im Jahr 1935 die allgemeine Wehrpflicht wieder einführte, brach er mit der im „Versailler Vertrag“ festgelegten Maximalstärke der Reichswehr von 100.000 Mann. Alleine mit der Eingliederung von 56.000 Mann der kasernierten Landespolizei in das Heer26 sowie der Übergabe von polizeilichen Ausrüstungsgegenständen verzeichneten die Polizeien der Länder massive Personal- und Sachverluste (Wilhelm 1999, 70). Das nationalsozialistische System benutzte die Polizei zur Sicherung ihrer Macht, insbesondere während und nach den Wahlen im März 1933. In dieser Anfangsphase kann 22 23 24 25 26 Drittes Gleichschaltungsgesetz: „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches“ vom 30. Januar 1934 (RGBl. I 1934, S. 75). Andere Länder folgten später dem Vorbild Preußens. So wurde im Land Thüringen per Gesetz am 01. Januar 1934 das Thüringische Geheime Staatspolizeiamt Weimar errichtet (Schneider 2008, 56). Ablösung von Hermann Göring durch Wilhelm Frick am 01. Mai 1934, der in Personalunion Reichsminister des Inneren und Preußischer Innenminister wurde. Mit dem Tod von Reichspräsident Hindenburg am 02. August 1934 bezeichnete sich der Reichskanzler und Oberbefehlshaber der Reichswehr von nun an als „Führer und Reichskanzler“. Gesetz über die Überführung von Angehörigen der Landespolizei in die Wehrmacht vom 3. Juli 1935 (RGBl I. S. 851). 12 man von der Ersetzung des Rechtsstaates der Weimarer Republik hin zu einem Doppelstaat sprechen. Nach dem Modell des Doppelstaates hat sich das nationalsozialistische Regime die ökonomische Existenz durch regelnde Vorschriften gesichert und gleichzeitig eine Entmachtung des Volkes durch die Entziehung des Rechtsschutzes vorgenommen (Fraenkel 2001, 206). Mit der durch die Notverordnungen geschaffenen Fülle an Eingriffsmöglichkeiten und der Einrichtung einer Hilfspolizei konnte sich das nationalsozialistische Regime „in Ruhe“ aufstellen. Besonders bedeutungsvoll war für die Polizei in diesen Jahren die im Rahmen von „Säuberungsaktionen“ durchgeführten Neubesetzungen von systemtreuen Angehörigen in hohen polizeilichen Führungspositionen. 2.3 Die „Röhm-Revolte“ 1934 Das im Jahr 1934 „nutzlos gewordene Bürgerkriegsheer SA“ (Bauer 2008, 236) war für das nationalsozialistische Regime zu einer Bedrohung geworden. Mit einer Mitgliedsstärke von rund viereinhalb Millionen stellte die SA einen permanenten Unruheherd da. Konträr zur Vorstellung des SA-Chefs Ernst Röhm, mit der SA als „braune Volksarmee“ die Reichswehr abzulösen, war Hitlers Bestreben nach einer engen Einbindung der Reichswehr in sein Regime und die Verhinderung der Röhm’schen Machtbestrebungen (Wildt 2008, 85). Aber auch Göring und Himmler hatten ein eindeutiges Interesse an der Ausschaltung des Machtkonkurrenten SA. Die Auflösung der Hilfspolizei am 02. August 1933 bedeutete bereits einen wesentlichen Schritt zur Entmachtung der SA, da hiermit der beginnenden „Eroberung des preußischen PolizeiApparats“ (Leßmann 1989, 396) vorgebeugt wurde. Daneben brachte die SS das Gerücht eines bevorstehenden Putsches der SA in Umlauf (Bauer 2008, 239). Göring, Himmler und Heydrich27 gaben wegen der ernsthaften Gefahr einer Konfrontation zwischen SA und der Hitler-Regierung den Auftrag zur Erstellung von Namenlisten von SA-Führern und sonstiger gefährlich einzustufender Oppositioneller (Herbert 27 Heydrich, Reinhard, geboren am 07. März 1904 in Halle, 1919 bis 1920 Angehöriger des Freikorps, 1921 Mitbegründer der Deutschen völkischen Jungenschaft, 1922 Eintritt in die Reichsmarine, 1931 als Oberleutnant zur See durch ein Ehrenverfahren entlassen, 1931 Eintritt in die NSDAP und in die SS in Hamburg, 1931 SS-Sturmbannführer, Juli 1932 SSStandartenführer und Chef des Sicherheitsdienstes (SD), März 1933 SS-Oberführer und Leiter der Politischen Abteilung der Polizeidirektion München, anschließend Leiter der politischen Polizei im Ministerium des Inneren, 1934 SS-Gruppenführer, 1933 und 1934 leitete er die Gleichschaltung der politischen Polizei der einzelnen deutschen Länder, 1939 Chef des Reichssicherheitshauptamtes, September 1941 stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, 27. Mai 1942 Attentat in Prag, 04. Juni 1942 erlag er den Verletzungen des Attentats (Stockhorst 2000, 196). 13 1996, 143). Best28 erstellte beispielsweise in wochenlanger Vorbereitung eine „Mordliste“ für Württemberg-Baden und Bayern (Herbert 1996, 143). Nachdem eine SAStandarte lautstark am Abend des 30. Juni 1934 durch München marschierte, war das Startsignal für die „Nacht der langen Messer“ gegeben, bei der die SA-Führungsriege in Bad Wiessee festgenommen und ermordet wurde (Wildt 2008, 86). Anhand der vorbereiteten Listen sind in den folgenden Tagen weitere hohe Offiziere der SA in vielen Teilen Deutschlands festgenommen und auch liquidiert worden. Neben der SA-Führung wurden Publizisten, Geistliche und prominente Personen, wie der ehemalige Reichskanzler der Weimarer Republik, General Kurt von Schleicher, ermordet (Bauer 2008, 242). Ebenso nutzten „viele SS-Leute die günstige Gelegenheit, um persönliche Rechnungen zu begleichen“ (Bauer 208, 242). Dieser Mordaktion fielen 89 Menschen zum Opfer.29 Mit der Entmachtung der SA konnte sich als größter Sieger der Röhm-Revolte30 wohl Heinrich Himmler betrachten, da die SS am 20. Juli 1934 zur eigenständigen Organisation der NSDAP erhoben wurde (Bauer 2008, 244). Mit dem Ereignis der Röhm-Revolte verdeutlichte sich der Maßnahmenstaat besonders: Als Inhaber der souveränen Diktatur stand es ausschließlich in Hitlers Ermessen, wie die Maßnahmen vom 30. Juni 1934 durchzuführen waren. Nach Fraenkel (2001, 58) kommt für das durch die Reichsregierung am 02. Juli 1934 beschlossene „Gesetz über die Maßnahmen der Staatsnotwehr“31 das die Maßnahmen gegen die SA für rechtens erklärte, „lediglich deklaratorische Bedeutung zu“. 2.4 Die Verschmelzung mit der SS 1935-1937 Nachdem der Machtkampf gegen die SA gewonnen war, festigte sich der „HitlerMythos“ und die „friedlichen Jahre 1934-1937“ (Bauer 2008, 255) begannen. Als wesentlichster Aspekt für die Polizei ist hier die zum 17. Juni 193632 durch Führererlass geschaffene Institution „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei (RFSSuChdDtPol) im Reichsministerium des Inneren“ zu erläutern. Dazu schrieb der „Justiziar Himmlers“ und „SS-Ideologe“ (Herbert 1996, 11) Werner Best (1940, 5): 28 29 30 31 32 Best, Karl Rudolf Werner, Dr. jur., geboren am 10. Juli 1903 in Darmstadt war von 1931 bis 1932 Mitglied des Hessischen Landtages und Leiter der Rechtsabteilung der hessischen NSDAP-Führung (Stockhorst 2000, 56). Szkowronek (2009, 60) recherchierte hierzu in seiner Diplomarbeit zum Thema: „Die RöhmRevolte am 30. Juni 1934 im NS-Gau Thüringen“. Danach wurden im NS-Gau Thüringen zwölf Verhaftungen ohne bekannten Todesfall durchgeführt. Detaillierte Ausführung sind u.a. in Heinz Höhne 1984: Mordsache Röhm: Hitlers Durchbruch zur Alleinherrschaft, 1933–1934. Reinbek bei Hamburg (Rowohlt -Verlag) zu finden. RGBl I 1934, S. 529. „Erlaß über die Einsetzung eines Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Inneren“ vom 17. Juni 1936 (RGBl. I S. 487). 14 „Zur einheitlichen Zusammenfassung der polizeilichen Aufgaben im Reich wird ein Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern eingesetzt, dem zugleich die Leitung und Bearbeitung aller Polizeiangelegenheiten im Geschäftsbereich des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern übertragen wird.“ Mit diesem Schritt erfolgte die teilweise Entmachtung des Preußischen Innenministers Frick und die Polizeigewalt konzentrierte sich nun unter dem RFSSuChdDtPol, Heinrich Himmler (Linck 2000, 28). Dams, Dönecke, Köhler (2007, 235) vermerkten hierzu: „De facto war Himmler nur noch Hitler selbst unterstellt.“ Mit der Verschmelzung von Polizei und SS kam es zu einer Zentralisierung und Machtbündelung und somit zur Herauslösung der Polizei aus der Innenverwaltung (Entstaatlichung) hinein in die Schutzstaffel, als Unterorganisation der NSDAP. Bereits am 26. Juni 1936 wurde auf Weisung Himmlers im Rahmen einer Neuordnung33 das Hauptamt Ordnungspolizei, unter Führung von SS-Obergruppenführer Kurt Daluege, sowie das Hauptamt Sicherheitspolizei, unter Führung von SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich, geschaffen. Dabei wurde dem Hauptamt Ordnungspolizei die Verwaltungspolizei, die Schutzpolizei des Reiches und der Gemeinden, die Feuerschutzpolizei, die Gendarmerie und die technischen Hilfspolizeien unterstellt (Bader 1943, IX). Der Sicherheitspolizei unterstanden die Geheime Staatspolizei sowie die Kriminalpolizei. Ab dem 27. September 1939 wurden die Gestapo, die Kriminalpolizei und der SS-Nachrichtendienst (SD) im Reichssicherheitshauptamt34 unter der Führung von SS-Obergruppenführer Heydrich zusammengelegt. Am deutlichsten wurde die Verschmelzung von SS und Polizei durch die Neuschöpfung der Institution „Höhere SS- und Polizeiführer (HSSPF)“ ab März 1938 umgesetzt: Die „Kleinen Himmler“ (Birn 1986, 2), welche von Himmler persönlich ausgesucht worden waren, stellten als Mittelinstanz ein „geeignetes Mittel zur Durchsetzung der weltanschaulichen Ziele des Nationalsozialismus“ (Birn 1986, 4) dar. Die Verschmelzungsbemühungen auf allen Ebenen wurden durch ein Schreiben Himmlers vom 12. Juli 1938 besonders deutlich: „Damit bei gemeinsamen Veranstaltungen von SS und Ordnungspolizei die Angehörigen der Ordnungspolizei das Treuelied der SS mitsingen können, erwarte ich, dass alle Angehörigen der Ordnungspolizei Text und Melodie des Treueliedes der SS kennen.“35 33 34 35 Daneben bestanden weitere Hauptämter. Ausführlich wird die Organisation der Schutzstaffel im Anhang 1 dargestellt. Nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich leitete Heinrich Himmler von 1942 bis 1943 das RSHA, danach bis Kriegende Ernst Kaltenbrunner. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26118, Bl. 153. 15 Himmler achtete bei allen unterstellten Organisationeinheiten gründlich darauf, dass selbst das Leben außerhalb der Arbeitszeit organisiert war. Er schrieb diesbezüglich am 18. September 1940 an alle Polizeiverwaltungen:36 „Die Freizeitgestaltung soll für die Männer Erholung, nicht aber Dienst sein. Die für den Mann notwendige Zeit für die Erledigung seiner persönlichen Bedürfnisse muss ihm noch im ausreichenden Maße verbleiben.“37 Dies sollte u.a. durch Singen, das Veranstalten von Leseabenden, Gedenkstunden und Vorträgen, die Vorführung von Laienspielen, die Einrichtung einer Bücherei oder einfach nur durch Gemeinschaftsspiele ermöglicht werden. Immer mehr wurden die Regeln der SS auch in der Polizei übernommen. Am 03. Mai 1941 verwies der HSSPF in Kassel an die zugehörigen Polizeiverwaltungen auf die Richtlinien für Kameradschaftsabende, die der Erziehung von Führern und Männern dienen sollten. Wörtlich hieß es in dem Text: „Kameradschaftsabende müssen in jedem Fall vorbereitet sein, da sie sonst öde Saufabende werden, die unserer nicht würdig sind.“38. Die Vision Himmlers, mit Symbolen, Festen und Ritualen aus der SS „eines auf Blut und Boden verpflichteten Ordens“ (Longerich 2008, 266) zu schaffen, machte nach der Verschmelzung auch vor der Polizei nicht halt. In einem Merkblatt zu Weihnachtsfeiern: „Im Julfest feiern wir die Wiedergeburt des Lichts“ wurden durch den HSSPF Kassel die Riten der SS auf Polizei übertragen.39 Mit der Hinwendung Himmlers zu germanischen Werten wurde das Julfest im Sinne der „Entchristlichung und Germanisierung“ (Longerich 2008, 275) als Ersatz für das christliche Weihnachtsfest zelebriert. In Himmlers ehrgeizigem Anspruch, der SS durch organisatorische Maßnahmen eine eigene Weltanschauung zu geben, baute er „einen spezifischen SS-Kult mit entsprechenden Ritualen, Symbolen und „heiligen“ Orten“ (Longerich 2008, 266) auf. In Erfurt fand beispielsweise am 21. Juni 1938 eine Sonnenwendfeier auf dem Hofe der Schutzpolizei-Unterkunft Petersberg, organisiert durch den Polizeipräsidenten, statt. Dabei wurden gemäß dem Erlass Himmlers Sprecher, singende Abteilungen, Fackelträger gestellt und die „entsprechenden Lieder“ eingeübt.40 Auf Anordnung Dalueges sind dabei Absprachen zu einer gemeinsamen Feier der Schutz- 36 37 38 39 40 In dem Schreiben waren vorrangig Einheiten der Polizeibataillone und Polizei-AusbildungsBataillone gemeint. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26178, unpag. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26178, unpag. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26178, unpag. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26178, unpag. 16 polizei, der Gemeindevollzugspolizei, der Gendarmerie mit den Einheiten der SS getroffen worden.41 Analysiert man die Weltanschauung und den Kult der SS weiter, so stellt man neben der rassischen Auslese, dem Abschwören vom christlichen Glauben, dem Heiratsgenehmigungsverfahren auch eine konkrete Anforderung zur Kinderzahl fest. Ebenso war der zur nationalsozialistischen Rassenhygiene von Himmler gegründete Verein „Lebensborn“, der sich seit Dezember 1935 „um rassisch wertvollen Nachwuchs aus unehelichen Beziehungen“ (Longerich 2008, 384) kümmerte, fest in die SS integriert und dem Rasse- und Siedlungshauptamt unterstellt. Himmler schrieb hierzu am 14. Juni 1938 in einem Runderlass: „Der Beitritt der Offiziere der Ordnungspolizei zu dem Verein „Lebensborn“ unter Zahlung der dort angegebenen Beträge ist erwünscht.“42 Die Übernahme von Angehörigen der Ordnungspolizei in die SS regelte Himmler in seinem Erlass vom 18. Januar 1938. Demnach konnten alle Angehörigen der Ordnungspolizei, die bis zum 30. Januar 1933 Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen waren,43 auf Antrag44 in die SS aufgenommen werden. Hierzu schrieb Himmler: „Damit ist ein weiterer Schritt zur allmählichen Verschmelzung von SS und Polizei getan worden.“45 Mit massivem Druck versuchte Himmler, den Beitritt von höheren Polizeibeamten in die SS zu erwirken.46 Auch Angehörige der Ordnungspolizei, die anderen nationalsozialistischen Gliederungen, wie der SA oder dem Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps (NSKK) angehörten, wurden aufgefordert, sich aus diesen herauszulösen und der SS beizutreten (Buchheim 1964, 106). Zur Aufnahme möglichst vieler Polizeiangehöriger in die SS schrieb Best (1940, 95-96): „Diejenigen Angehörigen, die den Aufnahmebedingungen der SS entsprechen, werden nach hierfür erlassenen Anordnungen in die SS aufgenommen. Sie erhalten den SS-Dienstgrad, der ihrer Stellung in der Polizei entspricht; hierdurch wird der in der Polizei geleistete Dienst sichtbar dem in entsprechender Stellung in der SS geleisteten Dienst 41 42 43 44 45 46 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26178, unpag. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27897, Bl. 44. Insbesondere „alte Kämpfer“, d.h. NSDAP-Mitglieder, die bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme der Partei beigetreten waren und eine Mitgliedsnummer unter 300.000 vorweisen konnten, bildeten später einen Großteil der Führungselite. Es waren dem Antrag auf Aufnahme in die SS beizufügen: eine polizeidienstliche Bescheinigung, dass der Ariernachweis nach den beamtenrechtlichen Bestimmungen erbracht wurde (Ariernachweis bis 1800, bei SS-Führern bis 1750), der Aufnahme- und Verpflichtungsschein, der Erbgesundheitsbogen für sich und die Ehefrau, beglaubigt durch den zuständigen SS-Arzt, ein Fragebogen mit je drei Lichtbildern, die Musterungsformel, die SS-Stammkarte und der Untersuchungsbogen. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26118, Bl. 58. Diese Verfahrensweise wurde ab 1942 gelockert, da Himmler beabsichtigte, nur noch Freiwillige in Polizeiposten einzusetzen. 17 gleichgesetzt.“ Um die Verschmelzung von SS und Polizei sichtbar zu gestalten, trugen die uniformierten Angehörigen der Polizei den Dienstanzug der SS und die Angehörigen der uniformierten Ordnungspolizei die Sig-Runen der SS auf der linken Brustseite des Dienstanzuges (Best 1940, 96). Deutlich erkennbar war nach dem Aufstieg der SS47 die schlagartige Erhöhung der Mitgliederzahlen. Banach (2002, 132) schrieb hierzu: „Wir können annehmen, daß in der Phase bis 1938 die ideologische Übereinstimmung zur SS bei den meisten ihrer Neumitglieder größer war als in den späteren Jahren. Dann dürfte die Mitgliedschaft für manchen die Erfüllung einer dienstlichen Pflicht gewesen sein.“ Gleichfalls war die Mitgliedschaft in der NSDAP ein „Gradmesser ideologischer Zuverlässigkeit“ (Banach 2002, 135), um in der Beamtenlaufbahn Karriere zu machen. In diesen Jahren unterlag die Polizei einem ständigen Prozess der ideologischen Beeinflussung, was auf die folgenden menschenvernichtenden Aufgaben vorbereiten sollte. So wurde am 29. September 1941 ein Schreiben der Reichspropagandaleitung an die Polizeiverwaltungen durch den HSSPF Kassel weitergeleitet, in der die Organisationen darauf hinzuweisen waren, dass „wir das Augenmerk des deutschen Volkes noch mehr auf die Schuld des Judentums lenken müssen“. In dieser Hetzschrift wurde den Polizisten veranschaulicht, dass „die Juden aufgrund der vielen Rechte immer frecher geworden sind, sich vor der Arbeit drücken und unverschämt benehmen.“48 Durch die Verwebung mit der SS wurde die Polizei verschärft in den Maßnahmenstaat integriert. Neben der „Judenkartei“ der Gestapo und der total autarken Macht der SS über die Konzentrationslager49 war die Polizei uneingeschränkt in die politische Ausrichtung der nationalsozialistischen Führung eingebunden. Best (1940, 20) schrieb hierzu: „Ob der Wille der Führung die „richtigen“, d.h. die möglichen und notwendigen Regeln für das Handeln der „Polizei“ – also das dem Volke angemessene und förderliche „Polizei“- Recht – setzt, ist keine „Rechts“-Frage mehr, sondern eine Schicksalsfrage.“ Aus dieser Situation heraus wurden beispielhaft durch die Kriminalpolizei(leit)stellen im Februar 1937 Listen mit zu deportierenden Berufs- und Gewohnheitsverbrechern in Konzentrationslager angelegt. Am 09. März 1937 fanden die schlagartigen Massenverhaftungen von 2.000 „nicht in Arbeit befindliche[n] Berufsund Gewohnheitsverbrechern“ (Wagner 2002, 88) im gesamten Reichsgebiet statt. 47 48 49 Die Schutzstaffel wurde nach der „Röhm-Revolte“ zu einer Unterorganisation der NSDAP. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26178, unpag. Der „Inspekteur der Konzentrationslager und Führer der SS-Wachverbände“, SSGruppenführer Eicke, plante den Ausbau und die Errichtung der Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald und Dachau (Wilhelm 1999, 100). 18 Diese Ausweitung des bisher geltenden Rechts bedeutete eine gravierende Ermessenserweiterung für die Kriminalpolizei. Gleichzeitig wurde die permanente polizeiliche Überwachung für alle aus der polizeilichen Schutzhaft entlassenen Personen angeordnet und die Möglichkeit der Verhängung von polizeilicher Vorbeugehaft50 gegeben. Ein großer Stellenwert kam außerdem der Eigengerichtsbarkeit von SS und Polizei zu. Diese eigene Gerichtsbarkeit sah Ehrenstrafen, unabhängig dem allgemeinen Strafrecht, vor. Dazu zählten die nach den Wertvorstellungen der SS eigenen Grundgesetze, wie das „Rassenbewusstsein“ und die „Heiligkeit des Eigentums“. Als gravierendste Ehrenstrafe galt die Ausstoßung aus der SS (Vieregge 2001, 8). Dieses von Himmler geschaffene Sanktionsinstrument51 sollte zu einem einheitlichen „SS-mäßigen Rechtsdenken“ (Vieregge 2001, 61) führen. Mit der Einrichtung dieses Justizzweiges konnte im Polenfeldzug, unabhängig der Jurisdiktion der Wehrmacht, eigenes Sonderstrafrecht gesprochen werden (Vieregge 2001, 61). Exemplarisch wird hier die harte Verfolgung der „Rassenschande“52 nach den ideologischen „Verirrungen“ der NS-Rassenlehre angeführt (Vieregge 2001, 111), auf der anderen Seite bedurfte die „Tötung lebensunwerten Lebens“ von körperlich und geistig Behinderten keiner Ermächtigungsgrundlage (Vieregge 2001, 115) und damit keiner Rechtfertigung. Auch die nach Kriegsbeginn im November 1939 eingesetzten Standgerichte, ausgeübt durch einen Kommandeur oder Truppenbefehlshaber, zeugten von einer eigenen Jurisdiktion von SS und Polizei (Vieregge 2001, 188). Nach der Ermordung des Legationssekretärs Ernst vom Rath in der deutschen Botschaft in Paris wurden im Deutschen Reich in der Nacht vom 09. auf den 10. November 1938 während der „Reichskristallnacht“ zahlreiche Synagogen angezündet, jüdische Geschäfte, Wohnungen und Kultureinrichtungen beschädigt und zerstört. Dabei demütigten, schlugen, misshandelten oder töteten die SA- und SS-Horden jüdische Bewohner. Polizei und Feuerwehr sahen auf Anweisung den Ausschreitungen tatenlos zu und hatten einzig die Aufgabe, Plünderungen sowie das Übergreifen der Feuer zu verhindern (Bauer 2008, 335). 50 51 52 Demnach konnten Berufs- und Gewohnheitsverbrecher, die dreimal mindestens sechs Monate inhaftiert waren sowie „für die Allgemeinheit gefährliche“ Wiederholungstäter und „Asoziale“ in Vorbeugehaft genommen werden (Wilhelm 1999, 102). Die SS- und Polizeigerichtsbarkeit lag beim Hauptamt SS-Gericht (Vieregge 2001, 61). Rassenschande bezeichnete den außerehelichen Verkehr zwischen Juden und Deutschen (Vieregge 2001, 101). Das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935“ verwirklichte erstmals „Rassen-Sonderrecht“ (Vieregge 2001, 102). Jedoch galten für die SS im Sinne der Eigengerichtsbarkeit erweiterte Maßstäbe. 19 2.5 Die 1. Kriegsphase 1939-1941 Bereits ab dem Jahr 1936 erfolgte die systematische Ausrichtung der Wirtschaft sowie der Armee auf einen möglichen Kriegseinsatz (Wildt 2008, 137). Zur Verbesserung der eigenen militärpolitischen Lage53 marschierten am 12. März 1938 deutsche Truppen in Österreich ein. Mit der Errichtung des „Protektorates Böhmen und Mähren“54 erfolgte ein Jahr später auch die Besetzung Tschechiens.55 Mit dem Ziel der nationalsozialistischen Führung, den „Lebensraum“ des deutschen Volkes zu erweitern, marschierten deutsche Truppenverbände am 01. September 1939 in Polen ein und es begann ein vom nationalsozialistischen Deutschland ausgelöster Raub- und Vernichtungskrieg. In den annektierten polnischen Gebieten wurde das sogenannte Generalgouvernement als deutsche Besatzungsverwaltung gebildet. Neben der Wehrmacht, die aus Angst vor Widerstand mordete, waren die nachfolgenden Einsatzgruppen der SS und der Polizei mit der systematischen „Unschädlichmachung“ der polnischen Führungsschicht und der Vertreibung der polnischen Juden beauftragt (Wildt 2008, 147). Massenhafte Morde wurden gleichzeitig durch bewaffnete Milizen der volksdeutschen Minderheit begangen. Bis zum 27. Dezember 1939 erfolgte aus den Provinzen Danzig-Westpreußen, Posen, Ostoberschlesien die Deportation von etwa 88.000 Juden und Polen in das Generalgouvernement, welches als „Judenreservat“ fungieren sollte (Wildt 2008, 150-151). Die Deportationen kamen aufgrund logistischer Probleme und negativer Meldungen der Weltpresse ins Stocken und es wurde mit der Errichtung von Ghettos in und außerhalb des Generalgouvernements begonnen (Wildt 2008, 151). In den folgenden Monaten wurden zusätzliche Konzentrationslager errichtet, wie das von SS-Obersturmbannführer Rudolf Höß geführte KZ Auschwitz I.56 In der ersten Phase des Krieges besetzte Deutschland im April 1940 auch große Teile Skandinaviens, und mit der Eroberung Westeuropas und insbesondere mit dem Sieg über Frankreich im Juni 1940 erreichte der „Hitler-Mythos“ seinen Höhepunkt (Wildt 2008, 154). Mit den nationalsozialistischen Zielsetzungen nach Raumgewinn, anti53 54 55 56 Ziel der „Angliederung Österreichs“ waren u.a. eine neue Grenzziehung, die Nutzung von Rohstoffressourcen sowie die Nutzung von Arbeitskräften (Wildt 2008, 140). Unter dem Reichsprotektor Konstantin von Neurath und Unterstützung durch SS-Gruppenführer Karl-Hermann Frank. Dem vorangegangen war das Münchner Abkommen vom 29. September 1938, nachdem die Tschechoslowakei bis zum 10. Oktober 1938 die sudetendeutschen Gebiete an Deutschland abzutreten hatte (Wildt 2008, 141). Die Slowakei erklärte im Oktober 1938 ihre Autonomie und besaß nach den Wahlen vom 14. März 1939, durch Hitler „angestachelt“ (Wildt 2008, 142), den faktischen Status der „Selbstständigkeit“. Das KZ Auschwitz I wurde im Mai 1940, das KZ Auschwitz II (Birkenau) im Oktober 1941 und das KZ Auschwitz III (Monowitz) Ende 1942 errichtet. 20 semitischer und bolschewistischer Vernichtung sowie der Ausplünderung in den besetzten Territorien erweiterten sich auch die Einsatzgebiete der Polizei. Aufgrund des erhöhten Personalbedarfs wurde die Polizeireserve57 im September 1939 mit insgesamt 91.500 Mann einberufen (Linck 2000, 33). In der Regel waren die eingesetzten Polizisten und Reservisten freiwillig im Einsatz (Klemp 2005, 9). Mit der Aufstellung von Ausbildungs-Bataillonen als Nachersatz für die Ordnungspolizei wurden auf „Führerbefehl“ am 31. Oktober 1939 insgesamt 26.000 Mann eingestellt.58 Nach Klemp (2005, 21) waren Polizeibataillone direkt an größeren Mordaktionen im besetzten Polen beteiligt. Hier tritt der Maßnahmenstaat mit erschreckender Wirklichkeit zu Tage: Obwohl keine konkreten Einsatzbefehle vorlagen, haben Ordnungspolizisten im „Osteinsatz“ massenhafte Morde, vor allem an der jüdischen Bevölkerung, begangen (Klemp 2005, 21). Zum Einsatz der Polizei im „Operationsgebiet“ gab es strikte Anweisungen, wie aus dem überlieferten Vortrag des Inspekteurs der Ordnungspolizei am 19. März 1940 in Kassel hervorgeht:59 Dabei war die Polizei zum einen zur unmittelbaren Unterstützung der Truppe durch Verkehrsregelung, GefangenenTransporte, Stellung von Wachen und Posten, Aufgreifung von Deserteuren, etc. beauftragt. Daneben bestanden zum anderen Aufgaben in „Polizeibefriedungsaktionen“, wie Entwaffnungsaktionen, Gebietsbestreifungen nach Heckenschützen und Saboteuren sowie Verteidigungsmaßnahmen von besetzten Orten und Gebäuden. Zu letzteren Aufgaben gehörte auch die Verfolgung, Einkreisung und Vernichtung von feindlichen Einheiten. Hier zählten als „wirksame“ Maßnahmen die Ortsdurchsuchung und Ortsbestreifung sowie der Ortskampf.60 Es wurde in der Untersuchung von Klemp (2005, 7) festgestellt, dass 75 der insgesamt 125 Polizeibataillone im Laufe des Krieges direkt oder indirekt an der Shoah beteiligt waren. In den besetzten Territorien wurden neue Polizeiverwaltungen eingesetzt, welche in die Bereiche Ordnungs- und Sicherheitspolizei gegliedert waren und regional den Kommandeuren der Ordnungspolizei (KdO) und der Sicherheitspolizei (KdS) unterstanden. Die Befehlsgewalt über diese Polizeiorganisationen übten die SS- und Polizeiführer (SSPF) bzw. die HSSPF aus (Linck 2000, 34). Je länger der Krieg andauerte, desto mehr legte die politische Führung Wert darauf, dass Schlüsselstellungen in der staatlichen Verwaltung, besonders in der Polizeiverwaltung, in erster Linie mit Leuten von soldatischer Haltung und absoluter politischer 57 58 59 60 Aufbau eines „verstärkten Polizeischutzes“ im Jahr 1937 zur Bewältigung polizeilicher Aufgaben im Kriegsfall. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27490, Bl. 60. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27490, Bl. 140-154. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27490, Bl. 140. 21 Zuverlässigkeit besetzt wurden.61 Der SS-Führer galt dabei mehr und mehr als Garant für die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit. Nach Best (1940, 64) unterlagen die Verbände der Ordnungspolizei während des Kriegseinsatzes einer Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen.62 Paul (2003, 151) vermerkte zur Kriegsteilnahme der Polizei Folgendes: „Seit September 1939 wurde die Orpo im Rahmen deutscher Besetzungspolitik zum tragenden Element der sich herausbildenden „Endlösung“ im Osten.“ 2.6 Die 2. Kriegsphase 1941-1942 In einer erneuten Ausweitung des Krieges ordnete Hitler am 18. Dezember 1940 die Vorbereitungen für einen Überfall auf die Sowjetunion an: das „Unternehmen Barbarossa“. Seitens der SS wurden im Frühjahr 1941 an der Unterführerschule Pretzsch etwa 3.000 Mann in vier Einsatzgruppen, bestehend aus Mitgliedern des SD, der Gestapo, der Kripo, der Ordnungspolizei und der Waffen-SS, aufgestellt und auf den Kriegseinsatz vorbereitet (Longerich 2008, 539). Mit dem Kriegsbeginn gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 „trat der Vernichtungscharakter des Nationalsozialismus unverkennbar zu Tage“ (Wildt 2008, 157). Neben der Außerkraftsetzung aller geltenden Völker- und Kriegsregeln63 und dem „Verelendenlassen“ von Millionen sowjetischer Kriegsgefangener waren bereits durch die Wehrmacht „Massenverbrechen ungeheuren Ausmaßes“ (Wildt 2008, 158) verübt worden. An den Mordeinsätzen unmittelbar beteiligt waren neben der nachrückenden Sicherheitspolizei und dem SD auch Einheiten der Ordnungspolizei und der Waffen-SS (Wildt 2008, 159). Diese wurden von den HSSPF mit dem Ziel „alle Fahndungs- und Exekutionsmaßnahmen zu treffen, die zur politischen Befriedung der besetzten Gebiete erforderlich sind“ geführt und koordiniert. Vier Einsatzgruppen handelten dabei im rückwärtigen Heeresgebiet, welche die Buchstabenbezeichnung A, B, C, D führten und sich aus Mitgliedern der Sicherheitspolizei, aus Polizeibataillonen, dem SD und der Waffen-SS rekrutierten. Diese Einheiten, insbesondere die mobilen Polizeiverbände, hinterließen „eine Schneise der Verwüstung unter den jüdischen Gemeinden“ (Paul 2003, 153). Dabei konnten die Einsatzkommandos vor Ort eigene Entscheidungen treffen, um den Feind, die „jüdischen Bolschewisten“, zu vernichten (Wildt 2008, 160). 61 62 63 HStAS, EA2/150 Heinz Wicke (Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Stuttgart vom März 1958, Az: 2S 185/56). Verordnung über eine Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der SS und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz vom 17.10.1939 (RGBl. I S. 2107). Hiermit ist der sogenannte „Kommissarbefehl“ gemeint, nach dem alle politischen Offiziere der Roten Armee sofort zu erschießen waren. 22 Mordaktionen, wie das vom Polizeibataillon 309, welches Ende Juni 1941 in Bialystock achthundert Juden in eine Synagoge trieb und diese dort lebendig verbrannten (Paul 2003, 155), waren der Anfang64 des Massenmords in den besetzten Gebieten der Sowjetunion, dem bis März 1942 ungefähr 600.000 Menschen zum Opfer fielen (Wildt 2008, 160). Auch sei hier Paul (2003, 157) angeführt, der die Männer der I. Kompanie des Polizeibataillons 61 in den Jahren 1941 und 1942 beschrieb, wie sich diese nach dem Dienst im Warschauer Ghetto an der Bar amüsierten und dabei eine an der Wand angebrachte Liste mit erschossenen Juden führten. Nach einer Typolisierung von Browning (2002, 220) werden die am Judenmord beteiligten Polizisten in drei Gruppen aufgeteilt: Männer, die mit wachsender Begeisterung töteten; Männer, die auf Befehl schossen (Indifferente) und Männer, die den Befehl zum Töten verweigerten. Thamer (2002, 19-20) bemerkte hierzu, dass die zweite Gruppe der Indifferenten nicht von Judenhass oder anderen weltanschaulichen Motiven geleitet wurde, „sondern ein dumpfes Klima der Gewalt, die brutalisierende Wirkung des Krieges und des praktizierten rassistischen Imperialismus, ferner ein massiver Gruppendruck, ein ausgeprägter Korpsgeist, Alkoholexcesse und eine fortschreitende Abstumpfung gegenüber Gewalttaten jeder Art“ bestand. Mit dieser „Entzivilisierung“ (Heuer 1995, 5) und „Radikalisierung“ war die Polizei im Kriegseinsatz als ein wesentlicher Vollstrecker des Judenmordes anzusehen.65 In den Jahren 1942 bis 1943 wurde mit der Aktion Reinhardt die systematische Ermordung der Juden des Generalgouvernements in den drei Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka betrieben und die „Räumungen“ der jüdischen Ghettos in Polen setzten ein. Es sind einige der Orte, an denen die großen Verbrechen der Shoah, insbesondere in den Monaten Juli – November 1942, stattfanden.66 Haffner (2008, 166) schrieb hierzu passend: „Von Ende 1941 an machte Hitler keine deutsche Politik mehr. Er trieb nur noch mörderisches Allotria.“ 64 65 66 Michael Okroy wertete hierzu in: „Man will unserem Batl. was tun…“ den Wuppertaler Bialystock-Prozess 1967/68 gegen Angehörige des Polizeibataillons aus (Kenkmann, Spieker, 2001, 302). Um die für den auswärtigen Einsatz vorgesehenen Polizeikräfte zu sensibilisieren, wurde beispielsweise durch den Regierungspräsidenten in Erfurt am 08. Dezember 1942 angewiesen, dass der Erfahrungsbericht von Hauptmann Schott in der Ausbildung verwendet wird. Schott berichtete über seine Erlebnisse aus dem Osteinsatz unter dem Titel: „Auf was kommt es in Russland an?“ und prägte zehn „überlebenswichtige Eigenschaften: Jägersein; Improvisieren können; Unermüdlich tätig sein; Argwöhnisch sein; Wach sein; Aufklären; Versorgen; Sauber sein; Hart sein und schließlich Kamerad sein“ (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22786, Bl. 33). Bei der am 20. Januar 1942 stattgefundenen „Wannsee-Konferenz“ verständigten sich verschiedene Ministerien und SS-Institutionen über die „Endlösung der europäischen Judenfrage“, der Tötung von über 11 Millionen Juden (Wildt 2008, 174). 23 Auch in Westeuropa begannen im März 1942 die ersten Deportationen tausender jüdischer Menschen in Richtung Generalgouvernement, in die Konzentrationslager (Wildt 2008, 184). Da es immer mehr Probleme bei der Nachführung von Personal und dem Heranwachsen von Gefangenentransporten gab, verfügte der Chef des Hauptamtes Ordnungspolizei, Kurt Daluege, an die höheren Verwaltungsbehörden am 04. Januar 1943, dass die Begleiter von Gefangensammeltransporten auf Eisenbahnen nicht mehr nach einer dreijährigen Tätigkeit herausgelöst werden müssen.67 Mit der Rekrutierung neuer Mitglieder für die Waffen-SS wurden unter Aufgabe des Prinzips der Freiwilligkeit neue SS-Divisionen aufgestellt (Longerich 2008, 693). Schon im Vorfeld des Angriffs auf Polen hatte sich der Personalbestand in den Polizeiverwaltungen in Deutschland enorm verringert. Mit den akuten Personalproblemen wurden die Polizeiorganisationen im Reich 1940 nach dem preußischen Muster neu gegliedert (Wilhelm 1999, 169).68 Insbesondere die Kriminalpolizeien hatten durch die personelle Teilnahme am Überfall auf die Sowjetunion eine verschärfte Personalnot zu verzeichnen. Mit ihren vielfältigen neuen Aufgaben, wie beispielhaft die Identifikation von Bombenopfern und die Verhinderung von Plünderungen stand die Kripo vor großen Herausforderungen (Longerich 2008, 655). Die Gestapo entwickelte sich daneben an der „Heimatfront“ zu einem zentralen Faktor und dem machtvollsten Bestandteil des Maßnahmenstaates. Aufgrund der Sorge um die ansteigende kriegsbedingte Kriminalität wurden parallel zu den Kriegshandlungen in Deutschland jede Art von Aufwieglungen gegen die nationalsozialistische Kriegspolitik auf das Äußerste verfolgt und bestraft. Ebenso verdeutlichte sich der Normenstaat durch verschärfte Strafbestimmungen,69 die z.B. im Höchstmaß die Todesstrafe für einen Diebstahl während der Verdunkelungszeit oder während der Bombenangriffe vorsah. Die Strafgerichte verhängten in den Jahren 1940 bis 1945 etwa 15.000 Todesurteile. Eine Vollstreckung erfolgte in mehr als drei Viertel der Fälle (Wildt 2008, 162). In den Strafanstalten nahm die Zahl der Gefangenen dramatisch von Juni 1939 (109.685) bis Juni 1944 (196.700) zu (Wildt 2008, 162). 2.7 Der Übergang zum „Totalen Krieg“ 1943 Die Einkesselung und Kapitulation der 6. Armee vor Stalingrad im Januar 1943 und „vor allem aber die Bombardierung der Städte hatten die Verwundbarkeit des NSRegimes gezeigt, dessen Nimbus des ewigen Erfolgs zerbrach“ (Wildt 2008, 199). Als 67 68 69 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22786, Bl. 35. Eine grafische Darstellung der Neuorganisation der Polizei befindet sich im Anhang 2. Beispielhaft sei hier die „Verordnung gegen Volksschädlinge“ vom 05. September 1939 genannt. 24 Goebbels im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943 zum „Totalen Krieg“ aufrief, versuchte das nationalsozialistische System „noch einmal die Emotionen im Land aufzuputschen“ (Wildt 2008, 199). Neben der Radikalisierung der Kriegsführung war eine völlige Überlastung der kommunalen Behörden im Bombenkrieg ab dem Frühjahr 1942 zu verzeichnen, als durch alliierte Angriffe große deutsche Städte in Schutt und Asche gelegt wurden. Die im „Führer-Sonderprogramm“ zum Bau von Luftschutzbunkern von 1940 vorgesehenen Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung konnten aufgrund der fehlenden Arbeitskräfte und Baumaterialen nur teilweise realisiert werden (Wildt 2008, 191).70 Da die deutschen Kommunen mit den Aufräumarbeiten vollständig überfordert waren, wurden ab Herbst 1942 KZ-Häftlinge eingesetzt. Neben Instandhaltungs- und Aufräumarbeiten suchten die Häftlingskommandos auch nach nicht gezündeten Bomben und bargen Leichen. Bei diesen Sprengkommandos kam es dabei zu einer Vielzahl von Toten. Auch die Rüstungsindustrie hatte starken Bedarf an Arbeitskräften. Durch die Auslagerung von KZ-Häftlingen entstand eine Vielzahl von KZ-Außenlagern, die von SS-Kräften bewacht wurden. In der Posener Rede sprach Himmler im Oktober 1943 u.a. über die Ausrottung des jüdischen Volkes. Der neue Reichsinnenminister71 Himmler verfügte kurz nach seiner Ernennung bereits eine „Bereinigung der Geschäftsbereiche“ (Wilhelm 1999, 181), z.B. erhielt hiermit das Hauptamt Ordnungspolizei die Verantwortung über den Katastrophenschutz und die Angelegenheiten zur Abwehr innerer Unruhen. Dementgegen gab der Nachfolger Dalueges, SS-Obergruppenführer Alfred Wünnenberg, eine Vielzahl von Sachgebieten, wie das Vereins- und Versammlungsrecht, das Waffenrecht, das polizeiliche Meldewesen etc., an das Reichssicherheitshauptamt unter der Führung von Dr. Kaltenbrunner ab. Als wesentlichste Regelung ist hier für die Polizei die Herauslösung der staatlichen Kriminalpolizei aus den Polizeiverwaltungen anzusehen (Wilhelm 1999, 181). 2.8 Die Kriegsendphase 1944-1945 Entscheidend änderte sich die militärische Lage mit der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 und der Offensive der Roten Armee an der Ostfront im Sommer 1944. Mit der Räumung der Konzentrationslager im Osten begannen die Verlegungen in Richtung Westen. Bei der „Evakuierung“ in Eisenbahntransporten und 70 71 „Bis Mai 1943 waren nicht mehr als 1.343 Bunker „betonfertig“ gemeldet worden, viel zu wenig, um die Zivilbevölkerung vor den Bombenangriffen zu schützen.“ (Wildt 2008, 191). Adolf Hitler ernannte am 20. August 1943 Himmler zum Reichsinnenminister. 25 Marschkolonnen (Todesmärsche) kamen massenhaft Häftlinge ums Leben oder wurden ermordet (Longerich 2003, 732). Nach dem misslungenen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 nutzte Himmler die Situation, um eine neue Welle von Massenverhaftungen, die „Aktion Gitter“, durchzuführen (Longerich 2008, 718). Hitler ernannte in der Folge Himmler zum Befehlshaber des Ersatzheeres72 mit einer Stärke von fast zwei Millionen Mann. Dort besetzte Himmler die Spitzenpositionen mit ihm vertrauten SS-Führern (Longerich 2008, 722). Auch die einberufenen Sechzehnjährigen und der aufgestellte Volkssturm zum Ende des letzten Kriegsjahres unterstanden Himmler. Neben den rückziehenden Einheiten von Wehrmacht, SS und Polizei befanden sich Millionen Deutsche aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien panikartig auf der Flucht vor den sowjetischen Truppen (Wildt 2008, 202). Auf Anordnung des Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz erhöhte sich ab dem 05. September 1944 die Mindestarbeitszeit im öffentlichen Dienst auf 60 Stunden in der Woche. Darüber hinaus hatte jeder Behördenangehörige täglich so lange zu arbeiten, bis alle angefallenen Dienstgeschäfte erledigt waren.73 Für viele „uk“ (unabkömmlich) gestellte Männer in Wirtschaft und Verwaltung bedeutete die Mobilisierung an der Heimatfront den Kampfeinsatz. Bauer (2008, 406) schrieb hierzu: „Alle Maßnahmen konnten am weiteren Kriegsverlauf nichts ändern, sondern trugen nur dazu bei, das Ende hinauszuzögern und die Zahl der Opfer zu erhöhen.“ Die mit dem Untergang des Dritten Reiches einhergehende „Vollmacht zum Töten“ durch die Einsatzgruppen verschärfte den Terror in den besetzten Gebieten. „Himmlers Schergen waren nun gehalten, selbstständig gegen die Widerstandsgruppen vorzugehen, das heißt „administrative Todesurteile“ auszusprechen“ (Longerich 2008, 726). Die im Jahr 1942 aufgestellten Polizei-Wachbataillone in den einzelnen Wehrkreisen Deutschlands waren mit der Niederschlagung eventueller Unruhen von Zwangsarbeitern beauftragt (Wilhelm 1999, 178). Diese Einheiten überwachten somit neben den örtlichen Polizeiverwaltungen die massenhaft in Deutschland tätigen Zwangsarbeiter. Aus Angst vor Agententätigkeit, insbesondere vor Angriffszielen für Fliegerangriffe, wurden im Herbst 1944 in Deutschland Plakate „Feind hört mit“ ausgehängt. Das Polizeipräsidium Erfurt meldete am 23. November 1944 per Fernschreiben: „warnzettelaktion reibungslos verlaufen. warnzettel schlagartig in den befohlenen Räumen an 72 73 Gleichzeitig wurde Joseph Goebbels zum Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz ernannt. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 20484, Bl. 37. 26 gut sichtbarer stelle angeklebt. belehrung in der polizeibeamtenschaft erfolgt, schwaetzer nicht ermittelt. erfolg der aktion gut.“74. Mit der bedingungslosen Kapitulation am 08. Mai 1945 gegenüber den alliierten Mächten hörte der nach Fraenkel beschriebene Doppelstaat auf zu existieren. Fraglich ist, ob man die zwölf Jahre der NS-Diktatur von einem Doppelstaat sprechen konnte. Eine schrankenlose Ausweitung der Kompetenzen erreichte das NS-Regime mit der Reichstagsbrandverordnung. Die Umstrukturierung der Polizei und ihre Ausrichtung auf den Nationalsozialismus schuf ein wesentliches Element der Hitler-Regierung. Buchheim, Broszat, Jacobsen u.a. (1965, 97) beschrieben dies anhand eines Aufsatzes Himmlers aus dem Jahr 1937 folgendermaßen: „Die nationalsozialistische Polizei leitet ihre Befugnisse zum Vollzug des Willens der Staatsführung und zur Sicherung des Volkes und des Staates nicht aus Einzelgesetzen, sondern aus der Wirklichkeit des nationalsozialistischen Führerstaates und aus den ihr von der Führung gestellten Aufgaben her.“ In diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Polizei nicht mehr an Gesetze gebunden war, sondern sie war ein Garant der Gestaltung der nationalsozialistischen Ordnung. Der Maßnahmenstaat als Herrschaftssystem „der unbeschränkten Willkür und Gewalt, das durch keinerlei rechtliche Garantien eingeschränkt ist“ (Fraenkel 2001, 49) wurde durch den Unterdrückungsapparat, der sich in der Schutzund Vorbeugehaft manifestierte, deutlich. Weitere Willkür, wie „Sonderbehandlungen“75 oder die Sondergerichte höhlten den Rechtsstaat sukzessive aus. So betrachtet, war der Normenstaat als „Regierungssystem, das mit weitgehenden Herrschaftsbefugnissen zwecks Aufrechterhaltung der Rechtsordnung ausgestattet ist, wie sie in Gesetzen, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakten der Exekutive zum Ausdruck gelangen“ (Fraenkel 2001, 49), nur noch sehr eingeschränkt existent. Juristen nahmen die nationalsozialistischen Begriffe, Kommentare und Kategorien in ihre Urteile auf und „legitimierten sie dadurch“ (Heuer, Klosa, Lange u.a. 2003, 130). 74 75 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26178, unpag. Die „Sonderbehandlung“ bedeutete das staatliche Töten ohne ein durch die ordentliche Gerichtsbarkeit gefälltes Todesurteil (Schneider 2008, 311). 27 3 Die Polizei im preußischen Regierungsbezirk Erfurt 1933-1945 3.1 Der preußische Regierungsbezirk Erfurt 3.1.1 „Provinzial“ – Einordnung Neben Halle und Merseburg war Erfurt ein Regierungsbezirk der preußischen Provinz Sachsen. Der Regierungsbezirk Erfurt76, welcher seinen Verwaltungssitz in Erfurt hatte, besaß im Jahr 1939 eine Fläche von 372.271 Hektar und zählte 636.595 Einwohner (Gebrüder Richters 1941, Teil II, Seite XIX).77 Benachbart dem preußischen Thüringen bestand das am 04. Januar 1920 gegründete Land Thüringen. In dem von preußischen Gebietseinschlüssen gekennzeichnete Land Thüringen wurden im Jahr 1939 insgesamt 1.743.624 Einwohner gezählt und mit Stand vom 31. Dezember 1930 betrug die Fläche 1.176.056 Hektar (Marek, Post, Wahl 1999, 465-466). In Erweiterung der vorgenommenen Abgrenzung muss in diesem Zusammenhang die „territoriale und funktionale Substruktur des NS-Reiches auf mittlerer Ebene“ (John 2008, 17) – der NS-Gau Thüringen - angeführt werden. In Anlehnung an die Regionalstruktur der Reichstags-Wahlkreise78 umfasste der NSDAPGau Thüringen das Land Thüringen mit der Landeshauptstadt Weimar und der Stadt Jena auch den preußischen Regierungsbezirk Erfurt (Provinz Sachsen) sowie den preußischen Kreis Schmalkalden (Provinz Hessen-Nassau) (John 2008, 17). 3.1.2 Die Verwaltungsstruktur im Überblick Vorgesetzte Behörde für den Regierungsbezirk Erfurt war die Behörde des Oberpräsidenten79 der preußischen Provinz Sachsen in Magdeburg. Dieser nachgeordnet war die preußische Regierung zu Erfurt. Mit dem seit Oktober 1932 amtierenden Friedrich Bachmann führte ein konservativer Beamter die Regierung. Ab dem Jahr 1933 war die Gauleitung Thüringen und die von der NSDAP geführte Landesregierung Thüringens bestrebt, den Einfluss auf die Regierung Erfurt zu gewinnen (Thüringer Landtag 2001, 205). Ab 1935 residierte im Statthalterpalais in der Erfurter Regierungs76 77 78 79 Zum Regierungsbezirk Erfurt gehörten neben dem Stadtkreis Erfurt die Stadtkreise Mühlhausen, Nordhausen sowie die Landkreise Grafschaft Hohenstein (Nordhausen), Heiligenstadt, Langensalza, Mühlhausen, Schleusingen (Suhl), Weißensee, Worbis und Ziegenrück (Ranis). Im Jahr 1944 kam der Landkreis Schmalkalden (Regierungsbezirk Kassel) hinzu (Gebrüder Richters 1941, Teil II, Seite XXVI). Anhang 3 stellt das preußische Thüringen im Jahr 1944 grafisch dar. Bereits Ende 1918 wurde dieser territoriale Rahmen für den Reichstag-Wahlkreis 36 festgelegt (Marek/Post/Wahl 1999, 24). Im Jahr 1933 waren das die beiden Personen Friedrich von Velsen (DNVP) und Dr. Kurt Melcher und von 1933 bis 1944 Curt von Ulrich (NSDAP). 28 straße der neu eingesetzte preußische Regierungspräsident und NSDAP-Kreisleiter, SSBrigadeführer Dr. Otto Weber, welcher auch der unmittelbare Vorgesetzte des Erfurter Polizeipräsidenten und des Oberbürgermeisters war. Der vorherige Justizminister in der thüringischen Landesregierung hatte einen klaren Auftrag: „schnell die völlige Faschisierung der Behörde“ (Thüringer Landtag 2001, 205) voranzutreiben. Während der Weimarer Republik wurde das Erfurter Rathaus durch den Oberbürgermeister Bruno Mann (1919-1933) geleitet. Die folgenden Stadtoberhäupter Theodor Pichier (1933-35) und Max Zeitler (1935/36) mussten aufgrund von Skandalen bzw. Nötigung durch die Nationalsozialisten zurücktreten (Gutsche 1986, 434). Von 1936 bis 1945 war folgend Walter Siegfried Kießling80 Oberbürgermeister der Stadt Erfurt. Mit dem Preußischen Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1935 und der Deutschen Gemeindeordnung vom 01. April 1935 war der Erfurter Oberbürgermeister verantwortlich für die städtischen Amtsgeschäfte. 3.2 Die Stadt Erfurt im Nationalsozialismus Im Jahr 1928 zählte die Stadt Erfurt 140.120 Einwohner (Gebrüder Richters 1930, Teil I, Seite X). Bereits 1937 überschritt Erfurt die Marke von 150.000 und 1939 wurden 160.961 Einwohner (Gebrüder Richters 1941, Teil I, Seite X) gezählt. Die Bevölkerungszunahme war auf einen erheblichen Geburtenüberschuss gegenüber den Sterbefällen zurückzuführen und nicht auf Zuwanderung (Gebrüder Richters 1937, V).81 Die Fläche der Stadt Erfurt betrug 44 Quadratkilometer. Bei der Landtagswahl vom 31. Juli 1932 erreichten die Erfurter Nationalsozialisten einen Stimmenanteil von 42,5 Prozent. Ab dem 26. August 1932 führte der „MusterGauleiter Hitlers“ (Raßloff 2007, 8), Fritz Sauckel82 eine der ersten nationalsozialistischen Landesregierungen und wurde im Mai 1933 zum Reichsstatthalter von Thüringen ernannt. Raßloff (2003, 151) beschrieb „mit aller gebotenen Vorsicht“, dass der Nährboden für den nationalsozialistischen Aufstieg in Erfurt im bürgerlichen Mittelstand zu sehen sei. Trotzdem war Erfurt nicht als „eine ausgesprochen braune Hoch80 81 82 Walter Siegfried Kießling (geboren am 24. Juli 1892 in Tannroda, gestorben 1966 in Göttingen) war Jurist, Politiker (DNVP, später NSDAP), von 1933 bis 1936 Oberbürgermeister der Stadt Gera und von 1936 bis 1945 Oberbürgermeister der Stadt Erfurt. (http://www.erfurtweb.de/OberB%C3%BCrgermeister, letzter Zugriff am 19. Juli 2009). Adolf Hitler verlieh Oberbürgermeister Kießling für seine Tätigkeit als Stadtkommissar in der polnischen Stadt Thorn in der Zeit von September bis Oktober 1940 das Kriegsverdienstkreuz (Gutsche 1986, 449). Etwa 1.500 Eheschließungen registrierte Erfurt bis zum Jahr 1938. Danach steigerte sich die „Heiratsfreudigkeit“ im Jahr 1939 auf 2.450, ehe 1940 der kriegsbedingte Rückgang auf 1.964 zu verzeichnen war. Zugleich Staatsminister des Inneren. 29 burg einzuordnen“ (Raßloff 2003, 153). Die Wahlergebnisse blieben von 1930 bis 1933 „ausnahmslos sowohl unter dem Durchschnitt des Regierungsbezirkes als auch dem des bekanntlich stark rechtsorientierten Landes Thüringen“ (Raßloff 2003, 153). Als sich selbst bezeichnende Wirtschaftsmetropole Thüringens war die Stadt Erfurt im Jahr 1937 geprägt von Industrie und Handwerk (45,43% der Erwerbstätigen), Handel und Verkehr (33,82%) sowie öffentlichem Dienst (12,33%). Die Stadt war begünstigt durch ihre Lage und die guten Verkehrsanbindungen. Erfurt Den Beinamen „Blumenstadt“ trug Erfurt aufgrund der Großgärtnereien, deren Blumenfelder weithin sichtbar waren (Gebrüder Richters 1937, VI). Die Luther- und Domstadt Erfurt war nicht nur wirtschaftlicher Mittelpunkt Thüringens, sondern auch für den Fremdenverkehr interessant. Für kulturelle Veranstaltungen war in Erfurt das Deutsche Volkstheater über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Eine Universität gab es nicht, aber eine Vielzahl an Schulen, u.a. ein staatliches Gymnasium, eine städtische Oberschule für Jungen und zwei für Mädchen sowie viele Mittelschulen. Neben mehreren Stätten der „Leibesertüchtigung war eine Mitteldeutsche Kampfbahn mit Platz für 60.000 Zuschauer und die Rodelbahn am Steiger vorhanden (Gebrüder Richters 1939, VI). Die Wirtschaft Erfurts wurde im Verlaufe der NS-Zeit in starkem Maße von den Kriegsvorbereitungen bestimmt. Viele Unternehmen, wie beispielsweise die Olympia Büromaschinen Werke83, arbeiteten direkt für die Kriegsaufrüstung. Neben der ansässigen Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken AG, die der Wehrwirtschaftführer Günther Quandt unter späterer Ausnutzung von KZ-Häftlingen führte, sind hier auch die Waffenfabrik ERMA und die Telefunken GmbH, die ausschließlich Nachrichtengerätschaften für die Wehrmacht produzierte, aufzuführen (Gutsche 1986, 439). Traurige Berühmtheit bei der Massenvernichtung erlangte die Firma J. A. Topf & Söhne mit ihren patentierten Verbrennungsöfen,84 die u.a. in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald zum Einsatz kamen. Der kriegsbedingte Ausfall von Arbeitskräften war in den Rüstungsbetrieben stark zu spüren. So wurden im Juli 1941 alle weiblichen Personen des Jahrgangs 1923 zur Musterung für den Reichsarbeitsdienst aufgerufen. Die Mobilmachung für den Arbeitseinsatz machte selbst vor Künstlern nicht halt. Zu Beginn des Jahres 1945 wurde das 83 84 Die „Olympia Büromaschinen AG“ errichtete während des Krieges Tochtergesellschaften in Krakau, Kiew, Bukarest und Agram (StadtArchiv Erfurt, 5/100-72, Bl. 5). Darüber hinaus installierte J.A. Topf & Söhne die Be- und Entlüftungsanlagen für die Gaskammern von Auschwitz (http://www.topf-holocaust.de/texte/texte_look.php?load=11580 62611; letzter Zugriff am 20. Juli 2009). 30 Erfurter Theater geschlossen und das Personal in kriegswichtige Betriebe entsendet.85 Der in diesem Zusammenhang anzuführende diskriminierende und brutale Missbrauch von Zwangsarbeitern, denen stetig eine rassistisch motivierende Bestrafung drohte (Werner 2006, 91-92), war auch in Erfurt sehr ausgeprägt. Beispielsweise wurden im Jahr 1944 in den Olympia-Werken unter schlechtesten Arbeitsbedingungen 550 Ausländer eingesetzt, davon 236 sowjetische Zwangsarbeiter (Gutsche 1986, 456). Dabei trugen diese Arbeiter ein Schild „Ost“ auf der Kleidung.86 Neben der Wirtschaft waren wichtige Behörden, wie die Reichsbahndirektion, die Reichspostdirektion, das Postscheckamt, das Hauptzollamt, das Landesarbeitsamt Mitteldeutschland, die preußische Regierung mit den ihr angeschlossenen Behörden, die Kreisleitung der NSDAP Erfurt-Stadt und Erfurt-Land, die SA-Brigade und die NSKK-Brigade angesiedelt. Mit dem Nationalsozialismus begann für die Stadt Erfurt eines der dunkelsten Kapitel seiner Geschichte. Schlagartig setzten nach der „Machtübernahme“ in Erfurt polizeiliche Maßnahmen gegen politische Gegner der neuen Regierung ein. Per Erlass regelte der Regierungspräsident in Erfurt am 31. Januar 1933 das vierwöchige Verbot der kommunistischen Erfurter Tageszeitung „Thüringer Volksblatt“.87 Am 02. Februar 1933 besetzten Erfurter Polizisten das Parteihaus der KPD in der Leipziger Straße 12 und durchsuchten es (Gutsche 1986, 432). Im März 1933 wurden die Erfurter Geschäftsstellen der KPD und anderer oppositioneller Parteien und Vereinigungen geschlossen. In der Folge waren im Regierungsbezirk Erfurt bis Mitte März 315 Verhaftungen, davon allein in Erfurt 106 zu verzeichnen. Bereits v. Fichtes Vorgänger, Polizeipräsident Hermann Rabe von Pappenheim, leitete im April 1933 Strafverfahren88 gegen Angehörige der SPD89 ein und war Initiator von Durchsuchungsaktionen, wie z.B. in der Geschäftsstelle des Unterbezirks Erfurt der SPD, Kleine Arche. Durch SA-Gruppen wurden Gewerkschaftler am 02. Mai 1933 verhaftet und im Polizeigefängnis auf dem Petersberg inhaftiert. Da das Fassungsvermögen der Haftzellen im Polizeipräsidium Kasinostraße 290 und die Zellen im Polizeigefängnis auf 85 86 87 88 89 90 StadtArchiv Erfurt, 5/100-72, Bl. 7. StadtArchiv Erfurt, 5/100-72, Bl. 5. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 12960, Bl. unpag. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020 Bl. 40 (Schreiben v. Pappenheim an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 20. April 1933). Strafverfahren wegen Herstellung und Verbreitung der Informationsschrift: „Erklärung des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Wilhelm Sollmann über seine Misshandlungen durch SA und SS“ gegen die SPD-Funktionäre: Otto Schmeißer, Erfurt, Poststraße 107 und Willy Kormes, Erfurt, Krämpferufer 1. Später Meister-Eckehart-Straße 2. 31 dem Petersberg für die Anzahl der Häftlinge nicht mehr ausreichte, wurde in der Feldstraße Nr. 18 ein Konzentrationslager eingerichtet. Viele der dort inhaftierten politischen Häftlinge, auch als „Schutzhäftlinge“ bezeichnet, wurden in andere Konzentrationslager verbracht (Gutsche 1986, 435). Am 16. Juni 1933 lebten in Erfurt 831 Juden, davon emigrierten etwa 180 rechtzeitig und weitere 100 sind nach Polen „verschoben“ worden. Während des Novemberpogroms 1938 zündeten SA-Leute die 1884 erbaute Synagoge am Karthäuser Ring an, so dass diese ausbrannte. Jüdische Geschäfte in der Innenstadt wurden geplündert und zerstört. Gleichzeitig erfolgte die listenmäßige Verhaftung von Juden durch die SS und die SA, wovon insgesamt 197 der festgenommenen Juden am 10. November 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald überführt wurden (Gutsche 1986, 444). Dass die nationalsozialistische Ideologie auch in Erfurt Wirkung zeigte, bewiesen die jubelnden Menschenmassen beim Besuch Hitlers während der Thüringer SA-GauTagung am 17. und 18. Juni 1933. Hitler empfing hier die Ehrenbürgerwürde91 (Wolf 2005, 11). Erfurt verhielt sich „Unter dem Hakenkreuz“92 wie andere deutsche Städte. Zu Beginn der NS-Zeit wurde der Bau großer Militäranlagen in Angriff genommen. Bis zum Jahr 1938 hatte sich die Stadt Erfurt dabei zu einem bedeutenden Garnisionsstandort entwickelt. Neben dem neu entstandene Militärflughafen Bindersleben und der Neuerrichtung von umfangreichen Kasernenanlagen93 befand sich in der Stadt ein großes Standortlazarett94. Neben Wehrmacht und Polizeieinheiten waren auch die 67. SS-Standarte in der Freiligrathstraße 1, der SS-Sturm 1/K 2 in der Regierungsstraße 5 sowie die SABrigade 42 in der Herderstraße 17/I untergebracht (Gebrüder Richters 1939 , VII). Die Identifizierung eines Großteils der Erfurter Bevölkerung mit der Militarisierung zeigte sich z.B. durch eine große Begrüßungs-Kundgebungen für die aus Frankreich heim- 91 92 93 94 Im Einwohnerbuch der Stadt Erfurt vom Jahr 1935 sind als Ehrenbürger der Stadt Erfurt erwähnt: Reichskanzler Adolf Hitler, der Preußische Ministerpräsident und Reichsminister der Luftfahrt Hermann Göring und der Gauleiter und Reichsstatthalter Fritz Sauckel (Gebrüder Richters, 1935). Zwei Jahre später ist der Reichs- und Preußische Minister des Innern, Dr. jur. Wilhelm Frick, ebenfalls Ehrenbürger der Stadt Erfurt. StadtArchiv Erfurt, 5/100-72, Bl. 2. Kasernen waren auf dem Petersberg, die Jägerkaserne in der Jägerstraße, später die Bergkaserne am Tannenwäldchen, die Gneisenaukaserne in der Melchendorfer Landstraße, die Blumenthalkaserne in der Jenaer Straße, die Löberfeldkasernen in der Wissmannstraße und die Artilleriekaserne auf der Henne (Wolf 2005, 12-13). In Erfurt waren ein Panzerregiment der 1. Panzerdivision, zwei Bataillone des Infanterieregiments 71, das Artillerieregiment 29 sowie die Panzer-Abwehrabteilung 29, Aufklärungs-Abteilung 29 und NachrichtenAbteilung 29 untergebracht (Stab der 29. Infanteriedivision in den Kasernen auf dem Petersberg) (Gutsche 1986, 438 und Wolf 2005, 11-13 und 28). Das Lazarett befand sich an der Schützenhausstraße, heutige Werner-Seelenbinder-Straße. 32 kehrenden Truppen am 10. und 12. Juli 1940 auf dem heutigen Domplatz.95 Auch der Überfall auf Polen wurde durch die Erfurter „gefeiert“.96 In Geschäften wurden beispielsweise Hitlerbüsten, umrahmt von Lorbeerbäumen, aufgestellt.97 Das Leben in der Stadt war von der Politik des NS-Regimes stark geprägt. So setzten sich die Vorbereitungen zur Verteidigung mit der Installation von Alarm-Sirenen auf großen Gebäuden fort.98 Ab dem 28. August 1938 waren in der Stadt Güter des „lebenswichtigen Bedarfs“ nur noch auf Bezugschein erhältlich (Gutsche 1986, 450). Diese Lebensmittelrationen wurden zum Kriegsende drastisch gekürzt (Gutsche 1986, 461). Aufgrund des Rohstoffmangels in Deutschland hatte der Beauftragte für den Vierjahresplan, Hermann Göring, im Oktober 1938 aktive Maßnahmen zur Steigerung des Schrottaufkommens gefordert. Der Polizeipräsident Erfurt meldete hierauf am 20. Dezember 1938, dass die staatliche Polizeiverwaltung Erfurt 3.000 kg Altmetall und 550 kg sonstige Abfälle gesammelt habe und hierbei eine Verkaufserlös von 109,19 RM erzielt wurde.99 Denunziation war ein alltägliches Phänomen in Erfurt. Exemplarisch sei hier ein Erfurter Bürger angeführt, der am 12. März 1933 dem Regierungspräsidenten in Erfurt meldete, dass im Schulgebäude in der Sulzersiedlung wöchentlich Veranstaltungen der sozialistischen Kinderfreunde stattfinden. Er blieb anonym und bat um „Eingreifen der Regierung“.100 Auch die in den Olympia-Werken Angestellte, Inge Sonntag, wurde denunziert, weil sie sich mit einer Fremdarbeiterin anfreundete. Sie kam hierfür in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück.101 Die Kriegsjahre wirkten sich vielfältig in Erfurt aus. Nach den traumatischen Erlebnissen des I. Weltkrieges und der damit verbundenen Demütigung bereitete man frühzeitig die Erfurter Bevölkerung auf einen möglichen Luftkrieg vor. Als sicherheitspolitische Aufgabe oblag der zivile Luftschutz in der Verantwortung des Polizeipräsidenten, dem dazu ein Luftschutzbeirat zur Seite gestellt wurde (Wolf 2005, 14). So fand am 21. März 1932 im Polizeipräsidium Erfurt die erste Tagung des Luftschutzbeirates102 statt. Bereits 1932 wurden durch den Magistrat der Stadt Erfurt detaillierte 95 96 97 98 99 100 101 102 StadtArchiv Erfurt, AE 1-2/009-26, S. 6. StadtArchiv Erfurt, 5/100-72, Bl. 3. StadtArchiv Erfurt, 5/100-72, Bl. 3. StadtArchiv Erfurt, 5/100-72, Bl. 2. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26178, unpag. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 12962, Bl. 50. StadtArchiv Erfurt, 5/100-72, Bl. 5. Grundlage hierfür waren die Richtlinien für die Organisation des zivilen Luftschutzes in Deutschland vom 24. Oktober 1931. Teilnehmer waren u.a. die Feuerwehr, der Magistrat, das Rote Kreuz. 33 Listen von Sammelschutzräumen und Gebäuden sowie Übersichten über die Aufstellung und Ausrüstung von Entgiftungstrupps dem Polizeipräsidenten übergeben (Wolf 2005, 15).103 Mit der Machtübernahme Hitlers wurden die überparteilichen Luftschutzbeiräte im Rahmen der Gleichschaltung aufgelöst und die alleinige Leitung den örtlichen Polizeichefs übertragen (Wolf 2005, 18). Wichtigste Aufgabe in der Folgezeit war die Errichtung von Schutzräumen. So wurde am 25. März 1933 gemeldet, dass ein Gasschutzkeller für etwa 600 Personen im Gebäude der Schlösserschule errichtet worden sei (Wolf 2005, 19). Daneben wurden massive Luftschutzmaßnahmen in anderen Bereichen, wie der Industrie, realisiert und der Schutzraumbau in allen Häusern forciert.104 In den Vorbereitungen für den Ernstfall wurden im Rahmen des Selbstschutzes bis 1936 etwa 23.000 Einwohner als Selbstschutzkräfte geschult (Wolf 2005, 29). Zum 01. März meldete der Regierungspräsident in Erfurt dem Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, dass in 56 Sammelschutzräumen im Zuständigkeitsbereich der Polizeireviere 1 – 6 insgesamt 14.700 Personen untergebracht werden könnten (Wolf 2005, 24). Eine deutliche Verschärfung erfuhren die Luftschutzmaßnahmen ab 1939 mit Beginn des Überfalls auf Polen.105 Bis Kriegsende kamen durch die Bombenangriffe der Alliierten etwa 1.500 Menschen ums Leben kamen (Wolf 2005, 261). In den Jahren 1944 und 1945 rührten die Zerstörungen von leichten bis mittelschweren Luftangriffen und nicht durch einzelne schwerwiegende Bombardements (Wolf 2005, 249). Bei den Angriffen wurden insgesamt 790 Gebäude schwer, 1.750 Gebäude mittelschwer und 6.040 Gebäude leicht beschädigt (Wolf 2005, 252).106 Die nach Kriegsbeginn erlassenen Strafrechtsschärfungen schlugen sich in Erfurt durch die Verhaftung von 20 Personen „zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung“ und die Verbringung in das KZ Buchenwald nieder (Gutsche 1986, 450). Noch in den letzten Kriegswochen fanden standesrechtliche Erschießungen von Deserteuren auf dem Petersberg statt (Gutsche 1986, 462). Auch die Einberufung von 100 unfreiwilligen Er- 103 104 105 106 Eine Luftschutzübung bei vollständiger Verdunkelung der Stadt, wurde durch den Polizeipräsidenten v. Pappenheim für den 21. November 1932 angeordnet (Wolf 2005, 17). In mehreren Szenarien fanden Großübungen statt, z.B. am 13. Oktober 1934 die Errichtung einer Behelfsbrücke, der Großalarm am 19. November 1934 für alle Einsatzkräfte des Luftschutzes und die Überprüfung der Verdunkelungsvorschriften am 01. März 1935 (Wolf 2005, 21-22). Insbesondere durch die 7. Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz, die u.a. Hauseigentümern zur Beschaffung von Selbstschutzgeräten verpflichtete (Wolf 2005, 36). Wolf (2005, 251) geht davon aus, dass über dem Erfurter Gebiet mehr als 1.100 Tonnen Bomben, größtenteils Sprengbomben und Luftminen, abgeworfen worden sind. 34 furtern zur Waffen-SS im Februar 1943 und der Aufruf des „Volksturms“ mit wehruntauglichen 16- bis 60- Jährigen im Oktober 1944 sind hier anzuführen.107 Die Stadt Erfurt wurde am 12. April 1945 durch Einheiten der 3. US-Armee unter Kommando von General George S. Patton befreit, trotz des „naiv anmutenden Widerstandes“108 von Volksturm und SD. 3.3 Das Polizeipräsidium Erfurt: Formelle und informelle Instanzen des NS-Herrschafts- und Unterdrückungsapparates Die Machtstrukturen waren im Nationalsozialismus nicht immer klar abzugrenzen. Konkurrierende Herrschaftsinstitutionen in Form der Polykratie bestanden nebeneinander. Das wird bei der Betrachtung der Erfurter Polizeiverwaltung besonders offensichtlich. Folgendes Schaubild stellt einen Versuch dar, wie die nationalsozialistische Polykratie auf das Polizeipräsidium Erfurt einwirkte: Darstellung der Befehlshierarchie im Jahr 1938 Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei im RMdI Höherer SS- und Polizeiführer im Wehrkreis IX Inspekteur/Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD Chef der Sicherheitspolizei und des SD Chef der Ordnungspolizei Reichsminister des Inneren Oberpräsident Magdeburg Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD Regierungspräsident Erfurt SD-Leitabschnitt Stapoleitstelle Inspekteur/Befehlshaber der Ordnungspolizei NSDAP-Gauleiter Thüringen Kommandeur der Gendarmerie Kommandeur der Ordnungspolizei Polizeipräsident Erfurt Kriminalpolizeistelle Verwaltungspolizei Verkehrspolizei Schutzpolizei Legende: Befehlswege der Ordnungspolizei Befehlswege der Sicherheitspolizei (©Röhner 2009) 107 108 StadtArchiv Erfurt, 5/100-72, Bl. 6. StadtArchiv Erfurt, AE 1-2/009-26, unpag. 35 Im Rahmen der Gleichschaltung der Länder wurden im Deutschen Reich ab 07. April 1933109 Reichsstatthalter als Beauftragte der Reichszentrale in der jeweiligen Region mit umfangreichen Kontrollkompetenzen eingeführt. Reichskanzler Adolf Hitler behielt sich in Preußen diese Funktion selbst vor (John 2008, 21). Die Befugnisse übertrug Hitler auf den preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring. Als ständiger Vertreter der Reichsregierung in der Provinz Sachsen fungierte ab dem 27. November 1934 der Oberpräsident in Magdeburg, Curt von Ulrich (NSDAP). Dieser hatte die Befugnis, sich von den Behörden in seinem Bereich unterrichten zu lassen und konnte bei Gefahr im Verzug einstweilige Anordnungen treffen.110 Der Oberpräsident in Magdeburg war vorgesetzte Behörde für den Regierungspräsidenten in Erfurt. Der Regierungspräsident in Erfurt war wiederum höhere Polizeibehörde, dem das Polizeipräsidium Erfurt, als staatliche Polizeiverwaltung zur Erfüllung ordnungspolizeilicher Aufgaben, untergeordnet war (Best 1940, 45).111 Im Geschäftsverteilungsplan der Preußischen Regierung Erfurt vom Mai 1933 war festgelegt, dass der Regierungspräsident in eigener und alleiniger Verantwortung alle Geschäfte der Regierung regelt und die Regierung nach außen vertritt.112 In seiner Hand lagen die Geschäfte der gesamten Landesverwaltung.113 Der Regierungspräsident hatte dabei gegenseitige Interessen abzustimmen und auszugleichen.114 Innerhalb der Regierung des Regierungsbezirks Erfurt war das Büro P (Polizei- und politische Angelegenheiten für die Angelegenheiten der Schutzpolizei und des Gendarmeriekorps)115 der Abteilung 1 zugeordnet. Hier wurden alle Polizeiaufgaben, Verfassungsangelegenheiten, Presse und Druckschriften, Angelegenheiten der staatlichen Polizei, wie die Führung der Personalien, Bearbeitung von Dienststrafangelegenheiten etc., koordiniert.116 Beispielhaft soll hier ein Vorgang dargestellt werden: Im 109 „Zweites Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 07. April 1933 (RGBl. I 1933, S. 173). 110 Zwar hatte der Oberpräsident ein Aufsichtsrecht, durfte allerdings nicht in die Detailverwaltung eingreifen. 111 Der Höheren Polizeibehörde war auch die Gendarmerie unterstellt (Best 1940, 60). 112 Nach Fischer, Hartmann, Pietschmann (1972, 213) umfasste der Geschäftsbereich der Regierung von Erfurt alle Angelegenheiten der inneren Verwaltung der Regierungsbezirke, soweit sie nicht anderen Behörden übertragen waren. 113 Durch Gesetz wurden am 15. Dezember 1933 die Aufsichts- und Weisungsrechte des Oberpräsidenten gegenüber den Regierungspräsidenten erweitert. 114 Der Regierung Erfurt nachgeordnet waren auf der Kreisebene die Landräte, die Oberbürgermeister der kreisfreien Städte, die Polizeipräsidenten sowie eine Reihe von Fachbehörden. 115 Mit Verfügung des Regierungspräsidenten vom 06. September 1933 waren dem Dezernat I P, unter Führung des Landrates i.R. Dr. Junkermann, der als ständiger Vertreter des Polizeidezernenten und als Leiter der Geheimen Staatspolizeistelle tätig war, alle Angelegenheiten vorzulegen (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27487, Bl. 108). 116 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 30852, Seite 47. 36 Vorfeld der Olympischen Spiele in Deutschland erließ Himmler am 20. Juli 1936 die Anweisung, dass gegen keinen Ausländer ohne seine persönliche Genehmigung auch nur mit einer Vernehmung oder Vorladung vorzugehen sei.117 Der Regierungspräsident in Erfurt konkretisierte am 30. Juli 1936 den Erlass dahingehend, dass eine Ausweisung eines betreffenden Ausländers angebrachter wäre und verwies in diesem Zusammenhang auf die „gehässige Auslandspresse“.118 Neben der preußischen Konstellation war NSDAP-Gauleiter Fritz Sauckel als „regionaler politischer Führer der Partei und als Mittelinstanz im Staatsgefüge“ (John 2008, 21) für den gesamten Gau Thüringen, einschließlich dem preußischen Regierungsbezirk Erfurt, zuständig. Der gleichzeitig als Reichsstatthalter von Thüringen beauftragte Sauckel hatte formell in seiner Funktion als Reichsverteidigungskommissar Weisungsrecht gegenüber dem preußischen Regierungspräsidenten in Erfurt, Dr. Weber119. Die Sondervollmachten der Gauleiter spielten eine zeitlich befristete Rolle (John 2008, 27). Durch eine Anpassung der Verwaltungsbezirke der preußischen Provinz Sachsen wurde die Verwaltung des Regierungsbezirkes Erfurt am 01. April 1944 per „Führererlass“ an Gauleiter Sauckel übertragen, der damit als Reichsstatthalter die Befugnisse des bisher zuständigen Oberpräsidenten in Magdeburg für den Regierungsbezirk Erfurt übernahm (Marek/Post/Wahl 1999, 460). Mit der zusammengefassten Führung der Polizei im Deutschen Reich unter Heinrich Himmler wurde ab Juni 1936 das Hauptamt Ordnungspolizei durch Kurt Daluege geführt. Diesem unterstand der Regierungspräsident in Erfurt in sachlicher Hinsicht. Das Polizeipräsidium war, mit Ausnahme der Kriminalpolizeistelle, dem Chef der Ordnungspolizei sachlich und personell unterstellt (Best 1940, 59). Weisungen ergingen jedoch auch vom HSSPF120 im Wehrkreis IX in Kassel, dem SSObergruppenführer und General der Waffen-SS, Erbprinz Josias zu Waldeck und 117 118 119 120 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 121. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 122. Weber, Otto, Dr. (geboren am 26. Juni 1894 in Siegen/Westfalen, gestorben am 02. April 1973 in Hannover), Teilnahme am I. Weltkrieg, 1919 Studium der Rechtswissenschaften in Jena, 1923 Gerichtsassessor im Landesdienst Thüringen, 1931 Eintritt in die NSDAP, 1932 Leitung des Geschäftsbereiches Justizministerium, ab 1933 Justizminister Thüringens, vom 14. Dezember 1934 bis Kriegsende Regierungspräsident in Erfurt (Thüringer Landtag 2001, 181-200). Die genaue Bezeichnung auf den damaligen Briefköpfen lautete: „Der Höhere SS- und Polizeiführer bei den Reichsstatthaltern und Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau, in Hannover, der Provinz Sachsen, in Thüringen und in Westfalen und beim Bayrischen Staatsminister des Innern im Wehrkreis IX.“ (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27531, Bl. 12). 37 Pyrmont121. Mit der ab dem 13. November 1937 geschaffenen Institution der HSSPF, die als Vertreter Himmlers im Reich und in den besetzten Gebieten als Mittelinstanz fungierten (Birn 1986, 1), war der Ausfluss der Verschmelzung von SS und Polizei besonders ersichtlich.122 Als „von Himmler persönlich ausgelesene Führungselite“ (Birn 1986, 4) leiteten die HSSPF gemeinsame Einsätze der Waffen-SS, der Allgemeinen SS, der Ordnungspolizei, der Sicherheitspolizei und des SD. Weiterhin unterstanden den HSSPF u.a. der Stabsführer der Allgemeinen SS, der Inspekteur der Ordnungspolizei (IdO) und der Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD (IdS). Der dem HSSPF in Kassel unterstellte IdO war dem Oberpräsidenten in Magdeburg zugeteilt, führte die Dienstaufsicht über die gesamte uniformierte Polizei und hielt die Verbindung mit der NSDAP und der Wehrmacht (Best 1940, 59). Angegliedert an das Polizeipräsidium Erfurt war die Kriminalpolizeistelle Erfurt (Best 1940, 53), welche dem Chef der Sicherheitspolizei sachlich und personell unterstand (Best 1940, 64). Daneben existierte seit dem 01. Mai 1933 die für den preußischen Regierungsbezirk Erfurt zuständige Staatspolizeistelle Erfurt, die die Aufgaben der Geheimen Staatspolizei wahrnahm. Damit war die Staatspolizeistelle zunächst ein Teil der Regierung des Regierungsbezirkes Erfurt und wurde zum 01. April 1934 zur selbstständigen Behörde (Schneider 2008, 64). Verantwortlich für die Erfüllung sicherheitspolizeilicher Aufgaben war der SD-Abschnitt Weimar. Dabei bestand ein Unterstellungsverhältnis der staatlichen Polizeiverwaltung (Polizeipräsidium Erfurt), die dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD sachlich unterstand, soweit sicherheitspolizeiliche Aufgaben zu erfüllen waren (Bader 1943, XII). 3.3.1 Organisationsstruktur und Aufgaben des Polizeipräsidiums Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestanden die polizeilichen Aufgaben nicht nur in der Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit. Gleichermaßen führte die Polizei die Gewerbeaufsicht, stellte die Feuerwehr und war in den Bereichen des Melde-, Gesundheits- und Sozialwesen tätig. 121 122 Waldeck-Pyrmont, Josias Georg Wilhelm Adolf Erbprinz zu, geboren am 13. Mai 1896 in Arolsen, 1929 Eintritt in die SS, 1929 bis 30. Januar 1933 Stabsführer beim Reichsführer SS, 1933 SS-Gruppenführer im Verbindungsstab des Führers, 1933 Mitglied des Reichstages (Wahlkreis Düsseldorf-West), 1939 HSSPF des Oberabschnittes Fulda-Werra, Dienstsitz Kassel, Oberster Gerichtsherr dieses Abschnitts (Wehrkreis IX), Einrichtung eines „Büros zur Eindeutschung von Ostvölkern“ in Kassel, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS, am 14. August 1947 in Dachau zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt (Stockhorst 2000, 436). Dem HSSPF Kassel unterstand unmittelbar die Allgemeine SS seines Bereichs (SS-Oberabschnitt). 38 Das folgende Schaubild zeigt die Gliederung der Geschäftsbereiche und Aufgaben des Erfurter Polizeipräsidiums war im Jahr 1935 auf:123 Polizeipräsident Erfurt Rechnungssachen (P) Verwaltungsdienst Präsidialgeschäftsstelle (Rv) Rechnungsrevisor Rechnungsprüfung Abteilung W Wirtschaftsabteilung Abteilung A Leitender Polizeiarzt Hausverwaltung Vereins- und Versammlungswesen Abteilung I (Ka) Polizeikasse Polizeihundertschaft Reisekosten Beschaffung Abteilung Medizinalfürsorge Polizeisanitätsstelle Erfurt Gehalt/Lohn Presseangelegenheiten Waffenscheine Abteilung II Ausländersachen Verkehrswesen Polizeigefängnis Polizeigewahrsam Abteilung III Kraftfahrzeuge Beratungsstelle für Einbruchsbekämpfung Wasser- und Feuerpolizei Betrugsberatungsstelle Gewerbepolizei Lustbarkeiten Abnahmestelle für Kraftfahrzeuge Abteilung IV und V Polizeistunde Straf- und Gnadensachen Beglaubigungen Fundsachen 123 Kriminalinspektion Kriminalkommissariate 1-6 (S) Kommando der Schutzpolizei Polizeireviere 1-6 Für diesen Abschnitt wurden im Staatsarchiv Gotha die Geschäftsverteilungspläne aus den Einwohnerbüchern der Stadt Erfurt von 1935 bis 1941 ausgewertet (Gebrüder Richters 1935; 1937; 1938; 1939; 1941). 39 Es muss bei der Betrachtung der Erfurter Polizeiverwaltung eine genaue Differenzierung nach den Aufgabenbereichen vorgenommen werden. Im Bereich der ordnungspolizeilichen Aufgaben124 waren dies nach Best (1940, 21) alle der Polizei gestellten Einzelaufgaben, die der Herstellung und der Erhaltung der äußeren Ordnung im Zusammenleben und Zusammenwirken der Einzelnen und der Einrichtungen der Volksordnung dienten. Hierzu gehörte die Verhinderung unmittelbar bevorstehender strafbarer Handlungen. Im Gegenzug dazu wurde die Vorbeugung gegen künftige, aber nicht unmittelbar bevorstehender strafbarer Handlungen als Verbrechensbekämpfung der sicherheitspolizeilichen Aufgabe zugeordnet. Unmittelbar unterstellt waren dem Polizeipräsidenten die Ordnungspolizei125 mit den Teilbereichen Schutzpolizei, Verkehrspolizei und Luftschutzpolizei sowie Teile der Sicherheits- und Verwaltungspolizei (Wolf 2005, 39). Zu den ordnungspolizeilichen Aufgaben zählten ferner: - der Feuerschutz und die Regelung des Verkehrs mit Sprengstoffen,126 - die Durchführung des zivilen Luftschutzes,127 - die Wasserpolizei, - die Fürsorge für Hilfsbedürftige, Verletzte und Kranke,128 - die Regelung und Beaufsichtigung des Straßenverkehrs und des Straßengewerbes.129 Die sicherheitspolizeilichen Aufgaben bestanden in der Feststellung des auf Störung und Zerstörung der Volksordnung gerichteten Handelns und Strebens.130 Die Kriminalpolizei hatte die Verbrechensbekämpfung mit den Teilaufgaben der Verbrechensverfolgung und der Verbrechensvorbeugung zum Auftrag. Bei der Verbrechensverfolgung 124 125 126 127 128 129 130 In Abgrenzung zu den sicherheitspolizeilichen Aufgaben, die sich mit der Abwehr und Verhütung jeder Tätigkeit, die unmittelbar auf die Störung und Zerstörung der Volksordnung gerichtet ist, auch wenn sie die äußere Ordnung nicht oder noch nicht stört (Best 1940, 25). Daluege äußerte sich hierzu schriftlich am 07. September 1942: „Unter dem Begriff Ordnungspolizei fällt nicht die Verwaltungspolizei.“ (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27531, Bl. 5). Gesetz über das Feuerlöschwesen vom 23.11.1938 (RGBl. I S.1662) sowie das Sprengstoffgesetz vom 09.06.1884 (RGBl. S.61). Luftschutzgesetz vom 26.06.1935 (RGBl. I S.827) Soweit keine zuständige Hilfe zur Verfügung stand. Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 03. Mai 1909 in der Fassung vom 10.08.1937 (RGBl. I S.901) sowie die Straßenverkehrsordnung vom 13. November 1937 (RGBl. I S.1179) Diese Aufgabe erging insbesondere an die Motorisierte Gendarmerie (Verkehrsüberwachung; Hilfeleistung bei Unglücksfällen, Ermittlung des Tatbestandes bei nicht tödlichen Verkehrsunfällen; Mitwirkung bei der Fahndung nach gestohlenen Kraftfahrzeugen und nach dem Missbrauch von Kennzeichen etc.) (Best 1940, 25). Daneben erfolgte eine beobachtende Überwachung im Rahmen des nachrichtendienstlichen Zweiges durch den SD (Best 1940, 26). 40 nach §163 StPO131 hatten „alle Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes strafbare Handlungen zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhindern“ (Best 1940, 26). Dabei war die Ordnungspolizei bis zum Eingreifen der Sicherheitspolizei gefordert. Daneben war die Verbrechensvorbeugung als planmäßige polizeiliche Überwachung132 durch Auflagen (Meldepflicht, Tätigkeitsverbote etc.) sowie die polizeiliche Vorbeugungshaft Bestandteil des Handelns (Best 1940, 28). Zu den mittelbar sicherheitspolizeilichen Aufgaben, die von wesentlicher Bedeutung waren, gehörten das Passwesen und die Ausländerpolizei (Best 1940, 39). Ebenso waren verwaltungspolizeiliche Aufgaben, die nicht der Erfüllung der polizeilichen Gesamtaufgabe dienten, wie die Gewerbepolizei und das Meldewesen, aufgetragen (Best 1940, 22). Im einzelnen lassen sich die Struktur und die Aufgaben des Polizeipräsidiums Erfurt folgendermaßen beschreiben: Die Organisationseinheiten Verwaltungsdienst und Präsidialgeschäftsstelle (P), Rechnungsrevisor (Rv), Polizeikasse (Ka), Abteilung A mit einem Leitenden Polizeiarzt und Abteilung Wirtschaft waren für die zentralen Verwaltungsangelegenheiten eingerichtet. In den Abteilungen I bis V wurden die spezifischen Aufgaben des Polizeipräsidiums bearbeitet. In der Kriminalinspektion mit ihren fünf Kriminalkommissariaten erfolgte die Verbrechensbekämpfung und in den sechs Polizeirevieren wurden ordnungspolizeiliche Aufgaben bearbeitet. Daneben befanden sich noch das Polizeigefängnis und der Polizeigewahrsam, das Kommando der Schutzpolizei, die Betrugsberatungsstelle, die Abnahmestelle für Kraftfahrzeuge und die Technische Nothilfe im Verantwortungsbereich des Polizeipräsidenten. Im Detail lassen sich zu den Organisationsbereichen des Polizeipräsidiums Erfurt die jeweiligen Aufgaben und auch strukturelle Änderungen zuordnen. Der Verwaltungsdienst / Präsidialstelle besaß folgende Zuständigkeiten: - Personalangelegenheiten, - Disziplinar- und Beschwerdesachen, - Angestellten- und Arbeiterangelegenheiten, - Jubiläen, Ehrengeschenke und Belohnungen für die Rettung aus Lebensgefahr. Die im Geschäftsverteilungsplan aufgeführten Organisationseinheiten des Rechnungsrevisors und der Polizeikasse blieb von 1933-1945 erhalten. Im Polizeipräsidium wurde 131 132 §163 StPO vom 01.02.1877 (Bekanntmachung vom 22.03.1924, RGBl. I. S.322). Berufsverbrecher, Gewohnheitsverbrecher als auch zum Schutz der Volksgemeinschaft. 41 die Abteilung A von einem Leitenden Polizeiarzt geführt, daneben bestand eine Abteilung Medizinal-Fürsorge mit der sozialhygienischen Fürsorge und der Polizeisanitätsstelle Erfurt. Ab 1939 befanden sich die drei letztgenannten Stellen nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums. Die Wirtschaftsabteilung (Abteilung W) gab im Jahr 1941 den Aufgabenbereich der Reisekosten und der Wohnungsgeldbeihilfen ab. In der Abteilung 1 wurden bis 1939 Angelegenheiten des Vereins- und Versammlungswesens, der Presseangelegenheiten und der Waffenscheine bearbeitet. Die Abteilung wurde ab 1939 gänzlich abgeschafft. Nur die Verantwortlichkeit für Waffenscheine wurde in den Jahren 1939 bis 1941 zum Verwaltungsdienst übertragen. Die Abteilung II war bis 1939/1940 mit der Bearbeitung von Ausländersachen beauftragt. Zu Beginn der NS-Herrschaft war die Polizei durch die Neuordnung der Ausländerpolizei bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis dazu verpflichtet, das zuständige Arbeitsamt abzufragen, ob einer Arbeitsaufnahme zugestimmt wird.133 Im Juni 1933 waren alle Personen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft hatten, durch die Polizeibehörden auf Zählkarten zu erfassen und mit den Melderegistern zu vergleichen.134 Die Abteilung II wurde im Jahr 1939 als Abteilung II b mit den Aufgaben: - Ausländerangelegenheiten, - Blutschutzangelegenheiten, - Kennkarten neu gegründet und existierte bis 1940. Ab 1941 entstand durch eine erneute Umorganisation daraus die Abteilung II 1, mit folgenden Schwerpunkten: - Kennkarten, - Zeugnisse und Bescheinigungen, - Paßwesen, - Sichtvermerke, - Blutschutzangelegenheiten. Die Ausländerangelegenheiten, Staatsangehörigensachen und Namensänderungen gingen zeitgleich auf die Abteilung II 2 über. Im Jahr 1938 wurde eine neue Abteilung II W geschaffen, welche für das Meldewesen verantwortlich war. Der Überwachungsanspruch des NS-Staates ging so weit, dass das Meldewesen neu organisiert wurde und der Regierungspräsident Erfurt an die Polizeibehörden am 14. Juni 1933 auf die Meldepflicht hinwies. Damit war eine polizeiliche Anmeldung, vom großen Meldeschein bis 133 134 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26320, Bl. 93. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26320, Bl. 115. 42 zur Anmeldung von Reisenden, verbindlich geregelt.135 Eine Reihe von Einschränkungen, wie der Ausreisesichtvermerk auf dem Pass ab dem 04. April 1933,136 mit denen insbesondere im Vorfeld von Auslandsreisen der Reisezweck abgefragt werden konnte, wurden hiermit festgelegt. In der Abteilung III befand sich die Zuständigkeit für das Verkehrswesen, das Kraftfahrzeugwesen und die Wasser- und Feuerpolizei. Die beiden Abteilungen IV und V hatten sich bis 1939 mit der Gewerbepolizei, den Lustbarkeiten, der Polizeistunde, den Straf- und Gnadensachen, Beglaubigungen und Fundsachen zu beschäftigen. Diese beiden Abteilungen wurden 1939 aufgelöst und eine neue Abteilung IV a mit der Gewerbepolizei, der Polizeistunde, der Schankerlaubnis und der Preisüberwachung eingerichtet. Ab 1941 hieß diese Abteilung dann IV 1-2 und bekam die Aufgaben der Legitimationskarten, Wandergewerbe und Lustbarkeiten, welche die von 1938 bis 1941 bestehende Abteilung IV b inne hatte, hinzu. In der 1941 gegründeten Abteilung IV 3 fand die Preisüberwachung statt und in der im Jahr 1939 neu gegründeten Abteilung V die Bearbeitung von Straf- und Gnadensachen sowie die Fundsachen. Das Polizeigefängnis befand sich auf dem Petersberg und der Polizeigewahrsam im Polizeipräsidium in der Kasinostraße 2 (spätere Meister-Eckhardt-Straße). Die Kriminalinspektion existierte bis 1939 unter diesem Namen, danach wurde sie umbenannt in Staatliche Kriminalpolizei, Kriminalpolizeistelle Erfurt. Die Kriminalpolizei umfasste folgende Untereinheiten mit den jeweiligen Tätigkeitsschwerpunkten: 1. Kriminalkommissariat - Verbrechen wider das Leben, - Raub, - Erpressung. Ab dem Jahr 1938 wurden ausschließlich die Straftatbestände Raub, Erpressung, Einbruch und Brandstifung bearbeitet. 2. Kriminalkommissariat - Einfacher Diebstahl, - Wilddieberei. Die Aufklärung von Wilddieberei wurde ab 1941 dem Kommissariat entzogen, dafür kam 1941 die Bearbeitung von Fahrrad- und Kraftfahrzeugdiebstählen hinzu. 135 136 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26320, Bl. 179. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26320, Bl. 65. Der Ausreisesichtvermerks-Zwang wurde mit Wirkung vom 01. Januar 1934 wieder aufgehoben (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26320 Bl. 124). 43 3. Kriminalkommissariat - Betrug, - Untreue, - Urkundenfälschung. Ab 1939 wurden in diesem Kommissariat die Aufgaben für die Bearbeitung von Unterschlagungssachen, Glücksspiel und Falschgeld übertragen. Im Jahr 1941 kam die Zuständigkeit für Kriegswirtschaftsvergehen hinzu. 4. Kriminalkommissariat - Unterschlagung, - Meineid, - Glücksspiel, - Körperverletzung, - Sachbeschädigung, - Beleidigung, - Erkennungsdienst und Lichtbildanstalt. Dieses Kommissariat durchlebte erhebliche Aufgabenverschiebungen, indem es ab 1938 ausschließlich die Zuständigkeit für: - Tötungsdelikte, - Selbstmord, - Körperverletzung, - vermißte Personen, - Erkennungsdienst und Lichtbildanstalt erhielt. Aus letztgenannten bildete sich 1941 das Kriminalkommissariat 6 (Erkennungsdienst und Lichtbildanstalt). 5. Kriminalkommissariat - Fahndungsstelle, - vermißte Personen, - unbekannte Leichen, - Sittlichkeitsverbrechen, - unzüchtige Schriften. In diesem Kommissariat wurden die Aufgaben ebenfalls vollständig aufgehoben und ab 1938 bestand der Schwerpunkt in der Bearbeitung von Sittlichkeits- und Antragsdelikten. Neu eingerichtet wurde im Jahr 1939 der Dauerdienst der Kriminalpolizei und im Jahr 1941 der Luftschutzoffizier. Die Beratungsstelle für Einbruchbekämpfung, die 44 Betrugsberatungsstelle und die Abnahmestelle für Kraftfahrzeuge blieben als Organisationseinheiten die ganze NS-Zeit über bestehen. Neben dem Kommando der Schutzpolizei gab es von 1938 bis 1939 eine Polizeihundertschaft auf dem Ettersberg, ebenfalls dem Polizeipräsidenten in Erfurt unterstellt. In Erfurt war im Jahr 1940 das 3. Kompanie-Polizei-Bataillon 93 stationiert.137 Mit den sechs Polizeirevieren: - Polizeirevier 1 (Fischmarkt, ab 1938 Junkersand 7/9), - Polizeirevier 2 (Klostergang 2), - Polizeirevier 3 (Reglerring 11), - Polizeirevier 4 (Schlüterstraße 3), - Polizeirevier 5 (Roonstraße 10) und dem - Polizeirevier 6 (Horst-Wessel-Straße 118) wurden die ordnungspolizeilichen Aufgaben im Bereich der Stadt Erfurt erfüllt. Die Technische Nothilfe war ab dem Jahr 1938 nicht mehr als Aufgabe gelistet. Als bedeutsame Aufgabe des Polizeipräsidenten in Erfurt konnte der zivile Luftschutz angesehen werden. In einem „Kompetenzwirrwar“ (Wolf 2005, 38) der obersten Organisationsebenen des zivilen Luftschutzes, welche durch Kompetenzüberschneidungen, Verdrängungen und Zuständigkeitsänderungen geprägt waren, soll folgend nur die Zuständigkeit für den zivilen Luftschutz in Erfurt betrachtet werden. Neben der Kreisleitung der NSDAP und der Stadtverwaltung war die Polizei für die zivile Luftverteidigung zuständig. Dabei war der Polizeipräsident in Erfurt zugleich „Örtlicher Luftschutzleiter“ und damit verantwortlich für das einheitliche Zusammenwirken des Sicherheits- und Hilfsdienstes, des Werkluftschutzes, des Selbstschutzes und des erweiterten Selbstschutzes. Er konnte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung alle verfügbaren Kräfte der Polizei, Feuerwehr, Technischen Nothilfe, des Roten Kreuzes und anderer behördlicher Einrichtungen beauftragen (Wolf 2005, 39). Für den Luftschutz-Alarmfall befand sich seit 1934 der Befehlsstand im Kellergewölbe des Hauses Regenbogenstraße 3 und später in den Kellerräumen des preußischen Behördenhauses in der Hindenburgstraße138 (Wolf 2005, 39). Weisungen in Luftschutzmaßnahmen erhielten die Erfurter Polizeipräsidenten überwiegend vom HSSPF aus Kassel (Wolf 2005, 40). Ab 01. Juli 1942 wurde als Stütze des Örtlichen Luftschutzleiters der Sicherheits- und Hilfsdienst gebildet, der von Kräften der Ordnungspolizei 137 138 Hierzu waren aufgrund der Anordnung des IdO in Kassel z.B. sechs Reservisten der Polizeidirektion Suhl nach Erfurt abzustellen (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27472, Bl. 6). Heutige Arnstädter Straße mit Sitz des Thüringer Landtages. 45 organisiert und geführt wurde (Wolf 2005, 40). Die Polizeipräsidenten waren im Weiteren bis 1943 für die Luftschutzwarnkommandos139, für die zu Beginn des Krieges 44, später über 50 Sirenen zur Verfügung standen, verantwortlich (Wolf 2005, 41). 3.3.2 Das Personal Die Aufgaben der Ordnungspolizei nahmen die Wachtmeister der Schutzpolizei140 und der Gendarmerie141 sowie die Offiziere142 der Ordnungspolizei wahr. Dabei wurde insbesondere bei den Offizieren ab dem Jahr 1936 darauf geachtet, dass diese aus dem „SS-Führer-Nachwuchs“ (Best 1940, 69) stammen.143 Neben den Polizeibeamten gab es in den Staatlichen Polizeiverwaltungen Beamte des einfachen, mittleren und gehobenen Polizeiverwaltungsdienstes mit Aufgaben in den Bereichen Wirtschafts- und Personalverwaltung. Weiterhin gab es nach Best (1940, 81) „nichtbeamtete Gefolgschaftsmitglieder“144 bei den Polizeibehörden. Grundsätzlich war die Rechtsstellung der Beamten im Deutsche Beamtengesetz145 und durch die Reichsdienststrafordnung146 geregelt. Daneben gab es die Sondervorschriften für Vollzugsbeamte, welche in Form des Deutschen Polizeibeamtengesetzes147 erlassen worden waren (Best 1940, 64). Personell erlebte die Spitze des Erfurter Polizeipräsidiums in der NS-Zeit einen ständigen Wechsel. Acht Polizeipräsidenten übten das Amt in den zwölf Jahren der NS-Zeit aus, wobei der SS-Standartenführer Wicke mit drei Jahren am längsten das Präsidium führte. Nicht genau geklärt werden konnte, wie viel Personal über die gesamte NS-Zeit für die mannigfaltigen Aufgaben zur Verfügung stand.148 Aufgrund der 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 Der Luftschutzwarndienst ging ab 1943 in die Verantwortung der deutschen Luftwaffe über (Wolf 2005, 42). Auswahl von Einstellungsbedingungen für Wachtmeister nach Best (1940, 67): Mindestgröße 1,70 m; Lebensalter zwischen 20 und 25 Jahren, Familienstand: ledig, Zugehörigkeit zur NSDAP. Rekrutierung aus Wachtmeistern der Schutzpolizei des Reiches mit mehr als 10 Dienstjahren (Best 1940, 69). Einstellungsbedingungen für den Nachwuchs des Polizeioffizierskorps der Ordnungspolizei nach Best (1940, 83) waren u.a.: Arische Abstammung (Nachweis bis 1800, für die Führerlaufbahn bis 1750); Wehrwürdigkeit, Unbescholtenheit, Erfüllung der Auslesebestimmungen der SS. Das Eingangsamt war hier die Ernennung zum SS-Untersturmführer und die Übernahme als Leutnant der Schutzpolizei. Rechtsstellung aus der „Allgemeinen Tarifordnung für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst“, veröffentlicht in Nr. 17 des Reichshaushalts- und Besoldungsblatt 1938. Deutsches Beamtengesetz vom 26.01.1937 (RGBl. I S.39). Reichsdienststrafordnung vom 26.01.1937 (RGBl. I S.71). Deutsches Polizeibeamtengesetz vom 24.06.1937 (RGBl. I S.653). Damit wurden Angelegenheiten, wie die Genehmigung zur Eheschließung, bestimmte Altersgrenzen sowie Regelungen zum Tragen der Uniform nach Ausscheiden aus dem Dienst geregelt. Im April 1942 waren z.B. anlässlich eines Groß-Appells etwa 750 Mann der Ordnungs- und Sicherheitspolizei sowie der Hilfsdienste angetreten (StadtArchiv Erfurt, 1-2/009-25, Bl. 43r). 46 Quellenlage können teilweise Aussagen zur Personalstärke der Schutzpolizei getätigt werden. So waren zu Beginn der NS-Zeit im Jahr 1933 in der Alarmkartei 103 Personen des Polizeipräsidiums Erfurt registriert. Dabei handelte es sich um 96 Männer der SA und sieben Angehörige des Stahlhelms.149 Eindeutiges Bestreben der an die Macht gekommenen nationalsozialistischen Regierung war die personelle Bereinigung der Verwaltung. Der preußische Minister des Innern schrieb hierzu am 21. Februar 1933 an die Regierungspräsidenten: „Ich ersuche Sie daher ergebenst, sofort dafür Sorge tragen zu wollen, daß bei den staatlichen Polizeiverwaltungen Angehörige der S.P.D., soweit sie noch in der politischen Polizei beschäftigt werden, alsbald ein anderes Arbeitsgebiet zugeteilt erhalten und durch eindeutig national eingestellte Beamte ersetzt werden.“150 Im Weiteren können ab dem Jahr 1939 detaillierte Aufstellungen zur Schutzpolizei dargestellt werden:151 Demnach waren am 28. September 1939 insgesamt 16 Offiziere und 288 Mannschaftsdienstgrade in der Schutzpolizei tätig. Im Einzelnen ist eine Differenz vom Ist- zum Sollstand von 85 Arbeitskräften zu erkennen. Dies wurde folgendermaßen aufgelistet:152 Gliederung Sollstärke Offiziere 1. Kommando 2. Luftschutz 3. 6 Reviere 4. Hundertschaft 5. Reitstaffel 6. KraftfahrtBereitschaft 7. Motorisierte Verkehrsbereitschaft 8. Nachrichtenstaffel 9. Sanitätsstaffel Gesamt: 149 150 151 152 3 1 4 4 1 Iststärke Inspektoren, Meister und Wachtmeister 5 3 203 100 13 16 Offiziere 3 1 5 4 2 24 Inspektoren, Meister und Wachtmeister 5 2 177 59 11 15 11 1 8 1 8 14 3 375 16 3 288 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 19262, Bl. 32. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 12962, Bl. 49. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 21965, unpag. (Erlass des HSSPF Kassel vom 28. September 1939, welcher eine Stärkemeldung Ist/Soll der Schutzpolizei im Bereich des Wehrkreises IX sowie eine namentliche Auflistung aller Offiziere (ab 07. Mai 1940 auch aller Obermeister und Inspektoren) forderte. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 21965, unpag. (Schreiben des Polizeipräsidiums Erfurt an den HSSPF Kassel vom 03. Februar 1940). 47 Ein nennenswerter Aspekt an dieser Stelle ist, dass das Polizeipräsidium Erfurt über eine Reitstaffel verfügte, in welcher zwölf Pferde zur Verfügung standen.153 Der HSSPF Kassel, Erbprinz zu Waldeck, informierte aufgrund des Polizeieinsatzes in Polen die Polizeiverwaltungen am 11. September 1939 darüber, dass die „kämpfende Truppe“ restlos für den Einsatz an der Front frei zu bekommen sei. Hierzu habe es Himmler übernommen, mit Kräften der Ordnungs- und Sicherheitspolizei das besetzte Gebiet von Banden usw. zu räumen. Der HSSPF machte es den Polizeidienststellen zur Pflicht, die Erfüllung dieser Aufgabe mit allen Kräften zu unterstützen und alle Rücksichten auf das Heimatgebiet zurückzustellen.154 Daneben mussten aufgrund der Personalnot bestimmte Aufgaben aufgeschoben werden. Im November 1939 konnte deshalb bei der Preisüberwachung nur noch eine Anzeigenaufnahme stattfinden.155 Mit Beginn des Krieges erfolgte eine monatliche Meldung der Kräftesituation. Die Polizeiverwaltungen wurden durch den Kriegseinsatz personell massiv durch Abordnungen geschwächt. So waren in der Meldung vom 01. März 1940156 von 15 geführten Offizieren insgesamt neun abgeordnet, u.a. an die staatlichen Polizeiverwaltungen in den Ostgebieten und in die SS-Polizei-Divisionen. Von den Mannschaftsdienstgraden versahen 158 Kräfte ihren Dienst u.a. durch Abordnungen in das Protektorat Böhmen und Mähren, das Generalgouvernement, in SS-Divisionen und in PolizeiBataillonen. Ein Großteil davon, 106 Männer, wurden aus dem Revierdienst gezogen, was zu einer erheblichen Schwächung der Iststärke führte. Im November 1940 wurde ein Polizei-Ausbildungs- Bataillon mit 226 Polizisten von Weimar nach Erfurt verlegt und dort im Bestand gezählt.157 Im gehobenen Diensten standen im Jahr 1942 insgesamt zwölf Beamte zur Verfügung.158 Ab August 1943 meldete das Polizeipräsidium Erfurt in unregelmäßigen Abständen nun auf Erlass des HSSPF Wehrkreis IX die Kräftelage der Offiziere unter Einbeziehung der einberufenen Reservisten und Zugeordneten. 153 154 155 156 157 158 Mit einer Abgabe von vier Pferden an die Polizeiverwaltung Frankfurt am Main waren ab Januar 1940 acht Pferde im Bestand. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26118, Bl. 283. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27490, Bl.73. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 21965, unpag. (Schreiben des Polizeipräsidiums Erfurt an den HSSPF Kassel vom 03. Februar 1940). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 21965, unpag. (Erlass Himmlers vom 12. Oktober 1940). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 21992, Bl. 4 (Schreiben des Polizeipräsidenten Wicke an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 31. Oktober 1942). 48 Meldung am: Anzahl der Offiziere Reservisten und Zugeordnete 02. August 1943159 01. November 1943161 01. Dezember 1943163 01. Januar 1944165 01. August 1944166 01. November 1944167 15160 15162 17164 18 20 17 34 39 39 40 43 50 Von denen im Polizeipräsidium geführten Offizieren wurde ein Großteil abgeordnet. So sind im August 1943 insgesamt 26 Abordnungen, u.a. in Polizeibataillone oder in den Stäben der IdO gemeldet worden. In der letzten Meldung vom 01. November 1944 waren von den 67 erfassten Offizieren insgesamt 44 im auswärtigen Einsatz bzw. in den Stäben der IdO abgeordnet. Eine großangelegte Werbeaktion zum Eintritt in die Waffen-SS startete im Jahr 1942. Das Polizeipräsidium Erfurt meldete am 14. Mai 1942 hierzu, dass Oberleutnant Rien mit der Durchführung der Werbeaktion beauftragt wurde. 168 Diese Aktionen setzte sich im Jahr 1943 an den Standorten der Erfurter Schutzpolizei mit Werbemaßnahmen fort.169 Gleichzeitig beantragten im gleichen Jahr drei Offiziere der Erfurter Polizei ihre Aufnahme in die SS.170 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26637, Bl. 1r (Auf Erlass des HSSPF Wehrkreis IX meldet der Polizeipräsident Erfurt am 02. August 1943 an den Regierungspräsidenten Erfurt ein Verzeichnis der Offiziere der Schutzpolizei des Reiches (Aktive, Reserve, Revier). Es werden 15 Offiziere namentlich benannt, u.a. der Major der Schutzpolizei Wehlow (Kommandeur der Schutzpolizei in Erfurt seit dem 20. Februar 1940), Hauptmann der Schutzpolizei Wiehle (Luftschutzoffizier). Von den 15 Offizieren waren acht abgeordnet, z.B. in Polizeibataillone bzw. beim Stab des IdOs. Zugeteilt waren dem Polizeipräsidium von anderen Standorten 34 Offiziere, davon waren 18 wiederum abgeordnet, teilweise in die besetzten Gebiete. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26637, Bl. unpag. Es erfolgte die erneute Einberufung an Reservisten. Der Oberleutnant der Reserve, Bremser, ist am 23. September 1943 gefallen. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26637, Bl. unpag. Zwei Hauptwachtmeister wurden zum Leutnant ernannt. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26637, Bl. unpag. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26637, Bl. unpag. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26637, Bl. unpag. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27897, unpag. (Dabei hatte er Vorträge in höheren Schulen, Berufsschulen und Landwirtschaftsschule gehalten.). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27897, unpag. Es handelte sich hierbei um den Major der Schutzpolizei Heinrich Wehlow, geb. am 11. Januar 1895, den Hauptmann der Schutzpolizei Walther Wiehle, geb. am 27. September 1898 und den Hauptmann der Schutzpolizei Otto Höken, geb. am 19. November 1908 (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27897, unpag.). 49 3.3.3 Die Liegenschaft Das aus dem ehemaligen Augustinerkloster171 hervorgegangene Polizeipräsidium war ein zentral gelegenes Gebäude in der Innenstadt von Erfurt und befand sich in der Kasinostraße,172 welche im Jahr 1936 in Meister-Eckehart-Straße 2 umbenannt wurde. Der im Jahr 1655 umgebaute ehemalige Valentinerhof zum Kloster erfuhr bereits im Jahr 1876 eine Nutzung als Offiziers-Speiseanstalt (Offizierskasino).173 Im Jahr 1923 erfolgte der Umbau des Klosters zu einem Polizeidienstgebäude. Bis in das Jahr 1945 wurde das Gebäude als Polizeipräsidium genutzt.174 Aus den Bauplänen des Gebäudes der 1930er Jahre geht hervor, dass sich im Erdgeschoss u.a. der Polizeigewahrsam, die Wache und die Polizeikasse befanden.175 Im Obergeschoss lagen die Räume des Polizeipräsidenten mit einem angrenzenden, etwa 80 qm großen Sitzungssaal.176 Der Kommandeur der Schutzpolizei, seine Verwaltung und der Leiter der Revierpolizei wirkten im Obergeschoss des Nordost-Flügels.177 Das Polizeigefängnis befand sich im östlichen Flügel des Gebäudes im Erdgeschoss und besaß drei „Aufnahmeräume“ sowie fünf Gefangenenzellen. Bisher relativ unbekannt ist die Tatsache, dass im Hof des Polizeipräsidiums seit Anfang der 1930er Jahre eine provisorische Gefängnisbaracke aufgestellt war.178 Diese Baracke war etwa 207 Quadratmeter groß, hatte zwölf Zellen179, vier großräumige Zimmer und zwei Toiletten. 4 Die Erfurter Polizeipräsidenten während der NS-Zeit 4.1 Überblick Die Polizeiverwaltung in Erfurt durchlebte im NS-Staat einen Funktions- und Bedeutungswandel. Noch in den Jahren 1933 und 1934 war sie eine Institution, die aktiv an der Bekämpfung politischer Gegner mitgewirkt hatte. Mit der Herauslösung der politischen Polizei aus der Polizeiverwaltung und der Umbildung zu einer selbstständigen 171 172 173 174 175 176 177 178 179 Die anliegende Wigbertikirche wurde im 17. Jahrhundert vom Augustinerkloster einverleibt (http://www.erfurt-web.de/Wigbertikirche; http://www.erfurt-web.de/Wigbertikirche, letzter Zugriff vom 19. Juli 2009). Im Jahr 1277 begann der Bau des Erfurter Augustinerklosters (http://www.augustinerkloster.de/geschichte/, letzter Zugriff vom 19. Juli 2009). Anhang 4 (Foto des Polizeipräsidiums Erfurt aus dem Jahr 1925). StadtArchiv Erfurt, 7/117-13. Ab 1951 nutzte das Thüringer Innenministerium, ab 1952 der Rat des Kreises, Abteilung Landwirtschaft, das Gebäude. Seit 1990 ist die Stadtverwaltung Erfurt mit dem Personalamt hier untergebracht. StadtArchiv Erfurt, 7/117-13-10b. StadtArchiv Erfurt, 7/117-13-11a. StadtArchiv Erfurt, 7/117-13-12. StadtArchiv Erfurt, 7/117-13-27. Jede Zelle war ca. sechs Quadratmeter groß. 50 Behörde am 01. April 1934 übernahm von nun an die Staatspolizeistelle Erfurt diese Zuständigkeiten (Schneider 2008, 64). Durch fortgesetzte Aufgabenverschiebungen und kriegsbedingte Entwicklungen änderten sich zunehmend die Tätigkeitsfelder des Polizeipräsidiums, wie es der Luftschutz deutlich zeigte. Zu dem tiefgreifenden Funktionswandel der Ordnungspolizei in eine paramilitärische Organisation hat auch das Erfurter Polizeipräsidium, durch die Entsendung von Personal und der aktiven Teilnahme am „Osteinsatz“, beigetragen. Mit diesen Prozessen einher geht die Bedeutungsverschiebung der Polizei, von der Ausrichtung auf den Nationalsozialismus bis zur Garantenstellung für die nationalsozialistische Ordnung. Im Laufe dieses Wandels wurde auch die Erfurter Polizei von Gesetzen entbunden und in den Unterdrückungsapparat eingebettet. Als regionale Inhaber dieser wichtigen Position im preußischen Regierungsbezirk Erfurt sind die Polizeipräsidenten folgend Gegenstand einer genauen Betrachtung. In ihrer exponierten Stellung als Leiter einer staatlichen Verwaltung hatten sie ein politisch bedeutsames Amt inne, was in den beschriebenen Aufgaben begründet war. Welche Personen führten während der NS-Zeit das Polizeipräsidium Erfurt? Im Laufe der Recherchen zu dieser Arbeit kristallisierten sich folgende acht amtierende Polizeipräsidenten heraus:180 Führung des Erfurter Polizeipräsidiums181 bis September 1933 19. Mai 1933 bis 01. Juli 1934 August 1934 bis November 1934 01. November 1934 bis 08. Juli 1936 01. April 1937 bis 08. November 1939 01. März 1940 bis 14. Oktober 1940 04. August 1941 bis 27. Juli 1944 29. Januar 1945 bis 10. April 1945 180 181 Name, Vorname Dienstgrad Rabe von Pappenheim, Hermann Regierungsrat Fichte, Werner von SA-Obergruppenführer Stange, Franz Albert Staatsrat Harte, Philipp Landrat Pflomm, Karl Woedtke, Alexander von SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei SS-Oberführer und Hauptmann d.R. a.D. Wicke, Heinrich (Heinz) SS-Standartenführer Gieseke, Otto SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Auf die Abwesenheitsvertreter des Polizeipräsidenten in Erfurt wird aufgrund des Umfanges der Arbeit nicht eingegangen. Unter Führung des Polizeipräsidiums wird hier auch verstanden, wenn eine Person „mit der Wahrnahme beauftragt“ war bzw. als Vertreter eingesetzt, jedoch die alleinige Verantwortung inne hatte. Die detaillierten Angaben befinden sich im Anhang 6. 51 Es werden folgend die Lebensläufe von fünf der insgesamt acht amtierenden Polizeipräsidenten in Erfurt während der NS-Zeit beschrieben. Aufgrund der vielfältig vorgefundenen Unterlagen und des vorgegebenen Umfanges der Arbeit musste diese Begrenzung vorgenommen werden. Dabei fiel die Auswahl insbesondere auf den Kreis der letzten vier Polizeipräsidenten, die nach der Verschmelzung von Polizei und SS ab dem Jahr 1936 das Polizeipräsidium führten. Weiterhin ist der „prominente“ Werner von Fichte, als „Opfer“ der Röhm-Revolte, in den biografischen Skizzen mit einbezogen. Ungeachtet der Reduzierung sind die erhobenen biografischen Angaben zu allen acht Personen im Anhang 6 dargestellt. Die nachfolgende Kollektivbiografie der Polizeipräsidenten in Erfurt während der NSZeit ist vordergründig eine Berufsbiografie. Neben Herkunft, Ausbildung und militärischer Erfahrung beeinflussten wichtige zeitliche Ereignisse das Leben sowie das Verhalten des untersuchten Personenkreises. Der Betrachtung der Polizeipräsidenten in ihrem ganzen Werdegang kommt eine große Bedeutung zu, da sie laufend die Verwendungen wechselten. Dabei interessiert insbesondere, was für ein Typus Mensch diese Personen waren, was für Erfahrungen sie mitbrachten und wie sie folglich handelten. Es werden die verschiedenen Leiter der Polizeiverwaltung Erfurt beschrieben, wobei immer die Frage gestellt wird, ob und wenn ja, welche gesonderten Akzente sich in der Amtsführung des jeweiligen Polizeichefs feststellen lassen. 4.2 Werner von Fichte – „Wiking-Führer“ und SA-Mann Am 17. Juli 1934 meldete sich der nervös klingende Werner v. Fichte aus seiner Erfurter Wohnung fernmündlich bei Polizeimajor Bier und teilte diesem mit: „Hier Polizeipräsident von Fichte. Ich bin wieder da, nehme meinen Dienst aber nicht wieder auf, sondern fahre in ein Sanatorium. Sie können sich vorstellen, wie es mir geht, unschuldig wie ein Lamm und eingesperrt. Wissen Sie was davon, das ich aus der SA ausgeschlossen bin? Warum vertreten Sie mich? Warum vertritt mich nicht Schaefer?“182 Ein Rückruf von Bier am selbigen Tag zur Beantwortung der Fragen blieb erfolglos, da v. Fichte die Stadt Erfurt 182 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 34f. 52 bereits verlassen hatte.183 Von diesem Tag an bemühte sich der Vizepräsident des Oberpräsidiums Koblenz, v. Ditfurth, drei Jahre fürsorglich um Werner v. Fichte. Am 18. Juli 1934 schrieb v. Ditfurth an den Regierungspräsidenten in Erfurt, Bachmann, dass der körperlich und seelisch vollständig zusammengebrochene v. Fichte seit dem 17. Juli bei ihm weile und dass er ihn in dessen Auftrag krank melde, da dieser zu schwach sei, um selber seinen Namen zu schreiben. Er bat weiterhin um Klärung, warum Ministerpräsident Göring persönlich Werner v. Fichte am 01. Juli 1934 verhaftete und weshalb dieser am 16. Juli 1934 „plötzlich“ wieder aus dem Konzentrationslager Lichtenburg entlassen worden sei. Der Erfurter Polizeipräsident Werner v. Fichte wurde im Zusammenhang mit der „Röhm-Revolte“ verhaftet184 und auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers am 07. Juli 1934 aus der SA ausgeschlossen.185 Die gemeinsame Inhaftierung mit „Verbrechern gewöhnlichen Rechts“186 bedeutete für den kinderlosen und geschiedenen v. Fichte das Ende einer Karriere in Militär, Geheimbünden und Polizei.187 Erfolglos bestreitet v. Fichte die Teilnahme an dem angeblichen Röhm-Putsch188 und wird am 30. August 1934 in den einstweiligen189 und zum 30. Oktober 1934 in den endgültigen190 Ruhestand versetzt. Auch der Regierungspräsident in Erfurt sah aufgrund der Bekanntheit des Vorgangs in der Bevölkerung keine Möglichkeiten mehr für einen Einsatz v. Fichtes als Polizeipräsident in Erfurt.191 183 184 185 186 187 188 189 190 191 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 37. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 43 (Schreiben des Regierungspräsidenten von Erfurt an den Preußischen Minister des Inneren am 19. Juli 1934). BArch, SA-P Werner von Fichte (Schreiben des Obersten SA-Gerichts an die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Berlin vom 07. November 1939) sowie BArch, PK Werner von Fichte (Schreiben der Reichsleitung NSDAP an den Polizeipräsidenten und Leiter der Politischen Polizei Kurhessen vom 29.01.1936 mit der Verfügung zum Ausschluss: Ch. Nr. 17147/34). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 44. Entgegen anderer Darstellung, die v. Fichte am 30. Juni 1934 auf Anordnung Hitlers angeblich als ermordet aufführt (Meinl 2000, 232), wurde er noch am 14. Mai 1945 als ordentliches Mitglied der NSDAP in den Akten geführt (BArch, PK Werner von Fichte, Vermerk des Reichsschatzmeisters, Hauptamt V, Reichskarteiamt). In der Einlassung des Kriminalrats Merkel erklärt dieser, Fichte habe ihm gesagt, dass er weder ein 175er noch ein Hochverräter sei. Er stehe nach wie vor treu zu seinem Führer und zu seiner Bewegung (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 36). Der §175 des Reichsstrafgesetzbuches stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 51. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 58. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 43 (Schreiben des Regierungspräsidenten Erfurt an den Preußischen Minister des Inneren am 19. Juli 1934). 53 Dem späteren SA-Obergruppenführer v. Fichte wurde durch Abstammung192 und Elternhaus eine militärische Karriere in die Wiege gelegt. Am 04. Mai 1896 in Kassel als Sohn des Generalleutnants Georg v. Fichte193 und dessen Ehefrau Charlotte, geb. Rindfleisch, geboren, begann er nach dem Besuch der Gymnasien Straßburg und Breisach im Alter von 11 Jahren die militärische Ausbildung in den Kadettenkorps Karlsruhe, Bensberg und wechselte im Jahr 1913 an die Hauptkadettenanstalt Berlin Lichterfelde. Dann folgte die große Zäsur: der Erste Weltkrieg. Werner v. Fichte trat 1914 in das Fußartillerie-Regiment Nr.18 ein, zeichnete sich als Jagdflieger aus194, wurde zweimal bei Flugzeugabstürzen schwer verwundet und nahm an den Kämpfen an der Westund Sinaifront sowie an den Stellungskämpfen um Verdun wie auch an der Schlacht um Gaza in Mittelpalästina teil. Nach der ersten Verwundung im Jahr 1916 diente der 1915 zum Leutnant ernannte v. Fichte als Flugleiter an der Kampfeinsitzerschule Paderborn. Das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutete für v. Fichte die nächste große Zäsur. Die Fortführung der Kriegserlebnisse fand für ihn in den Jahren 1918-1920 durch „Freikorpskämpfe gegen die Bolschewisten im Osten“ 195 statt. V. Fichte schloss sich der Marine-Brigade Ehrhardt an,196 welche durch den Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt197 am 17. Februar 1919 aufgestellt und sich als Freikorps besonders durch Radikalität, straffe Disziplin und elitären Charakter auszeichnete. Mit der Auflösung der Brigade Ehrhardt im April 1920 wurde v. Fichte in das 100.000Mann-Heer übernommen. Hier diente er nach eigenen Angaben als Leutnant im 192 193 194 195 196 197 Werner v. Fichte war der Urenkel des berühmten Philosophen Johann Gottlieb Fichte (Orientalische Cigaretten-Compagnie "Rosma" GmbH 1934, 66). Johann Gottlieb Fichte (geboren am 19. Mai 1762 in Rammenau, gestorben am 29. Januar 1814 in Berlin) sympathisierte bereits 1813 mit dem Militär und betätigte sich neben seiner Tätigkeit als Professor in Königsberg im Landsturm. Johann Gottlieb Fichtes philosophiegeschichtliche Bedeutung beruht darauf, dass er durch die Wissenschaftslehre von 1794 den Kritizismus Kants in den spekulativen Idealismus übergeführt hat (Historische Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften 1961, S. 122 – 125). Johann Gottlieb Fichte war auch ein Antisemit. Hiermit ist eine familiäre Kontinuität über vier Generationen erkennbar (http://www.comlink.de/clhh/m.blumentritt/agr111s.htm, letzter Zugriff vom 19. Juli 2009). Georg v. Fichte war 1896 Hauptmann und Lehrer an der Kriegsschule Kassel und zuletzt Kommandant des Schießplatzes Wahn. Unter anderem wurde v. Fichte das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse, das Flugzeugführerabzeichen sowie das Ehrenzeichen für Frontkämpfer verliehen. BArch, PK RSK Werner von Fichte, unpag. (Lebenslauf vom 25. Februar 1938). BArch, Personalfragebogen der Subsequent Proceedings Division Werner von Fichte. Hermann Ehrhardt (geboren am 29. November 1881in Diersburg , gestorben am 27. September 1971 in Krems an der Donau) 1919 die "Brigade Ehrhardt" wird im Auftrag der Weimarer Regierung im Kampf gegen die Münchener Räterepublik und zur Niederschlagung kommunistischer Aufstände in Mitteldeutschland eingesetzt, 1920 unter der Führung von General Walther Freiherr von Lüttwitz besetzt die Marinebrigade Ehrhardt das Berliner Regierungsviertel. Damit begann der Putsch von Lüttwitz und Wolfgang Kapp. Wegen Beteiligung am Putsch erging gegen Ehrhardt Haftbefehl, dem er sich durch Flucht entzog. Führt die geheime "Organisation Consul" (OC), den späteren "Wiking-Bund". (http://www.dhm.de/lemo/html/ biografien/EhrhardtHermann/ letzter Zugriff am 20. Juli 2009). 54 Reichswehr Artillerieregiment Nr. 1 in Königsberg, bis Ende 1922 seine Verabschiedung erfolgte.198 Der Zusammenhalt unter den ehemaligen Ehrhardt-Angehörigen jedoch lebte weiter, wie etwa durch die Betätigung im „Bund ehemaliger EhrhardtOffiziere“, in der „Organisation Consul“, dem „Bund Wiking“ und dem „Sportverein Olympia“ (Meinl 2000, 40-41). Stolz führte v. Fichte in seinem Lebenslauf an, dass er bis 1928 im Wikingbund als Führer von Westdeutschland tätig gewesen sei.199 Der 1928 aufgelöste Bund hatte die „Destabilisierung der Republik durch systematisches Unruheschüren sowie planmäßiges Eindringen in die Führungspositionen rechtsradikaler Gruppierungen“ (Meinl 2000, 148) zum Ziel.200 Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass v. Fichte in dem berüchtigten rechtsradikalen Geheimbund, der Organisation Consul – kurz OC –, als „hessischer OC- und Wiking-Führer“ (Meinl 2000, 232) aktiv war. Die von Hermann Ehrhardt geführte OC wies in Aufbau und Konzeption Merkmale eines „völkisch-radikalen Geheimbundes“ (Meinl 2000, 42) auf. Ziel der nationalistischen Terrororganisation war die Bekämpfung der jungen Weimarer Republik durch politische Morde sowie das Konterkarieren des Friedensvertrages von Versailles. Hierbei existierten enge Verbindungen und Kooperation mit der Reichswehr.201 Im Jahr 1926 begann v. Fichte nach eigenen Angaben202 mit publizistischen Tätigkeiten. Neben Beiträgen für die nationale „Kasseler Post“ gab er ab 1926 die Zeitschrift „Wiking“ in Kassel heraus, die noch im gleichen Jahr durch den preußischen Innenminister Severing verboten wurde. Ein weiteres Engagement als Herausgeber des Gaublattes der NSDAP Essen „Sturmabteilung“ folgte in den Jahren 1930 und 1931. Durch seinen frühen Eintritt in die NSDAP und die SA bei der Ortsgruppe Kassel im September 1928 zählte v. Fichte als „Alter Kämpfer“, wofür er im November 1933 das Goldene Ehrenabzeichen der NSDAP verliehen bekam. V. Fichte begab sich Anfang der 1930er Jahre in Konfrontation mit der nationalsozialistischen Führung. So wurde er 198 199 200 201 202 BArch, PK RSK Werner von Fichte, unpag. (Lebenslauf vom 25. Februar 1938). BArch, PK RSK Werner von Fichte, unpag. (Lebenslauf vom 25. Februar 1938) sowie Meinl (2000, 123). Wie v. Fichte war auch Friedrich Wilhelm Heinz Mitglied der vorgenannten antidemokratischen Verbände. Parallelen zu dem späteren ersten Leiter des militärischen Abschirmdienstes der Bundesrepublik Deutschland Heinz zu v. Fichte, wie die Mitgliedschaft in der Brigade Ehrhardt, die spätere Verwendung als regionaler Führer der OC und im Nachfolgeverband „Bund Wiking“ sowie die publizistischen Tätigkeiten und die zeitgleiche Aufnahme in die NSDAP im Jahr 1928 (Meinl 2000, 8), sind augenscheinlich. Aufgrund der Kooperation mit der Reichswehr bezeichnete man die OC 1922/1923 auch „Schwarze Reichswehr“ (Meinl 2000, 42). BArch, PK RSK Werner von Fichte, unpag. (Lebenslauf vom 25. Februar 1938). 55 im Jahr 1931 bezichtigt, bei einer SA-Führertagung im Herbst 1930 die politischen Leiter und Reichstagsabgeordneten der NSDAP als Bonzen bezeichnet zu haben.203 Dies bestätigte auch eine Befragung des SA-Führers Bochum, Otto Voß, welcher die Geringschätzung v. Fichtes gegenüber nationalsozialistischen Abgeordneten bemängelte.204 Trotzdem hatte er vom Sommer 1930 bis zum Mai 1933 die Position des stellvertretenden OSAF-West, mit dem später geführten Dienstrang eines SA-Gruppenführers, inne.205 Während dieser Zeit fungierte v. Fichte konspirativ als Vertrauensmann Ehrhardts in der NSDAP, der hierdurch Informationen über die Entwicklung der SA erhielt (Meinl 2000, 165). Am 19. Mai 1933, durch den preußische Minister des Innern als stellvertretender Polizeipräsident von Erfurt eingesetzt, erfolgte die offizielle Ernennung zum Polizeipräsidenten am 22. September 1933.206 In seiner Amtszeit, die bis zum 07. Juli 1934 währte, setzte v. Fichte die nationalsozialistischen Ideen in Erfurt durch, was mit den Festnahmen politischer Funktionäre begann. So wurde Hermann Jank, Kandidat auf einem kommunistischen Wahlvorschlag (Spitzenfunktionär in der RGO), im Juli 1933 als Schutzhäftling in das auf Initiative des preußischen Ministeriums des Inneren entstandene KZ Sonnenburg überführt207 Auch der bereits am 11. April in Erfurt festgenommene KPD-Funktionär Karl Kolbe, Feldstraße 18 aus Erfurt, 208 wurde am 22. Juli 1933 in das Konzentrationslager Lichtenburg bei Torgau verbracht.209 Nach einem in Gutsche (1986, 435) zitierten Flugblatt der KPD gab Polizeipräsident Werner v. Fichte im Frühsommer 1933 den Auftrag zur Ermordung von drei KPDFunktionären. Der sich in Schutzhaft befindliche Josef Ries210 soll am 28. Juni 1933 durch die SA bei einem Verhör misshandelt und anschließend erschossen worden sein, die Funktionäre Heinz Sendhoff und Waldemar Schapiro im Juli. In der Meldung an den Regierungspräsidenten Erfurt wurde vermerkt: „Der Schutzgefangene Chaim-Wulf 203 204 205 206 207 208 209 210 BArch, SA-P Werner von Fichte (Schreiben Heinrich Stüwe an den Bezirksleiter LenneVolme der NSDAP vom 13. Mai 1931). BArch, SA-P Werner von Fichte (Schreiben des Otto Voß an den General-Inspekteur der SA vom 14. Mai 1931). BArch, SA-P Werner von Fichte (Schreiben des Werner von Fichte an Stabschef Röhm vom 30. März 1931, Bl. 4). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 3. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 90r (Polizeipräsident Erfurt (i.A. Boening) an den Regierungspräsidenten Erfurt am 06. Juli 1933). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 84r. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 87 (Polizeipräsident Erfurt (i.A. Boening) an den Regierungspräsidenten Erfurt am 29. Juli 1933). Dazu auch Wolf (2005, 11). 56 (genannt Waldemar) Schapiro, geboren 15.6.1893 in Kopys (Russland) ist am 15.7.1933 an einem Herzschlag gestorben.“211 Im Zusammenhang mit der Schutzhaft ist ein weiterer Todesfall bekannt geworden. Der im Konzentrationslager Papenburg, Bezirk Osnabrück, untergebrachte Werner Hesse212 war vom Polizeipräsidium Erfurt nach dorthin verlegt worden, wo er am 26. September 1933 bei einem Fluchtversuch erschossen worden ist. V. Fichte schrieb in seiner Meldung am 03. Oktober 1933: „Die Angehörigen des Hesse sind von dem Todesfall in Kenntnis gesetzt worden.“ 213 Neben KPD- waren auch zahlreiche SPD-Parteiangehörige von den Verhaftungswellen betroffen. Das Polizeipräsidium Erfurt meldete an das vorgesetzte Regierungspräsidium in einem geheimen Schreiben, dass am 04. Juli 1933 alle elf festgenommenen SPDFunktionäre „versuchsweise“ freigelassen worden seien. Gleichzeitig befänden sich von den 48 Häftlingen aus den anderen Regierungsbezirken noch 23 in Schutzgewahrsam.214 Aufgrund der stetig ansteigenden Zahl von eingelieferten Schutzgefangenen aus allen Gebieten215 des preußischen Regierungsbezirkes Erfurt in die Polizeigefängnisse Kasinostraße und Petersberg gab es bald Engpässe hinsichtlich der „Aufnahmekapazitäten“. Auch das „Fassungsvermögen“ in den Konzentrationslagern, wohin ein Großteil der verhafteten Personen überführt worden war, erschöpfte sich in kurzer Zeit, so dass das Sammellager Lichtenburg am 20. Juli 1933 eine weitere Aufnahme von Schutzhäftlingen aus Erfurt ablehnte.216 Die massiv angestiegene Zahl von politischen Häftlingen soll folgende Tabelle verdeutlichen, welche durch den Polizeipräsidenten Erfurt an den Regierungspräsidenten Erfurt gemeldet wurden: 211 212 213 214 215 216 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 97 (Polizeipräsident Erfurt (i.A. Boening) an den Regierungspräsidenten vom 20.07.1933). Werner Hesse, geboren am 05. Mai 1912 in Zeulenroda, gestorben am 26. September 1933 im KZ Papenburg, zuletzt wohnhaft in Erfurt, Zietenstraße 62. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 238 (Schreiben des Polizeipräsidenten Erfurt an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 03.10.1933). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 150 (Schreiben des Polizeipräsidenten Erfurt (i.A. Boening) an den Regierungspräsidenten Erfurt). Schreiben des Landrates des Kreises Ziegenrück an den Regierungspräsidenten in Erfurt am 11. Mai 1933: „Da die Unterbringungsmöglichkeiten für politische Häftlinge im Regierungsbezirk Erfurt, wie in Gerichtsgefängnissen u.Ä. erschöpft waren, wurde nach Absprache mit dem Polizeipräsidenten in Erfurt zur Unterbringung in die Schutzhaft nach dorthin verlegt (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 133). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 71 (Schreiben des Regierungspräsidenten Merseburg an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 20. Juli 1933). 57 Datum Schutzhäftlinge gesamt 29. Juli 1933217 29. August 1933219 14. September 1933221 14. Oktober 1933222 30. Oktober 1933223 29. November 1933225 157 174 195 209 216 241 Männliche Personen im Schutzgewahrsam Erfurt 111 29 20 35 19 35 Weibliche Personen im Schutzgewahrsam Erfurt 9 8 7 7 6 3 Davon in Konzentrationslager verbracht: 37218 137220 168 166 191224 203226 Mit der ab Juli 1933 einsetzenden Verbringung von Gefangenen in ausgelagerte Konzentrationslager ist ein deutlicher Wandel in der Organisation von Schutzhaftsachen zu erkennen. Neben der Verbringung in andere Lager wurden die festgenommenen Schutzhäftlinge wöchentlich zweimal aus dem Lager Feldstraße und aus dem Polizeigefängnis Petersberg den Verhören der SA zugeführt. Bei solch einem „Verhör“ am 28. Juni 1933 sind fünf KPD-Mitglieder von der SA auf dem Gelände des Polizeihundevereins „aufs grausamste mißhandelt“ Gutsche (1986, 435) worden. Deutlich wird das enge Verhältnis zur SA bei der Betrachtung der personellen Zusammensetzung des Polizeipräsidiums. Zur Vorbereitung von Sicherheitsmaßnahmen im Sabotagefall erstellte v. Fichte im September 1933 eine personelle Auflistung seiner Dienststelle.227 Demnach werden 96 Mitglieder der SA, kein Mitglied der SS und sieben Angehörige des Stahlhelms für den Alarmfall erwähnt. Dass die Führung des Polizeipräsidiums Erfurt stolz seine „Schutzhäftlinge“ präsentierte, zeigt folgende Begebenheit: V. Fichte führte persönlich am 05. August 1933 zwei niederländische Wissenschaftler der „Arisch Genootschap voor Rassenbiologie“ durch den Polizeigewahrsam im Polizeipräsidium, durch das Polizeigefängnis auf dem Petersberg und durch das Schutzhaftlager in der Feldstraße.228 Hier besichtigte man die 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227 228 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 126. Einlieferung in die Konzentrationslager Sonnenburg und Lichtenburg. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 163. Einlieferung in die Konzentrationslager Sonnenburg, Lichtenburg und Papenburg bei Osnabrück (dort allein 100). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 203. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 256. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 321. Verbracht in die Konzentrationslager Sonnenburg, Lichtenburg, Papenburg bei Osnabrück, Brandenburg/Havel, Moringen. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 488. Das Polizeipräsidium Erfurt meldete am 04. November 1933, dass mittels Sammeltransport 13 Schutzhäftlinge zur Überführung in das staatliche Konzentrationslager in Brandenburg/Havel in Marsch gesetzt wurden (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 354r). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 19262, Bl. 32. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 115. 58 Einrichtungen für die Schutzhaftgefangenen und v. Fichte nutzte dies für eine Veröffentlichung in der lokalen Presse. Die Niederländer konnten sich davon überzeugen, dass „das Bestreben vorherrscht, die verhängte Schutzhaft nicht als Vergeltung wirken zu lassen, sondern sie dazu zu benutzen, um aus der irre geleitete Volksgenossen durch Arbeit und Aufklärung wieder brauchbare Staatsbürger zu machen.“229 Besonders ist ihnen dabei die peinliche Sauberkeit und Ordnung aufgefallen. Neben den Festnahmen beschlagnahmte die Erfurter Polizei in einer Vielzahl von Fällen angebliches und tatsächliches kommunistisches Vermögen und beantragte dessen Einziehung beim vorgesetzten Regierungspräsidenten. Das Ziel dieser umfassenden Maßnahmen war die Beseitigung der finanziellen Grundlagen des politischen Gegners. Einige exemplarische Beispiele aus v. Fichtes Amtszeit sollen diese Vorgänge darstellen: • Das Vermögen der „Freien Volksbühne, Erfurt“ wurde im Oktober 1933 in Höhe von RM 60,50 auf das Postscheckkonto der Polizeikasse Erfurt überwiesen.230 • Boening231 meldete „im Auftrag“ für den Polizeipräsidenten v. Fichte, dass am 15. Mai 1933 das Volkshaus der SPD-Gewerkschaften in Erfurt, Johannesstraße 55, welches einen Wert von 160.000 RM hat, polizeilich beschlagnahmt worden sei.232 • Ein weiterer Antrag v. Fichtes auf Einziehung folgte im August 1933, indem er die Parteigelder der SPD auf dem Postscheckkonto des Erfurter Bezirksleiters der SPD Großthüringen, Willi Eberling, beschlagnahmen ließ.233 • V. Fichte unterzeichnete ebenfalls die Meldung über die Beschlagnahme des Sparkassenkontos des kommunistischen Landtagsabgeordneten Walter Duddins, Erfurt, Leipziger Straße 12, im August 1933,234 die Beschlagnahme des Vermögens des Internationalen Bundes der Opfer des Krieges und der Arbeit am 09. März 1933235 sowie die Beschlagnahme des Vermögens des Landeserwerbslosenausschusses für Großthüringen in Erfurt, Johannesstraße 171, am 28. Februar 1933.236 229 230 231 232 233 234 235 236 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10020, Bl. 116. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26660, Bl. 38 (Schreiben der Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten AG, Berlin, an den Polizeipräsidenten Erfurt am 07. Oktober 1933). Kriminalkommissar Wilhelm Boening war Vertreter des Regierungsrates Orgler in der Staatspolizeistelle Erfurt (Schneider 2008, 63). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27521, Bl. 1 (Schreiben des Polizeipräsidenten Erfurt (i.A. Boening) an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 18. Mai 1933). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27521, Bl. 8 (Schreiben des Polizeipräsidenten Erfurt (v. Fichte) an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 12. August 1933). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27521, Bl. 19. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27521, Bl. 28. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27521, Bl. 30. 59 • Der Vertreter v. Fichtes, Dr. Schaefer, beantragte am 12. Januar 1934 die Einziehung des von der Polizei beschlagnahmten Postscheckkontos der Frau Gertrud Schimpf mit einem Guthaben von 6,01 RM. Dabei soll es sich um ein getarntes Konto der Kampfgemeinschaft proletarischer Freidenker gehandelt haben.237 Neben Finanz- und Vermögenswerten wurden auch eine Vielzahl an Gegenständen beschlagnahmt, die wesentliche Arbeitsgrundlage für die politischen Gegner der Nationalsozialisten darstellten. • V. Fichte ließ im Juli 1933 von dem in polizeilicher Schutzhaft befindlichen kommunistischen Funktionär Wilhelm Döll den Personenkraftwagen (eine OpelLimousine) beschlagnahmen. Begründet wurde diese polizeiliche Maßnahme mit dem Verdacht, dass der Wagen für Fahrten der Erfurter Bezirksleitung der KPD benutzt worden sei. Er bat um Einziehung des Kraftwagens.238 • Bei der Bezirksleitung der KPD in Erfurt, Leipziger Str. 12, wurde im September 1933 ein Vervielfältigungsapparat der Marke Rotary durch die Polizei beschlagnahmt. Wörtlich heißt es in dem Antrag auf Einziehung: „Die Abziehapparate wurden zur Herstellung hochverräterischer und kommunistischer Schriften benutzt.“239. • Ebenfalls beantragte v. Fichte die Einziehung von Gegenständen des kommunistischen Funktionärs Hermann Galbalwis in Erfurt, Auenstraße 57, welcher nach der Durchsuchung im Polizeigewahrsam in Schutzhaft saß240 sowie die Einziehung des beschlagnahmten Herrenfahrrads von Willi Hofmann, Erfurt, Salinenstraße 34, weil dieser das Rad zur Verteilung kommunistischer Druckschriften verwendet haben soll.241 Eine große Anzahl an Vermögenswerten und Gegenständen wurden im Weiteren durch das Polizeipräsidium Erfurt beschlagnahmt. Darunter befanden sich u.a. auch Radiogeräte (mit eingestelltem Moskausender), Schreibmaschinen und Kraftfahrzeuge. 237 238 239 240 241 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26660, Bl. 108 (Schreiben des Polizeipräsidenten Erfurt (i.V. Dr. Schaefer) an den Regierungspräsidenten vom 12. Januar 1934). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27521, Bl. 2 (Schreiben des Polizeipräsidenten Erfurt (v. Fichte) an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 27. Juli 1933). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 23227, Bl. 1 (Schreiben des Polizeipräsidenten Erfurt (v. Fichte) an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 08. September 1933) ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27521, Bl. 8 (Schreiben des Polizeipräsidenten Erfurt (v. Fichte) an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 27. Juli 1933) ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27521, Bl. 34 (Schreiben des Polizeipräsidenten Erfurt (v. Fichte) an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 07. August 1933). 60 Neben der Verfolgung von Regimegegnern sind in einer großangelegten „Bekämpfungsaktion des Bettelunwesens“ 242 am 19. September 1933 insgesamt 36 Bettler in Erfurt festgenommen und „der Bestrafung zugeführt“243 worden. Dabei waren alle verfügbaren Polizeikräfte, mit Unterstützung durch SA, SS und Stahlhelm, beteiligt. Ende Oktober meldete das Polizeipräsidium Erfurt, dass das „Bettlerunwesen ganz erheblich zurückgegangen“244 sei. Neben den Säuberungsaktionen hatte v. Fichte als Polizeipräsident natürlich die organisatorische Verantwortung über die Polizeiverwaltung Erfurt. Als örtlicher Luftschutzleiter veranlasste v. Fichte im Rahmen des Luftschutzes die Errichtung von zwei Musterschutzräumen für Anschauungszwecke (Wolf 2005, 20). Noch vor seiner Verhaftung teilte v. Fichte dem Oberbürgermeister mit, dass er aufgrund der Probleme mit der Abschaltung der elektrischen Straßenbeleuchtung und der Gaslaternen bei Luftgefahr mit den „Maßnahmen zur Verdunkelung öffentlicher Straßen in Erfurt nicht zufrieden sei.“245 Die von ihm geplanten Luftschutzübungen im August und September hat er aufgrund seiner Verhaftung und Amtsenthebung nicht mehr führen können. Im Sommer 1933 waren außerdem alle 23.000 kriminalpolizeilichen Strafakten neu zu ordnen, was dem Polizeipräsidium zeitlich - aufgrund der zahlreichen Anträge auf Ausstellung von Führungszeugnissen - sowie auch organisatorisch erhebliche Schwierigkeiten bereitete.246 Eine Vollzugsmeldung dieser Führungsaufgabe kam nicht mehr durch v. Fichte zustande. Zwar war ihm die Ausnahmeregelung: „Eine allmähliche Anpassung an die einheitliche Regelung ist anzustreben“247 zugestanden worden, doch erst sein Amtsnachfolger Philipp Harte konnte dies bis Dezember 1935 realisieren.248 V. Fichte wurden 1933 in einer Beurteilung folgende Eigenschaften bescheinigt: „soldatisches Auftreten, gute Formen und Geschicklichkeit im Umgang mit der Bevölkerung, sicheres Auftreten, großer Fleiß“. Werner v. Fichte zeichnete sich besonders in seinem Bestreben aus, das nationalsozialistische Gedankengut in der ihm unterstellten 242 243 244 245 246 247 248 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10995, Bl. 343(Vermerk des Regierungspräsidenten Erfurt am 09. September 1933). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10995, Bl. 371 (Meldung des Polizeipräsidenten Erfurt an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 16. Oktober 1933). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10995, Bl. 395 (Meldung des Polizeipräsidenten Erfurt an den Regierungspräsidenten Erfurt vom 29. Oktober 1934). StadtArchivErfurt, E-1-2/160-6243. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22512, unpag. (Schreiben des Polizeipräsidenten Erfurt an den Regierungspräsidenten vom 20. September 1933). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22512, unpag. (Schreiben des Preußischen Minister des Innern am 14. März 1934). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22512, unpag. (Schreiben des Polizeipräsidenten Erfurt an den Regierungspräsidenten vom 15. Dezember 1935). 61 Beamtenschaft zu verankern. In diesem Zusammenhang wurde ebenfalls die Anerkennung Hitlers für den erfolgreich bewältigten Polizeieinsatz anlässlich des Gautages der NSDAP in Thüringen 1933 erwähnt.249 Es steht nicht genau fest, warum v. Fichte zum Opfer der angeblichen Röhm-Revolte wurde. Der „prominente“250 Werner v. Fichte passte fraglos in das „Raster“ von Himmler, Heydrich und Dr. Best, um auf eine der Todeslisten zu gelangen. Mehrere Ansätze für die Gründe der Verhaftung v. Fichtes, einzeln betrachtet oder auch in Kombination, sind denkbar. So beruht eine Möglichkeit auf seinen langjährigen Verbindungen zu Hermann Ehrhardt, welchen Hitler, trotzdem er dessen verdienter Weggefährte war, den „Bazillenherd der Unruhe“ (Meinl 2000, 231) bezeichnete. Belegt ist, dass aufgrund der „Angst vor dem rebellischen Geist und dem subversiven Treiben der Ehrhardt-Gefolgschaft“ (Meinl 2000, 230) und der damit im Jahr 1933 beginnenden schrittweisen Auflösung der Brigade die ehemaligen Gefolgsleute Ehrhardts in SASpitzenfunktionen auf den Todeslisten zu finden waren. Im günstigeren Falle konnten diese durch rettende Freundschaften ihr Leben bewahrten, fielen dann jedoch oft in Ungnade. Ebenso war v. Fichtes homosexuelle Neigung bekannt, eine zur damaligen Zeit wenig tolerierte Veranlagung.251 Eine weitere Leseart könnte die Position v. Fichtes als höherer SA-Führer und sein Dienst als OSAF-West sein, der ihn zwangsläufig mit Werner Best zusammengeführt haben musste. Schlussendlich wäre für die Verhaftung auch seine aktive Beteiligung in der Geheimvereinigung der Organisation Consul ein Grund gewesen. Gründe für die Ersteller der Namenlisten, Werner v. Fichte im Juli 1934 zu liquidieren, gab es mithin genug. Unbeantwortet bleibt, ob der Flieger und Fluglehrer v. Fichte der „Nacht der langen Messer“ nur durch eine Freundschaft mit dem Flieger Hermann Göring entging, ob er ausschließlich Diels252 und dem Freiherr von Lüninck253 sein Leben zu verdanken 249 250 251 252 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 8-10 (Beurteilung v. Fichte durch den Erfurter Regierungspräsidenten Bachmann). Werner von Fichte war auf den zur damaligen Zeit vielverbreiteten Zigarettenbildern zu finden und damit sehr bekannt. Diese Bilder waren eine Publikationsform, der sich das nationalsozialistische Regime zur Selbstdarstellung ausgeprägt bediente. In dem Band „Männer im Dritten Reich“ werden die 250 führenden Personen in ideologischen Kurzbiografien dargestellt, u.a. auch Werner von Fichte (Orientalische Cigaretten-Compagnie "Rosma" GmbH (Hrsg.) 1934: Männer im Dritten Reich. Bremen (Cigaretten-Compagnie Rosma). Ernst Röhms Homosexualität war ein offenes Geheimnis, wird jedoch während der angeblichen Röhm-Revolte durch die SS benutzt, um bewusst die Empörung in der Bevölkerung über das Sexualverhalten Röhms zu steigern. Rudolf Diels war mit Unterbrechungen von April 1933 bis April 1934 Leiter des Geheimen Staatspolizeiamtes, danach Regierungspräsident in Köln. 62 hatte254 oder ob sich alle genannten Kräfte gemeinsam für seine Entlassung aus der Lichtenburg stark gemacht hatten. Rudolf Diels, erster Gestapa-Chef, war mit Göring eng verbunden gewesen.255 Parallelen neben der Militärfliegerei im I. Weltkrieg haben Göring und v. Fichte auch durch ihre militärische Ausbildung: Hermann Göring war jeweils zwei Jahre vor v. Fichte im Kadettenhaus Karlsruhe und in der Hauptkadettenanstalt Groß-Lichterfelde.256 Weiterhin waren beide hohe Führer in der SA. Aufgrund der dargestellten Ansätze ist davon auszugehen, dass sich letztendlich Göring als preußischer Innenminister schützend für den Polizeipräsidenten v. Fichte eingesetzt hatte. Seine private Lebensführung hingegen glich zumindest Anfang der 1930er Jahre einem Fiasko. Mit der im August 1930 vermählten Ehrengard v. Fichte, geborene Graemenitz, lebte er in einem Düsseldorfer Hotel ungefähr einen Monat lang zusammen. Während dieser Zeit erlitt seine Ehefrau einen Nervenzusammenbruch, verließ v. Fichte und begab sich zur Behandlung in mehrere Sanatorien. Im Jahr 1933 stritten sich beide Parteien vor Gericht und offenbarten hierbei viele intime Details.257 V. Fichte beschuldigte seine Ehefrau, dass sie an religiösem Wahn leide, nervenkrank und empfängnisunfähig sei. Außerdem sei seine Frau geschlechtlich anomal, da mit der Köchin von Graemenitz ein Liebesverhältnis bestanden haben soll. Ehrengard v. Fichte bestritt die Vorwürfe und beschuldigte ihren Mann im Gegenzug, dass sich dieser roh gegen sie verhalten habe und ebenfalls eine sexuelle Anomalität aufweise. So soll sein Abschied aus der Reichswehr im Jahr 1922 wegen sittlicher Verfehlungen erfolgt sein, da er in betrunkenem Zustand einen Unteroffizier aufgefordert habe, ihm sein Geschlechtsteil zu zeigen. Weitere homosexuelle Verfehlungen aus dem Jahr 1930 mit einem früheren Sturmtruppführer werden genannt, die v. Fichte mit Verweis auf dessen kommunis253 254 255 256 257 Lüninck, Ferdinand Freiherr von (geboren am 03. August 1888 in Ostwig, Hinrichtung am 14. November 1944 im Zusammenhang mit dem Attentatsversuch auf Hitler) war Oberpräsident der Provinz Westfalen (Stockhorst 2000, 279) und seit Oktober 1933 bis zu seiner Verhaftung im Juli 1944 Staatsrat, unfreiwilliger Rücktritt als Oberpräsident im Juli 1944 (Lilla 2005, 35). V. Ditfurth schrieb in seinem Brief an Regierungspräsidenten Bachmann am 19. Juli 1934, dass vermutlich durch Interventionen des Regierungspräsidenten Dr. Diels und des Oberpräsidenten Freiherr von Lüninck im Geheimen Staatspolizeiamt die Entlassung v. Fichtes erfolgt war (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788 Bl. 41 (Schreiben des Vizepräsidenten des Oberpräsidiums, v. Ditfurth, an den Regierungspräsidenten in Erfurt, Bachmann, am 18. Juli 1934)). Das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) war aktiv an der Niederschlagung der RöhmRevolte beteiligt (Meinl 2000, 230). Göring trat im Jahr 1905 in das Kadettenhaus in Karlsruhe ein; vier Jahre später wechselte er an die Hauptkadettenanstalt (Oberstufe) in Lichterfelde bei Berlin (http://de.wikipedia .org/ wiki/Hermann_G%C3%B6ring#Kindheit_und_Jugend, letzter Zugriff vom 19. Juli 2009). Für das umfassende Verständnis der Person v. Fichte ist eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Vorwürfen und Aussagen notwendig. 63 tische Gesinnung zu negieren versuchte. Der Vorwurf, v. Fichte unterhielt eine ehewidrige Beziehung mit einer Frau v. Ditfurth,258 wurde durch jene bestritten. Das Gericht stellte im Ergebnis die Nichtbeweisbarkeit der beiderseitigen Anschuldigungen und die schwere Verletzung der ehelichen Pflichten fest.259 Im Dezember 1933 wurde die Ehe in Düsseldorf annulliert.260 Werner v. Fichte teilte während seiner Erfurter Dienstzeit erhebliche finanzielle Probleme bei vorgesetzten Stellen mit: „Unerträglich erscheint es mir heute, die Verantwortung dieses Amtes tragen zu sollen, während ich andererseits mit drückendsten wirtschaftlichen Sorgen belastet bin.“261 Er beantragte die Einrechnung seiner früheren Dienstzeit als Offizier der Reichswehr, um das Besoldungsdienstalter um acht Jahre zu erhöhen,262 was ihm mit Ausnahmeregelung teilweise ab 1930 genehmigt wird. Ein Jahr nach seiner Ruhestandsversetzung wurde v. Fichte in einem Parteigerichtsverfahren vor dem Obersten Parteigericht der NSDAP die Unterschlagung von Geldern der Obersten SA-Führung West im Jahr 1930 sowie die gleichgeschlechtliche Betätigung mit einem SS-Mann zur Last gelegt.263 Dieses Verfahren wurde im Februar 1938 eingestellt.264 Werner v. Fichte lebte seit seiner Haftentlassung im Juli 1934 in Koblenz in der Privatwohnung des Präsidenten v. Ditfurth265 und betätigte sich seitdem als Schriftsteller.266 Im April 1937 meldete er sich bei der NSDAP Ortsgruppe Berlin mit seinem neuen 258 259 260 261 262 263 264 265 266 Spekulativ bleibt, ob die genannte v. Ditfurth die Ehefrau des Vizepräsidenten des Oberpräsidiums Koblenz oder ein Familienmitglied war. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 63ff (Verhandlung der 1. Zivilkammer des Düsseldorfer Landgerichtes in der Ehescheidungssache Fichte). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 61 (Urteil des 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Düsseldorf). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 12r. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 10788, Bl. 12f (V. Fichte erhielt eine Vergütung in Höhe des Anfangsgrundgehaltes der Besoldungsgruppe A 1 c (435,54 RM) vom 19. Mai 1933 ab zugestanden. Diesen Betrag bemängelte er, da er dadurch die Lebenshaltung eines Beamten seiner Dienststellung nicht sicherstellen konnte. Zuvor habe er als SA-Gruppenführer zuzüglich einer Offizierspension ca. 600 RM erhalten, was auch unzulänglich war. Er führte hier an, dass er sich in einer besonders schwierigen Lage befände, da sich seine Frau wegen einer schweren Krankheit nicht in seinem Haushalte aufhielt und ihm durch ihren Unterhalt hohe Kosten erwuchsen. Außerdem seien durch repräsentative Aufgaben im Zusammenhang mit seiner Stelle hohe Ausgaben angefallen.). BArch, PK Werner von Fichte (Aufforderung zur zeugenschaftlichen Äußerung an den Stabsleiter Saupert vom 21. Oktober 1936) und BArch, PK Werner von Fichte (Aktennotiz der Sektion Reichsleitung vom 25. Juli 1935) und BArch, SA-P Werner von Fichte Bl. 520. BArch, SA-P Werner von Fichte (Schreiben des Obersten SA-Gerichts an die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Berlin vom 07. November 1939). BArch, PK Werner von Fichte (Schreiben Werner von Fichte an den Reichsschatzmeister der NSDAP vom 12. Januar 1935). Werner von Fichte schrieb u.a. folgende Bücher „Morgentor der Freiheit: eine Dichtung aus deutschen Schicksalstagen“ (1934), „Die Sage des Peterklosters zu Erfurt“ (1934) und „Der Spukflieger“ (1940). Am 25. Februar 1938 stellte v. Fichte einen Antrag zur Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer (BArch, PK RSK Werner von Fichte, unpag.). 64 Wohnsitz Berlin an. Eine geplante erneute Verwendung des Offiziers v. Fichte in der Wehrmacht wird im Jahr 1939 durch die Geheime Staatspolizei geprüft.267 Eine „Wiedereinberufung“ v. Fichtes fand nicht statt. 4.3 Karl Pflomm – Der „Alte Kämpfer“ Am 16. April 1945 erschoss Karl Pflomm seine Ehefrau, sechs seiner sieben Kinder sowie das Dienstmädchen in einem Krankenhaus der REIMAHGWerke in Hummelshain bei Kahla und anschließend sich selbst. Was bewog den am 20. April 1936 in den Rang eines SS-Brigadeführers ernannten und hochdekorierten Offizier Karl Pflomm zu dieser Tat, als die westalliierten Streitkräfte im April 1945 in Thüringen einmarschierten? Karl Albert Julius Pflomm wurde am 31. Juli 1886 in Reutlingen (Württemberg) als Sohn des Schreiners Adalbert und Rosa Pflomm, geborene Wucherer, geboren.268 Im Jahr 1887 siedelte die Familie in die USA aus, wo Karl Pflomm von 1892 bis 1894 die deutsche und englische Schule in Pittsburg (US-Bundesstaat Pennsylvania) besuchte. Nach dem Tod des Vaters kehrte die Familie im Jahr 1894 nach Deutschland zurück und Pflomm besuchte die Volksschule in Reutlingen, bevor er von 1900 bis 1904 eine Lehre zum Glasbläser absolvierte. Nach Jahren des Gesellendaseins arbeitete er von 1911 bis 1914 in einer Glasschleiferei in Stuttgart, bevor er 1914 zum Heeresdienst eingezogen wurde. Hier diente er in den Regimentern 119 sowie 126 und zog sich bei Kampfhandlungen drei Verwundungen zu.269 Ausgezeichnet mit beiden Eisernen Kreuzen verließ Pflomm als Unteroffizier der Reserve270 im Jahr 1919 den Heeresdienst, wurde Betriebsleiter und später Inhaber einer Stuttgarter Glasschleiferei. Im Juli 1929 verkaufte er sein Geschäft und ging auf eine „Besuchsreise“ nach Nordamerika. Nach seiner Rückkehr im Jahr 1930 trat er mit der frühen Mitgliedsnummer 2.913 der SS bei. Als Gründer der SS in 267 268 269 270 BArch, SA-P Werner von Fichte Bl. 520. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 979 (Lebenslauf vom 11. März 1937). Pflomm wurde hierfür das Verwundetenabzeichen in Schwarz verliehen. Mit Wirkung des 27.08.1939 wurde Karl Pflomm durch das Wehrbezirkskommando Erfurt aufgrund des 25. Jahrestages des Weltkriegsbeginns und der Schlacht bei Tannenberg der Charakter als Leutnant der Landwehr a.D. verliehen (BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1013). 65 Stuttgart mit zwölf Mann begann die steile Karriere des Nichtakademikers271 Pflomm, die bereits mit der Führungsübernahme der 13. SS-Standarte Stuttgart im Mai 1931 ihren Anfang nahm. Selbstbewusst berichtet Pflomm in seinem Lebenslauf: „Vom Führer habe ich am 10. April 1932 bei seiner Anwesenheit in Stuttgart anläßlich der Wahl des Reichspräsidenten sein Bild bekommen. Darauf schrieb Hitler: Pg. Karl Pflomm in Anerkennung treuer Dienste, Stuttgart, den 10. April 1932 Adolf Hitler.“272 Karl Pflomm war folgend als Stabsführer der SS-Abschnitte X in Stuttgart, IX in Kulmbach und XVIII in Weimar eingesetzt und leitete ab 1933 die 47. SS-Standarte in Gera sowie den SS-Abschnitt XVIII. Dabei begleitete Pflomm seine Ämter in der SS bis zum 20. März 1932 ehrenamtlich ohne Vergütung.273 Bereits im November 1922 trat Pflomm in die NSDAP ein und meldete sich nach seinem Aufenthalt in Nordamerika im August 1930 erneut bei der Partei an.274 Damit erscheint fraglich, ob Pflomm tatsächlich nur die angegebene „Besuchsreise“ durchführte oder für immer Deutschland verlassen wollte. Karl Pflomm zählte mit seinem frühen Eintritt in die NSDAP in der nationalsozialistischen Anschauung als alter Kämpfer,275 und bekam hierfür im Februar 1934 den Winkel für alte Kämpfer276 verliehen. Pflomm versuchte neben seiner SS-Karriere auch in der NSDAP Macht und Einfluss zu gewinnen und wurde auf Vorschlag des Reichsstatthalters Sauckel im Dezember 1934 zum ehrenamtlichen Thüringischen Staatsrat ernannt.277 Am 07. April 1936 meldete Pflomm dem für ihn zuständigen SS-Abschnitt XVIII, dass er als Kandidat für die Reichstagswahl im Wahlkreis 12 (Thüringen) aufgestellt und als Abgeordneter gewählt worden sei.278 Himmler plante den SS-Oberführer Pflomm bereits im Jahr 1935 als Polizeipräsident in Halle279 einzusetzen und schrieb hierzu an Daluege: „Ich darf Dich davon unterrichten, dass der Führer mir gegenüber entschied, dass es ein Reservatrecht der SA auf Polizeipräsidentenposten nicht gäbe, da keine Stelle im Staat für irgendeine Organisation besonderes reserviert sei, sondern lediglich nach Brauchbarkeit und Tüchtigkeit vergeben 271 272 273 274 275 276 277 278 279 Pflomm besuchte die Volksschule, hatte kein Abitur, war gelernter Kunstglaser und schloss eine gewerbliche Fortbildungsschule ohne Abschlussexamen ab (BArch, PK Karl Pflomm, Bl. 976). BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 979 (Lebenslauf vom 11. März 1937). BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1002. Wiederaufnahme in die NSDAP (Mitgliedsnummer 304.896) am 01. September 1930. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 980. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 967. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1071. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1035. Ein Nebengrund war, dass Pflomm seinen SS-Abschnitt mit nach Halle nachziehen würde (BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1036). 66 wird“.280 Mit der Verschmelzung von SS und Polizei einhergehend, wird nunmehr der zum SS-Brigadeführer ernannte Pflomm stattdessen am 14. Mai 1936 in den thüringischen Landesdienst als Polizeipräsident von Weimar übernommen.281 Bereits ein Jahr später erfolgte im April 1937 die Übernahme Pflomms in den preußischen Staatsdienst als Polizeipräsident in Erfurt282 und sicherte Himmler dadurch in Erfurt die Annäherung der Polizei an die SS.283 Gleichzeitig wird er in seiner Funktion als SS-Führer ab Januar 1937 der Führung des SS-Abschnitts XVIII enthoben und seitdem im SDHauptamt geführt284. Pflomms Amtszeit als Polizeipräsident Erfurt dauerte vom 13. April 1937 bis zum 08. November 1939. In dieser Zeit wurde er ab Dezember 1938 mit dem Auftrag des Aufbaus einer Polizeiverwaltung im besetzten Aussig285 beauftragt286 und dort über ein Jahr eingesetzt287. SS-Brigadeführer Pflomm war besonders mit der Umorganisation der Erfurter Polizeiverwaltung beschäftigt. Beispielhaft entstanden mit der neu gegründeten Abteilung II b, die sich u.a. mit Ausländerangelegenheiten und Blutschutzangelegenheiten befasste, immer neue Aufgabenbündelungen in den Organisationseinheiten. Die Ausländerüberwachung war im Jahr 1937 ein enormes Betätigungsfeld für das Polizeipräsidium Erfurt. Am 18. Februar 1937 verlangte Himmler die Erfassung sämtlicher tschechoslowakischer Staatsangehöriger „Zur Vorbereitung etwaiger Gegenmaßnahmen gegen die Tschechoslowakei“288im Reichsgebiet. Daraufhin teilte der Polizeipräsident Erfurt am 09. April 1937 mit, dass 326 tschechoslowakische Staatsangehörige, davon 309 Sudetendeutsche und 17 Nationaltschechen in Erfurt gemeldet waren.289 Monatlich meldete Pflomm vom Mai bis Dezember 1937 auch spanische Staatsangehörige,290 die in Erfurt als Gasthofsfremde gemeldet waren. So sind im Zeit280 281 282 283 284 285 286 287 288 289 290 BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1046 (Schreiben Himmlers an Daluege vom 29. November 1935). BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1036 (In Anwesenheit des Thüringer Reichsstatthalters und Gauleiters, Fritz Sauckel, ist der SS-Brigadeführer Pflomm am 27. Mai 1936 in das Amt des Polizeipräsidenten von Weimar eingeführt worden.). BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1027. Der vorherige Polizeipräsident, Philipp Harte, war Mitglied der NSDAP und befand sich ab Juni 1936 im Ruhestand (siehe Anhang 6). BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1031 (Als SS-Führer im SD dem Inspekteur der Sicherheitspolizei des SD (IdS) in Kassel zugeteilt). Aussig an der Elbe gehörte zum damaligen „Protektorat Böhmen und Mähren“. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1052 (Übermittlung von Geburtstagswünschen an den Chef der Ordnungspolizei, Daluege, am 13. September 1939). BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1016. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 232. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 248. Die spanischen Staatsangehörigen wurden aufgrund des Spanische Bürgerkrieges, der im Zeitraum Juli 1936 und April 1939 zwischen der Regierung Spaniens und General Franco ausgetragen wurde, erfasst. 67 raum April bis Mai 1937 acht Personen zur Anmeldung gelangt,291 die Pflomm am 18. Mai 1937 namentlich an den Regierungspräsidenten Erfurt mitteilte.292 Insbesondere zur Ausweisungshaft existieren ab dem Jahr 1937 zahlreiche Überlieferungen. Am 12. August 1937 beantragte der Polizeipräsident Erfurt (in Vertretung Wendland) beim Regierungspräsidenten Erfurt die Vollziehung der Ausweisungshaft aus dem Polizeigewahrsam in ein Konzentrationslager für den Staatenlosen Johann Rozeck, geb. am 10. Mai 1898 in Radom (Polen).293 Nach dem Ersuchen des Regierungspräsidenten am 15. September 1937 an die Kommandantur des KZ Buchenwald, dass Rozeck dort aufgenommen wird,294 meldete das Polizeipräsidium am 18. November 1937 den Vollzug der Verbringung.295 Hier tritt jedoch ein Sonderfall auf: Dr. Best (Gestapo Berlin) hebt am 13. August 1938 die Ausweisungshaft auf und weist die Staatspolizeistelle Oppeln an, den Rozeck über die grüne Grenze nach Polen abzuschieben.296 Anzunehmen ist hier, dass der Rozeck „umgedreht“ wurde und fortan für den SD arbeitete. Auch der am 16. September 1938 gestellte Antrag auf Vollziehung der Ausweisungshaft des Paul Breitkreuz, geboren am 16. Oktober 1901 in Nowograd (Russland) in ein Konzentrationslager bereitete Pflomm unerwartete Schwierigkeiten.297 Paul Breitkreuz trat im Polizeigefängnis in Hungerstreik298 und Pflomm berichtete: „Nach dem beigefügten ärztlichen Befund ist Breitkreuz noch haftfähig, er beabsichtigt nun, sich durch abwechselndes Hungern völlig zu schwächen und so eine Änderung seiner Lage herbeizuführen.“299 Dr. Best ließ die Akte über den Dienstweg an Pflomm zurückgehen und empfahl, den Häftling zu entlassen.300 Daraufhin berichtete Pflomm am 13. Oktober 1938 dem Regierungspräsidenten in Erfurt, das Breitkreuz entlassen und ihm eine Arbeit als Platzarbeiter vermittelt worden sei.301 Für den am 22. Januar 1938 durch die Polizei in Ausweisungshaft genommenen Juden Moritz Katzenstein, geb. am 25. Januar 1860, bittet Wendland zwei Tage später beim 291 292 293 294 295 296 297 298 299 300 301 Diese Meldung erfolgte im September 1937 mit einer Fehlmeldung durch Pflomm (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584 Bl. 322) und am 14. Oktober 1937 mit der Information, dass zwei Spanier in Erfurt gemeldet waren (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584 Bl. 328). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 254. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 330. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 332. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 336. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 337. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 441. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 459. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 462. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 468r. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 470. 68 Gestapo-Amt Berlin um die Verbringung in ein Konzentrationslager. Wendland bezeichnete Katzenstein als volksschädigend und sah „ein Entgegenkommen dem Juden Katzenstein gegenüber nicht mehr angebracht“.302 Eine Ausweisung in das Ausland käme auch nicht Frage, da er das Ansehen Deutschlands im Ausland schädigen könne. In dieser Sache meldete Pflomm am 15. März 1938 an den Regierungspräsidenten Erfurt, dass Katzenstein am 19. März 1938 auf dem „Sammeltransportwege“ dem Konzentrationslager Dachau zugeführt wurde.303 Mit der Umsetzung der Abschiebungsverfügung des Juden Josef Flanzer, geboren am 22. August 1900 in Uszwa (Polen) am 28. April 1938 durch die Polizei Erfurt in ein Konzentrationslager304 gab es anscheinend organisatorische Probleme. Die Gestapo Berlin fragte am 30. September 1938 beim Regierungspräsidium Erfurt nach, warum die Person Flanzer noch nicht im KZ Dachau angekommen sei.305 Pflomm entschuldigte sich damit, dass er keine Abschiebungsverfügung erhalten habe und versprach die alsbaldige „Überweisung“ des Flanzer.306 Die Gestapo Berlin entschied am 21. Oktober 1938, dass Flanzer nicht nach Dachau, sondern in das KZ Buchenwald307 zu überführen sei.308 Aufsehen erregte in Thüringen im April 1938 die willkürliche Anwendung der Schutzhaft an prominenten Personen des öffentlichen Lebens. In einer Alkoholstimmung beging Polizeipräsident Pflomm zusammen mit dem SA-Gruppenführer Gunther aus Weimar eine gemeinschaftliche Körperverletzung an dem Oberbürgermeister a.D. Dr. Stegmann. Ebenfalls beteiligt war der Thüringische Ministerpräsidenten Marschler wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Dr. Stegmann forderte aufgrund der Tat übertriebene Ehrerklärungen und sonstige unerfüllbare Forderungen und wird hierfür mit anderen Personen309 in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht (Schneider 2008, 281-282). 302 303 304 305 306 307 308 309 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 371. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 379. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 414. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 436. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 437. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 439. Neben den aufgeführten Personen erfolgten weitere Verbringungen von Häftlingen aus dem Polizeigefängnis Erfurt in ein Konzentrationslager zum Zwecke der Ausweisungshaft, wie auch der Domokaner Edmund Andrzejak, geboren am 30. Oktober 1910 in Warberg (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 493). Außer Dr. Stegmann wurden ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht: der Ministerialrat i.R. Dr. Reischauer- früherer Personalreferent im Thüringischen Justizministerium, 76 Jahre alt-, Ministerialdirektor i.R. Dr. Jahn- noch nach der Machtübernahme im Thüringischen Innenministerium - und der Chirurg Dr. Schreiner. Alle Personen wurden wieder entlassen. 69 Auch den Erfurter Oberbürgermeister Kießling setzte SS-Brigadeführer Pflomm im Juni 1939 unter Druck, da beide gegenteiliger Meinung über die Unterbringung von „assozialen Elementen“ in der Sterngasse waren. Pflomm drohte Kießling, dass er aufgrund des Verhaltens von Kießling „in Berlin vorstellig werden“310 müsse. Pflomms ideologisches Denken wird in einem Schreiben an den Regierungspräsidenten Weber am 11. Juni 1937 deutlich. Danach bat er um Klärung, ob durch die vermehrte Anmeldung von Tschechoslowaken in Erfurt das Deutschtum im Ausland nicht geschwächt würde und vertrat die Ansicht, den Personen deutscher Abstammung daher bis auf Weiteres keine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.311 Auch die Frage der Umgangsformen nahm Pflomm im Februar 1938 zum Anlass, eine Anmerkung an den Regierungspräsidenten Erfurt zu verfassen, da er hinsichtlich der Bestimmungen über Ehrenbezeichnungen für die Ordnungspolizei Probleme sah. Demnach waren die Schutzpolizei-Inspektoren und Polizei-Obermeister in vielen Fällen Reviervorsteher und somit auch Leiter des Luftschutzreviers. Es konnte hierbei zu einer Beeinträchtigung bei Luftschutzübungen kommen, wenn die unterstellten Führer des Reichsluftschutzbundes die Reviervorsteher zuerst grüßen müssten.312 Die Verschmelzung der SS mit der Polizei bedeutete für die unterstellten Polizeiverwaltungen, dem Willen und den Anschauungen Himmlers Folge zu leisten. Pflomm hatte durch eine Verfügung Himmlers vom 18. März 1938 die organisatorische Aufgabe zu lösen, die ihm unterstellten Polizeireviere mit freundlicher und einheitlicher Einrichtung auszugestalten, damit die Amtsgebäude den nationalsozialistischen Staat repräsentierten. Damit war auch ein weiteres Ziel Himmlers verbunden: „den Geist freudiger Pflichterfüllung der Beamten zu fördern“.313 Größere organisatorische Aufgaben, wie die geplante große Frühjahrsparade 1938, an der 20.000 Ordnungspolizisten teilnehmen sollten, folgten. Hierbei meldete das Polizeipräsidium Erfurt am 24. März 1938 die Teilnahme von einem Offizier, 80 Wachtmeistern und 101 Fahrzeugen,314 welche alle im Vorfeld beschult wurden.315 Die Parade sagte Himmler am 13. April 1938, kurz vor der geplanten Durchführung, ab.316 Eine weitere Aufgabe von Pflomm als SS-Offizier und seit 1937 SS-Führer im SDHauptamt war die Rekrutierung von uniformierten Ordnungspolizisten in die Schutz310 311 312 313 314 315 316 StadtArchiv Erfurt, 1-2/004-34, Bl. 26. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22584, Bl. 430. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26118, unpag. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26118, Bl. 47 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26118, Bl. 67. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26118, Bl. 129. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26118, Bl. 135r. 70 staffel der NSDAP. In einem Schreiben an den Regierungspräsidenten vom 18. November übersandte er die Auflistung seiner „Bemühungen“:317 Dienstgrad a.) Berechtigt nach den Bestimmungen? b.) Wie viele Anträge wurden bereits gestellt? c.) Wie viele dieser Anträge sind noch nicht an die zuständigen SS-Dienst-stellen weitergeleitet? Offiziere 4 3 1 Inspektor 1 1 2 Meister 2 2 2 Wachtmeister 82 65 82 Gleichzeitig erwähnte er, dass alle Kräfte der Erfurter Ordnungspolizei über das Tragen der Sigrunen der SS auf der Uniform informiert worden seien. Lukrative Offerten gab es auch von Seiten der Wirtschaft an den Polizeipräsidenten Pflomm. Durch den Erfurter Oberbürgermeister Kießling wurde Pflomm im Mai 1938 das Angebot unterbreitet, einen Aufsichtsratsposten in der „Erfurter Elektrischen Strassenbahn“ anzunehmen.318 Pflomm führt in seinem Antragsschreiben an den Regierungspräsidenten in Erfurt an: „Da meine Aufgaben als Polizeipräsident insbesondere in verkehrspolizeilicher Hinsicht eine enge Zusammenarbeit mit der hiesigen Strassenbahn m.E. als sehr erwünscht erscheinen lassen…“.319 Da es zur Annahme von Aufsichtsratsposten zu dieser Zeit keine abschließende Regelung320 gab, wird der Antrag vorerst abgelehnt321 und am 15. Juni 1938 erfolgt die endgültige Ablehnung.322 Nochmals gab es im Oktober 1939 einen Vorstoß durch den Führer des SS-Oberabschnittes „Elbe“, Berkelmann, Pflomm in Halle einzusetzen, auch mit dem Hintergrund, diesen in der Kriegszeit wieder als Führer des Abschnittes XVIII zu aktivieren. Das Ansinnen wurde durch den Chef der Ordnungspolizei, Daluege, abgelehnt.323 Am 317 318 319 320 321 322 323 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27897, Bl. 34. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1024 (Diese Aktiengesellschaft hatte ein Aktienkapital von 2 Millionen Reichsmark und betrieb die Straßenbahn sowie einen Omnibusbetrieb. Mitglieder im Aufsichtsrat waren: Oberbürgermeister Kießling, Bürgermeister Dr. Kleemann, Stadtrat und Stadtoberbaurat Boegl, Ratsherr Brigadeführer Jaster, Stadtrat Dr. med. Horn, Bankdirektor Beeck (Dresdner Bank) und Generaldirektor der Mitteldeutschen Landesbank Schuster). BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1020. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1021. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1018 (Pflomm informiert die Personalkanzlei der SS, dass der Reichs- und Preußische Minister des Innern den Antrag abgelehnt hat). Zur Annahme eines Postens im Aufsichtsrat gab es zu diesem Zeitpunkt keine abschließende Regelung. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1014 (Schreiben von SS-Gruppenführer Berkelmann an den Chef der Ordnungspolizei, Daluege). 71 08. November 1939 wechselte Pflomm von Erfurt nach Dresden und begleitete dort bis zum März 1944 die Dienstgeschäfte des Polizeipräsidenten.324 Im Jahr 1941 unternahm Heydrich einen Vorstoß, mit den Inspekteuren der Sicherheitspolizei und des SD in Polizeistrukturen einzugreifen. Das Ziel dieser Aktion war es, die Sicherheitspolizei ähnlich der Struktur in den besetzten Gebieten entsprechend umzuorganisieren, so dass eine Unabhängigkeit von der inneren Verwaltung gegeben war. Dies löste Spannungen mit dem traditionellen System der Ordnungspolizei aus, wie die Intervention des Dresdener Polizeipräsidenten Pflomm im März 1943 gegen das Herauslösen der ihm unterstellten Kriminalpolizei durch den Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD beweist (Buchheim/Broszat/Jacobsen u.a. 1965, 94). Pflomm war als Polizeipräsident gleichzeitig Chef der Kriminalpolizei und bemängelte, dass er einen Autoritätsverlust verspüre und sich übergangen fühle, da der Leiter der Kriminalpolizei und seine Beamten unmittelbar Befehle und Anordnungen durch den IdS erhielten und diesen als Vorgesetzten ansehen. Diese für ihn nicht haltbaren Eingriffe in seine Führungsaufgaben beschrieb er folgendermaßen: „Ich kann als Nationalsozialist nicht mehr länger verantworten, wenn ein Stück nach dem anderen aus meinem Aufgabengebiet als Polizeipräsident herausgebrochen wird. Das Aufgabengebiet, das mir verbleibt, füllt meine Arbeitskraft nicht aus, und ich kann es gerade jetzt im Kriege nicht verantworten, eine Stelle zu bekleiden, in der ich nicht ganz in Anspruch genommen bin“ (Buchheim/Broszat/Jacobsen u.a. 1965, 94). In einem als geheim eingestuften Schreiben325 des Reichsführer SS wird die Kasse des Persönlichen Stabes im Juli 1943 angewiesen, an den Polizeipräsidenten von Dresden, Pflomm, RM 500,- als Urlaubszuschuss auszuzahlen. Diese Zahlung wird als Geheimzahlung (Geheimakt 22/43) gelistet.326 Pflomm beantragte nach seiner Ablösung als Polizeipräsident in Dresden im März 1944 die Versetzung in den Ruhestand. Dabei trug er gesundheitliche Bedenken vor und erwähnte, dass ihn Gruppenführer v. Alvensleben unterbringen könne. Auf diesen Antrag wurde vorerst nicht eingegangen und Pflomm musste sich im Oktober 1944 gegen eine durch Himmler geplante Verwendung an der Südfront wehren.327 324 325 326 327 BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1011 (Kommissarischer Polizeipräsident vom 08. November 1939 bis 04. Juni 1940. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 985. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1099. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 987 (Vorschlag Himmlers an Pflomm, die Aufsicht über einen Teil des Stellungsbaues zu übernehmen). 72 Dass sich Polizeipräsidenten wie Karl Pflomm mit Beginn der Herrschaft des NSRegimes noch mit systemwichtigen Aufgaben, wie der Inhaftierung von jüdischen Personen beauftragt, sich zum Kriegsende mit aus ihrer Sicht unwesentlichen Aufgaben, wie die Sicherung der Luftschutzkeller, herab klassifiziert fühlten, beschreibt folgender Schriftwechsel an Himmler: „Reichsführer, da Sie in Ihrem Schreiben vom 31.08.1944 auf meine Bitte, mich in den Ruhestand zu versetzen, nicht eingehen, glaubte ich zunächst annehmen zu müssen, daß die Durchführung nunmehr von Ihnen aus erfolgt. Ich wartete deshalb nun täglich vergeblich auf die Durchführung. Da auch der 1. Oktober 1944 ohne Entscheidung verstrichen ist, bitte ich gehorsamst, wenn Ihr Entschluß darin unabwendbar sein sollte, meine Versetzung in den Ruhestand so rasch als möglich durchführen zu lassen, damit dieser unhaltbare Zustand in dem ich mich befinde baldigst aufhört und ich mich einer neuen kriegswichtigen Aufgabe zuwenden kann.“328 Zum 25. November 1944 wird SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei329 Karl Pflomm in den Ruhestand entlassen.330 Pflomm betätigte sich ab November 1944 als Hauptbetriebsobmann und Sicherheitsinspekteur der REIMAHG – Werke331 bei Kahla in Thüringen und bekam in dieser Eigenschaft vom März 1945 die Oberlagerführer von Bau und Fertigung unterstellt (Schulz/Zinke 2008, 499-500). Die erste Ehe von Karl Pflomm dauerte von Februar 1914 bis zum September 1930. Für die aus dieser Ehe hervorgehende Tochter Hedwig nahm Pflomm im März 1937 Kontakt zum Reichsarzt der SS auf, um sie im Verein „Lebensborn“ unterzubringen.332 Ab dem 01. Oktober 1936 zählte die Tochter zu seinem Haushalt und ist im Frauenarbeitsdienst tätig.333 Etwa 20 Jahre nach seiner ersten Eheschließung heiratete Karl Pflomm im Mai 1934 die 25 Jahre jüngere Landwirtstochter Anni Lüddecke, mit der er vier Söhne und zwei Töchter hatte. Das war selbst für die SS überdurchschnittlich. Stolz zeigte er jede Ge- 328 329 330 331 332 333 BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 987. Ab dem 09. November 1942 trug Pflomm die Achselstücke eines Generalmajors der Polizei (BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1096). BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1052. Die „REIMAHG-Werke“ (Reichsmarschall Herrmann Göring) gehörten zu den „WilhelmGustloff-Werken“ in Weimar. In diesem Werk in Kahla wurden 27 MesserschmittTurbinenstrahlflugzeuge (Me 262) unter dem Einsatz von ca. 10.000 zwangsweise rekrutierten ausländischen Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen (größtenteils im Stollenabbau und Erdarbeiten eingesetzt) gefertigt. Die erste Me 262 startet am 21. Februar 1945. ( http://www. reimahg.de/index.php?id=57, Zugriff am 25. Mai 2009). BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1032. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1069. 73 burt im SS-Personalamt334 an und erhielt für sein sechstes Kind im Jahr 1943 von Himmler einen Lebensleuchter und Vitabornsäfte.335 Gehorsam bedankte er sich hierfür und bestätigte dem Reichsführer SS, dass er „eine wirklich harmonische Ehe“ mit seiner Frau führe. Seine persönliche und familiäre Lebensführung passte Pflomm dem SS-Kodex an, indem er und seine Frau im Oktober 1936 aus der evangelischen Kirche zur Gottgläubigkeit wechselten und die Kinder aus zweiter Ehe nicht getauft wurden.336 Diese Entkonfessionalisierung belegt hierbei „die fast vollständige ideologische Erfassung des Führerkorps“ (Banach 2002, 141), mit dem Ziel der Abschwörung von bestehenden Traditionen und dem unbedingten Glauben an den nationalsozialistischen Geist. Entgegen anderer Darstellungen,337 wonach sich Pflomm am 15. Februar in Dresden selbst getötet haben soll, liegt dieser Arbeit der tatsächliche Todesort und die Todeszeit aufgrund des Totenscheines vor.338 Karl Pflomm stellte mit starken Beruhigungsmitteln seine Ehefrau, sechs seiner Kinder und das 19-jährige Kindermädchen Lieselotte Schwarz ruhig und tötete diese am 16. April 1945 zwischen 01:00 Uhr und 02:00 Uhr im Alten Schloss Hummelshain durch Revolverschüsse in die Schläfe, bevor er sich selbst richtete. Nach der Betrachtung des Lebensverlaufes stellt sich nun die Ausgangsfrage: Was bewog den „alte[n] und sehr aktive[n] SS-Führer“339 Karl Pflomm zu dieser Tat – das Leben seiner Familie auf diese Art und Weise zu beenden? Möglich ist, dass Pflomm die Taten aus Angst vor möglichen Repressalien der Alliierten begangen hat, um sich und seine Familie vor einer Verfolgung zu bewahren. Pflomm hatte weiterhin ein antisemitisches und antidemokratisches Weltbild. Seine nationalsozialistische Weltanschauung und die Ordensgemeinschaft SS stellten für ihn die Triebkraft seines Handelns dar. Die Niederlage des NS-Systems war für ihn unbegreiflich. Wie Joseph Goebbels glaubte er daran, bedingungslos mit seiner Familie bis zum Tode zum „Führer“ zu halten. Anzunehmen ist, dass mehrere Faktoren zu334 335 336 337 338 339 Gehorsam bedankt sich Pflomm im Jahr 1943 bei Heinrich Himmler für die Glückwünsche zur Geburt des sechsten Kindes und erwähnt hierbei: „im vergangenen Jahre allerdings haben meine Kinder allerhand Krankheiten überstehen müssen“ sowie „Auch diese Kinder werden einmal zu brauchbaren und tapferen Menschen heranwachsen, um dann ihre Pflicht für Führer und Reich zu erfüllen.“ (BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 996). BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 996. BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1069. Der Todesort Dresden wird beispielsweise von Post/Wahl (1999, 618) angegeben. Kreisarchiv Saale-Holzland-Kreis, Gemeindebestand Hummelshain (Todesschein Pflomm vom 16. April 1945). BArch, SSO Karl Pflomm, Bl. 1016 (Beurteilung zum Besetzungsvorschlag für die Polizeipräsidentenstelle in Halle durch den SS-Gruppenführer Berkelmann aus dem Jahr 1939). 74 sammenspielten und er diese Tat aus Angst vor dem Ungewissen und vor allem wegen seinem absoluten Glauben an den Nationalsozialismus begangen hat. 4.4 Alexander von Woedtke – Ein Mann für alle Fälle Alexander v. Woedtke wurde als fünftes Kind des Präsidenten des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherungen am 02. September 1889 in Berlin geboren. Als Zehnjähriger beendete er eine Höhere Schule in Berlin und begann die militärische Ausbildung im Preußischen Kadettenkorps und folgend ab dem Jahr 1905 in der Hauptkadettenanstalt BerlinLichterfelde. Das Offiziersexamen legte er 1908 in der Kriegsschule Danzig ab. Im Zeitraum 1914 bis 1918 war v. Woedtke im Garde-Grenadier-Regiment 6 als Hauptmann im Kriegseinsatz.340 Im Jahr 1918 übernahm v. Woedtke das Familiengut in Schlawe/Pommern und verstand sich wie viele Gleichgesinnte als „Nachlassverwalter der Reichsinteressen gegenüber dem äußeren Feind“ (Smelser/Syring 2003, 29). Nebenbei diente er im Freikorps „Grenzschutz Pommern“. Im Jahr 1930 verzog v. Woedtke nach Drossen in der Neumark und gründet die „von Woedtke’sche Geflügelhof GmbH“ mit seiner späteren Frau Charlotte, geborene Dehne.341 V. Woedtke betätigte sich ab dem 28. Februar 1931 mit der Aufstellung von SS-Einheiten in Drossen und an der Grenze zwischen Frankfurt/Oder und der polnischen Grenze. Ein wesentlicher Fakt bei der Betrachtung des Lebenslaufs ist die Feststellung, dass v. Woedtke sehr häufig in unrechtmäßige und zwielichtige Handlungen verwickelt war. Alexander v. Woedtke beantragte im Jahr 1931 ein gegen sich und seine Ehefrau gerichtetes zivilrechtliches USchlA-Verfahren,342 um die Anschuldigung klären zu lassen, er hätte als Geschäftsführer der Geflügelhof GmbH betrügerisches Geschäftsgebaren gezeigt und damit Parteigenossen geschädigt. In dieser Sache wurde im Jahr 1936 ein disziplinares Verfahren beim SS-Gericht München gegen den Standartenführer v. Woedtke eingeleitet.343 Zusätzlich wurde er beschuldigt, Osthilfe zur Entschuldung der 340 341 342 343 BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 442. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 834. Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss (USchlA) der NSDAP. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 665. 75 Geflügelhof GmbH abgelehnt, einen SS-Rechtsanwalt bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit behindert zu haben und weiterhin Gerichtsvorladungen aufgrund vorgegebener dienstlicher Inanspruchnahme nicht gefolgt zu sein. Dazu wird ihm vorgeworfen, dass er die Schadenersatzansprüche des Gerichtsvollziehers aufgrund des Bisses seines Hundes ablehne und das Verhalten seiner Ehefrau hinsichtlich Entschädigungsansprüchen und Geldspenden zu ihrer Entbindung dulde. Die Ermittlungen des beauftragten Kriminalkommissars a.D. Lehnerdt stellten im Jahr 1935 fest, dass die GmbH Woedtkes gutgläubige Lieferanten rechtswidrig ausnutzte und gegen v. Woedtke insgesamt fünf Haftbefehle zur Ableistung des Offenbarungseides vorlägen und es sich aber niemand wagt, den SS-Standartenführer festzunehmen.344 Das erste Gerichtsurteil in dieser Sache erfolgte im Januar 1936345 und es wurde festgestellt, dass v. Woedtke und seine Frau ihre Stellungen in der NSDAP für die Erlangung persönlicher Vorteile ausnutzten, damit dem Ansehen der „Bewegung“ und der SS schweren Schaden zugefügt hätten und er deshalb aus der SS auszuschließen wäre. Aufgrund des Gläubigerschutzes wurde jedoch vorgeschlagen, v. Woedtke nur zu „entlassen“, damit Zahlungen der Osthilfe zur Entschuldung herangezogen werden könnten. Im März 1936 schreibt Himmler persönlich an v. Woedtke, dass dieser durch sein dem „Nationalsozialismus hohnsprechenden Verhalten“346 entlassen werde und er von einem Ausschluss nur aufgrund der langjährigen SS- und Parteizugehörigkeit absähe. Charlotte v. Woedtke antwortete Anfang April 1936 hierauf: „nehmen sie ihm nicht sein Leben“347 und beschwerte sich zugleich schriftlich bei Göring.348 Himmler ließ sich von nun an persönlich über den Vorgang berichten. Aufgrund eines schwebenden Verfahrens gegen v. Woedtke wurde dieser lediglich vom SS-Dienst beurlaubt349 und erhielt von April bis September 1936 ein verkürztes Gehalt.350 Durch erneute Ermittlungen wurden im Juli 1936 die Vorwürfe durch „glaubhaftes Widerlegen“ v. Woedtkes fallen gelassen.351 Es wurde durch das SS-Gericht zusammenfassend festgestellt, „dass sich v. Woedtke zwar in manchem Punkt ungeschickt und nicht korrekt benommen hat, dass aber eine SS-mäßige Strafbarkeit seines Verhaltens nicht aufrecht erhalten werden kann“. Weiterhin lief es darauf hinaus, dass v. Woedtke in innerpartei344 345 346 347 348 349 350 351 BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 847. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 818-830. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 521. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 795. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 784. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 483. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 481. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 502. 76 liche Streitigkeiten hineingezogen wurde, so der zuständige SS-Oberführer Popp in seiner Aussage.352 Es wurde der Antrag auf Wiederverwendung Woedtkes in der SS attestiert353 und es erfolgte ab August 1936 der Einsatz als Inspekteur der Stammabteilung des SS-Oberabschnittes Nord.354 Wer hatte so viel Macht, dass die „Angelegenheit v. Woedtke“ in dieser Art und Weise bereinigt wurde? Auch hier gab es eine Verbindung zu Hermann Göring. V. Woedtke heiratete am 23. Juni 1934 die aktive Parteigenossin der NSDAP, Charlotte Dehne, welche als Rednerin und Organisatorin in der Frauenorganisation und im Luisenbund aktiv war, außerdem betätigte sie sich in der Fliegergruppe Göring. 355 Ihr bittendes Schreiben an Göring und das Einlenken von Himmler sind Gründe zur Annahme einer Unterstützung durch die oberste NS-Führung. Neben zivilrechtlichen Streitigkeiten hatte v. Woedtke auch innerdienstlich die Auseinandersetzung mit vorgesetzten Stellen geradezu angezogen. So wurde er in einem Versetzungsgesuch zur Führung einer Standarte im August 1932 als vom Ehrgeiz Getriebener: „Dieser Diensteifer war durchsetzt von einem teilweise krankhaften Ehrgeiz“356 und als nicht geeignet für die Stelle beschrieben.357 Ausschlaggebend für die Einschätzung seines Vorgesetzten, SS-Standartenführer von dem Bach-Zelewski358 war die Auflösung des v. Woedtke geführten Sturmes wegen Disziplinlosigkeit. Ebenfalls wurden v. Woedtke deutliche Mängel beim Schriftverkehr attestiert359 V. Woedtke sieht sich zurückgesetzt, da ein ihm ehemaliger Unterstellter nun das Kommando der 27. SS-Standarte übernahm und erklärte dies „als eine Bankrotterklärung des Offiziers vor dem Unteroffizier und ist gleichbedeutend einer Degration“.360 Daraufhin begann 352 353 354 355 356 357 358 359 360 BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 505. Der Woedtke’sche Geflügelhof wurde zum Juni 1936 aus dem Handelsregister Berlin gelöscht und die restlichen Zahlungen an die Gläubiger in Höhe von 330,15 RM überwies v. Woedtke im Juli 1936 (BArch, SSO Alexander von Woedtke Bl. 503). BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 499. BArch, RuSHA Alexander von Woedtke, Bl. 656. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 591. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 574. Bach-Zelewski, Erich von dem, geboren am 01. März 1899 in Lauenburg/Pommern, Berufssoldat, Teilnehmer am 1. Weltkrieg, Reichswehr und anschließend Bataillonsführer im Grenzschutz, 1930 Mitglied der NSDAP, stellte vor 1933 die allgemeine SS und die SSGrenzschutzformation im Regierungsbezirk Frankfurt/Oder und Schneidmühl auf, 1934 Führer des SS-Oberabschnittes Ostpreußen, dann Schlesien, 1932-1944 Reichstagsabgeordneter, Wahlkreis Breslau, NSDAP, 1939 SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS, 09. November 1941 SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS, 1941 HSSPF, Heeresgruppe Mitte zugeteilt, 21. Juli 1943 Leiter der Partisanenbekämpfung in der Sowjetunion, 1944 bis 1945 kommandierender General verschiedener SS-Korps (Stockhorst 2000, 38). BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 591. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 577. 77 er mit anderen Unterführern der Einheit in einer „revolutionäre Stimmung“361gegen die Personalentscheidung zu meutern und beantragte im Oktober 1932 seine Entlassung aus der SS, weil er sich nicht dem Standartenführer Gerlach unterstellen wollte und beabsichtigte, zur SA überzutreten.362 In einem Folgeschreiben im November 1932 beantragte v. Woedtke, sich von seiner Führung des II. Sturmbannes der 27. SS-Standarte beurlauben zu lassen und betätigt sich ungenehmigt363 im freiwilligen Arbeitsdienst.364 Bei dieser Gelegenheit beantragte der Führer des SS-Abschnitts XII die Entlassung aus der SS, da sich die SS nicht am Arbeitsdienst beteilige.365 V. Woedtke beendete den Arbeitsdienst als im Nachhinein genehmigten Urlaub im Januar 1933 und nahm seine Tätigkeit in der 8. SS-Standarte auf. Himmler lehnte eine Verwendung des v. Woedtke als Standartenführer im Januar 1933 ab und stellte ihm eine Verwendung als Sturmbannführer in der 8. SS-Standarte anheim.366 Von Woedtke wird der SS-Führung erneut im März 1933 „auffällig“, als er dem Gauleiter Schlesiens, Helmut Brückner, als amtierender Führer der 8. SS-Standarte einen Erinnerungsstreifen ähnlich dem SS-Ärmelstreifen mit der Aufschrift: „1925 – die 8. SS-Standarte ihrem Gauleiter – 1933“ verlieh.367 Dies brachte er mit den Traditionsbändern der „alten Armee in Verbindung“368, was Himmler als „völlig abwegig“369 bezeichnete und diese Eigenmächtigkeiten für die Zukunft untersagte. Von Dezember 1933 bis März 1935 war v. Woedtke als Führer der 70. SS-Standarte in Glogau eingesetzt. In den Tagen der Röhm-Revolte wurde dort der jüdische Arzt Dr. Lindemann durch SS-Männer ermordet.370 Im Jahr 1960 beantragte der wegen dieses Mordes zu lebenslanger Haft verurteilte Herbert Bischoff371 eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Bischoff gab hierbei an, dass er zusammen mit drei weiteren SS-Leuten am 01. Juli 1934 in das Büro der SS-Standarte befohlen worden sei. Dort habe sich der Standartenführer v. Woedtke sowie der Außenstellenleiter des SD, SSUntersturmführer Laube, befunden. V. Woedtke habe dem SS-Oberscharführer 361 362 363 364 365 366 367 368 369 370 371 BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 597. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 625. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 609. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 565. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 609. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 562. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 556. „Alte Armee“ bezeichnet in diesem Zusammenhang die Gesamtheit der Streitkräfte Deutschlands während des Ersten Weltkrieges. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 546. Vorermittlungen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg im Jahr 1961 (BArch, B 162/3919, Bl. 1). Herbert Bischoff, geboren am 06. März 1910 in Glogau. 78 Schmidt den Befehl gegeben, im Auftrage der SD-Führung in Breslau Dr. Lindemann dort zu erschießen, wo er angetroffen werden.“372 Laube übergab den SS-Leuten eine Liste der vorgesetzten SS-Dienststelle aus Breslau, auf denen Dr. Lindemann mit einem Kreuz gekennzeichnet war.373 Dieses Kommando unter Führung von Schmidt führte unmittelbar später Dr. Lindemann in den Glogauer Stadtforst, teilte diesem mit, dass er vom SD zum Tode verurteilt worden sei und erschoss ihn.374 Die Täter fuhren am 03. Juli 1934 von Glogau nach Berlin zum Reichsführer SS und erhielten einen Ehrendolch mit der Datierung „30.06.1934“.375 Nachweislich nutzte das Mordkommando den Dienstwagen v. Woedtkes, einschließlich dessen Fahrer.376 Aufgrund letzterer Tatsache wurde v. Woedtke nach Schlesien versetzt. In einer späteren Zeugenaussage377 wurde dargelegt, dass es „sich bei dieser Aktion um eine wilde Aktion gehandelt habe, die nicht von oben angeordnet worden ist“.378 Dass v. Woedtkes wirtschaftliche Lage sehr angespannt war, beweist ein Dienstleistungszeugnis vom 12. Februar 1936, in dem erstens bemängelt wurde, dass das Verhalten v. Woedtkes zu seinen Mitarbeitern nicht optimal sei und er außerdienstlich in großen finanziellen Schwierigkeiten lebe.379 Ein Entschuldungsantrag in Mai 1935380 für den Betrieb wurde abgelehnt und Woedtke leistete aufgrund einer angegebenen Schuldenlast von 100.000 RM daraufhin im Dezember 1935 den Offenbarungseid.381 Ebenfalls erließ das Amtsgericht Hamburg im Februar 1936 einen zivilrechtlichen Vollstreckungsbefehl gegen v. Woedtke in Höhe von 1.200 RM.382 Er tritt im Februar 1937 aus der evangelisch-lutherischen Kirche aus und wurde im SS-Sinne gottgläubig.383 Außerdem betätigte er sich ab Oktober 1937 als Beisitzer beim Gaugericht Pommern der NSDAP.384 372 373 374 375 376 377 378 379 380 381 382 383 384 BArch, B 162/3919, Bl. 4. BArch, B 162/3919, Bl. 31. BArch, B 162/3919, Bl. 4. BArch, B 162/3919, Bl. 3. BArch, B 162/3919, Bl. 49. BArch, B 162/3919, Bl. 52 (Zeugenaussage Müller vor der Staatsanwaltschaft Osnabrück im Jahr 1962). BArch, B 162/3919, Bl. 53. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 732. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 751. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 681. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 675. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 494. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 485. 79 Nach der Führung der 8., 70. und 9. SS-Standarte und der Berufung zum Inspekteur der Stammabteilung Ostsee wurde v. Woedtke am 04. September 1939 nach Bromberg385 mit dem Auftrag abgeordnet, SS-Einheiten für Westpreußen aufzustellen386 sowie den Selbstschutz387 aufzubauen. Hierzu schrieb er später: „Ich habe es in Rypin bei der Aufstellung des Selbstschutzes388 empfunden, daß diese Leute uns auf’s Wort glaubten und jeden Befehl Folge leisteten.“389 Nach Beendigung der Kampfhandlungen im besetzten Polen wurden im Jahr 1939 Aktionen gegen Juden und Polen, insbesondere gegen Angehörige der polnischen Intelligenz durchgeführt. Diese „Säuberungsaktionen“, bei denen ein Großteil der festgenommenen Personen – angeblich wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit – zur sofortigen Exekution bestimmt wurden, sind durch Einsatzkommandos durchgeführt worden, in denen als Schütze oder Absperrposten Angehörige des „freiwilligen Selbstschutzes“ eingesetzt waren.390 Mit dem Vorwurf des deutschfeindlichen Verhaltens entschied der örtliche Selbstschutzführer mit dem Kreisselbstschutzführer über das weitere Schicksal, in zahlreichen Fällen die Erschießung. Ab Mitte Oktober 1939 behielt sich der Selbstschutzführer für Westpreußen, SS-Oberführer v. Alvensleben391 die Entscheidung über die Exekution selbst vor. In einem Schreiben an Daluege vom 07. Oktober 1939 berichtet v. Alvensleben, 392 dass zu diesem Zeitpunkt durch den Selbstschutz Westpreußen 4.247 polnische Staatsangehörige exekutiert worden sind.393 385 386 387 388 389 390 391 392 393 Bydgoszcz (Bromberg) befindet sich in Polen an der Weichsel und ist die heutige Hauptstadt der Woiwodschaft Kujawien-Pommern. BArch, B 162/3919, Bl. 211-212 sowie BArch B 162/3919, Bl. 259-262. Am 26.09.1939 wurden die Selbstschutzeinheiten, welche als „Heimwehr“ einen großen Anteil an der Tyrannei der polnischen Bevölkerung hatten, den Befehlshabern und Kommandanten der Ordnungspolizei unterstellt und zählen Ende November 1939 ca. 40.000 volksdeutsche Männer. Himmler löste am 08. November 1939 den „Volksdeutschen Selbstschutz“ auf und befahl die Übernahme der Männer in die SS oder andere Parteiorganisationen. V. Alvensleben als Selbstschutzführer verbot zum gleichen Zeitpunkt die Exekutionen durch den Selbstschutz (Wildt 2003, 435-440). Woedtke gehörte nach den Vorermittlungen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen dem Selbstschutz als Führer an (BArch, B 162/6001, Bl. 17). In seiner Vernehmung am 19.02.1963 in Göttingen gab er an, im Bezirk Straßburg / Westpreußen den Selbstschutz organisiert zu haben (BArch, B 162/6001, Bl. 81). BArch, B 162/3919, Bl. 262. BArch, B 162/3919, Bl. 1-2. Ludolf-Hermann Emmanuel Georg Kurt Werner von Alvensleben, geboren am 17. März 1901 in Halle (Saale); gestorben wahrscheinlich im April 1970 in Argentinien, war NSDAPReichstagsabgeordneter, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS. Ludolf-Hermann von Alvensleben, Chef des SD in Bromberg wurde 1964 aufgrund der Eigenschaft als SS-Oberführer und Führer des „Selbstschutzes Westpreußen“ mit Haftbefehl wegen Mordes in 4.247 Fällen gesucht (BArch, B 162/19156, Bl. 14). BArch, B 162/6001, Bl. 15. 80 Zu verschärften und radikalisierten Aktionen deutscher Einheiten kam es in Polen, als nach dem „Bromberger Blutsonntag“ am 03. September 1939 volksdeutsche Einwohner in der Stadt Bromberg/Bydgoszcz ermordet wurden. Als Abschreckungsaktion erfolgte durch Polizeikräfte sofort nach der Besetzung der Stadt die öffentliche Erschießung von 60 bis 80 Geiseln auf dem Bromberger Marktplatz (Wildt 2003, 443). Im Herbst 1939 sind im Verantwortungsbereich v. Woedtkes in Lidzbark/Westpreußen fünf Polen durch den Selbstschutz erschossen worden.394 Scheinbar war das Verhältnis von SS-Oberführer v. Alvensleben zu Standartenführer v. Woedtke enorm gestört. V. Alvensleben entband v. Woedtke kurze Zeit später wegen „Nichteignung“ von seinen Aufgaben und er sollte folgend als Polizeipräsident Verwendung finden.395 Hierzu wurde er ab November 1939 zur Einarbeitung nach Breslau und anschließend nach Halle zu einer „informatorischen Beschäftigung“ abkommandiert.396 Zum 01. März 1940 erfolgte die Einsetzung als kommissarischer Polizeipräsident in Erfurt. Dass v. Woedtke jedoch andere Karriere-Ambitionen hatte, beweist der Umstand, dass ihm Himmler persönlich am 25. Juli 1940 den Umzug nach Erfurt anordnete.397 Am 27. März 1940 informierte der Vertreter des Polizeipräsidenten, Major der Schutzpolizei Heinrich Wehlow, den Regierungspräsidenten über den Stand der Mobilmachung der Reservisten. Er berichtete, dass im Winterhalbjahr 1939/40 fast alle Polizei-Reservisten einberufen worden seien. Der organisatorische Aufwand dieser Mobilmachung war für das Polizeipräsidium enorm. So mussten Waffen, Gasmasken und andere Einsatzmittel zugeteilt und deren Anwendung auch geschult werden.398 Die Ausbildung der im Einzeldienst verwendeten Polizei-Reservisten erfolgte dabei im Rahmen der Aus- und Weiterbildung der aktiven Beamten.399 So meldete Wehlow am 28. Mai 1940, dass in dem derzeitigen Lehrgang 70 Polizeireservisten teilnehmen. Weitere 150 Polizeireservisten waren noch nicht lehrgangsmäßig beschult und ein zweiter Lehrgang wurde ab dem 14.6.1940 vorbereitet. Eine weitere Amtshandlung für v. Woedtke bestand ab dem 07. Juni 1940 in der Organisation der flächendeckenden Aushändigung von Polizei-Dienstpässen an alle Angehörigen des Vollzugsdienstes der Ordnungspolizei, der Polizei-Verwaltungsbeamten 394 395 396 397 398 399 BArch, B 162/1961, Bl. 3. BArch, B 162/3919, Bl. 261. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 443. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 463. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27472, Bl. 72. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27472, Bl. 62. 81 sowie den Angehörigen der Polizeireserve und der Hilfspolizei, um für den bevorstehenden „auswärtigen Einsatz“ gerüstet zu sein.400 Neben dem Einsatz im Einzeldienst des Polizeipräsidiums Erfurt waren diese Kräfte ab April 1940 auch mit der Überwachung von Versorgungseinrichtungen, insbesondere von Getreidelagern, beauftragt.401 Am 26. September 1940 wies Daluege in einem Schreiben an den HSSPF Kassel darauf hin, dass ungeeignete Kräfte der Ordnungspolizei für den auswärtigen Einsatz in Marsch gesetzt werden, diese seien körperlich, gesundheitlich und ausbildungsmäßig in keiner Weise den Anforderungen gewachsen. Er machte die Führer der Heimatdienststellen für die Auswahl voll verantwortlich.402 In einem weiteren Schriftwechsel bemängelte er bei den HSSPF und den staatliche Polizeiverwaltungen am 02. März 1942, dass Kräfte der Ordnungspolizei im auswärtigen Einsatz völlig unzureichend durch die Heimatdienststellen ausgerüstet wären. Insbesondere fehle es an der Ostfront an warmer Unterwäsche, was den Einsatzwert der eingesetzten Kräfte erheblich beeinträchtigen würde.403 V. Woedtke wurde zunächst nicht in den Staatsdienst übernommen. Im März 1940 bestätigte der SS-Oberabschnitt-Nord hierzu, dass bis zum Freiwerden der Planstelle des Brigadeführer Pflomm in Erfurt die Dienstbezüge404 weiterhin von der SS gezahlt werden.405 Zwischen dem Regierungspräsidenten in Erfurt und v. Woedtke gab es erhebliche Auseinandersetzungen. Alexander v. Woedtke äußerte sich später folgendermaßen: „Wegen Differenzen mit dem dortigen Regierungspräsidenten Weber, der sich immer als „Minister“ anreden ließ, bat ich um meine Versetzung.“406 Insgesamt sieben Monate war v. Woedtke Chef der Polizeiverwaltung in Erfurt. Ab dem 15. Oktober 1940 wurde er als kommissarischer Polizeipräsident in Sosnowitz eingesetzt. In den Jahren 1942 und 1943 erfolgte die „organisierte“ Deportation von Juden aus Sosnowitz 400 401 402 403 404 405 406 ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26118, Bl. 441. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27472, Bl. 65. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22786, Bl.7. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 22786, Bl. 2. Später erhielt v. Woedtke die Anfangsbezüge nach der Besoldungsgruppe A1b und eine jährliche Dienstaufwandsentschädigung von 960 RM (BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 463) und für seine Tätigkeit in Sosnowitz wurde er in die Besoldungsgruppe A1a und 1200 RM Aufwandsentschädigung eingeordnet (BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 460). BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 469. BArch, B 162/1608, Bl. 126-130. 82 nach Auschwitz.407 In der Darstellung eines Betroffenen wurde nach dem Krieg Folgendes geschildert:408 Im Distrikt Sosnowitz und Bendzin lebten 1939 etwa 80.000 Juden. Nach den ersten drei Deportationswellen, die ab Mai 1942 einsetzten, lebten nur noch 40.000 Juden in zwei Ghettos. Die anderen wurden ermordet oder in Arbeitsbzw. Vernichtungslager verbracht. Neben den SS-Truppen waren dabei auch Schutzpolizisten beteiligt. Eine Bewachung der verbliebenen Juden erfolgte durch die deutsche Polizei. Bei der vierten Deportationswelle im August 1943 begann die endgültige Vernichtungsaktion in Sosnowitz und Benzin. Die Ghettos wurden von Schutzpolizei und SS umzingelt. Unter Führung des Hauptsturmführers Peikart, der Kommandeur von Birkenau, wurden alle sich versteckenden Juden, egal ob Mann, Frau oder Kind, ermordet. V. Woedtke wurde später beschuldigt,409 an den Verbrechen in Sosnowitz als Polizeipräsident beteiligt gewesen zu sein.410 Als Chef des Polizeipräsidiums unterstanden ihm die Schutz- und anfangs auch die Kriminalpolizei. Er räumte in seiner Vernehmung ein, dass er bei der restlosen Räumung des Ghettos von Sosnowitz Schwierigkeiten hatte, den ordnungspolizeilichen Aufgaben nachzukommen. V. Woedtke habe wohl gehört, dass die Juden von Theresienstadt über ein neutrales Land nach Israel gebracht werden sollten und ihm bei der „Umquartierung der Juden“ keine Ausschreitungen bekannt geworden seien.411 Während seiner Amtszeit in Sosnowitz seien drei öffentliche Exekutionen vorgekommen. Grund der „Abschreckung“ sei es gewesen, dass in einem Jahr zwölf seiner Polizeibeamten aus dem Hinterhalt erschossen worden seien. Später will er sich beim Regierungspräsidenten in Kattowitz, Springorum, für ein Unterbleiben der öffentlichen Erschießungen ausgesprochen haben, was nach seinen Aussagen auch Wirkung zeigte. Dass diese Aussagen reine Schutzbehauptungen waren, beweist der Umstand, dass v. Woedtke Beamte der Schutzpolizei zur Auffindung sich bei der Räumung versteckender Juden an die Gestapo abgestellt hatte.412 407 408 409 410 411 412 BArch, B162/1608, Bl. 3 und BArch, B162/1608, Bl. 40 (Verfahren gegen den ehemaligen SS-Standartenführer Dr. Rudolf Mildner wegen Beihilfe zum Mord (Vorermittlungen wegen Judenermordungen in Oberschlesien) im Jahr 1960. BArch, B 162/7712, Bl. 23b – 30. Hierbei belastet v. Woedtke seinen Vorgänger, Schmelt, welcher als Sonderbeauftragter des RFSSuChdDtPol für den „fremdvölkischen Arbeitseinsatz“ und als „Judenkommisssar“ gewirkt habe. (BArch, B162/1608, Bl. 10). BArch B 162/7712 Bl. 1 (Es erfolgte ein vom Verfahren Dr. Mildner (AR-Z 78/60) abgetrenntes Verfahren zur Mitwirkung des Polizeipräsidenten von Sosnowitz (AR-Z /68)). BArch, B 162/1608, Bl. 126-130. BArch, B162/1608, Bl. 126-130 (Vernehmung vor der Staatsanwaltschaft Göttingen im März 1960 in der Sache Mildner). 83 In einem Schreiben an Himmler bedankte sich v. Woedtke 1943413 für ein Bildgeschenk und vermerkte: „Das Gesetz des Blutes und der Treue, das in dem Bild symbolisch verkörpert ist, empfinde ich als richtungsweisend für das mir von Ihnen, Reichsführer, anvertraute Sosnowitz, das als südöstlicher Eckpfeiler des Reichs im slavischen Volkstum steht.“. Nach mehreren Versuchen seiner Vorgesetzten,414 v. Woedtke zum SS-Oberführer zu ernennen, wurde er schließlich auf Vorschlag des SD Breslau, unterstützt vom HSSPF Südost Schmauser, am 20. April 1943 befördert.415 Mit dem Vorrücken der Roten Armee meldete v. Woedtke am 08. März 1945, dass er sich seit dem Absetzen aus der Polizeiverwaltung in Sosnowitz416 in Teschen Olsaland aufhalte. Des Weiteren sei er mit der Vertretung des SSPF Oberschlesien in den Südostteilen Oberschlesiens beauftragt worden.417 Der konsequente und ehrgeizige418 Alexander v. Woedtke war ein Betrüger, Karrierist und nutzte den Nationalsozialismus gezielt für seine eigenen Interessen. 4.5 Heinrich (Heinz) Wicke – Der unbedingte Nationalsozialist Wicke ist nur deshalb Polizeidirektor in Heilbronn geworden, weil er einer der ältesten SS-Männer Württembergs gewesen war. „Kein sonstiger Kaufmann mit einer gewissen Automobil- und Verkehrserfahrung ohne „politische Bewährung“ wäre zum Polizeidirektor eines Polizeiamtes wie Heilbronn ernannt worden.“419 In der Einstellung zur nationalsozialistischen Weltanschauung galt Heinrich Wicke, der im amtlichen Schriftverkehr auch als Heinz Wicke geführt wurde, als „echter Nationalsozialist“,420 dessen „besonderer Verdienst es ist, seinen Dienststellen einen SS-mäßigen und nationalsozialistischen 413 414 415 416 417 418 419 420 BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 446. Anfang Januar 1942 lehnte Himmler eine Beförderung des v. Woedtke zum Oberführer ab (BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 450). BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 442. In seiner Vernehmung im Jahr 1959 im Ermittlungsverfahren des AG Coburg gegen den ehemaligen SS-Sturmbannführer Gerhard Liebisch wegen Mordes (3 QS 112/59.) sagte v. Woedtke Folgendes aus: „Das Amt des Polizeipräsidenten in Sosnowitz habe ich bis zur Vertreibung im Januar 1945 ausgeübt.“ (BArch, B 162/20311, Bl. 201). BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 435. BArch, SSO Alexander von Woedtke, Bl. 436f. HStAS, EA2/150 Heinz Wicke (Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Stuttgart vom 27. Dezember 1958, Az: 2S 185/56). BArch, SSO 241B (Personal-Bericht vom 15.12.1938). 84 Charakter gegeben zu haben.“421 Wicke erreichte dies hauptsächlich über seine Fähigkeiten als guter Redner. Exemplarisch sei dafür der Empfang des Regierungspräsidenten Dr. Weber für 50 verwundete Soldaten am 08. Juni 1942 genannt. Hier „trug der Polizeipräsident SS-Obersturmbannführer Wicke heitere Geschichten aus dem Soldatenleben vor und erntete dafür reichen Beifall.“422 Heinrich Wicke wurde am 20. Juni 1886 in Kassel geboren. Nach dem Besuch der Bürgerschule und einer Ausbildung zum Kaufmann kam er im Jahr 1907 zur Kartonagenfabrik Michael Birk in Trossingen. Von 1908 bis 1910 diente er beim 1. Württembergischen Regiment in Stuttgart. Am I. Weltkrieg nahm Wicke von 1914 bis 1919 als Frontkämpfer im 7. Württembergischen Infanterieregiment 125 teil, erhielt das Eiserne Kreuz II. Klasse und verließ die Armee mit dem Dienstgrad eines Vizewachtmeisters.423 Nach mehrjähriger Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter und als Reisender im Auftrag seiner Firma ließ sich Heinz Wicke Anfang der 1920er Jahre als selbstständiger Handelsvertreter in Stuttgart nieder. Obwohl Wicke „stark unter wirtschaftlich-jüdischem Druck gestanden hat“,424 erzielte er in seiner Tätigkeit als Vertreter großer Firmen „ausgezeichnete Einkommensverhältnisse“. Am 24. Mai 1912 heiratete er Magdalene Bilger aus Trossingen. Die Ehe bleibt zeitlebens kinderlos.425 Wicke war gottgläubig und meldete am 07. Januar 1942 den Austritt seiner Ehefrau aus der evangelischen Kirche. Vermutlich drängte er aus Karrieregründen seine Frau hierzu.426 Der gelernte Kaufmann Wicke, dem einzig die Bildung in der Volksschule427 für seine nationalsozialistische Karriere428 – vom Truppführer im Jahr 1933 zum SS-Oberführer im Januar 1945 – reichte, verdankte dies der NSDAP, welche ihn aufgrund seines frühen Beitritts im September 1930 für höhere Posten im Staatsdienst in Betracht zog. Der spätere Träger des Totenkopfrings und Mitglied von Lebensborn Heinrich Wicke, 421 BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 601. StadtArchiv Erfurt, 1-2/009-25, Bl. 44r. 423 BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 611. 424 BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 621. 425 Als Wicke im Jahr 1938 von Seiten der SS nach seiner Kinderlosigkeit gefragt wird, legt er das ärztliche Zeugnis des Frauenarztes Dr. Röttger vom 24. März 1938 vor, aus dem hervorgeht, das Frau Wicke nicht in der Lage ist, Kinder zu bekommen und das „bereitet der Patientin großen Kummer“ (HStAS, EA2/150 Heinz Wicke, unpag.). 426 In Himmlers Verständnis der „Entchristlichung“ wurde großer Wert darauf gelegt, dass führende Mitglieder der SS sowie deren Familie gottgläubig waren (Longerich 2008, 265-308). 427 BArch, SSO Heinz Wicke, unpag. (Fragebogen zur Berichtigung bzw. Ergänzung der Führerkartei der SS-Personalkanzlei vom 22. Oktober 1936). 428 Wicke war nicht in der SA (BArch, SSO Heinz Wicke (Fragebogen zur Berichtigung bzw. Ergänzung der Führerkartei der SS-Personalkanzlei vom 22. Oktober 1936)). 422 85 trat am 17. April 1931 mit der frühen Mitgliedsnummer 6.980 der SS bei und nahm bis zur Machtübernahme Hitlers an den Aufmärschen in Coburg und Nürnberg teil.429 Am 30. Januar 1934 wurde Wicke zum SS-Sturmführer ernannt und mit der Führung des 3. Sturmes der 13. SS-Standarte beauftragt.430 Er bat im Januar 1935, aus beruflicher Arbeitsüberlastung, um eine Versetzung in die Reserve431 und wurde Anfang Februar 1935 als Führer des Reservesturmbanns der SS-Standarte 13 bestellt.432 Aufgrund der Abkommandierung zur SD-Hauptaußenstelle Stuttgart im September 1936 ist Wicke nicht mehr in der Lage gewesen, seine Funktion als Führer des Reservesturmbannes der 13. SS-Standarte wahrzunehmen und wurde zum 01. Februar 1937 zum SSFührer in der SS-Stammabteilung Südwest, Bezirk 13, ernannt.433 Wicke wurde am 02. Dezember 1938 von der Allgemeinen-SS zum SD versetzt.434 Wickes Einstieg in die Polizei begann im Jahr 1938435 mit der kommissarischen Beauftragung der Stelle des Polizeidirektors in Heilbronn. Dieses Amt nahm er „ohne Zögern trotz der finanziell bedeutenden Schlechterstellung“436 an. Seine Kameraden verbanden diesen Schritt mit seinem „Idealismus“.437 In Heilbronn brannte in der Reichspogromnacht vom 09. auf den 10. November 1938 die Synagoge. Wicke hatte dabei als Polizeidirektor von Heilbronn die Täter durch Lahmlegung des Polizeiapparates unterstützt.438 In der Folgenacht hatte die Heilbronner Polizei die Anweisung erhalten, Dienst in Zivil zu verrichten und bei Gewalttaten nur einzuschreiten, wenn Menschenleben in Gefahr gerieten.439 429 430 431 432 433 434 435 436 437 438 439 BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 629. BArch, SSO Heinz Wicke, unpag. (Beförderungs-Schreiben vom 06. Februar 1934). BArch, SSO Heinz Wicke, unpag. (Schreiben der 13. SS-Standarte an den SS-Abschnitt X). BArch, SSO Heinz Wicke, unpag. (Schreiben des SS-Abschnitts X an den SS-Oberabschnitt Südwest vom 31. Januar 1935). BArch, SSO Heinz Wicke, unpag. (Schreiben der 13. SS-Standarte an den SS-Abschnitt X vom 03. Dezember 1936) sowie BArch, SSO Heinz Wicke (Schreiben des SS-Abschnitts X an den SS-Oberabschnitt Südwest vom 18. Januar 1937). BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 621. Im März 1937 wurde der nunmehr ernannte SS-Sturmbannführer Wicke erstmals vom Chef der Ordnungspolizei, Daluege, für die Polizeidirektorstelle in Esslingen vorgeschlagen (BArch, SSO Heinz Wicke, unpag.). Genau 10 Monate später wird die geplante Aktion zurückgenommen, da Wicke für diesen Posten nicht in Frage käme. Die Stelle war aufgrund der Überleitung in die Reichsbesoldungsordnung mit einem Polizeirat zu besetzen. Auch in einer anderen Polizeiverwaltung könne man Wicke zu diesem Zeitpunkt nicht verwenden (BArch, SSO Heinz Wicke, unpag. (Schreiben des Chefs der Ordnungspolizei an den Reichsführer SS, Personalkanzlei)). BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 621. BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 621. Im Jahr 1961 wurde das Ermittlungsverfahren gegen Wicke wegen Beihilfe zur schweren Brandstiftung eingestellt (HStAS EA2/150 Heinrich Wicke, unpag. (Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Heilbronn am 04. April 1961)). Eine Straftat konnte nicht nachgewiesen werden, da nicht festgestellt werden konnte, ob Wicke von der beabsichtigten Brandstiftung Kenntnis hatte oder damit auch nur rechnete. 86 Wicke zeigte in seiner Heilbronner Tätigkeit großen Fleiß und erhielt dafür folgende Beurteilung durch seinen Vorgesetzten: „Er ist anpassungsfähig und erreicht mit verbindlichem Zureden, was er anstrebt.“ 440 Bemängelt wurde bei anderer Gelegenheit, dass ihm eine fehlende Zurückhaltung und Wahrung der Unabhängigkeit zueigen war. Dies wurde mit Hinweis auf seinen früheren Beruf und den großen Bekanntenkreis sowie sein geselliges Wesen begründet. Außerdem wird auf den „etwas weichen und leicht beeinflußbaren Charakter“441 Wickes verwiesen. Die Versetzung nach Erfurt im August 1941 bedeutete für Wicke, aufgrund des größeren Aufgabegebietes, der obliegenden militärischen Führungsaufgaben sowie der Luftschutzaufgaben, eine wesentliche Gehaltserhöhung. Der im August 1941 kommissarisch eingesetzte und im Juni 1942 zum Polizeipräsident ernannte442 Heinrich Wicke führte drei Jahre das Polizeipräsidium Erfurt und leitete damit über den längsten Zeitraum die Amtsgeschäfte des Polizeipräsidenten in der der NS-Zeit. Seine kommunikative Befähigung bestätigend, arrangierte Wicke mit besonderer Sorgfalt Feiern der Polizei und der SS. So organisierte er beispielhaft am 19. November 1943 eine Julfeier zu Weihnachten mit folgendem Teilnehmerkreis und Programm: 1. „für Ordnungspolizei, Kriminalpolizei und SD eine gemeinsame Julfeier ohne die Angehörigen im Deutschen Volkstheater, 2. für Lazarette, liegende Verwundete von Ordnungspolizei, SS-PolizeiDivisionen, Waffen-SS und Allgemeiner SS im Gildehaus, 3. für Familienangehörige der gefallenen, vermissten und verstorbenen Kameraden im Gildehaus, 4. für die Frauen und Kinder der gefallenen und sich im Einsatz befindlichen Kameraden eine Kinderbescherung im Kaisersaal.“443 Ebenfalls war Wicke anlässlich der Morgenfeier zum Geburtstag von Adolf Hitler am 20. April 1943 aktiv. Diese fand im Erfurter Ufa-Theater, Adolf-Hitler-Straße, statt. Er lud hierzu das gesamte Personal seiner Dienststelle ein.444 Auch politische Stunden zum Zeitgeschehen, für das Personal des Präsidiums sowie für die Angehörigen der Gestapo und des SD, wie am 15. Juni 1944, wurden von ihm veranstaltet.445 440 441 442 443 444 445 BArch, SSO Heinz Wicke, unpag. (Personal-Bericht vom 15.12.1938). HStAS, EA2/150 Heinz Wicke, unpag. (Beurteilung vom 03. November 1941). BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 610. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 20484, Bl. 82. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 20484, Bl. 128. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 20484, Bl. 62. 87 Die weitverbreitete Feldpost446 veröffentlichte im Juli 1942 einen ganzseitigen Artikel Wickes zum „Groß-Appell der Erfurter Schutzpolizei“ anlässlich des Geburtstages Adolf Hitler. Mit einer Antrittsstärke von 750 Mann und 58 Fahrzeugen waren alle Kräfte der Ordnungs-, Sicherheitspolizei und der Hilfsdienste gegenüber den Erfurter Domstufen angetreten. In seiner Rede führte Wicke aus: „daß Worte und Bücher nicht hinreichen, den Führer genügend zu würdigen, daß dies vielmehr jeder selbst nur durch eigene Pflichterfüllung und Einsatz ausdrücken könne“.447 Nach seiner ideologischen Rede konstatierte er in der Feldpost: „Begeistert braust das „Sieg Heil“ auf den geliebten Führer über den Platz als Gelöbnis unverbrüchlicher Treue.“448 Die kriegsbedingte Personalnot war zu jener Zeit im Polizeipräsidium Erfurt stark zu spüren. Ende Oktober 1942 meldete Wicke an den Regierungspräsidenten Erfurt, dass er keine Kräfte mehr für die wirtschaftliche Betreuung einer Nachrichtenschule abstellen könne. Er teilte mit, dass ihm 12 Beamte des gehobenen Dienstes zur Verfügung stehen und beklagte sich dabei folgendermaßen: „Jeder von den gehobenen Diensten hat ein so beträchtliches Arbeitsgebiet mit zum Teil recht mangelhaften Hilfskräften zu bearbeiten.“449. Andererseits setzte Wicke alle Bemühungen daran, missliebige Beamte seines Präsidiums loszuwerden. So meldete sich Wicke am 14. April 1943 konfrontativ beim Regierungspräsidenten Weber zum Einsatz von Juristen in der Verwaltungspolizei. Nach seiner Schilderung arbeitete im Polizeipräsidium seit dem 01. Januar 1943 der Polizei-Verwaltungsrat a.W. Dr. Walther. Einen zweiten Juristen, den PolizeiVerwaltungsrat Dr. Scheer, könne er aufgrund fehlender Arbeit nicht ausreichend beschäftigen. Einsatzfähige Kräfte wären an der Front und deren Arbeiten würden zum Teil durch Frauen erledigt. Dadurch, dass junge Kräfte, wie die Rechtsanwälte, „überflüssigerweise weiter hier“ und „mit beträchtlichem Gehalt an der Heimatfront verblieben“, machte er den Vorschlag, diese als Polizei-Reservisten im auswärtigen Einsatz zu verwenden. „Ich muß überhaupt die Zuteilung von Polizei-Verwaltungsräten bei den Behörden im Reichsgebiet als eine bedenkliche Einrichtung bezeichnen.“450 Genau einen Monat später zog Wicke den Bericht zurück und teilt dem Regierungspräsidenten mit, dass er Dr. Scheer eine Beschäftigung zugewiesen habe.451 Diese in- 446 447 448 449 450 451 Feldpost, Reichsausgabe Nr. 32 vom Juli 1942. StadtArchiv Erfurt, 1-2/009-25, Bl. 43r. StadtArchiv Erfurt, 1-2/009-25, Bl. 43r. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 21992, Bl. 4 (Schreiben des Polizeipräsidenten Wicke an den Regierungspräsidenten vom 31. Oktober 1942). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 21992, Bl. 27. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 21992, Bl. 33. 88 teressante Facette lässt Rückschlüsse auf Wickes Charakter zu. Dem Taktiker und SSKarrieristen war der Rückzug wichtiger als die Durchsetzung seiner Absichten. Im Januar 1943 beantragt SS-Standartenführer Wicke beim Regierungspräsidenten in Erfurt einen Urlaub zur Wiederherstellung seiner Gesundheit in Form einer Kur in Bad Gastein für den Zeitraum Mai bis Juni 1943.452 Nach einem polizeiärztlichen Attest litt Wicke an einer Herzneurose und einem nervösen Erschöpfungszustand.453 Die Kur habe er schon vor einigen Monaten durchführen sollen, hatte aber mit Rücksicht auf die Dringlichkeit der Dienstgeschäfte und der allgemeinen Personallage davon Abstand genommen. Danach erhielt er eine polizeiärztliche Bescheinigung, nach der er im Anschluss der Kurbehandlung zur Abreaktion der anstrengenden Thermalbadkur und Festigung des erzielten Kurerfolges“ unbedingt einen 14-tägigen Urlaub antreten muss.454 Ein weiteres Aufgabengebiet der Erfurter Polizei in den Kriegsjahren war die Fahndung nach flüchtigen Kriegsgefangenen. So wurde seitens des Regierungspräsidenten Weber vom Polizeipräsidenten Wicke erwartet, dass eine verstärkte Personenüberwachung stattfindet. Insbesondere die intensive Überprüfung von Bahnhöfen und eine abgestimmte Straßenverkehrsfahndung durch Schutz- und Kriminalpolizei sowie Razzien im Einvernehmen mit der Sicherheitspolizei waren durchzuführen.455 Besonders viele Aufgriffe verzeichnete dabei das 3. Polizeirevier Erfurt. Am 23. September 1942 meldete Wicke z.B. den „Aufgriff“ von zwei französischen Kriegsgefangenen am Hauptbahnhof Erfurt, die aus einem Lager in Bischofsburg bei Danzig über Berlin geflüchtet waren.456 Insgesamt wurden bis zum 19. Dezember 1944 durch das Polizeipräsidium Erfurt weitere 51 Franzosen, Serben, Engländer, Niederländer, Polen sowie Kanadier457 verhaftet und namentlich an die Kriminalpolizeistelle458 gemeldet.459 Die Kriegsgefangenen flüchteten nach den Berichten zumeist mit gefälschten Ausweisen und in Zivilkleidung. 452 453 454 455 456 457 458 459 HStAS, EA2/150 Heinz Wicke, Bl. 27. HStAS, EA2/150 Heinz Wicke, Bl. 16. HStAS, EA2/150 Heinz Wicke, Bl. 30. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 20484, Bl. 125 (Schreiben des Kommandeurs der Ordnungspolizei beim Regierungspräsidenten Erfurt (Meier) an den Polizeipräsidenten Erfurt vom 07. Mai 1943). ThStAGO, Regierung zu Erfurt 23307, Bl. 3. Darunter befand sich auch der kanadische Captain William Lisson, geboren am 03. August 1919 in Hamilton, Kanada, geflohen aus dem Stalag-Lager Molsdorf am 25. März 1943 (ThStAGO, Regierung zu Erfurt 23307, Bl. 66). Die Kriminalpolizei Erfurt meldete die Namen weiter an den BdO in Weimar. ThStAGO, Regierung zu Erfurt 23307, Bl. 4-182. 89 Große Akzente als Polizeipräsident konnte Wicke aufgrund des Kompetenzwandels nicht setzten. Zu der vordringlichen Aufgabe des Erfurter Polizeipräsidenten gehörte nun die Erledigung von Fragen des Luftschutzes. Wicke war durch seine Teilnahme am 79. Luftschutzlehrgang im Mai 1943 in Berlin-Schöneberg darauf vorbereitet worden.460 In einer Verfügung zum Verhalten bei einem Fliegeralarm machte Wicke den Erfurter Behörden und der Wirtschaft deutlich, welcher Personenkreis sich unverzüglich in die Luftschutzräume begeben musste und wer mit einer Armbinde461 die Straßen betreten durfte. Die Polizei hatte hierbei strengste Weisung, die Straßen nach einem Alarm umgehend zu räumen.462 Mit Verschärfung der alliierten Angriffe im Februar 1944 gab es Kompetenzprobleme zwischen dem Oberbürgermeister von Erfurt und dem Polizeipräsidenten Wicke. Kießling463 wollte die Verantwortung für „Sofortmaßnahmen“ nach einem Luftangriff an sich ziehen. Dem entgegnete der Polizeipräsident als örtlicher Luftschutzleiter, dass er in den ersten drei Tagen nach einem Angriff die Verantwortung für die Räumung der Straßen hätte. Dafür ständen ihm ca. 1.000 Mann zur Verfügung und zusätzlich 1.000 Mann vom Fliegerhorst Bindersleben.464 In einem erneuten Vorschlagsschreiben zur Ernennung zum Oberführer465 durch das RSHA wird Folgendes erwähnt: „Seine Verdienste in der SD-Arbeit als Hauptaußenstellenleiter seit 1936 (ehrenamtlich) verdienen besondere Anerkennung. – Anlässlich des 20.7.1944 hat sich der SS-Standartenf. Wicke besonders hervorgetan und mit entscheidend dazu beigetragen, daß eventuelle schwerwiegende Entwicklungen im Gau Thüringen von vorneherein im Keime erstickt wurden.“466 Dem lag nach Berichten folgende Begebenheit zugrunde:467 Nach dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 460 461 462 463 464 465 466 467 HStAS, EA2/150 Heinz Wicke, Bl. 83. Dies waren u.a. Betriebs-Luftschutzleiter, Selbstschutzkräfte, Angehörige der NSDAP in Uniform, Ärzte und Hebammen (StadtArchiv Erfurt, 1-2/160/6231, unpag.). StadtArchiv Erfurt, 1-2/160/623, unpag. Wicke beschwerte sich bereits am 05. November 1943 bei Kießling darüber, dass Löschsand durch städtische Arbeiter zweckentfremdet verwandt wurde (StadtArchiv Erfurt, 1-2/160 /6232, unpag.). StadtArchiv Erfurt, 1-2/160/6232, unpag. Einen ersten Vorschlag zur Beförderung von Wicke zum SS-Oberführer gab es während seiner Erfurter Dienstzeit durch den SD-Abschnitt Weimar. Danach kommt es wohl aufgrund der Versetzung Wickes nach Stuttgart zu einer Panne, da der Beförderungsvorschlag vom Inspekteur in Kassel nicht bearbeitet wurde. (BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 628). BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 601. BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 621 und Bl. 622. 90 hatte der Standortkommandeur der Wehrmacht in Erfurt, General von Holwede,468 den Auftrag der Offiziersgruppe um Claus Graf von Stauffenberg zur Übernahme der zivilen Gewalt in Thüringen erhalten. Dabei sollten bei Widerspruch der Reichsstatthalter sowie die Führer von SS, Polizei und NSDAP ausgeschaltet werden. General von Holwede war in seinem Handeln zunächst unentschlossen und rief den Kommandanten des 1. Panzer-Regiments, Oberst Lissow469, und SS-Standartenführer Wicke nachts in seine Wohnung. Letztgenannte haben zusammen General v. Holwede von seinem Vorhaben abgebracht. Wickes Verdienste in Erfurt waren aus Sicht des SD das Verhandlungsgeschick und das ausgesprochene politische Fingerspitzengefühl, der persönliche Einsatz beim Aufund Ausbau der SD-Hauptaußenstelle Erfurt. Insbesondere hatte Wicke „bei den ihm unterstellten Polizeidienststellen permanent auf ein vertrauensvolles und enges Zusammenarbeiten mit dem SD hingewirkt.“470 Wicke wurde zum 06. Januar 1944 nach Wilhelmshaven471 abgeordnet472 und am 02. Februar 1944 durch den HSSPF Hamburg wieder nach Erfurt zurückbeordert.473 Am 28. Juli 1944474 erfolgte die Versetzung nach Stuttgart. Hier war Wicke bis Kriegsende als Polizeipräsident eingesetzt.475 In Stuttgart wurde nochmals ein Anlauf zur Ernennung Wickes zum Oberführer476 unternommen, mit der Begründung, dass ihm ein Kommandeur als Oberst der Schutzpolizei unter468 469 470 471 472 473 474 475 476 Generalmajor Wolfgang von Holwede, geboren am 25. Februar 1893 im Rittergut Sagschütz (Sachsen), gestorben am 14. Februar 1969 in Hamburg (http://www.geocities.com/ ~orion47/ WEHRMACHT/HEER/Generalmajor/HOLWEDE_WOLFGANG.html; letzter Zugriff vom 20. Juli 2009). Oberst Lissow wurde später an Stelle des Generals von Holwede als Standortkommandeur in Erfurt eingesetzt. BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 628 (Beurteilungsbeitrag des SD Stuttgart, wobei man sich aufgrund der kurzen Zugehörigkeit Wickes der Beiträge des Sturmbannführers Kruse aus Weimar bediente). Die Dienstgeschäfte sollte Wicke an SS-Brigadeführer Wysocki ab dem 04. Januar 1944 übergeben, den der RFSS mit der Wahrnehmung der Dienstgeschäfte als Polizeipräsident in Erfurt beauftragt hatte. Wicke setzte am Abend des 04. Januar zwei Fernschreiben an den HSSPF Kassel und den HSSPF Hamburg ab, er könne den Dienst in Wilhelmshaven erst nach Übergabe der Dienstgeschäfte antreten. Am 08. Januar meldete er dann dem Regierungspräsidenten in Erfurt, dass er seine Amtsgeschäfte an Polizeirat Schreiber und Major der Schutzpolizei Wehlow übergeben habe (HArchS, EA2/150 Heinz Wicke, Bl. 90). HArchS, EA2/150 Heinz Wicke, Bl. 87 (Schnellbrief am 03. Januar 1944 vom RFSS über Sauckel, den Oberpräsidenten Magdeburg und den Regierungspräsidenten Erfurt durch den HSSPF Fulda-Werra im Wehrkreis IX). HArchS, EA2/150 Heinz Wicke, Bl. 91. BArch, SSO Heinz Wicke, unpag. (Schreiben des RFSSuChdDP an SS-Standartenführer und Polizeipräsidenten Wicke vom 20. Juli 1944). BArch SSO Heinz Wicke, unpag. (Schreiben des Reichssicherheitshauptamtes an SSStandartenführer Wicke vom 03. August 1944). In den Beförderungsvorschlag schaltete sich noch eine weitere Stelle ein, der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Straßburg, welcher den ehrenamtlichen Mitarbeiter des SD, Standartenführer Wicke, ebenfalls zum SS-Oberführer vorschlägt (BArch, SSO Heinz Wicke, unpag. (Schreiben des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD in Straßburg an das RSHA vom 23.10.1944). 91 stehe und im Wege der Rangangleichung477 eine Ernennung dienstlich notwendig sei.478 Heinrich Wicke, der maßgeblich durch seine vielseitigen Frontkameradschaften aus dem Ersten Weltkrieg, durch seine Tätigkeit als Schöffe auf dem Spezialgebiet der Verkehrsunfälle sowie sein Wirken als langjähriger Hauptgeschäftsführer des ADAC Württemberg-Hohenzollern479 eine auffallende Karriere als Führer der SS und als Polizeipräsident hinlegte, war ein äußerst kommunikativer, bei seiner Mannschaft beliebter und absolut überzeugter Nationalsozialist. 4.6 Otto Gieseke – Der Kommandeur In einem „kühnem Ansturm“480 drängte Oberst Gieseke in vorderster Linie am 11. September 1941 in den Kämpfen um Krasnogwardeissk die russische Armee zurück und wurde aufgrund seiner persönlichen Tapferkeit bei weiteren Kampfhandlungen für die Verleihung des Deutschen Kreuzes in Gold vorgeschlagen.481 SS-Kriegsberichterstatter Walter Best schrieb über ihn: „Das oft unmöglich Erscheinende zu erzwingen, ist der hervorragende Wesenszug des nunmehr ausgezeichneten Standartenführers Otto Gieseke, Kommandeur eines Regiments in einer Polizei-Division.“482 Was hatte es mit diesem Führer einer Polizeieinheit auf sich? Der spätere SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei wurde am 24. März 1891 als Sohn des Bauern August Gieseke und seiner Ehefrau Johanne, geb. Boes, in Hohenhameln bei Lehrte, Kreis Peine, geboren. Otto Gieseke wuchs im elterlichen Haus mit fünf Brüder und vier Schwestern auf. Nach dem Besuch der Volksschule, einer Privatund Oberrealschule in Harburg arbeitete Gieseke von 1909 bis 1910 in der Landwirtschaft seines Vaters. Als Freiwilliger meldete er sich 1910 beim Dragoner-Regiment 16 in Lüneburg, bevor er ab 1911 beginnend eine dreijährige Ausbildung in einer Ham477 478 479 480 481 482 Eine Rangangleichung wird nochmals begründet, da der Oberst der Schutzpolizei Süß Inhaber einer Planstelle A1a war und nicht der SS angehörte, währenddessen Wicke seine Dienstbezüge nach der Planstelle B9 bezog (BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 626). BArch, SSO Heinz Wicke, Bl. 623. HStAS, EA2/150 Heinz Wicke, unpag. (Einstellungsbescheid der Stadt Stuttgart vom 03. November 1955). BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 166. BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 165. BArch, SSO Otto Gieseke, unpag. 92 burger Exportfirma absolvierte. Als Freiwilliger trat er 1914 in den Dienst der Reichswehr und wurde vom Zugführer bis zum Kompanieführer an der Westfront eingesetzt. Er wurde in dieser Zeit dreimal verwundet.483 Nach Kriegsende trat Gieseke den Freikorps der Brigade Nordlitauen bei, wo er als Kompanieführer der „Eisernen Brigade“ in Nordlitauen und im Baltikum kämpfte.484 Otto Gieseke heiratete am 01. April 1921 seine Frau Eva, geb. Smurawski. Dieser Ehe entstammten vier Kinder, von denen eins nach der Geburt starb und ein Sohn im Jahr 1942 im Krieg gefallen war.485 Bereits im Jahr 1920 fand eine Verwendung Giesekes in der Sicherheitspolizei (später Schutzpolizei) statt. In Köln war er von 1926 bis 1935 als Hundertschaftsführer, Reviervorsteher und Adjutant sowie von 1935 bis 1939 als Kommandeur eines Schutzpolizeiabschnittskommandos tätig. Mitglied in der NSDAP wurde der Hauptmann der Schutzpolizei Gieseke im Mai 1933. Im März 1935 marschierte der zum Major der Schutzpolizei ernannte Gieseke in Österreich mit ein und war dort im Abteilungskommando III St. Pölten und im Gruppenkommando Linz eingesetzt.486 Relativ spät, im August 1939, wurde die Aufnahme des Polizeimajor Gieseke in die SS beantragt.487 Die Übernahme in die Allgemeine SS mit dem Dienstgrad eines SSSturmbannführers erfolgte zum 01. Juni 1940, die Ernennung zum SS-Obersturmbannführer und aktiven Führer der Waffen-SS am 01. April 1942.488 Gieseke wurde von März 1939 für zwei Jahre als Kommandeur der Schutzpolizei in Erfurt verwendet489 und war demzufolge im Polizeipräsidium Erfurt dem SS-Brigade- 483 Sein ärztlicher Befund vom 22. Mai 1939 war einwandfrei (BArch, B5161 Otto Gieseke). Im Untersuchungsbogen wurden drei Verwundungen vermerkt, u.a. Lungen- und Leberschuss, Schussverletzungen an beiden Beinen und am linken Unterarm (BArch, B5161 Otto Gieseke). Eine weitere Verwundung erfolgte bei den Kämpfen im Osten im August 1941 (BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 184). 484 Schulz/Wegmann 2003, 376-378 sowie BArch, Personalfragebogen der Subsequent Proceedings Division. 485 Gieseke, der in seinem SS-Erbgesundheitsbogen an das Rasse- und Siedlungs- Hauptamt bei seinem Aufnahmeantrag in die SS noch vier Kinder (davon ein Kind gestorben) angibt (BArch, B5161 Otto Gieseke, Bl. 318), meldete am 09. August 1943 dem SS-Personalhauptamt, dass sein Sohn Hans-Dieter am 06. Dezember 1942 südwestlich von Rschew gefallen ist (BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 169). 486 BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 175 und Schulz/Wegmann 2003, 378. 487 Der Führer des SS-Oberabschnitts Fulda-Werra beantragt am 14. August 1939 die Aufnahme des uniformierten Ordnungspolizisten Gieseke in die SS. (BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 215). 488 BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 180. 489 Bei seinem Antrag zur Aufnahme in die SS im August 1939 gab Gieseke den Wohnort: Erfurt, Straßburgerstraße 2 an (BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 214). 93 führer Karl Pflomm unterstellt. Während dieser Zeit, im Juni 1940, wurde er zum Führer in der SS- Stammabteilung Fulda-Werra, Bezirk 67 ernannt.490 Ab September 1939 erfolgte der Kriegseinsatz für Oberst Giesecke als Führer des Polizeibataillons Lublin. Dort musste er mit dem durch seine besondere Brutalität gegenüber der Zivilbevölkerung bekannten SSPF Odilo Globocnik491 und dem KdS Huppenkothen492 zusammengekommen sein (Schulz/Wegmann 2003, 378). Nach Birn (1986, 334) war Globocnik während seiner Zeit als SSPF in Lublin an der Errichtung von Vernichtungslagern im Rahmen der Aktion „Reinhard“ direkt verantwortlich.493 Der SSPF des „Generalgouvernements“ war berüchtigt für seine „selbst nach NS-Maßstäben übertrieben harten Vergeltungsaktionen gegen die polnische Bevölkerung“ (Smelser, Syring, Zitelmann, 1999, 109). Globocnik gab nach späteren Aussagen den schriftlichen Schießbefehl für die außerhalb des Ghettos Lublin unbefugt angetroffenen Personen (Klemp 2005, 50-51). Gieseke muss aufgrund der zeitlich- und räumlichen Übereinstimmungen dem fanatischen Massenmörder Globocnik begegnet sein. Während der Leningrader Blockade494 sowie an den Gefechten am Ladogasee und an der Tossnamündung war Oberst Gieseke mit dem von ihm geführten SS-PolizeiGrenadier-Regiment 1 beteiligt.495 Für seinen Einsatz wurde ihm im September 1942 das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuze verliehen.496 Zum 01. September 1943 verließ Gieseke aufgrund seines Gesundheitszustandes497 die Waffen-SS und trat wieder in die Ordnungspolizei ein.498 Im Februar 1944 bescheinigte man Gieseke volle dienstliche Belastung und das SS-Personalhauptamt benachrichtigte 490 491 492 493 494 495 496 497 498 BArch, SSO Otto Gieseke, unpag. (Schreiben des SS-Personalamtes zur Aufnahme in die Schutzstaffel vom 14. Juni 1940). Odilo Lotario Globocnik (geboren am 21. April 1904 in Triest, Beruf: Baumeister, 1918 in Österreich eingebürgert, 1922 Eintritt in die NSDAP, 1933 Eintritt in die SS, Gaubetriebszellen- und Propagandaleiter der NS-Betriebsorganisationen (NSBO) in Kärnten, 1933 stellvertretender Gauleiter der NSDAP in Österreich, 1936 Stabsleiter der österreichischen Landesleitung der NSDAP, 12. März 1938 Ernennung zum Staatssekretär, 24. Mai 1938 Gauleiter der NSDAP in Wien, 1938 Mitglied des Reichstages, 1939 Standartenführer der SS-Standarte „Der Führer“, 09. November 1939 SSPF in Lublin, 01. September 1943 HSSPF „Adriatisches Küstenland“, Selbstmord am 31. Mai 1945 (Stockhorst 2000, 156). Walter Huppenkothen (geb. am 31. Dezember 1907 in Haan, gest. 1979 in Lübeck) war SSStandartenführer im Reichssicherheitshauptamt und kam als Leiter der Gestapo im Februar 1940 nach Lublin, später als KdS. In seine Verantwortung fiel das Lubliner Ghetto, in denen die verbliebene jüdische Bevölkerung gefangen gehalten wurde. Wildt (2008, 173) schrieb hierzu weiter, dass Globocnik allem Anschein nach Mitte Oktober 1941 durch Himmler den Auftrag erhielt, ein regionales Vernichtungslager in Belzec zu errichten. BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 219 und 220. BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 172. BArch, SSO Otto Gieseke, unpag. Gieseke befand sich zu dieser Zeit zur Kur in Badgastein, Haus Wetzelgut (BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 208). BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 211 (Im Dienstrang eines Oberst der Schutzpolizei). 94 das Hauptamt Ordnungspolizei, dass Gieseke für die Waffen-SS wieder freizugeben sei.499 Ab März 1944 war er in Riga als Befehlshaber der Ordnungspolizei stationiert.500 HSSPF in Riga war zu dieser Zeit der „Spezialist für die Endlösung im Osten“ (Smelser, Syring 2003, 267), Friedrich Jeckeln. Jeckeln war direkt verantwortlich für die Liquidierung des Rigaer Ghettos am 30. November 1941, bei dem 27.000 Juden ermordet wurden (Smelser, Syring 2003, 272-273). Bei der Räumung des Ghettos waren etwa 1.700 Männer der Ordnungspolizei, des SD und der lettischen Hilfspolizei beteiligt. Gieseke unterstand in den drei Monaten seiner Tätigkeit als BdO einem der größten Verbrecher der Shoah. Aus dem Führerhauptquartier wurde Gieseke am 10. Juni 1944 zum SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei ernannt501 und ab Juli 1944 als Führer beim Stab des SSOberabschnitts Fulda-Werra eingesetzt.502 Aufgrund seiner schlechten körperlicher Verfassung503 befand er sich im Oktober 1944 zuerst im SS-Lazarett Hohenlychen und folgend in ambulanter Behandlung in seiner Erfurter Wohnung.504 Eingesetzt im Oktober 1944 als Kommandeur des SS-Polizei-Regimentes 16, ist davon auszugehen, dass Gieseke seinen Dienst aufgrund seines Gesundheitszustandes nie antrat. Das SS-Polizeiregiment 16 war von Juli 1943 bis März 1945 zur Partisanenbekämpfung in Litauen und Belorussland eingesetzt. Im April 1944 hatten Angehörige dieses Regiments etwa 800 bis 900 jüdische Personen in Wilna erschossen. Ebenfalls konnte Einheiten dieses Regiments die Festnahme, Erschießung und Verbrennung von 80 Personen in einer Scheune in der Nähe von Lessina nachgewiesen werden (Klemp 2005, 320). Neben weiteren völkerrechtswidrigen Verbrechen wurden durch Angehörige des II. Bataillons im November 1944 in der Gegend von Ugale Dörfer vernichtet und deren Einwohner getötet (Klemp 2005, 320). Das SS-Polizeiregiment 16 befand sich ab 1945 im Kurlandkessel (Klemp 2005, 452). Der „Schreibtischtäter“ Himmler (Smelser, Syring 2003, 248) informierte sich persönlich im Dezember 1944 bei SS-Personalchef Maximilian v. Herff,505 ob Gieseke 499 500 501 502 503 504 BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 205. BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 203 und BArch, Personalfragebogen der Subsequent Proceedings Division. BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 174. BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 198. Bei einer ärztlichen Untersuchung im November 1944 wurde für Gieseke aufgrund seiner 20 prozentigen Kniebehinderungen eine leitende Innendienst-Stellung vorgeschlagen (BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 187). BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 191. 95 noch im Einsatz sei und ob er nicht als BdO oder Divisions-Kommandant zur Verfügung stände.506 Himmler, der strategisch als auch bei der Truppenführung des Ersatzheeres versagte (Smelser, Syring 2003, 250), schien auch als Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei den Überblick über sein Personal verloren zu haben. Die Versetzung von SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Gieseke in das SSPersonalhauptamt zur Führerreserve erfolgte am 25. Januar 1945. Als Führer der Allgemeinen-SS verblieb er jedoch beim Stab des SS-Oberabschnitts Fulda-Werra (in dessen Zuständigkeitsbereich auch die Stadt Erfurt lag).507 Gieseke wurde vom 29. Januar bis zum 10. April 1945 als kommissarischer Polizeipräsident in Erfurt eingesetzt508 und war zugleich Führer beim Stab des SS-Oberabschnitts Fulda-Werra.509 Die Tatsache, dass Ordnungspolizisten an der Shoah beteiligt waren, ist erwiesen. Bereits mit der Besetzung Polens wurden erste große Mordaktionen verübt. Die Teilnahme an der „Endlösung“ in Russland lässt keinen Zweifel mehr an der „Einsatzwirklichkeit von Polizeibataillonen im Vernichtungskrieg“ (Klemp 2005, 27). SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Otto Gieseke leistete mit seinen vielfältigen Verwendungen als Kommandeur von Polizeieinheiten im „Osteinsatz“ dabei seinen eigenen Beitrag. 5 Nachkrieg Unmittelbar nach der Kapitulation begann in Deutschland der langsame Wiederaufbau einer funktionierenden Judikative. Neben der bislang unbekannten Art und dem Ausmaß der verübten Verbrechen in der NS-Zeit standen zur Aufarbeitung der Taten nur wenige Ermittler der Polizei und der Staatsanwaltschaft zur Verfügung. Die Tatbestände von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit regelte das Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 und schloss die deutschen Gerichte bei der Verfolgung von Verbrechen gegen Angehörige der Alliierten aus (Rückerl 1979, 34). Diese waren einzig für die Verfolgung von Verbrechen, die Deutsche an Deutschen im Nationalsozialismus begingen, zuständig. Neben den Gerichten waren ab dem Jahr 1946 die sogenannten Entnazifizierungsbehörden zur Aufklärung und Ahn505 506 507 508 509 SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS v. Herff war ab Oktober 1942 Chef des SS-Personalhauptamtes. BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 193. BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 186. BArch, Personalfragebogen der Subsequent Proceedings Division, unpag. BArch, SSO Otto Gieseke, Bl. 189. 96 dung nationalsozialistischer Verbrechen eingesetzt (Rückerl 1979, 38). Es war dabei vorgesehen, dass anhand eines Fragebogens jeder erwachsene Deutsche auf seine Mitwirkung im nationalsozialistischen System geprüft werden sollte. Bei Vorliegen bestimmter Anhaltspunkte erfolgte durch Spruchkammern und Spruchgerichte eine Einstufung als Entlasteter, Mitläufer, Minderbelasteter, Belasteter oder Hauptschuldiger (Rückerl 1979, 39). Das Entnazifierungsverfahren geriet schnell an seine Grenzen. Das lag einerseits an den Durchführenden, die nicht den hohen Anforderungen gewachsen waren und andererseits an dem Verfahren an sich. Unrichtig ausgefüllte Fragebögen, Begünstigungen in Form von „Persilscheinen“510 und Denunziation (Rückerl 1979, 40) führten die Aufarbeitung zum ad absurdum. Der Rückkehr der noch lebenden Erfurter Polizeipräsidenten in das bürgerliche Leben stand, nachdem einige von ihnen in Internierungslagern waren und die SpruchkammerUrteile verbüßt hatten, nichts mehr entgegen. Zu weiteren Details aus dem Leben Werner v. Fichtes konnten keine Informationen gewonnen werden. Karl Pflomm tötete im April 1945 seine Familie und anschließend sich selbst. Alexander v. Woedtke511 befand sich zum Zeitpunkt der Kapitulation Deutschlands im Sudetenland und wurde dort durch eine russische Einheit verhaftet. Nach der Überlieferung an die Tschechoslowakei war er ab dem 11. Mai 1945 in Kriegsgefangenschaft und brach dort wenig später aus. Nach Deutschland unentdeckt zurückgekehrt, siedelte v. Woedtke mit seiner Schwester und seinen Kindern nach Göttingen über. In den Jahren 1945 bis 1953 lebte er in Göttingen512, Kepplerstraße 11 unter falschem Namen und war ab 1948 als Angestellter der Universität Bonn, Abteilung Frauenklinik, tätig. Ab dem Jahr 1954 registrierte er sich wieder unter seinem richtigen Namen und erhielt eine Pension nach dem Artikel 131 GG sowie eine Rente. Der „131er“,513 der im Jahr 1951 beschlossen wurde, sah nach einer zehnjährigen Dienstzeit als Beamter die Zahlung von Unterhalt und die Wiedereinstellung vor. Die Grundvoraussetzung hierfür 510 511 512 513 Wicke z.B. kamen Aussagen zuteil, dass er sich gegenüber der Bevölkerung, besonderes gegenüber Juden menschlich verhalten habe (HStAS, EA2/150 Heinz Wicke, Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Stuttgart vom 27. Dezember 1958, Az: 2S 185/56, S.26). Die folgenden Angaben stammen aus der Beschuldigtenvernehmung des Alexander von Woedtke am 21. Februar 1962 bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg (BArch B 162/6001, Bl. 213-214). V. Woedtke wohnte später in Göttingen, Goßlerstraße 51. Der Artikel 131 GG regelt die Rechtsverhältnisse derer, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen und verweist auf eine bundesgesetzliche Regelung. 97 war die Nichteinstufung als Hauptschuldiger und Belasteter im Entnazifizierungsverfahren (Klemp 2003, 767). In mehreren Ermittlungsverfahren wird v. Woedtke zwischen 1954 und 1967 als Zeuge und auch als Beschuldigter vernommen. Das gegen ihn gerichtete Verfahren514 wegen des Mordes an dem jüdischen Arzt Dr. Lindemann während der Röhmrevolte 1934515 wurde im Jahr 1972 eingestellt. Ebenfalls wurde ein Verfahren gegen den im Jahr 1960 an Kehlkopfkrebs erkrankten v. Woedtke, der für die rechtswidrige Erschießungen zahlreicher Personen durch den Selbstschutz in Polen im Herbst 1939 zumindest als mitverantwortlich galt, im Jahr 1965 eingestellt.516 Auch die Beschuldigung der Teilnahme an den Verbrechen in Sosnowitz ist später eingestellt worden.517 Heinrich Wicke war nach Kriegsende in verschiedenen Lagern der amerikanischen Besatzungszone interniert.518 Nach der Entlassung zog Wicke nach Tuttlingen. Dort erhielt er eine Stellung in den Chiron-Werke, wechselte nach etwa einem Jahr zur Firma Stihl und trat 1950 als Vertreter in die Efka-Werke ein, für die er bis 1960 tätig war. Am 07. Februar 1949 wurde er als Minderbelasteter durch einen Spruch der Zentralberufungskammer eingestuft und mit Sühnemaßnahmen belegt.519 In dem Spruch wurde festgestellt, dass Wicke wiederholt Gegner und Opfer des NS gefördert und unterstützt sowie auch Juden das Leben gerettet hat. Im Jahr 1950 wird durch Wicke ein Gnadengesuch an das Ministerium für politische Befreiung in Stuttgart, mit dem Ziel der Kürzung der Sühne von 4.000 DM auf 500 DM, gestellt.520 Der Sachbearbeiter stellt hierauf Folgendes fest:521 „Wicke habe eine Sühne von 4000 DM zu zahlen, wobei er bereits 350 DM einbezahlt hat. Wicke war interniert vom 31. Juli 1945 bis 09. April 1948. Er ist seit April 1950 arbeitslos und wird in seinem Alter schwer eine Stellung finden. Er hat durch Plünderungen den größten Teil seiner Habe verloren. Durch die 33-monatige Internierung habe er genug gesühnt. Wicke ist bereits bei der Festlegung der Wiedergutmachungsleistung vermögenslos gewesen und hatte auch nur ein ge- 514 Für eine Beteiligung v. Woedtkes am Mord Dr. Lindemanns reichen die Anhaltspunkte nicht aus (BArch, B 162/3919, Bl. 75). 515 Ermittlungsverfahren (5 Js 50/61) aus dem Jahr 1961 der StA Coburg im Fall Dr. Lindemann (BArch, B 162/3919, Bl. 44) sowie im Jahr 1967 durch die StA Göttingen (6 JS 128/66) (BArch, B 162/25652, unpag.). 516 BArch, B 162/3919, Bl. 221. 517 Es erfolgte ein Verfahren zur Mitwirkung des Polizeipräsidenten von Sosnowitz (AR-Z /68) (BArch B 162/7712 Bl. 1). 518 Internierung in: Heilbronn, Hohenasperg, Dachau, Ludwigsburg. 519 HStAS, EA2/150 Heinz Wicke, unpag. (Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Stuttgart vom 27. Dezember 1958, Az: 2S 185/56, S. 1-29). 520 HStAS, EA11/106 Heinz Wicke, Bl. 173. 521 HStAS, EA11/106 Heinz Wicke, unpag. (Bearbeitungsbogen der Gnadenabteilung). 98 ringes Einkommen aufzuweisen, wurde doch mit einer außergewöhnlichen Sühne belegt! Er hat Zahlungswillen bewiesen, jedoch ist es aufgrund seiner Einkommensverhältnisse unmöglich, den restlichen Verpflichtungen nachzukommen.“ In dem Bescheid wurde weiterhin erwähnt, dass Heinrich Wicke Juden im weitestgehenden Maße unterstützt und in vielen Fällen vor der Vernichtung bewahrt habe. Da eine dreijährige Internierung zurücklag, wurde eine Herabsetzung der Sühne auf 700 DM befürwortet.522 Das Ermittlungsverfahren gegen Heinrich Wicke wegen Beihilfe zur schweren Brandstiftung in der Reichspogromnacht, bei der die Synagoge in Heilbronn zerstört wurde, ist am 04. April 1961 eingestellt worden.523 Wicke wandte sich im Jahr 1957 an den Verwaltungsgerichtshof Stuttgart in seiner Streitsache gegen das Land Baden Württemberg, um die Anerkennung seiner Beamtenrechte als ehemaliger Polizeipräsident von Stuttgart geltend zu machen.524 Er klagte wegen der Nichtberücksichtigung aufgrund des §7 des Ausführungsgesetzes zu Artikel 131 Grundgesetz. Er berief sich darauf, dass er seine Ämter als Polizeichef in Heilbronn, Erfurt und Stuttgart streng unparteiisch geführt, keine Vorteile daraus gezogen und nicht gegen Gesetze, insbesondere nicht gegen die Menschlichkeit verstoßen habe.525 Die Berufung wird zurückgewiesen, da Wickes Ernennung in die Beamtenlaufbahn wegen dessen enger Verbindung zum Nationalsozialismus vorgenommen worden sei und „kann deshalb unberücksichtigt bleiben“.526 Man machte hier geltend, dass große Polizeidienststellen, wie etwa Heilbronn, nur SA- und SS-Führern vorbehalten gewesen seien. Alle Ernennungen erfolgten für Wicke durch seine politische Zuverlässigkeit, wegen seines hohen Ranges in der SS und seiner Eigenschaft als alter Kämpfer, so das Urteil. Heinz Wicke starb am 18. Oktober 1975 in Trossingen. Otto Gieseke befand sich seit dem 30. April 1945 in Kriegsgefangenschaft und war seit dem 27. August 1945 interniert.527 Klemp (2005, 323) vermerkte, dass es in 522 523 524 525 526 527 HStAS, EA11/106 Heinz Wicke, unpag. (Schreiben des Ministeriums für politische Befreiung, Gnadenabteilung- Stuttgart an Wicke). HStAS, EA2/150 Heinrich Wicke, unpag. (Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Heilbronn). HStAS, EA2/150 Heinrich Wicke, Bl. 35. HStAS, EA2/150 Heinz Wicke, unpag. (Einstellungsbescheid der Stadt Stuttgart vom 03. November 1955). HStAS, EA2/150 Heinz Wicke, unpag. (Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Stuttgart vom 27. Dezember 1958, Az: 2S 185/56, S. 1). Staatsarchiv München, Interniertenakten K2131 Otto Gieseke, unpag. Von August 1945 bis Mai 1946 wird er in Garmisch interniert, folgend bis September 1946 in Neu-Ulm. Es folgt nochmals das Lager Garmisch bis Mai 1947 und folgend das Freilager Dachau. Am 08. November 1947 wurde der Internierte 31G394284 wieder nach Garmisch gebracht. Seine 599 Reichsmark, welche er Ende Oktober 1947 von der Lagerleitung zur Herausgabe forderte, wurden nach Garmisch an das dortige Lazarett überwiesen. 99 „Deutschland wahrscheinlich keine Verurteilung von Tätern aus Reihen des SS-Polizeiregiments 16 gegeben“ hat. Otto Gieseke starb im Alter von 65 Jahren am 21. Juli 1958 in Hannover. 6 Schlussbetrachtung In den Kapiteln 2 und 3 wurde dargestellt, wie sich die Polizei im Nationalsozialismus entscheidend in ihrer Bedeutung veränderte und dabei der Wandel von einer Institution des Normenstaates hin zu der eines Maßnahmenstaates stattfand. Es ist erwiesen, dass die Ordnungspolizei seit Beginn der Machtübernahme Hitlers die Politik des Dritten Reiches aktiv mit getragen hat. Dabei diente sie dem NS-System bei der Bekämpfung des gesellschaftlich definierten „Gegners“ (Linck 2000, 337). Durch Untätigkeit bei offensichtlichen Rechtsverstößen durch SS und SA zeigte sich der Maßnahmenstaat. Ohne geltende Gesetze anzuwenden, verhalf die Polizei der nationalsozialistischen Politik zur Nutzung eines rechtsfreien Raumes. Neben den anfangs verfolgten politischen Gegnern wurde zunehmend rassisch und sozial minderwertig betrachtete Personen nachgestellt. Welzer (2007, 67) schreibt hierzu passend: „Die nationalsozialistische Moral erhebt die Auslöschung von Menschen in den Status einer moralischen Verpflichtung, behält aber andere tradierte Normen wie etwa des Diebstahlsverbot bei.“ Wie das gesamte NS-Herrschaftsgebilde, war auch das Erfurter Polizeipräsidium ständigen Veränderungen unterworfen. Unter dem polykratischen NS-System konnte eine Vielzahl an „Befehlsvorgesetzten“ dem Polizeipräsidenten in Erfurt Anweisungen erteilen, was eine Leitung dieser Polizeiverwaltung enorm erschwerte. Neben dem häufigen Wechsel von Polizeipräsidenten wandelten sich auch deren Aufgaben und Zuständigkeiten. War im Jahr 1933 der preußische Einfluss auf die Polizeiverwaltung noch relativ groß, änderte sich dies schlagartig mit der Verschmelzung von Polizei und SS ab dem Jahr 1936 und der „weltanschaulichen Führung“ unter Heinrich Himmler. Es war nun für die Karriere wichtig, der „Gottgläubigkeit“ beigetreten zu sein, persönlich einen Julleuchter verliehen zu bekommen oder Mitglied im Verein „Lebensborn“ zu sein. Die Nähe zu Himmler und die dadurch begünstigten „Blitzkarrieren“ waren typisch für diese Zeit. Die Erfurter Polizeiverwaltung geriet immer mehr in den Sog des zentralistisch ausgelegten NS-Staates. Mit der Verstaatlichung schwanden nach und nach die Kompetenzen der Polizeipräsidenten und der sich ausprägende Funktionswandel der Polizeiverwaltung Erfurt ist deutlich zu erkennen. 100 Die „Blumenstadt“ Erfurt verhielt sich im Nationalsozialismus wie andere deutsche Städte. Zu Beginn des Nationalsozialismus war das Leben in der Stadt bestimmt von zahlreichen Verhaftungen politischer Gegner des NS-Systems, von einem überwältigenden Maß an Denunziationsbereitschaft in der Bevölkerung und einer Überschwemmung mit rassistischer und antisemitischer Propaganda. Der nunmehr entstandene Garnisionsstandort Erfurt war während des Krieges hauptsächlich von Luftschutzmaßnahmen und der Produktion von Kriegsgütern, unter massivem Einsatz von Zwangsarbeitern, geprägt. In einer gegenüberstellenden Analyse wurde im Kapitel 4 der Versuch unternommen, fünf der acht amtierenden Polizeipräsidenten in Erfurt während der NS-Zeit ausführlich zu beschreiben. Aufgrund der vorgefundenen Aktenlage konnte so eine bisher noch nicht existierende Kollektivbiografie zu den Erfurter Polizeipräsidenten erstellt werden. Alle betrachteten Personen gehörten zur Alterskohorte der „Frontgeneration“, welche am Ersten Weltkrieg teilnahmen. Es konnte im Rahmen der Arbeit festgestellt werden, dass ein Großteil der untersuchten Personen keinerlei fachliche Ausbildung für das Amt eines Polizeipräsidenten genossen hatten – Pflomm, v. Woedtke und Wicke gelangten vor allem wegen der engen Verbindung zum Nationalsozialismus in die Leitung der Polizeiverwaltung Erfurt. Intelligenz und Fachwissen waren demnach keine Voraussetzung, um ein solch exponiertes Amt auszuüben. Waren nach der Machtübernahme Hitlers noch viele leitende Posten in Polizeiverwaltungen mit SA-Leuten besetzt, galt spätestens nach der Zentralisierung unter Himmler der SS-Führer als Garant für die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit. Der mit der „Röhm-Revolte“ entlassene Werner v. Fichte war ein exzellentes Beispiel für die Machtkämpfe um den „systemwichtigen“ Posten eines Polizeipräsidenten. Unter der „weltanschaulichen“ Führung Himmlers wurde die Polizei ab dem Jahr 1936 verstärkt nach dem Vorbild der SS organisiert und bestimmte Polizeipräsidien waren ausschließlich für SS-Führer vorbehalten. Ein Merkmal, das außer Otto Gieseke alle der ab 1936 amtierenden Präsidenten inne hatten, war die Eigenschaft des alten Parteigenossen der NSDAP und der frühen Mitgliedschaft in der SS. Die in enorm kurzem Zeitraum stattgefundenen Karrieren sind insbesondere durch die politische Zuverlässigkeit, des hohen Ranges in der SS und der Eigenschaft als „Alte Kämpfer“ erfolgt. Die Präsidenten haben sich durch ihre politische Qualifikation aus der Masse hervorgetan und wurden durch das Reichsministerium des Inneren entsprechend auf entscheidenden 101 Posten „untergebracht“. Dabei führten sie das unterstellte Personal im nationalsozialistischen Sinne. Es ist in diesem Zusammenhang festgestellt worden, dass während der Erfurter Amtszeit Funktionsmissbräuche, wie z.B. die willkürliche Schutzhaft an Oberbürgermeister a.D. Dr. Stegmann durch Karl Pflomm, vorlagen. Die Erfurter Polizeipräsidenten bewiesen in ihren Ämtern soldatische Härte und erhielten bis auf Wicke alle gewisse Bewährungschancen durch einen Kriegseinsatz im Ausland528 und waren dabei bereit, bei der „Ostkolonisation“ als Verantwortliche der „Endlösung“ mitzuwirken. Ob in Polizeiverwaltungen oder direkt in mobilen Polizeiverbänden eingesetzt, waren sie aufgrund ihrer hohen Stellung mitverantwortlich für die „Befriedung ganzer Landstriche“ und der damit verbundenen Verbrechen. In ihrer bedingungslosen Unterordnung gegenüber dem Nationalsozialismus entwickelten einige der beschriebenen Präsidenten, wie Pflomm und v. Woedtke, einen absoluten Antisemitismus. Die Analyse ergab ferner, dass für eigenhändige Tötungen bei keinem der Personen Anhaltspunkte festgestellt werden konnten. Aber durch ihre indirekte Beteiligung an der Vernichtungspolitik des NS-Regimes trugen sie in jedem Fall Mitverantwortung, denn das Schicksal der an die Gestapo ausgelieferten Personen war stets ungewiss. In der Einzelbetrachtung des SA-Obergruppenführers Werner v. Fichte wurde herausgefunden, dass dieser im Bund Wiking und der Organisation Consul frühzeitig seine rechtsradikale Karriere begann. Hiermit legte er den Grundstein für den Aufstieg in der SA zum Osaf-West und der späteren Verwendung als Polizeipräsident in Erfurt. V. Fichte war in den Jahren 1933 und 1934 aktiv an „Säuberungsaktionen“ gegen politische Gegner in Erfurt beteiligt. Bei der „Röhm-Revolte“ verhaftet und des Amtes enthoben, ist davon auszugehen, dass Hermann Göring ihn vor dem sicheren Tod bewahrte. Der hochdekorierte SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei, Karl Pflomm, lebte und tötete sich sowie seine Familie für die nationalsozialistische Weltanschauung. Pflomm schaffte trotz seiner spärlichen Bildung eine rasante Karriere in der SS. Während der Verschmelzung von SS und Polizei wurde er im Jahr 1936 durch Himmler als Polizeipräsident in Erfurt eingesetzt. Hier nutzte er insbesondere seine verantwortliche Position für die Einweisung jüdischer Bürger in Konzentrationslager aus. 528 Rabe v. Pappenheim, Werner v. Fichte, Albert Stange und Philipp Harte werden hierbei aufgrund ihres Ausscheidens aus dem Dienst bzw. der Nichtmitgliedschaft in der SS ausgenommen. 102 Der stattfindende Funktionswandel der Polizei ließ ihn später nicht unberührt: In der Folgeverwendung als Polizeipräsident in Dresden bemängelte er die Wegnahme der Kompetenzen durch den IdS. Nach seiner Ruhestandsversetzung im Jahr 1944 war er bis zu seinem Suizid in den REIMAHG-Werken Kahla tätig. Der kriminelle und zwielichtige SS-Oberführer Alexander v. Woedtke führte nur kurzzeitig die Erfurter Polizeiverwaltung. Als Polizeipräsident in Sosnowitz war er an Polizeieinsätzen zur Räumung des dortigen Ghettos beteiligt. Mit seiner Fähigkeit als guter Rethoriker gelangte SS-Oberführer Heinrich Wicke in die gehobenen Stellungen des Polizeichefs in Heilbronn, Erfurt und Stuttgart. Der für die Wahrnehmung dieses Amtes fachlich nicht geeignete Wicke zeichnete sich besonders durch seine unbedingte Systemhörigkeit aus. In den drei Jahren als Polizeipräsident in Erfurt erledigte er in der Hauptsache Aufgaben des Luftschutzes sowie der Fahndung nach flüchtigen Kriegsgefangenen. Positives Aufsehen bei seinen Vorgesetzten erregte er mit der Vereitelung des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 in Erfurt. SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Otto Gieseke war als Kommandant von Polizeieinheiten im Generalgouvernement sowie bei der Leningrader Blockade eingesetzt und erbrachte hiermit seinen Beitrag zur Shoah. Seine Amtszeit in Erfurt als Polizeipräsident dauerte von Januar 1945 bis zur Befreiung Erfurts durch amerikanische Einheiten. Für ihre Mitverantwortung an Verbrechen wurden die ehemaligen Polizeipräsidenten interniert und es fand eine Verfolgung der im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft stehenden Straftaten statt. Alle eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen die betrachteten Personen wurden eingestellt. 103 Abkürzungsverzeichnis BArch Bundesarchiv BDC Berlin Document Center BdO Befehlshaber der Ordnungspolizei BdS Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD Bl. Blatt d.h. das heißt geb. geboren gest. gestorben Gestapa Geheimes Staatspolizeiamt Gestapo Geheime Staatspolizei GG Grundgesetz HJ Hitlerjugend HStAStuttgart Hauptstaatsarchiv Stuttgart HSSPF Höherer SS- und Polizeiführer i.R. im Ruhestand IdO Inspekteur der Ordnungspolizei IdS Inspekteur der Sicherheitspolizei KdS Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD KPD Kommunistische Partei Deutschlands Kripo Kriminalpolizei KZ Konzentrationslager LKA Landeskriminalamt MfS Ministerium für Staatssicherheit Mitgl. Mitglied Mitgl.-Nr. Mitgliedsnummer Nr. Nummer NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeitspartei NSKK Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps OLG Oberlandesgericht Orpo Ordnungspolizei Osaf Oberster SA-Führer Pg. Parteigenosse der NSDAP 104 PK Parteikorrespondenz Pol. Polizei Rd.Erl. Runderlass RFSS Reichsführer SS RFSSuChdDtPol Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei RGBl. Reichsgesetzblatt RMdI Reichsministerium des Inneren RSHA Reichssicherheitshauptamt RuSHA Rasse- und Siedlungshauptamt SA Sturmabteilung SD Sicherheitsdienst Sipo Sicherheitspolizei SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel der NSDAP SSO SS-Officer SSPF SS- und Polizeiführer StA Staatsarchiv Stapo Staatspolizei StPO Strafprozessordnung ThHStAW Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar ThStAGO Thüringer Staatsarchiv Gotha u.a. unter anderem unpag. unpaginiert z.B. zum Beispiel 105 Literaturverzeichnis Arendt, Hannah 1955: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt am Main (Europäische Verlagsanstalt GmbH). Arendt, Hannah 1963: Über die Revolution. München (R. Piper & Co. Verlag). Aronson, Shlomo 1971: Reinhard Heydrich und die Frühgeschichte von Gestapo und SD. Stuttgart (Deutsche Verlags-Anstalt GmbH). Bader, Kurt Dr. 1943: Aufbau und Gliederung der Ordnungspolizei. Berlin (Verlag für Recht und Verwaltung GmbH). 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Gieseke: ThHStAW, NS-Archiv des MfS ZD 9181, Akte 1 Bl. 3. 113 Anhang 1-6 Verzeichnis der Anhänge: Anhang 1: Aufbau der SS (Stand Sommer 1940)…………………….. 115 Anhang 2: Aufbau der deutschen Polizei (Stand Sommer 1940)…….. 116 Anhang 3: Das preußische Thüringen 1944 - 1945…………………... 117 Anhang 4: Der Regierungspräsident in Erfurt, Dr. Weber………….... 118 Anhang 5: Das Polizeipräsidium Erfurt im Jahr 1925………….......... 118 Anhang 6: Biografischer Anhang der Polizeipräsidenten Erfurt ……. 119 Hermann Rabe von Pappenheim…………………………. 119 Werner von Fichte……………………………………....... 121 Franz Albert Stange………………………………………. 123 Philipp Harte…………………………………………....... 125 Karl Pflomm……………………………………………… 127 Alexander von Woedtke…………………………………... 133 Heinrich (Heinz) Wicke………………………………....... 136 Otto Gieseke……………………………………………… 139 114 Anhang 1: Aufbau der SS (Stand Sommer 1940) Best (1940, 98) 115 Anhang 2: Aufbau der deutschen Polizei (Stand Sommer 1940) Best (1940, 99) 116 Anhang 3: Das preußische Thüringen 1944 - 1945 (Erstellt durch Dr. Boblenz,ThHStA Weimar) Thüringer Landtag (2001, 42) 117 Anhang 4: Der Regierungspräsident in Erfurt, Dr. Weber (rechts dahinter: Heinrich Wicke) Stadtarchiv Erfurt, 1-2/009-25, Bl. 43. Anhang 5: Das Polizeipräsidium Erfurt im Jahr 1925 Stadtarchiv Erfurt, Bildarchiv. 118 Anhang 6: Biographischer Anhang der Polizeipräsidenten Erfurt 1933-1945 Rabe von Pappenheim, Hermann Regierungsrat geboren: gestorben: nicht bekannt nicht bekannt 1918 bis 1919 Landrat in Landkreis Schweinitz (preußische Provinz Halle-Merseburg, Regierungsbezirk Merseburg, umfasste 113 Gemeinden. Sitz der Verwaltung war die Stadt Herzberg (Elster). Wohnanschrift: Erfurt, Hohenzollernstraße 12E Wohnanschrift: Dahlbergsweg 18 Dezernent in der Präsidial-Abteilung des Regierungspräsidenten in Erfurt als Leiter des Politischen- und Polizeidezernates Polizeipräsident in Erfurt 1926 bis 1928 1930 1931 bis 1933 bis September 1933 Quellen - ThStAGO, Regierung zu Erfurt 27487 - ThStAGO, Regierung zu Erfurt 26415 - ThStAGO, Regierung zu Erfurt 30649 - http://www.territorial.de/hallmers/schweini/landkrs.htm (letzter Zugriff 12. Juli 2009) Literatur - Wolf, Helmut 2005: Erfurt im Luftkrieg 1939-1945. Jena (Glaux Verlag Christine Jäger KG). - Gebrüder Richters 1926: Einwohnerbuch der Stadt Erfurt 1926. 68. Aufl.. Erfurt (Gebrüder Richters Verlagsgesellschaft). - Gebrüder Richters 1928: Einwohnerbuch der Stadt Erfurt 1928. 70. Aufl.. Erfurt (Gebrüder Richters Verlagsgesellschaft). - Gebrüder Richters 1930: Einwohnerbuch der Stadt Erfurt 1930. 72. Aufl.. Erfurt (Gebrüder Richters Verlagsgesellschaft). 119 Fichte, Werner von Polizeipräsident und SA-Obergruppenführer NSDAP-Nr.: 98.474 geboren: gestorben: 04. Mai 1896 in Kassel nicht bekannt 1. Ernennungen 1914 1915 19. Dezember 1915 20. Juli 1933 22. September 1933 Fahnenjunker Fähnrich Leutnantspatent Beförderung zum SA-Obergruppenführer Ernennung zum Polizeipräsident von Erfurt 2. Lebenslauf Vater: Georg, Generalleutnant a.D. in Göttingen, zuletzt Kommandant des Schießplatzes Wahn Mutter: Charlotte, geb. Rindfleisch, Göttingen 1905 bis 1906 Gymnasium in Straßburg 1906 bis 1907 Gymnasium in Breisach 1907 bis 1908 Kadettenhaus Karlsruhe 1909 bis 1912 Kadettenhaus Bensberg 1913 bis 1914 Hauptkadettenanstalt Groß-Lichterfelde bei Berlin 19. Dezember 1915 Leutnantspatent 04. Oktober 1914 Eintritt in das Fuß.Artl.Regt. Nr. 18 in Mainz Teilnahme an Stellungskämpfen um Verdun 1915 Kommandierung zur Militärfliegerschule Schneidemühl 1916 bei Absturz mit Flugzeug verletzt 1916 Flugleiter an der Kampfeinsitzerschule Paderborn 1917 Kampfeinsatz in der Fliegerstaffel 9 Schlacht bei Gaza in Mittelpalästina Juni 1917 bei erneutem Flugzeugabsturz verletzt ab September 1917 Jagdfliegereinsatz bis Kriegsende 1918 bis 1920 Teilnahme an Freikorpskämpfen im Osten Stellungskämpfe in Lothringen und in den Vorgesen Mitglied der Marine-Brigade Ehrhardt November 1920 in das 100.000-Mann-Heer übernommen Waffenschullehrgang der Artillerie-Schule Jüterbog Dezember 1920 Ordonanzoffizier beim Regimentsstab 1920 bis 1922 Leutnant im Reichswehr Artl.Regt. 1, Königsberg 31. Dezember 1922 wegen Dienstunfähigkeit Abschied erteilt 120 Sommer 1923 bis 1928 01. September 1928 Juni 1930 09. August 1930 November 1932 bis Mai 1933 19. Mai 1933 22. September 1933 bis 01. Juli 1934 20. November 1933 20. Februar 1934 01. Juli 1934 07. Juli 1934 16. Juli 1934 30. August 1934 12. Januar 1935 12. Januar 1935 April 1937 führte den Bund Wiking Westdeutschland und leitete später den Nationalclub, die illegale Fortführung des Bundes Wiking Westdeutschland, vorher Mitglied in der Organisation Consul (OC) Eintritt in die NSDAP (Nr.: 98.474) und in die SA Osaf-Stellvertreter West, später SA-Gruppenführer Heirat mit Ehrengard, geb. Graemenitz, in Bautzen (Sachsen), die Ehe blieb kinderlos Inspekteur der SA und der SS in München stellvertretender Polizeipräsident von Erfurt Polizeipräsident von Erfurt Wechsel der NSDAP-Mitgliedschaft von der Ortsgruppe Kassel zur Ortsgruppe Erfurt, mit gleichzeitiger Verleihung des goldenen Ehrenzeichens für alte Parteimitglieder Zuordnung zur Sektion Reichsleitung in Berlin von Göring persönlich verhaftet und in das KZ Lichtenburg eingeliefert Ausschluss aus der SA auf Befehl Adolf Hitlers wieder in Erfurt in den einstweiligen Ruhestand versetzt Zuordnung zur Ortsgruppe der NSDAP Koblenz Wohnanschrift: Koblenz, Beethovenstr. 7, Privatwohnung des Präsidenten v. Ditfurth Wohnanschrift: Berlin-Lichterfelde, Bernerstraße 49 3. Literatur von Werner von Fichte 1934 Morgentor der Freiheit. Eine Dichtung aus deutschen Schicksalstagen. Erfurt (Mitteldeutsche VerlagsAktien-Gesellschaft). 1934 Die Sage des Petersklosters zu Erfurt. Erfurt (Mitteldeutsche Verlags-Aktien-Gesellschaft). 1941 Der Spukflieger. Berlin-Lichterfelde (Junge Generation Verlag). 4. Auszeichnungen Eisernes Kreuz II. Klasse Eisernes Kreuz I. Klasse Flugzeugführerabzeichen Eiserner Halbmond I und II Bronzenes Sportabzeichen Ehrenzeichen für Frontkämpfer Goldenes Ehrenzeichen der NSDAP Quellen - ThStAGO, Regierung zu Erfurt Nr. 10788 (Personalakte Werner von Fichte) - BArch, PK RSK Werner von Fichte 121 - BArch, PK Werner von Fichte BArch, Personalfragebogen der Subsequent Proceedings Division, Werner von Fichte http://de.wikipedia.org/wiki/Marine-Brigade_Ehrhardt#Bekannte_Mit glieder (letzter Zugriff vom 20. Juli 2009) Bildquelle - Bild Nr. 62 aus: Orientalische Cigaretten-Compagnie "Rosma" GmbH (Hrsg.) 1934: Männer im Dritten Reich. Bremen (Cigaretten-Compagnie Rosma). Literatur - Meinl, Susanne 2000: Nationalsozialisten gegen Hitler. Die nationalrevolutionäre Opposition um Friedrich Wilhelm Heinz. Berlin (Siedler Verlag). 122 Stange, Franz Albert Staatsrat geboren: gestorben: 1. Ernennungen 11. Juli 1933 17. Januar 1899 in Plaue (Thüringen), evangelisch nicht bekannt Ernennung durch den preußischen Ministerpräsidenten zum Staatsrat, mit dem besonderen Attribut „Vertreter des Kanzlers“ 2. Lebenslauf April 1914 bis Januar 1916 Januar 1916 April 1918 1918 bis 1919 1919 1919 1921 November 1921 1921 1922 05. November 1922 1922 bis 1929 1926 1929 1926 bis 1933 1933 Bürgerschule in Erfurt, anschließend Lehrling (Versicherungsfach) Unteroffizier-Vorschule Sigmaringen Unteroffizierschule Treptow a. Rega, anschließend Militärdienst im Infanterie-Regiment 71 Infanterie-Regiment 467 ins Feld Freiwilliges Landesjägerkorps (Freikorps-Kämpfe in Berlin und Mitteldeutschland, 1920 Gotha, 1921 Eisleben und Leunagebiet) Eintritt in die Sicherheitspolizei Mitteldeutschland Kommando Erfurt Eintritt in den „Stahlhelm“ nach Abschluss der Freikorps-Kämpfe ausgeschieden, anschließend Arbeiter in den Kohlengruben im Geiselthal Eintritt in den Thüringer Polizeidienst aus politischen Gründen entlassen Eintritt in den Wikingbund Mitbegründer der Ortsgruppe Erfurt der NSDAP Propagandaleiter der NSDAP in Erfurt Bahnunterhaltungsarbeiter, Gärtnereiarbeiter und Büroarbeiter in Erfurt Untergau- und Bezirksleiter der NSDAP Bürovorsteher beim Mitteldeutschen Handwerkerbund, Geschäftsführer des Gaukampfbundes für den Gewerblichen Mittelstand in Erfurt Vizepräsident der Handwerkskammer für den Regierungsbezirk Erfurt und den Kreis Schmalkalden 123 01. Juli 1933 Juli 1933 Oktober 1933 bis 1935 August 1934 bis November 1934 November 1934 bis Oktober 1935 Oktober 1935 ehrenamtlicher Staatskommissar für die Wirtschaft im Regierungsbezirk Erfurt als Vertreter des „Kanzlers“ in den Staatsrat berufen Mitglied des Staatsschuldenausschusses in Berlin Beauftragung als stellvertretender Polizeipräsident in Erfurt vertretungsweise mit der Verwaltung der Stelle des Polizeipräsidenten in Harburg-Wilhelmsburg beauftragt Auftrag widerrufen und spätestens zu diesem Zeitpunkt kein Amt als Staatsrat mehr inne Bildquelle - Sauckel, Fritz 1934: Kampf und Sieg in Thüringen. Weimar (Verlag der Thüringischen Staatszeitung). Literatur - Stockhorst, Erich 1998: 5000 Köpfe. Wer war was im 3. Reich. 3. Aufl.. Sonderausgabe 2000 als unveränderter Nachdruck. Kiel (Arndt Verlag). - Lilla, Joachim 2005: Der Preußische Staatsrat 1921-1933. Ein biografisches Handbuch. Düsseldorf (Verlag Droste). 124 Harte, Philipp NSDAP-Nr.: 813.553 geboren: gestorben: 31. Oktober 1875 nicht bekannt 1. Ernennungen 1908 1915 1923 Regierungsassessor Regierungsrat Oberregierungsrat 2. Lebenslauf 01. Oktober 1902 bis 30. September 1903 03. Oktober 1903 bis 05. Oktober 1905 05. Oktober 1905 bis 30. September 1919 02. August 1914 bis 24. November 1918 1914 1916 1916 1918 1918 24. September 1918 21. Juni 1917 1919 bis 01. Dezember 1931 01. Oktober 1919 bis 11. Juni 1933 1931 1933 26. Juli 1933 01. November 1934 bis 08. Juli 1936 Militärdienst im Justizdienst als Gerichtsreferendar Regierungsreferendar, danach Regierungsassessor und Regierungsrat Militärdienst Einsatz in Belgien und Luxemburg Teilnahme an Stellungskämpfen in Russland Kommandeur der Magazin-Fuhrpark-Kolonne 81 bei der 81. Armee Teilnahme an Stellungskämpfen in der Champagne Rittmeister der Reserve, Infanterie-Regiment 447 Kommandeur der 232. Infanterie-Division Geburt der Tochter Ursula Harte Mitglied der Deutschnationalen Partei Reichsfinanzverwaltung Angehöriger des Reichsbundes der höheren Beamten Angehöriger des Bundes der Akademischen Finanzbeamten Eintritt in die NSDAP Mitgl.-Nr: 813.553 Tätigkeiten in verschiedenen Finanzämtern Landrat in Osterburg und Quedlinburg kommissarische Verwaltung der Polizeidirektion in Quedlinburg Angehöriger des Kameradschaftsbundes Deutscher Polizeibeamter Angehöriger des Nationalsozialistischen Juristenbundes Beauftragung als stellvertretender Polizeipräsident in Erfurt Wohnanschrift: Erfurt, Preßburger Straße 35 125 22. Dezember 1934 bis 02. Januar 1935 02. Juni 1936 08. Juli 1936 01. Oktober 1936 01. Juli 1939 stillschweigende Dienstbefreiung Antrag auf dauernden Ruhestand beim Reichs- und Preußischen Minister des Innern vorläufiger Ruhestand dauernder Ruhestand Folgende Daten sind aufgrund einer parteistatistischen Erhebung der NSDAP erhoben worden: 1. Wohnort - Gem. Berg am Starnberger See, Oberbayern, Haus 82 2. Tätigkeit als ehrenamtlicher Schulungsleiter innerhalb der Wohn-Ortsgruppe 3. Uniform des N.S.K.K wird getragen 4. Unterschrift als Polizeipräsident i.R. 3. Auszeichnungen 27. September 1918 Eisernes Kreuz II. Klasse Eisernes Kreuz I. Klasse Quellen - ThStAGO, Regierung Erfurt Nr. 7272 (Philipp Harte) - BArch, PK D0394 Literatur - Gebrüder Richters 1935: Einwohnerbuch der Stadt Erfurt 1935. 75. Aufl.. Erfurt (Gebrüder Richters Verlagsgesellschaft). 126 Pflomm, Karl Albert Julius SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei NSDAP-Nr.: 304.896 SS-Nr.: 2.913 geboren: gestorben: 1. Ernennungen 1917 17. August 1930 20. August 1930 21. November 1930 21. Januar 1931 21. Mai 1931 23. November 1933 29. Dezember 1934 22. April 1936 23. April 1936 14. Mai 1936 17. Oktober 1939 09. November 1942 31. Juli 1886 in Reutlingen (Württemberg) 16. April 1945 in Hummelshain (Suizid) Unteroffizier d. R. SS-Mann SS-Truppführer (mit Wirkung vom 17.08.1930) SS-Sturmführer (mit Wirkung vom 18.11.1930) SS-Sturmbannführer SS-Standartenführer (mit Wirkung vom 15. Mai 1931) SS-Oberführer (mit Wirkung vom 09. November 1933) Staatsrat SS-Brigadeführer (mit Wirkung vom 20. April 1936) Kommissarischer Polizeipräsident Polizeipräsident Leutnant der Landwehr a.D. (mit Wirkung vom 27.08.1939) Genehmigung zum Anlegen der Achselstücke eines Generalmajors der Polizei 2. Lebenslauf 1887 1892 bis 1894 1894 1894 bis 1900 1900 bis 1904 Vater: Schreiner Karl Wilhelm Adalbert Pflomm (geboren am 30. Januar 1864 in Hechingen; gestorben am 17. April 1894 in Allegheney/USA) Mutter: Rosine „Rosa“ Magdalene, geborene Wucherer, (geboren am 17. April 1856 in Reutlingen; gestorben am 27. September 1913 in Tübingen) Übersiedlung der Familie (Eltern und drei Kinder) in die USA deutsche und englische Schule in Pittsburg (USBundesstaat Pennsylvania) nach dem Tod des Vaters (schwere Lungenentzündung) nach Deutschland mit seiner Mutter und den Geschwistern zurückgekehrt Volksschule in Reutlingen Lehre als Bau- und Kunstglaser (Glasbläser) 127 1904 bis 1911 1911 bis Dezember 1914 21. Februar 1914 Dezember 1914 Dezember 1914 bis April 1915 06. Januar 1915 April 1915 bis 20. Januar 1919 20. Januar 1919 April 1919 bis März 1923 20. November 1922 April 1923 bis Juni 1929 Juni 1929 Juli 1929 bis Januar 1930 Januar 1930 17. August 1930 17. August 1930 17. August 1930 20. August 1930 01. September 1930 18. November 1930 bis 21. Januar 1931 September 1930 21. Januar 1931 bis 19. März 1931 19. März 1931 bis 21. Mai 1931 21. Mai 1931 bis 23. März 1932 17. Oktober 1931 bis 18. Oktober 1931 13. November 1931 23. März 1932 23. März 1932 01. Januar 1933 als Handwerksgeselle in der Schweiz und verschiedenen Gegenden Deutschlands tätig Glasschleifer in einer Glasschleiferei und Spiegelfabrik in Stuttgart erste Eheschließung zum Heeresdienst eingezogen im Ersatz-Bataillon des Grenadier-Regiments „Königin Olga“ (1. Württembergisches) Nr. 119 (Stuttgart) Geburt der Tochter Hedwig aus erster Ehe Frontsoldat in der 9. Kompanie des LandwehrInfanterie-Regiments 126, dreimal leicht verwundet aus dem Heeresdienst entlassen Betriebsleiter einer Glasschleiferei in Stuttgart Eintritt in die NSDAP Inhaber und Betriebsleiter einer Glasschleiferei und Spiegelfabrik in Stuttgart Verkauf seines Geschäftes „Besuchsreise nach Nordamerika“ Rückkehr nach Deutschland Anmeldung zum Wiedereintritt in die NSDAP Eintritt in die SS (Mitgliedsnr. 2.913) Gründer der SS in Stuttgart (mit 12 Mann) mit Wirkung vom 17.08.1930 mit der Führung des SSSturms 13 (Stuttgart) beauftragt Wiederaufnahme in die NSDAP (Mitgliedsnr. 304.896) Führer des SS-Sturms 13 (Stuttgart) Scheidung der ersten Ehe Führer des SS-Sturmbanns I/13 (Stuttgart) beauftragt mit der Verwaltung der 13. SS-Standarte (Stuttgart) beauftragt mit der Führung der 13. SS-Standarte (Stuttgart) Teilnehmer am SA-Treffen in Braunschweig auf einer Dienstfahrt von Stuttgart nach München durch Autounfall (infolge „Müdigkeit des Fahrers“) verletzt (schwere Kopfverletzung), anschließend fünf Monate Krankenlager Übernahme als hauptamtlicher SS-Führer mit Wirkung vom 21. März 1932 seiner Dienststellung als Führer der 13. SS-Standarte enthoben und zum Stabsführer des SS-Abschnitts X (Stuttgart) ernannt als Parteigenosse der Sektion Reichsleitung München zugeteilt 128 26. Januar 1933 bis 06. März 1933 06. März 1933 bis 20. April 1933 20. April 1933 20. April 1933 bis 15. Februar 1934 12. Juni 1933 bis 15. Februar 1934 30. November 1933 15. Februar 1934 bis 01. Januar 1937 12. Mai 1934 16. Juni 1934 bis 17. Juni 1934 27. Oktober 1934 18. Dezember 1934 29. Dezember 1934 bis 12. April 1945 29. März 1936 bis 15. April 1945 23. April 1936 14. Mai 1936 14. Mai 1936 bis 13. April 1937 27. Mai 1936 26. Juni 1936 01. Januar 1937 bis 15. April 1945 01. Januar 1937 bis 11. Oktober 1941 06. April 1937 kommandiert zur Dienstleistung zum SS-Abschnitt IX als Stabsführer des SS-Abschnitts IX (Kulmbach) abkommandiert als Stabsführer des selbstständigen SSAbschnitts XVIII (Weimar) zum SS-Abschnitt XVIII versetzt Stabsführer des SS-Abschnitts XVIII zugleich Führer der 47. SS-Standarte (Gera) zugleich mit Wirkung vom 25.11.1933 mit der Führung des SS-Abschnitts XVIII beauftragt Führer des SS-Abschnitts XVIII Eheschließung in Weimar mit Anni Auguste Hedwig, geborene Lüddecke, (geboren am 12.09.1911 Oker/Harz; Tochter eines Land- und Gastwirts) Teilnehmer des Gauparteitages der NSDAP 1934 in Gera Austritt aus der ev. Kirche, danach gottgläubig Geburt des Sohnes Dietrich aus der Ehe mit Anni Pflomm, geb. Lüddecke ehrenamtlicher Thüringischer Staatsrat und Mitglied der Thüringischen Regierung Mitglied im Reichstag (Wahlkreis 12, Thüringen) Eintritt in den thüringischen Staatsdienst als kommissarischer Polizeipräsident in Weimar unter Berufung in das Beamtenverhältnis definitiv zum Polizeipräsidenten im thüringischen Landesdienst ernannt Polizeipräsident in Weimar Amtseinführung als Polizeipräsident durch seinen Amtsvorgänger, den nunmehrigen Staatssekretär Dr. Walter Ortlepp Geburt der Tochter Ingrid aus der Ehe mit Anni Pflomm SS-Führer im SD-Hauptamt (ab 01. Oktober 1939 RSHA) Enthebung vom Posten des Führers des SS-Abschnitts XVIII als SS-Führer im SD dem Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD (IdS) in Kassel zugeteilt mit Zustimmung des Preußischen Ministerpräsidenten vom Reichs- und Preußischen Minister des Inneren mit sofortiger Wirkung unter Berufung in das Beamtenverhältnis mit Wirkung vom 01. April 1937 in den preußischen Landesdienst versetzt und zugleich aus dem thüringischen Landesdienst ausgeschieden 129 13. April 1937 28. Mai 1937 13. April 1937 bis 08. November 1939 21. April 1937 06. Juli 1937 18. September 1938 03. Dezember 1938 08. November 1939 bis 05. Juni 1940 12. Dezember 1939 05. Juni 1940 27. November 1940 11. Oktober 1941 27. März 1941 03. März 1943 27. März 1944 31. August 1944 05. Oktober 1944 25. November 1944 28. Januar 1945 seiner Dienststellung als Polizeipräsident in Weimar enthoben, aus dem thüringischen Staatsdienst entlassen und zugleich in den preußischen Landesdienst übernommen Umzug nach Erfurt, Bechsteinstraße 4 Polizeipräsident in Erfurt (mit Wirkung vom 01. April 1937), zugleich örtlicher Luftschutzleiter in Erfurt Dienstantritt als Polizeipräsident in Erfurt Geburt des Sohnes Heinrich-Bernhard Hermann aus der Ehe mit Anni Pflomm Geburt des Sohnes Rüdiger Adalbert aus der Ehe mit Anni Pflomm zur Dienstleistung in das Sudetenland abgeordnet und mit dem Aufbau der Polizeiverwaltung in Aussing beauftragt (11. Dezember 1938 Dienstantritt) kommissarischer Polizeipräsident in Dresden Umzug von Erfurt, Bechsteinstraße 4 nach Dresden, Müller-Berset-Straße 20 Ernennung zum Polizeipräsidenten in Dresden, zugleich örtlicher Luftschutzleiter und Chef der Kriminalpolizei in Dresden Umzug von Dresden, Müller-Berset-Straße 20 nach Dresden-Blasewitz, Prellerstraße 14 als SS-Führer im SD vom IdS Kassel zum IdS Dresden versetzt Geburt der Tochter Siegrun aus der Ehe mit Anni Pflomm Geburt des Sohnes Karlheinz Friedrich aus der Ehe mit Anni Pflomm als Polizeipräsident durch Walther Oberhaidacher abgelöst Himmler schlägt Pflomm in einem Brief vor, „an der Südfront die Aufsicht über einen Teil des Stellungsbaus zu übernehmen“ Pflomm bittet Himmler in seinem Antwortschreiben aufgrund seines Gesundheitszustandes um eine Verwendung in Dresden: „Gruppenführer v. Alvensleben versicherte mir außerdem schon einige Male, daß er mich jederzeit unterbringen könnte und für mich sorgen würde.“ als Polizeipräsident offiziell in den Ruhestand versetzt, danach Hauptbetriebsobmann und Sicherheitsinspekteur (Führer des SS-Wachpersonals) der REIMAHG-Werke bei Kahla in Thüringen die Inspektion mit Pflomm wird auf Anordnung von Gauleiter Sauckel (in dessen Eigenschaft als Stiftungsführer der NS-Industriestiftung „Wilhelm-GustloffWerke“) dem Zentralbüro REIMAHG angegliedert 130 15. März 1945 12. April 1945 16. April 1945 in seiner Eigenschaft als Hauptbetriebsobmann der REIMAHG werden ihm mit Wirkung vom 10.03.1945 die Oberlagerführer von Bau und Fertigung direkt unterstellt Einmarsch der US-Truppen in den Raum Kahla Pflomm erschießt seine Ehefrau und sechs seiner sieben Kinder im Alten Schloss Hummelshain in der Nähe der REIMAHG-Werke bei Kahla und anschließend sich selbst. Mit der Familie tötete er auch die Kinderpflegerin Lieselotte Schwarz, geboren am 16. August 1926 in Dresden. 3. Auszeichnungen 1931 Februar 1934 1935 16. Dezember 1935 November 1939 04. August 1941 01. Mai 1942 Eisernes Kreuz II. Klasse Eisernes Kreuz I. Klasse Verwundetenabzeichen in Schwarz Silberne Württembergische Militärverdienstmedaille Goldene Württembergische Militärverdienstmedaille SS-Zivilabzeichen (Nr. 271) Braunschweiger Abzeichen Winkel für alte Kämpfer Ehrenkreuz für Frontkämpfer Ehrenzeichen „Silberner Gauadler“ des Gaues Thüringen der NSDAP Totenkopfring der SS Ehrendegen des RFSS Ehrendolch der SS Julleuchter der SS SA-Sportabzeichen in Bronze Medaille zur Erinnerung an den 01. Oktober 1938 Dienstauszeichnung der NSDAP in Silber Dienstauszeichnung der NSDAP in Bronze Luftschutz-Ehrenzeichen 2. Stufe Kriegsverdienstkreuz II. Klasse ohne Schwerter Quellen - BArch, PK J78 Karl Pflomm - BArch, RuSHA Karl Pflomm - BArch, SSO Karl Pflomm - BArch, Personalfragebogen der Subsequent Proceedings Division - Kreisarchiv Saale-Holzland-Kreis, Gemeindebestand Hummelshain Bildquelle - HStAStuttgart, M709 Nr. 1147 Literatur - Schulz, Andreas; Zinke, Dieter 2008: Die Generale der Waffen-SS und der Polizei. Die militärischen Werdegänge der Generale, sowie der Ärzte, Veterinäre, Intendanten, Richter und Ministerialbeamten im Generalsrang. Band 3. Bissendorf (Biblio-Verlag). 131 - - Stockhorst, Erich 1998: 5000 Köpfe. Wer war was im 3. Reich. 3. Aufl.. Sonderausgabe 2000 als unveränderter Nachdruck. Kiel (Arndt Verlag). Wilhelm, Friedrich 1999: Die Polizei im NS-Staat. Die Geschichte ihrer Organisation im Überblick. 2. Aufl.. Paderborn, München, Wien u.a. (Schöningh Verlag). Gebrüder Richters 1938: Einwohnerbuch der Stadt Erfurt 1938. 78. Aufl.. Erfurt (Gebrüder Richters Verlagsgesellschaft). 132 Woedtke, Alexander von SS-Oberführer, Hauptmann d.R. a.D. NSDAP-Nr.: 294.710 SS-Nr.: 11.629 geboren: gestorben: 1. Ernennungen 18. August 1908 25. September 1931 06. Dezember1931 31. Juli 1932 22. März 1934 26. Mai 1934 20. April 1943 02. September 1889 in Berlin unbekannt Leutnant Hauptmann der Reichswehr SS-Sturmführer SS-Hauptsturmführer SS-Sturmbannführer SS-Obersturmbannführer SS-Standartenführer SS-Oberführer 2. Lebenslauf bis 1899 01. April 1900 1905 1907 1908 1914 bis 1918 1918 bis 1930 1918 1930 01. September 1930 28. Februar 1931 27. Februar 1931 25. September 1931 bis 31. Juli 1932 August 1932 bis 01. Februar 1933 Vater: Erich Woedtke, Präsident des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherungen in Berlin wächst mit vier Geschwistern auf Volksschule Eintritt in das Preußische Kadettenkorps Hauptkadettenanstalt Berlin-Lichterfelde Fähnrichsexamen Kriegsschule in Danzig, Offiziersexamen Kriegseinsatz: Garde Grenadier Regiment 6 als Hauptmann Freikorps: Grenzschutz Pommern Übernahme des Familiengutes in Schlawe / Pommern Umzug nach Drossen in der Neumark, Errichtung einer Geflügelfarm Mitglied der NSDAP (Mitglieds-Nr. 294.710) Beauftragung mit der Aufstellung einer SS-Einheit in Drossen und der Aufstellung von SS-Einheiten zwischen Frankfurt/Oder und der polnischen Grenze Mitglied der SS (Mitglieds-Nr. 11.629) Führer des Sturmbannes II der 27. SS-Standarte Führer des Sturmbannes V der 8. SS-Standarte 133 01. Februar 1932 bis 08. Dezember 1933 08. Dezember 1933 bis 20. März 1935 02. Juni 1934 bis 05. Juni 1934 23. Juni 1934 10. Oktober 1934 bis 19. Oktober 1934 20. März 1935 bis 01. März 1936 03. April 1935 01. März 1936 bis 26. August 1936 ab 26. August 1936 26. August 1936 – 01. Januar 1942 10. Februar 1937 23. Februar 1937 Juli 1937 September 1939 07. November 1939 01. März 1940 bis 14. Oktober 1940 seit dem 15. Oktober 1940 10. Juli 1941 bis 1945 01. Januar 1942 bis 01. März 1942 01. März 1942 bis 1945 08. März 1945 11. Mai 1945 Juni 1945 1945 bis 1953 1948 bis 1954 1961 1961 Führer der 8. SS-Standarte Liegnitz Führer der 70. SS-Standarte Glogau Führerschule Schedlitz Eheschließung mit Luise Charlotte, geborene Dehne, geboren am 09. Juli 1905 in Gera Führerschule Schedlitz Führer der 9. SS-Standarte Stettin Geburt des Sohnes Erik Führer beim SS-Oberabschnitt Nord Inspekteur des SS-Oberabschnittes Nord, Stettin Inspekteur der Stammabteilung Ostsee Austritt aus der evangelisch-lutherischen Kirche Geburt der Tochter Ingrid Ersatzbeisitzer des Gaugerichtes Pommern der NSDAP Selbstschutzführer in Bromberg, anschließend Stabsführer bei SS-Oberführer v. Alvensleben in Bromberg zur Einarbeitung als Polizeipräsident in Breslau und anschließend in Halle Beauftragung als kommissarischer Polizeipräsident in Erfurt kommissarischer Polizeipräsident in Sosnowitz Polizeipräsident in Sosnowitz Wohnanschrift: Sosnowitz O/S., Polizeipräsidium Führer beim Stab, SS-Oberabschnitt Südost Führer im SD-Hauptamt Beauftragung mit der Vertretung des SSPF Oberschlesien in den Südostteilen Oberschlesiens Kriegsgefangenschaft Internierung in der Tschechoslowakei Ausbruch aus der Internierung Übersiedlung mit seiner Schwester und seinen Kindern nach Göttingen lebt unter falschem Namen Angestellter der Universität Bonn in der UniversitätsFrauenklinik Wohnanschrift: Göttingen, Kepplerstraße 11, später in Göttingen, Goßlerstraße 51. Ermittlungsverfahren (5 Js 50/61) der StA Coburg im Fall Dr. Lindemann; v. Woedtke als Zeuge 134 1967 3. Auszeichnungen 1914 01. September 1944 20. April 1940 StA Göttingen 6 JS 128/66 - Ermittlungsverfahren gegen v. Woedtke zum Mord an dem Arzt Dr. Lindemann Das Verfahren wurde am 25. Mai 1972 eingestellt. Eisernes Kreuz II. Klasse SA-Wehrabzeichen Kriegsverdienstkreuz I. Klasse ohne Schwerter Kriegsverdienstkreuz II. Klasse ohne Schwerter Ehrenkreuz für Frontkämpfer Ehrendegen des RFSS Totenkopfring der SS Julleuchter Quellen - BArch, SSO Alexander von Woedtke - BArch, RuSHA Alexander von Woedtke - BArch, OPG 3500/102 Alexander von Woedtke - BArch B 162/6001 - BArch B 162/3919 - BArch B 162/1608 - BArch B 162/1961 - BArch B 162/7712 - BArch B 162/20311 Bildquelle - http://forum.axishistory.com/viewtopic.php?f=38&t=53605&start=0&st=0 &sk=t&sd=a (letzter Zugriff vom 19. Juli 2009). 135 Wicke, Heinrich (Heinz) SS-Oberführer NSDAP-Nr.: 304.940 SS-Nr.: 6.980 geboren: gestorben: 20. Juni 1886 in Kassel 18. Oktober 1975 in Trossingen 1. Ernennungen 10. Oktober 1933 30. Januar 1934 09. November 1934 20. April 1935 30. Januar 1936 11. September 1938 01. September 1942 30. Januar 1945 SS-Obertruppführer SS-Sturmführer SS-Obersturmführer SS-Hauptsturmführer SS-Sturmbannführer SS-Obersturmbannführer SS-Standartenführer SS-Oberführer 2. Lebenslauf 1892 bis 1900 1900 bis 1903 1903 bis 1905 1906 bis 1908 Oktober 1908 bis Oktober 1910 24. Mai 1912 04. August 1914 bis 28. Februar 1919 1919 bis 1922 Januar 1922 01. September 1930 17. April 1931 1932 und 1933 1933 15. Juni 1934 09. September 1935 Sohn des Kaufmanns Wicke und seiner Ehefrau, geb. Kleinlein Bürgerschule in Kassel Kaufmännische Lehre in Kassel Angestellter Kaufmann in der Kartonagenfabrik Michael Birk in Trossingen Militärdienst beim I. Württembergischen Regiment Stuttgart 125 Heirat mit Magdalene, geborene Bilger, geboren am 16.05.1892 in Trossingen Teilnahme am Ersten Weltkrieg: 7. Württembergisches Infanterie Regiment 125 Front: Infanterie Regiment 119, 12. Kavallerie Abteilung 50 (als Zahlmeister) Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter und als Reisender selbstständiger Handelsvertreter in Stuttgart Eintritt in die NSDAP (Mitgliedsnr. 304.940) Eintritt in die SS (Mitgliedsnr. 6.980) Teilnahme an Aufmärschen in Coburg und Nürnberg Geschäftsführer des Gaus Württemberg/Hohenzollern des Deutschen Automobilclubs in Stuttgart Führer des 3. SS-Sturms der 13. SS-Standarte Führer des Reservesturmbanns der SS-Standarte 13 136 September 1936 01. Februar 1937 08. Juni 1938 02. Dezember 1938 05. Dezember 1938 31. Januar 1939 04. August 1941 bis 27. Juli 1944 12. Juni 1942 28.07.1944 bis zum Kriegsende August 1944 31. Juli 1945 bis 09. April 1948 07. Februar 1949 1950 1950 1953 bis 1957 1961 3. Auszeichnungen 1914 20. April 1941 25. Mai 1943 Leiter der SD-Hauptaußenstelle Stuttgart Führer des Bezirks 13 der Stammabteilung Südwest Wohnadresse: Stuttgart, Pflaumstraße 94 kommissarischer Polizeidirektor in Heilbronn Versetzung von der Allgemeinen-SS zum SD SS-Führer im SD Hauptamt Ernennung zum Polizeidirektor in Heilbronn kommissarischer Polizeipräsident Erfurt Wohnanschrift: Erfurt, Preßburger Straße 36 Polizeipräsident in Erfurt und Leiter der SDHauptaußenstelle Erfurt als Standartenführer und Oberst der Polizei als Polizeipräsident in Stuttgart tätig Wohnanschrift: Stuttgart, Mörikestraße 12 ehrenamtlicher Mitarbeiter des SD-Leitabschnitt Stuttgart Internierung in verschiedenen Lagern der amerikanischen Besatzungszone (Heilbronn, Hohenasperg, Dachau, Ludwigsburg). als Minderbelasteter durch Spruch der Zentralberufungskammer eingestuft und mit Sühnemaßnahmen belegt Gnadengesuch an das Ministerium für politische Befreiung in Stuttgart um Kürzung der Sühne arbeitslos, danach Umzug nach Tuttlingen. Dort erhielt er eine Stellung bei den Chiron-Werken, wechselte nach etwa einem Jahr zur Firma Stihl (Sägen). Antrag auf Ruhestandsversetzung und um Anerkennung der Beamtenrechte - Ablehnung der Klage vor dem Verwaltungsgerichthof Stuttgart Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen schwerer Brandstiftung während des Novemberpogroms 1939 durch die StA Heilbronn Eisernes Kreuz II. Klasse Württembergische silberne Verdienstmedaille Dienstauszeichnung der NSDAP in Bronze Reichssportabzeichen in Gold Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern Luftschutzehrenzeichen II. Stufe Quellen - BArch, SSO Heinz Wicke - HStAStuttgart, EA2/150 Heinz Wicke - BArch, Personalfragebogen der Subsequent Proceedings Division, Heinrich Wicke Bildquelle - HStAStuttgart, EA2 150 137 Literatur - Wilhelm, Friedrich 1999: Die Polizei im NS-Staat. Die Geschichte ihrer Organisation im Überblick. 2. Aufl.. Paderborn, München, Wien u.a. (Schöningh Verlag). 138 Gieseke, Otto SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei NSDAP-Nr.: 2.084.825 SS-Nr.: 357.198 geboren: gestorben: 1. Ernennungen 17. Dezember 1915 01. Juni 1920 01. Juni 1926 01. April 1935 01. Juni 1940 01. Juni 1940 01. August 1940 01. März 1941 01. April 1942 20. April 1942 20. April 1943 01. September 1943 10. Juni 1944 24. März 1891 in Hohenhameln bei Lehrte (Kreis Peine) 21. Juli 1958 in Hannover/Niedersachsen Leutnant d.R. Polizeioberleutnant Hauptmann der Schutzpolizei Major der Schutzpolizei SS-Mann SS-Sturmbannführer Oberstleutnant der Schutzpolizei SS-Obersturmbannführer SS-Obersturmbannführer der Waffen-SS SS-Standartenführer und SS-Standartenführer der Waffen-SS SS-Oberführer der Waffen-SS Oberst der Schutzpolizei (mit Wirkung vom 01.04.1942) SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei 2. Lebenslauf 1897 bis 1909 1909 bis 1910 April 1910 bis April 1911 1911 bis Oktober 1914 Oktober 1914 Januar 1915 Sohn des Bauern August Gieseke und seiner Ehefrau Johanne, geborene Boes, fünf Brüder, vier Schwestern Volksschule, Privatschule und Oberrealschule in Harburg (mit Einjährig-Freiwilligen-Zeugnis) Tätigkeit in väterlicher Landwirtschaft Einjährig-Freiwilliger beim Dragoner-Regiment 16 (Lüneburg) Lehrling einer Hamburger Exportfirma Eintritt in das Infanterie-Regiment 85 als Kriegsfreiwilliger mit dem Reserve-Infanterie-Regiment 210 ins Feld ausgerückt 139 Dezember 1915 bis 1918 Januar 1919 bis Januar 1920 Februar 1919 Januar 1920 Januar 1920 bis April 1920 April 1920 01. April 1921 April 1921 bis Juli 1921 Juli 1921 März 1926 bis April 1935 01. Mai 1933 April 1935 bis 01. März 1939 11. März 1938 bis 26. April 1939 12. Mai 1938 01. Juni 1940 01. März 1939 bis 01. März 1941 September 1939 Oktober 1939 01. Juni 1940 bis 01. Juli 1944 01. März 1941 09. Juli 1941 bis 15. Oktober 1942 16. August 1941 01. April 1942 1942 30. September 1942 15. Oktober 1942 bis 01. Februar 1943 Zug- und Kompanieführer an der Westfront, schwere MG-Abteilung / Gardeschützen-Division Kompanieführer in der „Eisernen Division“ bei der Brigade Nordlitauen bzw. im Freiwilligen-Regiment von der Hagen im Abschnitt Bromberg (Baltikum, Oberschlesien) schwer verwundet (insgesamt drei Verwundungen) Eintritt in die Sicherheitspolizei (spätere Schutzpolizei) Führer einer Werbestelle in Insterburg der Abteilung von Buch in Weilburg/a.d. Lahn zugeteilt Vermählung mit Eva, geborene Smurawski, geboren am 17. August 1899 beim Grenzschutz in der Grafschaft Glatz mit der Abteilung Buch nach Kassel verlegt Hundertschaftsführer, Reviervorsteher und Adjutant bei der Schutzpolizei Köln Eintritt in die NSDAP (Mitgliedsnr. 2.084.825) Kommandeur des SchutzpolizeiAbschnittskommandos I in Köln eingesetzt beim Abteilungskommando III (St. Pölten) des Gruppenkommandos Linz der Ordnungspolizei (während des Einmarsches in Österreich) Antrag auf Aufnahme in die SS Aufnahme in die Allgemeine SS (Mitgliedsnr. 357.198) Kommandeur der Schutzpolizei Erfurt Kommandeur eines Polizei-Ausbildungsbataillons in Itzehoe Führer des Polizeibataillons Lublin (dort war auch Globocnik SSPF und Walter Huppenkothen KdS) Ia im Stab eines Polizei-Regiments Radom SS-Führer (der Allgemeinen SS) in der SSStammabteilung Fulda-Werra, Bezirk 67 (Erfurt) zur Polizei-Division in den Stab kommandiert Kommandeur des Polizei-Schützen-Regiments 1 in der SS-Polizei-Division (an der Ostfront) verwundet Übernahme in die Waffen-SS als aktiver Führer Chef des „Einsatzstabes Gieseke“ beim HSSPF Russland-Süd, Prützmann als SS-Standartenführer und Oberst der Schutzpolizei Kommandeur des 1. SS-Polizei-Schützenregiments des 4. SS-Polizei-Panzergrenadier-Division (Leningrad) Kommandeur des Polizei-Infanterie-Regiments 1 (Umbenennung aus Polizei-Schützen-Regiment 1) 140 01. Februar 1943 01. September 1943 30. August 1943 bis 01. September 1943 März 1944 bis November 1944 01. Juli 1944 bis 08. Mai 1945 Oktober 1944 Oktober 1944 25. Januar 1945 29. Januar bis 10. April 1945 30. April 1945 27. August 1945 bis Mai 1946 Mai 1946 bis September 1946 September 1946 bis Mai 1947 Mai 1947 bis November 1947 ab November 1947 Kommandeur des SS-Polizei-Grandier-Regiments 1 (durch erneute Umbenennung) Rücktritt zur Ordnungspolizei mit Wirkung vom 01. September 1943 und Entlassung aus dem Dienstverhältnis der Waffen-SS beim SS-Grenadier-Ausbildungs- und Ersatz bataillon 4 Befehlshaber der Ordnungspolizei im Reichskommissariat Ostland, Riga SS-Führer beim Stab des SS-Oberabschnitts FuldaWerra (Arolsen) zur Behandlung einer Knieverletzung im SS-Lazarett Hohenlychen Kommandeur des SS-Polizei-Regiments 16 zur Führerreserve beim SS-Personalhauptamt versetzt (auf Befehl des RFSS) kommissarischer Polizeipräsident in Erfurt Kriegsgefangenschaft Internierung in Garmisch Internierung in Neu-Ulm Internierung in Garmisch Internierung im Freilager Dachau Internierung in Garmisch 3. Auszeichnungen 18. August 1941 10. September 1941 28. Juli 1942 1942 12. September 1942 30. September 1942 Eisernes Kreuz II. Klasse Eisernes Kreuz I. Klasse Ritterkreuz des Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern Baltenkreuz II. Klasse Baltenkreuz I. Klasse Schlesischer Adler 2. Stufe Ehrenkreuz für Frontkämpfer mit Schwertern SA-Sportabzeichen in Bronze Totenkopfring der SS Spange zum Eisernen Kreuz II. Klasse Spange zum Eisernen Kreuz I. Klasse Infanterie-Sturmabzeichen in Silber Medaille „Winterschlacht im Osten 1941/1942“ Deutsches Kreuz in Gold Ritterkreuz Verwundetenabzeichen in Silber 141 Quellen - BArch, RuSHA Otto Gieseke - BArch, SSO Otto Gieseke - BArch, Personalfragebogen der Subsequent Proceedings Division, Otto Gieseke Bildquelle - ThHStAW, NS-Archiv des MfS ZD 9181, Akte 1 Bl. 3. Literatur - Schulz, Andreas; Wegmann, Günter 2003: Die Generale der Waffen-SS und der Polizei. Die militärischen Werdegänge der Generale, sowie der Ärzte, Veterinäre, Intendanten, Richter und Ministerialbeamten im Generalsrang. Band 1. Bissendorf (Biblio-Verlag). 142