www.umweltzeitung.sozdia.de Schraubenziege und Blauschaf – seltene Wildschafe und Wildziegen im Tierpark Berlin von Christian Kern, Diplom-Biologe und Kurator für Säugetiere im Tierpark Berlin Der 1955 eröffnete Tierpark Berlin zählt mit seinen 160 Hektar zu den größten Zoologischen Gärten in Deutschland und zu einem der größten in Europa. Eine weitläufige Parklandschaft, großzügige Freianlagen und ein reichhaltiger Tierbestand prägen seit Anbeginn sein Gesicht. Über die Huftiere Einen großen Teil des Säugetierbestandes nehmen dabei Huftiere ein. Insgesamt werden zwölf Formen von Unpaarhufern und 75 Formen von Paarhufern im Tierpark Berlin gehalten: Sie reichen vom bedrohten Panzernashorn bis zu den seltenen asiatischen Halbeselformen Kiang und Kulan. Der Kulan ist in seiner kasachisch-turkmenischen Heimat in seinem Bestand mittlerweile kritisch bedroht. Im Tierpark Berlin wird der Kulan im Rahmen eines europäischen Zuchtprogrammes schon seit Jahrzehnten gezüchtet. Dazu führt der Tierpark für den asiatischen Halbesel das Internationale Zuchtbuch, in dem die Daten von allen in Menschenhand lebenden Halbeseln zusammengefasst werden. Die beispielsweise im Tierpark Berlin gezüchteten Sikahirsche aus Vietnam oder der Davidshirsch aus China, auch Milu genannt, wurden in ihren natürlichen Verbreitungsgebieten ausgerottet und werden nun nur noch in Zoologischen Gärten und Reservaten gehalten. Diese Beispiele sollen zeigen, dass nicht nur Publikumslieblinge wie Elefanten, Großkatzen oder Primaten bedroht sind, sondern dass es viele unscheinbare Arten in einem Zoologischen Garten gibt, die oft nur noch hier eine sichere Heimstatt haben. Kreishornschafe Ein Schwerpunkt im Säugetierbestand des Tierparks Berlin bildet daher auch die Haltung und Zucht von Wildschafen und -ziegen (Caprinae). In den Jahren 2002 und 2004 wurden diese in dem neu errichteten Gebirgsteil für asiatische und europäische Tiere zusammengefasst, so dass der Tierparkbesucher die Arten direkt miteinander vergleichen kann. Folgt man dem Hauptweg in den asiatischen Gebirgsteil, so trifft man zugleich auf die Kreishornschafe. Diese kleinen, sandfarbenen Wildschafe stammen aus den steinigen Hochgebirgssteppen von Turkmenistan bis Kasachstan. Die Widder haben ein schneckenförmig eingedrehtes Gehörn und ab einem Alter von vier bis fünf Jahren eine weiß-gelbliche Halsmähne. Der derzeitige Bestand im Freiland ist unbekannt und durch Kriegswirren sicher nicht gestiegen. Das Kreishornschaf wurde 1972 im Tierpark aufgenommen. Hier werden seit 1973 kontinuierlich Jungtiere gezüchtet und in andere Zoologische Gärten geschickt, um dort neue Zuchtgruppen aufzubauen. In Deutschland ist diese Friedrichsfelder Gruppe die einzige existierende. Marco-Polo-Schafe Folgt man dem Weg durch den Tierpark, erreicht man nach den Kreishornschafen das Gehege der Marco-PoloSchafe. Diese Wildschafart zählt mit einer Widerristhöhe von bis zu 120 cm zu den größten Wildschafen der Welt. Marco-Polo-Schafe sind in den schneereichen Hängen und Hochgebirgsmatten des zentralasiatischen Pamir-Gebirges in Höhe von 3000-5000 Metern zu Hause. Aus diesem Grund wird die Art auch Pamir-Wildschaf genannt. Charakteristisch sind seine Hörner, es hat die längsten unter allen Wildschafarten. Bei ausgewachsenen Männchen sind die Hörner bis zu zweimal schneckenförmig eingedreht und bis zu 190 Zentimeter lang. Das Marco-Polo-Schaf wurde bisher selten in Tiergärten gehalten. Derzeit findet man diese eindrucksvolle Art nur im Tierpark Berlin und im Moskauer Zoo. Dort wurden auch die drei noch jugendlichen Berliner Tiere geboren und 2011 dem Tierpark Berlin geschenkt. Die Turkmenische Schraubenziege Nachbarin der Marco-Polo-Schafe ist die Turkmenische Schraubenziege, auch Markhor genannt. Die Männer dieser größten Wildziegenart tragen spiralig gewundene Hörner. Die meisten Wildziegen haben mehr oder weniger stark nach oben gerichtete Hörner und den typischen Ziegenbart. Wildschafe dagegen haben in der Regel eingedrehte Hörner. Ein Bart fehlt ihnen. Die Hörner bestehen wie die Nägel des Menschen aus Keratin und www.umweltzeitung.sozdia.de 1 wachsen lebenslang. Die Schraubenziege kommt in mehreren Unterarten in den zentralasiatischen Gebirgen von Usbekistan, Tadschikistan, Afghanistan und Pakistan vor. Anders als Wildschafe besiedeln Wildziegen häufig auch steile Gebirgshänge. Die spreizbaren Hufe mit ihren harten Klauenrändern befähigen Ziegen dazu, auch auf kleinsten und steilsten Graden, einen sicheren Tritt zu finden. Die Turkmenische Schraubenziege wird seit 1980 im Tierpark Berlin gehalten und seit 1988 hier gezüchtet. Der Bestand im Freiland ist vor allem durch übermäßige und unkontrollierte Jagd stark bedroht. In europäischen Zoologischen Gärten gibt es daher ein Erhaltungszuchtprogramm, an dem sich auch der Tierpark Berlin beteiligt. Die Blauschafe Auf einem nahe liegenden Hang liegt das Gehege der Blauschafe. Das Blauschaf steht den Ziegen verwandtschaftlich zwar näher als den Schafen, ist aber weder ein Schaf noch eine Ziege. Daher erhielt es eine eigene Gattung. Das Fell des Blauschafes leuchtet nicht in tiefem Blau, sondern in einem hellen Schiefergrau. Das Blauschaf bewohnt in großen Gruppen die Hochgebirgsmatten des Himalayas von Pakistan bis China. Im Freiland ist die Art derzeit nicht bedroht, vielleicht war sie auch deshalb bis vor wenigen Jahren in Zoologischen Gärten noch eine ausgesprochene Seltenheit. Die ersten Blauschafe kamen 1980 aus China in den Tierpark Berlin. 1991 gab es die erste Nachzucht. Das war die erste dieser Art in ganz Deutschland. Auch für das Blauschaf gibt es ein Europäisches Zuchtbuch, in das in jedem Jahr auch Lämmer aus Berlin eingetragen werden konnten. Neben dem Tierpark Berlin sind nur noch im Zoo von Halle diese schönen Tiere zu sehen. Die Alpensteinböcke Verlässt man im Tierpark den Gebirgsteil für asiatische Tiere, erreicht man unmittelbar den europäischen Teil und wird von einem großen Rudel des Alpensteinbockes begrüßt. Diese Wildziegenart besiedelte einstmals in großen Beständen die Alpen in der Schweiz, Österreich, Frankreich, Italien und Deutschland. Sie wurde aber so stark bejagt, dass die Art in der Mitte des 19. Jahrhunderts fast ausgerottet war und nur noch im italienischen Gran Paradisio - Massiv eine letzte Zuflucht fand. Nur durch den Schutz dieser letzten Population, durch die Zucht in Wildparks und europäischen Zoos sowie die Wiederansiedlung der Nachzuchten konnte diese Art vor der endgültigen Ausrottung bewahrt werden. Heute gibt es wieder mehrere tausend Alpensteinböcke in den Alpen. Der Tierpark Berlin nahm 2004 mit der Eröffnung der europäischen Gebirgstieranlagen die ersten Alpensteinböcke auf und züchtet sie seitdem regelmäßig. Im Jahr 2010 wurde auch ein Alpensteinbock aus der Zucht des Tierparks Berlin, zusammen mit Nachzuchten aus anderen Tiergärten in den österreichischen Alpen freigelassen, um die dortige Population zu stärken. Mufflons Durchwandert man den europäischen Gebirgsteil weiter und läuft an den Alpengemsen und Elchen vorbei, trifft man auf eine große Gruppe Mufflons. Das Mufflon sollte Jedem bekannt sein, denn es ist die Stammform unserer Hausschafe. Das Mufflon war ursprünglich nur auf Sardinien und Korsika verbreitet, wurde aber seit Beginn des 20. Jahrhunderts in vielen europäischen Ländern durch den Menschen angesiedelt. Im dunkelbraunen Winterfell mit dem typischen weißen Sattelfleck auf schwarzem Grund sehen die Böcke am schönsten aus. Im Berliner Tierpark wird die Art seit 1956 gehalten. In jedem Jahr, meistens im April, kann man die neu geborenen Lämmer erleben. Neben diesen echten Wildschafen und –ziegen können mit dem Mittelchinesischen Goral, den weißen Schneeziegen aus Nordamerika und den Alpengemsen noch drei weitere Verwandte aus dieser einzigartigen Paarhufergruppe im Tierpark Berlin besucht und beobachtet werden. Mai 2012 www.umweltzeitung.sozdia.de 2