ÜBER GESCHICHTE STOLPERN

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4 JENNY + SAMUEL BUKOFZER
IMPRESSUM
Die Deutsche Gesellschaft e. V. setzt sich in den Themenbereichen EU &
Europa, Kultur & Gesellschaft sowie Politik & Geschichte für Aufarbeitung, Vernetzung und Aufklärung ein. Mit über 500 Veranstaltungen
im Jahr gehört sie zu den aktivsten Nicht-Regierungsorganisationen im
Bereich der politischen und kulturellen Bildungsarbeit. Interessierten
Bürgerinnen und Bürgern bietet die Deutsche Gesellschaft e. V. die
Möglichkeit, in Foren, Workshops, Konferenzen, auf Studienreisen oder
bei Austauschprogrammen über aktuelle gesellschaftspolitische Fragen
zu diskutieren. Außerdem schreibt sie regelmäßig Essay- und Ideenwettbewerbe aus, die dazu aufrufen, sich mit gegenwartsnahen Themen
näher zu befassen – sei es die Finanzkrise, der Wertewandel oder die
Frage der Identität.
Fotonachweise: F Rep. 290-09-03 Nr. 66-2722​, Lichtenberg; Lichtenberger Industriebahn beim Überqueren der Siegfriedstraße südlich der Rittergutstraße, 1934 (Fotograf: k. A. / Rechte: Landesarchiv Berlin /
Mappe 3) | F Rep. 290 (03) Nr. 0252908​, Zweiter Weltkrieg 1939–1945; Bombenentschärfung durch
Zwangsarbeiter aus Belgien, um 1944 (Fotograf: Kosnick, Gunnar / Rechte: Landesarchiv Berlin / K01018) |
Rep. 290-09-03 Nr. 65-3585​, Marzahn, Falkenberger Weg; Rastplatz der Zigeuner, 1936 (Fotograf: k. A. /
Rechte: Landesarchiv Berlin / Mappe 55) | Sammellager (Bildagentur bpk, No. 30011374, NS-Propagandafilm: Sammellager Killesberg) | Tansportliste (Nationalarchiv der USA, NARA A3355, Film I Teil I,
www.statistik-des-holocaust.de) | Jenni und Samuel Bukofzer (in der Mitte am Tisch), um 1928 /
Eheleute Bukofzer und Eheleute Bendit, 1941 (Privatbesitz von W. Behrendt) | alle Fotografien farbig:
Deutsche Gesellschaft e.V.
Literaturnachweise: 1: www.stolpersteine-bremen.de/glossar.php?id=1 | 2: Sandvoß, Hans-Rainer: Widerstand in Friedrichshain und Lichtenberg. Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Berlin 1998. S. 288 |
Informationen zu den Biografien aus: www.stolpersteine-berlin.de | Juden in Lichtenberg: Sandvoß, Hans-Rainer: Widerstand in Friedrichshain und Lichtenberg. Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Berlin 1998 / Koberstein, Thea und Stein, Norbert: Juden in Lichtenberg mit den
frühreren Ortsteilen in Friedrichshain, Hellersdorf und Marzahn. Edition Hentrich. Berlin 1995 / de.wikipedia.org/wiki/Entnazifizierung | Rosa und Adolf Brauer: de.wikipedia.org/wiki/KZ_Theresienstadt |
Luise, Leo und Aron Bendit: Adler, H.G.: Die verheimlichte Wahrheit - Theresienstädter Dokumente.
J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). Tübingen 1958, S. 39-40. | „Arbeitserziehungslager“ Wuhlheide: Sandvoß,
Hans-Rainer: Widerstand in Friedrichshain und Lichtenberg. Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Berlin
1998 | Zwangslager für Sinti und Roma: ebenda und de.wikipedia.org/wiki/Zwangslager_Berlin-Marzahn.
Teilnehmer: 8. Klasse des Herder-Gymnasiums, Berlin-Lichtenberg | Seminarleitung: Maria Hufenreuter,
Deutsche Gesellschaft e.V. | Gestaltung: thorstenbieber.de
Ein Projekt der:
Deutsche Gesellschaft e. V.
Voßstr. 22
10117 Berlin-Mitte
www.deutsche-gesellschaft-ev.de
Gefördert von:
Deutsche
Gesellschaft e.V.
Partner:
Alex und Christiane mit Bildern der Familie Bukofzer
Samuel Bukofzer wurde am 15. Mai 1881 in Isabella /
Landkreis Schubin (heute Polen) geboren. Er war mit
Jenny Bukofzer verheiratet, die ihre Tochter Betti in die Ehe
mitbrachte. Sie hatten zwei weitere gemeinsame Kinder: Erna und Luise.
Am 28. Mai 1942 verhafteten die Nazis bei einer Vergeltungsaktion für
den Brandanschlag der jüdischen Widerstandsgruppe „Herbert Baum“
willkürlich 500 Männer, darunter auch Samuel Bukofzer. Am 29. Mai
wurde er in Sachsenhausen erschossen. Tochter Erna zog Anfang der 30er
Jahre mit ihrem Ehemann David Wolkowitz und ihrem Kind Marie nach
Paris, wo 1934 der kleine Jaques auf die Welt kam. Die Familie Wolkowitz
konnte der Vernichtung nicht entgehen und wurde am 21. August 1942
mit dem „22. Transport“ aus dem Sammellager Drancy in Paris nach
Auschwitz deportiert
Jenny Bukofzer wurde in Kolberg (heute Polen) ebenfalls am 15. Mai 1885
geboren, als Tochter von Julius und Frieda Berndt. Jenny Bukofzer wurde
kurz nach der Ermordung ihres Mannes am 5. Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert. Dort traf sie ihre Schwestern Rosa und Hedwig wieder.
Zwei Jahre später, am 9. Oktober 1944 wurde Jenny Bukofzer von Theresienstadt nach Auschwitz verschleppt und dort umgebracht.
Text: Christiane (13), Alexander (14), Nazar (13)
5 LUISE, LEO + ARON BENDIT
Leo Bendit wurde am 2. Juni 1906 in Krojanke, Westpreußen geboren,
seine Frau Luise, geb. Bukofzer am 9. Februar 1920 in Berlin. Ihren
gemeinsamen Sohn Aron Bendit bekamen sie am 19. März 1940. Luise
musste ab dem 31. Januar 1941 bis zum Februar 1943 als Maschinenarbeiterin bei Siemens Schuckert Werke AG Zwangsarbeit verrichten.
Dieses Werk war der wichtigste Lieferant für elektrotechnische Rüstungsgüter. Die Mehrzahl der überlebenden Zwangsarbeiter hat bis heute keine
Entschädigung von Siemens erhalten (Tagesspiegel 26.1.2000). 1943
wurden die Bendits nach Auschwitz deportiert. Luise und der zweijährige
Aron wurden am 4. März 1943 von der Putlitzstraße in Moabit aus mit
dem „34. Osttransport“ nach Auschwitz gebracht. Zwei Tage später folgte
Leo mit dem „35. Osttransport“.
Die Deportation der Juden in die Lager nannten die Nationalsozialisten
„Abwanderung ins Protektorat“. Zuerst bekamen die Opfer eine Aufforderung mit detaillierten Anweisungen, sich im Sammellager einzufinden.
Erlaubt waren ein Coupékoffer und ein Rucksack (von Hüfte bis Schulter).
Das Reisegepäck musste bei der Ankunft in der Kleiderkammer abgegeben werden, die meisten haben es nie wieder gesehen. Das Handgepäck
durfte höchstens 50 kg betragen. Alle Habseligkeiten und das ganze
Vermögen sollten abgegeben werden. Es war verboten, Fotos, mündliche
oder schriftliche Benachrichtigungen aus dem Sammellager zu schicken.
Manche weigerten sich, dieser Aufforderung nachzukommen. Dann stand
die Gestapo bald vor der Tür.
Christa Ruden (*1933) erinnert sich 1996 „Die Juden wurden nicht nur
etwa in der Nacht heimlich abgeholt, sondern auch am helllichten Tag. Ich
spielte auf der Straße und erlebte mit, wie sich große LKW näherten…Häuser
wurden gestürmt, Türen eingeschlagen und Menschen auf die bereitstehenden Fahrzeuge geprügelt. Ich sah, wie… eine Mutter mit ihren zwei …Kindern
verschleppt wurde. …Sie trug eine Kittelschürze und hatte noch die Kochlöffel
in der Hand. Als sie entgegnete, sie müsste doch Sachen für die Kinder
mitnehmen, bekam sie die barsche Antwort: „Wo sie hinkommen, brauchen
sie das nicht!...“ 2
Text: Elinor (13) und Ronja (13)
Eheleue Bukofzer und Eheleute Bendit, 1941
„ARBEITSERZIEHUNGSLAGER“ WUHLHEIDE
ZWANGSLAGER FÜR SINTI UND ROMA
Diese Schülergruppe schrieb ein kurzes Bühnenstück:
Zwangsarbeiter aus Belgien, um 1944
Ein „Arbeitserziehungslager“ war ein großes
Gelände mit Baracken, in das man Ausländer und
sogenannte Asoziale, politische Feinde und undisziplinierte Deutsche hereingesteckt hatte. Die Gefangenen wurden zur
Arbeit gezwungen und zu Gehorsam „erzogen“ – oft mit Folter. Zum
Beispiel wurden die Opfer in ein Loch mit Fäkalien bis zum Oberkörper gestellt und der Deckel wurde über ihnen geschlossen. Viele
Menschen sind darin schon erstickt und gestorben. Das „Arbeitserziehungslager“ Wuhlheide war eines der größten in Berlin und dafür bekannt, besonders brutal zu sein. Hier saßen etwa 10.000 Häftlinge in
10 Baracken ein. Sie schliefen auf Doppelbetten, die meistens 4- oder
5-mal übereinander gestapelt wurden. Bei Beschwerden gab es Schlafentzug. Andere Arbeitslager befanden sich z. B. in der Frankfurter
Allee und der Möllendorfstraße.
Text: Mikhail (13) und Daniel (14)
„Zigeunerlager“ Marzahn >
Insgesamt wurden an die 500.000 Sinti und Roma von den Nationalsozialisten
ermordet. Heutzutage leben weltweit etwa 12 Millionen Sinti und Roma.
Einige Zeit nach Kriegsende in Berlin
K.K: Wie kommt es, dass wir uns so lange nicht gesehen haben?
K.T: Ach... Wir waren bis Kriegsende im Zwangslager.
A: Weil ihr Roma und Sinti seid?
Q: Ja, es war ein Leben, das jede Sekunde vorbei sein konnte.
Wir gehörten ja zur drittgrößten Opfergruppe.
A: Ich habe aber noch nie von diesem Lager gehört.
K.T: Es lag nördlich des alten Friedhofs in Marzahn. Es war eine Vorstufe zum sogenannten Zigeunerlager in Auschwitz.
Q: Seit Januar 1943 konnte man dahin verschleppt werden. Wir beide
wurden im Mai des selben Jahres dorthin gebracht.
K.K: Aber es gab doch so viele Sinti und Roma. Wurde es nicht eng?
K.T: Natürlich waren die Lager schnell überfüllt. 600 Menschen
wurden in der Nacht auf den 16. Juli 1936 festgenommen. Für sie gab
es nur drei Baracken.
Q: Besonders am Anfang war es schlimm. Ein unsäglicher Gestank kam
von den Rieselfeldern. Es gab keine Brunnen, nur zwei Toilettenanlagen
und zwei Wasserstellen. Wir wussten auch, dass wir in ein KZ kommen.
A: Die Nazis sagten, Roma seien „gemeinschädlich“.
Q: Das genügte schon als Haftgrund. Nicht nur Prostituierte, Obdachlose, Bettler wurden als asozial abgestempelt, sondern auch wir.
Berlin sollte für die Olympischen Spiele „sauber“ sein. Die Polizei war
deshalb überall. Sie überwachten uns sogar im Lager. Wir wurden zur
Zwangsarbeit verpflichtet. Und dann kam Robert Ritter, der Leiter der
„Rassenhyghenischen Forschungsstelle“.
K.T: Wegen seiner „medizinischen Gutachten“ wurden 20.000 Roma aus
Europa nach Auschwitz gebracht. Es war fast unmöglich, zu überleben.
Aber wir haben es geschafft.
K.K: Wieso seid ihr denn danach nicht weggezogen, Ritter zum Beispiel
wurde doch noch nicht einmal angeklagt?
Q: Wir konnten es einfach nicht. Wir sind doch trotzdem hier zu Hause.
Text: Katja T. (14), Katja K. (14), Alexandra (14), Quynh (13)
ÜBER
GESCHICHTE
STOLPERN
2015
Jugendliche adoptieren Stolpersteine.
Eine Auseinandersetzung mit dem
jüdischen Leben in Berlin-Lichtenberg/
Friedrichshain.
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1 ROSA + ADOLF BRAUER
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2 JOHANNA LICHTENSTEIN
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„59. Alterstransport“ (von 63) deportiert wurden, gingen vom Anhalter
Bahnhof aus. Von dort wurden insgesamt 9.600 Menschen in 116 Zügen
verschleppt. Andere Bahnhöfe waren Moabit und Grunewald.
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Theresienstadt, im heutigen Tschechien, wurde als „Musterlager“ oder
„schönes Altersghetto“ propagandistisch genutzt. Es sollte zeigen, wie
gut es „der Führer“ mit den alten und prominenten Juden meinte. In
wirklichkeit war es ab 1942 ein Durchgangslager mit schlechten Bedingungen, in dem die Menschen auch ermordet wurden. Rosa und Adolf
Brauer wurden nach der Deportation am 29. September 1942 entweder
gleich erschossen oder vergast.
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Text: Boni (13), Zlata (12), Sophie (14), Sophia (13)
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DAS PROJEKT ÜBER GESCHICHTE STOLPERN
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Jüdische Bürger im Sammellager, 1941
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Lichtenberg gehörte zu den ärmeren Bezirken und war ein Industriestandort, in dem unter anderem der Maschinen- und Telegrafenbau
ansässig war. Das damals bekannte Margarinewerk Berolina befand sich
in der heutigen Herzbergstraße. Durch die proletarische Prägung des
Viertels gab es viele Widerstandsgruppen und -bewegungen, u.a. die
Lichtenberger Industriebahn, Siegfriedstraße 1934
3 RUTH + GEORG HOENICH
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Im Jahre 1896 entstand in Lichtenberg/Friedrichshain die erste jüdische
Gemeinde, 1905 eine Synagoge in der Frankfurter Allee. In der Josef-Orlopp-Straße wurde viel Handel, Gewerbe und Industrie betrieben und
in der Frankfurter Allee gab es einige von Juden geführte Geschäfte und Läden. Bis 1933 lebten im Ortsteil Lichtenberg über
1 ROSA + ADOLF BRAUER
2200 Juden, was 0,9% der dortigen Bevölkerung ausmachte.
Dolziger Straße 1
In der gesamten Stadt Berlin lebten 4% Juden. Die jüdische
2 JOHANNA LICHTENSTEIN
Bevölkerung hatte starken Einfluss auf das gesellschaftliSamariterstraße 29
3 RUTH + GEORG HOENICH
che Leben in Lichtenberg, in der Wirtschaft, Politik, Kultur
Rigaer Straße 30
und Religion. In der Pogromnacht am 9.11.1938 wurden
4 JENNY + SAMUEL BUKOFZER
26.000 Menschen aus ganz Deutschland in KZ deportiert.
5 LEO, LUISE + ARON BENDIT
Rigaer Straße 80
Der Lichtenberger Bürgermeister war stolz darauf, dass die
jüdische Bevölkerung aus seinem Stadtteil verhältnismäßig
schnell verschleppt und ermordet wurde. Schon 1933 verbot sein
Vorgänger Lieferverträge an jüdische Firmen. Die Nationalsozialisten
verwehrten den Juden zuerst die Bürgerrechte und raubten ihnen den
Besitz, dann erklärten sie sie zu „Freiwild“. Ab 1938 mussten viele Juden
Zwangsarbeit verrichten, in Lichtenberg z. B. für das Chemieunternehmen Aceta. In Lichtenberg gab es mindestens 79 Zwangsarbeiterlager
mit 18.600 Opfern. Der Stadtteil stand an vierter Stelle der Bezirke mit
den meisten Zwangsarbeitern. Von den 160.000 Berliner Juden konnten
90.000 fliehen, bis 1941 die Auswanderung verboten wurde.
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JUDEN IN LICHTENBERG
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Blankensteinpark
„Anton Saefkow Gruppe“. Die meisten sabotierten die Arbeit, vor allem
in Rüstungsbetrieben. Außerdem verteilten Sie Antikriegsplakate und
antifaschistische Literatur. Auch Lichtenberger Gemeinden leisteten
Widerstand. Der Pastor der Kaulsdorfer Kirche z.B. rettete 2000 Juden.
Ohne Helfer hätten viele nicht überlebt.
Einige tauchten in Lichtenberger Laubenkolonien unter, z B. „Dreieinigkeit“ in der Bernhard-Bästlein-Straße (ehemals Fennpfuhl). Dort überlebte auch der bekannte Entertainer Hans Rosenthal. Ein Bäckermeister
versteckte 13 Menschen im Keller hinter Mehlsäcken und riskierte damit
sein eigenes Leben. In Lichtenberg, Hohenschönhausen, Friedrichsfelde
und Karlshorst überlebten nur 164 Juden. 500 wurden ermordet und das
florierende jüdische Leben verschwand. In Friedrichshain lebten 8000
Juden, von denen es 219 Überlebende gab. Am 25. April 1945 wurde Berlin Lichtenberg von den Alliierten befreit. Es wurden insgesamt 50.000
bis 60.000 Personen wegen NS-Verbrechen verurteilt, davon ca. 45.000
in der sowjetischen Besatzungszone. In den drei Westzonen wurden
5025 deutsche Angeklagte schuldig gesprochen. Es gab 806 Todesurteile, von denen 486 vollstreckt wurden.
Text: Raja (14), Irina (13), Victoria (14), Lisa (14), Alexandra (14), Eline (13)
Rosa Brauer, geborene Meyer wurde am 30. August 1869 in Konitz,
Westpreußen im heutigen Chojnice im Norden Polens geboren. Sie
heiratete Adolf Brauer. Ab 1913 hatten sie eine gemeinsame Wohnung in
der Proskauer Straße 20, heute Dolziger Straße 1. Schon bald bekamen
sie Kinder, Elli, Charlotte und Helmut. Während der 30er Jahre flüchteten die drei vor den Nazis ins Ausland.
1942 musste sich Rosa Bauer mit ihrem Mann im Sammellager Große
Hamburger Straße, dem ehemaligen Jüdischen Altersheim, einfinden.
Von dort wurden mehr als 55.000 Menschen in die KZ Auschwitz und
Theresienstadt deportiert. Die Gestapo holte ihre Opfer meistens zu
Hause ab und zog deren Vermögen ein. Sie durften nur einen Koffer pro
Person mitnehmen. Meistens wurde von „Arbeitseinsätzen im Osten“
gesprochen. Die Brauers dürften aufgrund ihres Alters daran gezweifelt
haben.
Die Menschen mussten Tage und Wochen in entsetzlichen Zuständen im
Sammellager bleiben. Es herrschten Seuchen, Hunger und Selbstmorde.
In Berlin gab es 15 Sammellager, in denen die Juden endgültig aus der
Gesellschaft ausgeschlossen wurden und den Nazis hilflos ausgeliefert
waren. So konnten sie der bevorstehenden Ermordung kaum mehr entgehen. Transporte nach Theresienstadt, in denen auch die Brauers mit dem
Die Deutsche Gesellschaft e.V. bietet Schülerinnen und Schülern seit
2007 ein Stolperstein-Projekt an. „Stolpersteine“ sind vom Künstler
Gunter Demnig in Straßenpflaster eingelassene Messingplatten. Sie
werden vor Gebäuden (oder an Plätzen, an denen vormals Gebäude
standen) verlegt, in denen vom NS-Regime verfolgte und ermordete
Bürger wohnten. Auf diese Stolpersteine sind die Namen emigrierter
oder deportierter Bewohner eingraviert, die von den Nationalsozialisten vertrieben oder umgebracht wurden. Inzwischen gehören die über
50.000 Steine nicht nur in Deutschland, sondern auch in 18 weiteren
europäischen Ländern zum Stadtbild.
Am achten Stolperstein-Projekt der Deutschen Gesellschaft e.V. nahmen Schülerinnen und Schüler der achten Klasse des Herder-Gymnasiums teil. Das Herder-Gymnasium liegt auf dem Territorium des
Bezirkes Lichtenberg, grenzt aber eng an den Friedrichshainer Kiez,
so dass die Route des Stolpersteinspaziergangs zwei Stadtteile streifte.
Die Jugendlichen erforschten die Biografien ehemaliger jüdischer
Bewohner und beschäftigten sich mit dem Zwangsarbeiterlager
Wuhlheide und dem Sinti- und Roma Lager in Marzahn, die damals
beide dem Bezirk Lichtenberg unterstanden. Die Schülergruppe, die
zum Sinti- und Roma Lager forschte, schrieb statt eines Artikels ein
kleines Bühnenstück. Die Arbeitsergebnisse der Klasse wurden bei
einem öffentlichen Stolpersteinspaziergang vorgestellt und sind nun
in diesem Flyer dokumentiert. Es wurde vor allem deutlich, dass die
Ausgrenzung der Opfer im Alltag begann.
Das Projekt wurde gefördert vom Kinder- und Jugendplan des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Schülerinnen und Schüler des Herder-Gymnasiums Lichtenberg, mit Bezirksstadträtin Dr. Sandra Obermeyer (2. v. rechts)
Liste für die Deportation nach Auschwitz am 14.12.1942
Johanna Lichtenstein wurde in Frankfurt am 7. April 1881 geboren. Sie
war Witwe und wohnte zusammen mit dem Ehepaar Gerhardt und Erna
Neumann in der Samariterstraße 29. Für zwei Zimmer bezahlte sie monatlich 29 Reichsmark (heute ca. 96€). Vermutlich war Johanna ausgebildete
Ärztin oder Krankenschwester. Sie wurde aber gezwungen, als Hausangestellte zu arbeiten, womit sie 82,52 Reichsmark (heute ca. 275€) verdiente. Wahrscheinlich war der 31. Mai 1942 der Tag ihrer Gefangennahme.
Im Sammellager musste sie eine Erklärung unterschreiben: „Ich, der
unterzeichnete Jude, bestätige hiermit, ein Feind der Deutschen Regierung zu
sein und als solcher kein Anrecht auf das von mir zurückgelassene Eigentum,
auf Möbel, Wertgegenstände, Konten oder Bargeld zu haben. Meine deutsche
Staatsbürgerschaft ist hiermit aufgehoben und ich bin ab heute staatenlos.“ 1
Johannas Wohnung wurde versiegelt und das Inventar versteigert.
Georg Hoenich, der am 30. Juli 1898 geboren wurde, lebte mit seiner
Frau in Glatz, Polen. Nachdem sie nach Berlin in eine kleine Zweizimmerwohnung in die Rigaer Straße 30 eingezogen waren, bekamen sie
am 27. Oktober 1926 eine Tochter, Ruth Hoenich. Georg Hoenich arbeitete als Zwangsarbeiter bei der Berliner Müllabfuhr. Im Jahr 1934 wurde
jedoch ein neuer Chef eingestellt: der ehemalige SS-Stabsführer Fritz
Karl Engel, der vorher in einem Konzentrationslager gearbeitet hatte,
welches jedoch wegen Gefangenenmisshandlung geschlossen wurde.
Georg Hoenich und die sechzehnjährige Ruth Hoenich wurden am 14.
Dezember 1942 vom Moabiter Bahnhof mit dem „25. Osttransport“ nach
Ausschwitz deportiert und dort anschließend ermordet. Von Moabit aus
wurden 30.000 Juden in Konzentrationslager verschleppt.
Text: Viet Anh (13), Maxim (14)
Am 23. Juni startete der Deportationszug nach Minsk, dem Sonderghetto
für Juden aus dem Deutschen Reich. Die Unterbringung erfolgte nach
regionaler Herkunft, Berliner kamen ins Sonderghetto II. Nach der
Wannseekonferenz sollten nun auch deutsche Juden ermordet werden.
Bei Trostenez nahe Minsk wurden die Menschen in Gaswagen erstickt,
darunter vermutlich auch Johanna Lichtenstein.
Text: Justin (14), Vanessa (13), Julio (14)
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