Die Balkankriege 1912/13 Erster Weltkrieg: Die 2. und 3. OHL

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ISSN 0940 - 4163
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Heft 2/2008
Militärgeschichte im Bild: Niederschlagung des Prager Frühlings durch Warschauer-Pakt-Truppen am 21. August 1968
Die Balkankriege 1912/13
Erster Weltkrieg: Die 2. und 3. OHL
Henning von Tresckow 1941
Das Bauwesen der NVA
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Impressum
Editorial
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Herausgegeben
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
durch Oberst Dr. Hans Ehlert und
Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.)
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der aktuellen Ausgabe:
OTL Dr. Harald Potempa
Redaktion:
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Hauptmann Magnus Pahl M.A. (mp)
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)
Hauptmann Klaus Storkmann M.A. (ks)
Mag. phil. Michael Thomae (mt)
Bildredaktion:
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Redaktionsassistenz:
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Lektorat:
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Layout/Grafik:
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Karten:
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Redaktion »Militärgeschichte«
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ISSN 0940-4163
Das vorliegende Heft widmet sich in drei Großbeiträgen dem sogenannten Zeitalter der Weltkriege. Diese »Katastrophenzeit« in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts ist gekennzeichnet
durch »die Extensivierung im Einsatz von Gewaltmitteln und -methoden, die Ausbreitung
[des Krieges] in den europäischen Großraum
und [dessen] Ausweitung in den innergesellschaftlichen Binnenraum« (Bruno Thoß).
Ein Schlüsselbegriff im Zeitalter der Weltkriege ist »Vernichtung«. Burkhard
Köster arbeitet am Beispiel der 2. und 3. Obersten Heeresleitung (OHL) das
Verständnis von »Vernichtungs- und Ermattungsstrategie« im Ersten Weltkrieg heraus, die beide, bei allen Unterschieden, eines zum Ziel hatten: den
Feind niederzuwerfen. Die Vernichtung ganzer Bevölkerungen war weder in
der einen noch in der anderen dieser Strategien vorgesehen. Michael Schwartz
führt am Beispiel der Balkankriege von 1912 und 1913 aus, dass die Niederwerfung des Gegners jedoch schon damals auch die Vernichtung der Zivilbevölkerung oder die Vertreibung ganzer Volksgruppen bedeuten konnte. Thomas Reuthers Beitrag über Generalmajor Henning von Tresckow (1901 bis
1944), einen der führenden Köpfe des militärischen Widerstands gegen Hitler, zeigt unter anderem den Wandel des Verständnisses von Vernichtung bei
den obersten Strategen. Das NS-Regime wollte seine Gegner nicht nur militärisch niederwerfen, sondern aus rasseideologischen Gründen sowie zur
Gewinnung von »Lebensraum« im Osten Kombattanten und Zivilisten gleichermaßen physisch vernichten. Tresckow war an der Ostfront im Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte eingesetzt und hatte Kenntnis von den Vorgängen an der Front und im rückwärtigen Bereich. Seine Entscheidung zum
Widerstand und damit letztlich zur Mitwirkung am 20. Juli wurde durch die
erlebte Praxis der unterschiedslosen Vernichtung maßgeblich beeinflusst.
Innerhalb eines Zeitraumes von wenig mehr als 30 Jahren verlor Deutschland
zwei Kriege. Die beiden Kriegsenden konnten unterschiedlicher nicht sein.
Burkhard Köster verweist darauf, dass die OHL im Herbst 1918 den Krieg für
verloren hielt. Sie drängte die Reichsregierung zu einem raschen Waffenstillstand, der am 11. Nov. 1918 unterzeichnet wurde. 1944/45 zeichnete sich die
deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg ab. Thomas Reuther führt am Beispiel Tresckows die Problematik des militärischen Widerstandes aus: Militärische Widerstandshandlungen gegen das NS-Regime hatten nur angesichts
einer Niederlage Aussicht auf Erfolg. Die Soldaten des Widerstandes mussten also die Erfolglosigkeit auf dem Schlachtfeld in ihr Kalkül mit einbeziehen.
Ein Mittel, das verbrecherische NS-Regime und den verlorenen Krieg schnell
zu beenden, war das (gescheiterte) Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944.
Im vierten Großbeitrag beschreibt Klaus Udo Beßer schließlich das Bau­
wesen der Nationalen Volksarmee und stellt sie als Wirtschaftsreserve der
DDR vor.
Ein Schlusswort in eigener Sache: Die Redaktion begrüßt Herrn Hauptmann Magnus Pahl M.A. in ihren Reihen und dankt Herrn Oberleutnant
­Julian Finke M.A., der aus dem Team der »Militärgeschichte« ausscheidet,
für sein gezeigtes Engagement. Der Redaktionsassistent hat ebenfalls gewechselt. Wir danken Herrn cand.phil. Stefan Stahlberg für seine Arbeit und
heißen Herrn Michael Schadow willkommen.
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa
Inhalt
Die Balkankriege 1912/13:
Kriege und Vertreibungen in
Südosteuropa
4
Prof. Dr. Michael Schwartz, geboren 1963
in Recklinghausen, Wissenschaftlicher Mit­
arbeiter am Institut für Zeitgeschichte
­(Abteilung Berlin) und Professor für Neuere
und Neueste Geschichte an der Westfälischen
­Wilhelms-Universität Münster
Ermattungs- oder Vernichtungsstrategie? Die Kriegführung
der 2. und 3. Obersten Heeresleitung (OHL)
10
Das historische Stichwort:
Der Entsatz von Wien
im September 1683
22
Medien online/digital
24
Lesetipp
26
Ausstellungen
28
Geschichte kompakt
30
Militärgeschichte
im Bild
Dr. Burkhard Köster, geboren 1961 in
Rheine/Westf., Oberstleutnant und Referent im
Führungsstab der Streitkräfte I 4
Auf dem Weg zum 20. Juli 1944.
Henning von Tresckow
im Jahre 1941
Service
ČSSR 1968: Militärische
Reaktionen des Westens
14
Thomas Reuther, geboren 1973 in Mannheim, Hauptmann d.R. und Historiker, Potsdam
Niederschlagung des Prager Frühlings
durch Warschauer-Pakt-Truppen am
21. August 1968.
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo
Nationale Volksarmee:
­Arbeitskraftreserve der DDR?
Das Bauwesen der NVA
Dipl.-Bauingenieur Klaus Udo Beßer,
geboren 1950 in Aue/Sachsen, Oberstleutnant
und Wissenschaftlicher Mitarbeiter im MGFA
18
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:
Major Heiner Bröckermann M.A.,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, MGFA;
Dr. Rüdiger Wenzke, Wissenschaftlicher
Oberrat, MGFA.
31
Die Balkankriege 1912/13
Die Balkankriege
1912/13
ullstein bild
Kriege und Vertreibungen
in Südosteuropa
5 Erster Balkankrieg 1912/13: Aus Kleinasien vertriebene Griechen in Saloniki.
S
erben und Albaner betrachten das
seit Februar 2008 unabhängige
Kosovo als Mittelpunkt der eigenen Geschichte und als Herz des Balkans gleichermaßen. Wem das Kosovo
»eigentlich« gehört, ist zwischen beiden Völkern bis heute heftig umstritten. Der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević suchte die Streitfrage
durch die großangelegte Vertreibung
von Albanern zu lösen – was 1999 zur
internationalen Besetzung des Kosovo
und 2008 zur Unabhängigkeitserklärung eines albanisch dominierten
Staates führte.
Die Geschichte Jugoslawiens im 20.
Jahrhundert und die Kriege und Konflikte auf dem Balkan im ausgehenden
20. und frühen 21. Jahrhundert prägen
unsere Wahrnehmung der Region. Dabei beherrschte vor knapp hundert Jahren der Vorgängerstaat der heute weitgehend auf Kleinasien beschränkten
Türkischen Republik, das nach seiner
Sultansfamilie benannte »Osmanische
Reich«, noch weite Teile Südosteuro-
pas: Mazedonien, Albanien und Teile
Griechenlands, Serbiens und Bulgariens.
Auf dem Höhepunkt seiner Macht,
im 16. Jahrhundert, hatte sich dieses
Vielvölkerreich von Budapest bis Bagdad, von der Krim bis Kairo und Tunis
erstreckt. Osmanische Armeen standen
1529 und nochmals 1683 vor der Kaiserstadt Wien, nach deren Eroberung
womöglich weitere Teile des Heiligen
Römischen Reiches Deutscher Nation
den Angreifern in die Hände gefallen
und muslimisch geworden wären. Bekanntlich kam es anders. Das Osmanische Reich verlor seitdem immer
mehr Grenzprovinzen an mächtiger
werdende Nachbarn; Österreich-Ungarn und das Russische Zarenreich
profitierten am meisten. Hinzu kam
seit dem 19. Jahrhundert die Sprengkraft des modernen Nationalismus,
der die Zukunft der Völker nicht in
multinationalen »Völkerkerkern« erblickte, sondern in einheitlichen, möglichst »sauber« getrennten »Nationalstaaten«.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
In nur wenig mehr als hundert Jahren – von 1804 bis 1923 – zerstörte der
Nationalismus die Stabilität der alten
Vielvölkerreiche, darunter auch die des
Osmanischen Reiches, von dem sich
immer mehr »Nationalstaaten« abspalteten: zuerst die Serben und Griechen,
dann die Rumänen, Montenegriner,
Bulgaren, schließlich die Albaner. Das
letzte Jahrzehnt dieser Entwicklung
verlief besonders gewalttätig – beginnend mit dem »Ersten Balkankrieg«
(1912/13), fortgesetzt im »Zweiten Balkankrieg« (1913) sowie unmittelbar danach im Ersten Weltkrieg, endend mit
ethnischen »Säuberungen« und weiteren Kriegen bis 1923. Die Entstehung
eines türkischen Nationalstaates auf
den Trümmern des Osmanischen Reiches war der vorläufige Schlusspunkt
dieser Entwicklung.
Je nachdem, wer gerade die Oberhand in diesen militärischen Konflikten besaß: Es kam stets zu Gewalttaten auch an der Zivilbevölkerung des
»Feindes«. Türkische Gräueltaten wie
die Ermordung oder Versklavung der
orthodoxen Bevölkerung von Chios
während des griechischen Aufstands
1822, die türkischen »Bulgarengräuel«
während des Aufstands von 1876 oder
die türkischen Armeniermassaker von
1896 und 1915/16 prägten nachhaltig
die Wahrnehmung der »zivilisierten«
christlichen Welt. Letztere übersah dabei oft, dass muslimische Bevölkerungsgruppen unter den Gewalttaten
seitens der christlichen Balkanvölker
ebenso litten und – da das Osmanische
Reich diese Kriege zumeist verlor –
letztlich auch die Hauptleidtragenden
von Flucht und Vertreibung waren.
Ethnische »Säuberungen« im
langen 19. Jahrhundert
Die ethnische »Säuberung« des Balkans von den meisten Muslimen wurde
nach den jahrelangen Aufständen der
Serben (1804-1817) und der Griechen
(1821-1830) nicht rückgängig gemacht,
sondern auch im Frieden fortgesetzt
und systematisiert. 1830 wurde den
muslimischen Einwohnern Serbiens
befohlen, »sich aus den ländlichen Gegenden Serbiens in Garnisonsstädte
zurückzuziehen«, und dreißig Jahre
später wurden auch diese Städte – allen voran Belgrad – von dort lebenden
Türken zwangsweise geräumt. Als sich
Serbien zwischen 1876 und 1878 mit
russischer Hilfe die Unabhängigkeit
vom Osmanischen Reich erkämpfte
und sein Gebiet auf türkische Kosten
vergrößerte, bewegte sich ein neuer
muslimischer Flüchtlingsstrom über
die Grenze.
Eine ähnliche Vertreibungswirkung
erzielte ab 1821 der griechische Unabhängigkeitskrieg. Hier war nicht nur
die Zahl der Vertriebenen größer, hier
erfolgte die Vertreibung – wiederum
begleitet von Massakern – auch rascher. Wie der österreichische Historiker Carl von Sax bemerkte, waren binnen eines Monats auf dem Peloponnes
»dreitausend türkische Häuser zerstört
und fast zehntausend Mohammedaner
getötet« worden, wofür sich die Türken an den Griechen andernorts mit
Plünderung, Mord, Brandlegung und
Versklavung christlicher Frauen und
Kinder rächten. Die bedrohten Muslime des Peloponnes flüchteten aus den
Dörfern in die Provinzhauptstadt Tri-
Chronologie der Kriege in Südosteuropa
1804–1817Serbischer Aufstand und Befreiungskrieg gegen die Osmanen; Serbien
wird autonom.
1821–1830Griechischer Aufstand und Befreiungskrieg gegen die Osmanen.
1830Griechenland wird unabhängig.
1877/78Russisch-Osmanischer Krieg um die Vorherrschaft auf dem Balkan.
1878Berliner Kongress. Die Großmächte regeln die Verhältnisse auf dem
Balkan: Serbien, Montenegro und Rumänien werden unabhängig,
Bulgarien bleibt tributpflichtig, Bosnien-Herzegowina fällt unter öster­
reichisch-ungarische Verwaltung.
1894–1896Im Osmanischen Reich Unruhen zwischen Muslimen und Armeniern,
Massaker an den Armeniern.
1908Bulgarien wird unabhängig, Bosnien-Herzegowina von Österreich­Ungarn annektiert.
1911/12Aufstände der Albaner gegen die osmanische Herrschaft.
1912/13Erster Balkankrieg: Das Osmanische Reich verliert seine europäischen
Besitzungen an Serbien, Bulgarien, Griechenland und Montenegro;
Albanien wird unabhängig.
1913Zweiter Balkankrieg: Bulgarien kämpft erfolglos gegen Serbien, Griechenland und Montenegro und wird auch von Rumänien und dem
Osmani­schen Reich angegriffen; die Osmanen erobern Edirne ­zurück.
1914–1918Erster Weltkrieg.
1918–1922Zerfall des Osmanischen Reiches, das zu den Verlierern des Ersten
Weltkrieges gehört.
1920–1922Griechisch-Türkischer Krieg endet mit der Vertreibung der Griechen
aus Kleinasien.
1923Vertrag von Lausanne, »Bevölkerungsaustausch« zwischen Griechenland und der Türkei; Mustafa Kemal (Atatürk) gründet die Türkische
Republik.
1939–1945Zweiter Weltkrieg.
1991–1999Kriege auf dem Staatsgebiet des früheren Jugoslawiens
(1991: Slowenien; 1991–1995: Kroatien; 1992–1995: Bosnien;
1999: Kosovo).
politsa (die später von Griechen zerstört wurde) oder in die Festungen an
der Küste. Gelang es den Griechen,
eine solche Stadt zu erobern, wurde
diese dem Erdboden gleichgemacht;
deren Einwohner wurden massakriert.
Als die Osmanen 1825 mit ägyptischen Hilfstruppen im Bürgerkrieg
zeitweilig die Oberhand gewannen,
wurde ihnen die Absicht unterstellt,
alle Christen nach Ägypten zu verschleppen und sie in Griechenland
durch Araber zu ersetzen. Dazu kam es
nicht, stattdessen unterbreiteten 1826
die Großmächte Großbritannien und
Russland den Vorschlag, »zum Zwecke
der völligen Trennung der Nationen«,
deren friedliches Zusammenleben
nicht mehr möglich erscheine, sollten
die Türken die griechischen Gebiete
räumen. Diese völlige Ausweisung der
Muslime aus dem griechischen Kernstaat wurde 1829/30 friedensvertrag-
lich durchgesetzt. Und die territoriale
Erweiterung Griechenlands im Laufe
des 19. Jahrhunderts bewirkte wie im
serbischen Parallelfall immer wieder
Flucht oder Vertreibung von Muslimen.
Ein besonders heikler Fall war die Insel Kreta – seit den 1860er Jahren von
griechischen Aufständen erschüttert,
durch griechisch-europäisches Zusammenwirken immer mehr aus dem Osmanischen Reich herausgetrennt und
1912 im Ersten Balkankrieg mit Griechenland vereinigt. Die ethnische »Säuberung« Kretas in diesen Bürgerkriegen vollzog sich ganz nach dem Muster des griechischen Aufstandes von
1821/22: Ein gewalttätiger Partisanenkrieg der Griechen trieb die muslimische Bevölkerung zur Flucht aus
den Dörfern in die Hafenstädte, wo ihrerseits die Türken Rache an der griechischen Stadtbevölkerung nahmen.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
Die Balkankriege 1912/13
nerten deutlich an die ganz ähnliche
Gewalt während der Balkankriege
1912/13. Auch damals wurde nationale
Befreiung durch Massaker und Vertreibung erreicht, und schon damals mündeten Flucht und Vertreibung in staatliche Verträge über Zwangsumsiedlungen.
Der Erste Balkankrieg 1912/13
Der Erste Balkankrieg begann im Oktober 1912, als ein »Balkanbund« aus
Bulgarien, Serbien, Griechenland und
Montenegro das Osmanische Reich angriff, um diesem die letzten europäischen Besitzungen zu entreißen. Die
bulgarische Armee eroberte Adrianopel (Edirne) und kämpfte sich bis an
die feindliche Hauptstadt Konstantinopel (seit 1930 Istanbul) heran. Währenddessen eroberten die Griechen das
südmazedonische Selanik (Thessalonike/Saloniki) und Epiros, die Serben
das zentralmazedonische Üsküb
(Skopje) und, zusammen mit Montenegro, das Kosovo – jene Region, die für
das serbische Nationalbewusstsein besonders wichtig ist, da dort die Hauptorte des mittelalterlichen serbischen
Großreiches liegen: die alte Zarenstadt
Prizren, der alte Hauptsitz der serbisch-orthodoxen Kirche in Peć, die
von den serbischen Nemanjiden-Königen und -Kaisern gegründeten Klös­
ter Visoki Dečani und Sveti ­Arhandjeli
(= Erzengelkloster). Was dieser Nationalismus – wie alle übrigen intoleranten Nachbarnationalismen – geflissentlich übersah, war zweierlei: zum
einen, dass das mittelalterliche Reich
der Serben – ebenso wie das Byzantinische Reich der Griechen oder das Osmanische Reich – kein moderner Nationalstaat, sondern ein Vielvölkerreich
gewesen war; zum zweiten, dass das
Kosovo seit mehreren hundert Jahren
osmanisch beherrscht wurde, weshalb
viele Serben – oft nach gescheiterten
Aufständen – nach Norden in österreichisch-ungarisches Gebiet geflohen
und viele Muslime (besonders Albaner) eingewandert waren.
Montenegro versuchte im Ersten Balkankrieg 1912/13 zugleich das heutige
Nordalbanien um Shkoder (Skutari) zu
erobern. Der Krieg endete unter Vermittlung der Großmächte im Mai 1913
mit dem Frieden von London, der den
Siegern die gesamte europäische Türkei
zur Teilung überließ. Nur Konstantinopel blieb mit etwas europäischem Vorgebiet osmanisch, und nur der Kern
ullstein bild
Zeitweilig flüchteten in den 1860er
Jahren Tausende kretischer (griechischer) Frauen und Kinder per Schiff
nach Griechenland, wo viele verhungerten, da der schwache Staat mit ihrer
Versorgung völlig überfordert war.
Und obwohl Kreta trotz mehrerer Versuche erst 1913 an Griechenland fiel,
wanderten schon lange zuvor viele
Muslime aus ihrer unsicher gewordenen Heimat in andere Gebiete des
Osmanischen Reiches aus, von denen
sie annahmen, dass es für Muslime
dort sicherer sei. Konflikte wie auf
Kreta blieben daher nur scheinbar begrenzt, denn die Flüchtlinge verbreiteten ihre Gewalterlebnisse und ihre
Revanchestimmung auch in den Aufnahmeregionen.
Ein Teil der muslimischen KretaFlüchtlinge wandte sich nach Saloniki
(Selanik), der Geburtsstadt des späteren türkischen Präsidenten Kemal
Atatürk, das 1912 im Ersten Balkankrieg aber ebenfalls von den Griechen
erobert wurde, was zur Flucht und
Vertreibung von Muslimen und Juden
führte. Viele Muslime auf Kreta emigrierten nach Kleinasien, etwa in die
große Hafenstadt Smyrna, wo sie auf
neue griechische Nachbarn trafen und
wo die wechselseitigen Konflikte bald
eskalierten – von den Massakern griechischer Besatzungstruppen an türkischen Zivilisten 1919 bis zur Flucht
und Vertreibung der griechischen Zivilbevölkerung 1922. Damals wurde
die mehrheitlich von Griechen bewohnte Stadt Smyrna von den Türken
zurückerobert, verbrannt und brutal
von ihren christlichen Minderheiten
»gesäubert«, um als türkisch geprägtes
Izmir neu errichtet zu werden. Auch
bei den osmanischen Türken hatten
sich vor dem Hintergrund siegreicher
christlicher Nationalismen ein intolerantes nationalistisch-ethnisches Denken durchgesetzt.
Der auf beiden Seiten brutal geführte
griechisch-türkische Krieg von 1919 bis
1922 mit seinen Massakern und Vertreibungen ging 1923 durch den Vertrag von Lausanne in einen international geregelten »Bevölkerungsaustausch« über, sodass rund eineinhalb
Millionen kleinasiatische Griechen
nach Griechenland und über 350 000
Muslime aus Griechenland in die klein­
asiatische Türkei zwangsweise umgesiedelt wurden. Diese Vorgänge erin-
5 Erster Balkankrieg: Bulgarische Artilleriestellung während der Belagerung von
Adrianopel (Edirne), Januar 1913.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
des albanischen Siedlungsgebiets
wurde dem Expansionsstreben der Serben, Griechen und Montenegriner
durch die Großmächte entzogen, die
einen unabhängigen Staat Albanien zu
bilden beschlossen. Diese Unabhängigkeit war, wie sich zeigen sollte, durch
innere Konflikte und starke auswärtige
Nachbarn immer wieder bedroht. Zugleich gerieten andere Gebiete mit albanischer Bevölkerungsmehrheit unter
die Herrschaft der vergrößerten Balkanstaaten; die heutigen Minderheitenprobleme in Serbien, Montenegro und
Mazedonien, auch in Nordgriechenland gehen darauf zurück. Hierin liegt
auch der Ursprung des nach wie vor
bestehenden Kosovo-Problems.
Der Zweite Balkankrieg 1913
nische Reich das geostrategisch wie
symbolisch wichtige Edirne zurück –
eine alte osmanische Sultansresidenz
und das wichtigste Bollwerk für die
Hauptstadt Konstantinopel.
Für die meisten Staaten Europas galt
damals die Norm der möglichst auf
militärische Auseinandersetzungen begrenzten Staatenkriege, zu deren Einhegung 1899/1907 die Haager Landkriegsordnung geschaffen worden
war; auch Bulgarien, Griechenland,
Montenegro, Rumänien und Serbien
sowie die Türkei hatten den Vertrag
1907 unterzeichnet. Auf dem Balkan
aber fanden 1912/13 regelrechte »ethnische Bürgerkriege« statt, deren Brutalität sich aus dem völligen Verzicht
auf die Unterscheidung von Soldaten
und Zivilisten ergab. Das grausame
Vorgehen gegen unerwünschte Teile
der Zivilbevölkerung verfolgte das
Ziel, durch Ermordung oder Vertreibung ganzer Volksgruppen in ethnisch
bisher gemischten Gebieten größere
»nationale« Einheitlichkeit zu erzwingen. Eine durch Furcht vor Massenmord ausgelöste panikartige Flucht
der muslimischen Bevölkerung vor der
serbischen Armee und der christlichen
Bevölkerung vor muslimischen Aktio­
nen erlebte der deutsche Journalist
ullstein bild
Mit den Ergebnissen des Londoner
Friedens zeigte sich Bulgarien nicht zufrieden. Zwar hatte dieses Land unter
enormen Opfern Ostthrakien mit
Edirne erobert, doch das symbolträchtige Hauptziel: die Besetzung bzw. –
aus christlich-romantischer Sicht – die
»Befreiung« Konstantinopels war gescheitert. Hingegen hatten Bulgariens
Verbündete Serbien und Griechenland
weit mehr Land erobert. Problematisch
wurde die Weigerung Serbiens, auf
große Teile des eroberten Mazedoniens
zugunsten Bulgariens zu verzichten.
Vorangegangen war diesem Schritt
Serbiens die Verzichtsforderung seitens der Bulgaren. Die verbündeten
Nationen waren sich in der Frage uneins, ob die Bewohner dieser Region eigentlich Serben oder Bulgaren oder
Griechen seien; hinzu kam, dass der
neue Staat Albanien Serbien den Weg
zur Adria verbaute, weshalb Belgrad
im Raum Skopje zu keinerlei Kompromissen bereit war. Serbien und Griechenland verbündeten sich bereits kurz
nach dem Londoner Frieden, und das
isolierte Bulgarien suchte sein Heil im
Überraschungsangriff: Im Juni 1913 begann der Zweite Balkankrieg um die
Beute aus dem Ersten. Dabei hielt die
geschwächte bulgarische Armee den
neuen Feinden nicht lange stand, zumal Bulgarien auch noch durch das
bisher neutrale Rumänien und das im
Ersten Balkankrieg besiegte Osmanenreich im Rücken angegriffen wurde.
Im Frieden von Bukarest (Juli 1913)
musste Bulgarien den Siegern alle gewünschten territorialen Zugeständnisse machen. Im Separatfrieden von
Konstantinopel holte sich das Osma-
5 Zweiter Balkankrieg: Gefangene bulgarische Soldaten auf dem Marsch durch Saloniki,
August 1913.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
ullstein bild
Die Balkankriege 1912/13
5 Erster Balkankrieg: Montenegrinische Soldaten in Skutari (Shkoder) überwachen
die Rückkehr vertriebener Einwohner in die Innenstadt, März 1913.
Carl Pauli im Herbst 1912 in der mazedonischen Hauptstadt Üsküb, dem
heutigen Skopje, von dessen 47 000
Einwohnern 30 000 Muslime waren.
Pauli berichtete:
»Die Einheimischen suchten so rasch
als möglich die Stadt zu verlassen, die
Christen in ihrer Furcht vor einem [türkischen] Gemetzel, die Türken in ihrer
Angst vor einem Bombardement der
Stadt [...] Auf allen Seiten drängten die
Massen heran und strömten gegen den
Bahnhof [...] Alle die Hunderte leer liegenden Lastwagen waren besetzt; zu
Hunderten hockten Weiber und Kinder in einem Wagen, und auch auf den
Wagendächern hockten die kläglichen
Gestalten der armen türkischen Frauen
mit ihren weinenden Kindern und mit
dem in Todesangst zusammengerafften Bündel. Und der kalte Regen rieselte mitleidlos über dem unsäglichen
Jammer [...] Menschenknäuel, Flüchtlinge, die nur das eine riefen, baten
und bettelten, mussten und kannten:
Fort, Flucht, Hilfe! [...] Alles planlos,
verwirrt, ohne Kopf und ohne Sinn. Es
war die Todesfurcht, die Angst vor etwas nie erlebtem, die alle Menschen
gleichmäßig gepackt hatte, und da gab
es kein Halten mehr.«
Zur selben Zeit herrschte in der von
den Bulgaren bedrohten osmanischen
Hauptstadt Konstantinopel das Gerücht, die Muslime wollten dort aus
Rache alle »Fremden« ermorden. Zugleich ging eine andere »alte Prophe-
zeiung« unter Muslimen um: Es werde
eine Zeit kommen, in der die alte klein­
asiatische Hauptstadt Brussa, wo die
Grabstätten der ersten Sultane liegen,
wieder zur Hauptstadt der Türkei
werde. Das türkische Volk werde dann
in Anatolien einen eigenen Nationalstaat errichten, der ausschließlich ihm
gehöre und keine fremden Rassen
mehr als Mitbesitzer dulden werde. In
diesem erträumten und schon bald von
Atatürk (mit der Hauptstadt Ankara
statt Brussa) realisierten anatolisch-türkischen Kernstaat war für christliche
Minderheiten kaum noch Platz.
Die Balkankriege von 1912/13 führten
nicht nur zu massenhaften Vertreibungen, sie erzeugten auch die ersten
bilateralen Abkommen über »Bevölkerungsaustausch«. Das erste war der
1913 in Konstantinopel geschlossene
Friedensvertrag zwischen dem Osmanischen Reich und Bulgarien. Es handelte sich um einen Frieden zwischen
zwei geschwächten, hintereinander besiegten Staaten, und gerade diese beiderseitige Erschöpfung ermöglichte
die Vereinbarung eines wechselseitigen »Bevölkerungstransfers«. Diese
Vereinbarung war allerdings auf eine
nur »15 km lange Zone entlang der gemeinsamen Grenze« beschränkt und
blieb hypothetisch, da die betroffenen
48 000 Bulgaren und 49 000 Türken bereits während des Krieges »emigriert«
waren. Beiden Regierungen ging es daher primär darum, die ethnischen
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
»Säuberungen« völkerrechtlich zu bestätigen und die zurückgelassenen Vermögenswerte miteinander zu verrechnen.
Die wenig später herbeigeführte griechisch-osmanische »Übereinkunft zu
einem Bevölkerungsaustausch« vom
Frühsommer 1914 hatte andere Hintergründe, denn Griechenland gehörte zu
den Siegerstaaten der Balkankriege.
Gerade deshalb wollte das in Konstantinopel regierende »jungtürkische« Regime die an der kleinasiatischen Küste
siedelnden rund eine Million Griechen
nicht mehr dulden. Seit Anfang 1914
wurden 150 000 Griechen zur Flucht
nach Griechenland getrieben, weitere
50 000 nach Zentralanatolien deportiert. Dadurch sah sich die griechische
Regierung gezwungen, dem osmanischen Vorschlag zuzustimmen, die
hellenische Bevölkerung Thrakiens
und Westanatoliens (die Region um
Smyrna) gegen muslimische Einwohner Makedoniens und des Epiros auszutauschen. Infolge des Ersten Weltkrieges wurden die vertraglichen Regelungen nicht mehr ratifiziert.
Der Unterschied zur osmanisch-bulgarischen Konvention lag bei dieser osmanisch-griechischen »Absichtserklärung« darin, dass sie eine wesentlich
größere Zahl von Menschen (über eine
Million) innerhalb eines viel größeren
Raumes hätte betreffen sollen. Der
griechisch-türkische »Bevölkerungsaustausch« von Lausanne 1923, der einen weiteren Krieg beendete, griff
dann bekanntlich noch sehr viel weiter
aus. Dabei wurde der Lausanner Frieden während des Zweiten Weltkrieges
für einige der gegen Hitler-Deutschland kämpfenden Alliierten – namentlich für die Polen und Tschechoslowaken, aber auch für die Briten und USAmerikaner – zu einem wesentlichen
Vorbild für die geplante und ab 1944/45
in die Tat umgesetzte Vertreibung und
Zwangsaussiedlung von zwölf bis
fünfzehn Millionen Deutschen aus den
»Ostgebieten» des Deutschen Reiches.
Vorspiel für den Ersten Weltkrieg
Die Balkankriege von 1912/13 verschärften weitere Konflikte. Der damals als verfolgter Kommunist aus
dem Zarenreich emigrierte und als Balkan-Korrespondent tätige spätere so-
wjetische Spitzenpolitiker Leo Trotzki
interviewte 1912 Andranik Toros Ozanian, der eine armenische Freiwilligenmiliz zur Unterstützung der bulgarischen Armee gegen die Osmanen aufstellte. Ozanian legte Wert auf die Feststellung, dass er »gegen die türkische
Zivilbevölkerung [...] niemals irgendwelche feindlichen Aktionen unternommen« habe. Doch als Trotzki im
November 1912 in Sofia auf Verwundete dieser armenischen Truppe traf,
gaben diese zu, unterdessen türkische
Zivilisten massakriert zu haben. Zur
Rechtfertigung beriefen sie sich auf
zwanzig Jahre zurückliegende osmanische »Armenier-Pogrome«, an die
sich jeder Armenier noch gut erinnern
könne. Nach Beginn des Ersten Weltkrieges stellten sich solche Freiwilligenverbände osmanischer Armenier
sofort auf die Seite der Russen – des
Kriegsgegners der Osmanen. Dies wiederum bot Anlass und mehr noch Vorwand für die osmanische Verfolgung
sämtlicher Armenier ab 1915: Auch
hilflose Frauen und Kinder wurden als
»Verräter« eingestuft und unter grausamen Umständen nach Mesopotamien deportiert. Den Tod zahlreicher
Menschen kalkulierten die türkischen
Verantwortlichen in die Aktion ein. Ein
Teil der Opfer kam durch gezielte
Mord­aktionen um, was die staatlich organisierte Operation nach Ansicht vieler Historiker zu einem Genozid (Völkermord) machte.
Nach den Balkankriegen erlebte Südosteuropa eine kurze Friedenspause.
Doch schon im Sommer 1914 begann
der Erste Weltkrieg, der auf dem Balkan womöglich noch grausamer geführt wurde als andernorts. Die österreichisch-ungarischen und deutschen
Besatzer Serbiens und Montenegros sahen sich ab 1915/16 mit einem Partisanenkrieg konfrontiert und reagierten
mit harten Repressalien gegen die Zivilbevölkerung. In Serbien soll während des Ersten Weltkrieges ein Viertel
der gesamten Bevölkerung umgekommen sein. Als ihre Besatzungsherrschaft in Montenegro 1918 zusammenbrach, massakrierten die Montenegriner sofort massenhaft Albaner und
Muslime. Im Kosovo ließ der Weltkrieg
einen schon seit 1912 dauernden Kampf
zwischen Serben und Albanern ungehindert eskalieren; und dieser Nationalitätenkonflikt ging dort (wie auch
an vielen anderen Orten des Balkans)
auch nach Ende des Weltkrieges jahrelang weiter. Bulgarien, ab 1915 Verbündeter der Deutschen und Österreicher,
hatte im Weltkrieg Serbisch-Makedonien und das Kosovo besetzt und dort
derart brutal gewütet, dass Aufstände
die Folge waren. Der Historiker Misha
Glenny bezeichnet daher den Ersten
Weltkrieg auf dem Balkan als eine Art
»Dritten Balkankrieg«. Die Gewalt und
der dadurch erzeugte gegenseitige
Hass dieser Kriege wirkten lange nach.
Diese gegenseitige Gewalt wurde im
Zweiten Weltkrieg auf mindestens
ebenso grausame Weise eine Generation später erneuert – und wieder nicht
vergessen.
Seit jeher erklären viele die hier geschilderte Gewalt mit vorgeblich uralten nationalen Gegensätzen auf dem
Balkan. Doch die interethnische Gewalt basierte nicht nur auf »uraltem«
Hass, sondern war primär die brutale
Folge neuartiger Modernisierungsund »Verwestlichungsprozesse«. Die
intolerante nationalistische Ideologie
selbst, welche die traditionellen Vielvölkerreiche infrage stellte und sie
schließlich zerstörte, war ein westeuropäischer Import. Diese Ideologie wurde
durch das moderne Schulwesen unter
den zuvor analphabetischen Bauern
des Balkans verbreitet. Ein weiterer Import erfolgte durch das Militär, das
westliche Vorbilder hatte und das für
eine flächendeckende »ethnische«
Kriegführung unerlässlich war. Die
Gewalttaten der Balkankriege dienten
nicht nur – wie frühere – der spontanen
Rache und Plünderung, bei denen der
Effekt ethnischer »Säuberung« eher nebenbei eintrat, sondern sie dienten der
Vertreibung als vorgeplantes Hauptziel.
Historiker haben festgestellt, dass
derart massive Flucht- und Vertreibungsprozesse vor 1914 untypisch für
den Rest von Europa gewesen und erst
durch die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges übertroffen worden seien – sowohl was die Opferzahlen als auch was
die räumliche Ausdehnung der Vertreibungen anbelangt. Für den Balkan
konstatierte 1914 die Carnegie-Kommission – eine international besetzte,
von der privaten Stiftung eines USMultimillionärs finanzierte Untersuchungskommission, welche die Kriegsgebiete 1913 bereist hatte – für Mazedonien und Thrazien eine regelrechte
Völkerwanderung mit zahlreichen Todesopfern. Türken seien vor Christen
geflüchtet, Bulgaren vor Griechen und
Türken, Griechen und Türken vor Bulgaren, Albaner vor Serben. Später haben Historiker die Opferzahlen nachgeliefert. Von dort bei Kriegsbeginn lebenden 2,3 Millionen Muslimen waren
bei Kriegsende Mitte 1913 – neun Monate später – nur noch 1,4 Millionen
vorhanden. 632 000 Menschen (27 Prozent) sollen durch Massaker, Fluchtstrapazen oder Seuchen zu Tode gekommen sein. Zwar hatten auch türkische
Soldaten und albanische Muslime Verbrechen verübt, doch nach Kriegsende
sahen sich die verbliebenen Muslime
harter christlicher Herrschaft ausgeliefert, die durch Diskriminierung eine
scheinbar freiwillige Auswanderung
von Muslimen bewirkte oder letztere
zu weitgehender Unterwerfung und
Anpassung zwang. Zu dieser auf bedingungslose Assimilation zielenden
»Nationalitätenpolitik« der Balkanstaaten nach 1912/13 bemerkte die britische Publizistin Mary Edith Durham
(eine Verteidigerin der Albaner und
Anklägerin der Serben) später sarkastisch: »So manches englische Dorf
würde sich für indianisch erklären,
wenn fünftausend bewaffnete Männer
dies verlangten – und im Weigerungsfalle es mit der Vernichtung bedrohen.«
Die Gewaltgeschichte des Balkans ist
eine wesentliche (aber nicht alleinige)
Ursache für die blutigen Bürgerkriege
Ende des 20. Jahrhunderts. Das multi­
ethnische Jugoslawien brach schließlich in den 1990er Jahren auseinander.
Ob die durch Kriegsintervention oder
mit Friedensmissionen dort engagierten internationalen Organisationen der
UN, der NATO und der EU diese Spirale der Gewalt werden eindämmen
können, ist ungewiss. Auch wenn wir
heute vorsichtig optimistisch sein wollen, gilt immer noch, was der österreichische Historiker Carl von Sax schon
vor hundert Jahren – kurz nach den
Balkankriegen und kurz vor dem Ersten Weltkrieg – feststellte: »Ruhe wird
[...] überhaupt nicht eher eintreten, als
bis der blinde Nationalfanatismus,
diese moderne Geißel der Menschheit,
durch Vernunft, Kultur und Humanitätssinn überwunden sein wird.«
 Michael Schwartz
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
Ermattungs- oder Vernichtungsstrategie?
Logo der Reihe »Strategie«
­unter Verwendung eines Bildes
von bpk/Antikensammlung;
Foto: Jürgen Liepe;
Gestaltung: MGFA
Ermattungs- oder
­Vernichtungsstrategie?
ullstein bild
Die Kriegführung der 2. und 3. Obersten Heeres­leitung (OHL)
Erich Ludendorff (1865–1937) mit einem Offizier eine
Landkarte betrachtend:
3Planung ...
Süddeutsche Zeitung Photo
6... und Realität: Stellungskrieg 1916.
I
m September 1914 war der Erste
Weltkrieg bereits verloren! So könnte
das Fazit lauten, wenn die operativen und strategischen Planungen des
deutschen Generalstabes vor dem Krieg
begründet waren. Angesichts der politischen und militärischen Rahmenbedingungen eines Zweifrontenkrieges
sowie der begrenzten personellen und
materiellen Ressourcen Deutschlands
schien nur der Vernichtungsgedanke
eines »Schlieffenplans« den notwendigen schnellen Sieg zu ermöglichen.
Insbesondere dem Zeitfaktor kam dabei eine existenzielle Bedeutung zu.
Folgerichtig wurden die Erfolgsaussichten einer naturgemäß lang anzulegenden Ermattungsstrategie für das
Deutsche Reich vor 1914 als äußerst gering bewertet. Dennoch führte die 2. OHL
(1914–1916) in den folgenden Kriegsjahren mit General Erich von Falken-
10
hayn ein Offizier, der »gegenüber der
neuzeitlichen Waffenwirkung fortan
Vernichtungsschläge von feldzugentscheidender Wirkung für ausgeschlossen« hielt.
Daher stand seine Kriegführung un­
ter dem Vorzeichen einer Ermattungs­
strategie, so die allgemeine Forschungs­
meinung. Seit Sommer 1916 hätten
dann mit Paul von Hindenburg und
Erich Ludendorff zwei Offiziere die
3. OHL (1916–1918) geführt, die aufgrund ihrer Vorverwendungen auf
dem östlichen Kriegsschauplatz eher
offensiv geprägt waren und daher die
Entscheidung im Westen 1918 wiederum klassisch durch militärische Vernichtung der Gegner suchten.
Der Frage eines Strategiewechsels
gilt im Folgenden die Analyse aus ­einer
betont militärhistorischen Pers­pektive
»von oben«, die einen Zugang zum
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
Verständnis der handelnden militärischen Führer aus der ihnen zugänglichen tak­tischen und operativen Gedankenwelt ermöglicht. Anders gefragt: Wie ist der operative Ansatz unter den während des Krieges gegebenen
strategischen Zielsetzungen und Rahmenbedingungen zu bewerten? Dies
soll anhand des militärischen Vorgehens der Führer der 2. und 3. OHL, der
Generale Falkenhayn bzw. Ludendorff,
untersucht werden.
Operatives Denken
Vernichtungsstrategie auf der einen
und Ermattungsstrategie auf der anderen Seite waren deutschen Generalstabsoffizieren spätestens durch den
Strategiestreit mit dem zivilen Historiker Hans Delbrück wohlvertraut. Beide
ullstein bild
ullstein bild
Erich von Falkenhayn (1861–1922).
Paul von Hindenburg (1847–1934).
Strategien sollten dem gleichen Ziel
dienen: »Das Niederwerfen des Feindes
ist das Ziel des Krieges«, so der Vordenker Carl von Clausewitz, der hinzufügte, dass die »Vernichtung der
feindlichen Streitkräfte das Mittel« sei.
Demnach gehörte in der deutschen Militärtheorie des 19. Jahrhunderts das
Niederwerfen als Ziel zur strategischen
Ebene und erforderte weitaus mehr als
militärische Mittel. Die Vernichtung
der feindlichen Streitkräfte betraf dagegen die operative Ebene. Wichtig ist
festzuhalten, dass sowohl eine Vernichtungs- als auch eine Ermattungskriegführung zugleich beide Elemente,
Angriff und Verteidigung, beinhalten
konnte. In diesem Zusammenhang
hieß »Vernichtung« für die Offiziere
des Ersten Weltkriegs nichts anderes,
als die Feinde »so vollkommen niederzuwerfen, dass sie bedingungslos um
Frieden bitten müssten« (Falkenhayn).
Sie bedeutete aber nicht einmal ansatzweise die Vernichtung der Bevölkerung oder gar die Durchführung eines
Genozids.
In Deutschland wurde und wird jedem Offizier auf allen Führungsebenen das Führen mit Auftrag (kurz: Auftragstaktik) als zentrales Führungsdenken vermittelt. Das heißt mit den
­prägenden Worten Moltkes, dass der
Vorgesetzte das übergeordnete Ziel bekannt gibt, und all das, »aber auch nur
das« befiehlt, »was der Untergebene
zur Erreichung eines bestimmten
Zweckes nicht selbständig bestimmen
kann«. Ansonsten blieb und bleibt es
dem Untergebenen überlassen, wie er
den Auftrag erfüllt, frei von Schemadenken, Spielraum nutzend und selbstständig Initiative zeigend. Dieses Denken kooperierte mit der operativen
Führung, auch hier war Statisches verpönt. Vielmehr galt es, die Möglichkeiten des Handelns abzuwägen; Folgerungen mussten in einen Entschluss
münden, an dem dann aber zunächst
mit aller Kraft festzuhalten war.
Auf operativer Ebene ging es um die
Planung von verfügbaren Kräften nach
Raum und Zeit sowie um die Beurteilung der eigenen und der gegnerischen
Kampfkraft. Dabei hatte der militärische Führer das von der Strategie –
modern ausgedrückt: Politik – vorgegebene Ziel mit höchster Aussicht auf
Erfolg zu erreichen. Angesichts dieser
Vorgabe besaßen die Kriegführungen
Falkenhayns und Ludendorffs bei allen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten:
1. Für beide war eine entscheidende
Voraussetzung aller Planungen
gleich; sie hatten die Operationen
so zu führen, dass am Ende ein –
wie auch immer gearteter – militärischer Erfolg mit politischen Gewinnen stand.
2. Ob Abnutzungs- oder Vernichtungsstrategie: In beiden konnten
sowohl Angriffs- als auch Verteidigungsoperationen gleichermaßen zum Tragen kommen.
3. Die rein militärischen Führungsprozesse in der OHL waren bis
zum Sommer 1918 immer nüchtern lage- und kriegsorientiert.
Hinzu traten operative und strategische Rahmenbedingungen, die für
beide Akteure während des gesamten
Kriegs letztlich gleich blieben:
1. Von Anfang an waren die Deutschen ihren Gegnern materiell
und personell deutlich unterlegen.
2. Das sich ständig verschlechternde
Kräfteverhältnis konnte nur in begrenztem Rahmen durch eine
überlegene Taktik und ein überlegenes Führungsdenken ausgeglichen werden. Daher war der Faktor Zeit ein dominierendes Element
bei allen Beurteilungen der Lage.
3. Eine für die Vernichtungsstrategie
notwendige Angriffsoperation mit
dem Ziel der »Zerstörung der
feindlichen Streitmacht« bedurfte
im Schwerpunkt einer deutlichen
Kräfteüberlegenheit. Angesichts
der eigenen Kräfte waren damit
Angriffe bei dem gegebenen
Mehrfrontenkrieg auf operativer
Ebene nur örtlich und zeitlich eng
begrenzt zu führen.
Falkenhayns Operationsführung
Unsicher und gefährlich – so stellte
sich die strategische Lage für Falkenhayn im November 1914 dar. Im Westen stand das Heer zwei etwa gleichstarken Gegnern gegenüber, die ebenso
wie die Deutschen notgedrungen begonnen hatten, sich an der gesamten
Front einzugraben. Unbestritten kommt
Falkenhayn, so der Historiker Holger
Afflerbach, das Verdienst zu, im November 1914 »die ungünstige Lage erkannt und seine weitere Strategie nach
ihr ausgerichtet zu haben«. Angesichts
der skizzierten Lage sei Falkenhayn
davon ausgegangen, dass der Krieg für
ihn schon dann gewonnen wäre, wenn
er nicht verloren würde. Eine diplomatische Lösung sollte, so unrealistisch
sie auch im Rückblick erscheint, den
Ausweg weisen. Andererseits waren
der Kaiser, die Armee und die Bevölkerung noch fest davon überzeugt, den
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
11
Süddeutsche Zeitung Photo
Ermattungs- oder Vernichtungsstrategie?
»Ermattungsstrategie«? Deutsche Soldaten in der »Knochenmühle« Verdun.
Krieg mit einem »Sieg-Frieden« beenden zu können. Das bedeutete aber im
Umkehrschluss eine Erwartungshaltung oder – militärisch formuliert –
eine Vorgabe, der die Operationsplanung zu folgen hatte: Ein Kriegsende,
dass aus Sicht des Deutschen Reiches
nur die Situation vor 1914 wiederherstellen oder gar eine reduzierte Machtposition des Reiches zur Folge haben
würde, war unbedingt zu verhindern.
Die erhofften diplomatischen Verhandlungen mussten jedoch aus einer
Position der Stärke heraus geführt werden. Doch wie war Stärke militärisch
zu demonstrieren? Offensive benötigt
Überlegenheit an Feuerkraft und an
Soldaten sowie den Raum zum Operieren. Die Erfolge Hindenburgs und Ludendorffs im Osten hatten zwar gezeigt, dass großräumiges Operieren
mit der Inkaufnahme von Lücken und
zeitlich begrenzter Schwerpunktbildungen personelle Unterlegenheit auszugleichen vermochten. Im Westen gab
es jedoch nach dem Scheitern der deut-
12
sche Offensive 1914 weder Personal,
Material noch den Raum für weitere
Offensiven. Eine offensive Kriegführung verbot sich dort wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg für 1915 daher
von selbst.
Damit war der Rahmen für die Operationsführung des Jahres 1915 vorgegeben. Es galt, das Eroberte zu halten
und dort offensiv zu werden, wo erwartbare Erfolge nach innen und außen die eigene Verhandlungsposition
stärken konnten. Halten im Westen
und großräumige Offensiven im Osten
waren demnach Ergebnisse eines gemeinsamen militärstrategischen Ansatzes.
Im Rückblick erweist sich das Jahr
1915 für die Mittelmächte als das erfolgreichste des Krieges. Im Westen
und auf den Dardanellen wurden
feindliche Angriffe erfolgreich abgewehrt und im Osten gelangen große
operative Raumgewinne. Doch dem eigentlichen Ziel, dem nun einmal eine
erfolgreiche Ermattungsstrategie zu-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
grunde liegt, kam Falkenhayn 1915
nicht einen Schritt näher. Der Gegner
konnte nicht zum Frieden gezwungen
werden. Die für Angriffe notwendige
örtliche Überlegenheit von mindestens
drei zu eins, an welcher Front auch immer, hätte die anderen Fronten existenzbedrohend von Kräften entblößt.
Zugleich zeigte das Beispiel der französischen Offensiven 1915 warnend,
dass auch Angriffe mit deutlich überlegenen Kräften »keinen durchschlagenden Erfolg garantierten«. Demnach
hätte – wie 1914 – die zweite Variante
zum Tragen kommen können: zu halten, um so den Gegner zu schwächen
und auf eine politische Lösung zu setzen. Abwegig war dieser Ansatz nicht,
wie ein Blick auf die Lage zum Jahresende 1915 zeigt. Im Osten waren die
Russen zwar nicht besiegt, aber nur
noch zur Verteidigung fähig. In
Deutschland war die Umstellung auf
die Kriegswirtschaft erfolgreich angelaufen. Der notwendige Ersatz kam in
die Regimenter. Vieles, was heute im
Strategie
Nachhinein als operativ fragwürdig erscheint, war zeitbedingt logisch entwickelt und bedurfte zunächst einmal des
Scheiterns, um es als falsch zu erkennen. Das gilt auch für den operativen
Ansatz Falkenhayns für das Jahr 1916.
Er hatte gelernt, dass Russland durch
eine Offensive nicht kriegsentscheidend zu schlagen war und ihm für eine
entscheidende Offensive an der Westfront die Kräfte fehlten. Die Operation
gegen Frankreich sollte daher keine
mit hohen Opfern für Deutschland verbundene Durchbruchsschlacht werden. Vielmehr sollten in der »Blutmühle« von Verdun nur die Franzosen
verbluten und so zusammen mit den
Erfolgen im U-Boot-Krieg die Briten
zum Kriegsaustritt gezwungen werden.
Falkenhayns Ansatz war ein bewusst
strategischer. Er war auch nicht nur
das Produkt einer aus Not geborenen
Ermattungsstrategie des Novembers
1914. Vielmehr war er Teil einer Strategie, die jetzt Züge einer Vernichtungsstrategie annahm. So kann es auch
kaum verwundern, dass die Truppe
seine operativen Planungen für Verdun als offensive Vernichtung des Gegners missinterpretierte. Der Plan, den
Gegner zu locken, um ihn dann im Artilleriefeuer ausbluten zu lassen, war
zu konstruiert und scheiterte in einem
ungeplanten Blutbad.
Der Wechsel zu Ludendorff
Der Wechsel in der OHL im August
1916 hat etwas vom Wechseln der Trainer im Profimannschaftssport an sich.
Die Mannschaft, ihre Gegner und die
Regeln bleiben gleich. Und dennoch
hofft man mit einer neuen Spitze auf
eine entscheidende Neuausrichtung.
Aber auch die neue, 3. OHL stellte nach
einer nüchternen Analyse im Herbst
1916 fest, dass das Kräfteverhältnis
und die Ressourcen am Jahresende
1916 keine Möglichkeiten für eine
kriegsentscheidende Offensive im Westen 1917 bieten würden.
Die strategische Hoffnung richtete
sich nun auf den uneingeschränkten
U-Boot-Krieg, der die Briten zum Frieden zwingen und so den Krieg beenden sollte. Offenkundig war aber auch,
dass die Alliierten 1917 die Entscheidung mit Angriffen an allen Fronten
auf dem Kontinent suchen würden.
Daher widmete sich Ludendorff nun
vordringlich einer Aufgabe, die er meisterhaft beherrschte: Er ließ ein taktisches Verteidigungsverfahren entwickeln, um den Angreifer mit möglichst
geringen eigenen Verlusten abwehren
zu können. Der kongeniale operative
Ansatz zu der neuen beweglichen
Raumverteidigung war dann der operative Teilrückzug in die »Siegfriedstellung« im März 1917. Damit könnte der
erfolgreiche operative Ansatz der
Kräfte im Westen für 1917 sogar als
noch defensiver als der Falkenhayns in
den Vorjahren, vielleicht sogar als reine
Ermattungsstrategie bewertet werden.
Diese Wertung würde jedoch das Wesentliche aus dem Blick verlieren: Ludendorffs Defensive bereitete lediglich
die erneute Offensive vor. Dabei fehlte
der 3. OHL jedoch der für Falkenhayn
nachweisbare strategische Gesamtansatz. Ludendorff wollte den Krieg militärisch gewinnen. Realistische politische Optionen waren ihm fremd. Vor
dem Hintergrund des Kriegseintritts
der USA fehlte dem operativen Ansatz
für die Offensive im Westen jedoch der
gesamtstrategische Rahmen.
Nur das Frühjahr 1918 erschien günstig. Die drei für den Hauptstoß der
Operation Michael vorgesehenen Armeen besaßen jedoch nur bei einer Armee ein Kräfteverhältnis von drei zu
eins bei den Divisionen, ansonsten war
das Verhältnis etwa zwei zu eins.
Der Ansatz 1918, mit einem überlegenen Stoß im Cambraibogen den Gegner zu umfassen und die Briten so zum
Verlassen des Kontinents zu zwingen,
war ein taktisch-operativer, kein strategischer. Maßgebend blieb der Faktor
Zeit. Es gab nur ein enges Zeitfenster
für einen erfolgversprechenden Angriff. In dem Augenblick, wo sich die
militärische Potenz der USA auswirken würde, spätestens im Sommer
1918, war der Krieg verloren.
Ein Vergleich
Die Operationsführung während des
Ersten Weltkriegs hat mehrfach zwischen offensiven und defensiven Planungen gewechselt. Eine scharfe Trennung zwischen einer Ermattungsstrategie Falkenhayns und der Vernichtungsstrategie Ludendorffs hat es aber
nicht gegeben. Vielmehr nahm schon
Falkenhayns Kriegführung für 1916
Züge einer Vernichtungsstrategie an.
Bezeichnend für diese These ist auch,
dass Ludendorff ähnlich wie die 2. OHL
zunächst einen defensiven operativen
Ansatz wählte, weil er militärisch begründet war. Der Ansatz 1917, aus einer durch erfolgreiche Verteidigung
gestärkten Position heraus im Folgejahr offensiv zu werden, verweist auf
Parallelen in Falkenhayns Überlegungen Ende 1915. Daher liegt die
Schlussfolgerung nahe, Falkenhayn
hätte unter den Rahmenbedingungen
des Jahresendes 1917 mit seinem Stab
zu einem ähnlichen operativen Ansatz
gelangen können wie Ludendorff. Das
liegt in den militärischen Verfahren begründet, die verlangen, dass eine militärische Beurteilung der Lage immer
alle Möglichkeiten des Handelns prüfen muss, offensive wie defensive. Im
Zeitfenster März/April 1918 war der
Ansatz, den Gegner mit einer Angriffsoperation zu vernichten, beim Abwägen gegenüber anderen Möglichkeiten
des Handelns – orientiert an der Absicht der übergeordneten Führung –
der am erfolgversprechendste.
Der eigentliche Unterschied zwischen 2. und 3. OHL besteht nicht im
operativen Denken oder einem Gegensatz von Abnutzungs- oder Vernichtungsstrategie. Er besteht vielmehr darin, dass Falkenhayn strategisch dachte,
während Ludendorff in taktisch-operativen Dimensionen verhaftet blieb
und damit seiner zugewiesenen politischen Rolle nicht gerecht wurde. Andernfalls hätte er erkennen können,
dass selbst ein Durchbruch im Westen
den Krieg nicht ohne ein strategisches
Gesamtkonzept beendet hätte. Falkenhayn war ein strategischer Kopf mit
beschränkter taktischer Begabung,
während Ludendorff ein taktisches Genie mit großer Organisationsbegabung
war, jedoch ohne die Fähigkeit, über
den operativen Tellerrand hinaus zu
denken.
 Burkhard Köster
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
13
Auf dem Weg zum 20. Juli 1944
Widerstand in Anlehnung an die
militärische Hierarchie
Im April 1940 – vor dem Angriff im
Westen und nach dem vergeblichen
Bemühen um einen Umsturz – traf sich
Oberstleutnant i.G. (im Generalstab)
von Tresckow mit seinem ehemaligen
Regimentskameraden Hauptmann i.G.
Wolf Graf von Baudissin. Es war ihr
letztes Zusammentreffen. Tresckow
zeigte sich skeptisch: Er meinte, der
Angriff habe gute Erfolgsaussichten,
aus politischer Sicht müsse aber auf ein
Scheitern des Angriffs gehofft werden,
denn bei einem Sieg wäre an Widerstand gegen Hitler kaum mehr zu denken. Widerstand durch Sabotage der
eigenen Angriffsoperationen schloss
Tresckow aus. Die Verantwortung für
die eigenen Soldaten – sonst ein zentrales Motiv des Widerstandes – war
für Tresckow in dieser Situation nicht
mit seiner politischen Einsicht vereinbar. Dies änderte sich mit dem Ab-
14
ullstein-bild
B
is zum Attentat auf Hitler und
zu dem Umsturzversuch am
20. Juli 1944 war es ein weiter
Weg. Generalmajor Henning von
­Tresckow (1901–1944) war 1944 einer
der führenden Offiziere des militärischen Widerstandes. Anfang der
dreißiger Jahre hatte er noch als Oberleutnant für Hitler und den Nationalsozialismus Partei genommen, weil er
auf die »nationale Wiedergeburt« einer »wehrfähigen« Nation gehofft
hatte. Dies änderte sich grundlegend,
als Hitler am 30. Juni 1934 bei der
»Röhm-Affäre« die SA-Spitze, die innerparteiliche Opposition und konservative politische Gegner wie den ehe­
maligen Reichskanzler General Kurt
von Schleicher mit Ehefrau ermorden
ließ. Dem folgte Tresckows innere
Abkehr von Hitler und dem NS-Regime. Als sich im Jahre 1938 erstmals
ein zivil-militärischer Widerstand for­
mierte, gehörte er dazu. Schließlich
schloss sich Tresckow spätestens im
Herbst 1939 dem Attentatsgedanken
an, wie er von Oberst Hans Oster vertreten wurde, der Schlüsselfigur des
Widerstandes im militärischen Nachrichtendienst. Der zivil-militärische
Widerstand war am 28. September
1938 und am 5. November 1939 einem
Staatsstreich nahegekommen.
3 Oberst i.G. Henning
von Tresckow an
seinem Arbeitsplatz
in der Führungs­
abteilung der
Heeres­gruppe
Mitte bei Smolensk
im Sommer 1942.
Auf dem Weg zum 20. Juli 1944.
Henning von Tresckow
im Jahre 1941
schluss der Operationen in Frankreich.
Am 24. Juni trat Tresckow an den Generalstabschef des Heeres General der
Artillerie Franz Halder heran und
schlug die Durchführung des Attentats
auf Hitler vor. Halder lehnte ab, indem
er auf den Triumph Hitlers durch den
Sieg über Frankreich verwies. Eine weitere solche Initiative Tresckows ist bis
1941 nicht überliefert.
Im Sommer 1940 begannen die Planungen des Deutschen Reiches für den
Überfall auf die Sowjetunion. Am 10.
Dezember wurde Tresckow in die Führungsabteilung im Generalstab der
Heeresgruppe B versetzt. Die Heeresgruppe sollte im Mittelabschnitt der
Ostfront den sowjetischen Schwerpunkt treffen. Oberbefehlshaber der
Heeresgruppe war Generalfeldmarschall Fedor von Bock. Dessen Adjutant war der Gutsbesitzer und Major d.R.
(der Reserve) Carl-Hans Graf von Hardenberg, den Tresckow seit 1918 durch
die damalige Dienstzeit im selben Regiment kannte. Hardenberg war 1941
sein engster Vertrauter im Widerstand.
Im Februar 1941 ließ Tresckow zudem
einen entfernten Verwandten als Ordonnanzoffizier zu sich versetzen, der
auch zum Widerstand gehörte: den
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
Rechtsanwalt und Leutnant d.R. ­Fabian
von Schlabrendorff. Tresckow erörterte
mit diesem mehrfach die Frage: »Warum will Hitler den Angriff auf Russland?« Dies bedeutete den Zweifrontenkrieg, den das Deutsche Reich aller
Voraussicht nach verlieren musste,
wenn der Feldzug nicht innerhalb von
drei Monaten siegreich beendet sein
würde. Er hielt aber einen Erfolg für
möglich und teilte den Standpunkt des
Generalstabs des Heeres, wonach der
Angriff zunächst die Masse der sowjetischen Streitkräfte zerschlagen müsse,
um dann – ohne Rücksicht auf die
Flanken­bedrohung – in einem direkten
Stoß auf Moskau das »Herz« des
­Gegners zu treffen. Dadurch sollte das
Sowjetsystem zusammenbrechen.
Am 28. April 1941 wurde die von Hitler befohlene Einplanung der berüchtigten »Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD« bekannt. Sie
sollten als selbstständige Formationen
neben dem Heer im rückwärtigen Gebiet auftreten. Die Einsatzgruppen unterstanden dem Reichsführer-SS
Himmler und hatten den ideologisch
begründeten mörderischen »Rassenkampf« gegen die Zivilbevölkerung in
Osteuropa erstmals 1939/40 in Polen
Am 31. Mai 1941 gab die Heeresführung den von Hitler ausgehenden
»Kriegsgerichtsbarkeitserlass« an die
Truppe weiter, der die Zivilbevölkerung praktisch für »vogelfrei« erklärte.
Am 13. Juni folgte der »Kommissarbefehl«, der die Ermordung der sowjetischen Parteifunktionäre im Offizierrang anordnete. Damit wurde das Heer
selbst zum Träger der verbrecherischen
Kriegführung. Tresckow versuchte, dagegen Widerstand zu mobilisieren,
scheiterte aber bereits an seinem eigenen Oberbefehlshaber. Ohne Befehlsgewalt, eingebunden in die Kommandostrukturen einer Heeresgruppe unter einem Oberbefehlshaber und unter
einem Generalstabschef, war Tresckows Handlungsspielraum auf den
fortwährenden Versuch beschränkt,
seine Umgebung zu beeinflussen oder
seine Gesprächspartner zu überzeugen.
Der Übergang zum kompromisslosen Widerstand
Mit dem Überfall auf die Sowjetunion
am 22. Juni 1941 wurde die Heeresgruppe B in Heeresgruppe Mitte umbenannt. Der KriegsgerichtsbarkeitserPrivat. Uta Freifrau von Aretin
geführt. Tresckow erhielt bereits um
den 8. März – unter Umgehung des
Dienstweges – von Oster Informa­
tionen über deren Einplanung. Mitte
Juni stand fest, dass die Einsatzgruppe
im Bereich der Heeresgruppe B von
dem Reichskriminaldirektor und SSBrigadeführer Arthur Nebe geführt
werden würde. Nebe stand in Kontakt
mit Oster. Dies war Tresckow nicht bekannt. Besorgt entsandte er Schlabrendorff nach Berlin, um Erkundigungen
über Nebe einzuholen. Warum Nebe
seit 1938 den Widerstand unterstützte,
muss aufgrund der mangelnden Überlieferung offen bleiben. Oster verbürgte
sich jedoch für den SS-Führer, der den
Widerstand unterstützt habe. Vor dem
Überfall nahm Nebe Verbindung zu
Tresckow auf. Der Inhalt ihres Gesprächs ist nicht bekannt geworden.
Überliefert ist jedoch Tresckows Erleichterung aufgrund des Gesprächs
mit Nebe. Er erhoffte sich von der verdeckten Zusammenarbeit mit Nebe die
Sabotage der SS-Mordaktionen. Nebe
hatte Tresckow also offenbar die Nichtausführung der Mordbefehle oder zumindest die Minimierung der Mordaktionen seiner Einsatzgruppe zugesichert.
5Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte Generalfeldmarschall Fedor von
Bock (im Vordergrund grüßend), der 1. Generalstabsoffizier Oberstleutnant i.G. von
Tresckow (daneben), der Adjutant Major d.R. Graf von Hardenberg (dahinter mit
Mütze) und weitere Offiziere des Stabes im Hauptquartier in Borissow (zwischen dem
11. und 30. Juli 1941).
lass machte dem Oberkommando der
Heeresgruppe eine eindeutige Sprachregelung zur Aufrechterhaltung der
Disziplin in der Truppe unmöglich,
und der Kommissarbefehl wurde von
zahlreichen Verbänden befolgt. Demgegenüber fiel es nicht ins Gewicht,
dass Tresckow – seine Befugnisse überschreitend – einmal die Ermordung
eines Kommissars verbot oder einen
Soldaten mit einem Kriegsgerichtsverfahren bedrohte, nachdem dieser einen
Kriegsgefangenen erschossen hatte.
Die militärischen Operationen verliefen indessen planmäßig. Am 13. Juli
ging aber bei der Heeresgruppe die
Nachricht ein, dass Hitler plane, den
Angriffsschwerpunkt im Mittelabschnitt – also das Angriffsziel Moskau
– aufzugeben. Dabei begann sich zu
dieser Zeit das Lagebild zu verdichten,
dem zufolge die sowjetischen Reserven
zwischen der Heeresgruppe Mitte und
Moskau zu treffen waren. Für ­Tresckow
war damit der gesamte Feldzug – und
damit die weitere Existenz des Deutschen Reiches – infrage gestellt. Am 25.
Juli besuchte der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel die
Heeresgruppe, um die neue Opera­
tions­planung zu vertreten und Hitlers
Idee für die künftige Kampfweise darzustellen. Keitel sagte: »Führer [= Hitler] wünscht [...], dass militärische Führung sich von großen, operativen Einkreisungsschlachten umstellt auf taktische Vernichtungsschlachten in
kleineren Räumen, in denen gestellter
Feind 100%ig vernichtet wird.« Diese
von Hitlers Brutalität diktierte Vorstellung kam einer Verhöhnung damaliger
militärischer Vernunft gleich. Gleichwohl setzte Hitler im August die
Schwerpunktverlagerung nach Nord
und Süd durch.
Noch deutlicher wurde die Ohnmacht Tresckows angesichts des Vorgehens der Einsatzgruppe B. Ob Nebe
seinen Handlungsspielraum zur Verhinderung von Mordaktionen tatsächlich voll ausschöpfte, bleibt unklar.
­Sicher ist, dass bei einem solchen Unterfangen die Unterstützung des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe Mitte
kaum vorhanden war, vor allem aber,
dass Nebe dabei seinem Vorgesetzten,
dem Höheren SS- und Polizeiführer
Mitte Erich von dem Bach-Zelewski,
sowie den untergebenen Chefs der Ein-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
15
Auf dem Weg zum 20. Juli 1944
satzkommandos und Sonderkommandos gegenüberstand. Bach-Zelewski
trieb den unterstellten Bereich im »Rassenkampf« gnadenlos an. Er führte unmittelbar, insbesondere die beiden
größten Formationen Nebes, die Einsatzkommandos 8 und 9. Es konnte somit keine Rede davon sein, dass Nebe
seine Einsatzgruppe mehr oder minder
»neutralisierte«. Am 20. Juli wurde
­Tresckow ein Tätigkeitsbericht der Einsatzgruppe B für den Zeitraum vom 9.
bis 16. Juli vorgelegt. Am Rand war die
Zahl der Ermordeten – insgesamt 1330
– zusammengezählt. Der Bericht offenbarte, wie die Gewalt im rückwärtigen
Heeresgebiet Mitte eskalierte.
Mit dem Versuch, innerhalb des verbrecherischen Handlungsrahmens auf
eine professionelle und zivilisierte
Kriegführung hinzuwirken, erreichte
Tresckow nichts Wesentliches. In der
zweiten Julihälfte 1941 traf er sich deshalb mit Hardenberg zu einer grundlegenden Aussprache: Sie stellten fest,
dass »der bisher beschrittene Weg des
Versuches der Einflussnahme auf die
zur Führung berufenen Persönlichkeiten [gemeint sind die Führungsspitzen des Heeres] zu keinem Erfolge«
­geführt habe. Niemand finde sich, »der
kraft seiner Stellung versuchte, sich
­gegen befohlene Verbrechen und mili­
tärischen Wahnsinn aufzulehnen«.
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Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
­ resckow und Hardenberg blieb desT
halb nur eine Möglichkeit übrig, um
auf die moralische Herausforderung
zu reagieren: Sie mussten im hochverräterischen Vorgehen gegen die Staatsführung, im Extremfall als Attentäter,
die Initiative übernehmen. Eigentlich
an mitdenkenden Gehorsam gewöhnt
und in elitären Ehrbegriffen altpreußischer Tradition sowie an einem verpflichtenden Glauben gebunden, löste
diese Einsicht einen inneren Konflikt
aus, den Hardenberg Anfang 1946 so
beschrieb:
»Die Schwierigkeit der Aufgabe war
uns voll bewusst. Es galt zu aktiven revolutionären Taten zu schreiten, d.h.
mit allem zu brechen, was uns von den
Vätern gelehrt und was mit der Ehre
eines preußisch-deutschen Soldaten
verbunden war. Besitz, Familie, eigene
und Standesehre musste[n] in die
Waagschale geworfen werden, wenn
dieser Weg beschritten werden sollte.
War es notwendig? War es richtig? War
es zu vereinbaren mit den ethischen
und christlichen Gesetzen, denen wir
unterstanden? Wir schieden, als bereits
der Sternenhimmel die russische Weite
überdeckte, mit dem Versprechen, mit
uns selber über diese Frage ins reine zu
kommen.
Wer [...] glaubt, dass Ehrgeiz, Ruhmsucht oder der Wunsch, sich der kommenden Katastrophe zu entziehen, die
Männer [des zivil-militärischen Widerstandes] damals geleitet hat, der weiß
nichts von den Gewissensbissen und
seelischen Qualen, mit denen jeder für
sich allein fertig werden musste. Und
was war, wenn uns der Erfolg nicht beschieden sein sollte? War dann nicht
der ganze Einsatz vergeblich und nur
ein Verbrechen? Es dauerte Tage und
Wochen, in denen diese Gedankengänge immer wieder abgesprochen
wurden«.
Als Hitler am 4. August 1941 das
Hauptquartier der Heeresgruppe in
Borissow besuchte, wurde die weitere
Kriegführung im Osten besprochen.
Dabei schnitt die Heeresgruppe die
Grundsatzfragen an – auch die Behandlung der Zivilbevölkerung –, ohne
dass Hitler sich hätte beeinflussen lassen. Tresckow prüfte bei dieser Lagebesprechung erstmals die Möglichkeit
eines Attentats. Im letzten Septemberdrittel fiel bei Tresckow und Hardenberg die Entscheidung: »Das Wohl des
Volkes« verlange »den vollen Einsatz
[...]. Auch im Falle des Missglückens
muss der Welt gezeigt werden, dass es
in dieser Zeit Männer gegeben hat, die,
wie der Grabstein von Marwitz in Friedersdorf sagt, Ungnade wählten, wo
Gehorsam nicht Ehre einbrachte.«
Tresckow und Hardenberg waren
nicht bereit, die moralische Richtschnur der Ehre aufzugeben. Als traditionell eingestellte Offiziere empfanden sie jedoch zugleich Attentat und
Umsturz als unvereinbar mit ihrem
Wertegefüge. Der Entschluss zum Handeln fiel letztlich, weil beide nicht damit leben konnten, angesichts der beispiellosen Situation untätig zu bleiben.
Die über Jahre gewachsene Opposition
und dann der Widerstand seit 1938 waren dafür die Voraussetzungen. Dabei
lässt die Überlieferung keine Aussage
darüber zu, ob entweder die Beendigung des »militärischen Wahnsinns« –
mit dem massenhaften Opfern von
Solda­ten auf dem Weg in den Untergang – oder die Beendigung der verbrecherischen Kriegführung mit dem
mas­senhaften Morden das stärkere
Wider­standsmotiv war. Ohne die »befohlenen Verbrechen« ist allerdings
Tresckows und Hardenbergs im September 1941 gefasster Entschluss kaum
vorstellbar.
Vergebliches Bemühen um den
Umsturz
Mit dem Umsturz sollte das Deutsche
Reich wieder unter die zivilisierten Nationen zurückgeführt werden, um
dann den Krieg schnellstmöglich durch
einen Verständigungsfrieden zu beenden. Dafür musste verdeckt eine zivilmilitärische Umsturzorganisation aufgebaut werden. Diese Aufgabe bezeichnete Tresckow (Anfang 1944 rückblickend) unter den Bedingungen des
Überwachungsstaates als die »Hauptschwierigkeit«. Absprachen waren nur
über Kuriere oder durch persönliche
Begegnungen möglich. So befand sich
Hardenberg vom 30. Juli bis zum 26.
August 1941 infolge einer Krankmeldung in Berlin. Schlabrendorff wurde
im letzten Septemberdrittel zur Durch­
führung vorbereitender Gespräche
nach Berlin entsandt. Am 8. November
besprachen Tresckow und Hardenberg
im Hauptquartier bei Smolensk das
weitere Vorgehen mit dem zum Widerstand gehörenden Verwaltungsfachmann und Oberleutnant d.R. FritzDietlof Graf von der Schulenburg. Dieser hoffte wie Hardenberg, den Umsturz noch 1941 erreichen zu können.
Tresckow war skeptischer.
In Berlin stellte Schulenburg mehrere
Kontakte her. Am 14. November sprach
er mit dem Rechtsanwalt und Kriegsverwaltungsrat im OKW Helmuth
James Graf von Moltke sowie dem
Oberregierungsrat und Leutnant d.R.
Peter Graf Yorck von Wartenburg, die
ebenfalls den Umsturz anstrebten. Pa­
ral­lel dazu prüften Tresckow und Hardenberg bei einigen Oberbefehlshabern an der Ostfront die Bereitschaft
zum Widerstand – mit negativem Ergebnis. Die einzige Ausnahme bei den
Führungsspitzen war der Oberbefehlshaber West in Paris, Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben. Zeitweilig
bestand auch die Hoffnung, dass Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch, der Oberbefehlshaber des
Heeres, sich an die Spitze eines Umsturzes stellen würde. Diese Hoffnung
endete aber spätestens am 19. Dezember, als Hitler Brauchitsch entließ und
selbst dessen Oberbefehl übernahm.
Dies war die entscheidende Phase bei
dem Bemühen um einen Umsturz, und
Tresckow war infolge einer Krankmeldung vom 17. bis zum 27. Dezember in
Berlin. Das wichtigste Gespräch führte
Tresckow wohl in dieser Zeit mit
Halder, dem Generalstabschef des
Heeres.
Halder versicherte Tresckow unter
Tränen, dass ein Staatsstreich wegen
der Führungsverhältnisse nicht durchsetzbar sei. Erneut wurde sein ungenügender Widerstand deutlich: Halder
setzte wie Tresckow sein gesamtes militärisches Können ein, war aber, im
Gegensatz zu Tresckow, ohne innere
Distanz gegenüber der strategisch-operativen Kriegführung des Reiches. Die
Verbrechen ließ er nicht als Handlungszwang gelten. Ende 1939 hieß es bei
ihm, »erst einmal den Krieg glücklich
beenden«. Nach dem Sieg über Frankreich hieß es, erst eine Krise müsse den
Weg zum Umsturz freimachen. Als
dann aber die militärische Krise im Dezember 1941 da war, sah er – wie bei
der Krise im Herbst 1939 – keine Möglichkeit für eine Aktion. Moltke fasste
am 8. Februar 1942 resigniert zusam-
men: »an die Stelle des mir vor Weihnachten entgegengehaltenen ›es ist zu
früh‹, ist jetzt getreten ›es ist zu spät‹.«
Tresckow wurde wie Moltke angesichts der militärischen Führer, die
nicht einmal aus ihrer militärischen Beurteilung der Lage Konsequenzen zogen, zu einem Verächter dieser Offiziere.
Die strategische Wende des Krieges
war besiegelt, als die Wehrmacht einer
unbesiegten Roten Armee gegenüberstand und Hitler den USA am 11. Dezember den Krieg erklärte. Vom 22. Juni
1941 bis Ende Januar 1942 hatte die
Wehrmacht mehr als eine Million Tote,
Verwundete, Kranke und Vermisste,
die Rote Armee etwa zehn Millionen.
In den zehn Monaten bis April 1942 erschossen die Einsatzgruppen A, B, C
und D mehr als 500 000 Juden. Die
»Endlösung der Judenfrage« wurde
seit 1942 in Todeslagern wie Auschwitz-Birkenau verfolgt. Aber erst das
militärische Desaster von Stalingrad
im Winter 1942/43 eröffnete dem zivilmilitärischen Widerstand die Möglichkeit für einen Anlauf zum Attentat und
zum Umsturz am 13. März 1943. Der
Attentatsversuch misslang jedoch,
blieb aber unentdeckt. Es dauerte danach bis zum 20. Juli 1944, ehe Attentat
und Umsturzversuch unternommen
wurden. Für Tresckow hatte der politische Zweck dieser Unternehmung,
die Rettung des Reiches, zu diesem
Zeitpunkt keine Bedeutung mehr
(siehe Militärgeschichte 2/2004). Er erfuhr am Nachmittag an der Ostfront
vom Scheitern des Attentats auf Hitler.
Als in der Nacht auch das Scheitern
des Umsturzversuchs feststand, nahm
sich Tresckow am nächsten Tag das
­Leben.
 Thomas Reuther
Literaturtipps:
Winfried Heinemann, Der militärische Widerstand und
der Krieg. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Welt­
krieg, Bd 9/1, München 2004, S. 743–892
Peter Hoffmann, Oberst i.G. Henning von Tresckow und
die Staatsstreichpläne im Jahr 1943. In Vierteljahres­
hefte für Zeitgeschichte, 55 (2007), S. 330–364
Henning von Tresckow. Ich bin der ich war. Texte und Do­
kumente hrsg. von Sigrid Grabner und Henrik Röder, 3.,
veränderte Aufl., Berlin 2005
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
17
Das Bauwesen der NVA
Soldaten der NVA bei der Kartoffel­ernte auf Rügen, 10. Mai 1963.
V
on der Aufstellung der NVA am
1. März 1956 bis zur Auflösung
am 2. Oktober 1990 verrichteten
die NVA-Soldaten auch Tätigkeiten,
die nicht zu den herkömmlichen Aufgaben des Militärs zählen. Neben der
Erbringung von Truppeneigenleis­tun­
gen beim Bau von Unterkünften, Ausbildungsanlagen und Gefechtsständen
wurde an der »Getreidefront« und bei
der Kartoffelernte »gekämpft«. In der
Industrie und Bauwirtschaft der DDR
herrschte Arbeitskräftemangel, der
durch den Einsatz von Soldaten kompensiert werden sollte. Ob Hochwasser, Schnee oder Frost: Die NVA setzte
teilweise die Hälfte ihres Personals im
Katastrophenfall ein. Da die Braunkohle- und Energiewirtschaft der DDR
krankte und fast jede Schlechtwetterlage eine Krise bedeutete, mussten immer mehr Soldaten helfen. Logische
Folge war die Aufstellung neuer Ingenieur- und Pionierbautruppenteile der
NVA. Ihre Geschichte soll im Folgenden kurz skizziert werden.
Gesellschaftliche
Rahmenbedingungen
Anders als im Grundgesetz (GG) der
Bundesrepublik Deutschland war in
der Verfassung der DDR keine Trennung zwischen dem militärischen Teil
der Streitkräfte und der zivilen Wehrverwaltung verankert. Dies bedeutete,
18
dass konfliktlos Baueinheiten aufgestellt werden konnten. Neubau, Betrieb
und Unterhaltung militärischer Anlagen wurden durch Unterkunftsabteilungen in jedem Bezirk geplant, organisiert und kontrolliert. Ausschreibun­
gen an konkurrierende Firmen gab es
in der staatlich gelenkten Planwirtschaft nicht. Der Sonderbedarf I, die
sogenannten »Bauwerke mit spezieller
militärischer Zweckbestimmung«,
musste mindestens zwei Jahre vor Beginn jedes 5-Jahr-Planes durch den
­Nationalen Verteidigungsrat (NVR)
bestätigt werden. Die Staatliche Plankommission, deren Abteilung I ein Generalleutnant führte, gliederte die Militärgroßvorhaben in den Staatsplan ein.
Die Haushaltsmittel wurden geplant
und es wurde eine LVO-Nummer
(Leistungs- und Lieferverordnung für
die sozialistische Landesverteidigung)
vergeben.
Die DDR kannte kein Grundrecht auf
Kriegsdienstverweigerung. Mit Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht
am 24. Januar 1962 stellte sich die
Frage, wie mit Staatsbürgern zu verfahren sei, die den Waffendienst aus
religiösen Gründen ablehnten. Verweigerung der Wehrpflicht wurde mit
Freiheitsstrafen bedroht. Das Verhältnis des Staates zu den Kirchen verschlechterte sich, wie auch der Druck
der westlichen Öffentlichkeit zu einer
Lösung zwang. Als einziger Staat des
Ostblocks bot die DDR ab dem 7. Sep-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
tember 1964 den Gläubigen einen waffenlosen Dienst in Baueinheiten der
NVA. Diese wurden in die Baupionierbataillone eingegliedert.
Baupioniereinheiten (der NVA)
1964–1971
Mit dem Befehl 108/64 des Ministers
für Nationale Verteidigung (MfNV)
wurden das Baupionierbataillon (BPiB)
5 in Prenzlau und drei weitere in Bärenstein im Erzgebirge für die Landstreitkräfte, das BPiB-14 der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (LSK/LV) Garz
und das BPiB-7 der Marine in Nonnewitz auf Rügen aufgestellt. Die Bataillone der Landstreitkräfte setzten
sich aus vier Pionierbaukompanien mit
wehrdienstleistenden Soldaten und
zwei Baueinheiten mit 64 sogenannten
Bausoldaten zusammen. Bei den LSK/
LV waren neben den sieben »regulären« Baukompanien drei Baueinheiten mit 96 Bausoldaten eingesetzt,
bei der Marine eine Baueinheit mit 32
Angehörigen aufgestellt. Die Möglichkeit der Einberufung von 256 waffenlos Wehrdienstleistenden halbierte die
Zahl der Totalverweigerer sofort. An
die Stelle der Maschinenpistole trat der
Spaten, der als Symbol auch die Schulterklappen zierte. Die eingezogenen
Soldaten nannten sich oft »Spatensoldaten«. Bis 1973 wurden sie auch zum
Bau von militärischen Ausbildungsan-
ullstein bild
Das
Bauwesen
der NVA
vember 1983 wurde dem PiBB-MUKRAN eine Baueinheit (BE) mit 150
Mann unterstellt. Im Strukturschema
85 hatte die Baueinheit für den Fähr­
hafenbau auf der Insel Rügen bereits
480 Angehörige. In den Chemiekombinaten Schwedt, Buna, Leuna und Bitter­
feld mussten Bausoldaten Schicht­arbeit
leisten, die zudem noch körperlich
schwer und gesundheitsgefährdend
war. Mit der Auflösung der Baueinheiten im Januar 1990 wurden 1500
Bausoldaten entlassen. Im August 1989
noch hatte der Stellenplan 95 (STAN)
des Ministeriums für Nationale Ver­
teidigung 4200 Bausoldaten vorgesehen.
1966 entstanden vier weitere Baupionierbataillone mit Standorten in Bernau (2), Torgau und Prenzlau. Das
BPiB-5 wurde zwischenzeitlich nach
Torgelow-Drögeheide verlegt. Die Einheiten unterstanden dem Chef der Verwaltung Spezialbauwesen im Bereich
Militärbauwesen/Unterbringung des
Ministeriums für Nationale Verteidigung. Die militärische Führung der
Baueinheiten wurde aus bestehenden
Pioniertruppenteilen gebildet. Bauingenieure aus den Reihen der eingezogenen Soldaten erhielten lukrative Angebote. Der Einstellungsdienstgrad für
Fachschulabsolventen war der des Unterleutnants, Diplomingenieure erhiel­
ten den Leutnantsrang, ohne die übliche Offizierausbildung durchlaufen
zu müssen. Die Verpflichtungszeit betrug drei oder zehn Jahre. Ab Mitte der
1970er Jahre studierten an der Inge­
bpk/Horst E. Schulze
lagen, z.B. dem Schießtrainingsplatz in
Prenzlau, verwendet. Das führte zu
neuen Gewissenskonflikten, weil viele
Gläubige auch die Ausbildung zum
Töten nicht unterstützen wollten. Die
Bausoldaten kannten ihre Rechte sehr
genau, die Kirchen unterstützten sie.
Nicht zuletzt wegen ihrer Eingaben
und Beschwerden erfolgte der Einsatz
ab 1973 vorwiegend dezentral in Lazaretten, Ferienheimen und rückwärtigen Einrichtungen. Es ist eine Ironie
der Geschichte, dass nach dem Ende
der SED-Herrschaft mit Rainer Eppelmann ein ehemaliger Bausoldat zum
letzten Verteidigungsminister der DDR
ernannt wurde. Teile der Armeeangehörigen aus den Gefechtstruppen mit
85%igem Bereitschaftsdienst beurteilten die Aufgaben der Bausoldaten als
»leichte Hilfsarbeiten«. Sie wähnten
sich benachteiligt und protestierten
­gegen die vorgeblich angenehmen
Dienstbedingungen der Bausoldaten.
Die Zahl der Wehrdienstverweigerer
wuchs, mancher lehnte den NVADienst nicht nur aus religiösen und Gewissensgründen, sondern grundsätzlich ab und wurde Bausoldat. Er nahm
berufliche Benachteiligungen in der
DDR in Kauf.
Die steigenden Forderungen nach
Arbeitskräften in der Industrie veranlassten das Ministerium für Nationale
Verteidigung, mit Befehl 45/82 neue
Baueinheiten aufzustellen, die im Straßenbauregiment 2 und in Lagern und
Einrichtungen der Rückwärtigen
Dienste Verwendung fanden. Ab 1. No-
Bau des Erdölkombinates Schwedt,
17. September 1962.
nieurhochschule in Cottbus, heute
Brandenburgische Technische Universität (BTU), die künftigen Spezialisten
des Militärbauwesens. Sie erhielten
Abschlüsse als Diplomingenieur für
Technologie der Bauproduktion. Nach
halbjährlichem Grundkurs als Pionier
an der Offizierschule der Landstreitkräfte in Zittau folgte der Einsatz auf
den Baustellen als Zugführer in einer
Ingenieurbaukompanie.
Die Aufgaben und Arbeitsorte der
vier Bataillone, später auch der beiden
Ingenieurbauregimenter, waren streng
geheim. Dem Autor ist bekannt, dass
das BPiB-6 Prenzlau erstmals 1967 bei
Lychen zur Errichtung von Raketenstellungen für die Sowjetarmee eingesetzt wurde. Es folgte der Führungspunkt der Volksmarine als damals
größtes militärisches Bauvorhaben
zwischen Tessin und Laage, unweit
von Rostock. Nach dem Aushub einer
riesigen Baugrube betonierten die Baupioniere mehrstöckige, auf riesigen
Stahlfedern gelagerte Schutzbauwerke
unter Tage. Meterdicke Betonschichten
gegen Bombenwirkung wurden aufgebracht. Mehrere Schleusen sorgten für
den Schutz vor atomarer Strahlung,
Druckwellen oder biologischen bzw.
chemischen Kampfstoffen. Spezialisten
oblag die Führungstechnik sowie die
Einrichtung einer autarken Strom-,
Wasser- und Sauerstoffversorgung. In
solchen Bunkern sollte die militärische
Führung mehrere Tage nach einem
Atomwaffenangriff überleben können.
Letzte Arbeiten galten der Tarnung,
der Wiederherstellung der natürlichen
Umgebung und der Sicherung durch
eine Hochspannungsanlage. Allerdings enttarnten sich die Objekte oft
durch ihre Nebenanlagen, wenn aus
dem Wald der Schornstein eines Heizkraftwerkes ragte.
Alle Bataillone hatten feste Stammobjekte, von denen aus die Vorhaben
erschlossen wurden. Dann erfolgte die
Verlegung der Bau- und Sicherungskräfte. Erste Unterkünfte waren Zelte,
denen Baracken folgten. Später dienten
zusammenschiebbare Raumzellen der
Unterbringung der Soldaten. Sie wurden auch als Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie als Depots genutzt.
Neben den dem Ministerium direkt
unterstellten Baubataillonen waren
auch den Teilstreitkräften Einheiten für
ihre speziellen Bauvorhaben zugeord-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
19
Das Bauwesen der NVA
Pionier- und
Ingenieurbautruppen 1971–1978
Auf dem VIII. Parteitag der SED 1971
wurde Erich Honecker zum Parteichef
gewählt, der die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik proklamierte
und ein gewaltiges Wohnungsbauprogramm auflegte. Daraus folgte, dass
die Bauindustrie ihre Kräfte auf die Errichtung der Plattenbausiedlungen z.B.
in Eisenhüttenstadt, Schwedt, HalleNeustadt, Leipzig-Grünau und BerlinMarzahn konzentrieren musste. »Jedem seine Wohnung«, lautete die Parole, wenig später bereits zu »Jedem
eine Wohnung« abgeändert. Der volkseigenen Bauwirtschaft fehlten für das
ambitionierte Bauprogramm jedoch
die Kapazitäten. Sie zeigte sich zunehmend überfordert, die Planauflagen
mussten ständig nach unten korrigiert
werden. Hilfe sollte die NVA bieten.
Mit der Zunahme der »Großbaustellen
des Sozialismus« musste die NVA einerseits eigene Strukturen für ihre Bauvorhaben schaffen und andererseits
Unterstützungsleistungen für die Bauindustrie erbringen. Hinzu kam die
Hilfe für die Kohle- und Energiewirtschaft. Da die DDR keine nennenswerten Steinkohle- oder Erdölvorkommen besaß, konnte die Energie nur aus
der heimischen Braunkohle erzeugt
werden. Ihre Förderung in offenen Tagebauen war ebenso lebenswichtig wie
20
witterungsabhängig und personalintensiv.
Es verwundert nicht, dass die Braunkohlekombinate und Großkraftwerke
fast ständig auf die Hilfe der NVA, der
Grenztruppen wie auch der Bereitschaftspolizei angewiesen waren. Im
Katastrophenwinter 1978/79 wurde ein
Großteil der Armee zur Versorgung
der Bevölkerung, im Verkehrswesen
und zur Sicherung der Energieversorgung eingesetzt. Aufgrund der Auswertung der sich wiederholenden Wintereinsätze beantragte der Minister für
Kohle- und Energiewirtschaft zwei
Baubataillone für den Gleisbau in den
Revieren Cottbus und Borna bei Leipzig. Die ständige Verfügbarkeit der militärischen Arbeitskräfte hatte sich bereits beim Bau des Palastes der Republik in Berlin bewährt.
Aus dem NVA-Sonderbaustab und
den zukommandierten Kräften rekrutierte sich am 1. Dezember 1975 der
Stamm des Pionierbaubataillons 22
(PiBB) in Berlin-Biesdorf, das an allen
wesentlichen Bauvorhaben in der Hauptstadt beteiligt war. Gleichzeitig wurden
Pionierbaubataillone in Storkow, Prenzlau, Gotha und Merseburg aufgestellt.
Zwei Bataillone arbeiteten für die Chemiekombinate in Buna, Leuna und Bitterfeld. Später wurde für den Bau des
Hafens der Fährlinie Mukran/Rügen–
Klaipeda (damals UdSSR) ein weiterer
Truppenteil gebildet. Der Warenaustausch mit der Sowjetunion sollte auf
dem Seeweg möglich gemacht werden.
Der neue Chef Pionierwesen der NVA
Oberst Waldemar Seifert (später Generalleutnant) setzte ab 1978 neue Schwerpunkte. Standen beim Vorgänger, Generalleutnant Harry Strobel, die Volkswirtschaftseinsätze im Vordergrund,
sollten sich die Bataillone nun auf ihre
militärische Aufgaben konzentrieren.
Nach zweitägiger Mobilmachung und
Auffüllung mit Reservisten mussten
sie Pionier- bzw. Straßen- und Brücken­
bauregimenter für den Kriegsfall (Soll II)
bilden. Das PiBB-2 in Storkow errichte­te
Feldbefestigungsanlagen und Pioniersperren, in Merseburg wurde der Bau
von Scheinbrücken trainiert und in
Prenzlau wurden Pontonbrücken vorgehalten.
MHM Dresden (MBD 0908/2)
net. Hier wurden vor allem Unterkünfte, Technikhallen, Sturm- bzw.
Hindernisbahnen gebaut. Dem Kommando der Landstreitkräfte unterstand
das Ingenieurbaubataillon 40 in Brandenburg. Die Luftstreitkräfte hatten
für den Bau und die Instandsetzung
von Flugbetriebsflächen das Flugplatzpionierbataillon 14. Geschlossene Deckungen für Flugzeuge (GDF-12 und
16) errichtete das PiB-24 gemeinsam
mit Spezialisten des VEB Schachtbau
Nordhausen. Die beiden selbstständigen Einheiten waren in der Ruinenberg-Kaserne in Potsdam stationiert.
Bauaufgaben der Marine erledigte das
Ingenieurbaubataillon 18 in Saßnitz
auf Rügen. Die vier Baukompanien der
Grenztruppen hatten ihre Kasernen in
Berlin, Gardelegen und Eisenach. Bis
1971 war die Anzahl der Bau-Einheiten
der NVA relativ gering.
Einsatz einer Pioniereinheit der NVA im Braunkohlenwerk »Jugend« in Schlabendorf bei
Lübbenau, 22. Januar 1963.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
ullstein bild Meßner
Richtfest des Palastes der Republik am 18. November 1974.
Bautruppen ab 1978
Die verstärkte Rüstung der NVA
machte den Bau immer neuer Führungsstellen, Einsatzzentralen und
Schutzbauwerke erforderlich. Obwohl
sich die ökonomische Lage der DDR
verschlechterte, wurde dafür Geld und
vor allen Dingen Material bereitgestellt. Die dem Chef Militärbauwesen/
Unterbringung unterstellten Einheiten
wurden in zwei Ingenieurbauregimentern (IBR) in Bernau und Torgau mit
Stärken von 1058 Mann zusammengefasst. Die IBR waren nicht in Bataillone
gegliedert, sondern entsprechend der
Anzahl von Großbaustellen, in variable Oberbauleitungen unterteilt. Diese
erhielten für die Lösung ihrer Aufgaben Ingenieurbaukompanien, Wachund Sicherstellungskräfte sowie Transportmittel und Bautechnik unterstellt.
Großtechnik wurde vom Regiment bereitgestellt. Für die Bahnentladung von
Ganzzügen (bis 36 Waggons) mit
Schüttgütern bildete man »Entladekomplexe«. Zivile Auftragnehmer leisteten Arbeiten, die nicht zum Leistungsumfang der Regimenter gehörten.
Die Vorhaben besonderer Geheimhaltung planten die Unterkunftsabteilungen 2 in Leipzig bzw. 12 in Berlin.
Sie erarbeiteten die Vorgaben, nach denen das Zentrale Entwicklungs- und
Konstruktionsbüro Berlin bzw. das
Projektierungsbüro Süd Dresden die
Feinplanungen und Bauzeichnungen
erstellten. Vorhaben ohne Geheimhaltung planten die Projektierungsgruppen der Unterkunftsabteilung (UKA)
in den Bezirken. Die Oberbauleitungen
erstellten den Jahreseinsatzplan, den
Plan der Militärökonomie und den für
Rationalisierung. Mit »Bestenbewegung« und »sozialistischem Wettbewerb« sollten die Vorgaben überboten
werden. Deren Nichterfüllung war indes kaum möglich, da alle Pläne so
lange »präzisiert« wurden, bis sie dem
tatsächlich Geleisteten entsprachen.
Die Versorgung mit Baustoffen,
»Engpassmaterialien« sowie Spezialdienstleistungen war durch die LVO
gesichert. Bis in die frühen 1980er Jahre
besaß die Landesverteidigung Priorität. Seit Mitte der 1980er Jahre konzentrierten man sich erneut auf den Wohnungsbau. Hinzu kamen nun devisenbringende Aufträge. Hauptaufgaben
des IBR-2 waren die Errichtung von
Schutzbauwerken in Berlin-Oberschöneweide und Bad Sulza/Thüringen,
Wohn- und Gesellschaftsbauten in
Strausberg und des Zentrallazaretts in
Bad Saarow. Das IBR-12 baute das
»Komplexlager« 23 in Blankenburg/
Harz, in dem Waffen und Ausrüstung
deponiert wurden, die Untertageanlage Regenstein, das Tagungszentrum
Strausberg, ein Ferienheim in Schierke/
Harz sowie Fla-Raketen-Stellungen bei
Apolda. Letztere war die größte Baustelle der NVA vor dem Zusammenbruch der DDR.
Auch außerhalb der Befehlsgewalt
des Ministeriums für Nationale Verteidigung waren Armeeangehörige an
Bauvorhaben beteiligt. Die Abteilung I
Spezialbauwesen im Ministerium für
Bauwesen führte ein Generalleutnant.
Ihm unterstanden unmittelbar jeweils
drei Regimenter und Baubetriebe. Das
in Seelow stationierte Hochbauregiment 7001 errichtete bis 1988 insgesamt
16 400 Wohnungen für Armeeangehörige. Es war Auftragnehmer für den
VEB GAN Schwedt, der die Bauten des
Ministeriums für Staatssicherheit ausführte. Der VEB Spezialbau Potsdam
zeichnete für die Baumaßnahmen der
Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte
in Deutschland (GSSD) verantwortlich.
Auch in Seelow war das Straßen- und
Brückenbauregiment 7004 stationiert,
dessen Hauptaufgabe die Vorfertigung
und Montage von Stahlbetonbrücken
für Kettenfahrzeuge auf den Marschstraßen der GSSD und NVA war. Im
Kriegsfalle sollten hierauf die Truppen
des Warschauer Vertrages Richtung
Westen rollen.
Das Straßenbauregiment 7002 Neuseddin war zur Gleisnetzstabilisierung
bei der Deutschen Reichsbahn befohlen. Bröselnde Betonschwellen mussten
ausgetauscht werden. Auch das Eisenbahnbauregiment 2 Walddoehna verlegte Gleise. Eine Kompanie arbeitete
ständig im Betonschwellenwerk Reth­
wisch. In Verantwortung der Abteilung Spezialbauwesen im Bauministerium sanierten die Truppenteile Polizeireviere, den Flugplatz Basepohl und
bauten ein Internat für die SED-Parteihochschule. Aufgrund des zunehmen­
den Bedarfs erfolgte 1988 die Aufstellung eines weiteren Straßenbauregi­
men­tes. Das Nachrichteninstandsetzungsregiment 2 Oschatz unterstützte
das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen bei der Wartung und Instandsetzung militärischer Nach­rich­
ten­verbindungen, indem es Über­tra­
gungs­stellen baute und Kabel verlegte.
Insgesamt haben acht Regimenter
und zehn personalstarke, selbstständige Bataillone im Interesse der bewaffneten Organe und zur Unterstützung der Volkswirtschaft Bauaufgaben
erfüllt. Mit dem Fortschreiten des politischen und wirtschaftlichen Niedergangs der DDR wurden ab 1988 alle
Soldaten des 3. Diensthalbjahres in der
Volkswirtschaft eingesetzt. Wie so viele
Entwicklungen in Staat und Gesellschaft nahmen die Unterstützungsleistungen inflationären Charakter an.
1989 setzte die Staatsführung weitere
10 000 Soldaten für die Realisierung
wichtiger Volkswirtschaftsvorhaben
ein. Der Zusammenbruch der DDR
war damit jedoch nicht aufzuhalten.
 Klaus Udo Beßer
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
21
Service
Das historische Stichwort
akg-images
4 Einzug der Befreier in Wien am
13. September 1683 nach dem Entsatz
der belagerten Stadt in der Schlacht am
Kahlenberg, 12. September. Holzstich,
um 1860, nach einer Zeichnung von Wilhelm Camphausen, spätere Kolorierung.
B
ereits 1529 belagerten Truppen
des Osmanischen Reiches die
kaiserlich-erzherzogliche Hauptund Residenzstadt Wien. Die Belagerung scheiterte am entschlossenen Widerstand, an zu geringer Belagerungsartillerie und an schlechten Witterungs­
bedingungen. Die Osmanen zogen ab,
beherrschten ab 1541 allerdings große
Teile des benachbarten Ungarn. 1664
misslang ein erneuter Versuch, Wien
zu erobern, bereits beim Anmarsch auf
die Stadt. Bei St. Gotthard/Raab (heute
Szentgotthárd in Ungarn) konnte einem
osmanischen Truppenteil eine vernich­
tende Niederlage beigebracht werden.
Daraufhin wurde zwischen dem Osmanischen Reich und dem Habsburger­
reich ein zwanzigjähriger Friede ge­
schlos­sen.
Noch vor Ablauf der Friedensfrist begann das Osmanische Heer unter dem
Großwesir Kara Mustafa im Frühjahr
1683 erneut einen Feldzug gegen den
»Goldenen Apfel« Wien, wie die Türken
die Stadt unter anderem nannten. Die
120 000 Mann starke Truppe – manche
sprechen gar von bis zu 350 000 Mann,
die schließlich vor Wien standen –
setzte sich am 31. März 1683 in Adrianopel (heute Edirne, Bulgarien) in Bewegung. Nach etlichen Gefechten erreichte sie in der zweiten Juliwoche die
Umgebung von Wien. Ab dem 15. Juli
1683 belagerten die Truppen die modern befestigte Stadt, was mit einer
Verheerung des Umlandes einherging.
Hinter den Stadtmauern und Bastionen standen rund 10 000 Verteidiger
unter Waffen, die von Ernst Rüdiger
Graf Starhemberg kommandiert wurden, unterstützt von etwa 5000 Wiener
Bürgern.
Schon bald neigten sich die Lebensmittelvorräte dem Ende zu. Seuchen
brachen aus, welche die Verluste bei
den Verteidigern der Stadt und der Bevölkerung noch zusätzlich in die Höhe
schnellen ließen. Hungersnöte plagten
auch die Belagerer, denn 120 000 Soldaten, ihre Pferde und der dazugehö-
22
Der Entsatz von
Wien im
September 1683
rende Tross wollten versorgt werden.
Die Belagerten kämpften mit zunehmender Verbissenheit und dem Mut
der Verzweifelung. Nach damaligem
Kriegsbrauch erhielten einfache Soldaten und Hilfstruppen geringen Sold.
Ihre Entlohnung war die Beute: Eine
eroberte Stadt war drei Tage lang zur
Plünderung freigegeben.
Das osmanische Vorgehen unterschied sich allerdings von den üblichen
Belagerungen. Die Truppen Kara
Mustafas verfügten über zu wenig
schwere (Belagerungs-)Artillerie. Somit konnten die Befestigungen weder
im Sturm genommen noch sturmreif
geschossen werden. Also verlegten die
Truppen sich auf die langsameren Belagerungstaktiken des Sappeurkrieges
(= Grabenkrieg) und des Mineur-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
krieges. Beim sogenannten Minenkampf wurden unterirdische Stollen
an die Bastionen Wiens getrieben, mit
Schießpulver gefüllt und gezündet,
was Teile der Befestigungen zum Einsturz bringen sollte. Die Gegentaktik
bestand darin, selbst Tunnel zu bauen
und den Angreifer zu überwältigen.
Ein nicht geringer Teil der Belagerung
spielte sich also unterirdisch ab. Die
Lage in Wien Anfang September war
verzweifelt, die Stadt stand kurz vor
dem Fall.
Die osmanischen Belagerer hatten jedoch die nahe an Wien heranreichende
Erhebung des Kahlenberges – einen
Ausläufer des Wienerwaldes – weder
besetzt noch aufgeklärt. Außerdem
hatten sie es versäumt, sich in ihrem
Rücken durch eine zweite Befesti-
gungslinie zu sichern. Dadurch erhielt
die eilig zusammengestellte Armee
zum Entsatz der belagerten Stadt ihre
Chance. Allerdings hatte es dazu
großen diplomatischen Geschicks bedurft. Das »christliche Abendland« war
auf dem Kontinent Europa zwar als
Idee vorhanden, tatsächlich rangen
aber unterschiedliche Mächte um die
Vorherrschaft. Ein Dauerkonflikt bestand zwischen dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und
Frankreich, doch König Ludwig XIV.
von Frankreich unternahm nun zumindest keine militärischen Aktivitäten gegen das Reich. Somit herrschte Ruhe an
dessen Westgrenze.
Für die Aufstellung der Entsatzarmee
mussten vorhandene Pflichten zur
Heerfolge genutzt und zahlreiche Drohungen ausgesprochen werden, Geld
musste fließen und Zugeständnisse
wurden gemacht, um die Allianz zur
Rettung Wiens zu schmieden und sich
von mehr oder weniger souveränen
Staaten Truppen stellen zu lassen. An
den Verhandlungen waren neben dem
Kaiser, diversen Reichsständen, darunter Bayern, Sachsen und der Südwesten des Reiches, auch Papst Innozenz
IX., König Jan III. Sobieski von Polen
und die Republik Venedig beteiligt.
Den Oberbefehl über die so geschaffene Entsatzarmee hatte der polnische
König inne, die kaiserlichen Truppen
6 Kara Mustafa (um 1630–1683), tür-
akg-images
kischer Großwesir seit 1676. Öl auf Leinwand, anonym.
wurden von Herzog Karl V. von Lothringen kommandiert. Die Truppe bestand aus ca. 80 000 Mann, darunter
24 000 polnische, 21 000 kaiserliche,
10 500 bayerische, 9500 südwestdeutsche (Franken, Schwaben, Baden, Hessen) und 9000 sächsische Soldaten. Sie
rückte in zwei Kolonnen vor, die sich
am 7. September bei Tulln an der Donau vereinigten und dann durch den
Wienerwald auf den Kahlenberg vorstießen.
Am 12. September eröffnete die polnische Kavallerie, die »Husaria«, mit
ihrer Attacke von den Höhen des Kahlenberges die Schlacht und die gesamte
Armee kämpfte sich gegen die überraschten Osmanen vor. Der rechte Flügel, bestehend aus polnischen Truppen, hatte den weitesten Anmarschweg; er befand sich im Kampf mit der
osmanischen Hauptmacht. Die wirkungsvolle Unterstützung durch das
Zentrum unter Max II. Emanuel von
Bayern und Graf Christian Friedrich
von Waldeck führte schließlich zum
Durchbruch in das Lager der Osmanen. Der linke Flügel unter Karl von
Lothringen und Johann Georg III. von
Sachsen kämpfte sich zeitgleich zum
Wiener Becken vor. Durch diese starken
Angriffe sowie durch einen Ausfall der
Wiener Verteidiger sahen sich die Osmanen in die Zange genommen, worauf die Führung unentschlossen reagierte. Die Osmanen flohen, auf dem
Platz blieben 15 000 tote und verwundete Osmanen, die Entsatzarmee zählte
4000 bis 5000 Verluste. Eine festliche
Siegesparade beendete am 18. September den Einsatz der Armee und in
­Teilen auch ihre Existenz, da die nur
wegen der osmanischen Bedrohung
ruhenden Gegensätze wieder aufbrachen. Den osmanischen Oberbefehlshaber Kara Mustafa erwartete die
Todes­strafe. Am 25. Dezember 1683
wurde er in Belgrad auf Befehl des Sultans hingerichtet.
Anders als nach der ersten Belagerung Wiens 1529 erfolgte diesmal eine
Offensive gegen das Osmanische Reich.
In den folgenden Jahren setzten kaiserliche, bayerische, sächsische, polnische
und badische Verbände den Türken
nach, eroberten in blutigen Kämpfen
Ungarn, rückten auf Belgrad und Sarajewo vor. Venezianische Verbände bekämpften die Türken in Griechenland.
Der Friede von Karlowitz 1699 been-
dete diesen Krieg, der Konflikt mit
dem Osmanischen Reich schwelte jedoch weiter. Österreich schuf sich durch
diese Siege einen Großmachtstatus, beherrschte fortan Ungarn und sicherte
seine gemeinsame Grenze mit dem
­Osmanischen Reich durch die Einrichtung einer besonderen »Militärgrenze«.
Es hat nicht an zeitgenössischen Versuchen gefehlt, diesen Konflikt als einen
Kampf der Religionen zu deuten: Der
Türke sei der Antichrist, sein Heiliges
Buch, der Koran, ein Lügengespinst. Er
weigere sich, die überkommenen Regeln des Krieges anzuerkennen. Es waren nicht zuletzt die weltlichen und
geistlichen Führer des Abend­landes,
welche die »Türkenangst« schü­rten.
Allerorten fürchtete man die Grausamkeit, insbesondere gegen Frauen, Kinder und Alte, des plündernden, raubenden und mordenden Feindes. Die
Bilder vom »Türken«, die so gezeichnet
wurden, dienten nicht zuletzt dazu,
die Stellung der Obrigkeiten zu festigen. Darüber hinaus sollten die Menschen für den Kampf gegen die Türken
mobilisiert werden. Und der zeitgenössische Prediger Abraham a Sancta Clara
sprach von »der Anfrischung der christlichen Waffen wider den Tuerckischen
Bluetengel«.
Aus den erbeuteten osmanischen Bronzekanonen wurde eine neue Glocke für
den Stephansdom gegossen. Die katholische Kirche schuf im Gedenken an
den Sieg am 12. September den Feiertag »Mariä Namen«. Im oberösterreichischen Stift St. Florian ist der Kampf
gegen die Osmanen in zahllosen Bildern und Skulpturen präsent. Die an
den Kämpfen beteiligten Truppenführer verewigten sich und ihre Siege in
weltlichen Bauten: Prinz Eugen von Savoyen (»der edle Ritter«) im Wiener
Belvedere, Kurfürst Max II. Emanuel
von Bayern (»der blaue König«) in
Schleißheim und Markgraf Ludwig
Wilhelm von Baden (»Türkenlouis«) in
Rastatt. Auf den Konflikt sind aber
auch kulturelle Importe aus dem Orient zurückzuführen. So fanden der
Schellenbaum der osmanischen Musikgruppen, auf dessen Herkunft vor
allem der englischsprachige Begriff
»Turkish crescent« hinweist, und die
ihn zierenden Rosshaarschweife Eingang in die deutsche Militärmusik.
 Harald Potempa
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
23
Service
Medien online/digital
Freiheit und Unfreiheit
Markus Bultmann, Erfahrung von Freiheit und Unfreiheit
in der deutschen Geschichte. Rastatt und Offenburg:
Erinnerungs­orte der Revolution 1848/49. Darstellung –
Dokumentation – Vermittlung, Koblenz 2007 (= Mate­
rialien aus dem Bundesarchiv, Heft 19). ISBN 978-386509-768-2; 312 S., und eine CD, 15,50 Euro
Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bekennen sich durch ihr feierliches Gelöbnis bzw. ihren Eid, »der
Bundesrepublik Deutschland treu zu
dienen und das Recht und die Freiheit
des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen«. Als »Staatsbürgerinnen und
Staatsbürger in Uniform« sind sie den
Werten und Normen des Grundgesetzes in besonderer Weise verpflichtet. Die politische Bildung in den Streitkräften soll daher auch verdeutlichen,
dass die freiheitlich demokratische
Grundordnung schützens- und verteidigenswert ist. Für diese Grundwerte
wurde lange gestritten, sie sind verletzlich. Es bedurfte Mut, sich für sie
einzusetzen und es bedarf nach wie
vor des Mutes, sie zu verteidigen. Dies
vermittelt die Publikation »Erfahrung
von Freiheit und Unfreiheit in der
deutschen Geschichte«. Der Autor,
Markus Bultmann, ist Gymnasiallehrer
in Offenburg und entwarf in den Jahren 2003 bis 2005 ein museumspädagogisches Konzept für die »Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in
24
der deutschen Geschichte« in Rastatt.
Dementsprechend versteht sich die
nun vorliegende Studie als eine Handreichung für die historisch-politische
Bildung.
Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf
der Revolution von 1848/49. Aus erfahrungsgeschichtlicher Perspektive werden die historischen Wurzeln unserer
heutigen Demokratie erschlossen. Die
Darstellung beschränkt sich dabei nicht
nur, wie man aufgrund des Untertitels
glauben könnte, auf regionalgeschichtliche Ereignisse, sondern umfasst die
gesamtdeutsche Entwicklung ebenso
wie die europäische Dimension. Das
Militär spielt bei der Erfahrung von
Freiheit und Unfreiheit eine zentrale
Rolle: Es fungierte damals als Instrument der obrigkeitsstaatlichen Unterdrückung. Zugleich konnte es sich dem
revolutionären Gedankengut nicht völlig entziehen, wie Bultmann eindrucksvoll am Leitbild des »Bürgersoldaten«
erörtert.
Neben dem darstellenden Teil und
der Vorstellung der Städte Rastatt und
Offenburg als historische Lernorte bietet die Publikation zusätzlich auf einer
beigefügten CD zahlreiche Vermittlungshilfen und umfangreiches Quellenmaterial – alles im PDF-Format. Das
digitale Begleitmedium beinhaltet eine
192 Seiten umfassende kommentierte
Quellensammlung, darunter allein 20
Quellen zum Thema »Der Kampf um
die Streitkräfte«, eine Auswahl an digitalisierten Handschriften, Arbeitsmaterialien für den Besuch der Erinnerungsstätte, praktische Vermittlungshilfen
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
für die Bildungsarbeit und Längsschnitte zur deutschen Demokratiegeschichte. Buch und CD geben dem Nutzer sowohl theoretische Grundlagen
als auch eine Vielzahl von praktischen
Hilfestellungen zur Thematik.
mn
DDR
www.nationaler-verteidigungsrat.de
Das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) hat in Zusammenarbeit
mit dem Bundesarchiv und dem Institut für Zeitgeschichte, München–Berlin, eine Website mit den digitalisierten
Akten der Protokolle des Nationalen
Verteidigungsrates der DDR von 1960
bis 1989 erstellt. Das Gemeinschaftsprojekt wurde von der »Bundesstiftung
zur Aufarbeitung der SED-Diktatur«
gefördert.
Die bis Anfang 1990 streng geheimen
Akten des Nationalen Verteidigungsrates der DDR sind ein Schlüsselinstrument für die Erforschung der Sicherheits- und Militärpolitik der SED, aber
auch des Warschauer Paktes insgesamt
sowie der UdSSR. An der Spitze dieses
geheim tagenden Gremiums standen
die Spitzenfunktionäre der SED: Walter Ulbricht bis 1971, dann Erich Honecker und schließlich in der Endphase
1989 Egon Krenz. Die Protokolle der
Sitzungen dokumentieren neben den
eigentlichen militärischen Sicherheitsund Verteidigungsanstrengungen des
SED-Regimes die umfassende Militari-
digital
sierung von Staat und Gesellschaft in
der DDR und erlauben auch einen
Blick auf die NATO von außen. So wurden regelmäßig Auswertungen von
Manövern und Übungen vor dem
hochrangigen Plenum präsentiert. Ferner spiegeln die Dokumente des NVR
den Aufbau des Warschauer Paktes als
Instrument zur Wahrung der sowjetischen Hegemonial- und Sicherheitsinteressen in Osteuropa wider. Sie
­erlauben somit tiefe Einblicke in entscheidende Dimensionen des ostdeutschen sowie sowjetischen Herrschaftssystems. Deshalb waren die Projektpartner der Ansicht, dass die Akten des
Nationalen Verteidigungsrates der
DDR Wissenschaftlern in aller Welt sowie einer breiteren, interessierten Fachöffentlichkeit ohne Beschränkungen
zugänglich gemacht werden sollten.
Eine Veröffentlichung der mehr als
20 000 Blatt umfassenden Sitzungsprotokolle des NVR von 1960 bis 1989
nebst Anlagen konnte daher nur im
Publikationsmedium Internet erfolgen.
So wird erreicht, dass gerade Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in
Osteuropa, deren einzige Quelle aus
Mangel an Finanzen zumeist das Internet ist, einen unbeschränkten und vergleichsweise kostengünstigen Zugang
zu historisch bedeutenden Akten­be­
ständen erhalten, die auch für die Auf­
arbeitung der Nachkriegsgeschichte
ihrer eigenen Staaten von erheb­licher
Bedeutung sein können und es zugleich ermöglichen, Besonderheiten
der von Westeuropa nach 1945 teilweise abgekoppelten gesellschaftlichen
und politischen Entwicklung Osteuropas besser zu verstehen. Ein weiterer
Nutzen soll darin bestehen, ein Zeichen in Richtung dieser ehemaligen
Ostblockstaaten zu setzen, ebenfalls
ihre Akten für die Wissenschaft weiter
zu öffnen. Hierzu wurde auf der Internetplattform des Projektes ein Bereich
für die ehemaligen Staaten des Warschauer Vertrages – Albanien, Bulgarien, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei, Sowjetunion und Ungarn – geschaffen, der Forschern aus diesen Ländern die Möglichkeit eröffnet, über die
Verteidigungsräte ihrer Länder und
den Verbleib der dazugehörigen Akten
zu informieren.
Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
Mit Nürnberg werden beim Blick auf
die NS-Zeit vier Dinge eng verbunden:
die Reichsparteitage der NSDAP, die
»Nürnberger Gesetze« des Jahres 1935,
der Verlagsort der NS-Hetzschrift »Der
Stürmer« sowie die Nürnberger Prozesse 1945/46.
Das »Dokumentationszentrum Reichs­
parteitagsgelände« stellt alle vier der
Öf­fentlichkeit vor, unter anderem auch
auf der Internetseite www.museen.­
nuernberg.de/dokuzentrum. Die
Homepage präsentiert neben aktuellen
Veranstaltungshinweisen die Themenbereiche »Die Stadt der Reichsparteitage«, »Das Reichsparteitagsgelände«
und die Dauerausstellung »Faszination und Gewalt«. So wird einerseits
deutlich, wieso die NS-Bewegung gerade die alte Kaiserstadt Nürnberg zur
Stadt ihrer »Reichsparteitage« wählte.
Die Verbindung zwischen MittelalterMythos, Gedenken an die Gefallenen
des Ersten Weltkrieges, das den »Frontkämpfer-Mythos« einschloss, und NSBewegung wird herausgestellt. Ein
Lage­plan, zahlreiche Fotos und Texte
informieren über die Größe des Reichsparteitagsgeländes, über die verschiedenen Bauten und Einrichtungen.
Die Dauerausstellung »Faszination
und Gewalt« wird in Grundriss und
Detail vorgestellt. Der Bogen spannt
sich hier von dem Aufstieg der NSDAP
über »Führer-Mythos«, »Volksgemeinschaft« und »Rassismus/Antisemitismus« bis hin zur Nutzung des Geländes nach 1945.
Die Homepage gewährt einen Einblick in den Aufbau einer Ausstellung
am historischen Ort. Die auf der Seite
angesprochenen Filmpräsentationen,
Bilder, Zeitzeugeninterviews und elektronischen Schaustationen zeigen die
Möglichkeiten heutiger historisch-politischer Bildung.
hp
www.museen.nuernberg.de/dokuzentrum
Heiner Bröckermann
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
25
Service
Lesetipp
Eisernes Kreuz
W
elt-online titelte »Ein Orden, in
dem deutsche Geschichte steckt«,
am 6. März 2008 über das Eiserne
Kreuz. 1813 wurde es vom preußischen
König Friedrich Wilhelm III. als Tapferkeitsauszeichnung in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gestiftet.
Zu Beginn der Kriege 1870, 1914 und
1939 wurde die Stiftung von König,
Kaiser und »Führer« jeweils erneuert.
Seit 1956 ist das Eiserne Kreuz Hoheitszeichen der Bundeswehr. In modernerer Erscheinungsform ist es seit einigen Jahren auch als Symbol und quasi
Markenzeichen der deutschen Streitkräfte erkannt, respektiert und geachtet im In- und Ausland.
Die Symbolgeschichte des Eisernen
Kreuzes war nicht frei von Brüchen,
Widersprüchen und Missbrauch. ­Einen
Teil dieser Historie untersucht Ralph
Winkle in seinem Buch. Er beschränkt
sich auf den Zeitraum 1914 bis 1936. Im
Mittelpunkt der Untersuchung steht
der Begriff der »sozialen Ehre«. Winkle
zeigt die Ordenspolitik und die Rituale
der Verleihung des Eisernen Kreuzes
im Ersten Weltkrieg als Funktionselement symbolischer Ordnung im Heer.
Orden und Ehrenzeichen waren »billige Zahlungsmittel« und zugleich »mo­
ra­lisches Kapital«. In der Nachkriegsoder vielmehr Zwischenkriegszeit forderten Kriegsinvaliden, Veteranen oder
deren Hinterbliebene den »Dank des
Vaterlands« ein. »Der tote Held und
der bettelnde Kriegskrüppel« symbolisierten die Verweigerung sozialer Anerkennung. Nach 1933 folgten »Glorifizierung« und »Wiederaufwertung«
des Eisernen Kreuzes und damit der
»soldatischen Ehre«, so Winkle. »Das
soziale Drama der Ehrung und der Entehrung, der Verleihung, der Verweigerung [...] von Orden« ist für den Autor
Ralph Winkle, Der
Dank des Vater­
landes. Eine
Symbolgeschichte
des Eisernen
Kreuzes 1914 bis
1936, Essen 2007.
ISBN 978-3-89861610-2; 400 S.,
35,00 Euro
26
Ausdruck eines Konflikts innerhalb
des deutschen Heeres, der sich nach
1918 in der zivilen Gesellschaft fortsetzte. Wer mehr über die Geschichte
des Eisernen Kreuzes erfahren will,
dem sei Winkles Buch empfohlen.
ks
Reichstagsbrand
Sven Felix Kellerhoff,
Der Reichstags­
brand. Die Karriere
eines Kriminalfalls,
Berlin 2008. ISBN 9783-89809-078-0; 160 S.,
14,90 Euro
D
er Brand des Reichstagsgebäudes
im Februar 1933 erhitzt noch immer die Gemüter. War es Marinus van
der Lubbe, der junge Niederländer?
Hatte er kommunistische Hintermänner, wie die Nationalsozialisten sofort
lautstark behaupteten? Oder waren es
die Nationalsozialisten selber, um sich
einen Vorwand für die Verfolgung der
Opposition zu schaffen?
Die These von der »kommunistischen Verschwörung« wurde schon
1933 in einem spektakulären Prozess
vor dem Reichsgericht in Leipzig ad
absurdum geführt. Der Reichstagspräsident und preußische Ministerpräsident Hermann Göring, als Zeuge wohl
eher Ankläger, fand sich verbal selbst
in der Rolle des Angeklagten wieder.
Das NS-Regime erlitt eine herbe Niederlage: die kommunistischen Parteifunktionäre wurden freigesprochen.
Bis heute diskutieren Historiker und
Publizisten das pro und contra der
Thesen einer Verstrickung der NS-Führung oder des Einzeltäters van der
Lubbe.
Zum 75. Jahrestag des Brandes legt
Sven Felix Kellerhoff ein wichtiges
Buch zum Thema vor: »Die Karriere
eines Kriminalfalls«. Kellerhoff gibt
zunächst das Geschehen in der Nacht
vom 27. auf den 28. Februar 1933 minutiös und detailliert wieder. Dabei stützt
er sich auf die protokollierten Aussagen der Kriminalbeamten. Der größere
Teil des Buches befasst sich mit den
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
weitreichenden Folgen des Brandes:
Hetze gegen und Jagd auf Kommunisten, »Schutzhaft«, die Reichstagswahlen im Schatten der Verfolgungen
und der Hysterie gegen alle Oppositionellen, schließlich in Konsequenz dessen das Ermächtigungsgesetz vom
März 1933.
Kellerhoff schreibt leicht verständlich und anschaulich. Er zitiert auch
aus dem Prozessprotokoll, wie der Angeklagte Georgi Dimitroff den Zeugen
Göring vorführte: »Gegen die kommunistische Partei in Deutschland einen
Kampf zu führen, ist Ihr Recht. Mein
Recht ist [...] Ihre Regierung zu bekämpfen [...].« Göring antwortete: »Sie
sind in meinen Augen ein Gauner, der
längst an den Galgen gehört!« Dimitroff: »Haben Sie Angst [...], Herr
Ministerpräsident?« Der Richter entzog Dimitroff das Wort. Vor den Augen der Öffentlichkeit aber war Göring
bloßgestellt.
ks
Der Kaukasus
Marie-Carin von
Gumppenberg und
Udo Steinbach (Hg.),
Der Kaukasus.
Geschichte – Kultur –
Politik, München
2008. ISBN 978-3406-56800-8; 240 S.,
12,95 Euro
D
er EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens im Jahr 2007 rückte den
Kaukasus in unmittelbare Nachbarschaft zu Europa. Dennoch ist die Region nach wie vor für viele Europäer
»Terra incognita«. Die drei südkaukasischen Staaten Georgien, Armenien
und Aserbaidschan waren Teil der Sowjetunion und wurden Anfang der
1990er Jahre unabhängig. Innerhalb
Georgiens versuchen seitdem die Provinzen Abchasien und Südossetien die
Unabhängigkeit zu erlangen. Die daraus resultierenden Konflikte und die
langjährige Auseinandersetzung zwischen Armeniern und Aserbaidschanern um »Berg Karabach« beschäftigen
die Weltöffentlichkeit. Im Gegensatz
zu den »eingefrorenen« Konflikten im
Südkaukasus dauern die bewaffneten
Auseinandersetzungen in den zur Russischen Föderation gehörenden nordkaukasischen Teilrepubliken weiter an.
Zwar wurde der Tschetschenienkonflikt offiziell längst beigelegt. Anschläge und Gefechte stehen aber bis
heute auf der Tagesordnung. Allerdings haben sie an Zahl und Intensität
in Tschetschenien abgenommen bzw.
sich in die Nachbarrepubliken verlagert.
16 namhafte Wissenschaftler zeigen
in dem über 250 Seiten umfassenden
Buch zunächst kenntnisreich die politische Situation auf. Mit der Türkei und
dem Iran werden dabei auch zwei an
den Kaukasus grenzende Staaten in
den Blick genommen. Die Perspektiven, die Rolle internationaler Organisationen sowie die wirtschaftliche Lage
in der Region sind Gegenstand weiterer profunder Beiträge.
Darauf aufbauend werden die eingangs skizzierten vielschichtigen Konflikte analysiert und dem Leser gut
verständlich vorgestellt. Im Mittelpunkt des Bandes stehen allerdings
nicht nur die politischen Verhältnisse
und die Konflikte. Informative Beiträge
über ausgesuchte kulturelle Aspekte
erzählen über die Ethnien, Sprachen,
Religionen, Kunst, politischen Tradi­
tionen und Rechtskultur. Sie bringen
dem Leser in gelungener Weise den
kulturellen Reichtum der Region nahe.
Mehrere Karten zu Geografie, Ethnien,
Politik und Wirtschaft erleichtern dem
Leser die Orientierung und runden das
Buch ab.
mp
Militärbiografie
»
Jedesmal, wenn ein Buch mit einer
Erfahrung zusammenstößt, kommt
es zu einer Interferenz, zu einer pro-
duktiven Störung«, so der Schriftsteller
Hans Magnus Enzensberger 1979 bei
seiner Übersetzung von Molières »Der
Menschenfeind«. Reich an produktiven Störungen ist sein Versuch, das
Leben des Generalobersten Kurt von
Hammerstein-Equord (1878-1943) für
ein breites Publikum zu »übersetzen«.
Hammerstein war ein erklärter Gegner
der Nationalsozialisten, Russland-Spezialist und hatte Kontakt zum Widerstand. In der Endphase der Weimarer
Republik war er Chef der Heeresleitung (1930-1934). Hitler hielt seine berühmt-berüchtigte erste Rede zur künftigen Militärpolitik vor den Spitzen der
Reichswehr am 3. Februar 1933 in
Hammersteins Dienstwohnung im
Bendlerblock. Zwei seiner Söhne waren am 20. Juli 1944 beteiligt, die Töchter sympathisierten offen bzw. verdeckt mit der KPD.
Enzensberger schrieb ein Psychound Soziogramm einer deutschen
Adelsfamilie, die Widerstand leistete.
Es gewährt Einblicke in die persönlichen Verbindungen führender Militärs sowie in die Struktur der (1933 verbotenen) KPD sowie der KPdSU. Es
macht zugleich die Problematik und
Vielschichtigkeit des Widerstandes gegen das NS-Regime fassbar.
Elf fiktive Unterhaltungen mit Toten
sowie sieben eingeschobene Glossen
(etwa »Die Schrecken der Weimarer
Republik«) bieten einen eigenwilligen
Zugang zur deutschen Geschichte. Sie
rütteln auf – und erreichen dadurch
beim Leser mehr als so manche nüchterne Darstellung von Historikern. »Es
bleibt ein ungesagter Rest, den keine
Biographie auflösen kann; und vielleicht ist es dieser Rest, auf den es ankommt«, so Enzensberger am Ende seines ungewöhnlichen Buches (S. 343).
hp
Hitlers Helfer
Hans Magnus
­Enzensberger, Hammer­
stein oder der Eigen­
sinn. Eine deutsche
Geschichte, Frankfurt
a.M. 2008. ISBN 978-3518-41960-1; 376 S.,
64 Abb., 22,90 Euro
W
er in einer beliebigen deutschen
Stadt Kriegerdenkmäler betrachtet oder sich in den populären Medien
über Kriege der letzten 200 Jahre mit
Beteiligung deutscher Truppen informiert, der kann einen falschen Eindruck bekommen. Er oder sie mag annehmen, dass diese Kriege die Unternehmungen von nur einem deutschen
Staat oder dem Deutschen Reich gewesen seien. Diesem schiefen Bild eines
»einfachen« nationalen Krieges wird
dann gerne die heutige komplexe Gemengelage von Bündnissen, »Rules of
Engagement« und Truppenstellerkonferenzen entgegengehalten.
Rolf-Dieter Müller,
An der Seite der
Wehrmacht. Hitlers
ausländische Helfer
beim »Kreuzzug gegen
den Bolschewismus«
1941-1945, Berlin
2007. ISBN 978-386153-448-8; 275 S.,
24,90 Euro
Rolf-Dieter Müller ist es gelungen,
dieses Bild mit Blick auf den Zweiten
Weltkrieg an der Ostfront im Zeitraum
1941 bis 1945 zu korrigieren. Was sich
auf den ersten Blick als der »letzte
deutsche Krieg« darstellt, entpuppt
sich als Einsatz von Truppen aus 20 europäischen Völkern, die an der Seite
der Wehrmacht – gezwungen oder freiwillig – gegen die Rote Armee im Einsatz waren. Das Buch ist nach Ländern
gegliedert. Die Analyse der drei Gruppen – Verbündete, Freiwillige aus neutralen und besetzten Gebieten, osteuropäische Völker im Kampf gegen den
Stalinismus – macht den Hauptteil des
Buches aus.
Der Autor kommt zu dem Ergebnis,
dass die Zahl der Verbündeten 1941 an
der Ostfront etwa eine Million Mann
ausmachte, bei einer Wehrmachtsstärke von drei Millionen deutscher
Soldaten. Während des Krieges sank
die Stärke der Wehrmacht auf 2,5 Millionen Mann, die der Verbündeten erhöhte sich auf zwei Millionen. Ohne
diese Verbündeten hätte sich die Wehrmacht nicht auf den Hauptstoß Richtung Moskau konzentrieren können,
wäre die Sommeroffensive 1942 nicht
möglich gewesen und hätte die Wehrmacht niemals so lange durchhalten
können. Hinzu kam der Einsatz hinter
der Front im Rahmen der »Partisanenbekämpfung«. Auch sie wäre ohne
Deutschlands Verbündete nicht möglich gewesen.
hp
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
27
Service
Ausstellungen
 Alzey
 Bad Bocklet
Als Not erfinderisch machte.
»Notprodukte« aus der Zeit
vor und nach dem Ende
des Zweiten Weltkrieges.
Museum der Stadt Alzey
Antoniterstraße 41
55232 Alzey
Telefon: 0 67 31/49 88 96
Telefax: 0 67 31/99 08 85
www.museum-alzey.de
[email protected]
18. Mai bis 6. Juli 2008
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 12.00 und
14.00 bis 16.30 Uhr
Montag geschlossen
Eintritt frei
Aufstand des Gewissens
Wandelhalle im Kurpark
97708 Bad Bocklet
Telefon: 0 97 08 / 7 07 03-0
Telefax: 0 97 08 / 7 07 03-9
www.badbocklet.de
[email protected]
2. Juli bis 4. August 2008
Öffnungszeiten:
täglich 8.30 bis 22.00 Uhr
Eintritt frei
 Berlin
The Making of ... Die
Männer und Frauen der
Berliner Luftbrücke 1948/49
 Artstetten
Feldmarschallleutnant
Freiherr Guido von Novak
Arienti: »Ein Leben für
Gott, Kaiser und Vaterland«. Ein Offizier und
seine Zeit
Schloss Artstetten
Erzherzog Franz Ferdinand
Museum
A-3661 Artstetten
Telefon:
+43 (0) 74 13 / 80 06-0
Telefax:
+43 (0) 74 13 / 80 06-15
www.schloss-artstetten.at
[email protected]
1. April bis 2. Nov. 2008
täglich von 9.00 bis 17.30
Uhr
Eintritt: 7,00 €
ermäßigt ab 4,00 €
Verkehrsanbindung:
Pkw: A1 Ri chtung Linz/
Salzburg Abfahrt »Pöchlarn«.
28
AlliiertenMuseum
Clayallee 135
14195 Berlin
Telefon: 030 / 81 81 99-0
Fax: 030 / 81 81 99-91
www.alliiertenmuseum.de
[email protected]
27. Juni 2008 bis
20. September 2009
Öffnungszeiten
täglich außer Mittwoch
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt frei
Verkehrsanbindung:
S-Bahn: S 1 bis Station »Zehlendorf«, weiter mit Bus 115
bis Haltestelle »Alliierten­
Museum«; U-Bahn: U 3 bis
Station »Oskar-HeleneHeim«; Bus: Linie 115 oder
183 bis Haltestelle »AlliiertenMuseum«.
Welt im Umbruch.
Fotojournalismus in den
90er Jahren
Deutsches Historisches
Museum – Pei-Bau
Hinter dem Gießhaus 3
10117 Berlin
Telefon: 0 30 / 20 30 40
Telefax: 0 30 / 20 30 45 43
www.dhm.de
[email protected] (Führungen)
14. März bis 15. Juni 2008
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 4,00 €
(unter 18 Jahren frei)
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
Verkehrsanbindung:
S-Bahn: Stationen »Hackescher Markt« und »Friedrichstraße«; U-Bahn: Stationen
»Französische Straße«,
»Hausvogteiplatz« und
»Friedrichstraße«; Bus: Linien
100, 157, 200 und 348 bis
Haltstellen »Staatsoper«
oder »Lustgarten«.
Brennpunkt Berlin: Die
Blockade 1948/49. Der Foto­
journalist Henry Ries
Deutsches Historisches
Museum – Pei-Bau
(siehe oben)
12. Juni bis 21. Sept. 2008
Jewgeni Chaldej – Der
bedeutende Augenblick.
Eine Retrospektive
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Telefon: 030 / 2 54 86-0
Telefax: 030 / 2 54 86-1 07
www.gropiusbau.de
[email protected]
www.chaldej.de
8. Mai bis 28. Juli 2008
Mittwoch bis Montag
10.00 bis 20.00 Uhr
Eintritt: 5,00 €
ermäßigt 3,00 €
Verkehrsverbindung:
U-Bahn: U 2 bis Station
»Potsdamer Platz« ;
S-Bahn: Linien 1, 2, 25 bis
Stationen »Potsdamer Platz«
oder »Anhalter Bahnhof«;
Bus: M 29 bis Station
»S Anhalter Bahnhof«, M 4
bis Station »Abgeordnetenhaus«.
Geschichte der Luftfahrzeugantriebe
Luftwaffenmuseum der
Bundeswehr
Kladower Damm 182
14089 Berlin-Gatow
Telefon: 030 / 36 87 26 01
Telefax: 030 / 36 87 26 10
www.luftwaffenmuseum.com
LwMuseumBwEingang@
bundeswehr.org
12. Oktober 2007 bis
31. Oktober 2008
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt frei
Verkehrsanbindung:
Eingang zum Museum: Ritter­
felddamm /Am Flugfeld Gatow.
 Celle
Nec Aspera Terrent.
­Hannoversche Militär­
geschichte vom Sieben­
jährigen Krieg bis zur
Schlacht bei Langensalza.
Zinnfiguren-Ausstellung
in der Ehrenhalle der
­Hannoverschen Armee
Bomann-Museum Celle
Schloßplatz 7
29221 Celle
Telefon: 0 51 41 / 1 23 72
Telefax: 0 51 41 / 1 25 35
www.bomann-museum.de
(links unter »Museen« auf
­»Bomann-Museum« klicken)
[email protected]
20. April bis 26. Okt. 2008
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 3,00 €
ermäßigt ab 1,00 €
Verkehrsanbindung:
Pkw: (von Norden) A 7
­Hamburg-Hannover, Abfahrt
Soltau-Süd, B 3 Soltau-Celle
bzw. A 250 Hamburg-Lüneburg, B 4 Lüneburg-Uelzen,
B 191 Uelzen-Celle (von ­Süden),
B 214 Braunschweig-Celle
bzw. A 7 Hannover-Hamburg,
Abfahrt AB-Kreuz HannoverKirchhorst: A 37 HannoverBurgdorf, B 3 Burgdorf-Celle.
 Frankfurt (Oder)
Friedrich Wilhelm Carl
von Schmettau – Pionier
der modernen Kartographie, Übersetzer, Militärschriftsteller, Gestalter von
Parks und Gärten
Kleist-Museum
Faberstraße 7
15230 Frankfurt (Oder)
Telefon: 03 35 / 53 11 55
Telefax: 03 35 / 5 00 49 45
www.kleist-museum.de
[email protected]
27. April bis 29. Juni 2008
Eintritt: 3,00 €
ermäßigt 2,00 €
Verkehrsanbindung:
Wegbeschreibung:
www.kleist-museum.de
(Menüpunkt »Museums­
besuch«).
 Kossa/Söllichau
Militärmuseum Bunker
Kossa
Dauerausstellung zur NVAGeschichte
Dahlenberger Str. 1
04849 Kossa/Söllichau
Telefon: 03 42 43 / 2 21 20
Telefax: 03 42 43 / 2 31 20
www.bunker-kossa.de
[email protected]
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 16.00 Uhr
(Führungen jeweils 10.00
und 13.00 Uhr)
Eintritt: 5–10 €
Verkehrsanbindung:
Von Bad Düben nach
­Söllichau, am Ortsausgang
Söllichau hinter Bahnübergang links der Waldstraße fol­
gen, Ausschilderung ­beachten.
 Krefeld
Das Geheimnis der Kelten
Museum Burg Linn
Rheinbabenstraße 85
47809 Krefeld
Telefon: 0 21 51 / 57 00 36
www.diekelten.de
[email protected]
20. Jan. bis 3. Aug. 2008
bis Ende März Dienstag bis
Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr
ab April Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 3,00 €
ermäßigt: ab 1,50 €
Verkehrsanbindung:
Pkw: A 57 Abfahrt KrefeldOppum/Linn; Straßenbahn:
ab Hauptbahnhof Linie 044Rheinhafen bis Haltestelle
»Burg Linn«.
 Ludwigsburg
Zwischen Kunst und
Kitsch – Erinnerungs­
kultur der Soldaten
Garnisionmuseum
Ludwigs­burg
Asperger Straße 52
71634 Ludwigsburg
Telefon: 0 71 41 / 9 10 24 12
Telefax: 0 71 41 / 9 10 23 42
www.garnisionmuseum­ludwigsburg.de
info@garnisionmuseum­ludwigsburg.de
Verkehrsanbindung:
Anfahrtsbeschreibung per Bus
und Kfz:
www.museum.speyer.de
(Menüpunkt Informationen,
Anreise).
1. Juli 2007 bis 27. Juli 2008
Mittwoch
15.00 bis 18.00 Uhr
Sonntag
13.00 bis 17.00 Uhr
(und auf Anfrage)
Eintritt frei
Verkehrsanbindung:
Pkw: A 81-B 27; S-Bahn: S 4
und S 5 (von Stuttgart bzw.
Bietigheim) bis Station
»Ludwigs­burg«.
 Wien
 Munster
Unverschämtes Glück
Deutsches Panzermuseum
Munster
Hans-Krüger-Str. 33
29633 Munster
Telefon: 05 19 / 22 55 2
Telefax: 05 19 / 21 30 21 5
www.munster.de (links Verlinkung zum »Panzermuseum«)
[email protected]
5. Juni bis 1. Nov. 2008
Dienstag bis Sonntag
10.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Montag geschlossen
(letzter Einlass 17.00 Uhr)
An den Feiertagen auch
montags geöffnet
Eintritt: 5,00 €
ermäßigt 2,50 €
Verkehrsanbindung:
Pkw: Eine Anfahrtsskizze gibt
es auf der Internetseite über
»Kontakt«, dann »Anfahrt«;
Bahn: Vom Bahnhof Munster
entweder mit Taxi oder zu
Fuß über Bahnhofsstraße,
Wagnerstraße und Söhlstraße
zur Hans-Krüger-Straße
(ca. 15 Minuten Fußweg).
 Nordholz
Manfred von Richthofen
AERONAUTICUM
Deutsches Luftschiff- und
Marinefliegermuseum
Peter-Strasser-Platz 3
27637 Nordholz
Telefon: 0 47 41 / 18 19-13
(oder -11)
Telefax: 0 47 41 / 18 19-15
www.aeronauticum.de
[email protected]
10. April bis 14. Sept. 2008
Februar bis November
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
Dezember bis Januar
täglich 10.00 bis 16.00 Uhr
Eintritt: 6,50 €
ermäßigt 2,50 €
Verkehrsanbindung:
Anfahrtsbeschreibung per Kfz:
www.aeronauticum.de
(Menüpunkt Besucher­
information, Anfahrt).
 Prora
Erinnerung bewahren.
Sklaven und Zwangs­ar­
beiter des Dritten Reiches
aus Polen 1939–1945
Dokumentationszentrum
Prora
Objektstraße, Block 3/
Querriegel
18609 Prora
Telefon: 03 83 93 / 1 39 91
Telefax: 03 83 93 / 1 39 34
www.proradok.de
[email protected]
24. April bis 31. Aug. 2008
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 3,00 €
ermäßigt 2,00 €
(Kinder unter 14 Jahren
freier Zutritt)
Verkehrsanbindung:
Anfahrtsbeschreibung für
Anreise mit Bahn, Bus und
Kfz: www.proradok.de/seiten_
deutsch/service.html.
 Speyer
Samurai
Historisches Museum
der Pfalz
Domplatz, 67346 Speyer
Telefon: 0 62 32 / 1 32 50
Telefax: 0 62 32 / 1 32 54 0
www. museum.speyer.de
[email protected]
24. Februar bis 5. Okt. 2008
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 10,00 €
ermäßigt 7,00 €
Einmarsch ‘38
Heeresgeschichtliches
­Museum
Militärhistorisches Institut
Arsenal, Objekt 1
A-1030 Wien
Telefon: +43 (1) / 79 56 1-0
Telefax: +43 (1) / 79 56 1-17
70 7
www.hgm.or.at
[email protected]
11. Juni bis 9. Nov. 2008
täglich 9.00 bis 17.00 Uhr
Freitag geschlossen
Eintritt: 5,10 €
ermäßigt 3,30 €
(bis 10 Jahre frei)
Verkehrsanbindung:
Schnellbahn: Bis Station
»Südbahnhof«; Straßenbahn:
Linien 18, D, O; Autobus:
Linien 13 A, 69 A; U-Bahn:
U 1 bis Station »Südbahnhof«, U 3 bis Station
»Schlachthausgasse«.
 Wilhelmshaven
Meuterei – Revolution –
Selbstversenkung. Die
Marine und das Ende des
Ersten Weltkrieges
Deutsches Marinemuseum
Südstrand 125
26382 Wilhelmshaven
Telefon: 0 44 21 / 4 10 61
www.marinemuseum.de
[email protected]
25. April bis 9. Nov. 2008
April bis Oktober
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
November bis März
täglich 10.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 8,50 €
ermäßigt 5,00 €
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
29
Militärgeschichte kompakt
3. September 1783 F riede zu Versailles 1783 – Ende des
ullstein bild - Granger Collection
­Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges
Der Friedensschluss zu Versailles – auch Friede zu Paris genannt – beendete am 3. September 1783 den Amerikanischen
Unabhängigkeitskrieg (1776-1783). Er wurde zwischen
Großbritannien und den dreizehn aufständischen Kolonien
in Nordamerika geschlossen. Dem Friedensvertrag waren
britische Niederlagen und ein Vorfriede vom 20. November
1782 vorausgegangen. Ratifiziert wurde der Friedensvertrag von Versailles seitens der USA am 14. Januar 1784, die
britische Seite ließ mit ihrer Unterschrift bis zum 9. April
1784 auf sich warten.
Zeitgleich schloss Großbritannien Frieden mit den am Kriege
5 Friede zu Paris, 1783:
ebenfalls beteiligten Königreichen Frankreich und Spanien.
Die amerikanischen FriedensDie Vereinigten Staaten von Amerika wurden durch den
kommissare (3. v. links BenjaFrieden anerkannt, diverse amerikanische Fischereierechte
min Franklin). Unvollendetes
wurden ebenso garantiert wie die freie Nutzung des MissisGemälde (die britischen Friesippi. Beide Kriegsparteien hatten ihre Kriegsschulden zu
denskommissare weigerten
bezahlen; verbliebenes britisches Militärmaterial in den
sich, für das Gemälde zu posie- USA durfte nicht beschädigt werden, die Kriegsgefangenen
ren) von Benjamin West.
waren freizulassen. Die USA hatten Gebiete, die nach dem
Frieden besetzt worden waren, zu räumen.
Der Friede von Versailles bedeutete den Anfang der USA als Nation sowie den Beginn der ersten großen Republik mit demokratischer Herrschaftsform der Neuzeit.
Dieses Beispiel wirkte auf Frankreich, wo 1789 die Revolution ausbrach, sowie auf Polen, das sich 1791 die erste geschriebene Verfassung Europas gab.
hp
26. August 1978 Start
des ersten Deutschen in den ­Weltraum
ullstein bild - ADN-Bildarchiv
Am letzten Samstag im August 1978 startete Major Sigmund Jähn (Luftstreitkräfte/Luftverteidigung der NVA) als
erster Deutscher einen Flug in den Weltraum. Jähn, 1937 im
Vogtland geboren, trat nach einer Lehre als Buchdrucker im
April 1955 seinen Wehrdienst in der DDR an. Nach mehreren Verwendungen in den DDR-Luftstreitkräften wurde Jähn
Mitte der 60er Jahre für ein Studium an die Militärakademie
der Luftstreitkräfte der Sowjetunion »J.A. Gagarin« berufen, das er mit dem Diplom eines Militärwissenschaftlers
abschloss. Ab 1976 nahm Jähn an einer Kosmonautenausbildung im Rahmen des Interkosmos-Programms der UdSSR
teil. Es sah die Einbindung nicht-sowjetischer Technik in
5 Waleri F. Bykowski (links)
das sowjetische Raumfahrtprogramm vor. Am 26. August
und Sigmund Jähn vor der geflog Jähn schließlich gemeinsam mit Waleri F. Bykowski in
borgenen Raumkapsel,
der sowjetischen Raumkapsel Sojus 31 ins All. Insgesamt
3.9.1978.
125 Mal sollten die beiden Kosmonauten die Erde umkreisen und dabei etliche wissenschaftliche Experimente durchführen. Nach sieben Tagen, 20 Stunden, 49 Minuten und vier Sekunden landete die
Rückkehrkapsel Sojus 29 wieder auf der Erde – unerwartet hart, was bei Jähn bleibende Wirbelsäulenschäden hinterließ.
Die DDR würdigte Jähn ausgiebig. Zahlreiche Schulen und Freizeiteinrichtungen
tragen noch heute seinen Namen. Der »Held der DDR« und »Held der Sowjetunion«
stieg 1986 zum Generalmajor der NVA auf. Der Name Jähn ist auch heute noch zahlreichen Menschen in den neuen Bundesländern ein Begriff: 2005 erinnerten sich im
Osten bei einer Umfrage noch 60 Prozent an Jähn. Sigmund Jähn erfuhr im All die
­»totale Glückseligkeit: Unsere Erde, in leuchtendes Blau gehüllt.« Die DDR war das
fünfte Land, das an der bemannten Raumfahrt teilhaben konnte; er habe, so der Kosmonaut denn auch im September 1978, seinem Land »das Tor ins Weltall aufgestoßen«. Fünf Jahre später, 1983, flog mit Ulf Merbold der erste Westdeutsche ins All. Mit
besonderen Worten würdigte 2002 der damalige Bundespräsident Johannes Rau den
ehemaligen NVA-General Jähn: »Sie haben an diesem Tag vielen Menschen das Gefühl
gegeben, zum ersten Mal sei ›einer von uns‹ hinaus ins All geflogen.« Sigmund Jähn
ist heute als freier Berater für die European Space Agency (ESA) und für das Deutsche
Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) tätig.
mt
30
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
Heft 3/2008
Service
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
 Vorschau
Im November vor 90 Jahren endete der Erste
Weltkrieg, der auch als die »Urkatastrophe
des 20. Jahrhunderts« bezeichnet wird. Doch
nicht nur der Krieg selbst war katastrophal,
die Folgen waren es ebenfalls. In Deutschland kam es zu Revolution und Bürgerkrieg.
Die »Vielvölkerreiche« Österreich-Ungarn
und das Osmanische Reich zerbrachen durch
nationale Aufstände. Aus den Trümmern des
zaristischen Russlands erwuchs nach blutigen Kämpfen die Sowjetunion. Das damalige Europa und die Welt wurden erschüttert,
die Nachwirkungen sind bis heute spürbar.
Im Mittelpunkt der nächsten Ausgabe der
Militärgeschichte stehen die Ereignisse des
Herbstes 1918. Diese waren so vielfältig, dass
der Versuch, sie alle historisch zu würdigen,
nur scheitern kann. Die Redaktion traf daher
eine Auswahl, die unvollständig bleiben
muss. Ausschlaggebend war letztlich eine engere Verbindung zur deutschen Militärgeschichte.
Werner Rahn blickt auf die Ereignisse in
Kiel und Wilhelmshaven im Oktober/November 1918 zurück. Dieter Storz schildert
den Zusammenbruch der Westfront. Beide
Aufsätze greifen somit zwei Hauptstränge jener militärischen Entwicklungen am Ende
des Krieges auf, die, neben anderen tiefer liegenden Ursachen, zur Revolution im November führten. Der Beitrag von Rüdiger Bergien
geht zeitlich über den November 1918 hinaus. Er stellt die Zeit des Bürgerkriegs, der
bewaffneten Aufstände und deren Zerschlagung durch ehemalige Fronttruppen, vor,
wobei die besondere Rolle der Freikorps aufgezeigt wird.
Die Kriegsmüdigkeit aller Völker Europas
hielt nicht lange an. 21 Jahre später begann
Deutschland einen neuen Weltkrieg. Aus den
schrecklichen Lehren beider Kriege heraus
entstand die Überzeugung der Weltgemeinschaft, dass sich Ähnliches nicht mehr wiederholen darf. Diesem Ziel verpflichtet, verabschiedete die Generalversammlung der
Vereinten Nationen im Dezember 1948 die
Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords. Sie jährt sich damit
zum 60. Mal, ein Grund für Franz-Joseph
Hutter, darauf zurückzublicken.
Ein anderes, erfreuliches Jubiläum feiert
die Deutsche Marine und mit ihr die Bundeswehr im Dezember: den 50. Jahrestag der Indienststellung des Segelschulschiffs »Gorch
Fock«. Die kommende Ausgabe der Militärgeschichte geht auf dieses Jubiläum ein.
ks
Militärgeschichte im Bild
ČSSR 1968: Militärische
Reaktionen des Westens
I
litärischen NATO-Führung kein Zweifel mehr an der Absicht des Warschauer
Paktes, in der ČSSR militärisch aktiv zu
werden. Doch weder der Militärausschuss noch der Ständige Rat der
NATO hielten es für notwendig, vorausschauend eine besondere Spannungs- und Alarmbereitschaft anzuordnen, obwohl der Oberbefehlshaber
Europa (SACEUR), General Lyman L.
Lemnitzer, zu einer verstärkten militärischen Wachsamkeit riet. Im NATOHauptquartier (SHAPE) bei Mons, 40
km südlich von Brüssel, war man sich
offenbar ziemlich sicher, dass dem
Westen seitens der sowjetischen Truppen und ihrer Verbündeten keine Gefahr drohte. Eine inoffizielle Nachricht
der Russen, dass der Aufmarsch im
Ostblock auf keinen Fall gegen den
Westen gerichtet sei, soll angeblich in
den westlichen Führungskreisen der
Hauptgrund für diese Ruhe und Gelassenheit gewesen sein.
Es war ein Spiel mit dem Feuer. Die
regionalen Befehlshaber und Kommandeure wurden am 21./ 22. August
1968 ohne jegliche »Vorwarnung« seitens der NATO mit der sowjetischen
Militäraktion gegen die ČSSR konfrontiert. In dieser Situation befahl der
ullstein bild
n der Nacht vom 20. zum 21. August
1968 marschierten Truppen des Warschauer Paktes – aus vier Richtungen
kommend – auf breiter Front und unter Einhaltung völliger Funkstille in die
ČSSR ein. Mehr als 200 000 Mann mit
Tausenden von Panzern und Schützenpanzerwagen fluteten ins Land. Die
militärische Intervention beendete gewaltsam den Versuch der Tschechen
und Slowaken, einen »Sozialismus mit
menschlichem Antlitz« aufzubauen,
der als »Prager Frühling« in die Geschichte einging. Das totalitäre sowjetische System hatte damit im eigenen
Herrschaftsbereich noch einmal seine
Macht demonstriert (siehe Militärgeschichte 3/2003).
Die zügig durchgeführte Militäroperation der Sowjets kam nicht nur für
die Führung der ČSSR, sondern auch
für den Westen überraschend. Die tatsächliche Überraschung bezog sich vor
allem darauf, dass es bis zuletzt nicht
gelungen war, den Tag und die Stunde
des Überfalls exakt festzustellen.
Freilich waren der NATO die militärischen Aktivitäten der UdSSR und ihrer Verbündeten an den Grenzen zur
ČSSR nicht verborgen geblieben. Spätestens seit Ende Juli bestand in der mi-
5 Besatzung eines sowjetischen Panzers in Prag inmitten einer aufgebrachten Menschenmenge, 26. August 1968.
Oberbefehlshaber der CENTAG (Central Army Group), General James
H. Polk, eigenverantwortlich sofort
erste Alarmmaßnahmen für seine
Truppen. Ebenso schnell und konzentriert handelte der Kommandierende
General des II. Korps der Bundeswehr,
Generalleutnant Karl Wilhelm Thilo.
Er traf umgehend in seinem grenznahen Verantwortungsbereich einige vorsorgliche Anordnungen zur Erhöhung
der Einsatzbereitschaft der Truppe.
»Ich meinerseits hatte meinem G 4
[Logis­tik, Nachschub] bereits befohlen,
die Munitionsbestände des Korps zu
überprüfen und einige vorgezogene
Vorratslager mit Munition und Treibstoff einzurichten. Auch einen vorgeschobenen Korpsgefechtsstand ließ ich
erkunden«, so erinnerte sich Thilo später. Dieses verantwortungsvolle Handeln stieß in Bonn aber nur auf wenig
Verständnis. Hier beharrte man auf äußerste militärische Zurückhaltung. Seitens des Bundesministeriums der Verteidigung wurden jedoch zumindest
die Wochenendurlaube der Soldaten
ausgesetzt.
Als erste militärische Reaktion der
NATO auf den Einmarsch war nur die
Luftwarnstufe »Gelb« für die Luftverteidigungskräfte der Kommandobereiche »Zentraleuropa« und »Ostseeausgänge« ausgelöst worden. Ab den
Mittagsstunden des 21. August und in
den folgenden Tagen liefen in den
NATO-Landstreitkräften jedoch offizielle Teilmaßnahmen zu den Stufen
»Militärische Wachsamkeit« und »Einfacher Alarm« an, die unter anderem
ein kurzfristiges Verlegen von Truppen
in Konzentrierungs- bzw. Handlungsräume möglich machen sollten. Die
Aufklärung und die Beobachtung an
den Grenzen zu Lande, zur See und in
der Luft wurden wesentlich verstärkt.
Ende August kam es jedoch bereits zu
Lockerungen im militärischen Bereitschaftssystem. Die Lage in der Tschechoslowakei hatte sich – zumindest für
die Militärs im Westen – entspannt.
Rüdiger Wenzke
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008
31
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Das große
Standardwerk
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Das bei der Deutschen Verlags-Anstalt erscheinende Reihenwerk »Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg«
gilt als das wissenscha�liche Flaggschiff des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) und zählt zu den
größten und ambitioniertesten Projekten der modernen
deutschen Wissenscha�sgeschichte. In zehn Bänden (mit
Teilbänden in dreizehn Büchern) haben über fünfzig Autoren zu einer umfassenden Geschichte des Zweiten Weltkrieges beigetragen.
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»Eines der größten Unternehmen der modernen
Geschichtswissenscha�«
Johannes Hürter, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Eine überaus eindrucksvolle Gesamtleistung, von
der Öffentlichkeit und Forschung fortab profitieren
werden«
Hans-Ulrich Wehler, Die Zeit
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