Marketing und Massenmord. Die - Haus der Wannsee

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Newsletter 28 +++ Oktober 2011
Haus der Wannsee-Konferenz
Dr. Peter Klein
Marketing und Massenmord.
Die „Gettoverwaltung Litzmannstadt“ 1940-1944
Vortrag am 30. November 2008 in der Gedenk- und Bildungsstätte
Haus der Wannsee-Konferenz
Als ein Ergebnis des Krieges gegen Polen 1939 wurde die polnische
Textilmetropole Łódź als "Litzmannstadt" in das Deutsche Reich eingegliedert. Die
deutsche Stadtverwaltung errichtete im Frühjahr 1940 ein Getto, in dem etwa
160.000 Juden auf engstem Raum leben mussten. Die Stadt verwaltete das Getto
in direktem Reichsauftrag und richtete hierfür ein Amt ein - die "Gettoverwaltung
Litzmannstadt" unter der Leitung des Angestellten Hans Biebow. Die städtische
Einrichtung organisierte die Ausbeutung der Juden für die deutsche Wehrmacht
(Anfertigung von Uniformen) sowie die deutsche Konfektionsindustrie (Karstadt,
Neckermann, Leineweber u. a.). Gleichzeitig führte es die Finanzbuchhaltung des
Vernichtungslagers Kulmhof (Chelmno), in dem über 150.000 Menschen mit
Motorenabgasen ermordet wurden.
- Welche Marktstrategien verfolgte Hans Biebow um Produktionsaufträge
zu erhalten?
- Wie konnte sich die Lokalbehörde im Netzwerk der Verfolgung
positionieren, wenn sich eine Reihe anderer NS-Organisationen zur
„Lösung der Judenfrage“ berufen fühlten?
- Wie kam es schließlich dazu, dass die Gettoverwaltung eine
herausragende Rolle beim Massenmord an den Juden im
Reichsgau Wartheland übernahm?
Dr. Peter Klein
Marketing und Massenmord.
Die "Gettoverwaltung Litzmannstadt" 1940-1944
Mit der Besetzung und Eingliederung der zweitgrößten polnischen
Stadt Łódź in das Deutsche Reich und
seine Umbenennung in „Litzmannstadt“
wurde eine Textilmetropole zur sechstgrößten deutschen Stadt, in der bei
einer Einwohnerschaft von etwa
748.000 Menschen lediglich 122.000
Deutsche waren.
Im Frühsommer 1940 lebten hier
158.000 Juden, deren Verschleppung in
das angrenzende Generalgouvernement zwar wiederholt angestrebt,
jedoch nicht verwirklicht werden konnte.
Die Ansiedlung von etwa 11.000
Volksdeutschen aus dem Baltikum,
Wolhynien und Galizien wurde dadurch
jedoch nicht gestört.
Der zuständige Regierungspräsident
Friedrich Uebelhoer ließ im infrastrukturell kaum erschlossenen Norden
der Stadt ein Getto errichten, um
vielmehr die lokale Wirtschaft vor Juden
und die Stadt vor Seuchen zu
„schützen“. Die Verwaltung oblag bis
zur Auflösung des Gettos im Sommer
1944 einer städtischen Behörde – der
„Gettoverwaltung Litzmannstadt“.
Grundlegende politische Voraussetzungen
Bevor sich zum 1. Mai 1940 die
Grenzen um das Viertel Bałuty zum
hermetisch
abgeriegelten
Getto
schlossen, wurde seine angenommene
temporäre Existenz bereits durch zwei
fundamental wichtige Entscheidungen
vorgeprägt. Zum einen hatten die
Kommunal- und die Gauverwaltung
kein Interesse an der finanziellen
Absicherung der Existenz der Juden in
eigener Verantwortung, so dass
während einer Sitzung im Reichsinnenministerium (RmdI) am 1. April 1940
eine Übereinstimmung dahingehend
erreicht wurde, das Getto in der
prinzipiellen finanziellen Verantwortung
beim Reich anzusiedeln.
Etwaige Ausgaben schienen damals
mit den jüdischen mobilen Werten
gedeckt zu sein. Hieraus entwickelte
sich noch 1940 die zunächst allgemein
akzeptierte Sicht, die Verwaltung des
Gettos geschehe durch die Stadt im
unmittelbaren Reichsauftrag.
Zum anderen hatte der Älteste der
Juden im Getto schon am 5. April
vorgeschlagen, die Subsistenz der
Eingeschlossenen durch Arbeitsleistung
zu sichern. Beide Entscheidungen,
Reichsauftrag
und
Arbeitseinsatz,
strukturierten die gesamte Geschichte
des Gettos und seiner deutschen
Verwaltung.
Die Behörde
Im Mai 1940 übernahm Hans
Biebow die Leitungsposition eines
kleinen städtischen Referats, das sich
„Wirtschafts- und Ernährungsstelle
Getto“ nannte und dem Ernährungsund Wirtschaftsamt der Stadt unterstand. War man dort zunächst noch
davon ausgegangen, zur Führung der
Verwaltung bedürfe es lediglich einiger
Speditionskaufleute
und
Stenotypistinnen, so wurde mit den fehlschlagenden Versuchen zur Deportation der Litzmannstädter Juden
schnell klar, dass die Finanzierung der
Ernährung auf eine professionellere
Stufe gestellt werden musste.
Hans Biebow, der orts- und
branchenfremde Bremer Kaufmann, der
nur vorübergehend bis zur Auflösung
des Gettos angestellt worden war, entwickelte daraufhin einen ganzen
2
Katalog an Maßnahmen, wie die
Finanzlage des Gettos konsolidiert
werden könnte.
Hans Biebow (1902-1947)
Parallel hierzu verlief die personelle
Ausstattung der Behörde, die vor allem
von städtischen Angestellten und
Lohnarbeitern dominiert wurde. Sie
wurden alle nach den geltenden
Tarifordnungen bezahlt, die durch
Schmutzzulagen und Trennungsentschädigungen ergänzt wurden. Überstunden, die nicht abgebummelt werden
konnten, waren allerdings die Regel.
Die leitenden branchenspezifischen
Posten (Groß- und Einzelhandelskaufleute, Handwerksmeister, Buchhalter usw.) wurden mit Hilfe chiffrierter
Anzeigen besetzt, in denen zunächst
nichts von der konkreten Arbeitsstelle
verraten wurde. Dies blieb dem
Bewerbungsgespräch
vorbehalten,
wobei Biebows Konditionen oftmals
nicht besonders attraktiv schienen – er
konnte namens der Stadt keine
Dauerstellungen anbieten.
Der Mitarbeiterstand der Behörde
stieg stetig. Waren im Mai und Juni 47
bzw. 54 Personen im
Referat
beschäftigt, so waren es im September
und Oktober 1940 bereits 81 bzw. 109
Personen. Im Herbst 1940, als auch die
letzte Frist zur Auflösung des Gettos
durch Deportationen in das Generalgouvernement längst verstrichen war,
wurde bei der Stadtverwaltung mit
einem
Personalbedarf
von
200
Personen gerechnet. Zur selben Zeit
wurde
das
Referat
auch
zum
selbstständigen Stadtamt mit eigener
Kassenführung ernannt, das unmittelbar dem Oberbürgermeister (OB)
unterstand.
Im Mai 1941 arbeiteten 224
Personen für die Behörde, aber nach
einem Personalbedarfsplan wurden 309
Mitarbeiter benötigt. Am 31. Dezember
1941 hatte die Behörde, die mittlerweile
auch Ausbildungsstation der Stadtverwaltung geworden war, einen Personalbestand von 188 Angestellten und 226
Arbeitern. Ab jetzt erhöhte er sich nicht
mehr wesentlich, sondern wurde durch
die Einberufungen eher geschwächt.
Aus:
Der Lodscher Tag, Ausg.
vom 11./12.2.1940
3
Marketing
Wie nun gelang es Hans Biebow,
das Großgetto mit seinen im Oktober
1940 insgesamt 155.000 Einwohnern
so zu führen, dass für einen möglichst
langen Zeitraum reichsunmittelbare
Finanzaufwendungen nicht getätigt zu
werden brauchten?
Wie bereits erwähnt, handelte es
sich bei Biebow um einen Bremer
mittelständischen Kaufmann, dessen
unternehmerischer
Denkstil
schon
wegen seiner eigenen Erfahrung als
Kaffeeröster und Großhändler ganz auf
die Marktbedürfnisse eingestellt sein
musste. Sein Handlungshorizont ergab
sich für den ja orts- und branchenfremden
Hanseaten
aus
seiner
jahrelangen Tätigkeit als Unternehmer,
der weniger produzierte, als - Stichwort:
Kaffeerösterei - Rohprodukte veredelte
und anschließend am Markt absetzte.
Hinsichtlich des Gettos und dessen
Finanzierungsmöglichkeiten war also
zunächst einmal festzustellen, auf
welchem der beiden Wirtschaftssektoren - also Dienstleistung oder
Produktion - die größeren Umsätze
getätigt werden würden. Die sehr
schnelle Schwerpunktentscheidung zu
Gunsten der Warenproduktion im Getto
im
Herbst
1940
wurde
von
verschiedenen Faktoren bestimmt:
1. Die Variante, Juden zur Dienstleistung zugunsten der Privatwirtschaft
oder der öffentlichen Hand außerhalb
der Gettogrenzen einzusetzen, musste
verworfen werden, da die städtischen
Tief- und Hochbaumaßnahmen keine
großen Zahlen an beschäftigten Juden
binden würden.
2. Die Frage der Bewachung von
Juden an Baustellen oder anderen
Arbeitsplätzen außerhalb des Gettos
blieb ungeklärt.
Der zuständige Polizeipräsident Wilhelm Albert beklagte intern den Personalmangel bei der uniformierten
Polizei und bedauerte, dass es wohl
nicht möglich sein werde, "Gettojuden"
als Geiseln zur Verhinderung von
Fluchten festzusetzen.
3. Die zunächst hohen Erwartungen,
die die Gettoverwaltung an den Verleih
von Juden als Arbeitskräfte an den
Reichsautobahnstrecken
zwischen
Frankfurt an der Oder und Posen
knüpfte, wurden schnell relativiert. Im
Oktober 1940 hatte man noch
4
optimistisch mit Verdienstmöglichkeiten
von 20.000 Juden gerechnet, aber man
wurde schnell darauf hingewiesen, dass
wohl nicht einmal die Hälfte an arbeitsfähigen Juden einzusetzen wären. Als
sich etwa ein halbes Jahr später
herausstellte, dass wegen der geringen
Nettoverdienste der jüdischen Arbeitskräfte
die
Aktion
zu
einem
Verlustgeschäft zu geraten drohte,
versuchte die Gettoverwaltung diesen
Einnahmezweig so stark wie möglich zu
drosseln.
Ein Vergleich zwischen den Möglichkeiten, auf beiden Wirtschaftssektoren
arbeiten zu lassen brachte daher eine
eindeutige Schwerpunktsetzung zugunsten der Produktion im Getto ans
Tageslicht. Hinzu kam, dass man
innerhalb der Gettomauern auf über
50.000 männliche und weibliche
jüdische Arbeiter über 18 Jahre
zurückgreifen konnte, wobei ausgebildete und angelernte Arbeitskräfte vor
allem auf dem Gebiet der Konfektionierung von Bekleidung vorhanden
waren.
Damit
waren
also
die
Grundvoraussetzungen für Biebows
marktorientiertes
unternehmerisches
Handeln klar und es stellte sich die
Frage, welche Absatzmärkte sich
eröffnen würden.
Demgegenüber hatte es die Gettoverwaltung verstanden, vor allem mit
Hilfe der Nebenstelle Litzmannstadt der
Haupttreuhandstelle Ost (HTO) an die
mobilen Produktionsgüter von Juden
und Polen heranzukommen:
1. Zunächst hatte die HTO, die ja
Um sich mit seinen Produktionsüber sämtliche Werte von Polen und
möglichkeiten am Markt positionieren
Juden
verfügungsberechtigt
war,
zu können, war es notwendig, die
erlaubt, alle jüdischen Betriebe auf dem
Wünsche und Bedürfnisse verschieGettogelände zu entsiegeln. Die Gettodener Anspruchsgruppen kennen zu
verwaltung war berechtigt, die dort
lernen. Biebow erledigte dies in
lagernden Rohmaterialien und Halbrastloser Initiative durch Akquisitionsfertigfabrikate sowie den Maschinenreisen seit dem November 1940 bis
park auf Verleihbasis zu nutzen.
weit in das Frühjahr 1941 hinein. Nach
2. In einem zweiten Schritt erklärte
diesem etwa sechs Monate dauernden
sich die HTO bereit, diejenigen
Orientierungsprozess schien klar, dass
polnischen Betriebe auf dem Gettoes einen Absatzmarkt sowohl für
gelände zu öffnen, deren allgemeiner
Zivilkonfektion, Konfektionsveredelung
Zustand für eine Weiterverwendung
(etwa Stickerei und Applikationen) und
durch deutsche kommissarische Verfür die Uniformkonfektion geben würde.
walter unattraktiv schien und die als
Mit den Firmen Josef Neckermann,
buchungstechnische Sicherheiten bei
Heinrich Leineweber oder Martin &
einem Kontenclearing zwischen polNorenberg, mit Rudolf Karstadt oder
nischem Alteigentümer und neuen
der Essener Firma Scheidt konnten
deutschen Verwaltern nicht gebraucht
Produktionsverträge
über
Arbeitswürden. Damit konnte die deutsche
kleidung, Damen-, Herren- und KinderGettoverwaltung im Herbst 1940 auf 48
moden abgeschlossen werden, die
kleinund
mittelständische
Es stellte sich die Frage, welche
Betriebe mitsamt Maschinenpark
zurückgreifen, die umgehend als
Absatzmärkte sich eröffnen
Produktionstandorte genutzt werwürden.
den konnten.
3. In einem dritten Schritt geneheinen wesentlichen Teil des Umsatzes
migte die HTO dann, diejenigen jüdiausmachen würden. Hinzu kamen
schen Betriebe im Stadtgebiet nach
Einzelaufträge von Berliner mittelstänMaschinen zu durchforsten, an denen
dischen Hutfabriken und Stickereien.
deutscherseits kein Interesse bestand.
Ergänzt wurden diese Aufträge durch
In der Folge wurden daher eine große
weitere Großaufträge nahezu sämtAnzahl veralteter und reparaturlicher Bekleidungsämter der drei Teilbedürftiger Maschinen ins Getto
streitkräfte der Wehrmacht. Die Unigeliefert.
formproduktion der deutschen Wehrmacht
wurde
generell
dezentral
geregelt. Der Bedarf an Uniformen
wurde in den einzelnen Wehrkreisen im
deutschen Reich kalkuliert und in aller
Regel an die jeweiligen ortsansässigen
Produzenten delegiert.
Seit dem Angriff auf Polen, den Sieg
gegen Frankreich, die Besetzung der
Benelux-Staaten, Dänemarks, Norwegens sowie dem Einmarsch in
Jugoslawien stieg der Bedarf an
Uniformstücken jedoch so rasant, dass
die private Konfektionsindustrie damit
nicht Schritt halten konnte, zumal deren
Arbeiterschaft durch die Einberufungen
geschwächt wurde.
Biebows Akquisitionsreisen zeigten
ganz klar, dass hier ein Großkundenstamm gewonnen werden konnte. Der
Boom der Auftragslage auf dem
Konfektionierungsgebiet wurde bald
ergänzt durch weitere, allerdings
regionale Angebote auf dem Sektor der
Möbelproduktion für volksdeutsche
Umsiedler aus Wolhynien. Im Sommer
1941 meldeten sich weitere Unternehmen in Eigeninitiative: So etwa der
Mischkonzern Sunlicht mit der Frage,
ob es möglich sei, auf dem Gettogelände eine eigene Fabrik zu
errichten; der Berliner Gustav WeiseVerlag wollte seinen Bestseller mit dem
Titel "Was zum Lachen" der Autoren
Rolf Italaander und Walter Steinbach im
Getto binden lassen und letztlich fragte
der Leipziger Brockhaus-Verlag an, ob
im Getto 200.000 Exemplare des
Volksbrockhaus gebunden werden
könnten.
Nach nur wenigen Monaten der
Werbung mittels Akquisition hatte die
Gettoverwaltung Litzmannstadt auf dem
Konfektionssektor
durch
kundenorientierte Bandbreite ihrer Produktpalette eine Marktposition erreicht, die
selbst auf andere Marktsegmente, wie
etwa Möbelproduktion oder Buchbindearbeiten hinüber griff. Heute würde man
sagen, das Unternehmen "Gettoverwaltung Litzmannstadt" war breit
aufgestellt. Dennoch sollte es ganz
zügig zu einer Konzentration auf
wenige Kunden und zu einer Verschlankung des Angebots kommen, was
jedoch durch äußere Umstände bedingt
war.
Die textilen Rohstoffe waren seit
Ende 1940 rationiert. Dies äußerte sich
ganz praktisch darin, dass die private
Konfektionsindustrie Stoffe lediglich
gegen
sogenannte
Kleiderpunkte
erwerben konnte. Rationierte Kleiderpunkte erhielt ein Konfektionsbetrieb
bei der Reichsstelle für Textilwirtschaft
und löste diese dann bei den
Textilherstellern ein. Wer immer bei der
Gettoverwaltung Litzmannstadt Konfektionsaufträge erteilte, hatte vorher die
notwendigen Punkte für Textilien,
Leder, Farbstoffe, Garne usw. bereit zu
stellen.
1. Bald gerieten diejenigen Betriebe
ins Hintertreffen, die bisher lediglich die
Punkte in Litzmannstadt abgegeben
und es der Gettoverwaltung überlassen
hatten, die notwendigen Materialien
dann zu beschaffen. Lediglich die
Großbetriebe führten dies noch in
Eigenregie durch, so dass die Gettoverwaltung sofort mit der Produktion
beginnen konnte. Kleinere Auftraggeber
fielen nach und nach aus, weil sie die
Kosten für die Organisation sowie den
Antransport des Materials nach Litzmannstadt nicht mehr finanzieren
konnten.
2. Im Zuge des Aufmarsches der
Wehrmacht zum Krieg gegen die
Sowjetunion herrschten im April und
Mai
1941
nahezu
hermetische
Transportsperren bei der Reichsbahn.
Diese jedoch war für An- und
Ablieferung die allein maßgebende
Transportorganisation. Die Folge der
Transportsperren, die sich ein Jahr
später noch einmal wiederholen
würden, war, dass nur noch private
Großkunden die Lieferverzögerungen
wirtschaftlich
verkraften
konnten.
Auswärtige kleine Auftraggeber fielen
seitdem nahezu aus.
3. Alle regionalen Auftraggeber der
Wehrmacht, wie etwa das Marinebekleidungsamt in Kiel, das Heeresbekleidungsamt München und ähnliche,
waren von den Transportsperren
ausgenommen. Ihr Material rollte stets
an und ab. Hinzu kam, dass die
Wehrmacht schon frühzeitig bereit war,
einheitliche Festpreise für Stückzahlen
zu zahlen, so dass bereits bei
Auftragsvergabe seitens der Gettoverwaltung finanziell kalkuliert werden
konnte. Auch das Rationierungssystem
galt nicht für die Streitkräfte, so dass
Großaufträge über Uniformkonfektion in
standardisierten Größen stets einheitlich bezahlt und wegen des geringen
administrativen Aufwands pünktlich
geliefert wurden. Hinzu kam, dass mit
Militäraufträgen die Qualifizierung der
Produktion als "kriegswichtige" und
noch besser "kriegsentscheidende"
Fertigung eine vielfältige Hilfestellung
verbunden war. Fehlten etwa Kraftstoffe,
wurden
etwa
Holzgasgeneratoren oder wurde auch nur
Pferdefutter gebraucht, dann waren die
Rüstungsinspektion Posen und das
Rüstungskommando Litzmannstadt zur
Hilfestellung verpflichtet.
Die Konzentration auf wenige
Großkunden aus der Privatwirtschaft
sowie die Wehrmacht im Laufe der
Jahre 1942 und 1943 war also bedingt
durch das Rationierungssystem für
Textilien. Hier waren kleinere Auftraggeber generell benachteiligt.
Auftragssicherheit galt letztendlich
nur für die Wehrmacht sowie für die
lokalen Auftraggeber, die unabhängig
von Transporteinschränkungen agieren
konnten. Und letztlich galt die "kriegsentscheidende Fertigung" als nicht nur
betriebswirtschaftlich günstige Auftragslage.
Sie
garantierte
vielfältige
administrative und organisatorische
Hilfestellungen, wenn der Produktionsprozess gestört wurde. Im Jahr 1943
produzierten die im Getto ausgebeuteten Juden zu etwa 85 % zu
Gunsten der deutschen Wehrmacht.
Die anderen 15 % entfielen nach wie
vor auf krisenfeste Großunternehmen,
wie
etwa
Brenningkmeyer,
Witt,
Schöpflin usw. Wann immer Hans
Biebow seine Unternehmungen im
administrativen Bereich legitimieren
musste, verschwanden die privaten
Auftraggeber aus seiner Argumentation.
Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die 15 % Privataufträge
etwa 30% des Umsatzes ausmachten.
Kurzum: die Privaten zahlten besser,
die Wehrmacht aber war sicherer.
Vor diesem Hintergrund der unternehmerischen Konzentration der Gettoverwaltung auf wenige private Großkunden und nahezu alle Wehrmachtbekleidungsinstitutionen ist es sinnvoll,
das Konkurrenzverhalten der Gettoverwaltung zu beobachten. Obwohl es
ein entscheidender Wettbewerbsvorteil
war, Stückzahlen in immensen Höhen
garantieren zu können, weil zehntausende Juden in den Ausbeutungsprozess eingebunden waren, agierte
die Gettoverwaltung Litzmannstadt
nicht allein auf diesem Feld. Schon zur
Jahreswende 1939/40 hatten zwei
Berliner Unternehmer, Alfred Hall und
Hans-Adolf Bartram erkannt, dass sie
mit ihrer mittelständischen Konfektionsfirma "Günter Schwarz" in den
Warthegau
expandieren
sollten.
Nachdem es beiden zwar gelungen
war, weitere Maschinenparks von
volksdeutschen
Alteigentümern
zu
erwerben,
mussten
sie
jedoch
erkennen, dass sie in Litzmannstadt
nicht mit jüdischen Arbeitern versorgt
werden würden.
Die Stadtverwaltung hatte dies
untersagt, um den planmäßigen Aufbau
ihrer eigenen Behörde nicht zu stören.
Stattdessen wich die Firma Günter
Schwarz dann in das nur etwa 40 km
entfernte Löwenstadt aus, um im
dortigen Getto eine Firma einzurichten.
Zu Jahresbeginn 1941 hatten beide
Unternehmer
einen
Großkunden
interessieren können, nämlich das
Heeresbekleidungsamt Breslau.
5
Hans Biebow beobachtete die
Aktivitäten
seiner
Konkurrenten
genau und stellte fest, dass in
Löwenstadt ebenfalls hochwertige
Uniformen in geringerer Stückzahl
gefertigt wurden. Als er erkennen
musste, dass die Konkurrenzfirma
unmittelbar vor die Stadtgrenze sowie
nach Ost-Oberschlesien expandieren
wollte, bat er die Kommunalbehörden
in Litzmannstadt und Bendzin, diese
Aktivitäten zu stoppen. Zunächst
schlug er vor, private Unternehmer,
die Juden beschäftigten, mit höheren
Kommunalsteuern zu belegen und
später, die Verwendung von Juden in
der privaten Wirtschaft überhaupt zu
verbieten. Beide Vorschläge hätten in
beiden Regionen jedoch zu massiven
Protesten geführt, so dass die
Gettoverwaltung machtlos blieb. Zwar
machte man der Konkurrenz immer
wieder Probleme in strafrechtlicher
Hinsicht, aber erst die gewaltsame
Zerschlagung der Gettos in Löwenstadt, Litzmannstadt sowie in Bendzin
seit dem Frühjahr 1942 sorgte dann
dafür, dass man den ungeliebten
Konkurrenten los wurde. Konkurrenzbeobachtung zur Erhaltung und
Mehrung von Wettbewerbsvorteilen
bedeutete bei der Gettoverwaltung
also nicht, sich den anderen
Kundenstamm
durch
unternehmerische Strategien zu sichern,
sondern - und hier zeigt sich die
Gettoverwaltung eben als Behörde
und nicht als Betrieb - mittels
exekutiver Maßnahmen gegen den
Konkurrenten vorzugehen.
Deutlich wird dieses Verhalten
auch, wenn man die Maßnahmen der
Gettoverwaltung im Windschatten der
gewaltsamen Vernichtung des Gettos
in Warschau analysiert. Als im Januar
und Februar 1943 zahlreiche Juden
im Warschauer Getto aus Furcht vor
den Aussiedlungsaktionen in die
Betriebe deutscher Unternehmer
flüchteten um dort zu arbeiten, wurde
bei der Firma Walter Toebbens kurz
darauf ein Qualitätsverlust festgestellt, der sich beim Zuschneiden von
Pelzwesten ergeben hatte. Biebow
kontaktierte daraufhin sofort die
Rüstungsinspektion in Warschau und
ließ sich den Auftrag überschreiben.
Hier
führte
die
Konkurrenzbeobachtung gleichzeitig zur räumlichen Erschließung neuer Märkte.
Die produktorientierte Erschließung
neuer
Märkte
hingegen
erstrebte die Gettoverwaltung durch
PR-Kampagnen, die ich ebenfalls
kurz darstellen möchte:
6
Hans Biebow (3. v. l.) mit Chaim Rumkowski (4. v. l.),
Vorsitzender des Judenrats des Gettos Łódź, im Getto.
1. Im Sommer 1941 wandte sich Hans
Biebow an die branchengebundenen
Fachgruppen der Bekleidungsindustrie,
also etwa die Fachgruppe DamenOberbekleidungsindustrie, an die Fachgruppe Strick- und Wirkwaren, die Fachgruppe Wäsche oder an die Fachgruppe
Berufs- und Sportbekleidungsindustrie um
zunächst einmal reichsweit an die
Adressen aller organisierten Konfektionäre heranzukommen. Diese wurden
dann mit einem Werbeschreiben bedacht,
das auf mehreren Seiten detailliert über
die verschiedenen Herstellungsmöglichkeiten berichtete und die potentiellen
Kunden aufforderte, ihre speziellen
Wünsche zu formulieren. Auf diese Weise
gelang es der Gettoverwaltung, schnell
und
flexibel
auf
unterschiedliche
Interessen reagieren zu können. Im
ersten derartigen Werbeblatt wurde die
volle Garantie für die hochwertige
Fertigung angeboten, aber es wurde auch
ganz offen über den Zweck der
Gettoverwaltung referiert. Es sollte mit
dem Getto, so wörtlich, "eine Entlastung
in Hinsicht auf den allgemeinen Mangel
an deutschen Hilfskräften" in der
deutschen Bekleidungsindustrie erreicht
werden und zugleich "die Bestreitung der
Lebensbedürfnisse der Gettobevölkerung
aus eigener Leistung."
2. Aus dieser Aktion entwickelte sich
dann die so genannte Werbeabteilung
innerhalb der Gettoverwaltung, die ihrerseits vor Ort zunächst das ehrgeizige Ziel
verfolgte, eine permanente Leistungsschau über die Produktions-möglichkeiten
zu etablieren. Da sich Biebow bewusst
war, dass eine derartige Ausstellung über
die hohe Qualität "jüdischer Arbeit" nicht
ohne weiteres genehmigt werden würde,
verfiel er auf die Idee, diese durch ein
antisemitisches
Museum
"jüdischer
Unkultur" quasi einzurahmen.
Broschüre mit den im Getto tätigen Firmen und
Betrieben. Herausgegeben 1943 von der
„Statistischen Abteilung Litzmannstadt-Getto“,
2 Bl., 44 Seiten
(hergestellt in einer kleinen Aufl.)
Da jedoch das Gaupropagandaamt
ein Veto einlegte, blieb es bei einer
kleinen Werbeausstellung am Baluter
Ring, wo sich Kunden aus dem
Reichsgebiet einen visuellen Überblick
über die Qualitätsarbeit verschaffen
konnten.
Die hier vorgestellten unternehmerischen Ausrichtungen der Gettoverwaltung auf den Konfektionsmarkt im
Deutschen Reich gehören sämtlich zu
heute gängigen Maßnahmen des
Marketings. Dies verführt geradezu
dazu, die "Gettoverwaltung Litzmannstadt" wegen der kaufmännischen
Orientierung seines Leiters auch als
Leiter
als
Großunternehmen
zu
betrachten, dessen Spezifikum in der
Ausbeutung der jüdischen Arbeiter in
Unfreiheit lag. Doch bei dem Amt
handelte es sich um eine städtische
Behörde, die eben keinen profitablen
Fabrikationsbetrieb aufgezogen hatte.
Besonders deutlich wird dies anhand
eines Organisationsgutachtens, das
Biebow bei dem Braunschweiger
Wirtschaftsprüfer Ludwig Hitschler in
Auftrag gegeben hatte. Im Juli 1942
attestierte Hitschler dem Stadtamt, das
Getto würde im betriebswirtschaftlichen
Sinne viele völlig unsinnige Hindernisse
beinhalten.
Die gewachsene Struktur des Gettos
etwa bedingte die Fertigung eines Produkts an völlig verschiedenen Orten, die nur unzureichend mit dem Transportmittel "Mensch" verbunden waren. Die An- und
Ablieferungsorte innerhalb
des Geländes weit weg
von
den
eigentlichen
Produktionsstätten
seien
kontraproduktiv.
Die interne Betriebsorganisation
der Gettoverwaltung sei
darüber
hinaus
altmodisch, weil sie viel zu
viele
Registraturkräfte
binde. Letztlich hatte die
Gettoverwaltung
keine
innerbetriebliche
Revisionsabteilung aufgebaut, so
dass säumige Auftraggeber bis zu 14 Monaten
unentdeckt bleiben konnten. Diese Mängel jedoch
konnten von der Gettoverwaltung kaum aufgefangen werden, weil die
Bebauungsstruktur
des
Gettos und die ursprünglich nur auf wenige Monate
konzipierte Verwaltungsorganisation kaum mehr zu
ändern war. Bis heute gilt
es in der Forschung als
unumstritten, dass das
Getto Litzmannstadt deswegen so lange existierte,
weil durch die Fertigung
der Juden sowohl die Stadt
als auch die Gauleitung in
Posen Unsummen an Geld
verdienen konnten.
Doch eine Analyse der Finanzberichte zeigt überdeutlich, dass weder
an den Gauleiter Greiser noch an die
Stadtverwaltung Finanzmittel aus der
Fertigung flossen. Im Sommer 1943
ließ Hans Biebow eine Aufstellung über
das Reinvermögen der Gettoverwaltung
aufstellen. Der Bericht schloss mit einer
Summe von 3,5 Millionen Reichsmark
ab, was deutlich zeigt, dass die
Zwangsarbeit der Juden dort keine
besonderen Gewinne ablieferte.
Bedenkt man, dass von den
eingenommenen Millionen nicht nur die
produktiven
Arbeitskräfte
entlohnt
wurden, sondern auch die gesamte
Dienstleistungsstruktur der jüdischen
Selbstverwaltung in Höhe von stets
etwa 16.000 Personen mitfinanziert
wurde, so zeigt sich
wesentlicher
Grund
bescheidenen Gewinne.
schon
für
ein
die
Letztlich finanzierte die Gettoverwaltung hieraus immer auch den
Ankauf weiterer Maschinen, etwa
sämtliche Nähmaschinen, der aus dem
Deutschen Reich deportierten Juden
mit Hilfe des Oberfinanzpräsidenten in
Berlin.
Das Kerngeschäft der städtischen
Behörde, die einen Reichsauftrag
erledigte, lag stets nur in der
Abwendung reichsunmittelbarer Finanzaufwendungen. Rentabilität der Gettoarbeit wurde hingegen nicht angestrebt.
Schreiben des Chefs des
Wehrwirtschafts- und
Rüstungsamtes im OKW,
General der Infanterie
Georg Thomas an den
Reichsführer-SS vom
11. Oktober 1941
7
… und die Antwort Himmlers (undatiert):
Massenmord
Im Februar 1942 nun wurde dieses
Kerngeschäft ergänzt; nämlich durch
die finanztechnische Betreuung des
Vernichtungslagers in Kulmhof.
Nachdem
der
Gauleiter
und
Reichsstatthalter Arthur Greiser am
18. September 1941 durch Himmler
erfahren hatte, dass der Beginn der
Deportation der Juden aus dem
Großdeutschen Reich bevorstand und
die ersten Züge in das Getto
Litzmannstadt geleitet werden sollten,
reagierte er auf zweierlei Art und
Weise. Zum einen ließ Greiser durch
das Sonderkommando Lange einen
geeigneten Vernichtungsort aussuchen,
und Kulmhof wurde schon bald
gefunden. Am 1. Oktober 1941 einigten
sich das Landratsamt Warthbrücken
und das Sonderkommando auf die
Pacht eines kleinen Kreisgärtnereigeländes in Kulmhof.
8
Gauleiter und Reichsstatthalter Arthur Greiser
Dieses Areal grenzte unmittelbar an
ein verfallenes größeres Gutshaus, das
im Laufe des Oktober 1941 zum Zweck
der massenhaften Ermordung von Juden
wieder hergerichtet wurde. Die zweite
Maßnahme Greisers bestand darin, die
regionalen Verantwortlichkeiten in seiner
Reichsstatthalterei
zu
verankern.
Die Leiter der Abteilung I (SSOberführer Herbert Mehlhorn) und
Abteilung Va (SS-Standartenführer
Ernst Kendzia) wurden mit der "federführenden Bearbeitung aller Fragen, die
mit der Unterbringung und dem
Arbeitseinsatz
von
Juden
und
Zigeunern im Reichsgau Wartheland"
zusammenhingen,
beauftragt.
Die
gesamte finanzielle und organisatorische Abwicklung des Holocaust im
Warthegau wurde vor allem von Herbert
Mehlhorn und dessen Haushaltsreferenten Friedrich Häusler geleistet.
Der Höhere SS- und Polizeiführer
Wilhelm Koppe sowie die regionale
Sicherheitspolizei waren lediglich ausführende Organe des Massenmordes.
Es waren Friedrich Häusler und ein
Kollege, die am 5. Februar 1942 bei der
Leitung der Gettoverwaltung Litzmannstadt auftauchten:
Aus: Dokumenty i Materialy do Dziejow Okupacji niemieckiej w Polsce, Bd. III – Getto Lódźkie, Warschau 1946
"Beide Herren erschienen im Auftrag
von Herrn Oberführer Mehlhorn um sich
einen Überblick über die Finanzlage
des Gettos zu verschaffen. Sie
versuchten Verhandlungen zu führen
über die Aufstellung eines Sonderkontos, aus welchem zentral alle
Evakuierungsmaßnahmen des Warthegaues gedeckt werden sollen."
Am 28. Februar 1942 wurde bei der
Stadtsparkasse Litzmannstadt das
Sonderkonto Nr. 12300 eingerichtet.
Das erste überlieferte Saldenblatt
datiert von diesem Tag. Hier ist kein
Saldovortrag ausgewiesen, und die
erste
Kontobewegung
war
eine
Barauszahlung an ein Mitglied des
Sonderkommandos Kulmhof. Zwei
Tage später wurden 139.351,50 RM in
bar eingezahlt. Zwischen diesem ersten
und dem letzten Saldenblatt vom
15. Februar 1944 befinden sich 468
Kontostandsblätter, auf denen 1.791
Saldenvorgänge verzeichnet sind.
Alle diese Kontobewegungen, einschließlich der Zins- und WiederanlageGutschriften, resultieren aus der "Endlösung
der
Judenfrage"
mittels
Vernichtung und Zwangsarbeit außerhalb der Gettogrenzen Litzmannstadts.
Es war von nun an Aufgabe der
Buchhaltung der Gettoverwaltung das
Konto im Auftrag der Reichsstatthalterei
zu führen. Der Massenmord an den
Juden der Gettos im Warthegau kam
also nicht nur deswegen nahe an die
Zuständigkeit der städtischen Behörde
heran, weil 1942 auch nicht arbeitende
Juden zu Zehntausenden in das
Vernichtungslager abgefahren wurden.
Die Gettoverwaltung regulierte mit
ihrer permanenten Kontoführung auch
die Ausgaben und Einnahmen dieses
Massenmordunternehmens. So kamen
direkt
aus
Kulmhof
nach
der
Beraubung der Opfer in insgesamt
21 Anlieferungen 1.954.539,58 Reichsmark an.
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Devisen
und
Goldwährungen
wurden ebenfalls bei der Gettoverwaltung abgeliefert, die derlei
Beträge
über
die
Reichsbank
konvertieren
und
dem
Konto
gutschreiben
ließ.
Zwei
weitere
Beispiele zeigen darüber hinaus die
tiefe Involvierung der städtischen
Verwaltungsangestellten in den regionalen Holocaust. Zum einen beteiligte
sich die Gettoverwaltung an den
Verschleppungen aus den Landgettos,
indem sie am Tag der Zerschlagung
solcher jüdischen Wohnbezirke mit
einem Evakuierungstrupp auftauchte.
Die Mitglieder selektierten zusammen
mit den Polizisten des Sonderkommandos die arbeitsfähigen Juden
um
diese
nach
Litzmannstadt
abzutransportieren. Anschließend übernahm man brauchbare Maschinenparks
und Büroeinrichtungen und fungierte als
Rechtsnachfolger
der
vernichteten
Gettos. Die Gettoverwaltung übernahm
den Auftragsbestand, sie beglich offene
Rechnungen der örtlichen Gettos und
rechnete mit den örtlichen Landräten
und Bürgermeistern die Versteigerung
des verlassenen Hab und Guts zu
Gunsten des Sonderkontos ab.
Zum anderen war die Gettoverwaltung führend bei der Einrichtung
des Verwertungslagers in Pabianice als
Investition in den Massenmord beteiligt.
Als sich schon im Frühjahr 1942
gezeigt hatte, dass die Kapazitäten zur
Durchsuchung der Bekleidung der
Ermordeten im Lager Kulmhof viel zu
klein waren, beschlossen Sonderkommando und Gettoverwaltung den
zweiten Teil des Massenmordes, also
die Durchsuchung der Kleider nach
Wertgegenständen sowie die Verwertung der Bekleidung räumlich vom
Gelände in Kulmhof zu trennen.
Am 18. Mai 1942 war das Verwertungslager Pabianice bei Litzmannstadt
fertig gestellt, so dass geschätzte 900
Lkw-Ladungen mit Wäschestücken,
Schuhen, Taschen und Koffern anrollen
konnten. Dieses Lager stand unter der
direkten Aufsicht der Gettoverwaltung,
die zwischen dem 22. Mai 1942 und
dem 19. Februar 1943 in 67 quittierten
Anlieferungen noch einmal etwa eine
Million Reichsmark einnahm. Eine
Anlieferung im Sommer 1942 bestand
aus 92 Säcken mit ungezähltem
Hartgeld,
worunter
sich
über
11.000 US-Dollar befanden. Die
ungezählten
Devisen
und
Goldwährungen erbrachten weitere zehntausend Reichsmark.
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Diese beiden Kernaufgaben der
Gettoverwaltung Litzmannstadt, also
das
Marketing
zur
finanziellen
Absicherung sowie die Finanzverwaltung des Massenmordes konnten
lange quasi nebenher laufen, wenn die
Verschleppungen von Juden aus dem
Litzmannstädter Getto selbst lediglich
die nicht im Arbeitseinsatz stehenden
Menschen betrafen.
Kollidieren mussten beide Aufgaben
dann, wenn der Massenmord die im
Arbeitsprozess stehenden Juden Litzmannstadts betraf, weil die Behörde
dann seine eigene Auflösung betreiben
würde.
Dies jedoch schien zunächst in
weiter Ferne zu liegen, weil die
Verwaltung des Gettos im Auftrag des
Reichsinnenministeriums stattfand und
die Vertreter des uneingeschränkten
Massenmordes,
nämlich
Heinrich
Himmler als Reichsführer-SS und Chef
der deutschen Polizei sowie Arthur
Greiser als Gauleiter und Reichsstatthalter sich nicht in den Immediatsauftrag hineindrängen konnten.
Seit Ende November 1942 wusste
Biebow allerdings, dass Gauleiter
Greiser dem zuständigen Oberbürgermeister
Ventzki
die
Anweisung
gegeben hatte, dass sämtliche das
Getto betreffenden Maßnahmen nur
noch unter den Auspizien der baldigen
Auflösung des Gettos getroffen werden
durften. Parallel hierzu entfernten
Himmler und Greiser nacheinander die
gesamte kommunale Verwaltungsspitze
als Vertreter des Reichsauftrags aus
ihren Ämtern. Regierungspräsident
Uebelhoer und -vizepräsident Moser
wurden mit fingierten Anschuldigungen
der Verschwendung von Steuergeldern
abgelöst
und
Oberbürgermeister
Ventzki wurde von Greiser in dessen
Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar zur Wehrmacht freigegeben.
Anschließend wurden die Posten neu
besetzt, wobei das Innenministerium
gegen die eigenmächtige Einsetzung
des Gestapochefs Otto Bradfisch als
Oberbürgermeister heftig protestierte.
Die Strategie war klar: Wenn
Himmler und Greiser den Reichsauftrag
schon nicht beenden konnten, so
sabotierten sie ihn, indem sie
Personalpolitik an der Basis betrieben.
Biebow ahnte bereits, dass mit der
Einsetzung des Gestapochefs als
Stadtoberhaupt seine Zeit der freien
Handlungsmöglichkeiten beendet sein
würde und startete im Frühjahr 1943
eine ausgedehnte Akquisitionsreise zu
den
Wehrmachtsbekleidungsämtern,
um möglichst umfangreiche "kriegsentscheidende" Aufträge hereinzuholen.
Doch als Himmler am 20. August 1943
von Hitler schließlich zum Reichsinnenminister ernannt wurde, war das
Getto dem Vernichtungsprozess preisgegeben. Nun war der Reichsführer-SS
selbst zum Dienstherrn über den
Reichsauftrag geworden, und die
Gettoverwaltung bekam dies sofort zu
spüren. Immer mehr Mitglieder des
Stadtamtes wurden nun zur Wehrmacht
freigegeben, und Biebow selbst bot im
März 1944 entnervt seine Demission
an. Doch Oberbürgermeister Bradfisch
verweigerte dies mit den Worten, er
brauche einen Verantwortlichen, an den
er sich bei der Auflösung des Gettos
halten könne. Nachdem zwischen dem
23. Juni und dem 14. Juli 1944 noch
einmal 7.000 Juden in das improvisiert
wieder eingerichtete Vernichtungslager
Kulmhof abgefahren worden waren,
wurden nun zwischen dem 3. und dem
29. August etwa 67.000 Menschen
nach Auschwitz-Birkenau deportiert und
zum großen Teil ermordet.
Die in der historischen Forschung so
oft diagnostizierte Einmaligkeit des
Gettos Litzmannstadt als durchorganisiertes Arbeitsgetto sollte also nicht
dazu
verführen,
aus
einzelnen
Dokumenten die bekannten Begriffe
vom "Großbetrieb sui generis" oder
vom "fein verästelten und dadurch hoch
empfindlichen Wehrwirtschaftsgebiet"
als Belege für ein profitables Großunternehmen zu missdeuten. Zweifelsohne herrschte ein hoher Organisationsgrad der Zwangsarbeit im Getto
und zweifellos waren die Fertigungszahlen immens hoch.
Doch gerade das Organisationsgutachten und weitere Expertisen, die
Finanzberichte sowie die bescheidene
Höhe des Reinvermögens der Gettowaltung zeigen, dass in betriebswirtschaftlicher Hinsicht das Getto
weder besonders profitabel noch
innerbetrieblich rationell lief. Die
Ursache dafür, dass das Litzmannstädter Getto bis zum Sommer 1944
weiter existierte, als alle anderen
Gettos längst vernichtet waren, lag
zuerst in der Konstruktion der
Reichsauftragsverwaltung, dessen Aushebelung erst Mitte 1943 gelingen
sollte.
Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Reinhard
Heydrich an den Reichsführer-SS Himmler vom 19. Oktober 1941
betr. “Einweisung von Juden aus dem Altreich in das Ghetto
Litzmannstadt“
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Seite 1 und 5 von insgesamt 15 Seiten eines Schreibens des
Oberbürgermeisters von Litzmannstadt an den Regierungspräsidenten vom 24. September 1941
Dr. Peter Klein (*1962), Historiker, Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaften sowie Buch- und Bibliothekswissenschaften an der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Freien Universität Berlin.
Wissenschaftlicher Angestellter bei der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur seit 1997.
Promotion zum Thema: Die „Gettoverwaltung Litzmannstadt“ 1940-1944. Eine Dienststelle im Spannungsfeld von Kommunalbürokratie und
staatlicher Verfolgungspolitik bei Prof. Dr. Wolfgang Benz und Dr. phil. habil. Ulrich Wyrwa, TU-Berlin.
Bis 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur für das Projekt „Die Geschichte des
Ghettos in Riga“.
Rechercheur der Kommission zur Überprüfung der Ausstellung “Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ von 1999 bis zur
Erstellung des Abschlussberichts.
Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung (2001-2004) und Sprecher im Team der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht.
Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944.“ (Kuratorische Betreuung).
Freier Mitarbeiter in der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, wissenschaftlicher Berater bei der Neukonzeption der Dauerausstellung
„Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden“ (2006). Betreuung der Sonderausstellung „Spuren aus dem Getto
Łódź“ (1999).
Historische Recherchetätigkeit für ZDF und BBC („Auschwitz“, „The Nazis“, „Holokaust“).
Gerichtlich bestellter Gutachter des Landessozialgerichts NRW zur Frage der Zahlbarkeit von Renten aus Ghettoarbeit.
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Haus der Wannsee-Konferenz
Berlin, Oktober 2011
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