Newsletter 28 +++ Oktober 2011 Haus der Wannsee-Konferenz Dr. Peter Klein Marketing und Massenmord. Die „Gettoverwaltung Litzmannstadt“ 1940-1944 Vortrag am 30. November 2008 in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz Als ein Ergebnis des Krieges gegen Polen 1939 wurde die polnische Textilmetropole Łódź als "Litzmannstadt" in das Deutsche Reich eingegliedert. Die deutsche Stadtverwaltung errichtete im Frühjahr 1940 ein Getto, in dem etwa 160.000 Juden auf engstem Raum leben mussten. Die Stadt verwaltete das Getto in direktem Reichsauftrag und richtete hierfür ein Amt ein - die "Gettoverwaltung Litzmannstadt" unter der Leitung des Angestellten Hans Biebow. Die städtische Einrichtung organisierte die Ausbeutung der Juden für die deutsche Wehrmacht (Anfertigung von Uniformen) sowie die deutsche Konfektionsindustrie (Karstadt, Neckermann, Leineweber u. a.). Gleichzeitig führte es die Finanzbuchhaltung des Vernichtungslagers Kulmhof (Chelmno), in dem über 150.000 Menschen mit Motorenabgasen ermordet wurden. - Welche Marktstrategien verfolgte Hans Biebow um Produktionsaufträge zu erhalten? - Wie konnte sich die Lokalbehörde im Netzwerk der Verfolgung positionieren, wenn sich eine Reihe anderer NS-Organisationen zur „Lösung der Judenfrage“ berufen fühlten? - Wie kam es schließlich dazu, dass die Gettoverwaltung eine herausragende Rolle beim Massenmord an den Juden im Reichsgau Wartheland übernahm? Dr. Peter Klein Marketing und Massenmord. Die "Gettoverwaltung Litzmannstadt" 1940-1944 Mit der Besetzung und Eingliederung der zweitgrößten polnischen Stadt Łódź in das Deutsche Reich und seine Umbenennung in „Litzmannstadt“ wurde eine Textilmetropole zur sechstgrößten deutschen Stadt, in der bei einer Einwohnerschaft von etwa 748.000 Menschen lediglich 122.000 Deutsche waren. Im Frühsommer 1940 lebten hier 158.000 Juden, deren Verschleppung in das angrenzende Generalgouvernement zwar wiederholt angestrebt, jedoch nicht verwirklicht werden konnte. Die Ansiedlung von etwa 11.000 Volksdeutschen aus dem Baltikum, Wolhynien und Galizien wurde dadurch jedoch nicht gestört. Der zuständige Regierungspräsident Friedrich Uebelhoer ließ im infrastrukturell kaum erschlossenen Norden der Stadt ein Getto errichten, um vielmehr die lokale Wirtschaft vor Juden und die Stadt vor Seuchen zu „schützen“. Die Verwaltung oblag bis zur Auflösung des Gettos im Sommer 1944 einer städtischen Behörde – der „Gettoverwaltung Litzmannstadt“. Grundlegende politische Voraussetzungen Bevor sich zum 1. Mai 1940 die Grenzen um das Viertel Bałuty zum hermetisch abgeriegelten Getto schlossen, wurde seine angenommene temporäre Existenz bereits durch zwei fundamental wichtige Entscheidungen vorgeprägt. Zum einen hatten die Kommunal- und die Gauverwaltung kein Interesse an der finanziellen Absicherung der Existenz der Juden in eigener Verantwortung, so dass während einer Sitzung im Reichsinnenministerium (RmdI) am 1. April 1940 eine Übereinstimmung dahingehend erreicht wurde, das Getto in der prinzipiellen finanziellen Verantwortung beim Reich anzusiedeln. Etwaige Ausgaben schienen damals mit den jüdischen mobilen Werten gedeckt zu sein. Hieraus entwickelte sich noch 1940 die zunächst allgemein akzeptierte Sicht, die Verwaltung des Gettos geschehe durch die Stadt im unmittelbaren Reichsauftrag. Zum anderen hatte der Älteste der Juden im Getto schon am 5. April vorgeschlagen, die Subsistenz der Eingeschlossenen durch Arbeitsleistung zu sichern. Beide Entscheidungen, Reichsauftrag und Arbeitseinsatz, strukturierten die gesamte Geschichte des Gettos und seiner deutschen Verwaltung. Die Behörde Im Mai 1940 übernahm Hans Biebow die Leitungsposition eines kleinen städtischen Referats, das sich „Wirtschafts- und Ernährungsstelle Getto“ nannte und dem Ernährungsund Wirtschaftsamt der Stadt unterstand. War man dort zunächst noch davon ausgegangen, zur Führung der Verwaltung bedürfe es lediglich einiger Speditionskaufleute und Stenotypistinnen, so wurde mit den fehlschlagenden Versuchen zur Deportation der Litzmannstädter Juden schnell klar, dass die Finanzierung der Ernährung auf eine professionellere Stufe gestellt werden musste. Hans Biebow, der orts- und branchenfremde Bremer Kaufmann, der nur vorübergehend bis zur Auflösung des Gettos angestellt worden war, entwickelte daraufhin einen ganzen 2 Katalog an Maßnahmen, wie die Finanzlage des Gettos konsolidiert werden könnte. Hans Biebow (1902-1947) Parallel hierzu verlief die personelle Ausstattung der Behörde, die vor allem von städtischen Angestellten und Lohnarbeitern dominiert wurde. Sie wurden alle nach den geltenden Tarifordnungen bezahlt, die durch Schmutzzulagen und Trennungsentschädigungen ergänzt wurden. Überstunden, die nicht abgebummelt werden konnten, waren allerdings die Regel. Die leitenden branchenspezifischen Posten (Groß- und Einzelhandelskaufleute, Handwerksmeister, Buchhalter usw.) wurden mit Hilfe chiffrierter Anzeigen besetzt, in denen zunächst nichts von der konkreten Arbeitsstelle verraten wurde. Dies blieb dem Bewerbungsgespräch vorbehalten, wobei Biebows Konditionen oftmals nicht besonders attraktiv schienen – er konnte namens der Stadt keine Dauerstellungen anbieten. Der Mitarbeiterstand der Behörde stieg stetig. Waren im Mai und Juni 47 bzw. 54 Personen im Referat beschäftigt, so waren es im September und Oktober 1940 bereits 81 bzw. 109 Personen. Im Herbst 1940, als auch die letzte Frist zur Auflösung des Gettos durch Deportationen in das Generalgouvernement längst verstrichen war, wurde bei der Stadtverwaltung mit einem Personalbedarf von 200 Personen gerechnet. Zur selben Zeit wurde das Referat auch zum selbstständigen Stadtamt mit eigener Kassenführung ernannt, das unmittelbar dem Oberbürgermeister (OB) unterstand. Im Mai 1941 arbeiteten 224 Personen für die Behörde, aber nach einem Personalbedarfsplan wurden 309 Mitarbeiter benötigt. Am 31. Dezember 1941 hatte die Behörde, die mittlerweile auch Ausbildungsstation der Stadtverwaltung geworden war, einen Personalbestand von 188 Angestellten und 226 Arbeitern. Ab jetzt erhöhte er sich nicht mehr wesentlich, sondern wurde durch die Einberufungen eher geschwächt. Aus: Der Lodscher Tag, Ausg. vom 11./12.2.1940 3 Marketing Wie nun gelang es Hans Biebow, das Großgetto mit seinen im Oktober 1940 insgesamt 155.000 Einwohnern so zu führen, dass für einen möglichst langen Zeitraum reichsunmittelbare Finanzaufwendungen nicht getätigt zu werden brauchten? Wie bereits erwähnt, handelte es sich bei Biebow um einen Bremer mittelständischen Kaufmann, dessen unternehmerischer Denkstil schon wegen seiner eigenen Erfahrung als Kaffeeröster und Großhändler ganz auf die Marktbedürfnisse eingestellt sein musste. Sein Handlungshorizont ergab sich für den ja orts- und branchenfremden Hanseaten aus seiner jahrelangen Tätigkeit als Unternehmer, der weniger produzierte, als - Stichwort: Kaffeerösterei - Rohprodukte veredelte und anschließend am Markt absetzte. Hinsichtlich des Gettos und dessen Finanzierungsmöglichkeiten war also zunächst einmal festzustellen, auf welchem der beiden Wirtschaftssektoren - also Dienstleistung oder Produktion - die größeren Umsätze getätigt werden würden. Die sehr schnelle Schwerpunktentscheidung zu Gunsten der Warenproduktion im Getto im Herbst 1940 wurde von verschiedenen Faktoren bestimmt: 1. Die Variante, Juden zur Dienstleistung zugunsten der Privatwirtschaft oder der öffentlichen Hand außerhalb der Gettogrenzen einzusetzen, musste verworfen werden, da die städtischen Tief- und Hochbaumaßnahmen keine großen Zahlen an beschäftigten Juden binden würden. 2. Die Frage der Bewachung von Juden an Baustellen oder anderen Arbeitsplätzen außerhalb des Gettos blieb ungeklärt. Der zuständige Polizeipräsident Wilhelm Albert beklagte intern den Personalmangel bei der uniformierten Polizei und bedauerte, dass es wohl nicht möglich sein werde, "Gettojuden" als Geiseln zur Verhinderung von Fluchten festzusetzen. 3. Die zunächst hohen Erwartungen, die die Gettoverwaltung an den Verleih von Juden als Arbeitskräfte an den Reichsautobahnstrecken zwischen Frankfurt an der Oder und Posen knüpfte, wurden schnell relativiert. Im Oktober 1940 hatte man noch 4 optimistisch mit Verdienstmöglichkeiten von 20.000 Juden gerechnet, aber man wurde schnell darauf hingewiesen, dass wohl nicht einmal die Hälfte an arbeitsfähigen Juden einzusetzen wären. Als sich etwa ein halbes Jahr später herausstellte, dass wegen der geringen Nettoverdienste der jüdischen Arbeitskräfte die Aktion zu einem Verlustgeschäft zu geraten drohte, versuchte die Gettoverwaltung diesen Einnahmezweig so stark wie möglich zu drosseln. Ein Vergleich zwischen den Möglichkeiten, auf beiden Wirtschaftssektoren arbeiten zu lassen brachte daher eine eindeutige Schwerpunktsetzung zugunsten der Produktion im Getto ans Tageslicht. Hinzu kam, dass man innerhalb der Gettomauern auf über 50.000 männliche und weibliche jüdische Arbeiter über 18 Jahre zurückgreifen konnte, wobei ausgebildete und angelernte Arbeitskräfte vor allem auf dem Gebiet der Konfektionierung von Bekleidung vorhanden waren. Damit waren also die Grundvoraussetzungen für Biebows marktorientiertes unternehmerisches Handeln klar und es stellte sich die Frage, welche Absatzmärkte sich eröffnen würden. Demgegenüber hatte es die Gettoverwaltung verstanden, vor allem mit Hilfe der Nebenstelle Litzmannstadt der Haupttreuhandstelle Ost (HTO) an die mobilen Produktionsgüter von Juden und Polen heranzukommen: 1. Zunächst hatte die HTO, die ja Um sich mit seinen Produktionsüber sämtliche Werte von Polen und möglichkeiten am Markt positionieren Juden verfügungsberechtigt war, zu können, war es notwendig, die erlaubt, alle jüdischen Betriebe auf dem Wünsche und Bedürfnisse verschieGettogelände zu entsiegeln. Die Gettodener Anspruchsgruppen kennen zu verwaltung war berechtigt, die dort lernen. Biebow erledigte dies in lagernden Rohmaterialien und Halbrastloser Initiative durch Akquisitionsfertigfabrikate sowie den Maschinenreisen seit dem November 1940 bis park auf Verleihbasis zu nutzen. weit in das Frühjahr 1941 hinein. Nach 2. In einem zweiten Schritt erklärte diesem etwa sechs Monate dauernden sich die HTO bereit, diejenigen Orientierungsprozess schien klar, dass polnischen Betriebe auf dem Gettoes einen Absatzmarkt sowohl für gelände zu öffnen, deren allgemeiner Zivilkonfektion, Konfektionsveredelung Zustand für eine Weiterverwendung (etwa Stickerei und Applikationen) und durch deutsche kommissarische Verfür die Uniformkonfektion geben würde. walter unattraktiv schien und die als Mit den Firmen Josef Neckermann, buchungstechnische Sicherheiten bei Heinrich Leineweber oder Martin & einem Kontenclearing zwischen polNorenberg, mit Rudolf Karstadt oder nischem Alteigentümer und neuen der Essener Firma Scheidt konnten deutschen Verwaltern nicht gebraucht Produktionsverträge über Arbeitswürden. Damit konnte die deutsche kleidung, Damen-, Herren- und KinderGettoverwaltung im Herbst 1940 auf 48 moden abgeschlossen werden, die kleinund mittelständische Es stellte sich die Frage, welche Betriebe mitsamt Maschinenpark zurückgreifen, die umgehend als Absatzmärkte sich eröffnen Produktionstandorte genutzt werwürden. den konnten. 3. In einem dritten Schritt geneheinen wesentlichen Teil des Umsatzes migte die HTO dann, diejenigen jüdiausmachen würden. Hinzu kamen schen Betriebe im Stadtgebiet nach Einzelaufträge von Berliner mittelstänMaschinen zu durchforsten, an denen dischen Hutfabriken und Stickereien. deutscherseits kein Interesse bestand. Ergänzt wurden diese Aufträge durch In der Folge wurden daher eine große weitere Großaufträge nahezu sämtAnzahl veralteter und reparaturlicher Bekleidungsämter der drei Teilbedürftiger Maschinen ins Getto streitkräfte der Wehrmacht. Die Unigeliefert. formproduktion der deutschen Wehrmacht wurde generell dezentral geregelt. Der Bedarf an Uniformen wurde in den einzelnen Wehrkreisen im deutschen Reich kalkuliert und in aller Regel an die jeweiligen ortsansässigen Produzenten delegiert. Seit dem Angriff auf Polen, den Sieg gegen Frankreich, die Besetzung der Benelux-Staaten, Dänemarks, Norwegens sowie dem Einmarsch in Jugoslawien stieg der Bedarf an Uniformstücken jedoch so rasant, dass die private Konfektionsindustrie damit nicht Schritt halten konnte, zumal deren Arbeiterschaft durch die Einberufungen geschwächt wurde. Biebows Akquisitionsreisen zeigten ganz klar, dass hier ein Großkundenstamm gewonnen werden konnte. Der Boom der Auftragslage auf dem Konfektionierungsgebiet wurde bald ergänzt durch weitere, allerdings regionale Angebote auf dem Sektor der Möbelproduktion für volksdeutsche Umsiedler aus Wolhynien. Im Sommer 1941 meldeten sich weitere Unternehmen in Eigeninitiative: So etwa der Mischkonzern Sunlicht mit der Frage, ob es möglich sei, auf dem Gettogelände eine eigene Fabrik zu errichten; der Berliner Gustav WeiseVerlag wollte seinen Bestseller mit dem Titel "Was zum Lachen" der Autoren Rolf Italaander und Walter Steinbach im Getto binden lassen und letztlich fragte der Leipziger Brockhaus-Verlag an, ob im Getto 200.000 Exemplare des Volksbrockhaus gebunden werden könnten. Nach nur wenigen Monaten der Werbung mittels Akquisition hatte die Gettoverwaltung Litzmannstadt auf dem Konfektionssektor durch kundenorientierte Bandbreite ihrer Produktpalette eine Marktposition erreicht, die selbst auf andere Marktsegmente, wie etwa Möbelproduktion oder Buchbindearbeiten hinüber griff. Heute würde man sagen, das Unternehmen "Gettoverwaltung Litzmannstadt" war breit aufgestellt. Dennoch sollte es ganz zügig zu einer Konzentration auf wenige Kunden und zu einer Verschlankung des Angebots kommen, was jedoch durch äußere Umstände bedingt war. Die textilen Rohstoffe waren seit Ende 1940 rationiert. Dies äußerte sich ganz praktisch darin, dass die private Konfektionsindustrie Stoffe lediglich gegen sogenannte Kleiderpunkte erwerben konnte. Rationierte Kleiderpunkte erhielt ein Konfektionsbetrieb bei der Reichsstelle für Textilwirtschaft und löste diese dann bei den Textilherstellern ein. Wer immer bei der Gettoverwaltung Litzmannstadt Konfektionsaufträge erteilte, hatte vorher die notwendigen Punkte für Textilien, Leder, Farbstoffe, Garne usw. bereit zu stellen. 1. Bald gerieten diejenigen Betriebe ins Hintertreffen, die bisher lediglich die Punkte in Litzmannstadt abgegeben und es der Gettoverwaltung überlassen hatten, die notwendigen Materialien dann zu beschaffen. Lediglich die Großbetriebe führten dies noch in Eigenregie durch, so dass die Gettoverwaltung sofort mit der Produktion beginnen konnte. Kleinere Auftraggeber fielen nach und nach aus, weil sie die Kosten für die Organisation sowie den Antransport des Materials nach Litzmannstadt nicht mehr finanzieren konnten. 2. Im Zuge des Aufmarsches der Wehrmacht zum Krieg gegen die Sowjetunion herrschten im April und Mai 1941 nahezu hermetische Transportsperren bei der Reichsbahn. Diese jedoch war für An- und Ablieferung die allein maßgebende Transportorganisation. Die Folge der Transportsperren, die sich ein Jahr später noch einmal wiederholen würden, war, dass nur noch private Großkunden die Lieferverzögerungen wirtschaftlich verkraften konnten. Auswärtige kleine Auftraggeber fielen seitdem nahezu aus. 3. Alle regionalen Auftraggeber der Wehrmacht, wie etwa das Marinebekleidungsamt in Kiel, das Heeresbekleidungsamt München und ähnliche, waren von den Transportsperren ausgenommen. Ihr Material rollte stets an und ab. Hinzu kam, dass die Wehrmacht schon frühzeitig bereit war, einheitliche Festpreise für Stückzahlen zu zahlen, so dass bereits bei Auftragsvergabe seitens der Gettoverwaltung finanziell kalkuliert werden konnte. Auch das Rationierungssystem galt nicht für die Streitkräfte, so dass Großaufträge über Uniformkonfektion in standardisierten Größen stets einheitlich bezahlt und wegen des geringen administrativen Aufwands pünktlich geliefert wurden. Hinzu kam, dass mit Militäraufträgen die Qualifizierung der Produktion als "kriegswichtige" und noch besser "kriegsentscheidende" Fertigung eine vielfältige Hilfestellung verbunden war. Fehlten etwa Kraftstoffe, wurden etwa Holzgasgeneratoren oder wurde auch nur Pferdefutter gebraucht, dann waren die Rüstungsinspektion Posen und das Rüstungskommando Litzmannstadt zur Hilfestellung verpflichtet. Die Konzentration auf wenige Großkunden aus der Privatwirtschaft sowie die Wehrmacht im Laufe der Jahre 1942 und 1943 war also bedingt durch das Rationierungssystem für Textilien. Hier waren kleinere Auftraggeber generell benachteiligt. Auftragssicherheit galt letztendlich nur für die Wehrmacht sowie für die lokalen Auftraggeber, die unabhängig von Transporteinschränkungen agieren konnten. Und letztlich galt die "kriegsentscheidende Fertigung" als nicht nur betriebswirtschaftlich günstige Auftragslage. Sie garantierte vielfältige administrative und organisatorische Hilfestellungen, wenn der Produktionsprozess gestört wurde. Im Jahr 1943 produzierten die im Getto ausgebeuteten Juden zu etwa 85 % zu Gunsten der deutschen Wehrmacht. Die anderen 15 % entfielen nach wie vor auf krisenfeste Großunternehmen, wie etwa Brenningkmeyer, Witt, Schöpflin usw. Wann immer Hans Biebow seine Unternehmungen im administrativen Bereich legitimieren musste, verschwanden die privaten Auftraggeber aus seiner Argumentation. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die 15 % Privataufträge etwa 30% des Umsatzes ausmachten. Kurzum: die Privaten zahlten besser, die Wehrmacht aber war sicherer. Vor diesem Hintergrund der unternehmerischen Konzentration der Gettoverwaltung auf wenige private Großkunden und nahezu alle Wehrmachtbekleidungsinstitutionen ist es sinnvoll, das Konkurrenzverhalten der Gettoverwaltung zu beobachten. Obwohl es ein entscheidender Wettbewerbsvorteil war, Stückzahlen in immensen Höhen garantieren zu können, weil zehntausende Juden in den Ausbeutungsprozess eingebunden waren, agierte die Gettoverwaltung Litzmannstadt nicht allein auf diesem Feld. Schon zur Jahreswende 1939/40 hatten zwei Berliner Unternehmer, Alfred Hall und Hans-Adolf Bartram erkannt, dass sie mit ihrer mittelständischen Konfektionsfirma "Günter Schwarz" in den Warthegau expandieren sollten. Nachdem es beiden zwar gelungen war, weitere Maschinenparks von volksdeutschen Alteigentümern zu erwerben, mussten sie jedoch erkennen, dass sie in Litzmannstadt nicht mit jüdischen Arbeitern versorgt werden würden. Die Stadtverwaltung hatte dies untersagt, um den planmäßigen Aufbau ihrer eigenen Behörde nicht zu stören. Stattdessen wich die Firma Günter Schwarz dann in das nur etwa 40 km entfernte Löwenstadt aus, um im dortigen Getto eine Firma einzurichten. Zu Jahresbeginn 1941 hatten beide Unternehmer einen Großkunden interessieren können, nämlich das Heeresbekleidungsamt Breslau. 5 Hans Biebow beobachtete die Aktivitäten seiner Konkurrenten genau und stellte fest, dass in Löwenstadt ebenfalls hochwertige Uniformen in geringerer Stückzahl gefertigt wurden. Als er erkennen musste, dass die Konkurrenzfirma unmittelbar vor die Stadtgrenze sowie nach Ost-Oberschlesien expandieren wollte, bat er die Kommunalbehörden in Litzmannstadt und Bendzin, diese Aktivitäten zu stoppen. Zunächst schlug er vor, private Unternehmer, die Juden beschäftigten, mit höheren Kommunalsteuern zu belegen und später, die Verwendung von Juden in der privaten Wirtschaft überhaupt zu verbieten. Beide Vorschläge hätten in beiden Regionen jedoch zu massiven Protesten geführt, so dass die Gettoverwaltung machtlos blieb. Zwar machte man der Konkurrenz immer wieder Probleme in strafrechtlicher Hinsicht, aber erst die gewaltsame Zerschlagung der Gettos in Löwenstadt, Litzmannstadt sowie in Bendzin seit dem Frühjahr 1942 sorgte dann dafür, dass man den ungeliebten Konkurrenten los wurde. Konkurrenzbeobachtung zur Erhaltung und Mehrung von Wettbewerbsvorteilen bedeutete bei der Gettoverwaltung also nicht, sich den anderen Kundenstamm durch unternehmerische Strategien zu sichern, sondern - und hier zeigt sich die Gettoverwaltung eben als Behörde und nicht als Betrieb - mittels exekutiver Maßnahmen gegen den Konkurrenten vorzugehen. Deutlich wird dieses Verhalten auch, wenn man die Maßnahmen der Gettoverwaltung im Windschatten der gewaltsamen Vernichtung des Gettos in Warschau analysiert. Als im Januar und Februar 1943 zahlreiche Juden im Warschauer Getto aus Furcht vor den Aussiedlungsaktionen in die Betriebe deutscher Unternehmer flüchteten um dort zu arbeiten, wurde bei der Firma Walter Toebbens kurz darauf ein Qualitätsverlust festgestellt, der sich beim Zuschneiden von Pelzwesten ergeben hatte. Biebow kontaktierte daraufhin sofort die Rüstungsinspektion in Warschau und ließ sich den Auftrag überschreiben. Hier führte die Konkurrenzbeobachtung gleichzeitig zur räumlichen Erschließung neuer Märkte. Die produktorientierte Erschließung neuer Märkte hingegen erstrebte die Gettoverwaltung durch PR-Kampagnen, die ich ebenfalls kurz darstellen möchte: 6 Hans Biebow (3. v. l.) mit Chaim Rumkowski (4. v. l.), Vorsitzender des Judenrats des Gettos Łódź, im Getto. 1. Im Sommer 1941 wandte sich Hans Biebow an die branchengebundenen Fachgruppen der Bekleidungsindustrie, also etwa die Fachgruppe DamenOberbekleidungsindustrie, an die Fachgruppe Strick- und Wirkwaren, die Fachgruppe Wäsche oder an die Fachgruppe Berufs- und Sportbekleidungsindustrie um zunächst einmal reichsweit an die Adressen aller organisierten Konfektionäre heranzukommen. Diese wurden dann mit einem Werbeschreiben bedacht, das auf mehreren Seiten detailliert über die verschiedenen Herstellungsmöglichkeiten berichtete und die potentiellen Kunden aufforderte, ihre speziellen Wünsche zu formulieren. Auf diese Weise gelang es der Gettoverwaltung, schnell und flexibel auf unterschiedliche Interessen reagieren zu können. Im ersten derartigen Werbeblatt wurde die volle Garantie für die hochwertige Fertigung angeboten, aber es wurde auch ganz offen über den Zweck der Gettoverwaltung referiert. Es sollte mit dem Getto, so wörtlich, "eine Entlastung in Hinsicht auf den allgemeinen Mangel an deutschen Hilfskräften" in der deutschen Bekleidungsindustrie erreicht werden und zugleich "die Bestreitung der Lebensbedürfnisse der Gettobevölkerung aus eigener Leistung." 2. Aus dieser Aktion entwickelte sich dann die so genannte Werbeabteilung innerhalb der Gettoverwaltung, die ihrerseits vor Ort zunächst das ehrgeizige Ziel verfolgte, eine permanente Leistungsschau über die Produktions-möglichkeiten zu etablieren. Da sich Biebow bewusst war, dass eine derartige Ausstellung über die hohe Qualität "jüdischer Arbeit" nicht ohne weiteres genehmigt werden würde, verfiel er auf die Idee, diese durch ein antisemitisches Museum "jüdischer Unkultur" quasi einzurahmen. Broschüre mit den im Getto tätigen Firmen und Betrieben. Herausgegeben 1943 von der „Statistischen Abteilung Litzmannstadt-Getto“, 2 Bl., 44 Seiten (hergestellt in einer kleinen Aufl.) Da jedoch das Gaupropagandaamt ein Veto einlegte, blieb es bei einer kleinen Werbeausstellung am Baluter Ring, wo sich Kunden aus dem Reichsgebiet einen visuellen Überblick über die Qualitätsarbeit verschaffen konnten. Die hier vorgestellten unternehmerischen Ausrichtungen der Gettoverwaltung auf den Konfektionsmarkt im Deutschen Reich gehören sämtlich zu heute gängigen Maßnahmen des Marketings. Dies verführt geradezu dazu, die "Gettoverwaltung Litzmannstadt" wegen der kaufmännischen Orientierung seines Leiters auch als Leiter als Großunternehmen zu betrachten, dessen Spezifikum in der Ausbeutung der jüdischen Arbeiter in Unfreiheit lag. Doch bei dem Amt handelte es sich um eine städtische Behörde, die eben keinen profitablen Fabrikationsbetrieb aufgezogen hatte. Besonders deutlich wird dies anhand eines Organisationsgutachtens, das Biebow bei dem Braunschweiger Wirtschaftsprüfer Ludwig Hitschler in Auftrag gegeben hatte. Im Juli 1942 attestierte Hitschler dem Stadtamt, das Getto würde im betriebswirtschaftlichen Sinne viele völlig unsinnige Hindernisse beinhalten. Die gewachsene Struktur des Gettos etwa bedingte die Fertigung eines Produkts an völlig verschiedenen Orten, die nur unzureichend mit dem Transportmittel "Mensch" verbunden waren. Die An- und Ablieferungsorte innerhalb des Geländes weit weg von den eigentlichen Produktionsstätten seien kontraproduktiv. Die interne Betriebsorganisation der Gettoverwaltung sei darüber hinaus altmodisch, weil sie viel zu viele Registraturkräfte binde. Letztlich hatte die Gettoverwaltung keine innerbetriebliche Revisionsabteilung aufgebaut, so dass säumige Auftraggeber bis zu 14 Monaten unentdeckt bleiben konnten. Diese Mängel jedoch konnten von der Gettoverwaltung kaum aufgefangen werden, weil die Bebauungsstruktur des Gettos und die ursprünglich nur auf wenige Monate konzipierte Verwaltungsorganisation kaum mehr zu ändern war. Bis heute gilt es in der Forschung als unumstritten, dass das Getto Litzmannstadt deswegen so lange existierte, weil durch die Fertigung der Juden sowohl die Stadt als auch die Gauleitung in Posen Unsummen an Geld verdienen konnten. Doch eine Analyse der Finanzberichte zeigt überdeutlich, dass weder an den Gauleiter Greiser noch an die Stadtverwaltung Finanzmittel aus der Fertigung flossen. Im Sommer 1943 ließ Hans Biebow eine Aufstellung über das Reinvermögen der Gettoverwaltung aufstellen. Der Bericht schloss mit einer Summe von 3,5 Millionen Reichsmark ab, was deutlich zeigt, dass die Zwangsarbeit der Juden dort keine besonderen Gewinne ablieferte. Bedenkt man, dass von den eingenommenen Millionen nicht nur die produktiven Arbeitskräfte entlohnt wurden, sondern auch die gesamte Dienstleistungsstruktur der jüdischen Selbstverwaltung in Höhe von stets etwa 16.000 Personen mitfinanziert wurde, so zeigt sich wesentlicher Grund bescheidenen Gewinne. schon für ein die Letztlich finanzierte die Gettoverwaltung hieraus immer auch den Ankauf weiterer Maschinen, etwa sämtliche Nähmaschinen, der aus dem Deutschen Reich deportierten Juden mit Hilfe des Oberfinanzpräsidenten in Berlin. Das Kerngeschäft der städtischen Behörde, die einen Reichsauftrag erledigte, lag stets nur in der Abwendung reichsunmittelbarer Finanzaufwendungen. Rentabilität der Gettoarbeit wurde hingegen nicht angestrebt. Schreiben des Chefs des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im OKW, General der Infanterie Georg Thomas an den Reichsführer-SS vom 11. Oktober 1941 7 … und die Antwort Himmlers (undatiert): Massenmord Im Februar 1942 nun wurde dieses Kerngeschäft ergänzt; nämlich durch die finanztechnische Betreuung des Vernichtungslagers in Kulmhof. Nachdem der Gauleiter und Reichsstatthalter Arthur Greiser am 18. September 1941 durch Himmler erfahren hatte, dass der Beginn der Deportation der Juden aus dem Großdeutschen Reich bevorstand und die ersten Züge in das Getto Litzmannstadt geleitet werden sollten, reagierte er auf zweierlei Art und Weise. Zum einen ließ Greiser durch das Sonderkommando Lange einen geeigneten Vernichtungsort aussuchen, und Kulmhof wurde schon bald gefunden. Am 1. Oktober 1941 einigten sich das Landratsamt Warthbrücken und das Sonderkommando auf die Pacht eines kleinen Kreisgärtnereigeländes in Kulmhof. 8 Gauleiter und Reichsstatthalter Arthur Greiser Dieses Areal grenzte unmittelbar an ein verfallenes größeres Gutshaus, das im Laufe des Oktober 1941 zum Zweck der massenhaften Ermordung von Juden wieder hergerichtet wurde. Die zweite Maßnahme Greisers bestand darin, die regionalen Verantwortlichkeiten in seiner Reichsstatthalterei zu verankern. Die Leiter der Abteilung I (SSOberführer Herbert Mehlhorn) und Abteilung Va (SS-Standartenführer Ernst Kendzia) wurden mit der "federführenden Bearbeitung aller Fragen, die mit der Unterbringung und dem Arbeitseinsatz von Juden und Zigeunern im Reichsgau Wartheland" zusammenhingen, beauftragt. Die gesamte finanzielle und organisatorische Abwicklung des Holocaust im Warthegau wurde vor allem von Herbert Mehlhorn und dessen Haushaltsreferenten Friedrich Häusler geleistet. Der Höhere SS- und Polizeiführer Wilhelm Koppe sowie die regionale Sicherheitspolizei waren lediglich ausführende Organe des Massenmordes. Es waren Friedrich Häusler und ein Kollege, die am 5. Februar 1942 bei der Leitung der Gettoverwaltung Litzmannstadt auftauchten: Aus: Dokumenty i Materialy do Dziejow Okupacji niemieckiej w Polsce, Bd. III – Getto Lódźkie, Warschau 1946 "Beide Herren erschienen im Auftrag von Herrn Oberführer Mehlhorn um sich einen Überblick über die Finanzlage des Gettos zu verschaffen. Sie versuchten Verhandlungen zu führen über die Aufstellung eines Sonderkontos, aus welchem zentral alle Evakuierungsmaßnahmen des Warthegaues gedeckt werden sollen." Am 28. Februar 1942 wurde bei der Stadtsparkasse Litzmannstadt das Sonderkonto Nr. 12300 eingerichtet. Das erste überlieferte Saldenblatt datiert von diesem Tag. Hier ist kein Saldovortrag ausgewiesen, und die erste Kontobewegung war eine Barauszahlung an ein Mitglied des Sonderkommandos Kulmhof. Zwei Tage später wurden 139.351,50 RM in bar eingezahlt. Zwischen diesem ersten und dem letzten Saldenblatt vom 15. Februar 1944 befinden sich 468 Kontostandsblätter, auf denen 1.791 Saldenvorgänge verzeichnet sind. Alle diese Kontobewegungen, einschließlich der Zins- und WiederanlageGutschriften, resultieren aus der "Endlösung der Judenfrage" mittels Vernichtung und Zwangsarbeit außerhalb der Gettogrenzen Litzmannstadts. Es war von nun an Aufgabe der Buchhaltung der Gettoverwaltung das Konto im Auftrag der Reichsstatthalterei zu führen. Der Massenmord an den Juden der Gettos im Warthegau kam also nicht nur deswegen nahe an die Zuständigkeit der städtischen Behörde heran, weil 1942 auch nicht arbeitende Juden zu Zehntausenden in das Vernichtungslager abgefahren wurden. Die Gettoverwaltung regulierte mit ihrer permanenten Kontoführung auch die Ausgaben und Einnahmen dieses Massenmordunternehmens. So kamen direkt aus Kulmhof nach der Beraubung der Opfer in insgesamt 21 Anlieferungen 1.954.539,58 Reichsmark an. 9 Devisen und Goldwährungen wurden ebenfalls bei der Gettoverwaltung abgeliefert, die derlei Beträge über die Reichsbank konvertieren und dem Konto gutschreiben ließ. Zwei weitere Beispiele zeigen darüber hinaus die tiefe Involvierung der städtischen Verwaltungsangestellten in den regionalen Holocaust. Zum einen beteiligte sich die Gettoverwaltung an den Verschleppungen aus den Landgettos, indem sie am Tag der Zerschlagung solcher jüdischen Wohnbezirke mit einem Evakuierungstrupp auftauchte. Die Mitglieder selektierten zusammen mit den Polizisten des Sonderkommandos die arbeitsfähigen Juden um diese nach Litzmannstadt abzutransportieren. Anschließend übernahm man brauchbare Maschinenparks und Büroeinrichtungen und fungierte als Rechtsnachfolger der vernichteten Gettos. Die Gettoverwaltung übernahm den Auftragsbestand, sie beglich offene Rechnungen der örtlichen Gettos und rechnete mit den örtlichen Landräten und Bürgermeistern die Versteigerung des verlassenen Hab und Guts zu Gunsten des Sonderkontos ab. Zum anderen war die Gettoverwaltung führend bei der Einrichtung des Verwertungslagers in Pabianice als Investition in den Massenmord beteiligt. Als sich schon im Frühjahr 1942 gezeigt hatte, dass die Kapazitäten zur Durchsuchung der Bekleidung der Ermordeten im Lager Kulmhof viel zu klein waren, beschlossen Sonderkommando und Gettoverwaltung den zweiten Teil des Massenmordes, also die Durchsuchung der Kleider nach Wertgegenständen sowie die Verwertung der Bekleidung räumlich vom Gelände in Kulmhof zu trennen. Am 18. Mai 1942 war das Verwertungslager Pabianice bei Litzmannstadt fertig gestellt, so dass geschätzte 900 Lkw-Ladungen mit Wäschestücken, Schuhen, Taschen und Koffern anrollen konnten. Dieses Lager stand unter der direkten Aufsicht der Gettoverwaltung, die zwischen dem 22. Mai 1942 und dem 19. Februar 1943 in 67 quittierten Anlieferungen noch einmal etwa eine Million Reichsmark einnahm. Eine Anlieferung im Sommer 1942 bestand aus 92 Säcken mit ungezähltem Hartgeld, worunter sich über 11.000 US-Dollar befanden. Die ungezählten Devisen und Goldwährungen erbrachten weitere zehntausend Reichsmark. 10 Diese beiden Kernaufgaben der Gettoverwaltung Litzmannstadt, also das Marketing zur finanziellen Absicherung sowie die Finanzverwaltung des Massenmordes konnten lange quasi nebenher laufen, wenn die Verschleppungen von Juden aus dem Litzmannstädter Getto selbst lediglich die nicht im Arbeitseinsatz stehenden Menschen betrafen. Kollidieren mussten beide Aufgaben dann, wenn der Massenmord die im Arbeitsprozess stehenden Juden Litzmannstadts betraf, weil die Behörde dann seine eigene Auflösung betreiben würde. Dies jedoch schien zunächst in weiter Ferne zu liegen, weil die Verwaltung des Gettos im Auftrag des Reichsinnenministeriums stattfand und die Vertreter des uneingeschränkten Massenmordes, nämlich Heinrich Himmler als Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei sowie Arthur Greiser als Gauleiter und Reichsstatthalter sich nicht in den Immediatsauftrag hineindrängen konnten. Seit Ende November 1942 wusste Biebow allerdings, dass Gauleiter Greiser dem zuständigen Oberbürgermeister Ventzki die Anweisung gegeben hatte, dass sämtliche das Getto betreffenden Maßnahmen nur noch unter den Auspizien der baldigen Auflösung des Gettos getroffen werden durften. Parallel hierzu entfernten Himmler und Greiser nacheinander die gesamte kommunale Verwaltungsspitze als Vertreter des Reichsauftrags aus ihren Ämtern. Regierungspräsident Uebelhoer und -vizepräsident Moser wurden mit fingierten Anschuldigungen der Verschwendung von Steuergeldern abgelöst und Oberbürgermeister Ventzki wurde von Greiser in dessen Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar zur Wehrmacht freigegeben. Anschließend wurden die Posten neu besetzt, wobei das Innenministerium gegen die eigenmächtige Einsetzung des Gestapochefs Otto Bradfisch als Oberbürgermeister heftig protestierte. Die Strategie war klar: Wenn Himmler und Greiser den Reichsauftrag schon nicht beenden konnten, so sabotierten sie ihn, indem sie Personalpolitik an der Basis betrieben. Biebow ahnte bereits, dass mit der Einsetzung des Gestapochefs als Stadtoberhaupt seine Zeit der freien Handlungsmöglichkeiten beendet sein würde und startete im Frühjahr 1943 eine ausgedehnte Akquisitionsreise zu den Wehrmachtsbekleidungsämtern, um möglichst umfangreiche "kriegsentscheidende" Aufträge hereinzuholen. Doch als Himmler am 20. August 1943 von Hitler schließlich zum Reichsinnenminister ernannt wurde, war das Getto dem Vernichtungsprozess preisgegeben. Nun war der Reichsführer-SS selbst zum Dienstherrn über den Reichsauftrag geworden, und die Gettoverwaltung bekam dies sofort zu spüren. Immer mehr Mitglieder des Stadtamtes wurden nun zur Wehrmacht freigegeben, und Biebow selbst bot im März 1944 entnervt seine Demission an. Doch Oberbürgermeister Bradfisch verweigerte dies mit den Worten, er brauche einen Verantwortlichen, an den er sich bei der Auflösung des Gettos halten könne. Nachdem zwischen dem 23. Juni und dem 14. Juli 1944 noch einmal 7.000 Juden in das improvisiert wieder eingerichtete Vernichtungslager Kulmhof abgefahren worden waren, wurden nun zwischen dem 3. und dem 29. August etwa 67.000 Menschen nach Auschwitz-Birkenau deportiert und zum großen Teil ermordet. Die in der historischen Forschung so oft diagnostizierte Einmaligkeit des Gettos Litzmannstadt als durchorganisiertes Arbeitsgetto sollte also nicht dazu verführen, aus einzelnen Dokumenten die bekannten Begriffe vom "Großbetrieb sui generis" oder vom "fein verästelten und dadurch hoch empfindlichen Wehrwirtschaftsgebiet" als Belege für ein profitables Großunternehmen zu missdeuten. Zweifelsohne herrschte ein hoher Organisationsgrad der Zwangsarbeit im Getto und zweifellos waren die Fertigungszahlen immens hoch. Doch gerade das Organisationsgutachten und weitere Expertisen, die Finanzberichte sowie die bescheidene Höhe des Reinvermögens der Gettowaltung zeigen, dass in betriebswirtschaftlicher Hinsicht das Getto weder besonders profitabel noch innerbetrieblich rationell lief. Die Ursache dafür, dass das Litzmannstädter Getto bis zum Sommer 1944 weiter existierte, als alle anderen Gettos längst vernichtet waren, lag zuerst in der Konstruktion der Reichsauftragsverwaltung, dessen Aushebelung erst Mitte 1943 gelingen sollte. Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Reinhard Heydrich an den Reichsführer-SS Himmler vom 19. Oktober 1941 betr. “Einweisung von Juden aus dem Altreich in das Ghetto Litzmannstadt“ 11 Seite 1 und 5 von insgesamt 15 Seiten eines Schreibens des Oberbürgermeisters von Litzmannstadt an den Regierungspräsidenten vom 24. September 1941 Dr. Peter Klein (*1962), Historiker, Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaften sowie Buch- und Bibliothekswissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Freien Universität Berlin. Wissenschaftlicher Angestellter bei der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur seit 1997. Promotion zum Thema: Die „Gettoverwaltung Litzmannstadt“ 1940-1944. Eine Dienststelle im Spannungsfeld von Kommunalbürokratie und staatlicher Verfolgungspolitik bei Prof. Dr. Wolfgang Benz und Dr. phil. habil. Ulrich Wyrwa, TU-Berlin. Bis 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur für das Projekt „Die Geschichte des Ghettos in Riga“. Rechercheur der Kommission zur Überprüfung der Ausstellung “Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ von 1999 bis zur Erstellung des Abschlussberichts. Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung (2001-2004) und Sprecher im Team der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944.“ (Kuratorische Betreuung). Freier Mitarbeiter in der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, wissenschaftlicher Berater bei der Neukonzeption der Dauerausstellung „Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden“ (2006). Betreuung der Sonderausstellung „Spuren aus dem Getto Łódź“ (1999). Historische Recherchetätigkeit für ZDF und BBC („Auschwitz“, „The Nazis“, „Holokaust“). Gerichtlich bestellter Gutachter des Landessozialgerichts NRW zur Frage der Zahlbarkeit von Renten aus Ghettoarbeit. _____________________________________ © 12 Haus der Wannsee-Konferenz Berlin, Oktober 2011 I m p r e s s u m Herausgeber Haus der Wannsee-Konferenz - Gedenk- und Bildungsstätte Am Großen Wannsee 56-58 ▪ D-14109 Berlin Telefon: +49-30-80 50 01 0 ▪ Telefax: +49-30-80 50 01 27 eMail: [email protected] ▪ Internet: www.ghwk.de Redaktion: Michael Haupt, GHWK (V.i.S.d.P.) Bankverbindung Deutsche Bundesbank Berlin Konto 1000 7345 ▪ Blz 100 000 00 IBAN DE15100000000010007345 ▪ BIC MARKDEF1100 Kontoinhaber: Erinnern für die Zukunft - Trägerverein des Hauses der Wannsee-Konferenz e.V. (Spenden sind steuerlich absetzbar). Newsletter im Internet: http://www.ghwk.de/newsletter/archiv.htm