AAAC_NF Kapitel 2

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ALLGEMEINE CHEMIE FÜR STUDIERENDE DER NATURWISSENSCHAFTEN
IM WS 2012/2013
Kapitel 2 Die chemische Reaktion
2.1 Die Triebkraft chemischer Reaktionen (und nicht nur der)
Es gilt universell: Jedes materielle System versucht, den unter den gegebenen Umständen
energieärmsten Zustand zu erreichen (Ursache weshalb sich Atome zu Molekülen vereinigen und
Moleküle mit anderen Molekülen reagieren, bzw. sich umwandeln)
2.2 Das chemische Gleichgewicht
Im Prinzip ist jede Reaktion eine Gleichgewichtsreaktion
Man sagt: Im System Natrium/Chlor stehen die Ausgangsstoffe (=Edukte) im Gleichgewicht mit
dem Produkt Natriumchlorid
Na + ½ Cl2 → NaCl ist also eine Vereinfachung
korrekterweise müsste man unter Berücksichtigung der Rückreaktion schreiben:
Na + ½ Cl2 NaCl
in der Praxis (bei Zimmertemperatur = 298 K) liegt das Gleichgewicht sehr stark auf Seiten von
Natriumchlorid, daher die Vereinfachung. Besser gesagt, bei 298 K läuft die Reaktion von links
nach rechts freiwillig (exotherm) ab.
weitere Beispiele:
1) H2 + ½ O2
H2O
2) NH3 + H2O
NH4+aq + OH–aq
3) Cu2+aq + Zns
Zn2+aq + Cus
4) Ag+aq + Cl–aq
AgCls
2) und 3) sind Gleichgewichte (GGW) mit relativer Gleichverteilung, 1) und 4) liegen stark auf der
rechten Seite.
Dennoch handelt es sich um Gleichgewichte für die das Massenwirkungsgesetz formuliert werden
kann:
CH2 2O
C2H2 CO2
= konstant = K
K ist sehr groß aber nicht unendlich, bei höherer Temperatur ist K deutlich kleiner.
Für die Frage, ob und in welche Richtung eine chemische Reaktion abläuft sind sowohl deren
Thermodynamik als auch deren Kinetik wichtig.
2.3 Thermodynamik chemischer Reaktionen (exotherm, endotherm)
2.3.1 Allgemeines
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Die Thermodynamik beschäftigt sich mit der Frage, ob eine Reaktion (unter den gegebenen
Umständen – Temperatur und Druck) freiwillig (exotherm) oder nur unter Energieaufwand
(endotherm; erzwungen) abläuft und wo die Gleichgewichtslage ist.
Energieinhalt
des Systems
Ea
mit Aktivierungsenergie Ea
mit Aktivierungsenergie Ea
Edukte
Ea
Produkte
Edukte
Produkte
Verlauf der Reaktion
Verlauf der Reaktion
exotherme Reaktion = „bergab“
endotherme Reaktion = „bergauf“
Im Prinzip lassen sich vier Typen von Reaktionen unterscheiden:
1) Freiwillige (exotherme) Reaktion, ohne Aktivierung: Al(Folie) + 3/2 Br2
2) Freiwillige (exotherme) Reaktion, mit Aktivierung: Cl2 + H2
3) Erzwungene (endotherme) Reaktion, ohne Aktivierung: I2O5
AlBr3 a
2 HCl b
I2 + 5/2 O2 c
4) Erzwungene (endotherme) Reaktion, mit Aktivierung c
a
Nach kurzer Wartezeit verläuft die Reaktion heftig und Feuererscheinung und Rauchentwicklung
ab. In Wirklichkeit ist dies keine „nichtaktivierte“ Reaktion, da sie ja bei 298 K quasi thermisch
aktiviert ist.
b
die Aktivierung erfolgt durch Licht (Blitzlicht), die Reaktion verläuft und Wärmeentwicklung und
Lichterscheinung
c
die Reaktion muß ständig „geheizt“ werden. Violette Dämpfe zeigen das entstehende Iod an. Ob
Aktivierungsenergie vonnöten ist, ist nicht experimentell feststellbar. Fall 3) und 4) sind
grundsätzlich experimentell nicht voneinander unterscheidbar.
2.3.2 Die Zustandsgleichung idealer Gase (ideales Gasgesetz)
2.3.2.1 Qualitative Beschreibung der Energie – Die Kinetische Gastheorie
Für den sehr einfachen Fall idealer Gase besteht die Gesamtenergie eines Teilchens lediglich aus
seiner kinetischen Energie. Bei nicht-idealen Gasen, Flüssigkeiten und Feststoffen gibt es hingegen
eine Vielzahl von Energieformen, was die Sache verkompliziert. Die Gesamtenergie und damit den
Zustand eines Ensembles von idealen Gasteilchen lässt sich mittels der kinetischen Gastheorie
beschreiben. Es wird dabei von folgenden Prämissen ausgegangen:
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• Die Teilchen eines Idealen Gases üben
keine Kräfte auf einander aus, außer
wenn sie zusammenstoßen.
• Die Teilchen sind ständig in
ungeordneter, aber statistisch
beschreibbarer Bewegung (Wärme).
• Beim Zusammenstoß wird u.U. Energie
übertragen
• Stöße mit der Wand sind elastisch und
stellen den Gasdruck dar.
• Die Energie (Wärme, Geschwindigkeit)
der Teilchen folgt einer MaxwellBoltzmann-Verteilung
Der energetische Zustand der Teilchen lässt sich damit z.B. anhand ihrer Geschwindigkeit
beschreiben:
Maxwell-Boltzmannverteilung der Geschwindigkeit von N2 bei verschiedenen Temperaturen
2.3.2.2 Quantitative Beschreibung – Das Ideale Gasgesetz
Für die Zustandsgrößen Druck p, Volumen V, Temperatur T und Stoffmenge n (bzw.
Teilchenzahl N oder Masse m) gilt:
Die allgemeine Gasgleichung:
p· V=n· R· T
R = allgemeine Gaskonstante; R = NA · kB = 8,314472 J/(mol · K);
kB ist die Boltzmann-Konstante = 1,3806504(24) · 10−23 J/K;
NA ist die Avogadro-Zahl = 6,02214179 · 1023 mol–1;
n = Stoffmenge (mol) = m/Mr (Mr = Molmasse).
Anwendung findet nun die Allgemeine Gasgleichung in Phasendiagrammen:
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gasförmig
flüssig
●
Kritischer
Punkt
flüssig + gasförmig
p/V-Diagramm eines idealen Gases (z.B.
Helium (die eingezeichneten Kurven sind
Isotherme)
p/V-Diagramm von Kohlenstoffdioxid (CO2)
Die Kurven gleicher Temperatur nennt man Isothermen. Analog können auch p/T-Diagramme oder
V/T-Diagramme aufgestellt werden. Im letzteren Fall sind die „Linien“ darin Isobaren.
2.3.3 Die Hauptsätze der Thermodynamik
Der erste Hauptsatz der Thermodynamik
1) Wärme, Arbeit sind Formen von Energie. Sie können ineinander umgewandelt werden. Die
Gesamtenergie dabei bleibt erhalten.
U = Innere Energie, dU = Änderung der inneren Energie
Für geschlossene Systeme:
V = const.
n
p
U
T = const.
materiell
geschlossen
V
n
H
Innere Energie dU = Q + p · dV
p = const.
Für offene Systeme (chemisch relevanter)
T = const.
materiell
offen
Enthalpie dH = dU + W = dU + p · dV
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Für chemische Systeme ist die Beschreibung System-Energie als Enthalpie H bzw. deren Änderung
dH (oder ∆H) sinnvoller als die der inneren Energie U.
2) Ein Perpetuum Mobile erster Art, das heißt ein System, das keine Energie benötigt, um Arbeit zu
verrichten ist nicht möglich.
Der zweite Hauptsatz der Themodynamik
Ist die Beschreibung von chemischen Gleichgewichten mittels der Enthalpie ∆H (oder inneren
Energie ∆U) möglich?
Betrachtet wird das Auflösen eines salzartigen Festkörpers (Elektrolyten). Der Lösungs-Vorgang
kann in zwei Teilschritte zerlegt werden: Auflösung des Ionengitters (∆HGitter) und die
Hydratisierung der Ionen (∆HHydr). ∆HLösung = ∆HGitter – ∆HHydr
Der Prozeß der Auflösung sollte freiwillig (exotherm; bergab) ablaufen, wenn die
Hydratisierungsenthalpie die Gitterenergie überwiegt.
Energie
Energie
∆HHydr
M+g + X−g
M+g + X−g
Ionen in der Gasphase
M+Hydr.
X−Hydr.
in Lösung
∆HHydr
∆HGitter
NaCl
CaF2
∆HLösung
(kJ/mol)
–8
+13
AgF
AgCl
–20,5
+65,7
SrSO4
–8,4
BaSO4 +19,2
KF
KCl
–17,6
+17,2
∆HGitter
Festkörper
∆HLösung
(MX)s
in Lösung
Festkörper
∆HLösung
M+Hydr.
(MX)s
X−Hydr.
Beispiele:
NaCl: ∆HLösung = 766 – (398+376) = –8 kJ/mol
CaF2: ∆HLösung = 703 – (314+376) = +13 kJ/mol
Salz
Ionen in der Gasphase
NaCl = Steinsalz
CaF2 = Fluorit, Flussspat
Löslichkeit
leicht löslich
schwer
löslich
leicht löslich
schwer
löslich
schwer
löslich
schwer
löslich
leicht löslich
leicht löslich
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∆GLösung
(kJ/mol)
+4,0
+18,0
∆GLösung – ∆HLösung = X
(kJ/mol)
+12,0
+5,0
–14,6
+55,6
+5,9
–10,0
+35,1
+43,4
+50,6
+31,4
–25,9
–5,0
–8,4
–22,2
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Fazit: H (U) ist keine Zustandsgröße, die über die Freiwilligkeit (Spontaneität) einer chemischen
Reaktion entscheidet; H und U sind keine „guten“ Zustandsgrößen!
Es werden daher zwei neue Zustandsgrößen eingeführt:
H (Enthalpie) → G (Freie Enthalpie)
U (innere Energie) → F (Freie Energie)
X = ∆G – ∆H ist ein Maß für die Ordnung/Unordnung im System. S wird als Entropie bezeichnet
und es gilt:
∆G = ∆H – T · ∆S Gibbs-Helmholtz-Gleichung
Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik lautet: ∆Sgesamt > 0
Wenn in einem Gedankenexperiment zwei verschiedene Gase in zwei Kammern (links) durch
Entfernen der Trennwand die Möglichkeit gegeben wird sich zu mischen, werden sie es tun (rechts).
Das ist quasi „Alltagserfahrung“. Das sich ein System wie das rechte wieder zu einem Zustand wie
rechts (ohne Trennwand) „entmischen“ wird, halten wird (zurecht) für unwahrscheinlich.
Die (Gesamt-)Entropie eines abgeschlossenen Systems nimmt bei einer spontan verlaufenden
Zustandsänderung (also auch bei einer freiwillig ablaufenden chemischen Reaktion) stets zu.
Die Entropiezunahme bedeutet auch, dass das System von einem weniger wahrscheinlichen in einen
wahrscheinlicheren Zustand übergeht, z.B. die Anzahl der Möglichkeiten, die thermische Energie
auf die verschiedenen Atome zu verteilen, nimmt zu.
Boltzmann-Beziehung: S = kB · lnW
kB = Boltzmannkonstante = R / NA
W: Anzahl der Anordnungsmöglichkeiten der Atome/Moleküle einer Probe bei gegebener
Gesamtenergie
Bei T = 0 K ist nur ein Zustand wahrscheinlich, d.h. lnW = 0 und damit S = 0.
Die Entropie (eines idealen Kristalls) ist am absoluten Nullpunkt gleich Null (dritter
Hauptsatz der Thermodynamik)
Insgesamt haben wir also folgende Zustandsgrößen
T - Temperatur
U - Innere Energie (Gesamter Energieinhalt von Stoffen)
H - Enthalpie (Wärmeenergieinhalt von Stoffen bei konstantem Druck)
G - Freie Enthalpie (maximale Nutzarbeit bei konstantem Druck)
S - Entropie (Maß für den Unordnungszustand eine Systems)
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2.4 Kinetik chemischer Reaktionen (Reaktionsmechanismen, Katalyse,
Reaktionsgeschwindigkeit)
Die Kinetik beschäftigt sich mit der Frage nach den Elementarschritten einer Reaktion, den
Zwischenstufen mit den jeweiligen Energiegehalten und daraus resultierend die Geschwindigkeit
der Reaktion. Anders gesagt die Kinetik berücksichtigt die mechanistischen Details einer Reaktion
(Welche Spezies reagieren in welcher Reihenfolge miteinander)
Wichtig: Im Allgemeinen reagieren nur jeweils 2 Teilchen miteinander auf einmal. Um zu reagieren
müssen sie nämlich „zusammenstoßen“. Die Wahrscheinlichkeit, dass drei Teilchen (oder gar mehr)
auf einmal zusammenstoßen (etwa in einem Gas oder einer Lösung) ist sehr gering.
Bsp. Na + Cl2: Cl2(g) → Bindungs-Dissoziation → Cl-Atome; Na(s) → Schmelzen → Na(l); ClAtome adsorbieren an der Na(l)-Oberfläche; Na-Atom → Na+; Cl-Atom + e− → Cl− usw.
alle diese komplexen Vorgänge faßt man unter →Kinetik zusammen.
Zur quantitativen Beschreibung einer Reaktion (Abnahme der Edukte = Ausgangsverbindungen,
Zunahme der Produkte = Endverbindungen) muß aber nicht zwingend der Mechanismus bekannt
sein. Kann man Veränderungen im Verlauf der Reaktion messen, so reicht das Aufstellen der
entsprechend passenden mathematischen Relation als quantitative Beschreibung, u.U. kann damit
dann sogar der Mechanismus geklärt werden
Beispiel 1:
Radioaktiver Zerfall
Das Geschwindigkeitsgesetz (erster
Ordnung) lautet:
–dN/dt = k1 · N
N = Anzahl der Teilchen (zu jedem
Zeitpunkt)
–dN/dt = Abnahme der Teilchen
k1 = Geschwindigkeitskonstante (s–1)
Beispiel 2: Enzym-Kinetik nach Michaelis-Menten
Für die Reaktion (1):
E = Enzym; S = Substrat; P = Produkt
gilt:
[S] = Substratkonzentration, vmax = maximale
Geschwindigkeit, KM = Michaelis-Konstante; k1, k-1,
k2 = Geschwindigkeitskonstanten
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