Di., 14. Juni 2011 ReformAgenda Vom Charme des Mehrheitswahlrechts Seite 14 t Wahlrech 13 Wettstreit um gerechtes Wählen Seite 15 derStandard.at/Reformagenda Von der Kunst, ein Parlament zu wählen Zur Demokratie bekennt sich jeder – Umfragen zufolge wird das Wahlsystem in Österreich für gerechter gehalten als viele andere Einrichtungen. Und doch bedarf es ständiger Nachbesserung, vielleicht sogar substanzieller. Conrad Seidl Ü bermorgen, Donnerstag, darf sich das Parlament wieder einmal selber feiern: Mit einer kleinen Wahlrechtsreform soll das System noch ein wenig gerechter werden – neuerdings soll das Wahlrecht sogar dazu dienen, Rechtsbrecher auf den Weg der Tugend zurückzuführen. Die Teilnahme an so wichtigen gesellschaftlichen Entscheidungen wie Wahlen wäre ein Beitrag zur Resozialisierung, wurde argumentiert. Notwendig wurde die Änderung aber nicht aus Überlegungen zur Resozialisierung, sondern als Reaktion auf das Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall des früheren Fernsehmoderators Helmut Frodl. Dieser ist zu lebenslanger Haft verurteilt – und hatte erfolgreich geklagt, weil Häftlingen mit mehr als einjähriger Strafe bisher grundsätzlich das Wahlrecht aberkannt wurde. Künftig soll das nur bei sehr langen Strafen und nach staatsgefährdenden Delikten passieren. Verurteilte Terroristen dürfen auch weiterhin nicht mitwählen. Die Novelle hat kuriose Folgen: Bei einem parlamentarischen Hearing in der Vorwoche wies der Rechtsanwalt Eike Lindinger darauf hin, dass zwar weiterhin Strafgefangene im Einzelfall vom noch Wahlkarten zu berücksichtigen sind, die bis spätestens 17 Uhr des Wahltags bei der zuständigen Bezirkswahlbehörde eingelangt sind. Dahinter steckt die Überlegung, dass Wähler, die den wahrscheinlichen Wahlausgang kennen, per Brief noch rasch eine Stimme abgeben könnten, die sie ohne dieses Wissen anders vergeWahlrecht ausgeschlossen sein ben hätten. So könnten potenzielwerden, Wahlfälscher (die eigent- le Wähler von Kleinstparteien bis lich getroffen werden sollten) aber Wahlschluss warten, ob die jeweinicht: So kann die Wahlkartenfäl- lige Partei eine realistische Chanschung durch einen burgenländi- ce hat – wenn es nicht danach ausschen Bürgermeister, die den letz- sieht, könnten sie beruhigt jener ten Anstoß zur aktuellen Novelle Partei die Stimme geben, die ihre geliefert hat, aufgrund einer be- zweite Wahl wäre. Dieselbe Sorge steht hinter dem dingten Strafe nicht zum Ausschluss vom aktiven Wahlrecht Verbot, vor Schluss des letzten Wahllokals erste Ergebnisse zu führen. Was, wenn nun tatsächlich alle publizieren – ein Verbot, das das wahlberechtigten Häftlinge von BZÖ sogar auf Meinungsumfragen ihrer neuen (Wahl-)Freiheit Ge- ausgeweitet wissen möchte: Wähbrauch machen? Um zu vermei- ler würden durch diese Kenntnisden, dass in kleinen Gemeinden se unzulässig beeinflusst. Diese mit Justizanstalten eine überpro- Überlegungen sind ein typisch euportional große Anzahl der Wäh- ropäisches Phänomen (auch in ler Häftlinge sind, werden die Frankreich gibt es ähnliche BeHauptwohnsitz-Bestimmungen in denken) – in den USA dagegen sind sie völlig unZusammenhang bekannt: Wenn mit Wahlen adapdort Wahltag ist, tiert. Für Häftlinge, die keinen WohnNach der nächsten sind längst die ersten Wahlergebnissitz außerhalb der Novelle werden se aus den östliHaftanstalt haben, chen Bundesstaagilt gemäß Gesetzkurioserweise ten publiziert, entwurf der letzte Wahlfälscher wenn die KaliforWohnsitz vor Festwählen dürfen. nier zur Abstimnahme als Hauptmung schreiten. wohnsitz. Mörder auch. Die FPÖ hat mit Die Hauptsorge den Änderungen der Politik gilt allerwenig Freude, sie dings einem ganz hätte die 1989 von anderen Phänomen: Die vorliegende Gesetzesini- der ÖVP durchgesetzte Briefwahl tiative der Koalitionsparteien und am liebsten ganz gestrichen – die des eine Verfassungsmehrheit si- Freiheitlichen halten am Prinzip chernden BZÖ legt fest, dass bei der unmittelbaren und geheimen der Stimmauszählung künftig nur Wahl fest. „ “ Die kleine Wahlrechtsreform ßen, er sitzt bei uns direkt im Parbringt immerhin Änderungen bei lament.“ der Ausgabe von Wahlkarten – daReformbedarf sieht auch Natiomit nicht wieder ein Bürgermeis- nalratspräsidentin Barbara Pramter für seine Mitbürger Karten be- mer (SPÖ): Oft hat sie darauf antragen und selbst ausfüllen hingewiesen, dass das österreikann –, und sie erlaubt künftig chische Wahlsystem zu einer Lähauch Mitgliedern des ehemaligen mung führen kann, weil einerseits Herrscherhauses, für das Amt des ständig Neuwahlen drohen und Bundespräsidenten zu kandidie- andererseits immer irgendwo eine ren. Damit wird eine kurz nach wichtige Wahl ansteht, bei der dem Ersten Weltkrieg möglicher- niemand die Wähler verprellen weise berechtigte Sorge vor einer will. Prammers Vorschlag: So wie „Habsburger-Resin Norwegen sollte tauration auf demodas Parlament nicht kratischem Wege“ vorzeitig aufgelöst endgültig ad acta ,Superwahlsonntage‘ werden können – gelegt. Selbst den und Wahlen sollten könnten alle Sozialdemokraten, an „Superwahltadie sie einst ergen“ zusammenWahlen kämpft hatten, ergezogen werden. zusammenfassen. scheint die BestimDann wäre zwiZwischendurch mung heute antischendurch Ruhe. quiert und ungeUnd schließlich wäre dann Ruhe. recht. gibt es die Initiative Für weiter reiMehrheitswahlchende Reformen recht und Demokraist in der aktuellen tiereform, die der Novelle allerdings kein Platz – langjährige Parlamentarier Heinauch wenn grundlegende Wahl- rich Neisser (ÖVP) gegründet hat. rechtsreformen quer durch alle In seinem Verein ist auch der proParteien gefordert werden. Mar- minente Sozialdemokrat Karl Blekus Heingärtner und Herbert Pai- cha, Chef des SPÖ-Pensionistenerl, Geschäftsführer und Präsi- verbandes Proponent. Ob Neisser dent des Management-Klubs, ha- das Mehrheitswahlrecht erleben ben etwa in ihrem Buch Reformen wird? Der 75-Jährige ist skeptisch, ohne Tabu (Molden-Verlag) gleich 25 Jahre werde eine große Wahlals zweite von 95 Thesen für rechtreform wohl brauchen, „und Österreich die Notwendigkeit ei- dass ich über 100 werde, ist trotz nes neuen Wahlrechts postuliert: verbesserter Geriatrie nicht wahrDie Auswahlverfahren der Politik, scheinlich.“ die Struktur der Parteien und die relativ schwache Ausstattung des Spezial ReformAgenda Parlaments mit beamteten ExperAls Kontrapunkt zur innenpolitischen ten (die sitzen in den Ministerien) Blockade griff der Standard in den führten dazu, dass die gesetzgeletzten Wochen große Reformfragen bende Körperschaft ihrer eigentliauf. Alle Beiträge sind abrufbar unter: chen Aufgabe zu wenig nachkomderStandard.at/Reformagenda men könne. Außerdem: „Der Lobbyismus ist keine Gefahr von au- „ “ ReformAgenda 14 der Standard Dienstag, 14. Juni 2011 Wie aus Stimmen Nationalratsmandate werden WISSEN NR-Wahl – Verteilung der Mandate Nationalratswahl 2008 – 72 Direktmandate in den Wahlkreisen Die 183 Mandate im Nationalrat werden in drei Etappen vergeben 183 Mandate vergeben – davon 72 auf Wahlkreisebene + 77 auf Landesebene + 34 auf Bundesebene 1. Linz & Umg. Wien Wien Innen-Ost Wien Innen-West Wien Nord-West Wahlkreis-Ebene Zur Ermittlung der Direktmandate werden Stimmen in jedem der 43 Regionalwahlkreis durch die Wahlzahl* des jeweiligen Bundeslandes dividiert. Wien Nord Wien Süd-West * Wahlzahl legt Anzahl der für ein Mandat erforderlichen Stimmen fest, errechnet sich aus gültigen Stimmen und zu vergebenden Mandaten. Das Wahlergebnis 2008 in Prozenten 29,3 26,0 10,7 SPÖ ÖVP Grüne FPÖ BZÖ 6,0 Grüne Stmk West Ktn Ost Ktn West NÖ Süd NÖ Südost Bgld Nord Stmk Nord Stmk Mitte Stmk Ost Bgld Süd Stmk Südost Graz Stmk Süd BZÖ Villach Klagenfurt Wien NÖ 34 Sitze auf Bundesebene Sbg Stmk Bgld Ktn Sitzverteilung im Nationalrat Verhältniswahlrecht (2008) Vorschlag für Minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht 51 ÖVP 21 BZÖ 57 SPÖ And. FPÖ OÖ Tirol 20 Grüne 17,5 10,4 ÖVP 77 Sitze auf Bundesländerebene Vbg Osttirol InnsbruckLand Mostviertel Stmk Nordwest LungauPinzgauPongau Vbg Süd Bundes-Ebene Stimmen des gesamten Bundesgebietes werden durch neue Wahlzahl* dividiert; Ergeben sich zusätzliche Mandate, werden diese hinzugezählt; Abzug bisher ermittelter Mandate ist nicht möglich. Traunviertel Unterland Oberland Wien Umg. NÖ Mitte Salzburg Stadt Innsbruck SPÖ 3. Weinviertel Waldviertel Innviertel Wien Süd Vbg Nord Landes-Ebene Stimmen des gesamten Bundeslandes werden erneut durch die Wahlzahl* dividiert; Reststimmen aus einzelnen Wahlkreisen können zusätzliche Mandate bringen. Mühlviertel FlachgauTennengau Wien Innen-Süd 2. Hausruckviertel Zuteilung von Mandaten 183 34 FPÖ Die stimmenstärkste Partei erhält automatisch 92 Sitze, die anderen 91 Sitze werden anteilsmäßig auf die übrigen Parteien verteilt 14 Grüne 92 SPÖ 37 ÖVP 15 BZÖ 183 25 FPÖ Quelle: APA / BMI / Klaus Poier / „Demokratie im Umbruch“, Böhlau Verlag Mehrheitswahlrecht hat viele Varianten Ein Mehrheitswahlrecht wird häufig als Möglichkeit gesehen, klare Regierungsaufträge zu vergeben und das Land effizient zu regieren. Ob das System auch Akzeptanz finden kann, hängt sehr von seiner Ausgestaltung ab. Conrad Seidl Wien – Man stelle sich vor, in Österreich würde nach dem britischen Wahlsystem gewählt. Dann säße kein einziger Freiheitlicher im österreichischen Nationalrat. Die anderen Oppositionsparteien wären zwar vertreten, sie hätten aber viel weniger zu sagen: Das BZÖ hätte 13 (statt 21) Sitze, die Grünen kämen auf vier (statt 20). Dass diese beiden Parteien in einem Mehrheitswahlsystem vertreten wären, die viel stärkere FPÖ aber nicht, das hängt mit dem Grundsatz zusammen, dass Wahlkreise im britischen Mehrheitswahlsystem dem lokal stärksten Kandidaten das Mandat zuerkennen. Die lokale Stärke des (damals von Jörg Haider geführten) BZÖ in Kärnten hätte den Orangen einige Wahlkreise gebracht, in Wien und Innsbruck hätten die Grünen als im jeweiligen Wahlkreis stärkste Partei gewonnen und die größte Zahl an Mandaten wäre an die Großparteien gegangen: 89 (statt 57) Mandate für die SPÖ, 77 (statt 51) Mandate für die ÖVP – weil diese Parteien in den EinerWahlkreisen am stärksten sind. Und Pech für die Blauen: Diese würden als drittstärkste (bundesweit 18 Prozent) und in vielen Wahlkreisen zweitstärkste Partei gänzlich leer ausgehen, weil sie 2008 in keinem von (fiktiven 183) Wahlkreisen die stärkste Partei waren. Der Politikwissenschafter Klaus Poier hat dieses Wahlrechtsmodell für den Sammelband Demokratie im Umbruch (Böhlau-Verlag) durchgerechnet. Nicht weil er ein Gegner des Mehrheitswahlrechts wäre – im Gegenteil: Poier ist seit Jahren einer der prononciertesten Verfechter des Mehrheitswahlrechts. Nur dürfe man es sich damit nicht zu einfach machen. Auch in der „Initiative Mehrheitswahlrecht“ ist man bemüht, den Begriff Mehrheitswahlrecht differenziert zu betrachten. Das britische relative Mehrheitswahlrecht in Einerwahlkreisen fördert die Herausbildung eines Zweiparteiensystems – dem seit den 1980er-Jahren entstandenen System aus vier und mehr Parlamentsparteien würde es nicht gerecht, versichert Proponent Heinrich Neisser. Der Grazer Professor Poier, der seit einem Dutzend Jahren die Diskussion mit Mehrheitswahlrechtsmodellen bereichert, hat unter anderem das Konzept eines minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrechts konzipiert, das der stimmenstärksten Partei ermöglichen würde, jedenfalls die parlamentarische Mehrheit (92 der 183 Nationalratssitze) zu übernehmen. Es gäbe also einen „Mehrheitsbonus“. Wie die Grafik oben zeigt, würde nach dem Wahlergebnis von 2008 die SPÖ 92 Sitze bekommen, 35 mehr als derzeit. Wenn kein Abgeordneter abspringt, würden die 29,3 Prozent reichen, ganze fünf Jahre mit absoluter Mehrheit zu regieren. Umgekehrt könnte eine Partei, die bei der nächsten Wahl die SPÖ auch nur knapp überholt, ihrerseits fünf Jahre mit absoluter Mehrheit regieren. Eine Variante dazu könnte kleine Koalitionen erzwingen: Die stärkste Partei bekäme demnach 91 Sitze, die derzeit zweitstärkste Partei ÖVP wäre mit 37 Prozent ein möglicherweise zu starker Koalitionspartner, weil man ja in Wahrheit nur einen kleinen Mehrheitsbringer braucht: Kleinparteien wären – trotz geringerer Mandatszahlen – ständig als potenzielle Mehrheitsbringer im Spiel. Und alle zusammen könnten eine demokratisch legitimierte Koalition gegen die Mehrheitspartei bilden. Das könnte bedeutsam sein, wenn etwa der FPÖ die Mehrheit zufiele, aber partout niemand mit ihr koalieren wollte. Poier gibt zu bedenken, dass ein System des „Mehrheitswahlrechts mit Koalitionszwang“ eine geringere Effizienz für die Regierung hätte als jedes reine Mehrheitswahlrecht – dass es aber andererseits für die kleinen Parteien viel attraktiver wäre als das derzeitige. Hauptverlierer wäre die jeweils zweitstärkste Partei. Die Verteilung von Mandaten entsprechend den abgegebenen Stimmen kann prinzipiell nach zwei Systemen erfolgen: In Österreich etabliert ist das Verhältniswahlrecht, bei dem versucht wird, die gegebene Anzahl von Mandaten annähend im selben Verhältnis wie die Stimmen zu verteilen. Dies kann in einem oder mehreren Wahlkreisen passieren – bei der EU-Wahl wird etwa das gesamte Bundesgebiet als ein Wahlkreis betrachtet. Bei Nationalratswahlen gibt es 43 regionale Wahlkreise, zudem einen Landeswahlkreis je Bundesland und einen Bundeswahlkreis. Wie die Mandatsverteilung in drei Stufen berechnet wird, zeigt die Grafik links. Im Unterschied dazu wird beim Mehrheitswahlrecht versucht, dem Mehrheitswillen zum Durchbruch zu verhelfen. Dies kann in lauter Einerwahlkreisen erfolgen wie in Großbritannien, wo eine relative Mehrheit genügt, das Wahlkreismandat zu bekommen. Das französische Modell verlangt eine absolute Mehrheit im Wahlkreis, die gegebenenfalls in einer Stichwahl erzielt werden muss. Und schließlich gibt es Mischformen aus Verhältnisund Mehrheitswahlrecht wie das „minderheitenfreundliche Mehrheitswahlrecht“. Der Vorteil von Mehrheitswahlrechtsvarianten ist die leichte Mehrheits- und Regierungsbildung. Dem Einwand, dass schon kleine Überhänge von Stimmen zu sehr großen Verschiebungen im Vertretungskörper führen können, begegnen Anhänger des Mehrheitswahlrechts mit dem Hinweis, dass die zunächst stabil erscheinenden nach dem Mehrheitswahlrecht gewählten Regierungen auch sehr leicht wieder abgewählt werden können: Schon ein kleiner „Swing“ in der Wählerschaft kann eine groß erscheinende Mehrheit zertrümmern. In beiden Systemen gibt es Möglichkeiten der Personalisierung – vor allem über Vorzugsstimmen, die eine Umreihung von Listen bewirken. (cs) Profis im Nationalrat, Regionalliga im Bundesrat Grüne Wirtschaft verfolgt ein Demokratiekonzept ohne Landesgesetzgebung Wien – Es gab Zeiten, da war der politische Amateur, gebunden an eine permanent mitbestimmende „Basis“ das Ideal der grünen Politik. Sie hat das nirgendwo durchgehalten – inzwischen bestimmen Profis das Bild der grünen Fraktionen. Und nach dem Demokratiemodell der Grünen Wirtschaft würde dieser Trend noch verstärkt werden. „Ich würde die Regionalwahlkreislisten und die Landeswahlkreislisten weglassen – die Parteien treten zur Nationalratswahl nur mit Bundeslisten an, damit wir dort endlich Bundespolitiker haben, die sich für Gesamtösterreich verantwortlich fühlen“, sagt Volker Plass, Chef der Grünen Wirtschaft. Gemeinsam mit Silvia Buschenreiter hat er ein Konzept unter dem Titel „Republik Österreich 3.0“ erstellt, das eine radikale Umstellung vorschlägt. Kernpunkt: „Der Nationalrat mit seinen 183 Abgeordneten bleibt in der derzeitigen Form als einziger nationaler Gesetzgeber bestehen.“ Das heißt gleichzeitig, dass die Landtage abgeschafft würden und die gesamte Vertretung der regionalen Interessen in den Bundesrat verlagert würde. Vorbild: Europawahl Nur für die regionale „Zweite Parlamentskammer“ sollte es regionale Wahlkreise geben – etwa 183 gleich große. Bei der Nationalratswahl dagegen sollten die Listen ähnlich wie bei der Europawahl gestaltet werden: Die Parteien schlagen ihre Leute vor, die Parteireihung kann aber mit relativ wenigen Vorzugsstimmen umgedreht, ein weiter hinten gereihter Kandidat vorgereiht werden. Dem Einwand, dass da unausgewogene Listen zustande kom- men könnten, begegnen die grünen Reformer mit dem Hinweis, dass dies auch bei den EU-Wahlen, wo es auch nur einen bundesweiten Wahlkreis gibt, nicht vorkäme, dort achteten schließlich auch alle Parteien auf eine Ausgewogenheit ihrer Liste. Die Verfahren dafür sind allerdings oft parteiintern umstritten – in Erinnerung ist noch das Gezerre um die Grünen-Liste, auf der schließlich der erfahrene Parlamentarier Johannes Voggenhuber keinen Platz fand. Oder auch die Vorzugsstimmen-Wahlkämpfe von Andreas Mölzer und Othmar Karas, deren Ergebnisse für die jeweiligen Parteien (in diesem Fall FPÖ und ÖVP) schwere Probleme brachten. Alle Politiker müssten wesentlich bessere Arbeitsbedingungen bekommen, heißt es in dem grünen Thesenpapier weiter: „Damit werde der Bundesgesetzgeber aus der derzeitigen Geiselhaft der Landesparteien befreit. Und: Die jeweiligen MandatarInnen sind dann in ihrem Handeln tatsächlich den Wählern und Wählerinnen, der Republik und ihrem eigenen Gewissen verpflichtet.“ Wichtig ist den Autoren, dass der Bundesrat zu einer echten Regionalvertretung aufgewertet wird und ebenfalls von Landesparteiniteressen freigespielt wird. In den bis zu 183 Wahlkreisen sollte es für potenzielle Bundesräte leicht sein, zu kandidieren – der Wahlkreis-Vertreter würde entweder nach Mehrheitsprinzip („Winner takes all“) oder durch Stichwahl ermittelt. Die Wahlen würden als Midterm-Elections eineinhalb Jahre nach Nationalratswahlen durchgeführt. Und, ganz neu: Der Bundesrat könnte mit Zweidrittelmehrheit Nationalratsbeschlüsse aufheben. (cs) ReformAgenda Dienstag, 14. Juni 2011 * der Standard 15 „Der Föderalismus ist eine Problemzone“ Der langjährige ÖVP-Mandatar Heinrich Neisser und der grüne Wirtschaftsvertreter Volker Plass suchen mehr oder weniger radikale Ansätze zu einer Demokratiereform. Conrad Seidl half bei dieser Suche. Standard: Herr Präsident Neisser, wie viele Wahlrechtsreformansätze haben Sie denn in Ihrem politischen Leben schon erlebt? Neisser: Das waren ungefähr vier bis fünf. Die Diskussion hat in den 70er-Jahren, Anfang der 70er-Jahre, begonnen. Kreisky hat für die Minderheitsregierung die Unterstützung der FPÖ gebraucht und hat als Preis eine Wahlrechtsreform bezahlt, die eine Verstärkung des Proportionalwahlrechts war, weil das nach der damaligen Situation der FPÖ nützlich war. Standard: Das war die Wahlrechts- reform 1971? Neisser: Das war 1971. Dann gab es in den 80er-Jahren Diskussionen, die sich hauptsächlich um die Frage einer Verbesserung der Personalisierung des Wahlrechts durch Einführung eines Vorzugsstimmensystems gedreht haben. Ich bin der Meinung dass die Krise der heutigen repräsentativen Demokratie natürlich auch durch das Wahlrecht etwas korrigiert werden könnte, aber das ist nicht das einzige Remedium. Standard: Wir hatten unlängst eine Umfrage im Standard, da sagen die Leute: Das Wahlrecht ist eigentlich besonders gerecht. Ist diese Ansicht falsch? Neisser: Na ja, das ist die Frage: Was ist Gerechtigkeit? Ich möchte zunächst der Position entgegentreten, die behauptet, das Verhältniswahlrecht sei gerecht, das Mehrheitswahlrecht sei ungerecht. Das kann man empirisch dadurch widerlegen, dass sich eigentlich der Großteil der Wahlsysteme der Welt am Mehrheitswahlrecht orientiert. Und man wird diese Demokratien nicht als ungerechte Demokratien bezeichnen können. Sie gehen nur von einem anderen Gerechtigkeitsansatz aus. Jedes Wahlsystem hat Vorund Nachteile. Und die Entscheidung für ein Wahlsystem hängt davon ab, welche Vorteile man lukrieren will. Der ehemalige Zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser engagiert sich in der Initiative Mehrheitswahlrecht für eine Änderung des Fotos: Fischer (3) Wahlsystems – der Grüne Volker Plass will gleich den gesamten Bundesstaat umbauen, um die Demokratie zu verbessern rückführen: Was löst den absoluten Stillstand in diesem Land? Ich glaube, dass wir uns in Österreich eine überproportionale Wichtigkeit der Landesebene leisten. Wir haben einen sehr, sehr massiven Einfluss der Landesparteien auf die jeweiligen Bundesparteien. Da ist die ÖVP ein sehr gutes Beispiel. Standard: Soweit ich die Grünen kenne, gibt es das auch bei den Grünen ... Plass: ... ja, auch bei den Grünen, und das verstärkt sich sogar im Lauf der letzten Jahrzehnte. Das kritisiere ich auch sehr stark. Die wesentliche Frage ist: Wie brechen wir die Dominanz der Landesparteien und der Landesorganisationen im politischen Prozess? Real existierender Föderalismus besteht im Wesentlichen aus einem neoabsolutistischen Landeskaisertum mit Parteianhängsel. Dieses Spannungsfeld anzugehen, das Standard: Jetzt wäre wesentlich. würde ich von den Und da ist es dann Grünen da einen letztendlich egal, Föderalismus besteht ob man eher einem massiven Widerspruch erwarten. im Wesentlichen aus VerhältniswahlMehrheitswahloder einem neoabsolutistischem recht recht könnte ja beMehrheitswahlLandeskaisertum mit recht zuneigt. Wir deuten, dass eine grüne Partei übersagen auch, es Parteianhängsel. haupt keine Bewäre durchaus Volker Plass deutung mehr hat? gut, PersönlichPlass: Also wenn keitswahlrechte man Mehrheitszu stärken, aber wahlrecht in der diese Landesebene brutalsten Form umsetzt, führt zurückzudrängen. das ziemlich sicher zu einem Zwei-Parteien-System ähnlich Standard: Sie kennen das mit der wie in den USA. Da läuten natür- Dominanz der Landesparteien, Sie lich die Alarmglocken, das ist sind ja nicht erst seit ein paar Taganz klar. Wobei ich doch etwas gen in der ÖVP. weiter denke – zum Beispiel: Die Neisser: Ich kenne das. Der Födestimmenstärkste Partei bekommt ralismus ist eine Problemzone. Ich 50 Prozent minus ein Mandat. Das möchte nur zu der Anfangsbemerwürde vielleicht keine Arbeitsbe- kung von Herrn Plass noch etwas schaffungsmaßnahme für grüne sagen: Ich bin auch gegen eine Parlamentarier sein, allerdings brutale Form des Mehrheitswahlwürde das wahrscheinlich die rechts. Das englische Beispiel eiChance erhöhen, dass Grüne in nes relativen Mehrheitswahlder Regierung sind. Man muss das rechts ist für mich in Österreich auf eine prinzipielle Ebene zu- nicht anwendbar. Ich glaube wirk- „ “ lich, dass die Zeit von zwei Großparteien in Österreich endgültig vorbei ist. Ich weiß, der Begriff „minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht“ ist schwer zu verkaufen. In Österreich laufen die Uhren immer etwas langsamer, aber ich glaube, es wird kommen. Das Problem einer Wahlrechtsreform ist: Man rechnet sofort aus, was könnte für uns dabei herauskommen? Ich würde mir wünschen, dass aus einer Wahlrechtsreform auch eine völlig neue Gewichtung in der Wählerlandschaft entsteht. die derzeitige Verfassungsstruktur das Grundübel ist. Die indirekten Effekte sind das, was diesen Stillstand erzeugt. Einerseits Milliardenverschwendung durch unnötige Prestigeprojekte à la Koralmtunnel. Zweitens haben wir durchschnittlich und statistisch jedes halbe Jahr eine angeblich alles entscheidende Landtagswahl, die die gesamte Bundesregierung und Bundespolitik im Stillstand verharren lässt. Wir brauchen keine Landesgesetzgebung in Österreich. Regionalisierung kann man erreichen, indem Das ist der Kern: Dass wir den Bundesrat zu einer echten man die Macht der Kammer Parteiapparate bei der zweiten des Parlaments Kandidatenauswahl aufwerten. „ lich fühlen. Aber auf diesen Bundeslisten sollte es ein extremes Persönlichkeitswahlrecht geben. Und der Reichratssitzungssaal bietet ja genügend Platz, da könnte man eine echte zweite Kammer machen, mit Regionalabgeordneten, die auch ihren Arbeitsplatz in der Region haben, um dort den politischen Prozess mit den Menschen zu gestalten, zu moderieren. Auch, um eine Ombudsmannfunktion in dieser Region auszuüben. Neisser: Das System ist ganz interessant. Aber es könnte dazu führen, dass im Nationalrat 80 Prozent Wiener Abgeordnete wären. Plass: Ich nehme an, dass eine solche Partei die Wahl nicht gewinnen wird. Es wäre logisch, dass jeder Bundesparteivorstand auf regionale Ausgewogenheit achtet, weil man die Vorarlberger und Tiroler Stimmen ebenso braucht ... Standard: In den letzten Jahrzehnten hat man auf Personalisierung gesetzt, Standard: Und Frauenstimmen ... mit der Folge, dass Plass: ... und Frauenstimmen. Das wir im Parlament beschränken muss. Standard: Damit würde zu einer besseren RepräLeute sitzen haben, Heinrich Neisser man regionale Dis- sentanz der gesamten Gesellschaft die sich mehr dem kussionen in den auf den Listen führen. Wir haben Wahlkreis als dem Bundesrat verlegt? ja momentan in jeder Partei die Sigrundsätzlichen Plass: Genau. Ich tuation, dass neun Landeslisten Parteiprogramm würde die erste Kammer nur auf mit arithmetischen Zufälligkeiten verpflichtet fühlen. Neisser: Mein persönliches Motiv das dritte Ermittlungsverfahren zusammengeschustert werden. ist der Versuch, den Parlamenta- reduzieren. Ich würde die Regio- Ich kritisiere es massiv, dass bei rismus, das Parlament zu verle- nalwahlkreislisten und die Lan- den Grünen kein einziger Mandabendigen. Und da hat der Herr deswahlkreislisten weglassen, die tar einen Teil seines Lebens in der Plass völlig recht: Die Landtage Parteien treten nur mit Bundeslis- Privatwirtschaft verbracht hat. sind von einer wirklich minima- ten an, damit wir dort endlich Das wäre, wenn man reine Bunlen Bedeutung in einem politi- Bundespolitiker haben, die sich deslisten hätte, wesentlich leichschen Prozess. Wir haben da in für Gesamtösterreich verantwort- ter zu erreichen. den Parlamenten Menschen sitzen, die sich in erster Linie als Vollstrecker der politischen ParZU DEN PERSONEN teien ansehen, die auch von den Heinrich Neisser (75) begann Volker Plass (46) ist selbststänpolitischen Parteien entsendet seine berufliche Laufbahn im diger Grafikdesigner. Im Jahr werden. Das ist der Kern: Dass Verfassungsgerichtshof und 2000 wurde er Obmann der man die Macht der Parteiapparate kam 1969 bis 1970 als StaatsGrünen Wirtschaft, einer „bebei der Kandidatenauswahl besekretär erstmals in die Regiefreundeten Organisation“ der schränken muss. Die ÖVP hat es rung. Ab 1975 war er ÖVP-Ab- Grünen im Parlament. Plass ist in den Achtzigerjahren mit Vorgeordneter, 1987 bis 1989 MiGrünen-Vertreter im Wirtwahlen versucht – aber das dann nister für Föderalismus und schaftsparlament und Mitglied nicht weiter betrieben. Ich erkenVerwaltungsreform, anschliedes erweiterten Präsidiums ne die Realität an, dass in einer Deßend wieder Abgeordneter. der Wirtschaftskammer. mokratie der Kampf der Giganten, Den ÖVP-Klub führte er 1990 also der Spitzenkandidaten, das Die Langfassung des Gebis 1994, anschließend war er Entscheidende ist. Aber von dem sprächs findet man unter: bis 1999 Zweiter Präsident des allein kann eine Demokratie nicht derStandard.at/Wahlrecht Nationalrats. leben. Plass: Ich glaube trotzdem, dass “ Q ReformAgenda 16 der Standard Dienstag, 14. Juni 2011 Koalitionspartner Vassilakou und Häupl: Vor der Landtagswahl hatten die Grünen ein faireres Wahlrecht für Wien gefordert, nun stockt das Projekt. Foto: Matthias Cremer Das Ringen um Fairness in Regionen und Gemeinden Ein Fall von Wahlfälschung im Burgenland war Anlass für die jüngste (kleine) Wahlrechtsreform auf Bundesebene. Andere Wahlreform-Projekte in den Bundesländern sind allerdings in den letzten Jahren steckengeblieben. WIEN BURGENLAND ten Ende Jänner einer Regelung zu, wonach künftig nur jene Stimmen gezählt werden, die bis spätestens um 6.30 Uhr am Wahltag bei der Wahlbehörde eintreffen. Gleichzeitig wurden die vorgezogenen Wahltage gestrichen. Ein Spezifikum der blau-gelben Landesverfassung ist das Wahlrecht für Zweitwohnsitzer – sowohl auf Landtags- als auch auf Gemeindeebene. Daran will derzeit keine Partei rütteln. (hei) m Wahlkampf will man sich ja in Bürgermeister aus dem mittIschen nicht unbedingt mit dem politi- Eleren Burgenland hat bei der Gegner fotografieren lassen. Landtagswahl im Mai 2010 deutAlso traten die Landesparteichefs Christine Marek (VP), Maria Vassilakou (Grüne) und Heinz-Christian Strache (FP) vor der Wiener Gemeinderatswahl hintereinander vor die Kameras, um einen brisanten Notariatsakt zu unterschreiben: Sie verpflichteten sich dazu, das Wiener Wahlrecht zu ändern, sollte es eine Mehrheit gegen die Sozialdemokraten geben. Denn die derzeitige Regelung ist stark mehrheitsfördernd – sprich: Je nach Bezirksergebnissen können in der Bundeshauptstadt schon 46 Prozent für eine absolute Mandatsmehrheit im Gemeinderat genügen. Nun gibt es eine rot-grüne Koalition – und die Wahlrechtsreform ist eines der schwierigsten Themen zwischen den beiden Parteien, die sich im Koalitionspapier ein „modernes Verhältniswahlrecht“ vorgenommen haben. „One man, one woman, one vote“ lautet das Prinzip der Grünen, die SP will hingegen das direkte Wahlrecht stärken. Denkbar ist, dass die Wahlkreise neu eingeteilt werden, um die Zahl der erforderlichen Stimmen für ein Mandat anzugleichen. Alle bisherigen Vorschläge würden aber nichts daran ändern, dass das Wiener Wahlrecht „mehrheitsfördernd ist und bleiben wird“, hat die SP dazu in einem Papier festgehalten – mit dem Hinweis, dass das auch in anderen Bundesländern üblich sei. Koalitionärer Konsens herrscht bei dem Wunsch, EU-Bürgern das Wählen auf Gemeindeebene zu ermöglichen, ein entsprechender rot-grüner Beschluss wurde allerdings schon einmal vom Verfassungsgerichtshof gekippt. Nach geltender Judikatur bräuchte es dafür einen Beschluss mit Zweidrittelmehrheit im Nationalrat; die VP winkt freilich ab. Schwarze und Blaue beschwerten sich mehrfach darüber, dass die Stadtregierung das Gespräch mit der Opposition nicht suche – ein VierParteien-Treffen im Mai platzte aus Termingründen. (hei) lich gemacht, wie anfällig die Briefwahl für Missbrauch ist. Er gestand, 16 Wahlkarten gefälscht und selbst zur Post getragen zu haben, am 30. Juni wird ihm deshalb der Prozess gemacht. Die Landespolitik wird die Regeln zur Briefwahl nach dem Vorbild des Bundes ändern, darüber herrscht seit vergangenen Herbst Konsens. Zumindest darüber, dass die mitwählenden Briefe spätestens am Wahltag im Wahllokal sein müssen. Die SPÖ wäre für eine gänzliche Abschaffung der Briefwahl, Klubchef Christian Illedits könnte sich dafür einen zweiten Wahltag vorstellen, was sein schwarzes Pendant für einen „bürokratischen Aufwand“ hält. Der große Wurf, mit dem die SPÖ vor mehr als einem Jahr den Landtag beschäftigt hatte, bleibt weiter auf Eis. Geplant war eine Verkleinerung von Landtag (von 36 auf 34) und Landesregierung (von sieben auf fünf) und gleich auch eine Abschaffung des Proporzes. Das absehbare Scheitern dieses Plans war dann der Anlass für die vorgezogenen Wahlen 2010. Bei diesen verlor die SPÖ ihre Absolute, blieb aber deutlich stärkste Partei. Somit ist absehbar, dass das pannonische Persönlichkeitswahlrecht bleibt, nach dem die Vorzugsstimme die Parteistimme schlägt. Landeshauptmann Hans Niessl erhielt übrigens 52.258 Vorzugsstimmen. (wei) NIEDERÖSTERREICH ei den niederösterreichischen B Landtagswahlen 2008 wurde erstmals die Briefwahl eingesetzt – und die Niederösterreicher waren auch die Ersten, die die Fristen für die Stimmabgabe per Post wieder strenger reglementierten. Alle vier Landtagsparteien stimm- SALZBURG ie rot-schwarze LandeskoalitiD on in Salzburg hat sich im März dieses Jahres per Regie- rungsbeschluss zu einer Wahlrechtsreform entschlossen. Damit sollte die für Missbrauch anfällige Briefwahl so geändert werden, dass eine Stimmabgabe nach offiziellem Wahlschluss nicht mehr möglich wäre. Der Landtag als gesetzgebendes Organ wurde mit der von der Regierung vorgelegten Novellierung zwar befasst, beschlossen wurde aber nichts. Die Rechtsexperten im Amt der Landesregierung befürchteten, dass eine eigene Salzburger Regelung mit künftigen Bundesbestimmungen kollidieren könnte. Eine Verkleinerung des Landtags – im Salzburger Landtag sitzen seit Jahrzehnten 36 Abgeordnete – war in Salzburg nur kurz ein Thema. SPÖ-Landesparteivorsitzende Gabi Burgstaller hatte das Thema einige Male angesprochen, die Landeshauptfrau fand beim Koalitionspartner ÖVP aber kein Gehör. Dessen Argument: Im kleinräumig strukturierten Bundesland Salzburg würden so ganze Bezirke um ihre Vertretung in der Landespolitik gebracht. Die zwei kleinen Oppositionsparteien, FPÖ und Grüne, hätten mit einem kleineren Landtag auch wenig Freude. Alle vier Landtagsfraktionen (SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne) erstellen ihre Listen nach traditionellem Muster über Sektionen, Bezirke, Bünde und zentrale „Parteinotwendigkeiten“ oder wie die Grünen über die Landesversammlung. Auch bei der Persönlichkeitswahl bleibt man an der Salzach zurückhaltend. Eine Umreihung ist nur möglich, wenn ein Kandidat in einem Bezirk mehr Vorzugsstimmen erhält, als die Wahlzahl (also die für ein Mandat der Parteiliste notwendigen Stimmen) ausmacht. Die Chancen, dies zu erreichen, sind mäßig. (neu) TIROL VORARLBERG ie Mandatsvergabe sei in der ie 370.000 Vorarlberger werD Tiroler Wahlordnung – etwa Dden durch 36 Abgeordnete im Vergleich zu Wien – fair, sagt vertreten. Die Anzahl der Landder grüne Oppositionspolitiker Gebi Mair. Er ortet allerdings ein „Demokratiedefizit“: Denn es gebe zwei Ebenen im Wahlsystem. Erst würden die Wahlkreismandate vergeben und in einem zweiten Durchgang die Mandate für die Landesliste. Vorzugsstimmen gelten nur für den Regionalwahlkreis. „Dadurch werden nicht selten Mandatare verschoben“, kritisiert Mair. Und so sei es auch möglich, dass für einen Platz in der Tiroler Landesregierung kein Mandat notwendig sei. So wurden von der aktuellen Regierungsmannschaft nur zwei, die Landeshauptmannstellvertreter Hannes Gschwentner (SP) und Anton Steixner (VP), beim Wahlgang am 8. Juni 2008 auch gewählt. Im Gegensatz dazu weiß der Wähler auf Gemeindeebene, wen er wählt. Der Listenerste gilt als Bürgermeisterkandidat. (ver) KÄRNTEN as Kärntner Wahlrecht wurde D 2008 ein Jahr vor der Kärntner Landtagswahl maßgeblich geän- dert. Mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen wurde die für den Einzug in den Landtag geltende Zehn-Prozent-Hürde auf fünf Prozent gesenkt, um auch kleineren Parteien den Einzug in den Landtag zu ermöglichen. Jörg Haiders Freiheitliche, damals noch BZÖ, waren strikt dagegen gewesen. Sie ahnten, warum: Mit der kleineren Wahlhürde verpassten sie die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl 2009 nur knapp. Die Grünen wiederum, die sich nahezu halbiert hatten, schafften den Wiedereinzug um ein Haar. Wählen kann man in Kärnten ab 16, die Briefwahl wurde auf Gemeindeebene bereits „saniert“. Es dürfen nur mehr jene Stimmen gezählt werden, die bis zur Schließung des Wahllokals eingelangt sind. Auf Landesebene muss das noch im Landtag beschlossen werden. Diskutiert wird derzeit noch über die Abschaffung der Proporzregierung. (stein) tagssitze ist seit 1959 (zuvor waren es 26) unverändert. Wahlrechtsänderungen gehen im ÖVPLand nur langsam voran. So bestand bis 2004 Wahlpflicht. Zurzeit wird über getrennte Stimmzettel für Gemeindewahl und Bürgermeisterdirektwahl gestritten. Zwei Zettel, zwei Wahlen, sagt die Opposition. Die ÖVP will trotz vieler ungültiger Stimmen bei einem Zettel bleiben. Wegen des Mitnahmeeffekts, vermutet die Opposition und beschwerte sich beim Verfassungsgerichtshof. Das Verfahren ist noch anhängig. (jub) OBERÖSTERREICH as oberösterreichische WahlD recht wurde zuletzt 2009 einer größeren Änderung unterzogen. Neben der Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre wurden damals bereits entsprechende Rahmenbedingungen rund um die seit 2009 in Oberösterreich mögliche Briefwahl festgelegt. Oberösterreich ist das einzige Bundesland, dass nie eine – derzeit heftig umstrittene – Nachfrist für Wahlkarten hatte. Nur Stimmen werden mitgezählt, die bis Wahlschluss am Wahltag eingelangt sind. (mro) STEIERMARK in immer wieder diskutiertes E Mehrheitswahlrecht liegt seit Jahren – weil den Parteien doch zu heiß – auf Eis. Bewährt hat sich die „vorgezogene Stimmabgabe“. Die Stimme für die Landtags- und Gemeinderatswahl kann bereits neun Tage vor der Wahl abgegeben werden. Bei den jeweiligen Listen ist eine Vorreihung durch die Vergabe von Vorzugsstimmen möglich. Seit 1965 sind für den Landtag 56 Mandate zu vergeben, zuvor waren es 48 Mandate. (mue)