MACHT UND POLITIK Der erste und prunkvollste Stock des Hauses beschäftigt sich Impressum mit der “traditionellen“ Geschichtsbetrachtung: Ereignisse, Neue Dauerausstellung im ersten Obergeschoss Einzelpersonen (meist männliche), Recht, Ämter, Institutionen. Die Darstellung legt Wert auf Jahreszahlen und Chronologie. Inhaltliches Konzept: Sie kann nicht vollständig sein, sondern behandelt besonders Jürg Simonett aussagekräftige Beispiele. Aber immer geht es um Macht und Politik. Yves Mühlemann Sie stellt dieAusstellung „Machtfrage“: Gestaltung und Grafik: - wer hatte und wer hat Macht? gasser, derungs Innenarchitekturen - wie übte und übt man(n) Macht aus? - welche Arten von Macht gibt es? Massnahmen: -Bauliche wie erkennt man Macht? Hochbauamt Graubünden Die einzelnen Räume behandeln unter dieser Sichtweise wichtige Rudolf Fontana & Partner AG Themen der Bündner Geschichte: Heere und Kriege; Herren und Burgen; Drei Bünde und Übersetzungen:Veltlin; Die dunkle Seite der Justiz Untertanenland Standeskanzlei Graubünden Konstanten der Bündner Jessica Tang Geschichte sind das Interesse der fremden Mächte an den Pässen sowie die kleinteilige politische Landschaft. Die Stadt Chur schafft es nie, politisch eine hervorgehobene Fotos: zu erreichen. Wichtige Entwicklungen sind der mehrfache Stellung Rätisches Museum Gewinn und wieder Verlust der Untertanenlande im Süden sowie die Südostschweiz langsame Die Umorientierung Graubündens von Süden und Osten nach Norden und Westen.Tagblatt Bündner Für ein heutiges Verständnis sind manche Erscheinungen schwer Leihgaben: nachzuvollziehen, etwa Archäologischer Dienst Graubünden - die ausgeprägt lokale Basis von Macht und Politik und die fehlende gesamtstaatliche RegierungGraubünden bis ins 19. Jahrhundert; Kantonsbibliothek - die überaus drastischeGraubünden Verhör- und Bestrafungspraxis mit ihren Staatsarchiv Prozessen, Folterungen Hinrichtungen; Ehepaar Trepp, und Cinuos-chel - das Paradox der Drei Bünde, die sich als Demokratie verstehen, aber gleichzeitig Kolonialherren sind. „Politik ist der stets neu zu schaffende Kompromiss von Macht und Vernunft“. (C.F. von Weizsäcker) 34 Das Haus, in dem wir uns befinden, ist Teil dieser Geschichte. Die Familie von Buol gehörte während Jahrhunderten zur Bündner Führungsschicht. 2007 © Rätisches Museum, Chur 35 3 MACHT UND POLITIK DIE DUNKLE SEITE Wer hatte und wer hat Macht? DER JUSTIZ 1 Johannes Paul Beeli von Belfort, evang. Pfarrer in Chur (und Chiavenna?), um 1700 2 Walo Burkart, Kreisförster und Archäologe, 1877-1952 3 Gian Giacomo Trivulzio, Inhaber der Herrschaft Misox, 1487-1518 4 Andreas Gadient, Divisionär, geboren 1927 5 Napoleon Bonaparte, französischer Kaiser, 1769-1821 6 Eveline Widmer-Schlumpf, Regierungsrätin seit 1999, geboren 1956 7 Mädchen aus der Churer Familie Laurer, 1827-1846 8 Otto Barblan, Komponist, 1860-1943 9 Barbara Danuser aus Felsberg, Arbeitslehrerin und Gemüsegärtnerin, 1899-1986 10 Donat Cadruvi, Regierungsrat 1979-88, 1923-1998 11 Margaretha Enderlin von Montzwick, 1647-1711 12 Wilhelm Maria Rizzi, Kirchen- und Portrait-Maler, 1802-1858 13 Rodolfo Baldini und Giulia Baldini-Santi, Bergeller Familie in Italien, erste Hälfte 19. Jahrhundert 32 4 Das Drei Bünde war Sache Gerichtsgemeinden. 14 Strafrecht Gabrieleder de Gabrieli, Architekt ausder Roveredo, 1671-1747 Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts galten die lokalen „Statuten“. Auch Graubünden hieltvon man sich nach Churer 1532 zunehmend an die 15 inJohann Friedrich Tscharner, Publizist und „Carolina“, die Gerichtsordnung Kaiser Karls V. Politiker, 1780-1844 Bezüglich Rechtssicherheit bildete sie einen Fortschritt. 16 Strafarten Bernhard Laurer-Risch, Apotheker, Zunftmeister, Die blieben die gleichen: AbhauenChurer von Gliedmassen, 1764-1823 Rädern, Verbrennen, Hängen, Enthaupten. Verhängnisvoll war Elisabeth Laurer-Risch, Gattindie des Zunftmeisters die Tatsache, dass für ein Geständnis Folter erlaubt blieb. Bernhard, 1774-1847 Aussagen und zur Denunziation Dies führte zu erzwungenen unschuldiger Personen. 17 Martin Schreiber-Risch, Posthalter in Thusis, 1812-1871 Besonders im 17. Jahrhundert wütete in zahlreichen Talschaften der Abergläubische in Zeiten von 18 Hexenwahn. Ugo Foscolo, italienischerVorstellungen Dichter, Emigrant im Misox, Krieg, Hunger und Pest mischten sich mit Aggressionen gegen 1778-1827 Konkurrenten oder Aussenseiter. Die Mehrzahl der Opfer, denen Schadenzauber vorgeworfen wurde, waren Frauen. Zwischen dem 19 Ulysses von Salis-Marschlins, führender Politiker, 15. und 18. Jahrhundert mussten in Graubünden mindestens 500 1728-1800 angebliche Hexen oder Hexenmeister sterben. Eine spielte der Scharfrichter. Vor der1989-2006, Folter zeigte 20 zentrale Giusep Rolle Nay, eidgenössischer Bundesrichter er den geboren Angeklagten 1942die Instrumente, um ein frühes Geständnis zu erreichen. Meist sass nur in Chur ein „Meister Hans“. Die anderen Gerichtsgemeinden forderten ihn bei Bedarf an undund bezahlten nach 21 Johann Gaudenz von Salis-Seewis, Offizier Dichter, Tarif. Sein Gewerbe und seine Familie galten als unehrlich. Darum 1762-1834 wohnte er am Stadtrand, in der Scharfrichtergasse beim ehemaligen Untertor. 22 Giovanni Segantini, Maler, 1858-1899 Viele Richtstätten befanden sich in der Nähe der Landstrasse, um den 23 Karl die derFolge Grosse, König und Kaiser, 768-814 Passanten vondeutscher Verbrechen drastisch vor Augen zu führen. Die letzte Hinrichtung im Schams etwa fand 1831 statt, in Chur 1846. 24 kantonale Jörg Jenatsch, evangelischer Pfarrer, Politiker, Das Strafgesetz von 1851 kannte dieOffizier, Todesstrafe nur noch für wenige Kapitalverbrechen. 1811 noch war in Chur ein Mann 1596-1639 hingerichtet worden, weil er ein Schaf gestohlen hatte. 25 Vitus Huonder, Churer Bischof seit 2007, geboren 1942 Folter und Todesstrafe sind aus unserer Welt nicht verschwunden. Viele islamische Länder etwa oder die USA kennen die Hinrichtung. 26 unbekanntes sitzendes Kleinkind, Amnesty International setzt sich weiterhinum für1800 die weltweite Abschaffung der Folter ein. 27 Pater Placi a Spescha, Mönch und Forscher, 1752-1833 33 5 28 inoffizielle Georg Fient, kant. Kanzleisekretär und Schriftsteller, Die Hauptstadt Chur war seit spätestens 451 1845-1912 Bischofsstadt. Nach der Gründung des Gotteshausbundes 1367 schwand die Macht des Bischofs langsam. Durch die Gründung 29 fünf Josias Hartmann Schützenweltmeister, der Zünfte 1465 undaus die Says, Reformation nach 1523 emanzipierte 1893-1982 sich die Bürgerstadt endgültig. 30 Ortlieb von Brandis, Churer Bischof, 1458-1491 Ohne formelle Hauptstadt zu sein, erfüllte Chur aufgrund seiner Lage und wirtschaftlichen Bedeutung eine Zentrumsfunktion, 31 Angelika Kauffmann, Malerin, geboren in Chur, 1741-1807 ähnlich wie Chiavenna am Südfuss der Alpen. Für fremde Gesandte kam die einzige richtige Bündnerund Stadt als 32 Meta vonnur Salis-Marschlins, Historikerin Aufenthaltsort in Frage. Auch die unzufriedenen Landsleute Frauenrechtlerin, 1855-1915 strömten nach einem Fähnlilupf mit Vorliebe zum Strafgericht 33 Chur. Johannes Guler von Wynegg (der ältere), Heerführer, nach Historiker, 1562-1637 Als Vorort des Gotteshausbundes stand Chur auf gleicher Stufe 34 Davos Carlo Casati, spanischer Botschafter, gestorben 1730 wie (Zehngerichtenbund) und Ilanz (Grauer oder Oberer Bund). Die Bundstage mit den Ratsboten der Gerichtsgemeinden 35 Andreas Rudolf von Planta, Unternehmer und Politiker, fanden alternierend an diesen drei Orten statt. Chur gelang es 1819-1889 nie, Stadtstaat mit umliegendem Herrschaftsgebiet zu werden. Seine rechtliche Stellung unterschied sich nicht wesentlich von 36 Christian Klucker, Bergführer, 1852-1928 der der ländlichen Gerichtsgemeinden. 37 Giachen Caspar Muoth, Lehrer, Historiker und Dichter, Der Freistaat der Drei Bünde besass keine ständige Regierung. 1844-1906 Eine gesamtstaatliche Verwaltung gab es ebenfalls nicht. 38 wenigen A. Feldscher aus Aufgaben Masein, Schauspieler in Russland, Die laufenden übernahm Chur, die einzige 1825-1885 die über einen stabilen Apparat verfügte. Gerichtsgemeinde, Korrespondenzen an den Freistaat öffnete der Präsident des 39 Heini Hemmi,(bis Olympiasieger 1976Churer im Riesenslalom, Gotteshausbundes 1700 immer der Bürgermeister), geboren ein 1949Ratsmitglied. Der Churer Stadtschreiber besorgte nachher meist die Verteilung der wenigen gesamtstaatlichen Gelder. 40 Georg Philipp von Schauenstein, Freiherr von Haldenstein 1671-1695, auf einem Gulden 30 6 41 Johann Alois Wolf aus Untervaz, Die Untertanen 1512 eroberten die Drei Bünde das Veltlin und Schweizer Tambour-Major, 1839-1927 die Grafschaften Chiavenna und Bormio. So kontrollierten sie die Alpenpässe nicht nur am Nord- sondern auch am Südfuss. 42 Pompejus von Planta, führender Politiker, 1569-1621 Die Geschichtsschreibung ist sich uneinig, ob dem Veltlin und den 43 Henri Duc de Rohan, französischer Feldherr, 1579-1638 Grafschaften ursprünglich Gleichberechtigung zugesagt worden war. Tatsächlich wurden sie als Untertanenlande behandelt. 44 Claudius, römischer Kaiser, 41-54 n.Chr Oberster Statthalter war der Landeshauptmann mit Sitz in Sondrio. Ihm zur stand der Vicari. In Chiavenna sass der 45 Antonio de Seite Molina, Politiker und Militär aus dem Commissari, in sechs anderen Orten ein Podestà. Die Posten Calancatal, ca. 1580-1650 besetzten die Gerichtsgemeinden nach einem fixen Turnus. 46 Maximilian Franz, mehrere Male Regierungsrat, 1814-1889 Diesen Bündner Richtern standen die Einnahmen aus Bussen 47 Thomas Domenig, geboren 1933 und Prozessgebühren zu,Architekt, was zu krassen Missbräuchen und zum Ämterkauf führte. Darum kam es immer wieder zu Unruhen 48 Anna Meisser ausauch Klosters, geboren 1855 und Aufständen, die oft konfessionellen Charakter hatten. In der lokalen Verwaltung und im Wirtschaftsleben konnte die 49 Reto Gurtner, Tourismusunternehmer, geboren 1955 Bevölkerung ihre Selbstständigkeit bewahren. Die Oberschicht arbeitete nicht selten mit den Bündner Amtsleuten zusammen. 50 Sep Antoni Deragisch junior, Töpfer in Bugnei (Tujetsch), 1842-1931 Die immer zahlreicheren Beschwerden der Untertanen blieben erfolglos. Einevon Gleichberechtigung kam für die Mehrheit der 51 Fidelis Sigmaringen, Märtyrer, 1577-1622 Bündner auch nach der französischen Revolution nicht in Frage. So schlossen sichMartullo-Blocher, das Veltlin, Chiavenna und der Bormio 1797 der 52 Magdalena Leiterin EMS-Chemie Holding AG, gingen geboren 1969 Cisalpinischen Republik an und Graubünden endgültig verloren, was auch auf wirtschaftlicher Ebene ein enormer 53 Feuerstein, Jäger, Scuol, um 1920 VerlustCla war. Eine sonderbare Stellung besass die „Herrschaft“ Maienfeld, die 54 Francesco Trivulzio, letzter Inhaber sowohlGian Untertanenland mit einem Bündner Landvogt als Mitglied der Herrschaft Misox 1518-1549, auf einem Testone des Zehngerichtenbundes war. 55 Maria Franz, geborene Cloëtta, Gattin von Regierungsrat Franz, 1816-1897 31 7 56 Gerichtsgemeinden Johann Gaudenz von Salis-Seewis, undSigel, Dichter, Die „Wir haben eygenOffizier Staab und 1762-1834 Stock und Galgen, wir sind gottlob keinem frömden Fürsten und Herren nichts schuldig“, heisst es stolz im Landbuch, den 57 Tobias Deflorin, Kaminfegermeister in Trun, Statuten der Gerichtsgemeinde Avers von 1622. Es geboren nennt so 1903 die zentralen Symbole der Souveränität, die alle mit der eigenen 58 Jakob Ulrich Sprecher von Bernegg, führender Politiker, Gerichtsbarkeit zu tun haben. 1765-1841 Das Hochtal Avers war eine der gegen 50 Gerichtsgemeinden 59 Simeon Benedict, evangelischer Pfarrer in Chur, 1767-1832 im Freistaat der Drei Bünde. Diese verfügten allesamt über ein Mass anSprecher-von Unabhängigkeit. Jede Gerichtsgemeinde 60 hohes Amalia von Marchion, 1829-1879 umfasste ein Tal oder einen Talabschnitt. Sie vereinte meist einige Nachbarschaften, die in etwa Verleger, den heutigen politischen 61 Hanspeter Lebrument, geboren 1941 Gemeinden entsprechen. Der Gerichtsgemeinde stand der Landammann 62 den Und Habe ich auchaus Macht? Mache ich auch Politik? vor, dieich: Landsgemeinde den männlichen Bürgern erkor. Bei kriegerischen Ereignissen zog die Mannschaft, das Fähnlein, 63 John Hitz aus Schweizer Generalkonsul in unter der Fahne des Klosters, Hochgerichts ins Feld. Washington, 1797-1864 Die Gerichtsgemeinde Heinzenberg zum Beispiel gehörte zum 64 Richard Coray, Brückenbauer, 1869-1946 Hochgericht Thusis im Grauen (Oberen) Bund. Nachbarschaften innerhalb der Gerichtsgemeinde waren Flerden, Portein, Präz, 65 Diokletian, römischer Kaiser, 284-305 n. Chr. Sarn und Urmein. 66 Josephus von Planta, Vorsteher des British Museum, Jede Bündner Gerichtsgemeinde war so etwas wie ein Kleinstaat 1744-1827 mit weit reichenden Kompetenzen. Alle gehörten zu einem 67 Drei Peter Zumthor, Architekt,einen geboren 1943 der Bünde, die zusammen souveränen, aber recht schwachen Staat bildeten. Seine Kompetenzen waren beschränkt 68 lagen Alfred von Planta, Nationalrat, und vor(Florian allem inAdolf) der Aussenpolitik. Andere Bemühungen Botschafter in Rom und 1857-1922 um Vereinheitlichung, etwa vonBerlin, Mass und Gewicht, hatten wenig Erfolg. Noch im 18. Jahrhundert wog zum Beispiel ein Pfund im 69 Jakob Beeli-Sprecher, Cafétier in Posen (heute in Polen), Münstertal nicht gleich viel wie in Chur. 1791-1867 70 71 Jean deHansen“ Castelmur, Baron, adelige oder vornehme Die „Grossen Einfranz. paar Dutzend Burgbesitzer in Stampa-Coltura, 1800-1871 Daraus hervor Familien und Clans bildeten die Führungsschicht. ragten vor allem die Salis und die Planta. Im vergleichsweise 72 Augustus, Bünden römischer Kaiser,sich 27 v. Chr.-14 n. Chr. demokratischen konnten diese Geschlechter aber kaum auf politische Vorrechte berufen. Sie hoben sich ab 73 Banadetg Fontana, Freiheitsheld, gefallen 1499 aufgrund von Einkünften, Vermögen, Bildung und einem weit verzweigten Beziehungsnetz. Die Aristokratinnen blieben wie alle 74 Johann Wilhelm Fortunat Coaz, Topograf, Frauen von der politischen Öffentlichkeit ausgeschlossen, waren eidg. Oberforstinspektor, 1822-1918 aber ein wichtiger Teil der Heirats- und Erbstrategien. 75 Gaudenz von Planta, „der Bär“, führender Politiker, Der „Gemeine Mann“ überliess die wichtigsten und oft käuflichen 1757-1834 Ämter in Gerichtsgemeinden, Bünden und Untertanenlanden 76 Bündner Landeshauptmann dieserConrad Elite. Ervon warPlanta, von ihrerster zwar nicht politisch, aber häufig im Veltin, 1512 wirtschaftlich abhängig. In unregelmässigen Abständen kam es zu „Fähnlilupfen“ und 77 Giulia Santi, spätere Baldini, 1836 Strafgerichten gegen die sogenannten „Grossen Hansen“. Ein häufiger Vorwurf war, gegen das Landesinteresse gehandelt 78 Otto Largiadèr mit Familie, Regierungsrat 1975-1986, zu haben. Nicht selten verhängten diese Spezialgerichte geboren 1926 drakonische Strafen. Sie waren allerdings nicht immer ein Aufstand von unten, etwa in Zeiten von Krieg, Not und Hunger, 79 Felix Maria Diogg, Portrait-Maler, 1762-1834 sondern häufig ein Mittel der Parteipolitik. 80 Anton Cadonau, Kaufmann und Wohltäter, 1850-1929 Wohl wegen der Machtstellung einzelner Familien und der oft gewalttätigen kam es im 1794-1883 Volksmund zu folgendem 81 Richard La Politik Nicca, Ingenieur, makabrem Wort: In Bünden brauche es drei, um einen Menschen 82 Tiberius, Alpenfeldzug 15 v.(linken Chr., Unterarm vom Leben zumrömischer Tod zu bringen: Einen Salis Kaiser 14-37 n. Chr. nach oben abwinkeln), einen Planta (gleiche Bewegung mit dem rechten Unterarm) und einen Travers (darüber einen Querbalken 83 Christine Mohr, geboren 1671 andeuten). Leon Schlumpf, Bundesrat 1980-87, geboren 1925 28 8 29 9 HEERE DREI BÜNDE UND KRIEGE UND UNTERTANENLAND VELTLIN Vom Der rätische 16. bis 18. Raum Jahrhundert war als Nord-Süd bestand im Verbindung Gebiet desvon heutigen hoher Graubünden strategischerder Bedeutung. „FreistaatDie Gemeiner BündnerDrei Alpenpässe Bünde“. Es ermöglichten waren dies der während GraueJahrtausenden (Obere) Bund (Gründung Handel und1395), Verkehr, der Gotteshausbund sowohl im zivilen (1367) wie imund militärischen der Zehngerichtenbund Bereich. Wer sie (1436). beherrschte, verfügte über Macht und Reichtum. Bereits in der vorrömischen Zeit Die Gemeindendie und ihre Vertreter,Stämme die Lokalmagnaten, kontrollierten einheimischen den Zugang intraten die im Spätmittelalter immer mehr die des lokalen Feudaladels Alpentäler, leisteten TrägerundNachfolge Säumerdienste und profitierten an. wurde der Bundesbrief vondie 1524. Im von Verfassungsgrundlage Einnahmen aus dem Passverkehr. Später dienten rätischen heutigen Verständnis kann man kaum von einem Staat sprechen, Gebiete für die Machthaber Europas als Durchgangsland. Die fehlte doch eine eigentliche Zentralgewalt. zahlreichen militärischen Konflikte, welcheDie diegegen bewegte Geschichte 50 Gerichtsgemeinden – meist ein prägen, Talabschnitt – von Graubündens von der Antike bisein in Tal die oder Neuzeit zeugen bildeten kleineRolle Republiken für sich. Als „zugewandter Ort“ der wichtigen der Region. pflegten die Drei Bünde enge Beziehungen zur Eidgenossenschaft. 15 vor Christus führten die Römer einen Feldzug über die rätischen In den Gerichtsgemeinden entschied die Bürgerversammlung Pässe, um sich vor den Einfällen der Alpenstämme besser zu mit Mehrheitsentscheid. Die gleichen Gemeinden beschickten mit schützen und neue Provinzen zu erobern. Die einheimischen ihren Abgeordneten die Bundstage, die die wichtigsten Entscheide Kämpfer waren den römischen Legionen deutlich unterlegen. wieder den Gerichtsgemeinden vorlegen mussten. Auf allen Ebenen Ende des 15.Einfluss Jahrhunderts veranlasste die landesrechtlich bestimmten und Macht der Aristokratie die Abstimmungskomplexe Situation den Gotteshausbund und den und Wahlresultate. Zehngerichtenbund zur Allianz mit der Eidgenossenschaft gegen Die Stadt Chur besass kaumäusserst zusätzliche Rechte. Aufgrund ihrer die Habsburger. Der darauf blutig geführte Schwabenkrieg geografischen Lage, des Bischofssitzes relativen Grösse endete 1499 zugunsten der Eidgenossenund undihrer der Bündner. war sie Wirtschaftszentrum und inoffizielle Hauptstadt. Konfessionell und politisch wurde in Fast drei Jahrhunderte lang,zerstritten, von 1512 bis 1797,Graubünden herrschten die den Dreissigjährigen (1618-1648) verwickelt und drohte Drei Bünde über ihre Krieg Untertanen im Veltlin, Chiavenna und Bormio, zu zerbrechen. Verwüstungen Krieges folgten Pest und am Südfuss derDen Alpenpässe. Für diedes Grossmächte war Graubünden Hungersnot. so genannten Bündner Wirren hinterliessen wegen dieserDie Pässe interessant und wurde darum oft Opfer das Land in chaotischem Zustand. europäischer Auseinandersetzungen. 1799 entbrannten in Graubünden im Rahmen des zweiten Ende des 18. Jahrhunderts verlorKämpfe der Dreibündestaat seine Koalitionskrieges, welcher zwischen Frankreich und den „Kolonien“ und auch seine Unabhängigkeit. 1799-1803 warübrigen er europäischen Grossmächten geführt wurde. Trotz erbittertem Teil der Helvetischen Republik. Seit 1803 ist Graubünden ein Widerstand in der Surselva und im Unterengadin Bünde besetzten Kanton der schweizerischen Eidgenossenschaft. und französische Truppen das Land.weiter Das Gebiet wurde als Kanton Gerichtsgemeinden bestanden bis 1851/54. Danach warRätien in die Helvetische Republik integriert. der Kanton eingeteilt in 14 Bezirke, 39 Kreise und 227 Gemeinden. Landessprachen im konfessionell gemischten Graubünden sind Auch während des 2. und Weltkriegs war der Alltag der Bevölkerung Deutsch, Romanisch Italienisch. stark erschwert. Die wehrfähigen Männer leisteten Militärdienst an der Grenze und fehlten im heimischen Betrieb. 26 10 27 11 Würfelklappern 15 vor Christus : statt Der römische Waffenrasseln Alpenfeldzug Helme, Schwerter Tiberius und und Dolche Drusus,tauchen die Stiefsöhne im Fundgut von Kaiser der Burgen Augustus, selten starteten auf. Mit Ausnahme mit ihren der Legionen Pfeil- im undSommer Armbrustbolzen-Eisen 15 vor Chr. eine sind Offensive Waffenfunde gegen Norden. eher rar. Die antiken Waffen dienten Autorenauch berichten, zu Jagdzwecken dass die römischen und waren Heere adelige Statussymbole. innerhalb weniger Das Monate Alltagsleben von Westen der rätischen gegen denBurgherren Bodensee und war wohl von Süden seltendurch kriegerisch. das Bergell über den Septimer vorstiessen. Weitere Heereseinheiten rückten von Trento aus über den Manche ReschenVergnügen, oder den Brenner wie Ritterturniere, nach NordenJagd vor. oder Falknerei waren ausschliesslich dem Adel vorbehalten. Andere glichen denen Funde der aus einfachen dem Gebiet Leute. des Septimerpasses So erfreuten sich und Glücksspiele, dem bei Oberhalbstein welchen oftbelegen, hohe Geldbeträge dass Einheiten eingesetzt aus drei wurden, Legionen grosser im Beliebtheit. Vormarsch waren. Gespielt Neben wurde Schleuderbleien mit meist aus Knochen mit den Stempeln angefertigten der Würfeln. 3., 10. undBrettspiele 12. Legion wie fanden Backgammon sich andereund Geschosse, Mühle waren Fragmente verbreitet. diverser Waffen, Schach, Schuhnägel, das aus dem Fibeln, Fernen Zelt-Heringe Osten stammte, und Münzen. fand auch in Rätien grossen Anklang. Im Gebiet der Crap Ses-Schlucht (Oberhalbstein) kam es wohl zu Gelegentlich Gefechten. Der erfüllte römische Musik Heeresverband die Säle der Burgen. war denRaffinierte einheimischen SaitenTruppenoder deutlich Blasinstrumente überlegen. Die wurden Legionen in Graubünden konnten über keine die gefunden. Lenzerheide Hier bismusizierte nach Churund vorstossen. sang man Von wohl dort hauptsächlich aus wurde der mit Anmarsch einfachen durchs Instrumenten. Alpenrheintal Besonders nach Norden beliebt weitergeführt. waren Maultrommeln Im Bodenseeraum undsammelten aus Knochen sich geschnitzte die gesamten Flöten. römischen Fahrende Spielleute Truppen, um dürften nach Augsburg die Burgbewohner weiter zuhie ziehen. und da unterhalten haben, wie auch Minnesänger, die von ihrer Liebe zu einer unerreichbaren Während des ganzen adligen Feldzugs Dame sangen. sollen nicht Überweniger die Verbreitung als 46 Völker der besiegt ritterlichen worden Kultur sein. Dazu im rätischen dürften die Adel Rigusci besteht (Oberhalbstein, keine Klarheit. Immerhin Hinterrheintal?), weisendie zwei Suanetes Darstellungen (Vorderrheintal?) aus der Manessischen und die Liederhandschrift Calucones (um Chur) undgezählt die Terrakottafigur haben. Die Alpenstämme eines Minnepaares verhielten auf sicheinem in der Pferd Folge in ruhig diese und Richtung. zeigten sich der römischen Herrschaft ergeben. Die Eroberung der Alpen stellte einen bedeutenden Schritt in der römischen Expansionspolitik dar. 1499 Wohnen : Der in Schwabenkrieg der Burg In hochmittelalterlichen Der Schwabenkrieg Burgen war geprägt war es durch kühl und eine dunkel. Vielzahl Nur grosser wenigeSchlachten Räume konnten und kleiner beheiztÜberfälle. werden. Den Im Winter Eidgenossen mussten und dieden Burgbewohner Bündnern gelangen die Fensterscharten dabei mit entscheidende Holzläden verriegeln, Erfolgeum gegen sichdie vorhabsburgische Wind und KälteÜbermacht. zu schützen. Das Zentrum der Behausung war die Feuerstelle. Diese diente Die gleichermassen Zivilbevölkerung zum litt Heizen, starkKochen unter den undKriegshandlungen. Beleuchten. Besonders das Münstertal und das Engadin wurden verwüstet. Erschütternde Das Aufkommen Berichte des Kachelofens schildern im dasausgehenden Kriegselend und die Hungersnot 12. Jahrhundert dieser machte Zeit. Auch das Leben unter auf dender Kämpfern Burg wesentlich kam es zu grausamen angenehmer. Massakern. Ein neuer warmer Gerade die Raum Eidgenossen ohne Rauch hatten entstand: den Ruf, keine die Stube. Gefangenen Die Kacheln zu machen. der Öfen waren zunächst becherförmig, später viereckig, glasiert und verziert. In der Schlacht an der Calven, am 22. Mai 1499, lieferten sich die habsburgischen Im Verlauf des 14. Truppen, Jahrhunderts etwa 13’000 ermöglichte Mann, an dieeiner aufkommende Schanze ein Verglasung erbittertes grössere Gefecht Fensteröffnungen. mit ungefähr 8’000 Repräsentative Bündnern. Dank dem Säle legendären waren somitOpfertod ganzjährig desnutzbar. Bündner Solche Hauptmannes Räume waren Benedikt Fontana nicht selten gelang verputzt schliesslich und bemalt der Durchbruch. oder mit Ritzdarstellungen Die Habsburger ergriffen geschmückt, die Flucht später und bisweilen erlitten getäfert. in der Verwirrung Ob sie mit Wandteppichen grosse Verluste. behängt waren, Diese Schlacht lässt sichund für Benedikt Graubünden Fontana nichtwurden bestimmen. im Laufe In vielen derBurgen zweitenbelegte Hälfte man des 19. denJahrhunderts Boden mit Fliesen zum Symbol in der Freiheit geometrischen Graubündens. oder figürlichen Seine Heldenverehrung Mustern. fand 1899 an der Calvenfeier ihren Höhepunkt. Burgen waren wohl spärlich mit hölzernen Möbeln eingerichtet. Auch FundeDonna wie Beschlagteile, Lupa fand einen verzierte Ehrenplatz Schlösser in derund Bündner Schlüssel Geschichte. lassen auf den Alshäufigen Tiroler Truppen Gebrauch nach vonTschlin Truhengelangten, und Kästen sollen sie von schliessen. Donna Lupa Tische, mitStühle, einer List Bänke zumund Rückzug Bettenbewegt haben worden sich keine sein. erhalten. An Haushaltsgerät wurden Kochtöpfe und Trinkbecher Der aus Speckstein Krieg endete (Lavez), im Herbst hölzernes 1499 mit Geschirr dem Frieden und eiserne von Basel zugunsten Messer gefunden. der Eidgenossen Alle dieseund Fundobjekte der Bündner, zeugen die dadurch von einem ihre Selbstständigkeit bescheidenen Alltagsleben. innerhalb des Heiligen Römischen Reiches bekräftigen konnten. 24 12 25 13 1603-1639 Die Machthaber : Die Bündner in RätienWirren Nach dem Während Zusammenbruch des Dreissigjährigen des Krieges weströmischen 1618-1648 Reiches gerietging der Rätien konfessionell ans ostgotische, und politisch 537 ans gespaltene Frankenreich Bündner über. Hauptsitz Freistaatder ins Verwaltung Spannungsfeld undder zugleich Grossmächte. Bischofsitz warDie Chur. Familie Die Streitigkeiten von Planta unterstützte zwischen den vor fränkischen allem Österreich Teilreichen und ermöglichten Spanien, die eine von weitgehende Salis Frankreich Selbstständigkeit. und Venedig. Bis Mitte des 8. Jahrhunderts regierten die Victoriden, eine Familie 1620 aus der drangen einheimischen spanischeFührungsschicht. Truppen ins Veltlin Sieund waren östereichische sowohl ins geistliche Münstertal als auch ein. weltliche Im VeltlinMachthaber. wurden rundNach 600 Protestanten ihrem Aussterben ermordet. 765 (Bischof 1622 Tello), gingen wurde dieChurrätien Bündner Untertanenlande wieder enger insauch fränkische formell Reich integriert. verloren.Die In den weltliche kommenden Macht ging zweischrittweise Jahrzehntenvon den übernahmen Bischöfen an die Grafen ausländischen über. Parteien abwechselnd die Macht in Bünden. Die Österreicher strebten mit Hilfe des Kapuzinerordens Ab dem 11. Jahrhundert die Rekatholisierung gewannen die Churer der reformierten Bischöfe wieder Gebiete an an. Einfluss. Der ehemalige Sie übernahmen reformierte herrschaftliche Pfarrer Jörg Rechte Jenatsch und führte betrieben als Machtpolitik. KriegsherrSie und führten Politiker Krieg denund Widerstand strebten nach gegenErweiterung ÖsterreichSpanien ihrer Besitztümer. an und beteiligte Basis ihrer sich 1621 Macht am war Mord die an Kontrolle Pompejus der von Pässe. Planta. Dafür erhielt Mit dem dasPrättigauer Bistum umfangreiche Sturm von 1622 Privilegien wehrten von sich dendie Bauern Königengegen und Kaisern, die österreichische wie die Gerichtsbarkeit, Herrschaft. das Pater Zoll-, Fidelis Marktvon Sigmaringen, und Münzrecht. Leiter der Kapuzinermission, wurde erschlagen. 1631 Neben erlangten den Bischöfen die Franzosen verteilteunter sich die derMacht Führung auf von bischöfliche Herzog Henri Vögte,de Reichsvögte Rohan die und Oberhand. auf die Aus bedeutenden OppositionFamilien zur andauernden der französischen Tarasper, Rhäzünser, Besatzung Vazer wechselte sowie minder Jenatsch wichtige die Seiten: Adlige im Er Vorderrheintal. konvertierte zum Ab dem katholischen 11. Jahrhundert Glauben begannen und verbündete manche sich dieser heimlich Mächtigen mit Spanien Burgen zu und bauen. Österreich. Ihnen folgten 1637 mussten die kleineren die Franzosen Adeligen und abziehen. die Dienstmannen Bünden erhielt der geistlichen im Mailänder undKapitulat weltlichen 1639 seine Machthaber. Untertanengebiete Die Aufsplitterung zurück.der ImHerrschaftsrechte, gleichen Jahr wurde Jörg einhergehend Jenatsch mit in Chur demumgebracht. allmählichem Machtverlust des Bischofs, spiegelt sich im engmaschigen Bündner Burgennetz. 22 14 Burgen alsFranzosen Bauernhöfe Im Gegensatz zu Burgen Rhäzüns, 1799 : Die kommen 1798 schlossen diewie Drei Bünde Mesocco, Belfort, sowie dem bischöflichen Hofbetrachtete zu Chur, welche ein Militärbündnis mit Österreich. Frankreich dies landesherrliche Residenzen waren, das Lebenfranzösische auf den als Neutralitätsbruch. Im März 1799hatte marschierten kleineren oft wenig höfischer Kultur zu tun. Truppen inBurgen Graubünden ein.mit In der Surselva und im Unterengadin kam es zu heftigen Gefechten. Die folgende Zeit war geprägt Die Geräuschkulisse des Alltags bildete nicht Waffengeklirr, durch ständige Machtwechsel. sondern Herdengeläut, Geschrei der Tiere und Lärm der Handwerker. Vieh und lebten auf engstem Raum Im Mai 1799 begann in Menschen der Surselva ein Aufstand. zusammen. Er gipfelte in der verheerenden Niederlage der 6’000 Oberländer in der Schlacht bei Reichenau. In diesem und weiteren Gefechten Die Bedeutung der Burg Kämpfer. als Landwirtschaftbetrieb fielen 638 einheimische Die Dörfer Taminszeigt und sich anhand Bodenfunde. Mit Hacken, Sicheln undin Rebmessern Disentisder wurden von den französischen Soldaten Schutt wurde auf Äckern in Gärten gearbeitet. Äxte undauch Ketten und Asche gelegt. und Die Franzosen rächten sich blutig an belegen die Forstwirtschaft. Schellen und Mistgabeln der Zivilbevölkerung für Massaker, welche die Bündnerstammen an von der Viehhaltung. Spezielle Bedeutung dem dieser Pferd als französischen Gefangenen verübt hatten. kam Während Reit-, Trag- und Zugtier Anna zu. SoMaria sind Sporen, Hufeisen, Hufnägel, Geschehnisse erlangte Bühler heldenhafte Trensen, Steigbügel und Metallteile Zaumzeuges unter den Berühmtheit als „Kanonenmaid von des Ems“. Beim Rückzug der Grabungsfunden Franzosen durch vertreten. ihr Dorf griff sie in die Zügel der Pferde, welche ein französisches Geschütz zogen, so dass die Bauern die Kanone Knochenfunde bestätigen, dass die Jagd für den Adel hohen erobern konnten. gesellschaftlichen Wert besass. Gejagt wurden hauptsächlich Hirsche, Gämsen, Steinböcke, Bären und Wildschweine. Auch Zu den markanten Figuren dieses Krieges zählte der russische Fischfang wurde rege betrieben. der Österreicher. Es gelang General Suworow als Verbündeter ihm und seinen Truppen, den Übergang über den verschneiten Handwerkliche fürzu den Eigenbedarf, beispielsweise Panixerpass im Tätigkeiten Oktober 1799 erzwingen. Grosses Aufsehen Flickarbeiten am französische Hausrat oderGeneral Unterhalt von Gebäuden, erregte auch der MacDonald, der wurden auf Burgvon selbst An solchen Arbeiten eineder Armee runderledigt. 15’000 Mann im Winter 1800 war überwohl den meist nicht nur das Gesinde, sondern auch die Ritterfamilie Splügenpass führte. beteiligt. Die Beschäftigungen der adligen Frauen dokumentieren Nähnadeln, Fingerhüte, Spindeln, Webegewichte. Der Krieg endete mit dem Frieden Spinnwirtel zu Lunévilleund im Februar 1800. Österreich musste Graubünden räumen. 23 15 1939-45 : Graubünden und der Zweite Weltkrieg Von den Gräueln HERREN BURGEN des Krieges blieben dieUND Schweiz und Graubünden verschont. Jedoch waren die Zeiten geprägt von Knappheit und der Angst vor einer deutschen Besetzung. Am 28. August 1939 mobilisierte der Bundesrat die Grenztruppen, zwei Tage danach wurde Henri Guisan von der Bundesversammlung zum General gewählt. Anfang September erfolgte die Mobilisation der gesamten Schweizer Armee. Die wehrfähigen Männer mussten ihr Zuhause verlassen und zu einem langen Dienst antreten, während die zurückgelassenen Familien unter dem Mangel an Arbeitskräften litten. Lebensmittel und Brennstoffe wurden stufenweise streng rationiert. Mit der so genannten „Anbauschlacht“ wollte man die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln sichern. Jede verfügbare Fläche wurde bepflanzt. Zahlreiche Verfolgte suchten Schutz in der Schweiz – nicht immer mit Erfolg. Auch die Südtäler Graubündens sahen viele Flüchtlingsschicksale. 1941 wurden 1200 polnische Internierte nach Graubünden verlegt. Zahlreiche „Polenwege“, etwa im Safiental, im Churer Rheintal und im Domleschg zeugen von der Arbeit, die sie hier leisteten. Die Bevölkerung musste abends die Fenster verdunkeln. In den Grenzgebieten hörte man gegen Ende des Krieges fast jede Nacht Bomber über sich hinweg donnern. Beschädigte allierte Flugzeuge stürzten ab oder mussten notlanden. Während des ganzen Krieges wurden mehrmals Bomben über der Schweiz abgeworfen. Am 22. Februar 1945 wurde Vals bombardiert. Menschen kamen ums Leben oder erlitten Verletzungen. 16 20 Die mittelalterliche Gesellschaft war klar gegliedert. Ihre verschiedenen Schichten waren miteinander verbunden durch Rechts- und Herrschaftsnormen, wie Schutz, Abgabenpflicht oder Eid. Kaiser oder Könige verliehen Privilegien an Adel und Klerus. In Churrätien waren dies in erster Linie die Bischöfe von Chur. Diese Vasallen wiederum verliehen Teile ihrer Ländereien an niedrige Adlige. Zu den wichtigsten Vertretern der regionalen Oberschicht des Spätmittelalters gehörten die Familien von Vaz, Rhäzüns, Sagogn-Wildenberg, Tarasp, Sax-Misox und Belmont bei Flims, Werdenberg-Sargans, wie auch Matsch im Vintschgau. Das Gebiet des heutigen Kantons Graubündens entwickelte sich ab dem 11. bis anfangs 14. Jahrhundert zum ausgesprochenen Burgenland. Burgen waren Zentren kleiner Herrschaftsgebiete und Symbole regionaler Macht. Zugleich waren sie Wohnsitze, landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebe. Die verstreuten Burgen in Rätien hatten keine koordinierte, militärisch-strategische Funktion. In der Regel bestanden sie bloss aus einem Turmbau, umgeben von kleineren Wirtschaftsgebäuden und einer Ringmauer. Die Bewohnerzahl einer durchschnittlichen Burg lag in ruhigen Zeiten wohl zwischen 15 und 20 Personen. Im ausgehenden Mittelalter wurden viele Burgen zerstört, verlassen oder umgebaut. Mit neuen Wohntrakten, besserer Innenausstattung und repräsentativen Räumen wurde der Wohnkomfort gesteigert. Zahlreiche archäologische Funde dokumentieren das Leben der Burgbewohner. Auch wenn Fehden, Belagerungen und Zerstörungen bezeugt sind, war Krieg kein vorherrschendes Element im Burgenalltag. Waffenfunde sind ausser den Armbrustbolzenund Pfeileisen selten. Bei den Funden handelt es sich meist um Gebrauchsgegenstände. Sie zeugen von einem bescheidenen Alltagsleben und sprechen gegen eine Verbreitung höfischer Kultur im rätischen Adel. Viele Fundgegenstände von Burgengrabungen belegen Handwerk „Macht ist jede Chance, innerhalb einerAusserdem sozialen Beziehung und Handarbeit, wie Nähen und Weben. weisen den eigenen Willen auch Widerstreben durchzusetzen“. zahlreiche Bodenfunde diegegen zentrale Bedeutung der Landwirtschaft auf Burgen nach. (Max Weber) 21 17 Veltlin, Chiavenna und Bormio werden Bündner Untertanenlande Schwabenkrieg mit Schlacht an der Calven Gründung der fünf Churer Zünfte Gründung des Zehngerichtenbundes Gründung des Grauen oder Oberen Bundes Gründung des Gotteshausbundes 1512 1499 1465 1436 1395 1367 ca. 10’000 v. Chr. 15 vor Christus 451 nach Chr. erste Spuren menschlicher Tätigkeit (Chur-Marsöl) Eroberung Rätiens durch die Römer erste Erwähnung eines Bischofs in Chur (Asinio) Beginn des Burgenbaus Beginn der Reformation in weiten Teilen Graubündens 1523 11. Jahrhundert Bundesbrief der Drei Bünde 1524 Bündner Wirren Letzter Hexenprozess in Graubünden (Oberhalbstein) 1779 1603 – 1639 Untertanenlande schliessen sich der Cisalpinischen Republik an Graubünden ist Teil der Helvetischen Republik 1799-1803 1797 Graubünden wird ein schweizerischer Kanton Die Schweiz bleibt vom 1. und 2. Weltkrieg verschont Frauenstimmrecht auf schweizerischer und kantonaler Ebene Erste Bündner Regierungsrätin (Eveline Widmer-Schlumpf) 1803 1914-18, 1939-45 1971, 1972 1999 MACHT UND POLITIK Eine kurze Chronologie 1939-45 : Graubünden und der Zweite Weltkrieg Von den Gräueln HERREN BURGEN des Krieges blieben dieUND Schweiz und Graubünden verschont. Jedoch waren die Zeiten geprägt von Knappheit und der Angst vor einer deutschen Besetzung. Am 28. August 1939 mobilisierte der Bundesrat die Grenztruppen, zwei Tage danach wurde Henri Guisan von der Bundesversammlung zum General gewählt. Anfang September erfolgte die Mobilisation der gesamten Schweizer Armee. Die wehrfähigen Männer mussten ihr Zuhause verlassen und zu einem langen Dienst antreten, während die zurückgelassenen Familien unter dem Mangel an Arbeitskräften litten. Lebensmittel und Brennstoffe wurden stufenweise streng rationiert. Mit der so genannten „Anbauschlacht“ wollte man die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln sichern. Jede verfügbare Fläche wurde bepflanzt. Zahlreiche Verfolgte suchten Schutz in der Schweiz – nicht immer mit Erfolg. Auch die Südtäler Graubündens sahen viele Flüchtlingsschicksale. 1941 wurden 1200 polnische Internierte nach Graubünden verlegt. Zahlreiche „Polenwege“, etwa im Safiental, im Churer Rheintal und im Domleschg zeugen von der Arbeit, die sie hier leisteten. Die Bevölkerung musste abends die Fenster verdunkeln. In den Grenzgebieten hörte man gegen Ende des Krieges fast jede Nacht Bomber über sich hinweg donnern. Beschädigte allierte Flugzeuge stürzten ab oder mussten notlanden. Während des ganzen Krieges wurden mehrmals Bomben über der Schweiz abgeworfen. Am 22. Februar 1945 wurde Vals bombardiert. Menschen kamen ums Leben oder erlitten Verletzungen. 16 20 Die mittelalterliche Gesellschaft war klar gegliedert. Ihre verschiedenen Schichten waren miteinander verbunden durch Rechts- und Herrschaftsnormen, wie Schutz, Abgabenpflicht oder Eid. Kaiser oder Könige verliehen Privilegien an Adel und Klerus. In Churrätien waren dies in erster Linie die Bischöfe von Chur. Diese Vasallen wiederum verliehen Teile ihrer Ländereien an niedrige Adlige. Zu den wichtigsten Vertretern der regionalen Oberschicht des Spätmittelalters gehörten die Familien von Vaz, Rhäzüns, Sagogn-Wildenberg, Tarasp, Sax-Misox und Belmont bei Flims, Werdenberg-Sargans, wie auch Matsch im Vintschgau. Das Gebiet des heutigen Kantons Graubündens entwickelte sich ab dem 11. bis anfangs 14. Jahrhundert zum ausgesprochenen Burgenland. Burgen waren Zentren kleiner Herrschaftsgebiete und Symbole regionaler Macht. Zugleich waren sie Wohnsitze, landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebe. Die verstreuten Burgen in Rätien hatten keine koordinierte, militärisch-strategische Funktion. In der Regel bestanden sie bloss aus einem Turmbau, umgeben von kleineren Wirtschaftsgebäuden und einer Ringmauer. Die Bewohnerzahl einer durchschnittlichen Burg lag in ruhigen Zeiten wohl zwischen 15 und 20 Personen. Im ausgehenden Mittelalter wurden viele Burgen zerstört, verlassen oder umgebaut. Mit neuen Wohntrakten, besserer Innenausstattung und repräsentativen Räumen wurde der Wohnkomfort gesteigert. Zahlreiche archäologische Funde dokumentieren das Leben der Burgbewohner. Auch wenn Fehden, Belagerungen und Zerstörungen bezeugt sind, war Krieg kein vorherrschendes Element im Burgenalltag. Waffenfunde sind ausser den Armbrustbolzenund Pfeileisen selten. Bei den Funden handelt es sich meist um Gebrauchsgegenstände. Sie zeugen von einem bescheidenen Alltagsleben und sprechen gegen eine Verbreitung höfischer Kultur im rätischen Adel. Viele Fundgegenstände von Burgengrabungen belegen Handwerk „Macht ist jede Chance, innerhalb einerAusserdem sozialen Beziehung und Handarbeit, wie Nähen und Weben. weisen den eigenen Willen auch Widerstreben durchzusetzen“. zahlreiche Bodenfunde diegegen zentrale Bedeutung der Landwirtschaft auf Burgen nach. (Max Weber) 21 17 1603-1639 Die Machthaber : Die Bündner in RätienWirren Nach dem Während Zusammenbruch des Dreissigjährigen des Krieges weströmischen 1618-1648 Reiches gerietging der Rätien konfessionell ans ostgotische, und politisch 537 ans gespaltene Frankenreich Bündner über. Hauptsitz Freistaatder ins Verwaltung Spannungsfeld undder zugleich Grossmächte. Bischofsitz warDie Chur. Familie Die Streitigkeiten von Planta unterstützte zwischen den vor fränkischen allem Österreich Teilreichen und ermöglichten Spanien, die eine von weitgehende Salis Frankreich Selbstständigkeit. und Venedig. Bis Mitte des 8. Jahrhunderts regierten die Victoriden, eine Familie 1620 aus der drangen einheimischen spanischeFührungsschicht. Truppen ins Veltlin Sieund waren östereichische sowohl ins geistliche Münstertal als auch ein. weltliche Im VeltlinMachthaber. wurden rundNach 600 Protestanten ihrem Aussterben ermordet. 765 (Bischof 1622 Tello), gingen wurde dieChurrätien Bündner Untertanenlande wieder enger insauch fränkische formell Reich integriert. verloren.Die In den weltliche kommenden Macht ging zweischrittweise Jahrzehntenvon den übernahmen Bischöfen an die Grafen ausländischen über. Parteien abwechselnd die Macht in Bünden. Die Österreicher strebten mit Hilfe des Kapuzinerordens Ab dem 11. Jahrhundert die Rekatholisierung gewannen die Churer der reformierten Bischöfe wieder Gebiete an an. Einfluss. Der ehemalige Sie übernahmen reformierte herrschaftliche Pfarrer Jörg Rechte Jenatsch und führte betrieben als Machtpolitik. KriegsherrSie und führten Politiker Krieg denund Widerstand strebten nach gegenErweiterung ÖsterreichSpanien ihrer Besitztümer. an und beteiligte Basis ihrer sich 1621 Macht am war Mord die an Kontrolle Pompejus der von Pässe. Planta. Dafür erhielt Mit dem dasPrättigauer Bistum umfangreiche Sturm von 1622 Privilegien wehrten von sich dendie Bauern Königengegen und Kaisern, die österreichische wie die Gerichtsbarkeit, Herrschaft. das Pater Zoll-, Fidelis Marktvon Sigmaringen, und Münzrecht. Leiter der Kapuzinermission, wurde erschlagen. 1631 Neben erlangten den Bischöfen die Franzosen verteilteunter sich die derMacht Führung auf von bischöfliche Herzog Henri Vögte,de Reichsvögte Rohan die und Oberhand. auf die Aus bedeutenden OppositionFamilien zur andauernden der französischen Tarasper, Rhäzünser, Besatzung Vazer wechselte sowie minder Jenatsch wichtige die Seiten: Adlige im Er Vorderrheintal. konvertierte zum Ab dem katholischen 11. Jahrhundert Glauben begannen und verbündete manche sich dieser heimlich Mächtigen mit Spanien Burgen zu und bauen. Österreich. Ihnen folgten 1637 mussten die kleineren die Franzosen Adeligen und abziehen. die Dienstmannen Bünden erhielt der geistlichen im Mailänder undKapitulat weltlichen 1639 seine Machthaber. Untertanengebiete Die Aufsplitterung zurück.der ImHerrschaftsrechte, gleichen Jahr wurde Jörg einhergehend Jenatsch mit in Chur demumgebracht. allmählichem Machtverlust des Bischofs, spiegelt sich im engmaschigen Bündner Burgennetz. 22 14 Burgen alsFranzosen Bauernhöfe Im Gegensatz zu Burgen Rhäzüns, 1799 : Die kommen 1798 schlossen diewie Drei Bünde Mesocco, Belfort, sowie dem bischöflichen Hofbetrachtete zu Chur, welche ein Militärbündnis mit Österreich. Frankreich dies landesherrliche Residenzen waren, das Lebenfranzösische auf den als Neutralitätsbruch. Im März 1799hatte marschierten kleineren oft wenig höfischer Kultur zu tun. Truppen inBurgen Graubünden ein.mit In der Surselva und im Unterengadin kam es zu heftigen Gefechten. Die folgende Zeit war geprägt Die Geräuschkulisse des Alltags bildete nicht Waffengeklirr, durch ständige Machtwechsel. sondern Herdengeläut, Geschrei der Tiere und Lärm der Handwerker. Vieh und lebten auf engstem Raum Im Mai 1799 begann in Menschen der Surselva ein Aufstand. zusammen. Er gipfelte in der verheerenden Niederlage der 6’000 Oberländer in der Schlacht bei Reichenau. In diesem und weiteren Gefechten Die Bedeutung der Burg Kämpfer. als Landwirtschaftbetrieb fielen 638 einheimische Die Dörfer Taminszeigt und sich anhand Bodenfunde. Mit Hacken, Sicheln undin Rebmessern Disentisder wurden von den französischen Soldaten Schutt wurde auf Äckern in Gärten gearbeitet. Äxte undauch Ketten und Asche gelegt. und Die Franzosen rächten sich blutig an belegen die Forstwirtschaft. Schellen und Mistgabeln der Zivilbevölkerung für Massaker, welche die Bündnerstammen an von der Viehhaltung. Spezielle Bedeutung dem dieser Pferd als französischen Gefangenen verübt hatten. kam Während Reit-, Trag- und Zugtier Anna zu. SoMaria sind Sporen, Hufeisen, Hufnägel, Geschehnisse erlangte Bühler heldenhafte Trensen, Steigbügel und Metallteile Zaumzeuges unter den Berühmtheit als „Kanonenmaid von des Ems“. Beim Rückzug der Grabungsfunden Franzosen durch vertreten. ihr Dorf griff sie in die Zügel der Pferde, welche ein französisches Geschütz zogen, so dass die Bauern die Kanone Knochenfunde bestätigen, dass die Jagd für den Adel hohen erobern konnten. gesellschaftlichen Wert besass. Gejagt wurden hauptsächlich Hirsche, Gämsen, Steinböcke, Bären und Wildschweine. Auch Zu den markanten Figuren dieses Krieges zählte der russische Fischfang wurde rege betrieben. der Österreicher. Es gelang General Suworow als Verbündeter ihm und seinen Truppen, den Übergang über den verschneiten Handwerkliche fürzu den Eigenbedarf, beispielsweise Panixerpass im Tätigkeiten Oktober 1799 erzwingen. Grosses Aufsehen Flickarbeiten am französische Hausrat oderGeneral Unterhalt von Gebäuden, erregte auch der MacDonald, der wurden auf Burgvon selbst An solchen Arbeiten eineder Armee runderledigt. 15’000 Mann im Winter 1800 war überwohl den meist nicht nur das Gesinde, sondern auch die Ritterfamilie Splügenpass führte. beteiligt. Die Beschäftigungen der adligen Frauen dokumentieren Nähnadeln, Fingerhüte, Spindeln, Webegewichte. Der Krieg endete mit dem Frieden Spinnwirtel zu Lunévilleund im Februar 1800. Österreich musste Graubünden räumen. 23 15 Würfelklappern 15 vor Christus : statt Der römische Waffenrasseln Alpenfeldzug Helme, Schwerter Tiberius und und Dolche Drusus,tauchen die Stiefsöhne im Fundgut von Kaiser der Burgen Augustus, selten starteten auf. Mit Ausnahme mit ihren der Legionen Pfeil- im undSommer Armbrustbolzen-Eisen 15 vor Chr. eine sind Offensive Waffenfunde gegen Norden. eher rar. Die antiken Waffen dienten Autorenauch berichten, zu Jagdzwecken dass die römischen und waren Heere adelige Statussymbole. innerhalb weniger Das Monate Alltagsleben von Westen der rätischen gegen denBurgherren Bodensee und war wohl von Süden seltendurch kriegerisch. das Bergell über den Septimer vorstiessen. Weitere Heereseinheiten rückten von Trento aus über den Manche ReschenVergnügen, oder den Brenner wie Ritterturniere, nach NordenJagd vor. oder Falknerei waren ausschliesslich dem Adel vorbehalten. Andere glichen denen Funde der aus einfachen dem Gebiet Leute. des Septimerpasses So erfreuten sich und Glücksspiele, dem bei Oberhalbstein welchen oftbelegen, hohe Geldbeträge dass Einheiten eingesetzt aus drei wurden, Legionen grosser im Beliebtheit. Vormarsch waren. Gespielt Neben wurde Schleuderbleien mit meist aus Knochen mit den Stempeln angefertigten der Würfeln. 3., 10. undBrettspiele 12. Legion wie fanden Backgammon sich andereund Geschosse, Mühle waren Fragmente verbreitet. diverser Waffen, Schach, Schuhnägel, das aus dem Fibeln, Fernen Zelt-Heringe Osten stammte, und Münzen. fand auch in Rätien grossen Anklang. Im Gebiet der Crap Ses-Schlucht (Oberhalbstein) kam es wohl zu Gelegentlich Gefechten. Der erfüllte römische Musik Heeresverband die Säle der Burgen. war denRaffinierte einheimischen SaitenTruppenoder deutlich Blasinstrumente überlegen. Die wurden Legionen in Graubünden konnten über keine die gefunden. Lenzerheide Hier bismusizierte nach Churund vorstossen. sang man Von wohl dort hauptsächlich aus wurde der mit Anmarsch einfachen durchs Instrumenten. Alpenrheintal Besonders nach Norden beliebt weitergeführt. waren Maultrommeln Im Bodenseeraum undsammelten aus Knochen sich geschnitzte die gesamten Flöten. römischen Fahrende Spielleute Truppen, um dürften nach Augsburg die Burgbewohner weiter zuhie ziehen. und da unterhalten haben, wie auch Minnesänger, die von ihrer Liebe zu einer unerreichbaren Während des ganzen adligen Feldzugs Dame sangen. sollen nicht Überweniger die Verbreitung als 46 Völker der besiegt ritterlichen worden Kultur sein. Dazu im rätischen dürften die Adel Rigusci besteht (Oberhalbstein, keine Klarheit. Immerhin Hinterrheintal?), weisendie zwei Suanetes Darstellungen (Vorderrheintal?) aus der Manessischen und die Liederhandschrift Calucones (um Chur) undgezählt die Terrakottafigur haben. Die Alpenstämme eines Minnepaares verhielten auf sicheinem in der Pferd Folge in ruhig diese und Richtung. zeigten sich der römischen Herrschaft ergeben. Die Eroberung der Alpen stellte einen bedeutenden Schritt in der römischen Expansionspolitik dar. 1499 Wohnen : Der in Schwabenkrieg der Burg In hochmittelalterlichen Der Schwabenkrieg Burgen war geprägt war es durch kühl und eine dunkel. Vielzahl Nur grosser wenigeSchlachten Räume konnten und kleiner beheiztÜberfälle. werden. Den Im Winter Eidgenossen mussten und dieden Burgbewohner Bündnern gelangen die Fensterscharten dabei mit entscheidende Holzläden verriegeln, Erfolgeum gegen sichdie vorhabsburgische Wind und KälteÜbermacht. zu schützen. Das Zentrum der Behausung war die Feuerstelle. Diese diente Die gleichermassen Zivilbevölkerung zum litt Heizen, starkKochen unter den undKriegshandlungen. Beleuchten. Besonders das Münstertal und das Engadin wurden verwüstet. Erschütternde Das Aufkommen Berichte des Kachelofens schildern im dasausgehenden Kriegselend und die Hungersnot 12. Jahrhundert dieser machte Zeit. Auch das Leben unter auf dender Kämpfern Burg wesentlich kam es zu grausamen angenehmer. Massakern. Ein neuer warmer Gerade die Raum Eidgenossen ohne Rauch hatten entstand: den Ruf, keine die Stube. Gefangenen Die Kacheln zu machen. der Öfen waren zunächst becherförmig, später viereckig, glasiert und verziert. In der Schlacht an der Calven, am 22. Mai 1499, lieferten sich die habsburgischen Im Verlauf des 14. Truppen, Jahrhunderts etwa 13’000 ermöglichte Mann, an dieeiner aufkommende Schanze ein Verglasung erbittertes grössere Gefecht Fensteröffnungen. mit ungefähr 8’000 Repräsentative Bündnern. Dank dem Säle legendären waren somitOpfertod ganzjährig desnutzbar. Bündner Solche Hauptmannes Räume waren Benedikt Fontana nicht selten gelang verputzt schliesslich und bemalt der Durchbruch. oder mit Ritzdarstellungen Die Habsburger ergriffen geschmückt, die Flucht später und bisweilen erlitten getäfert. in der Verwirrung Ob sie mit Wandteppichen grosse Verluste. behängt waren, Diese Schlacht lässt sichund für Benedikt Graubünden Fontana nichtwurden bestimmen. im Laufe In vielen derBurgen zweitenbelegte Hälfte man des 19. denJahrhunderts Boden mit Fliesen zum Symbol in der Freiheit geometrischen Graubündens. oder figürlichen Seine Heldenverehrung Mustern. fand 1899 an der Calvenfeier ihren Höhepunkt. Burgen waren wohl spärlich mit hölzernen Möbeln eingerichtet. Auch FundeDonna wie Beschlagteile, Lupa fand einen verzierte Ehrenplatz Schlösser in derund Bündner Schlüssel Geschichte. lassen auf den Alshäufigen Tiroler Truppen Gebrauch nach vonTschlin Truhengelangten, und Kästen sollen sie von schliessen. Donna Lupa Tische, mitStühle, einer List Bänke zumund Rückzug Bettenbewegt haben worden sich keine sein. erhalten. An Haushaltsgerät wurden Kochtöpfe und Trinkbecher Der aus Speckstein Krieg endete (Lavez), im Herbst hölzernes 1499 mit Geschirr dem Frieden und eiserne von Basel zugunsten Messer gefunden. der Eidgenossen Alle dieseund Fundobjekte der Bündner, zeugen die dadurch von einem ihre Selbstständigkeit bescheidenen Alltagsleben. innerhalb des Heiligen Römischen Reiches bekräftigen konnten. 24 12 25 13 DREI BÜNDE HEERE UND KRIEGE UND UNTERTANENLAND VELTLIN Vom Der rätische 16. bis 18. Raum Jahrhundert war als Nord-Süd bestand im Verbindung Gebiet desvon heutigen hoher Graubünden strategischerder Bedeutung. „FreistaatDie Gemeiner BündnerDrei Alpenpässe Bünde“. Es ermöglichten waren dies der während GraueJahrtausenden (Obere) Bund (Gründung Handel und1395), Verkehr, der Gotteshausbund sowohl im zivilen (1367) wie imund militärischen der Zehngerichtenbund Bereich. Wer sie (1436). beherrschte, verfügte über Macht und Reichtum. Bereits in der vorrömischen Zeit Die Gemeindendie und ihre Vertreter,Stämme die Lokalmagnaten, kontrollierten einheimischen den Zugang intraten die im Spätmittelalter immer mehr die des lokalen Feudaladels Alpentäler, leisteten TrägerundNachfolge Säumerdienste und profitierten an. wurde der Bundesbrief vondie 1524. Im von Verfassungsgrundlage Einnahmen aus dem Passverkehr. Später dienten rätischen heutigen Verständnis kann man kaum von einem Staat sprechen, Gebiete für die Machthaber Europas als Durchgangsland. Die fehlte doch eine eigentliche Zentralgewalt. zahlreichen militärischen Konflikte, welcheDie diegegen bewegte Geschichte 50 Gerichtsgemeinden – meist ein prägen, Talabschnitt – von Graubündens von der Antike bisein in Tal die oder Neuzeit zeugen bildeten kleineRolle Republiken für sich. Als „zugewandter Ort“ der wichtigen der Region. pflegten die Drei Bünde enge Beziehungen zur Eidgenossenschaft. 15 vor Christus führten die Römer einen Feldzug über die rätischen In den Gerichtsgemeinden entschied die Bürgerversammlung Pässe, um sich vor den Einfällen der Alpenstämme besser zu mit Mehrheitsentscheid. Die gleichen Gemeinden beschickten mit schützen und neue Provinzen zu erobern. Die einheimischen ihren Abgeordneten die Bundstage, die die wichtigsten Entscheide Kämpfer waren den römischen Legionen deutlich unterlegen. wieder den Gerichtsgemeinden vorlegen mussten. Auf allen Ebenen Ende des 15.Einfluss Jahrhunderts veranlasste die landesrechtlich bestimmten und Macht der Aristokratie die Abstimmungskomplexe Situation den Gotteshausbund und den und Wahlresultate. Zehngerichtenbund zur Allianz mit der Eidgenossenschaft gegen Die Stadt Chur besass kaumäusserst zusätzliche Rechte. Aufgrund ihrer die Habsburger. Der darauf blutig geführte Schwabenkrieg geografischen Lage, des Bischofssitzes relativen Grösse endete 1499 zugunsten der Eidgenossenund undihrer der Bündner. war sie Wirtschaftszentrum und inoffizielle Hauptstadt. Konfessionell und politisch wurde in Fast drei Jahrhunderte lang,zerstritten, von 1512 bis 1797,Graubünden herrschten die den Dreissigjährigen (1618-1648) verwickelt und drohte Drei Bünde über ihre Krieg Untertanen im Veltlin, Chiavenna und Bormio, zu zerbrechen. Verwüstungen Krieges folgten Pest und am Südfuss derDen Alpenpässe. Für diedes Grossmächte war Graubünden Hungersnot. so genannten Bündner Wirren hinterliessen wegen dieserDie Pässe interessant und wurde darum oft Opfer das Land in chaotischem Zustand. europäischer Auseinandersetzungen. 1799 entbrannten in Graubünden im Rahmen des zweiten Ende des 18. Jahrhunderts verlorKämpfe der Dreibündestaat seine Koalitionskrieges, welcher zwischen Frankreich und den „Kolonien“ und auch seine Unabhängigkeit. 1799-1803 warübrigen er europäischen Grossmächten geführt wurde. Trotz erbittertem Teil der Helvetischen Republik. Seit 1803 ist Graubünden ein Widerstand in der Surselva und im Unterengadin Bünde besetzten Kanton der schweizerischen Eidgenossenschaft. und französische Truppen das Land.weiter Das Gebiet wurde als Kanton Gerichtsgemeinden bestanden bis 1851/54. Danach warRätien in die Helvetische Republik integriert. der Kanton eingeteilt in 14 Bezirke, 39 Kreise und 227 Gemeinden. Landessprachen im konfessionell gemischten Graubünden sind Auch während des 2. und Weltkriegs war der Alltag der Bevölkerung Deutsch, Romanisch Italienisch. stark erschwert. Die wehrfähigen Männer leisteten Militärdienst an der Grenze und fehlten im heimischen Betrieb. 26 10 27 11 56 Gerichtsgemeinden Johann Gaudenz von Salis-Seewis, undSigel, Dichter, Die „Wir haben eygenOffizier Staab und 1762-1834 Stock und Galgen, wir sind gottlob keinem frömden Fürsten und Herren nichts schuldig“, heisst es stolz im Landbuch, den 57 Tobias Deflorin, Kaminfegermeister in Trun, Statuten der Gerichtsgemeinde Avers von 1622. Es geboren nennt so 1903 die zentralen Symbole der Souveränität, die alle mit der eigenen 58 Jakob Ulrich Sprecher von Bernegg, führender Politiker, Gerichtsbarkeit zu tun haben. 1765-1841 Das Hochtal Avers war eine der gegen 50 Gerichtsgemeinden 59 Simeon Benedict, evangelischer Pfarrer in Chur, 1767-1832 im Freistaat der Drei Bünde. Diese verfügten allesamt über ein Mass anSprecher-von Unabhängigkeit. Jede Gerichtsgemeinde 60 hohes Amalia von Marchion, 1829-1879 umfasste ein Tal oder einen Talabschnitt. Sie vereinte meist einige Nachbarschaften, die in etwa Verleger, den heutigen politischen 61 Hanspeter Lebrument, geboren 1941 Gemeinden entsprechen. Der Gerichtsgemeinde stand der Landammann 62 den Und Habe ich auchaus Macht? Mache ich auch Politik? vor, dieich: Landsgemeinde den männlichen Bürgern erkor. Bei kriegerischen Ereignissen zog die Mannschaft, das Fähnlein, 63 John Hitz aus Schweizer Generalkonsul in unter der Fahne des Klosters, Hochgerichts ins Feld. Washington, 1797-1864 Die Gerichtsgemeinde Heinzenberg zum Beispiel gehörte zum 64 Richard Coray, Brückenbauer, 1869-1946 Hochgericht Thusis im Grauen (Oberen) Bund. Nachbarschaften innerhalb der Gerichtsgemeinde waren Flerden, Portein, Präz, 65 Diokletian, römischer Kaiser, 284-305 n. Chr. Sarn und Urmein. 66 Josephus von Planta, Vorsteher des British Museum, Jede Bündner Gerichtsgemeinde war so etwas wie ein Kleinstaat 1744-1827 mit weit reichenden Kompetenzen. Alle gehörten zu einem 67 Drei Peter Zumthor, Architekt,einen geboren 1943 der Bünde, die zusammen souveränen, aber recht schwachen Staat bildeten. Seine Kompetenzen waren beschränkt 68 lagen Alfred von Planta, Nationalrat, und vor(Florian allem inAdolf) der Aussenpolitik. Andere Bemühungen Botschafter in Rom und 1857-1922 um Vereinheitlichung, etwa vonBerlin, Mass und Gewicht, hatten wenig Erfolg. Noch im 18. Jahrhundert wog zum Beispiel ein Pfund im 69 Jakob Beeli-Sprecher, Cafétier in Posen (heute in Polen), Münstertal nicht gleich viel wie in Chur. 1791-1867 70 71 Jean deHansen“ Castelmur, Baron, adelige oder vornehme Die „Grossen Einfranz. paar Dutzend Burgbesitzer in Stampa-Coltura, 1800-1871 Daraus hervor Familien und Clans bildeten die Führungsschicht. ragten vor allem die Salis und die Planta. Im vergleichsweise 72 Augustus, Bünden römischer Kaiser,sich 27 v. Chr.-14 n. Chr. demokratischen konnten diese Geschlechter aber kaum auf politische Vorrechte berufen. Sie hoben sich ab 73 Banadetg Fontana, Freiheitsheld, gefallen 1499 aufgrund von Einkünften, Vermögen, Bildung und einem weit verzweigten Beziehungsnetz. Die Aristokratinnen blieben wie alle 74 Johann Wilhelm Fortunat Coaz, Topograf, Frauen von der politischen Öffentlichkeit ausgeschlossen, waren eidg. Oberforstinspektor, 1822-1918 aber ein wichtiger Teil der Heirats- und Erbstrategien. 75 Gaudenz von Planta, „der Bär“, führender Politiker, Der „Gemeine Mann“ überliess die wichtigsten und oft käuflichen 1757-1834 Ämter in Gerichtsgemeinden, Bünden und Untertanenlanden 76 Bündner Landeshauptmann dieserConrad Elite. Ervon warPlanta, von ihrerster zwar nicht politisch, aber häufig im Veltin, 1512 wirtschaftlich abhängig. In unregelmässigen Abständen kam es zu „Fähnlilupfen“ und 77 Giulia Santi, spätere Baldini, 1836 Strafgerichten gegen die sogenannten „Grossen Hansen“. Ein häufiger Vorwurf war, gegen das Landesinteresse gehandelt 78 Otto Largiadèr mit Familie, Regierungsrat 1975-1986, zu haben. Nicht selten verhängten diese Spezialgerichte geboren 1926 drakonische Strafen. Sie waren allerdings nicht immer ein Aufstand von unten, etwa in Zeiten von Krieg, Not und Hunger, 79 Felix Maria Diogg, Portrait-Maler, 1762-1834 sondern häufig ein Mittel der Parteipolitik. 80 Anton Cadonau, Kaufmann und Wohltäter, 1850-1929 Wohl wegen der Machtstellung einzelner Familien und der oft gewalttätigen kam es im 1794-1883 Volksmund zu folgendem 81 Richard La Politik Nicca, Ingenieur, makabrem Wort: In Bünden brauche es drei, um einen Menschen 82 Tiberius, Alpenfeldzug 15 v.(linken Chr., Unterarm vom Leben zumrömischer Tod zu bringen: Einen Salis Kaiser 14-37 n. Chr. nach oben abwinkeln), einen Planta (gleiche Bewegung mit dem rechten Unterarm) und einen Travers (darüber einen Querbalken 83 Christine Mohr, geboren 1671 andeuten). Leon Schlumpf, Bundesrat 1980-87, geboren 1925 28 8 29 9 28 inoffizielle Georg Fient, kant. Kanzleisekretär und Schriftsteller, Die Hauptstadt Chur war seit spätestens 451 1845-1912 Bischofsstadt. Nach der Gründung des Gotteshausbundes 1367 schwand die Macht des Bischofs langsam. Durch die Gründung 29 fünf Josias Hartmann Schützenweltmeister, der Zünfte 1465 undaus die Says, Reformation nach 1523 emanzipierte 1893-1982 sich die Bürgerstadt endgültig. 30 Ortlieb von Brandis, Churer Bischof, 1458-1491 Ohne formelle Hauptstadt zu sein, erfüllte Chur aufgrund seiner Lage und wirtschaftlichen Bedeutung eine Zentrumsfunktion, 31 Angelika Kauffmann, Malerin, geboren in Chur, 1741-1807 ähnlich wie Chiavenna am Südfuss der Alpen. Für fremde Gesandte kam die einzige richtige Bündnerund Stadt als 32 Meta vonnur Salis-Marschlins, Historikerin Aufenthaltsort in Frage. Auch die unzufriedenen Landsleute Frauenrechtlerin, 1855-1915 strömten nach einem Fähnlilupf mit Vorliebe zum Strafgericht 33 Chur. Johannes Guler von Wynegg (der ältere), Heerführer, nach Historiker, 1562-1637 Als Vorort des Gotteshausbundes stand Chur auf gleicher Stufe 34 Davos Carlo Casati, spanischer Botschafter, gestorben 1730 wie (Zehngerichtenbund) und Ilanz (Grauer oder Oberer Bund). Die Bundstage mit den Ratsboten der Gerichtsgemeinden 35 Andreas Rudolf von Planta, Unternehmer und Politiker, fanden alternierend an diesen drei Orten statt. Chur gelang es 1819-1889 nie, Stadtstaat mit umliegendem Herrschaftsgebiet zu werden. Seine rechtliche Stellung unterschied sich nicht wesentlich von 36 Christian Klucker, Bergführer, 1852-1928 der der ländlichen Gerichtsgemeinden. 37 Giachen Caspar Muoth, Lehrer, Historiker und Dichter, Der Freistaat der Drei Bünde besass keine ständige Regierung. 1844-1906 Eine gesamtstaatliche Verwaltung gab es ebenfalls nicht. 38 wenigen A. Feldscher aus Aufgaben Masein, Schauspieler in Russland, Die laufenden übernahm Chur, die einzige 1825-1885 die über einen stabilen Apparat verfügte. Gerichtsgemeinde, Korrespondenzen an den Freistaat öffnete der Präsident des 39 Heini Hemmi,(bis Olympiasieger 1976Churer im Riesenslalom, Gotteshausbundes 1700 immer der Bürgermeister), geboren ein 1949Ratsmitglied. Der Churer Stadtschreiber besorgte nachher meist die Verteilung der wenigen gesamtstaatlichen Gelder. 40 Georg Philipp von Schauenstein, Freiherr von Haldenstein 1671-1695, auf einem Gulden 30 6 41 Johann Alois Wolf aus Untervaz, Die Untertanen 1512 eroberten die Drei Bünde das Veltlin und Schweizer Tambour-Major, 1839-1927 die Grafschaften Chiavenna und Bormio. So kontrollierten sie die Alpenpässe nicht nur am Nord- sondern auch am Südfuss. 42 Pompejus von Planta, führender Politiker, 1569-1621 Die Geschichtsschreibung ist sich uneinig, ob dem Veltlin und den 43 Henri Duc de Rohan, französischer Feldherr, 1579-1638 Grafschaften ursprünglich Gleichberechtigung zugesagt worden war. Tatsächlich wurden sie als Untertanenlande behandelt. 44 Claudius, römischer Kaiser, 41-54 n.Chr Oberster Statthalter war der Landeshauptmann mit Sitz in Sondrio. Ihm zur stand der Vicari. In Chiavenna sass der 45 Antonio de Seite Molina, Politiker und Militär aus dem Commissari, in sechs anderen Orten ein Podestà. Die Posten Calancatal, ca. 1580-1650 besetzten die Gerichtsgemeinden nach einem fixen Turnus. 46 Maximilian Franz, mehrere Male Regierungsrat, 1814-1889 Diesen Bündner Richtern standen die Einnahmen aus Bussen 47 Thomas Domenig, geboren 1933 und Prozessgebühren zu,Architekt, was zu krassen Missbräuchen und zum Ämterkauf führte. Darum kam es immer wieder zu Unruhen 48 Anna Meisser ausauch Klosters, geboren 1855 und Aufständen, die oft konfessionellen Charakter hatten. In der lokalen Verwaltung und im Wirtschaftsleben konnte die 49 Reto Gurtner, Tourismusunternehmer, geboren 1955 Bevölkerung ihre Selbstständigkeit bewahren. Die Oberschicht arbeitete nicht selten mit den Bündner Amtsleuten zusammen. 50 Sep Antoni Deragisch junior, Töpfer in Bugnei (Tujetsch), 1842-1931 Die immer zahlreicheren Beschwerden der Untertanen blieben erfolglos. Einevon Gleichberechtigung kam für die Mehrheit der 51 Fidelis Sigmaringen, Märtyrer, 1577-1622 Bündner auch nach der französischen Revolution nicht in Frage. So schlossen sichMartullo-Blocher, das Veltlin, Chiavenna und der Bormio 1797 der 52 Magdalena Leiterin EMS-Chemie Holding AG, gingen geboren 1969 Cisalpinischen Republik an und Graubünden endgültig verloren, was auch auf wirtschaftlicher Ebene ein enormer 53 Feuerstein, Jäger, Scuol, um 1920 VerlustCla war. Eine sonderbare Stellung besass die „Herrschaft“ Maienfeld, die 54 Francesco Trivulzio, letzter Inhaber sowohlGian Untertanenland mit einem Bündner Landvogt als Mitglied der Herrschaft Misox 1518-1549, auf einem Testone des Zehngerichtenbundes war. 55 Maria Franz, geborene Cloëtta, Gattin von Regierungsrat Franz, 1816-1897 31 7 MACHT UND POLITIK DIE DUNKLE SEITE Wer hatte und wer hat Macht? DER JUSTIZ 1 Johannes Paul Beeli von Belfort, evang. Pfarrer in Chur (und Chiavenna?), um 1700 2 Walo Burkart, Kreisförster und Archäologe, 1877-1952 3 Gian Giacomo Trivulzio, Inhaber der Herrschaft Misox, 1487-1518 4 Andreas Gadient, Divisionär, geboren 1927 5 Napoleon Bonaparte, französischer Kaiser, 1769-1821 6 Eveline Widmer-Schlumpf, Regierungsrätin seit 1999, geboren 1956 7 Mädchen aus der Churer Familie Laurer, 1827-1846 8 Otto Barblan, Komponist, 1860-1943 9 Barbara Danuser aus Felsberg, Arbeitslehrerin und Gemüsegärtnerin, 1899-1986 10 Donat Cadruvi, Regierungsrat 1979-88, 1923-1998 11 Margaretha Enderlin von Montzwick, 1647-1711 12 Wilhelm Maria Rizzi, Kirchen- und Portrait-Maler, 1802-1858 13 Rodolfo Baldini und Giulia Baldini-Santi, Bergeller Familie in Italien, erste Hälfte 19. Jahrhundert 32 4 Das Drei Bünde war Sache Gerichtsgemeinden. 14 Strafrecht Gabrieleder de Gabrieli, Architekt ausder Roveredo, 1671-1747 Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts galten die lokalen „Statuten“. Auch Graubünden hieltvon man sich nach Churer 1532 zunehmend an die 15 inJohann Friedrich Tscharner, Publizist und „Carolina“, die Gerichtsordnung Kaiser Karls V. Politiker, 1780-1844 Bezüglich Rechtssicherheit bildete sie einen Fortschritt. 16 Strafarten Bernhard Laurer-Risch, Apotheker, Zunftmeister, Die blieben die gleichen: AbhauenChurer von Gliedmassen, 1764-1823 Rädern, Verbrennen, Hängen, Enthaupten. Verhängnisvoll war Elisabeth Laurer-Risch, Gattindie des Zunftmeisters die Tatsache, dass für ein Geständnis Folter erlaubt blieb. Bernhard, 1774-1847 Aussagen und zur Denunziation Dies führte zu erzwungenen unschuldiger Personen. 17 Martin Schreiber-Risch, Posthalter in Thusis, 1812-1871 Besonders im 17. Jahrhundert wütete in zahlreichen Talschaften der Abergläubische in Zeiten von 18 Hexenwahn. Ugo Foscolo, italienischerVorstellungen Dichter, Emigrant im Misox, Krieg, Hunger und Pest mischten sich mit Aggressionen gegen 1778-1827 Konkurrenten oder Aussenseiter. Die Mehrzahl der Opfer, denen Schadenzauber vorgeworfen wurde, waren Frauen. Zwischen dem 19 Ulysses von Salis-Marschlins, führender Politiker, 15. und 18. Jahrhundert mussten in Graubünden mindestens 500 1728-1800 angebliche Hexen oder Hexenmeister sterben. Eine spielte der Scharfrichter. Vor der1989-2006, Folter zeigte 20 zentrale Giusep Rolle Nay, eidgenössischer Bundesrichter er den geboren Angeklagten 1942die Instrumente, um ein frühes Geständnis zu erreichen. Meist sass nur in Chur ein „Meister Hans“. Die anderen Gerichtsgemeinden forderten ihn bei Bedarf an undund bezahlten nach 21 Johann Gaudenz von Salis-Seewis, Offizier Dichter, Tarif. Sein Gewerbe und seine Familie galten als unehrlich. Darum 1762-1834 wohnte er am Stadtrand, in der Scharfrichtergasse beim ehemaligen Untertor. 22 Giovanni Segantini, Maler, 1858-1899 Viele Richtstätten befanden sich in der Nähe der Landstrasse, um den 23 Karl die derFolge Grosse, König und Kaiser, 768-814 Passanten vondeutscher Verbrechen drastisch vor Augen zu führen. Die letzte Hinrichtung im Schams etwa fand 1831 statt, in Chur 1846. 24 kantonale Jörg Jenatsch, evangelischer Pfarrer, Politiker, Das Strafgesetz von 1851 kannte dieOffizier, Todesstrafe nur noch für wenige Kapitalverbrechen. 1811 noch war in Chur ein Mann 1596-1639 hingerichtet worden, weil er ein Schaf gestohlen hatte. 25 Vitus Huonder, Churer Bischof seit 2007, geboren 1942 Folter und Todesstrafe sind aus unserer Welt nicht verschwunden. Viele islamische Länder etwa oder die USA kennen die Hinrichtung. 26 unbekanntes sitzendes Kleinkind, Amnesty International setzt sich weiterhinum für1800 die weltweite Abschaffung der Folter ein. 27 Pater Placi a Spescha, Mönch und Forscher, 1752-1833 33 5 MACHT UND POLITIK Der erste und prunkvollste Stock des Hauses beschäftigt sich Impressum mit der “traditionellen“ Geschichtsbetrachtung: Ereignisse, Neue Dauerausstellung im ersten Obergeschoss Einzelpersonen (meist männliche), Recht, Ämter, Institutionen. Die Darstellung legt Wert auf Jahreszahlen und Chronologie. Inhaltliches Konzept: Sie kann nicht vollständig sein, sondern behandelt besonders Jürg Simonett aussagekräftige Beispiele. Aber immer geht es um Macht und Politik. Yves Mühlemann Sie stellt dieAusstellung „Machtfrage“: Gestaltung und Grafik: - wer hatte und wer hat Macht? gasser, derungs Innenarchitekturen - wie übte und übt man(n) Macht aus? - welche Arten von Macht gibt es? Massnahmen: -Bauliche wie erkennt man Macht? Hochbauamt Graubünden Die einzelnen Räume behandeln unter dieser Sichtweise wichtige Rudolf Fontana & Partner AG Themen der Bündner Geschichte: Heere und Kriege; Herren und Burgen; Drei Bünde und Übersetzungen:Veltlin; Die dunkle Seite der Justiz Untertanenland Standeskanzlei Graubünden Konstanten der Bündner Jessica Tang Geschichte sind das Interesse der fremden Mächte an den Pässen sowie die kleinteilige politische Landschaft. Die Stadt Chur schafft es nie, politisch eine hervorgehobene Fotos: zu erreichen. Wichtige Entwicklungen sind der mehrfache Stellung Rätisches Museum Gewinn und wieder Verlust der Untertanenlande im Süden sowie die Südostschweiz langsame Die Umorientierung Graubündens von Süden und Osten nach Norden und Westen.Tagblatt Bündner Für ein heutiges Verständnis sind manche Erscheinungen schwer Leihgaben: nachzuvollziehen, etwa Archäologischer Dienst Graubünden - die ausgeprägt lokale Basis von Macht und Politik und die fehlende gesamtstaatliche RegierungGraubünden bis ins 19. Jahrhundert; Kantonsbibliothek - die überaus drastischeGraubünden Verhör- und Bestrafungspraxis mit ihren Staatsarchiv Prozessen, Folterungen Hinrichtungen; Ehepaar Trepp, und Cinuos-chel - das Paradox der Drei Bünde, die sich als Demokratie verstehen, aber gleichzeitig Kolonialherren sind. „Politik ist der stets neu zu schaffende Kompromiss von Macht und Vernunft“. (C.F. von Weizsäcker) 34 Das Haus, in dem wir uns befinden, ist Teil dieser Geschichte. Die Familie von Buol gehörte während Jahrhunderten zur Bündner Führungsschicht. 2007 © Rätisches Museum, Chur 35 3