DAS WELTBILD DER MODERNEN PHYSIK

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DAS WELTBILD DER MODERNEN PHYSIK
III: Die Entstehung der Kopernikanischen Welt
Claus Kiefer
Institut für Theoretische Physik
Universität zu Köln
Claudius Ptolemäus (um 100 bis nach 160)
Autor der Mathematike Syntaxis ( Mathematische
”
Zusammenstellung“), besser bekannt als Almagest;
ptolemäisches Weltbild
Abbildungsnachweis: Ralf Roleček - gemeinfrei
Epizyklen und Deferenten
Abbildungsnachweis: Joerg-ks - gemeinfrei
Vom Centrum Equantis (Äquant) aus bewegt sich der Epizykel
mit konstanter Winkelgeschwindigkeit auf dem Deferent
Warum hielt sich das Aristotelische Weltbild so lange?
I
Glaube an die Endlichkeit der Welt
I
Glaube an die Unabhängigkeit der Himmelsbewegungen
von dem terrestrischen Geschehen (Physik gilt nur auf der
Erde)
I
Keine geeignete Uhren (Das zweite Newtonsche Gesetz
betrifft die Beschleunigung)
I
Dogmatisierung durch Kirche
I
Das aristotelische Weltbild muß man entweder als Ganzes
”
akzpetieren oder als Ganzes verwerfen.“
Hans Blumenberg:
Daß es in der Welt für den Menschen nicht nur zeitweise und
vorläufig, sondern seiner natürlichen Ausstattung definitiv
Entzogenes und Unsichtbares geben könnte, war eine der
Antike wie dem Mittelalter unbekannte, unter bestimmten
metaphysischen Voraussetzungen auch unvollziehbare
Unterstellung.
Das Dunkle Zeitalter“
”
I
Im Jahre 529: Schließung der Athener Akademie durch
Justinian; Gründung des Klosters auf dem Monte Cassino
durch Benedikt von Nursia
I
Klöster und Universitäten
I
I
Dominikaner: Albertus Magnus (1200 bis 1280), Thomas
von Aquin (1225 bis 1274)
I
Franziskaner: Robert Grosseteste (1170 bis 1253), Roger
Bacon ( doctor mirabilis“) (1220 bis 1292) – Wichtigkeit der
”
experimentellen Forschung, Duns Scotus ( doctor subtilis“)
”
(1266 bis 1308)
Beispiel: Universität zu Köln (gegründet 1388), siehe
https://www.portal.uni-koeln.de/universitaetsgeschichte.html
Leseempfehlung: John Freely, Aristoteles in Oxford (Klett-Cotta 2014).
Roger Bacon (ca. 1268):
In den Naturwissenschaften kann man ohne Erfahrung und
Experiment nichts Zureichendes wissen. Das Argument aus
der Autorität bringt weder Sicherheit, noch beseitigt es Zweifel.
. . . Über allen Wissenschaften steht die vollkommenste von
ihnen, die alle anderen verifiziert: Es ist das die
Erfahrungswissenschaft, die die Begründung vernachlässigt,
weil sie nichts verifiziert, wenn nicht das Experiment ihr zur
Seite steht.
Studium generale
Studium der septem artes liberales: Vorbereitung auf die
höheren Studien (Jura, Medizin, Theologie)
I
Trivium: Logik (Aristoteles: Organon), Grammatik, Rhetorik
I
Quadrivium: Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik
Den sieben freien Künsten wurden auch zuweilen die sieben
mechanischen Künste septem artes mecanicae hinzugefügt:
Webekunst, Schmiedekunst, Baukunst, Schiffahrt,
Landwirtschaft, Jägerei, Schauspielkunst, Heilkunst
I
Fibonacci (Leonardo da Pisa) (1170 bis 1250): Einführung
der arabischen Ziffern in seinem Liber Abaci von 1202;
wichtig auch: Fibonacci-Zahlen, definiert durch
an = an−1 + an−2 mit a0 = 1, a1 = 1 und führend auf: 1, 1,
2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, . . ..
I
Ockhams Rasiermesser“, nach William Ockham (1285 bis
”
1347): Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem
(Entitäten sollten nicht unnötig vervielfacht werden) – oft in
der modernen Physik zitiert.
I
Jean Buridan (um 1295 bis um 1358), Schüler Ockhams:
Impetustheorie (Impetus entspricht in etwa dem heutigen
Impuls p~ = m~v ); Buridans Esel“
”
Nikolaus von Oresme (um 1320 bis 1382): Schüler
Buridans; Argumente für die tägliche Bewegung der Erde;
Fallgeschwindigkeit proportional zur Zeit ( Merton-Regel“)
”
I
Die arabische Vermittlung
In der arabischen Welt lagen schon vor dem Jahr 1000 die
meisten antiken wissenschaftlichen Werke in arabischer
Übersetzung vor; auf diesem Weg wurden diese Werke im
Abendland bekannt (z.B. die Schriften des Aristoteles). Auch
astronomische Geräte (Astrolabium, Quadrant, . . . ) fanden
hierdurch ihren Weg nach Europa.
I
Avicenna (Ibn Sina) (um 980 bis 1037)
I
Averroës (Ibn Ruschd) (1126 bis 1198), wirkend in
Córdoba, Kommentator des Aristoteles, Wichtigkeit der
Logik
I
Maimonides (Mosche ben Maimon) (1135 bis 1204), aus
Córdoba stammend, in Kairo wirkend
Leseempfehlung: John Freely, Platon in Bagdad (Klett-Cotta 2013).
Übergang zur Moderne
I
Einführung der Zeitdimension in der Betrachtung der
Naturereignisse
I
I
I
Astronomische Uhren seit dem 14. Jahrhundert (Giovanni
Dondis Astrarium 1364 in Padua);
Präzise Zeitmessung erst durch Erfindung der Pendeluhr
im 17. Jahrhundert (Huygens 1673)
Denkmöglichkeit eines unendlichen (unbegrenzten)
Universums
I
I
Nikolaus Cusanus (Nikolaus von Kues) (1401 bis 1464); in
De docta ignorantia (Über die belehrte Unwissenheit)
vertritt er ein unendliches (unbegrenztes) Universum, in
dem kein Mittelpunkt existiert.
Giordano Bruno (1548 bis 1600): Unendlichkeit des Weltalls
von praktischer Wichtigkeit: Erfindung des Buchdrucks um
1450
Nikolaus Cusanus (um 1440):
Die Erde, die nicht Mittelpunkt sein kann, kann also nicht ohne
jede Bewegung sein. Denn ihre Bewegung muß auch derartig
sein, daß sie ins Unendliche geringer sein könnte. . . . Wie also
die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt ist, so ist auch die
Fixsternsphäre nicht ihr Umkreis . . . Die Erde ist also nicht
Mittelpunkt weder der achten oder einer anderen Sphäre . . .
Schlüssel zur Moderne
Hans Blumenberg:
Es ist eine erstaunliche Unwahrscheinlichkeit, daß wir auf der
Erde leben und Sterne sehen können, daß die Bedingungen
des Lebens nicht die des Sehens ausschließen oder
umgekehrt.
Denn das Medium, in dem wir leben, ist einerseits gerade dicht
genug, um uns Atem holen und nicht in Strahlungen aus dem
All verbrennen zu lassen. Andererseits ist dieses Medium nicht
so trübe, daß das Licht die Sterne vollends verschluckt und
jeder Ausblick auf das Universum versperrt würde.
Ohne Astronomie keine moderne Physik?
Leseempfehlung: Hans Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt
(Suhrkamp 1981)
Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1543)
I
Commentariolus ( Kleiner Kommentar“) – um 1509; erster
”
Entwurf seines heliozentrischen Weltsystems
I
De revolutionibus orbium coelestium ( Über die
”
Kreisbewegungen der Himmelskörper“) – Nürnberg 1543
wichtig: Die Erde wird in den Himmel versetzt“, was die
”
Vereinigung von Astronomie und Physik ermöglicht; Vernunft
wichtiger als die unmittelbare Anschauung (vgl. Parmenides)
Das heliozentrische Weltbild des Kopernikus
Abbildungsnachweis: Universität Krakau
Kreisbahnen werden beibehalten
wichtig: Wahrheitsanspruch des Kopernikus (nicht nur
Rechenmodell); gefälschtes Vorwort in Kopernikus’ Werk durch
Osiander: Modell sei nur astronomische Hypothese ohne
Wahrheitsanspruch; Osiander hat auch eigenmächtig den Titel
von dem ursprünglich beabsichtigten De revolutionibus orbium
mundi ( Über die Kreisbewegungen der Weltkörper“)
”
abgeändert in De revolutionibus orbium coelestium ( Über die
”
Kreisbewegungen der Himmelskörper“).
Kopernikus wollte eine einheitliche Theorie der Welt in
durchgehender Rationalität.
Bemerkung: Mit seinem berühmten Hypotheses non fingo wandte
sich Newton bewußt gegen dieses gefälschte Vorwort.
I
Neu: Dynamik des Systems von der Weltmitte“
”
ausgehend; von Kepler wurde die Sonne als Ursache der
Dynamik erkannt, von Newton wurden die Bewegungen
durch das Gravitationsgesetz beschrieben.
I
Entscheidend ist nicht die Tatsache der Leistung des
Kopernikus oder gar ihre Notwendigkeit, sondern ihre
bloße Möglichkeit.
Relativiert die Relativitätstheorie die Bedeutung der
Kopernikanischen Wende?
Werner Heisenberg 1967:
Es ist zwar richtig, daß die Einsteinsche Relativitätstheorie die
Möglichkeit offenläßt, die Erde als ruhend, die Sonne als um die
Erde bewegt anzusehen. Aber dadurch ändert sich gar nichts
an der entscheidenden Behauptung der Newtonschen Theorie,
daß die Sonne mit ihrer starken Gravitationswirkung die Bahn
der Planeten bestimme. Daß man also das Planetensystem nur
wirklich verstehen könne, wenn man von der Sonne als
Mittelpunkt, als Zentrum der Gravitationskräfte ausgeht.
Johannes Kepler (1571 bis 1630)
Auf der Basis des umfangreichen Datenmaterials von Tycho Brahe
(1546 bis 1601) konnte Kepler seine berühmten drei Gesetze finden
und damit die Wissenschaft revolutionieren; die ersten beiden finden
sich in seiner Astronomia Nova (1609); das dritte in seinen
Harmonices Mundi (1619).
I
Erstes Keplersches Gesetz: Die Planeten bewegen sich auf
Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht.
I
Zweites Keplersches Gesetz: Die Verbindungslinie
Sonne–Planet überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen.
I
Drittes Keplersches Gesetz: Für alle Planeten gilt: Die dritte
Potenz der großen Halbachse ist proportional zum Quadrat der
Umlaufdauer.
G(M + MP ) ≈ GM = ω 2 a3
Die Genauigkeit von Brahes Beobachtungen liegen bei etwa 2
Bogenminuten (1/15 Monddurchmesser); Ptolemäus hatte etwa 10
Bogenminuten Genauigkeit erreicht.
Zum Ersten Keplerschen Gesetz
Abbildungsnachweis: Wikipedia - gemeinfrei
c
a
I
(Numerische) Exzentrizität: :=
I
Elliptizität (Abweichung von der Kreisform): ≈ 21 2
(vgl. das griechische Wort élleipsis ( Mangel“)) - Erklärung
”
an der Tafel;
für . 0.4 ist die Ellipse kaum von einem Kreis zu
unterscheiden
Zum Zweiten Keplerschen Gesetz
Abbildungsnachweis: Wikipedia - gemeinfrei
Moderne Erklärung: Drehimpulserhaltung
Ellipse versus Kreis
Für kleine lauten die ersten beiden Keplerschen Gesetze
approximativ wie folgt (rechtfertigt die Annahme von
Kreisbewegungen):
I
Die Planeten bewegen sich auf Kreisbahnen, wobei die Sonne
etwas vom Mittelpunkt weg verschoben ist;
I
Die Planten bewegen sich nicht mit konstanter Geschwindigkeit
bezüglich der Sonne oder des Mittelpunkts; sie bewegen sich
mit annähernd konstanter Geschwindigkeit in bezug auf den
leeren Brennpunkt (Äquant oder centrum equantis).
Für den Planeten Mars ist die Exzentrizität (abgesehen von dem
schwer zu beobachtenden Merkur) am größten: ≈ 0.093; dennoch
ist die Elliptizität mit 0.52 ≈ 0.017 winzig. Die Marsbewegung lieferte
Kepler den Schlüssel zu seinen Gesetzen (Abweichung von 8
Bogenminuten (!) von der Vorhersage aufgrund einer Kreisbahn).
Kepler gibt sowohl die Kreisbahn als auch die gleichförmige
Geschwindigkeit auf.
Leseempfehlung: J. B. Barbour, The Discovery of Dynamics (Oxford 2001)
Ptolemäus fand, ohne es zu wissen, (in geozentrischer
Darstellung) die beiden Brennpunkte der planetaren
Ellipsenbahn (einer davon der Äquant) sowie den Kreis, der die
Ellipse am besten beschreibt; nur für den Planeten Mars gibt es
ohne Fernrohrhilfe beobachtbare Abweichungen von diesem
Schema (die Kepler zu seinen Gesetzen führte).
Galileo Galilei (1564 bis 1642)
I
Sidereus Nuncius ( Sternenbote“) 1610: Erste
”
Abhandlung, die auf mit einem Fernrohr gemachten
Beobachtungen beruht; Entdeckung der Jupitermonde,
genaue Beobachtung des Mondes; Sternbeobachtungen
I
Il Saggiatore ( Der Prüfer mit der Goldwaage“) 1623:
”
Metapher vom Buch der Natur, das in mathematischer
Sprache geschrieben sei.
I
Dialogo sopra i due massimi sistemi ( Dialog über die
”
beiden hauptsächlichen Weltsysteme ) 1632: Verteidigung
”
des heliozentrischen Systems; Relativitätsprinzip
I
Discorsi e dimostrazioni matematiche ( Unterredung und
”
mathematische Demonstration über zwei neue
Wissenszweige die Mechanik und die Fallgesetze
betreffend“) 1638: Gesetze der Mechanik
Warum ist es nachts dunkel?
Kepler an Galilei 1610:
Wenn das wahr ist, und wenn jene Sonnen von gleicher
Beschaffenheit sind wie die unsrige, weshalb übertreffen dann
alle jene Sonnen insgesamt an Glanz nicht unsere Sonne?
Das Relativitätsprinzip
Galileo Galilei 1632:
. . . laßt das Schiff mit jeder beliebigen Geschwindigkeit sich
”
bewegen: Ihr werdet – wenn nur die Bewegung gleichförmig ist
und nicht hier- und dorthin schwankend – bei allen genannten
Erscheinungen nicht die geringste Veränderung eintreten
sehen. Aus keiner derselben werdet Ihr entnehmen können, ob
das Schiff fährt oder stille steht.“
Die Gesetze der Physik ändern sich nicht, wenn man von
einem Inertialsystem in ein anderes wechselt.
(Inertialsystem = unbeschleunigtes System)
Isaac Newton (1642 bis 1727)
Gemälde von Sir Godfrey Kneller aus dem Jahre 1702,
National Portrait Gallery, London
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