Werkeinführung von Dr. Gustav Danzinger CREDO Anton Bruckner: Messe e-moll Festival Musica Sacra – 7. 9. 2013 St.Pölten, Dom Eröffnungskonzert 1) Anlass Bischof Franz Joseph Rudigier – Dogma Unbefleckte Empfängnis 1854 – Anlass für neuen Mariendom. Auftrag an Vincenz Statz, Kölner Domwerkmeister, bester Gotik-Kenner. Grundsteinlegung erfolgte 1862, Votivkapelle 1869 fertig. Dafür entstand die Messe Rudigier (1811-1884) war Lehrer Kaiser Franz Josephs und seines Bruders Maximilian. Er war Mitglied des 1861 konstituierten oberösterreichischen Landtages und dadurch ein Mitbegründer des politischen Katholizismus. Als erbitterter Gegner des Liberalismus war er selten bereit, Kompromisse einzugehen. In einem Hirtenbrief vom 7. September 1868 rief er zum Widerstand gegen die staatlichen Schul- und Ehegesetze auf. Das Schreiben wurde beschlagnahmt und Rudigier wurde am 12. Juli 1869 wegen des Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt, vom Kaiser aber begnadigt. UA der Messe: Michaelisfest 19.September 1869. 2) Bruckner bis damals Vom Schulgehilfen (1841) zum Linzer Domorganisten (1856) aufgestiegen. Seit 1860 Leiter der Liedertafel „Frohsinn“. 1866 Auftrag für Messe vom Bischof, im selben Jahr fertig. 1868 wechselt er nach Wien – am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde Professor für Harmonielehre, Kontrapunkt und Orgelspiel (nach Sechter). Also leitete er die UA in Linz schon „als Gast“. 3) Uraufführung und Revision Drei Jahre später als geplant. UA der Messe: Michaelisfest 19.September 1869. Drei Chöre beteiligt. Also sicher groß und wenig homogen, dazu Bläser der Regimentsmusik. 1876 Revision mehrerer Werke, auch e-moll-Messe, „rhythmisch geordnet“ – Periodenbau, homogene Architektur. 1882 nochmals revidiert, wertvolle aufführungspraktische Hinweise: Kyrie, Sanctus sehr langsam, im Agnus am Ende „mezza voce, falsetto“, hingegen „Harmonie hervortretend“. 4) Die eigenwillige Besetzung Das eigenhändige Widmungsblatt an den Bischof spricht von einer „Messe für Doppelchor und Harmoniebegleitung“. Harmoniemusik in der Klassik… Jedenfalls nicht wegen FreiluftUA!! Es ist die eigenwilligste Besetzung einer Messe, die je entstand. Keine Soli, keine Orgel, keine Streicher, dafür über große Strecken achtstimmiger Chor und 15 Blasinstrumente. Warum diese Besetzung??? Antike: Pneuma als materielle Lebenskraft; Bedeutung von „Luft“, „Atem“ bis „Geist“, in christlicher Auffassung (Paulus) Geist – Hl.Geist. 5) Spezielle Strukturen Auffallend: Die Bläser sind nur selten unterstützende Verdopplungen des Chores, sondern vorwiegend Dialogpartner nach dem Prinzip der Mehrchörigkeit. Das bedeutet, dass Bruckner ihnen eine spezielle Aussage überträgt. Etwa im Sinne von: Der Mensch artikuliert im Messtext auf seine Weise seinen Glauben, seine Beziehung zu Gott – das ist der Gesang des Chores. Die Bläser (Pneuma!!) sind der Geist Gottes, die das, was der Mensch von Gott erkennt, schon vorher und nachher wissen, weil Gottes Geist ja überzeitlich ist. Am Beispiel des Credo illustrieren: 6) Theologisch-musikalischer Bauplan: das „Credo“! 1.Motiv: Circulatio – etwa Wagners „Ring“; barocke Figur. Kreis, Welt, Ganzes, Kosmos Dieses Motiv wandert (einstimmig!) zwischen Chor und Bläsern hin und her. Der seine Glaubensgrundlage bekennende Mensch und der ewige Geist Gottes. Musik 1 Credo in unum Deum Gleich weiter: 2.göttliche Person. Et in unum Dominum Jesum Christum. Genau dasselbe Motiv wandert zwischen Chor und Bläsern, aber nun nicht nach unten sequenziert, sondern nach oben. Musik 2 Et in unum Dominum Gegen Ende des Credo: Et in unum spiritum. Wieder dieselbe Struktur. Musik 3 Et in unum spiritum Das war alles im 3er-Takt, göttliche Zahl, Vollkommenheit. Mittelteil erzählt von der Menschwerdung der 2.göttlichen Person, von der Empfängnis und Geburt bis zur Himmelfahrt und der Wiederkunft zum Gericht. Der beschäftigt sich also mit dem Menschen, mit der Welt. Und ist daher im 4er-Takt, der unvollkommenen Zahl der Erde. Doch der Geist Gottes ist auch in der Musik mit dabei. Et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine. Der Geist Gottes fließt gleichsam in Maria hinein. Mit dem Motiv Gottes. Musik 4 Incarnatus Dieser Text wird wiederholt, ganz ähnlich, aber nicht gleich. Bei „ex Maria virgine“ eine neue Modulation, neue Tonart – und das „Pneuma“, die Akkorde der Hörner, sind schon bei ihr. Musik 5 Incarnatus, zweite Stelle Am Ende des Credo: Et vitam venturi saeculi – an das Leben der künftigen Welt. Hier ist die Vollkommenheit und Einheit der Schöpfung mit Gott vollzogen, hier ist das Credo-Thema nicht mehr einstimmig, sondern dreistimmig im Frauen- und dreistimmig im Männerchor, eingebettet in die umflutenden Akkorde der Bläser Musik 6 Et vitam venturi 7) Musikalischer Stil Auffallend der Unterschied zwischen den textreichen und textarmen Teilen. In letzteren lange a-c-Passagen, die in Messkompositionen des 19.Jahrhunderts ganz unüblich sind. Genannt wir hier immer wieder der Einfluss des Cäcilianismus, eine kirchenmusikalische Reformbewegung des mittleren 19.Jhs in Mitteleuropa, die aus der allgemeinen Mittelalterbegeisterung kam. Die Kirchenmusik sollte wieder äußere Schlichtheit annehmen, als Ideal wurde Palestrinas Stil angepriesen. Bruckner kannte diesen Stil natürlich sehr gut und hat in den a-cappella-Teilen der Messe auch die Techniken der Renaissancemusik verwendet, wohl mehr an Josquin des Prez als an Palestrina orientiert. Von einer Stilkopie zu sprechen wäre absurd; Bruckners Dissonanzauffassung und harmonisches Denken hat mit dem Cäcilianismus absolut nichts zu tun. Bruckner zum Prager Erzbischof (Kardinal Franz Graf Schönborn), der die Cäcilianer lobte: „Eminenz, Palästrina a la bonheur! Das is was, aber die Cäcilianer die san nix! Nix! Nix!“ Wie bewusst Bruckner jede Note schrieb, zeigt eine motivische Entwicklung, die sich vom Anfang bis zum Ende der Messe zieht. Das erste Kyrie beginnt so: Musik 7 Kyrie 1 Das Kyrie wird von Bruckner offenbar trinitarisch aufgefasst, also steht im zweiten Kyrie die Anrufung des Heiligen Geistes. Es beginnt fast genauso wie das erste, aber im 2.Sopran steht eine Auszierung, die dann einen Ton tiefer wiederholt wird. Musik 8 Kyrie 2, Beginn Diese Auszierung, ich nenne sie das Motiv des Hl. Geistes, tritt immer deutlicher hervor und am Ende des Kyrie ist es omnipräsent im Dialog zwischen Tenor- und Sopranstimmen. Musik 9 Kyrie 2, Ende Dies also das Hl.Geist-Thema aus dem Kyrie. Wir hatten zuvor beim Credo dem Hl. Geist als „Pneuma“ den Bläsern zugeordnet. Dieses wird auch mit seinem Kyrie-Thema wirksam. Ganz am Ende der Messe, bei der Friedensbitte. Diesmal in den Holzbläsern, die nach Bruckner „hervortretend“ spielen, während der zuvor achtstimmige Chor nur mehr mezza voce und falsetto zweistimmige Begleittöne singt. Musik 10 Agnus Ende 18 Jahre später…Philipperbrief. bei der vorletzten Nennung des Unnennbaren tritt Christus in die Dreifaltigkeit ein… Musik 11 Christus factus est – quod est super omne nomen