Untersuchungen zum Schwanzbeißen in Praxisbetrieben Dirk Schäffer MARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT HALLE-WITTENBERG Einordnung der Erhebungen Projekt: “Umsetzung von Haltungs- und Managementmaßnahmen zur Verminderung bzw. Vermeidung des Schwanzbeißens bei nicht kupierten Schweinen im Praxisbetrieb“ Die Förderung des Vorhabens erfolgt über den Arbeitskreis der Rügenwalder Mühle zur Förderung des wissenschaftlich begründeten Tierschutzes. Durchgeführt in drei Betrieben in Thüringen und Sachsen. Erfahrungen - Thüringen Der Einsatz unkupierter Schweine bei derzeitigen Produktionsbedingungen führt häufig zu Mastleistung Verlusten, Kümmerern und Behandlungsraten Erfahrungen - Thüringen Gruppengröße > 30 Tiere / Bucht mit besseren Rückzugsmöglichkeiten weniger Probleme bei Strohaufstallung Witterung / Stallklima wirkt provozierend keine einheitliche Aussage zum Geschlecht Erfahrungen – Nordrhein-Westfalen Fütterung Rationierte Fütterung Verfütterung von Strukturmaterial Vermeidung von Futterwechseln Vermeiden von Flüssigfütterung (JAEGER, 2011) Versuch 1 – Aufbau & Verlauf Versuchsbetrieb - Ferkelerzeugung und -aufzucht am Standort - 900 Bestandssauen (DE x DL) - Maststall ca. 5 km entfernt Abschnitt Säugezeit / Sozialisierung Aufzucht Mast Schlachtung Tiere (n) Zeit (2013) 81 Juni 72 60 56 Aufstallung und Management - alle untereinander bekannt und unkupiert Jul./Aug. - 2 Kleingruppen und Aug./Nov. 1 Großgruppe Nov./Dez. - „Rausschlachten“ Versuch 1 – Beschäftigung Beschäftigungsangebot und Abschnitt Managementmaßnahmen Säugezeit / - Sozialkontakt aller Ferkel ab 11. Tag pp Sozialisierung - Jutesäcke (Komfort und Beschäftigung) - Düsser Wühltürme bei Aufstallung* Aufzucht - ab 3. Wo Tannenholz und Salzlecksteine - ab 4. Wo 1 x täglich ätherisches Öl - Behandlung aller Schwanzverletzungen - Gruppenzusammensetzung konstant Mast - Beschäftigung/Behandlung wie Aufzucht * Kleingruppe 1 erst ab 2. Aufstallungswoche. Ursprünglich als Kontrollgruppe „ohne Beschäftigung“ vorgesehen. Beschäftigung - Ferkelaufzucht 3. Woche – Kleingruppe ohne Schwanzbeißen Wühlturm Salzleckstein Tannenholz Sozialisierung - Verlauf Umfang - 6 Würfe mit Sozialisierung der Saugferkel - 81 lebend geborene Ferkel - 3 Wochen Säugezeit - 1 Sau verendet und durch Amme ersetzt erfasste Daten - Videoaufnahmen zum Verhalten - vollständige Integumentbonitur - Schwanzlängen - Temperatur / Luftfeuchte Individuell markierte Ferkel auf Jutesack. Sozialisierung - Methode - 6 Würfe mit Sozialkontakt - Arbeitsgang als erweiterter Aktivitätsbereich (verändert nach SCHÄFFER et al. 2010) Methode – Bonitur der Schwänze Note 0 1 2 3 4 5 6 7 Befunde keine Verletzungen Kratzer und punktförmige Wunden (frisch/alt) flächige Wunden (blutig) Schorf (flächig) bzw. schwarze abgestorbene Gewebeteile Verlust von Schwanzteilen bis 50 % der Schwanzlänge Referenz: Tiere mit unverletzten Schwänzen Verlust von Schwanzteilen >> 50 % der Schwanzlänge kein Schwanz Nekrose Note 1: Aufzuchtferkel (4. Woche) Methode – Bonitur Hautoberfläche Note Befunde 0 keine Veränderungen / Verletzungen Striemen/Kratzer (frisch/alt) 1 bis 4 cm und punktförmige Wunden Striemen/Kratzer (frisch/alt) 2 >> 4 cm und flächige Wunden flächige Wunden bis 4 cm 3 (frisch/verschorft) 4 flächige Wunden >> 4 cm (frisch/verschorft) Methode – Schwanzlänge Standardisierte Messungen - alle Tiere individuell je Boniturtermin - Anpassung der Schablonen an das Schwanzwachstum Aufzuchtferkel Läufer (1. Mastwoche) Ergebnisse - Sozialisierung Früher und intensiver Mensch-Tier-Kontakt. Das Stallpersonal nahm das Verfahren positiv an! Nach dem Tod einer Sau wird die Amme nur von einem Teil des Wurfes (unmarkierte Ferkel) angenommen. Ergebnisse - Sozialisierung Schwanzwachstum und -verletzungen Alter (LT) 8. 15. 22. 29. Ferkel (n) 80 71 71 71 mittlere Länge (cm) 10,1 ± 1,1 nicht erfasst 12,3 ± 1,1 13,3 ± 1,5 mittlere Boniturnote nicht erfasst 0,14 0,10 0,25 Ergebnisse - Ferkelaufzucht Schwanzwachstum und -verletzungen Aufzuchtferkel Lebenstage 36. 50. 64. 79. 86. Kleingruppe 1 n = 17 (16) Schwanz- Boniturlänge note (cm) MW 14,8 ± 1,2 0,9 15,3 ± 1,7 2,0 17,1 ± 1,9 2,6 19,2 ± 2,9 2,8 19,7 ± 2,8 2,9 Kleingruppe 2 n = 17 (16) Schwanz- Boniturlänge note (cm) MW 14,8 ± 1,5 0,6 16,2 ± 1,6 1,8 16,4 ± 2,7 2,3 18,4 ± 3,2 3,0 18,8 ± 3,4 3,3 Großgruppe n = 38 (28) Schwanz- Boniturlänge note (cm) MW 13,9 ± 1,5 0,7 14,9 ± 1,9 1,3 15,8 ± 2,6 2,8 14,6 ± 3,3 3,7 14,0 ± 4,2 4,2 Ergebnisse - Mast Schwanzwachstum und -verletzungen Mast Kleingruppe 1 n = 16 Lebenstage Schwanzlänge (cm) 101. 115. 130. 144. 165. 22,7 ± 3,7 23,5 ± 3,0 24,7 ± 3,1 25,0 ± 3,0 26,1 ± 2,9 Kleingruppe 2 n = 16 Boniturnote MW Schwanzlänge (cm) Boniturnote MW 4,4 3,6 3,6 3,6 3,8 20,1 ± 5,2 22,2 ± 4,4 22,1 ± 4,8 22,6 ± 4,8 23,1 ± 4,5 3,4 3,5 3,8 4,1 4,2 Großgruppe n = 28 (26) Schwanzlänge (cm) 15,4 ± 5,1 15,3 ± 4,9 16,0 ± 4,9 16,5 ± 5,6 18,2 ± 5,9 Boniturnote MW 4,1 4,3 4,4 4,4 3,9 Ergebnisse - Mast mittlere Boniturnote 1,5 Note 1 Vulvaverletzungen 1 0,5 0 101. LT 115. LT 130. LT 144. LT 165. LT Mast (Lebenstage) n = 24 ♀♀ Note 4 5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 mittlere Boniturnote Verletzungen Schwanz Kopf Amme 8.LT 22.LT 36.LT 86.LT 115.LT 144.LT 15.LT 29.LT 64.LT 101.LT 130.LT 165.LT 5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 mittlere Boniturnote Produktionsstufe (Lebenstage) Ergebnisse Integument im Verlauf Wurfauswertung n = 14 11 Ferkel Verletzungen Schwanz Kopf 8.LT 22.LT 36.LT 86.LT 115.LT 144.LT 15.LT 29.LT 64.LT 101.LT 130.LT 165.LT Produktionsstufe (Lebenstage) n = 14 9 Ferkel Versuch 2 – Aufbau & Verlauf Versuchsbetriebe: Ferkelerzeugung (Thüringen), Danhybrid Ferkelaufzucht (Thüringen, anderer Betriebsteil) Maststall (Sachsen, Betrieb 2) Abschnitt Säugezeit / Sozialisierung Aufzucht Tiere (n) Zeit 137 28 Tage 100 Mast 91 Schlachtung 87 ab 29. LT ab 78. LT 186. LT Aufstallung und Management - 5 Würfe unkupiert - 4 Würfe kupiert - unkupiert (n = 54, 4 Buchten) - kupiert (n = 46, 2 Buchten) - unkupiert (n = 49, 3 Buchten) - kupiert (n = 42, 2 Buchten) - Schlachtdaten Aufstallung - Sozialisierung Variante II: je drei Würfe Variante I: je zwei Würfe Ergebnisse – Mast / Betrieb 2 Beschäftigung: Wühltürme, Presswürfel („Lollys“), Wippe mit Ketten Einstallung Schlachtreife Ergebnisse – Mast / Betrieb 2 Schwanzwachstum und -verletzungen Lebenstag Gruppe 1 / MW Gruppe 2 / MW Gruppe 3 / MW (n = 17; 11 ♀ ♀) (n = 18; 9 ♀ ♀) (n = 14; 7 ♀ ♀) Schwanz- Note Vulva Schwanz- Note Vulva länge (cm) länge (cm) Schwanzlänge (cm) Note Vulva 118. 23,16 1,94 1,67 24,26 1,56 0,44 19,02 3,43 0,57 140. 24,63 2,67 1,00 22,99 3,72 0,89 19,59 3,75 0,20 180. 29,29 2,20 1,33 26,14 3,72 0,56 21,76 2,58 1,00 Lebenstag schwanzkupierte Tiere Gruppe 6 / MW Gruppe 7 / MW (n = 21; 10 ♀ ♀) (n = 22; 8 ♀ ♀) Schwanz / Note Vulva Schwanz / Note Vulva 118. 1,19 1,13 1,27 1,50 140. 1,75 0,80 1,41 2,00 180. 1,18 2,00 1,05 0,63 Ergebnisse – Mast / Betrieb 2 Integumentbefunde – Abteilauswertung Methode: sichtbarer Befund je Tier ja / nein Erhebung: Bewertung der Buchtengruppe Umfang: nur kupierte Tiere im Versuchsabteil (ohne Versuchsbuchten) Befunde (%) Lebens- Tiere (n) Schwanz tag Ohren 111. 633 4,89 17,50 140. 617 27,50 35,17 180. 597 29,64 48,07 Vulva 0,78 15,88 5,36 Ergebnisse – Schlachthof Methode – Bonitur der Schwänze Noten Konsistenz 1 rund / ohne Veränderungen flachgedrückte 2 Abschnitte (bis 3 cm) 3 Befunde am Schwanz Hautoberfläche Spitze keine keine Veränderungen / Veränderungen / Verletzungen Verletzungen punktförmige bis punktförmige bis kleinflächige kleinflächige Wunden (< 2 cm) Wunden (< 1 cm) flachgedrückte flächige Wunden flächige Wunden Abschnitte (> 3 cm) (bis 4 cm) (> 1 cm) Knicke Striemen, Kratzer nekrotisch verändert 4 und flächige Wunden (> 4 cm) Ergebnisse – Bonitur der Schwänze (n = 28, davon 3 o.N.) Ergebnisse – Bonitur der Schwänze 89. LT Knickverletzungen Ergebnisse – Schlachthof Bonitur der Schwänze (n = 28) Noten 1 2 3 4 Befunde (%) am Schwanz Konsistenz HautoberSpitze fläche 32,14 7,14 0 32,14 50,00 53,57 14,28 35,71 21,42 21,42 mittlere Länge: 26,9 cm Max: 32,4 cm 7,14 25,00 Tiere – Verluste (Versuch 1) Ursache Säugezeit Aufzucht Mast erdrückt 2 Kümmerer 1 0 0 Atemwegserkrankung 1 2 0 Lahmheit 1 0 1 Kreislaufversagen 0 0 1 Schwanzverl./Tritt der Sau 2 Schwanzverl. durch Biss 0 4 2 Vermarktung „Spanferkel“ 4 unbekannt 2 2 0 ∑ Verluste n (%) 9 (11,11) 12 (16,66) 4 (6,66) Tiere – Verluste (Versuch 2) Ursache Säugezeit Aufzucht Mast erdrückt 3 Untergewicht 6 0 0 Kümmerer 0 0 2 Atemwegserkrankung 0 1 0 Lahmheit 0 2 1 gemerzt 3 0 0 unbekannt 5 3 3 ∑ Verluste n (%) 17 (12,40) 6 (5,66) 6 (6,25) versetzt Untergewicht 17 3 Beschäftigung - Management - regelmäßig neue Beschäftigungselemente anbieten Holzring (Aufzucht, Großgruppe, 2. Woche) Beschäftigung - Management Düsser Wühlturm - manuelle Befüllung - Füllmenge an tatsächlichem Bedarf der Tiere anpassen - Material wechseln (z.B. Häckselstroh, Maissilage, Luzerne) Abstand / Anlernen letzte Mastwoche Beschäftigung - Management Düsser Wühlturm Verstopfung der Güllerohre (Aufzucht) 180,- Euro Reinigungskosten „Luxuskonsum“ von Häckselstroh (Mast). Umfeld des Wühlturms dient als Liegebereich. Schwanzbeißen - Maßnahmen Die Schwänze aller Tiere mit Buchenholzteer bestreichen. Vorteil: Verhindert Infektionen und löst Komfortverhalten aus. Nachteil: Aufwand, ca. 3 min / Tier! Schwanzbeißen - Maßnahmen Tiere mit vollständigem Schwanzverlust und den daraus resultierenden großflächigen Wunden müssen umgehend separiert werden! Bei den abgebildeten Tieren heilten die Wunden nach Teerbehandlung ab. 3. Mastwoche. Vorläufige Einschätzungen – Verlauf von Aufzucht & Mast - hoher Personal- und Zeitaufwand - Sozialisierung und Beschäftigung allein reichen nicht aus, um das Schwanzbeißen zu verhindern! Ferkelaufzucht - Defizite ↑↑↑Besatzdichten und ein ↓↓↓Tier-Fressplatz-Verhältnis bilden ein ↑↑↑ Risiko für das Auftreten von Schwanzbeißen. Saugferkel - Defizite Beißen des Wurfgeschwisters (1. LT) Mangel an Beschäftigung (5. LT) Saugferkel - Defizite Schwanz- und Ohrenbeißen (11. LT) Saugferkel - Defizite Ohrenbeißen (Säugeperiode) Futteraufnahme - Defizite - 1 kg TroFu in 3 bis 4 Minuten - flüssig/breiförmig noch weniger Die unter Haltungsbedingungen oft unzureichende Futterstruktur, die reduzierten Fütterungszeiten und -dauern sowie die unzureichenden Möglichkeiten für das mit der Nahrungssuche verbundene intensive Explorationsverhalten sind wesentliche Faktoren, die zu verschiedenen Verhaltensstörungen beitragen (TERLOUW et al. 1991). Letzte Bonitur – „Schlachtreife“ Versuch 1: Kleingruppe ohne Schwanzbeißen. Bis alle unsere Artgenossen so aussehen, gibt es noch viel zu „tun“ !