Die auffälligen Feuerwanzen treten meist in grossen Scharen auf, auch in Gärten. Doch keine Angst: Die interessanten Insekten richten kaum Schäden an, denn sie ernähren sich hauptsächlich von gefallenen Samen. Text: Andreas Krebs Fotos: Angela Schwarz Das rote Krabbel n Wandern mit WWF NATUR D as Volk scheint orientierungslos, wie von Sinnen wuselt die Horde, krabbelt und trampelt, Individuen werden übersehen, ignoriert, überrannt, der Mob hysterisch – kein Wunder, bei dieser Bevölkerungsdichte. Oft nisten sich mehrere hundert Feuerwanzen auf engstem Raum ein: zwischen Steinen und Holzbeigen, in Mauerritzen und Baumhöhlen. «Im Frühling kann man sie leicht an Lindenstämmen beobachten», weiss die Entomologin Silvie Barbalet vom WWF Neuenburg. Ihre Kollegin Denise Wyniger vom Natur-Museum Luzern ist Wanzenspezialistin und verallgemeinert: «Die Tiere sind überall, wo es ein bisschen Sonne hat.» Die meisten der weltweit über 300 FeuerwanzenArten leben in den Tropen und Subtropen, dort sind manche bis fünf Zentimeter gross. In Mitteleuropa sind nur die gut ein Zentimeter grosse, leuchtend rotschwarz gefärbte Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus) und die bräunlich gefärbte P. marginatus vertreten; Letztere nur in südlichen Regionen, im Tessin und im Wallis. Natürlich | 3-2007 27 Foto: Andreas Krebs NATUR Wandern mit WWF Holzstatuen: Auf dem «Sentier des Temps» ist die Entwicklung des Lebens in Holz gefräst Märchenhafter Bois-de-l’Hôpital Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA071065) Vom Bahnhof Neuenburg erreicht man das Smaragdgebiet Le Bois de l'Hôpital zu Fuss in einer guten halben Stunde: Den Nordausgang nehmen und rechts die Faubourg de la Gare hoch; beim Kreisel zweite Ausfahrt (Rue de Fontaine-André) nehmen. Nach gut 400 Metern kurz vor einem Kreisel in die Rue Georges-Auguste-Matile links abbiegen. Nach ein paar Schritten kommt man zum Hintereingang des Botanischen Gartens. Direkt daneben führt ein Weg in den Wald und bergauf zum Smaragdgebiet. Nach zirka 20 Minuten gelangt man auf den Roche de l’Ermitage, einen felsigen Hügel, von wo man einen überwältigenden Blick auf Stadt, See und Alpen hat. Von diesem Aussichtspunkt erschliesst sich das Schutzgebiet Bois de l’Hôpital. «In ihm sind Feuerwanzen eher schwer zu entdecken», sagt Silvie Barbalet vom WWF Neuenburg. Aber: «An Bäumen am Strassenrand sieht man sie eher.» Zum Beispiel auf dem Rückweg zum Botanischen Garten. Zuerst gehen wir aber in den Wald, wo auch die Smaragdarten Dickjährige Trespe, Kriechender Eppich, Prachtbär (Falter) und Hirschkäfer (siehe Kasten) leben. Auf der anderen Seite gleich unterhalb des Roche de l’Ermitage beginnt der «Sentier du Temps», ein Zeitpfad, auf dem 17 aus Holz gefräste und geschnitzte Statuen die Entwicklung des Lebens auf der Erde darstellen – interessant besonders auch für Kinder. Auf diesem Pfad geht es gemütlich weiter bis auf den Chaumont. Hier laden Restaurants, Spielplatz und Tiergarten zum Verweilen; auch gibt es hier Hotels und Gruppenunterkünfte. Wer noch mag, wandert auf anderen markierten Wegen durch den Wald zurück, bis nach Neuenburg dauert das mindestens eineinhalb Stunden. Alternative: Für alle, die nicht die ganze Tour zu Fuss bewältigen wollen oder können fährt von La Coudre die einzige Panorama-Standseilbahn in 13 Minuten auf den Chaumont – und natürlich auch wieder zurück. Bus Nr. 7 von und nach dem Bahnhof Neuenburg. Anreise: Die Zugreise von Zürich nach Neuenburg dauert rund 1,5 Stunden; es gibt bequeme Direktverbindungen. Weitere Informationen: • Hotels, Parahotellerie usw. auf der Site des Verkehrsbüros Neuenburg, Telefon 032 889 68 90, www.neuchateltourisme.ch • Viele weitere Wandervorschläge des Wanderwegvereins Neuenburg unter www.touripedestre-ne.ch • Botanischer Garten: www2.unine.ch/jardin, Eintritt frei • Centre Dürrenmatt: www.cdn.ch, Eintritt Erwachsene Fr. 8.–; Kinder, Studenten, AHV Fr. 5.–. • Standseilbahn 032 720 06 00 oder www.tn-neuchatel.ch ■ = Bahnhof Neuenburg ● = Talstation Seilbahn La Coudre–Chaumont 28 Natürlich | 3-2007 Wandern mit WWF NATUR Das WWF-Alpenprogramm Für die Serie «Wandern mit WWF» arbeiten WWF und «Natürlich» zusammen. In der Serie werden Tiere und Pflanzen vorgestellt, die in Naturgebieten und sogenannten Smaragd-Gebieten vorkommen. Smaragd-Gebiete sind Lebensräume, die im Rahmen des WWF-Alpenprogramms als besonders schützenswert erachtet werden. Mit dem Smaragd-Netzwerk wird die langfristige Erhaltung von bedrohten Arten und Lebensräumen angestrebt sowie Naturschutzlücken geschlossen. Weitere Infos: www.wwf.ch/alpen Bisher erschienen: 6-06: Ringelnatter, Mastrilser Auen 7-06: Adonislibelle, Les Grangettes 8-06: Murmeltier, Fellital 9-06: Hirsch, Schwägalp 10-06: Sumpfschildkröte, Le Moulin-de-Vert 11-06: Gämse, Stockhorn 12-06: Kolbenente, Ermatinger Becken 1-07: Biber: Chablais de Cudrefin / Fanel 2-07: Wasseramsel: Val Müstair Unter Verdacht «Wanzen sind keine Käfer», erklärt Fachfrau Wyniger. «Sie haben andere Strukturen, zum Beispiel ein stechend-saugendes Mundwerkzeug anstelle eines beissend-kauenden.» Mit diesem machen sich die sogenannten Phytophagen sauflustig über abgefallene Linden- und Malvensamen her, gelegentlich greifen sie gar andere Insekten an oder nuckeln an toten Wirbellosen, desgleichen verschmähen sie Insekteneier und Früchte nicht. Deshalb wird in Internet-Foren auch über Feuerwanzen geschimpft: «Meine Lilien sind einer Massenattacke zum Opfer gefallen.» Oder: «Am liebsten saugen sie unsere Erdbeeren aus, letztes Jahr ging unsere ganze Ernte futsch.» «Dass die Wanzen Pflanzen zu Tode saugen, ist mir nicht bekannt», sagt die Expertin, schliesst ein solches Tun aber auch nicht aus. «Der Trend geht hin zu naturnahen Gärten und in solchen fühlt sich auch allerlei Getier wohl», sagt sie. Man müsse ihn halt so gestalten, dass diese nicht stören: «Nahe des Sitzplatzes keine Kiesflächen anlegen und das Laub regelmässig entfernen», rät sie. «Linden, Malven und Robinien nicht in Hausnähe pflanzen.» Knackige Gelenke und starke Düfte Wenn Feuerwanzen doch stören, reiche es, sie umzusiedeln: «Bringt man sie in ein Habitat mit ihrer Nahrungspflanze, werden sie sich auch dort genüsslich niederlassen.» Denn Feuerwanzen sind sehr standorttreu, die kurzflügeligen Tiere können nicht fliegen, und «auch die vereinzelt auftretenden langflügeligen Tiere haben das Fliegen verlernt», weiss Wyniger. Im Frühjahr verlassen die Tiere ihre Winterquartiere und beginnen sofort mit Balz, Paarung und Eiablage, damit es schon im August wieder geschlechtsreife Tiere gibt Natürlich | 3-2007 29 NATUR Wandern mit WWF Warntracht geben sie sich aber deutlich als übler Happen zu erkennen. Dafür haben sie ein ausgeprägtes Sozialverhalten entwickelt. Das Wanzenvolk ist also keineswegs so orientierungslos, wie es dem flüchtigen Betrachter erscheint: «Auch Wanzen kommunizieren», sagt Wyniger: «Manche Arten trommeln mit ihren Fühlern auf den Boden, andere nutzen ihren Rüssel und streichen mit ihm über waschbrettartige Strukturen auf der Körperunterseite, wieder andere knacken mit ihren Beingelenken – für uns ist das natürlich unhörbar.» Ausserdem kommunizieren Wanzen mit Geruchsstoffen, sogenannten Pheromonen. Seitlich auf der Brustunterseite haben sie zusätzlich Stinkdrüsen. «Manche spritzen damit gezielt», weiss Wyniger. Gegenüber anderen Insekten wirken die abgesonderten Drüsensekrete als Kontaktgift, es lähmt die Opfer und macht die Wanzen für Fressfeinde ungeniessbar. Das gilt auch für die «sehr fein riechenden» Arten wie die rot-schwarz gestreifte Streifenwanze (Graphosoma lineatum), die auf Doldenblüten und wilden Karotten anzutreffen ist und deren Sekret laut Wyniger «wie ältere Äpfel» riecht. Das Sekret der Feuerwanze habe sie hingegen noch nie bewusst wahrgenommen. Mit ihrer rot-schwarzen Getäuschte Fressfeinde Weil verschiedene ungeniessbare Insekten die gleiche Warntracht tragen, verteilt sich die Zahl der dem Lerneffekt zu opfernden Individuen auf mehrere Arten. Davon profitiert dann jede Einzelne. Diese Anpassung nennen Experten Müllersche Mimikry. Die in einem Mimikry-Kreis gefassten Arten gehören oft zu unterschiedlichen Familien, deshalb gleichen sich eng verwandte Tiere oft weniger, als entfernt verwandte. Auch manch feines Vogelfutter trägt Warntracht, Batessche Mimikry heisst dieses Phänomen: Ungiftige Insekten profitieren von der Ungeniessbarkeit ihrer Vorbilder, denen sie in Farbe oder auch in Form ähneln. Ausschweifendes Sexleben Feuerwanzen kriechen normalerweise ab Mitte März aus ihrem Winterversteck in Laubstreu, zwischen Ritzen, unter Borken und streifen sogleich herum auf Nahrungssuche; heuer konnte man sie bereits an sonnigen Januartagen beobachten. Von April bis Mai säubern die Männchen piekfein ihre langen Fühler und dünnen Beinchen, dann scharwenzeln sie um Weibchen herum, kraxeln auf deren abgeflachte, länglich ovale Rücken, führen Penise ein und rutschen nach dem Akt seitlich wieder herunter – anschliessend wenden sich die Liebenden zur Gegenstellung und krabbeln in augenfälliger Manier «Fudi an Fudi» über Stock und Stein. So verhindert das Männchen, dass ein Konkurrent noch «aufsteigen» könnte. Der Hirsch unter den Käfern Der Hirschkäfer (Lucanus cervus) ist der tigte faustgrosse Höhle, in der sie sich ver- Beobachtungen bitte melden an: grösste mitteleuropäische Käfer; die bis puppen. [email protected] oder Naturhistorisches acht Zentimeter grossen, kastanienbraunen Der Hirschkäfer steht in ganz Europa auf der Museum, z. H. Eva Sprecher, Männchen imponieren mit ihren geweihar- Roten Liste und ist geschützt. Augustinergasse 2, 4001 Basel. tig vergrösserten Oberkiefern (Mandibeln). Als fertige Käfer leben die Tiere fünf bis acht Wochen, einzige Aufgabe ist die Fortpflanzung. Im Juni und Juli fliegen die dämmerungsaktiven Käfer um Baumkronen auf der Suche nach Partnern. Treffen zwei Männchen aufeinander, versuchen sie, den Gegner mit Hilfe ihrer «Geweihe» auf den Rücken zu legen oder vom Ast zu hebeln. Das bis sechs Zentimeter grosse Weibchen legt etwa 20 Eier an morsches Holz im benötigen fünf bis sechs Jahre für ihre Entwicklung und werden bis zehn Zentimeter lang. Am Ende ihrer Entwicklung bauen sie im Boden eine aus Erde gefer- 30 Natürlich | 3-2007 Foto: Karl Weber Boden. Die engerlingsartigen Larven Wandern mit WWF NATUR Links: Während der Entwicklung, bei der sich die Nymphen fünfmal häuten, kann sich die Farbe verändern Rechts: Der Halsschild der fertigen Wanze ist trapezförmig, das mittelgrosse Schildchen ist dreieckig. Neben den Facettenaugenhaben sie keine Punktaugen Foto: René Berner I N FO B OX Metamorphose ohne Puppenstadium Die Weibchen legen im Durchschnitt 50 Eier unter altes Laub, manchmal auch in selbst gegrabene Erdlöcher. Pro Jahr gibt es nur eine Generation. Nach sechs bis acht Wochen schlüpfen die Larven, ihr Hinterleib ist fast völlig rot. Erst das ausgewachsene Tier hat zwei schwarze Punkte auf den Flügeldecken und eine schwarze Zeichnung am Hinterleib. Bis zur ausgewachsenen Feuerwanze durchlaufen die Tiere fünf Larvenstadien; jedes wird mit einer Häutung abgeschlossen. Ab August erfolgt die letzte Häutung zum erwachsenen Tier, damit wird die Feuerwanze geschlechtsreif. Die Verwandlung von der Larve über mehrere Larvenstadien bis zum erwachsenen Insekt nennt man hemimetabole Metamorphose, was unvollkommene Verwandlung bedeutet. Im Gegensatz dazu entwickeln sich holometabole Insekten wie der Hirschkäfer (siehe Kasten) über ein Larven- und ein Puppenstadium zum erwachsenen Insekt. ■ Literatur • Sauer: «Wanzen und Zikaden – nach Farbfotos erkannt», Verlag Fauna, 1996, ISBN 3-935980-06-7, Fr. 26.90 • Bellmann: «Insekten – Erkennen und bestimmen», Verlag Ulmer, 2002, ISBN 3-8001-4267-5, Fr. 18.– • Wachmann: «Wanzen (Band 2)», Verlag Goecke und Evers, ISBN 3-931374-57-0, Fr. 100.– • Klausnitzer: «Die Hirschkäfer», Verlag Westarp, 1995, ISBN 3-89432-451-1, Fr. 35.– Internet • www.insecta.ch/db/index.php?navid= 72&item=11 • www.infochembio.ethz.ch/links/zool_ insekt_insekt.html • www.nmb.bs.ch/sammlungen/ biowissenschaftliche-sammlung/insekten.htm • www.biogarten.ch Natürlich | 3-2007 31