Das rote Krabbel (Seiten 26-31)

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Die auffälligen Feuerwanzen treten
meist in grossen Scharen auf,
auch in Gärten. Doch keine Angst:
Die interessanten Insekten richten
kaum Schäden an, denn sie
ernähren sich hauptsächlich von
gefallenen Samen.
Text: Andreas Krebs
Fotos: Angela Schwarz
Das rote Krabbel
n
Wandern mit WWF NATUR
D
as Volk scheint orientierungslos, wie von
Sinnen wuselt die Horde, krabbelt und trampelt, Individuen werden übersehen, ignoriert,
überrannt, der Mob hysterisch – kein Wunder,
bei dieser Bevölkerungsdichte. Oft nisten sich mehrere
hundert Feuerwanzen auf engstem Raum ein: zwischen
Steinen und Holzbeigen, in Mauerritzen und Baumhöhlen. «Im Frühling kann man sie leicht an Lindenstämmen beobachten», weiss die Entomologin Silvie
Barbalet vom WWF Neuenburg.
Ihre Kollegin Denise Wyniger vom Natur-Museum
Luzern ist Wanzenspezialistin und verallgemeinert:
«Die Tiere sind überall, wo es ein bisschen Sonne hat.»
Die meisten der weltweit über 300 FeuerwanzenArten leben in den Tropen und Subtropen, dort sind
manche bis fünf Zentimeter gross. In Mitteleuropa sind
nur die gut ein Zentimeter grosse, leuchtend rotschwarz gefärbte Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus)
und die bräunlich gefärbte P. marginatus vertreten;
Letztere nur in südlichen Regionen, im Tessin und im
Wallis.
Natürlich | 3-2007 27
Foto: Andreas Krebs
NATUR Wandern mit WWF
Holzstatuen:
Auf dem «Sentier des
Temps» ist die
Entwicklung des
Lebens in Holz gefräst
Märchenhafter Bois-de-l’Hôpital
Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA071065)
Vom Bahnhof Neuenburg erreicht man das Smaragdgebiet Le Bois de
l'Hôpital zu Fuss in einer guten halben Stunde: Den Nordausgang
nehmen und rechts die Faubourg de la Gare hoch; beim Kreisel zweite
Ausfahrt (Rue de Fontaine-André) nehmen. Nach gut 400 Metern kurz
vor einem Kreisel in die Rue Georges-Auguste-Matile links abbiegen.
Nach ein paar Schritten kommt man zum Hintereingang des Botanischen Gartens. Direkt daneben führt ein Weg in den Wald und bergauf
zum Smaragdgebiet.
Nach zirka 20 Minuten gelangt man auf den Roche de l’Ermitage,
einen felsigen Hügel, von wo man einen überwältigenden Blick auf
Stadt, See und Alpen hat.
Von diesem Aussichtspunkt erschliesst sich das Schutzgebiet Bois de
l’Hôpital. «In ihm sind Feuerwanzen eher schwer zu entdecken», sagt
Silvie Barbalet vom WWF Neuenburg. Aber: «An Bäumen am Strassenrand sieht man sie eher.» Zum Beispiel auf dem Rückweg zum Botanischen Garten.
Zuerst gehen wir aber in den Wald, wo auch die Smaragdarten Dickjährige Trespe, Kriechender Eppich, Prachtbär (Falter) und Hirschkäfer (siehe Kasten) leben. Auf der anderen Seite gleich unterhalb
des Roche de l’Ermitage beginnt der «Sentier du Temps», ein Zeitpfad, auf dem 17 aus Holz gefräste und geschnitzte Statuen die
Entwicklung des Lebens auf der Erde darstellen – interessant besonders auch für Kinder. Auf diesem Pfad geht es gemütlich weiter bis
auf den Chaumont.
Hier laden Restaurants, Spielplatz und Tiergarten zum Verweilen;
auch gibt es hier Hotels und Gruppenunterkünfte. Wer noch mag,
wandert auf anderen markierten Wegen durch den Wald zurück, bis
nach Neuenburg dauert das mindestens eineinhalb Stunden.
Alternative: Für alle, die nicht die ganze Tour zu Fuss bewältigen
wollen oder können fährt von La Coudre die einzige Panorama-Standseilbahn in 13 Minuten auf den Chaumont – und natürlich auch wieder
zurück. Bus Nr. 7 von und nach dem Bahnhof Neuenburg.
Anreise:
Die Zugreise von Zürich nach Neuenburg dauert rund
1,5 Stunden; es gibt bequeme Direktverbindungen.
Weitere Informationen:
• Hotels, Parahotellerie usw. auf der Site des Verkehrsbüros Neuenburg, Telefon 032 889 68 90,
www.neuchateltourisme.ch
• Viele weitere Wandervorschläge des Wanderwegvereins
Neuenburg unter www.touripedestre-ne.ch
• Botanischer Garten:
www2.unine.ch/jardin, Eintritt frei
• Centre Dürrenmatt: www.cdn.ch,
Eintritt Erwachsene Fr. 8.–;
Kinder, Studenten, AHV Fr. 5.–.
• Standseilbahn 032 720 06 00 oder www.tn-neuchatel.ch
■ = Bahnhof Neuenburg
● = Talstation Seilbahn La Coudre–Chaumont
28 Natürlich | 3-2007
Wandern mit WWF NATUR
Das WWF-Alpenprogramm
Für die Serie «Wandern mit
WWF» arbeiten WWF und
«Natürlich» zusammen.
In der Serie werden Tiere und
Pflanzen vorgestellt, die in
Naturgebieten und sogenannten Smaragd-Gebieten vorkommen.
Smaragd-Gebiete sind Lebensräume, die im
Rahmen des WWF-Alpenprogramms als
besonders schützenswert erachtet werden.
Mit dem Smaragd-Netzwerk wird die langfristige Erhaltung von bedrohten Arten und
Lebensräumen angestrebt sowie Naturschutzlücken geschlossen.
Weitere Infos: www.wwf.ch/alpen
Bisher erschienen:
6-06: Ringelnatter, Mastrilser Auen
7-06: Adonislibelle, Les Grangettes
8-06: Murmeltier, Fellital
9-06: Hirsch, Schwägalp
10-06: Sumpfschildkröte, Le Moulin-de-Vert
11-06: Gämse, Stockhorn
12-06: Kolbenente, Ermatinger Becken
1-07: Biber: Chablais de Cudrefin / Fanel
2-07: Wasseramsel: Val Müstair
Unter Verdacht
«Wanzen sind keine Käfer», erklärt Fachfrau Wyniger. «Sie haben andere Strukturen, zum Beispiel ein stechend-saugendes Mundwerkzeug anstelle eines beissend-kauenden.» Mit diesem machen
sich die sogenannten Phytophagen sauflustig über abgefallene Linden- und
Malvensamen her, gelegentlich greifen
sie gar andere Insekten an oder nuckeln
an toten Wirbellosen, desgleichen verschmähen sie Insekteneier und Früchte
nicht. Deshalb wird in Internet-Foren
auch über Feuerwanzen geschimpft:
«Meine Lilien sind einer Massenattacke
zum Opfer gefallen.» Oder: «Am liebsten
saugen sie unsere Erdbeeren aus, letztes
Jahr ging unsere ganze Ernte futsch.»
«Dass die Wanzen Pflanzen zu Tode
saugen, ist mir nicht bekannt», sagt die
Expertin, schliesst ein solches Tun aber
auch nicht aus. «Der Trend geht hin zu
naturnahen Gärten und in solchen fühlt
sich auch allerlei Getier wohl», sagt sie.
Man müsse ihn halt so gestalten, dass
diese nicht stören: «Nahe des Sitzplatzes
keine Kiesflächen anlegen und das Laub
regelmässig entfernen», rät sie. «Linden,
Malven und Robinien nicht in Hausnähe
pflanzen.»
Knackige Gelenke
und starke Düfte
Wenn Feuerwanzen doch stören, reiche
es, sie umzusiedeln: «Bringt man sie in
ein Habitat mit ihrer Nahrungspflanze,
werden sie sich auch dort genüsslich
niederlassen.» Denn Feuerwanzen sind
sehr standorttreu, die kurzflügeligen
Tiere können nicht fliegen, und «auch
die vereinzelt auftretenden langflügeligen
Tiere haben das Fliegen verlernt», weiss
Wyniger.
Im Frühjahr verlassen die Tiere ihre Winterquartiere und beginnen sofort mit Balz, Paarung und Eiablage,
damit es schon im August wieder geschlechtsreife Tiere gibt
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NATUR Wandern mit WWF
Warntracht geben sie sich aber deutlich
als übler Happen zu erkennen.
Dafür haben sie ein ausgeprägtes Sozialverhalten entwickelt. Das Wanzenvolk
ist also keineswegs so orientierungslos, wie
es dem flüchtigen Betrachter erscheint:
«Auch Wanzen kommunizieren», sagt
Wyniger: «Manche Arten trommeln mit
ihren Fühlern auf den Boden, andere nutzen ihren Rüssel und streichen mit ihm
über waschbrettartige Strukturen auf der
Körperunterseite, wieder andere knacken
mit ihren Beingelenken – für uns ist das
natürlich unhörbar.»
Ausserdem kommunizieren Wanzen
mit Geruchsstoffen, sogenannten Pheromonen. Seitlich auf der Brustunterseite haben sie zusätzlich Stinkdrüsen.
«Manche spritzen damit gezielt», weiss
Wyniger.
Gegenüber anderen Insekten wirken
die abgesonderten Drüsensekrete als
Kontaktgift, es lähmt die Opfer und
macht die Wanzen für Fressfeinde ungeniessbar. Das gilt auch für die «sehr fein
riechenden» Arten wie die rot-schwarz
gestreifte Streifenwanze (Graphosoma
lineatum), die auf Doldenblüten und
wilden Karotten anzutreffen ist und deren
Sekret laut Wyniger «wie ältere Äpfel»
riecht. Das Sekret der Feuerwanze habe
sie hingegen noch nie bewusst wahrgenommen. Mit ihrer rot-schwarzen
Getäuschte Fressfeinde
Weil verschiedene ungeniessbare Insekten die gleiche Warntracht tragen, verteilt sich die Zahl der dem Lerneffekt
zu opfernden Individuen auf mehrere
Arten. Davon profitiert dann jede Einzelne. Diese Anpassung nennen Experten Müllersche Mimikry. Die in einem
Mimikry-Kreis gefassten Arten gehören
oft zu unterschiedlichen Familien, deshalb gleichen sich eng verwandte Tiere
oft weniger, als entfernt verwandte.
Auch manch feines Vogelfutter trägt
Warntracht, Batessche Mimikry heisst
dieses Phänomen: Ungiftige Insekten
profitieren von der Ungeniessbarkeit
ihrer Vorbilder, denen sie in Farbe oder
auch in Form ähneln.
Ausschweifendes Sexleben
Feuerwanzen kriechen normalerweise
ab Mitte März aus ihrem Winterversteck in
Laubstreu, zwischen Ritzen, unter Borken
und streifen sogleich herum auf Nahrungssuche; heuer konnte man sie bereits an
sonnigen Januartagen beobachten.
Von April bis Mai säubern die Männchen piekfein ihre langen Fühler und
dünnen Beinchen, dann scharwenzeln
sie um Weibchen herum, kraxeln auf
deren abgeflachte, länglich ovale Rücken,
führen Penise ein und rutschen nach dem
Akt seitlich wieder herunter – anschliessend wenden sich die Liebenden zur
Gegenstellung und krabbeln in augenfälliger Manier «Fudi an Fudi» über
Stock und Stein. So verhindert das Männchen, dass ein Konkurrent noch «aufsteigen» könnte.
Der Hirsch unter den Käfern
Der Hirschkäfer (Lucanus cervus) ist der
tigte faustgrosse Höhle, in der sie sich ver-
Beobachtungen bitte melden an:
grösste mitteleuropäische Käfer; die bis
puppen.
[email protected] oder Naturhistorisches
acht Zentimeter grossen, kastanienbraunen
Der Hirschkäfer steht in ganz Europa auf der
Museum, z. H. Eva Sprecher,
Männchen imponieren mit ihren geweihar-
Roten Liste und ist geschützt.
Augustinergasse 2, 4001 Basel.
tig vergrösserten Oberkiefern (Mandibeln).
Als fertige Käfer leben die Tiere fünf bis
acht Wochen, einzige Aufgabe ist die Fortpflanzung. Im Juni und Juli fliegen die
dämmerungsaktiven Käfer um Baumkronen
auf der Suche nach Partnern. Treffen zwei
Männchen aufeinander, versuchen sie, den
Gegner mit Hilfe ihrer «Geweihe» auf den
Rücken zu legen oder vom Ast zu hebeln.
Das bis sechs Zentimeter grosse Weibchen
legt etwa 20 Eier an morsches Holz im
benötigen fünf bis sechs Jahre für ihre
Entwicklung und werden bis zehn Zentimeter lang. Am Ende ihrer Entwicklung
bauen sie im Boden eine aus Erde gefer-
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Foto: Karl Weber
Boden. Die engerlingsartigen Larven
Wandern mit WWF NATUR
Links: Während der Entwicklung, bei der sich die Nymphen
fünfmal häuten, kann sich die Farbe verändern
Rechts: Der Halsschild der fertigen Wanze ist trapezförmig,
das mittelgrosse Schildchen ist dreieckig.
Neben den Facettenaugenhaben sie keine Punktaugen
Foto: René Berner
I N FO B OX
Metamorphose
ohne Puppenstadium
Die Weibchen legen im Durchschnitt 50
Eier unter altes Laub, manchmal auch
in selbst gegrabene Erdlöcher. Pro Jahr
gibt es nur eine Generation. Nach sechs
bis acht Wochen schlüpfen die Larven,
ihr Hinterleib ist fast völlig rot. Erst das
ausgewachsene Tier hat zwei schwarze
Punkte auf den Flügeldecken und eine
schwarze Zeichnung am Hinterleib.
Bis zur ausgewachsenen Feuerwanze
durchlaufen die Tiere fünf Larvenstadien;
jedes wird mit einer Häutung abgeschlossen. Ab August erfolgt die letzte Häutung
zum erwachsenen Tier, damit wird die
Feuerwanze geschlechtsreif. Die Verwandlung von der Larve über mehrere
Larvenstadien bis zum erwachsenen Insekt nennt man hemimetabole Metamorphose, was unvollkommene Verwandlung bedeutet. Im Gegensatz dazu entwickeln sich holometabole Insekten wie
der Hirschkäfer (siehe Kasten) über ein
Larven- und ein Puppenstadium zum erwachsenen Insekt.
■
Literatur
• Sauer: «Wanzen und Zikaden – nach Farbfotos erkannt», Verlag Fauna, 1996,
ISBN 3-935980-06-7, Fr. 26.90
• Bellmann: «Insekten – Erkennen und
bestimmen», Verlag Ulmer, 2002,
ISBN 3-8001-4267-5, Fr. 18.–
• Wachmann: «Wanzen (Band 2)», Verlag
Goecke und Evers,
ISBN 3-931374-57-0, Fr. 100.–
• Klausnitzer: «Die Hirschkäfer»,
Verlag Westarp, 1995,
ISBN 3-89432-451-1, Fr. 35.–
Internet
• www.insecta.ch/db/index.php?navid=
72&item=11
• www.infochembio.ethz.ch/links/zool_
insekt_insekt.html
• www.nmb.bs.ch/sammlungen/ biowissenschaftliche-sammlung/insekten.htm
• www.biogarten.ch
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