64 Garten BAUERNBLATT l 17. Oktober 2015 ■ Kulturerbe Mispel Wichtigste Obstart im Mittelalter Das ausdrucksvolle Wildfruchtgehölz war im Mittelalter ein beliebter Fruchtbaum in Bauern- und Klostergärten und zählte zeitweise zu den wichtigsten Obstarten. Heute wird die Mispel meist nur noch zur Zierde gepflanzt. Die Speisenutzung der Früchte, die ähnlich wie Quitten nicht direkt vom Baum gegessen werden können, ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Entgegen ihrem Artnamen war Mespilus germanica in Deutschland ursprünglich nicht heimisch. Sie stammt aus Südosteuropa und Vorderasien und wurde wie so viele Nutzpflanzen vor rund 2.000 Jahren von den Römern über die Alpen gebracht. Dort fühlte sie sich allerdings so wohl, dass sie zumindest im Süden und Südwesten Deutschlands vielerorts verwilderte und heute als eingebürgert gilt. In Norddeutschland ist die Wärme liebende Pflanze seltener zu finden, obwohl sie ausreichend winterhart ist. Als Kernobst ist die Mispel eng verwandt mit Äpfeln, Birnen und Quitten; sie gehört wie diese zu den Rosengewächsen (Rosaceae). Da die Mispel langsam wächst, eignet sie sich gut als kleiner Hausbaum für kleine und mittelgroße Gärten und aufgrund ihrer Robustheit auch für Streuobstwiesen. Die bedornte Wildform bereichert frei wachsende Hecken und naturnahe Gärten um ein wertvolles Vogelschutz- und Nährgehölz und bietet zur Blütezeit auch Bienen eine gute Nektarquelle. Die Samen werden häufig durch Vögel verbreitet. Mispeln lieben warme, windgeschützte, sonnige bis halbschattige Plätze und nährstoffreiche, auch steinige bis felsige Lehmböden, die möglichst etwas kalkhaltig sein sollten. Sommerliche Hitze wird gut vertragen; dank ihrer tiefen Wurzeln kommen die Bäume auch mit längeren Trockenperioden meist gut zurecht. Winterschutz ist nur an sehr kalten Standorten nötig. Bei Jungbäumen kann es sinnvoll sein, den Wurzelbereich im Winter mit Laubmulch oder Ähnlichem abzudecken. Die Wildform ist weniger frostempfindlich als veredelte Kultursorten. Mispeln können sehr alt werden und sind allgemein wenig krankheitsanfällig. Einzig Feuerbrand kann in betroffenen Gebieten eine Gefahr darstellen. ovalen Blätter sind oberseits kräftig grün, unterseits leicht filzig behaart. Erst spät, meist Ende Mai bis Anfang Juni, öffnen sich die zahlreichen großen, weißen Blüten, die über dem voll entwickelten Laub sitzen und durch den späten Blühzeitpunkt kaum frostgefährdet sind. Nach dem Laubfall im Herbst hängen noch lange die goldbraunen Früchte an den Zweigen – wenn man sie nicht erntet, häufig bis in den Spätwinter. Mit ihrem großen Blütenkelch, an dem noch die langen, behaarten Kelchblätter sitzen, erinnern sie an übergroße, runde Hagebutten. Botanisch handelt es sich um Scheinfrüchte, sie enthalten nur wenige Kerne. Die erntereifen Früchte sind hart und von herb zusammenziehendem Geschmack. Sie werden deshalb möglichst erst nach dem ersten Frost geerntet und müssen auch dann noch einige Wochen bei Zimmertemperatur lagern, damit die enthaltenen Gerbstoffe abgebaut werden. Gut eignen sich flache, mit Stroh ausgelegte Holzkisten. Die Nachreifezeit ist abhängig von der Sorte und der Temperatur. Waren die Früchte sehr starken Frösten ausgesetzt, geht es schneller. Im genussreifen Zustand werden die Früchte teigig weich und schmecken auch roh aromatisch und leicht säuerlich. Die harten Kerne und die Schale Die Früchte müssen vor der Ernte Frost müssen vor dem Verzehr entfernt werden. abbekommen. Ähnlich wie Quitten wachsen Mispeln strauchartig oder als kleiner Baum und etwas sparrig. Typisch sind gedrehte oder gebogene Äste. Abgesehen von besonders starkwüchsigen Sorten werden die Bäume meist nicht höher als 3 bis 5 m und ebenso breit. Der etwas eigenwillige Wuchs gehört zum Charakter der Mispel, deshalb sollte man die Bäume nicht zu viel schneiden. Nach einem Kronenaufbauschnitt in den ersten Jahren genügt gelegentliches Auslichten, falls die Krone zu dicht wird. Nicht nur die Früchte, auch die Blüten und Blätter der Mispel sind sehr dekorativ. Die großen, länglich Da sie neben Vitamin C, Kalium, Magnesium, Kalzium und Eisen auch viel Pektin enthalten, eignen sich Mispeln – pur oder gemischt mit anderen Obstarten – gut für Marmeladen und Gelees. Auch beim (Dampf-) Entsaften sollte man allerdings warten, bis die Früchte durch Lagerung weicher geworden sind – sonst braucht man sehr viel Geduld, um den Saft aus den harten Früchten herauszukochen. Auch Liköre, Brände und Obstwein lassen sich aus den Früchten zubereiten. Mit Kultursorten veredelte Bäume sind meist unbedornt, fruchten früher als Sämlinge und bringen in der Regel größere Früchte hervor: Im Gegensatz zu den häufig nur 2 bis 3 cm großen Früchten der Wildformen können die Früchte von Kulturformen 5 bis 7 cm groß werden. Die meisten heute bekannten Sorten sind sehr alt. Etwa die ,Ungarische Balkanmispel’: Die Bäume dieser Sorte bleiben klein, tragen aber viele aromatische Früchte. Besonders große Früchte haben die aus England stammende Sorte ,Nottingham’, die sich speziell für feuchtere Böden eignet, und die ,Holländische Großfruchtige’. Allerdings sind auch die Bäume dieser beiden Sorten relativ starkwüchsig. Die mittelstark wachsende Sorte ,Apyrena’ bringt eher kleine, dafür aber kernlose Früchte hervor. Eine neuere Sorte ist die ,Kurpfalzmispel’, die erst in den Garten ■ BAUERNBLATT l 17. Oktober 2015 Häufig werden Mispelsträucher nur ihrer dekorativen Blüten und Blätter wegen gepflanzt. 1960er Jahren entdeckt wurde und deren zwar eher kleine Früchte sich durch einen hohen Zucker- und niedrigen Gerbstoffgehalt auszeichnen. Sie können auch ohne Frosteinwirkung bereits im Herbst genossen werden. Mispeln werden meist auf Weißdornunterlagen veredelt, gelegentlich auch auf Quitte und Birne sowie auf eigener Wurzel. Veredlungen auf Birne sollen besonders aromatische Früchte hervorbringen, gelingen aber seltener als die übliche Veredlung auf Weißdorn und sind hinsichtlich Boden und Klima anspruchsvoller. Die artenübergreifende Veredlung ist leider auch ein Schwachpunkt: Da es einige Jahre dauern kann, bis die Veredlung gut verwachsen ist, empfiehlt sich insbe- sondere bei freiem Stand in den ersten Jahren eine stabile Anbindung an einen Pfahl, sonst kann der Baum bei Sturm an der Veredlungsstelle auseinanderbrechen. Nicht verwechseln sollte man die echte Mispel mit der immergrünen, im Mittelmeerraum häufig kultivierten, bei uns allerdings nicht winterharten, japanischen Wollmispel (Eriobotrya japonica), deren orangefarbene, eirunde Früchte manchmal in Läden ebenfalls als „Mispeln“ angeboten werden. Auch der in vielen Arten verbreitete, oft als Bodendecker verwendete Zierstrauch Felsenmispel oder Zwergmispel (Cotoneaster) ist nur weitläufig mit der echten Mispel verwandt, und seine kleinen leuchtend roten Beeren sind ungenießbar. Anke Brosius 65