72 Garten BAUERNBLATT | 2. Juli 2016 ■ Das Wissen darum, dass jede einzelne Taglilienblüte sowieso nur einen Tag lang blüht, macht es leichter, die schönen Blüten für Salate und Sommerbuffets zu pflücken. Bereits am nächsten Tag blühen die kräftigen Stauden wie zuvor. Pflegeleicht und robust, waren Taglilien früher in jedem Bauerngarten zu finden. Sogar die Blätter lassen sich sowohl frisch als auch getrocknet nutzbringend verwenden. Taglilien blühen in vielen Farbtönen von Hell- und Zitronengelb über Lachs, Orange und Rostbraun bis zu dunklem, schwärzlichem Rot. Die großen Trompetenblüten mit sechs Blütenblättern – drei äußere, drei innere – und langen, nach oben gebogenen Staubfäden ähneln denen echter Lilien. Sie sitzen allerdings im Gegensatz zu Lilienblüten auf unbeblätterten, hohen Blütenstängeln. Taglilien besitzen auch keine Zwiebeln, sondern einen knolligen Wurzelstock, aus dem kräftig grüne Horste langer, schmaler Blätter treiben. Trotz der Ähnlichkeit ihrer Blüten werden Taglilien heute botanisch nicht zu den Lilien, sondern zur Familie der Grasbaumgewächse (Unterfamilie Tagliliengewächse) gezählt. Ähnlich wie der deutsche Name leitet sich der botanische Gattungsname Hemerocallis von den griechischen Wörtern „hemera“ (Tag) und „kallos“ (Schönheit) her: Die meisten Sorten öffnen sich nachts oder früh am Morgen und schließen sich in der folgenden Nacht wieder. Da sich aber an jedem Blütenstängel viele ,Frans Hals’ ist eine der wenigen zweifarbigen Sorten. Jede Taglilienblüte bleibt nur einen Tag geöffnet. Vielseitige Taglilien Schönheit für einen Tag Blütenknospen befinden, die sich nacheinander öffnen, dauert die Blüte oft mehrere Wochen lang, und eine einzige Pflanze kann bis zu 500 Blüten hervorbringen. Frühe Sorten blühen ab Mai, späte bis in den August oder September. Einige Sorten kommen durch Remontieren auf eine besonders lange Blütezeit. In China, woher sie ursprünglich stammen, wurden Taglilien schon vor Tausenden von Jahren in Gärten kultiviert. In Europa begann die Geschichte der Taglilien im 16. Jahrhundert mit zwei Arten, die so robust sind, dass sie heute bis nach Finnland hinauf vielerorts verwildert wachsen: die Gelbrote Taglilie Hemerocallis fulva und die Gelbe Taglilie Hemerocallis flava, die nach neuer Nomenklatur H. lilioasphodelus genannt wird. Alle Taglilien gedeihen in kalkhaltigen bis leicht sauren Böden. Sie bevorzugen frische bis feuchte Böden und sonnige Standorte. Manche Arten kommen auch mit Halbschatten zurecht, andere wie H. fulva mit im Sommer trockenen Plätzen. Die Gelbrote Taglilie wilderte schon früh aus Bauerngärten aus. Da sie neben verlassenen Hausruinen besonders gerne alte Gleisanlagen und Bahndämme besiedelt, erhielt sie den Beinamen „Bahnwärter-Taglilie“. Sie blüht dunkelorange bis rostrot im Juli bis August. Die starkwüchsige Staude wird 80 cm bis 1,20 m hoch und besitzt einen starken Ausbreitungsdrang. Gleichzeitig ist sie sehr robust und anpassungsfähig, nur stark saure und staunasse Böden verträgt sie nicht. Obwohl H. fulva auch im lichten Schatten gedeiht, ist ein sonniger, im Sommer nicht zu kühler Standort ideal. Im Winter überstehen die Pflanzen schadlos Temperaturen bis zu –30 °C. Auch die Gelbe Taglilie kommt heute in ganz Europa verwildert auf Wiesen und in Auwäldern vor. Sie liebt frische bis feuchte, humusreiche Böden und wächst bevorzugt in der Nähe von Teichen und Wasserläufen. Auch im Garten passt sie gut an den Rand eines Teiches oder Wasserbeckens. Sie verträgt Sonne und Halbschatten, in der Sonne blüht sie allerdings üppiger. Mit 70 bis 80 cm Höhe bleibt Hemerocallis flava etwas kleiner als die Gelbrote Taglilie, und auch die hellgelben Blüten sind schmaler und zierlicher. Dafür öffnen sie sich bereits ab Mai oder Juni und duften blumig. Die Zitronentaglilie Hemerocallis citrina gelangte erst Ende des 19. Jahrhunderts aus China nach Europa. Sie ist starkwüchsig mit dunkelgrünen Blättern und einem stark verzweigten Blütenstand. Die Zitronentaglilie blüht ab Juni/Juli bis August. Ihre schmalblättrigen, hellzitronengelben Blüten öffnen sich bereits gegen Abend und duften nachts zitronenähnlich. Bei heißem Wetter schließen sie sich dafür schon im Laufe des folgenden Nachmittags wieder. Wie die Gelbe Taglilie eignet sich H. citrina gut für die Bepflanzung von Wasserläufen, aber auch für nicht zu trockene Beete mit Wildstaudencharakter und ist ebenso wie diese bis zu –30 °C winterhart. Systematisch gezüchtet wurden Taglilien seit etwa 1900 vor allem in England und Italien, später in Nordamerika. In den vergangenen Jahrzehnten entstanden vor allem in den USA Hunderte von Sorten in vielen Farben, Blütenformen und -größen, von denen aber viele hinsichtlich des Wetters recht anspruchsvoll sind: Die Blüten leiden nicht nur unter Regen, sondern verlangen auch milde Nächte. Liegen die Nachttemperaturen zur Blütezeit unter 15 °C, öffnen sich die Blütenknospen häufig nur unvollständig oder gar nicht. Für norddeutsches Klima eignen sich deshalb vor Der Blattaustrieb im Frühjahr lässt sich wie Lauch in der Küche verwenden. allem ältere Sorten, deren Blüten widerstandsfähiger gegenüber Regen und kühlen Nächten sind und bis etwa –25 °C winterhart. Die meisten Hybridsorten entstanden unter Verwendung spät blühender Arten (H. multiflora, H. thunbergii), die in Reinform nicht mehr im Handel sind. Ihre Haupt- ■ BAUERNBLATT | 2. Juli 2016 blütezeit liegt im Juli. Eine Ausnahme bildet etwa die zierliche, aber dennoch unempfindliche Sorte ,Maikönigin’, die ihrem Namen entsprechend bereits zwischen Mai und Juni blüht. Sie wird nur 50 bis 60 cm hoch und trägt kleine, hellgoldgelbe, duftende Blüten. ,Sammy Russell’ ist eine widerstandsfähige und wüchsige spätere Sorte mit ziegelroten Blüten bis in den August hinein, sie wird 60 bis 80 cm hoch. Eine der wenigen zweifarbigen Sorten ist ,Frans Hals’, deren äußere Blütenblätter gelb sind, die inneren dagegen rostrot mit gelbem Mittelstreifen. Diese alte, etwa 60 cm hohe Sorte zeichnet sich durch eine besonders reiche Blüte und lange Blütezeit im Juni/Juli aus. Durch Remontieren kommt ‚Stella de Oro‘ auf eine noch längere Blütezeit von Juni/ Juli bis zum Spätsommer. Passend zu den kleinen, goldgelben, duftenden Blüten wachsen auch die Stauden niedrig und werden nur 40 cm hoch. Gepflanzt werden alle Taglilien im Frühjahr oder so zeitig im Herbst, dass die Pflanzen vor dem Winter noch einwurzeln können. Bis frisch gepflanzte Taglilien ihre Blüte voll entfalten, dauert es oft drei bis vier Jahre. Dafür halten sie in durchlässigen, nährstoffreichen Böden lange am gleichen Platz Garten 73 werden, fördert dies allerdings die Blühfreudigkeit. Auch aufgrund des starken Ausbreitungsdrangs starkwüchsiger Arten und Sorten kann es nötig sein, die Pflanzen hin und wieder zu reduzieren oder zu teilen. Besser setzt man allerdings gleich ebenbürtige Partner ins Beet: Rote oder rotbraun blühende Taglilien wie Hemerocallis fulva passen hinsichtlich Wüchsigkeit und Standort zu Lampionblume (Physalis), Gemswurz (Doronicum) und Goldfelberich (Lysimachia). Gelb blühende Taglilien passen gut zu Schwertlilien (Iris sibirica), Dreimasterblume (Tradescantia) Hemerocallis flava blüht bereits im Spätfrühjahr. und hohen Glockenblumen (Campanula persicifolia). Auch Kombiaus und wachsen zu immer um- man das im Herbst einziehende nationen mit rot bis violett blühenfangreicheren Stauden heran. Der Laub überwiegend belassen und den Bauerngartenstauden wie InPflanzabstand sollte deshalb min- erst im Frühjahr nach dem Neudestens 60 bis 90 cm betragen, nur austrieb entfernen. Taglilien leibei schwachwüchsigen Sorten ge- den auch kaum unter Schädlinnügen 40 cm. Der Wurzelstock soll gen. Bei den Blütenknospen frübei der Pflanzung 5 cm mit Erde be- her Sorten kann es vorkommen, deckt sein. dass sie unförmig anschwellen, Die robusten Stauden benötigen statt sich zu öffnen. Verursacher neben gelegentlicher Düngung ist eine Gallmücke, deren Vermehmit Kompost und etwas Steinmehl rung durch das Ausbrechen und wenig Pflege. Falls es während der Vernichten befallener Knospen Blütezeit an Regen mangelt, för- gestoppt wird. dert regelmäßiges Gießen die BlüAuch ohne Verjüngung sind Hetenentwicklung, andernfalls blei- merocallis sehr langlebig und könben die Blüten klein. Während ab- nen Jahrzehnte an einem Standort geblühte Stängel bodentief abge- überdauern. Wenn sie alle zehn bis Die feinen Blätter ergeben beim schnitten werden können, sollte 15 Jahre geteilt und umgepflanzt Flechten schöne Effekte (hier mit Weide und Rotem Hartriegel). dianernesseln (Monarda), Sonnenbraut (Helenium) und Sonnenhut (Echinacea) bieten sich an. Bereits im alten China waren die Schösslinge und Knospen von Taglilien als Gemüse sehr geschätzt. Die geöffneten Blüten schmecken pfeffrig pikant und ergeben gefüllt mit mildem Frischkäse oder Sauerrahm eine nicht nur dekorative, sondern auch leckere Vorspeise. Knospen und Blüten verschönern auch Salate und schmecken fein geschnitten auf dem Butterbrot. Die langen, schmalen Blätter sehen nicht nur Lauchstangen ähnlich, sondern schmecken jung fast genauso und können als Gemüsebeilage oder zu Nudelgerichten gedünstet werden. Damit sind die Verwendungsmöglichkeiten noch nicht erschöpft: Im Herbst nach dem Einziehen der Staude dienen die im trockenen Zustand fein glänzenden, silbrig braunen Blätter als natürliches Bindematerial und zum Flechten kleiner Körbe und Gefäße. In Ostasien werden sogar SeiHemerocallis fulva wandert auch gerne durch den Kombination alter Bauerngartenpflanzen: Taglilien und le und Schuhe aus Taglilienblättern Anke Brosius Zaun. ­Zinnien. Fotos: Anke Brosius hergestellt.