ÜBERBLICK ASTRONOMIE Galaktische Archäologie Auf der Suche nach den ältesten Sternen im Universum Anna Frebel und Norbert Christlieb ES O / D i gi tiz e d Sk yS ur ve D urch die Vermessung der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung wissen wir heute, dass unser Universum 13,7 Milliarden Jahre alt ist. Schon kurz nach dem Urknall entstanden bei kurzzeitig extrem hohen Temperaturen und hohen Dichten vor allem Kerne von Wasserstoff und Helium, aber auch Spuren von Lithium. Durch die Expansion und Abkühlung des Universums konnte wenig später die „Re“kombination mit Elektronen stattfinden. In den Gravitationspotentialtöpfen dunkler Materie bildeten sich dann Gaswolken von einigen 105 bis 106 Sonnenmassen, die Geburtsstätten der ersten Sterne. Könnten Sterne der ersten Generation im Universum bis heute überlebt haben? Ja, aber nur wenn ihre Masse kleiner als 0,9 Sonnenmassen gewesen ist. Nur dann verbrauchen Sterne ihren nuklearen Brennstoff so langsam, dass sie ein Alter von 14 Milliarden Jahren und mehr erreichen können. Dann wären sie heute noch zu beobachten und würden uns Einblicke in die frühesten Phasen der Stern- und Galaxienentstehung und der Nukleosynthese im Kosmos ermöglichen. Ob diese erste Generation tatsächlich Sterne mit so geringen Massen enthielt, ist zurzeit noch umstritten. Der entscheidende Prozess dafür ist die Fragmentation der Gaswolken im frühen Universum in kleinere Teile. Aus diesen bildeten sich durch Kontraktion die ersten Sterne. Notwendige Bedingung für den Beginn des gravitativen Kollaps ist, dass die Gravitationskräfte der Gasmasse die Druckkräfte, die aus der thermischen Bewegung der Gasatome resultieren, übersteigen (JeansKriterium). Damit sich der Kollaps fortsetzt, muss die Gaswolke zu jeder Zeit mindestens die mit der Kontraktion verbundene Aufheizung des Gases kompensie y2 Dank der endlichen Lichtgeschwindigkeit ermöglicht uns die Astronomie Blicke in die fernste Vergangenheit. Doch Relikte der kosmischen Frühzeit finden sich astronomisch gesehen auch in unserer Nähe: Sterne der so genannten Halo-Population der Milchstraße oder in Zwerggalaxien, die vermutlich nur wenige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden. Diese Sterne können uns mehr über die frühe Entwicklung des Universums verraten, insbesondere über die Entstehung schwerer Elemente, ohne die es weder Planeten noch uns gäbe. Die schwierige Suche und das detaillierte Studium der ersten Sterngenera­ tionen ist Gegenstand der „galaktischen Archäologie“. In Zwerg­ galaxien, wie dieser hier im Sternbild Bildhauer, und in unserer Milchstraße suchen Astronomen nach metallarmen alten Sternen. ren. Eine solche Kühlung kann über Photonen erfolgen, die bei atomaren oder molekularen Strahlungsübergängen emittiert werden. Die Photonen verlassen die Gaswolke und entziehen ihr somit Energie. Beispiele dafür sind die Feinstrukturlinien von atomarem Kohlenstoff oder Sauerstoff sowie Rotations- und Vibrationsübergänge von diatomaren Molekülen wie H2. Damit eine Gaswolke fragmentieren kann, muss die Kühlung also so effizient sein, dass Teile der Gaswolke jeweils das Jeans-Kriterium erfüllen. Die Zeitskala für die Kühlung der Gaswolke muss dafür kürzer sein als die „Freifall- KOMPAK T Mit jeder Sterngeneration wurde das Universum durch Nukleosynthese und Supernovae mit Elementen schwe­ rer als Helium („Metalle“) angereichert. n Sterne der ersten Generation, die kurz nach dem Urknall entstanden, enthielten ausschließlich Wasserstoff, Heli­ um sowie Lithium und könnten heute noch existieren, wenn ihre Masse weniger als 0,9 Sonnenmassen beträgt. n In Himmelsdurchmusterungen wird nach möglichst metallarmen und damit alten Sternen gesucht. Bislang ließen sich immerhin einige Sterne der zweiten Genera­ tion entdecken. n Entscheidend für die Altersbestimmung dieser metall­ armen Sterne ist die Datierung über r-Prozess-Elemente. n © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 1617-9439/13/0303-29 Physik Journal 12 (2013) Nr. 3 29 Prof. Dr. Anna Frebel, Massachusetts Insti­ tute of Technology, 77 Massachusetts Ave­ nue, Bldg. 37-664C, Cambridge, MA 02139, USA, Prof. Dr. Norbert Christlieb, Uni­ versität Heidelberg, Zentrum für Astro­ nomie, Landesstern­ warte, Königstuhl 12, 69117 Heidelberg ÜBERBLICK Zeitskala“, auf der die Gaswolke unter Vernachlässigung von Druckkräften kollabieren würde. Als sich die ersten Sterne bildeten, gab es im Universum nur Wasserstoff, Helium und Spuren von Lithium. In den Kernfusionsprozessen, die einige Minuten nach dem Urknall abliefen, wurden keine schwereren Elemente erzeugt, denn die Dichte reichte nicht aus, um mit Hilfe der Verschmelzung dreier Heliumkerne die „Gräben“ der instabilen Isobaren mit Kernmassenzahl A = 5 und A = 8 zu überspringen. Daher entstanden alle schwereren Elemente erst später, und zwar entweder im Inneren von Sternen oder bei deren Explosionen, den Supernovae. Alle Elemente schwerer als Helium werden in der Astronomie als „Metalle“ bezeichnet. In Abwesenheit von Kohlenstoff, Sauerstoff oder schwereren Elementen gibt es jedoch nur eine vergleichsweise ineffiziente Kühlung mithilfe des Wasserstoffmoleküls H2. Die entsprechenden Gaswolken fragmentierten gemäß der oben diskutierten Bedingungen nur wenig, so dass sich wahrscheinlich ausschließlich Sterne mit Massen in der Größenordnung von 100 Sonnenmassen gebildet haben. Neuere numerische Simulationen haben allerdings gezeigt, dass noch weitere physikalische Mechanismen beim Entstehen der ersten Sterne zu berücksichtigen sind. So kann „turbulente Fragmentation“ auch in Abwesenheit von Metallen zu massearmen Sternen führen, und zwar bevorzugt in Form von Doppel- und Mehrfachsystemen []. Diese Vorhersage lässt sich durch Beobachtungen überprüfen: Wenn die erste Sterngeneration massearme, langlebige Sterne enthalten hat, sollten sich diese früher oder später in Himmelsdurchmusterungen finden lassen. Diese Sterne würde man daran erkennen, dass sie keinerlei Metalle enthalten, sondern nur H, He und Li aufweisen würden. Die ersten Sterne mit rund hundert Sonnenmassen sind heute, mehr als 13 Milliarden Jahre nach dem Urknall, schon lange komplett „ausgestorben“. Die Riesensterne verbrauchten aufgrund der hohen Dichten und Temperaturen im Inneren ihren nuklearen Brennvorrat nämlich sehr schnell: Nach nur einigen zehntausend Jahren explodierten sie als Supernova. Dennoch haben diese Sterne Spuren hinterlassen, die noch heute beobachtbar sind. Die erste Sterngeneration ist verantwortlich für den Beginn der Anreicherung des Universums mit den Elementen mit Kernmassenzahl A > 8. Die relative Häufigkeit der erzeugten Metalle hängt von einer Vielzahl von Parametern ab, z. B. von der Masse des Sterns und der Energie der Explosion. Jede Supernova hinterlässt somit einen individuellen „chemischen Fingerabdruck“ in den Gaswolken in ihrer Umgebung. Aus diesen bildet sich die nächste Generation von Sternen, deren Mitglieder je nach Masse entweder wiederum als Supernovae explodieren und ihre Umgebung anreichern oder aber − im Falle von langlebigen, massearmen Sternen − das Elementhäufigkeitsmuster des Sterns der vorherigen Generation konservieren (Abb. 1). Alte Sterne sind somit metallarm und enthalten charakteristische Fingerabdrücke, die durch Spektroskopie beobachtet und analysiert werden können. Diese sind somit Botschaften aus der Vergangenheit − wie Höhlenmalereien, beschriebenen Tontafeln oder alte Schriftrollen in der Menschheitsgeschichte − und der Grund dafür, von „galaktischer Archäologie“ zu sprechen. Metallarm und gesucht Die Suche nach Überlebenden der ersten Sterngenerationen ist schon seit einigen Jahrzehnten Gegenstand intensiver Beobachtungsprogramme. Eine zentrale Rolle spielen dabei Himmelsdurchmusterungen, mit denen große Himmelsareale systematisch durchsucht werden − dies entspricht den archäologischen Ausgrabungen. 0 Jahre [Fe/H] = −∞ 3 1. Sterngeneration Gaswolke SN ca. 300 Millionen Jahre [Fe/H] = − 5,2 relativer Fluss Abb. 1 Die erste Sterngeneration be­ steht nur aus Wasserstoff, Helium, und Spuren von Lithium. Diese und jede fol­ gende Generation trägt zur Anreiche­ rung der Gaswolken mit Elementen schwerer als Helium („Metalle“) bei, be­ sonders durch Supernova­Explosionen („SN“). Aus den angereicherten Gaswol­ ken bildet sich die nächste Sterngenera­ tion. Der kosmische Materiekreislauf setzt sich fort, bis nach rund 9,1 Milliar­ den Jahren die chemische Zusammen­ setzung der Sonne erreicht ist. Links sind jeweils die hochaufgelösten Spektren der aufeinanderfolgenden Sterngenera­ tionen zu sehen, wobei die „Metallizität“ durch das Verhältnis [Fe/H] angegeben wird, wie es in Gl. (1) definiert ist. Urknall Physik Journal 12 (2013) Nr. 3 2. Sterngeneration Gaswolke [Fe/H] = − 4,0 SN 3. Sterngeneration Gaswolke Fe Ni Fe Fe [Fe/H] = 0 Sonne Gaswolke 386,0 386,5 SN 9,1 Milliarden Jahre Wellenlänge in nm © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 4,0 [Fe/H] = −0,9 HD 142948 Teff = 4670 K [Fe/H] = −2,7 HD 122563 Teff = 4650 K [Fe/H] = −4,0 CD 38 245 Teff = 4850 K [Fe/H] = −5,4 HE0107-5240 Teff = 5100 K aus [] ÜBERBLICK 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 relativer Fluss 0,5 400 420 440 4,0 HD 142948 3,5 3,0 HD 122563 2,5 2,0 CD-38 245 1,5 1,0 HE0107-5240 0,5 396 394 Wellenlänge in nm 392 398 Solche Durchmusterungen sind notwendig, da nur etwa jeder tausendste Stern in der Sonnenumgebung metallarm ist. Außerdem nimmt die Anzahl der Sterne unterhalb einer gegebenen „Metallizität“ ungefähr um einen Faktor 10 mit jedem Faktor 10 in der Metallizität ab: In einer Stichprobe von 100 Sternen mit 1/100 der Metallizität unserer Sonne befinden sich im Mittel nur zehn mit 1/1000 und nur einer mit 1/10 000 der solaren Metallizität. Die Metallizität wird meist über die Häufigkeit von Eisen und relativ zur Sonne angegeben: ( ) NFe [Fe/H] = log10 ___ NH Stern ( ) NFe – log10 ___ NH Sonne , (1) wobei NFe und NH die Anzahldichten der Atome von Eisen und Wasserstoff in der Sternatmosphäre sind. Der obigen Definition zufolge bedeutet [Fe/H] = –2,0 beispielsweise, dass der betreffende Stern 1/100 der Metallizität unserer Sonne hat. Beim Rückschluss von der Eisenhäufigkeit auf die Metallizität − also dem Massenanteil aller Elemente schwerer als Helium − wird dabei die vereinfachende Annahme gemacht, dass der Stern das gleiche Elementhäufigkeitsmuster wie die Sonne hat. Diese Annahme ist nicht immer richtig, wie später noch gezeigt wird. Um die frühesten Stadien der chemischen Entwicklung der Milchstraße zu untersuchen, bedarf es statistisch signifikanter Stichproben von Sternen der niedrigsten Metallhäufigkeiten. Aber woran genau erkennt man nun solche Sterne? Bis hinunter zu [Fe/H] –2,0 lassen sich metallreichere Sternen relativ zuverlässig durch den so genannten UV-Exzess erkennen: Durch die geringere Anzahl von starken Metallabsorptions- Abb. 2 Bei metallarmen Sternen mit ähnlicher Effektivtemperatur Teff sind die Fraunhoferschen H­ und K­Linien von Kalzium (Ca) mit abnehmender Metallizi­ tät [Fe/H] und damit auch Ca­Häufigkeit immer weniger stark ausgeprägt (oben, Auflösungsvermögen R = Δλ/λ 2000). In der Ausschnittsvergrößerung (unten, R = 40 000) ist zu erkennen, dass mit sin­ kender Metallizität die Anzahl und Stär­ ke der schmalen, überwiegend atoma­ ren Linien abnimmt. Im Spektrum des Sterns HE 0107–5240 sieht man aufgrund seiner sehr hohen Kohlenstoffhäufigkeit viele Linien des CH­Moleküls (durch kurze senkrechte Striche markiert). linien im ultravioletten Spektralbereich emittieren metallarme Sterne dort mehr Photonen als metallreichere Sterne. Anhand von Zwei-Farben-Photometrie basierend auf drei breiten Wellenlängenbereichen − einer davon im ultravioletten Bereich − lassen sich somit metallarme Sterne identifizieren. Die zweite Farbe dient dazu, die Effektivtemperatur zu bestimmen, die als die Temperatur eines Schwarzen Körpers definiert ist, der die gleiche Flächenhelligkeit wie der Stern hätte. Die Effektivtemperatur ist aber auch eine für die Sternatmosphäre charakteristische Temperatur. Sie hat ebenso wie die Metallizität einen Einfluss auf die Stärke der Metall-Absorptionslinien im Spektrum des Sterns, denn sie ist entscheidend für atomare Anregung und Ionisation. Um später aus der beobachteten Stärke einer Absorptionslinie eine Elementhäufigkeit ableiten zu können, gilt es daher zunächst, die Effektivtemperatur des Sterns zu bestimmen. Unterhalb von [Fe/H] –2,0 hat die Dichte der Metalllinien im Spektrum bereits soweit abgenommen, dass eine weitere Verringerung der Metallhäufigkeit kaum noch eine Änderung der Helligkeit im UV-Bereich bewirkt. Um Sterne der niedrigsten Metallizitäten effizient identifizieren und zuverlässig von Sternen höherer Metallizität separieren zu können, sind andere Beobachtungsmethoden als die Breitband-Photometrie nötig. Zur groben Bestimmung von [Fe/H] eignen sich die stärksten Metall-Absorptionslinien im optischen Wellenlängenbereich. Dies sind die Fraunhoferschen Linien „H“ und „K“ des einfach ionisierten Kalziums. Sie sind in kühlen Sternen so stark, dass sie auch in © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Physik Journal 12 (2013) Nr. 3 3 ÜBERBLICK oder dass Sterne der ersten Generation mit weniger als 0,9 Sonnenmassen zu selten sind, um sie in den bisher zugänglichen Himmelsarealen aufspüren zu können. Neuartige Durchmusterungstechniken lassen in den nächsten Jahren jedoch große Fortschritte erwarten. Wie bereits erwähnt, ist das Universum mit jeder Sterngeneration schrittweise mit den Elementen schwerer als Helium angereichert worden (Abb. 1), sodass die durchschnittliche Metallizität der Sterne im Laufe der Zeit zunahm. Metallarme Sterne sind daher in der Regel sehr alt. Bislang sind vier Sterne mit einer Metallizität deutlich unterhalb von [Fe/H] = –4,0 bekannt. Hier geht man davon aus, dass es sich um Sterne der zweiten Generation handelt. Drei davon weisen sehr hohe Überhäufigkeiten von Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff auf (um Faktoren von bis zu über 1000 relativ zu Eisen und den entsprechenden Elementhäufigkeitsverhältnissen in der Sonne), dafür sind schwere Elemente, inklusive Eisen, in diesen Sternen um Faktoren von bis zu 200 000 seltener als in der Sonne. Die Metallizität der Sterne ist nur um etwa einen Faktor 100 gegenüber der Sonne reduziert. Dies deutet darauf hin, dass sich diese drei langlebigen Sterne mit 0,6 bis 0,8 Sonnenmassen tatsächlich nur mit Kühlung durch Feinstrukturlinien von Kohlenstoff und Sauerstoff bilden konnten []. Im Jahre 2011 entdeckten Elisabetta Caffau von der Universität Heidelberg und ihre Kollegen im Sloan Digital Sky Survey (SDSS) jedoch einen Stern mit [Fe/H] = –4,8, in dessen Spektrum sich keine Linien des CH-Moleküls fanden []. Dieser Stern hat also keine hohe Überhäufigkeit von Kohlenstoff und ist somit der erste bekannte Stern, bei dem die Metallizität geDie metallärmsten Sterne und ihr wahres Alter ringer als 1/1000 als die der Sonne ist. Derzeit setzen die In systematischen Himmelsdurchmusterungen wurden Astronominnen und Astronomen die Suche nach weitrotz aller Bemühungen bisher noch keine Überleben- teren solchen Sternen in dieser Durchmusterung fort. den der ersten Sterngeneration gefunden. Dies bedeuNur bei wenigen metallarmen Sternen ist eine tet entweder, dass es keine solchen Überlebenden gibt genaue, individuelle Altersbestimmung möglich: Bei aus [] Spektren niedriger Auflösung von metallarmen Sternen noch gut erkennbar sind. Deshalb kommt hier zunächst Spektroskopie niedriger Auflösung (d. h. R = Δλ/λ 500) zum Einsatz, etwa bei mehreren großen Himmelsdurchmusterungen wie der Hamburg/ESO-Durchmusterung (HES): Dabei wurde in den 1990er-Jahren die Hälfte des Himmels der südlichen Hemisphäre mit dem 1-Meter-SchmidtTeleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile abfotografiert. Das Hauptziel war die Suche nach hellen Quasaren − aktiven Galaxienkernen, die intrinsisch so hell sind, dass man sie auch noch bei sehr hohen Rotverschiebungen beobachten und mit ihnen z. B. das intergalaktische Medium durchleuchten und im Detail studieren kann. Die Datenqualität von HES reichte jedoch auch für stellare Anwendungen aus, sodass sich drei der metallärmsten zur Zeit bekannten Sterne identifizieren ließen. Die zugrunde liegende Himmelsdurchmusterung erkennt man am Namen der Sterne. So steht in HE 0107-5240 das Kürzel „HE“ für die Hamburg/ESO-Durchmusterung, und 01075240 gibt die ungefähren Himmelskoordinaten an. Im HES gelang es zunächst nur, Kandidaten für metallarme Sterne zu identifizieren. Diese galt es mit Spektroskopie mittlerer Auflösung (d. h. R = Δλ/λ 2000; Abb. 2) an 1- bis 4-Meter-Teleskopen zu bestätigen, bevor dann die noch viel kostbarere Beobachtungszeit an 8-Meter-Teleskopen investiert wurde, um hochaufgelöste Spektren zu gewinnen und so die detaillierten Elementhäufigkeiten zu bestimmen. a b 1 relativer Fluss 0,9 Nd II Nd II 1523-0901 Fe I 0,95 Mg I U II 0,9 Sm II CN 0,7 0,85 0,6 0,5 CS 31082-001 1 Fe I 0,8 1,05 U II 0,8 HE 1523-0901 Nd II 0,75 0,4 385,85 385,9 385,95 386,0 386,05 Wellenlänge in nm Abb. 3 Anhand der Uranhäufigkeit lässt sich das Alter metall­ armer Sterne bestimmen (vgl. Text), z. B. bei den beiden Ster­ nen HE 1523–0901 (a: Spektrumsbereich, b: Ausschnitt) und CS 31082­001 (nur b) mit der U II­Linie bei 386 nm. Gezeigt sind die beobachteten Werte (Punkte bzw. Kreuze) und synthe­ tische Spektren für verschiedene Uranhäufigkeiten (Linien): 32 Fe I Fe I Physik Journal 12 (2013) Nr. 3 385,92 385,94 CN 385,96 385,98 Wellenlänge in nm Die oberste Linie repräsentiert dabei ein Spektrum mit unend­ lich kleiner Uranhäufigkeit. Die gepunktete Linie in (a) zeigt zusätzlich ein synthetisches Spektrum mit der Uranhäufigkeit zum Zeitpunkt der Geburt von HE 1523–0901. Durch den Zerfall von Uran hat sich die Linienstärke im Laufe der Zeit auf die heute beobachtete Stärke reduziert. © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim ÜBERBLICK A. Ayiomamitis Δt = 46,78 · [log (Th/r)0 – log (Th/r)heute] Gyr Δt = 14,84 · [log (U/r)0 – log (U/r)heute] Gyr Δt = 21,76 · [log (U/Th)0 – log (U/Th)heute] Gyr Abb. 4 Der Stern HE 1523-0901 (Pfeil) im Sternbild Waage ge­ hört mit einem Alter von 13,2 Milliarden Jahren zu den ältesten Sternen in unserer Milchstraße. Zwerggalaxien und Sternströme Computersimulationen der Entstehung von Spiralgalaxien wie der Milchstraße haben gezeigt, dass diese sich durch Verschmelzung von Proto-Galaxien und Akkretion vieler kleiner Galaxien bilden (z. B. [7]). Die Zentralgalaxie ist dabei, auch heute noch, von unzähligen kleineren Objekten umgeben. Diese so genannten Zwerggalaxien enthalten teilweise nur einige tausend Sterne (Abb. auf S. 29). Dementsprechend niedrig ist ihre Gesamtleuchtkraft, sodass sie auch in modernen, digitalen Himmelsdurchmusterungen wie dem SDSS nur schwierig zu entdecken sind. Der Prozess des „Galaxienfressens“ dauert bis heute an: Die Milchstraße ist da keine Ausnahme. Viele tiefgehende Beobachtungen zeigen riesige Sternströme und diverse Strukturen im Halo unserer Heimatgalaxie, die darauf hinweisen, dass vor nicht allzu langer Zeit einige kleinere Systeme vertilgt und zu Strömen zerrieben wurden (Abb. 5). Wenn sich der Halo unserer Galaxie aus solchen Zwerggalaxien gebildet hat, dann sollte man dort genauso wie im Halo metallarme Sterne finden. Tatsächlich wurden kürzlich in den leuchtschwächs­ Orph an St ream V. Belokurov / SDSS einer bestimmten Sorte ist eine Methode anwendbar, die der Kohlenstoff-14-Methode ähnelt. Diese Sterne haben im Vergleich zu ihrer Metallizität hohe relative Häufigkeiten von Elementen, die im schnellen Neutroneneinfang bei der Nukleosynthese („rapid neutron-capture process“ oder r-Prozess) erzeugt wurden, wie 232Th (Halbwertszeit 14,05 Milliarden Jahre) und 238U (4,468 Milliarden Jahre). Dieser Prozess fand höchstwahrscheinlich in bestimmten Supernovae der Vorgängergeneration statt, welche die damaligen Gaswolken anreicherten. Dementsprechend sind diese Elemente (z. B. Eu, Os oder Ir) in den betreffenden metallarmen Sternen über ihre Absorptionslinien ­detektierbar (Abb. 3). Vergleicht man nun das beobachtete Verhältnis der Häufigkeiten von Th oder Uran relativ zu einem stabilen r-Prozess-Element mit dem Produktionsverhältnis der beiden betreffenden Elemente, so lässt sich daraus das Alter des Sterns berechnen. Alternativ kann auch das beobachtete U/Th-Verhältnis mit dem berechneten Produktionsverhältnis dieser beiden Elemente verglichen werden. Das Produktionsverhältnis stammt dabei aus Rechnungen zum r-Prozess. Das radioaktive Zerfallsgesetz liefert folgende Gleichungen: Hierbei steht „r“ für jeweils eins der stabilen r-ProzessElemente und Gyr für Milliarden Jahre. Die bisher genaueste Altersbestimmung mit dieser Methode gelang bei dem metallarmen roten Riesenstern HE 1523-0901 mit [Fe/H] = –3,0. Er ist hell genug, um ihn sogar mit Amateur-Teleskopen beobachten zu können (Abb. 4). Daher ließ sich mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ein sehr hoch aufgelöstes Spektrum in extrem guter Qualität aufnehmen. Daraus ergab sich das Alter von HE 1523-0901 zu 13,2 ± 2 Milliarden Jahre. Dies ist konsis­tent mit dem Alter des Universums von 13,75 ± 0,11 Milliarden Jahren aus den Beobachtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung [6]. Monoc eros R ing Hercules-Aquila Cloud arius tt Sagi Palomar 5 m Strea Virgo Overdensity © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Abb. 5 In dieser Aufnahme des Sloan Digital Sky Survey (SDSS) entspricht die Farbe der Entfernung der Sterne: Blau sind die nächsten, rot die am weitesten entfernten Sterne. Zu erkennen sind in diesem Himmelsabschnitt Sternströme. Sie sind die Reste von Zwerggalaxien, die im galaktischen Halo zerrieben und von der Milchstraße einverleibt wurden. Physik Journal 12 (2013) Nr. 3 33 LAMOST, National Astronomical Observatories, China Mount Stromlo Observatory, Australian National University ÜBERBLICK Abb. 6 Die Teleskope LAMOST in China (links) und SkyMapper in Australien (rechts) sollen noch tiefere Himmelsdurchmuste­ rungen ermöglichen, von denen insbesondere die galaktische Archäologie profitieren soll. ten Zwerggalaxien Sterne mit Metallhäufigkeiten von bis zu [Fe/H] = –4,0 entdeckt [8]. Auch die Elementhäufigkeits­verhältnisse, wie z. B. [Mg/Fe], stimmen weitgehend mit denen der galaktischen Halo-Sterne überein. von Sternen zu identifizieren, sondern auch anhand der dreidimensionalen Bewegung der zu den Strömen gehörenden Sterne im Raum. Diese genauere Methode wird dabei helfen, abzuschätzen, wie groß die Zahl der kleineren Galaxien ist, die mit der Milchstraße verschmolzen sind. Hiermit lassen sich die Vorhersagen numerischer Simulationen der Galaxienentstehung überprüfen. Wir werden so mehr über die Bausteine unserer Galaxie, und somit auch mehr über alle anderen Spiralgalaxien lernen. Vielleicht werden wir dabei auch auf einen der allerersten Sterne im Universum stoßen. Tiefere Einblicke 1) www.lamost.org 2) msowww.anu.edu.au/ skymapper 3) gaia.esa.int 4) vgl. Rezension auf S. 56 in diesem Heft Im Mittelpunkt der galaktischen Archäologie werden in den nächsten Jahren vor allem neue, tiefere Himmelsdurchmusterungen stehen. Mit dem chinesischen LAMOST-Teleskop (Abb. 6) ist es möglich, schon während der Himmelsdurchmusterung Spektren mit einem Auflösungsvermögen von R = 2000 aufzunehmen und somit einen Beobachtungsschritt zu überspringen.1) Das revolutionäre Design dieses Teleskops kombiniert eine große Primärspiegelfläche (Durchmesser 4 m) mit einem großen Gesichtsfeld (Durchmesser 5°; d. h. 10 Vollmonddurchmesser) und einem hohen Multiplexfaktor: Bis zu 4000 Sterne lassen sich damit gleichzeitig spektroskopieren. Hierbei kommen 16 identische, glasfasergekoppelte Spektrografen zum Einsatz. Eine andere moderne Technik zur Identifikation von metallarmen Sternen beruht auf SchmalbandPhotometrie mit einem Filter, der auf die K-Linie von Kalzium zentriert ist. Die Helligkeiten in diesem Band hängen von der Stärke dieser Absorptionslinien ab. Damit lassen sich metallarme Sterne zuverlässig erkennen. Diese Technik wird im Southern Sky Survey angewandt, den Astronomen derzeit mit dem SkyMapper-Teleskop mit 1,4 Meter Spiegeldurchmesser in Australien durchführen.2) Mit LAMOST und SkyMapper sollten sich in den nächsten Jahren die Stichproben der metallärmsten Sterne um mindestens einen Faktor 10 vergrößern. Um den gleichen Faktor vergrößert sich somit die Chance, einen Stern der ersten Generation zu finden. Mit der größeren Stichprobe lassen sich zukünftig auch die Frühstadien der Entstehung und chemischen Entwicklung der Milchstraße noch genauer unter­ suchen. Insbesondere die Kombination mit den Daten, die der europäische Astrometrie-Satellit Gaia3) voraus­sichtlich ab 2015 liefern wird, dürfte es erlauben, Sternströme nicht nur direkt anhand von Überdichten 34 Physik Journal 12 (2013) Nr. 3 Literatur [1] P. C. Clark et al., Science 331, 1040 (2011) [2] A. Frebel und J. E. Norris, in: G. Gilmore (Hrsg.), Planets, Stars and Stellar Systems, Bd. 5, Springer, Berlin (2012) [3] A. Frebel, J. L. Johnson und V. Bromm, MNRAS 380, L40 (2007) [4] A. Frebel et al., ApJ 660, 117L (2007) [5] E. Caffau et al., Nature 477, 67 (2011) [6] E. Komatsu et al., ApJS 192, 18 (2011) [7] V. Springel, Physik Journal, Juni 2003, S. 31 [8] A. Frebel et al., Nature 646, 72 (2010); M. Tafelmeyer et al., ­Astron. Astrophy. 524, A58 (2010) DIE AUTOREN Anna Frebel hat 2006 an der Australian National Uni­ versity in Canberra promo­ viert. Nach Postdoctoral ­Fellowships in Austin (Texas) und am Harvard-Smithsoni­ an Center for Astrophysics, ist sie seit Anfang 2012 Assistant Professor am MIT. Unter anderem wurde ihre Arbeit zu metallarmen Sternen mit dem Ludwig-Biermann-Förderpreis der Astronomischen Gesellschaft 2010 ausgezeichnet. Ihr populärwissenschaft­ liches Buch über stellare Archäologie ist 2012 erschienen.4) Norbert Christlieb (FV Extraterrestrische Physik, Atomphy­ sik) hat im Jahre 2000 an der Universität Hamburg promo­ viert; anschließend war er dort Wissenschaftlicher Assis­ tent. Längere Auslandsaufenthalte führten ihn nach Aus­ tralien, Japan und zwei Mal nach Schweden, wo er zuletzt Research Fellow an der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften war. Seit 2008 ist er Professor am Zen­ trum für Astronomie an der Universität Heidelberg. In sei­ ner Freizeit widmet er sich diversen sportlichen Aktivitäten sowie dem Musizieren in verschiedenen Bands. © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim