Quantenwelten Eine visuelle Einführung in mathematische Strukturen der Quantenmechanik Vortrag basiert auf: B. Thaller, Visual Quantum Mechanics, Springer 2002 Prof. Dr. Simone Warzel Zentrum Mathematik, TU München 4. Juni 2009 I. Einleitung: Zum Verhältnis von Mathematik und Physik Zum Verhältnis von Mathematik und Physik Mathematik: Formulierung von Strukturen und Beweis von Aussagen in deren Rahmen. Physik: Formulierung weniger, einfacher Gesetze zur Beschreibung quantifizierbarer Erscheinungen. Einige Zitate: I Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik verfaßt. (Galileo Galilei) I Das Wunder der Eignung der Sprache der Mathematik für die Formulierung physikalischer Gesetze ist ein Geschenk, welches wir weder verstehen noch verdienen. (Eugene Wigner) I Die Natur stellt uns nicht nur Probleme, sie schlägt auch deren Lösungen vor. (Henri Poincaré) I Mathematik is trivial, aber ohne sie kann ich nicht arbeiten. (Richard Feynman) Beispiele gegenseitiger Befruchtung: Newtonsche Mechanik Infinitesimalrechnung Newton, Leibniz Klassische Feldgleichungen Theorie partieller Differentialgleichungen Gauß, Euler, d’Alembert, Lagrange, Laplace, Riemann, Maxwell, . . . Statistische Mechanik Dynamische Systeme Gibbs, Boltzmann, Birkhoff . . . Quantenmechanik Spektraltheorie von Operatoren Schrödinger, Heisenberg, Dirac, von Neumann, Hilbert, Friedrichs, Kato, . . . II. Zur Entwicklung der Quantenmechanik: Von den Materiewellen zur Schrödinger Gleichung für die Wellenfunktion Experimentelle Befunde: I Photoeffekt, Comptoneffekt −→ Quantisierung des elektromagnetischen Strahlungsfeldes I Beugung von Elektronen, Optische Spektren der Atome −→ Quantisierung der Mechanik materieller Teilchen Doppelspalt Experiment http://www.hitachi.com/rd/research/em/doubleslit.html Wellenfunktion Doppelspalt Experiment ist erkärbar durch Beschreibung des Elektrons durch komplexwertige Wahrscheinlichkeitsamplituden ψ(x) = ψl (x) + ψr (x) 2 deren Intensität |ψ(x)| gleich der Auftreffwarscheinlichkeit am Ort x des Schirms ist. Es gilt: |ψ(x)|2 = |ψl (x) + ψr (x)|2 = |ψl (x)|2 + |ψr (x)|2 + 2 Re (ψl (x)ψr (x)∗ ) Bemerkung: Interferenz ähnlich zu Wasserwellen oder Licht. Exkusion: Komplexe Zahlen und ihre Visualisierung (Visual Quantum Mechanics - Kap. 1.1) Ebene Wellen Schrödinger Gleichung für freie Teilchen Warscheinlichkeitsamplitude als ebene Welle: ψ(x, t) = exp (ikx − iω(k )t) wobei ω(k ) = ~ 2m 2 k . I Postuliert von De Broglie zur Beschreibung eines Elektronenstrahls Energie: E = ~ω(k ) Plancksche Konstante: Impuls: p = ~k ~ = 6.62 10 −34 Js I Erfüllt die Schrödinger Gleichung für freie Teilchen: i~ d ~2 2 ~2 d 2 ψt (x) = ~ω ψt (x) = k ψt (x) = − ψt (x) dt 2m 2m dx 2 i~ d ~2 d 2 ψt (x) = − ψt (x) dt 2m dx 2 Exkusion: Visualisierung von ebenen Wellen (Visual Quantum Mechanics – Kap. 3.1) III. Mathematische Strukturen in der Quantenmechanik: Fourier Analysis, Hilbert-Raum, Lineare Operatoren, Nicht-Kommutativität Fourier Analysis Zu einer (stetigen, schnell abfallenden) komplexwertigen Funktion ψ : R → C assoziiert man die Fourier Transformierte ψ̂ : R → C definiert durch: 1 ψ̂(k ) := √ 2π Z 1 ψ(x) = √ 2π Z ∞ e−i kx ψ(x) dx . −∞ Eigenschaften: I Umkehrung: I Ableitung −i d ψ(x) dx ∞ ei kx ψ̂(k ) dk . −∞ ←→ Multiplikation k ψ̂(k ): « Z ∞ „ d 1 d i kx −i ψ(x) = √ −i e ψ̂(k ) dk dx dx 2π −∞ Z ∞ 1 ei kx k ψ̂(k ) dk =√ 2π −∞ Folgerung für freie Schrödinger Gleichung: i d k2 ψ̂t (k ) = ψ̂t (k ) dt 2m (~ ≡ 1) Impulsdarstellung Allgemeine Lösung der freien Schrödinger Gleichung Wellenpakete Impulsdarstellung: Ortsdarstellung: ψ̂t (k ) = e−iω(k )t ψ̂0 (k ), 1 ψt (x) = √ 2π Z “ ω(k ) = k2 , 2m ” ~≡1 ∞ eikx−iω(k )t ψ̂0 (k ) dk . −∞ (Wellenpaket = Linearkombination von ebenen Wellen) Beipiel: Gaußsches Wellenpaket 2 (Visual Quantum Mechanics – Kap. 3.3) ψ0 (x) = e−αx eipx „ « (k − p)2 1 ψ̂0 (k ) = √ exp − 2α α (back) (α > 0, p ∈ R) Hilbert Raum Die mathematische Arena der Quantenmechanik Warscheinlichkeitsinterpretation: WSK, bei einer Ortsmessung zur Zeit t das Teilchen |ψt (x)|2 dx = im infinitesimalen Interval dx um x zu finden Z I Normierung: |ψt (x)|2 dx = 1 Zustand eines Quanten-Teilchens in 1D: normierte Funktion aus dem Raum ff ˛Z ˛ |ψt (x)|2 dx < ∞ L2 (R) := ψ : R → C ˛ Vektorraum mit Z I Skalarprodukt: hφ, ψi := I Norm: p hψ, ψi Bemerkung: kψk := φ(x)∗ ψ(x) dx Unendlichdimensionale Variante von Rn Zustand ψ ∈ L2 (R) analog zu normiertem Vektor in Rn . Zusammenhang mit Fourier Transformation: Z I Plancherel Identität: |ψ̂t (k )|2 dk = Basiswechsel Z |ψt (x)|2 dx (= 1) 8 < WSK, bei einer Impulsmessung zur Zeit t I |ψ̂t (k )|2 dk = das Teilchenim infinitesimalen Interval dk : um k zu finden Zeitentwicklung der Zustände: i (allgemeine) Schrödinger Gleichung d ψt (x) = (Hψt ) (x) dt mit Energie Operator H. I Beipiele: freies Teilchen: 1 H = − 2m Teilchen im Potential V : d2 dx 2 1 H = − 2m d2 dx 2 + V (x) (Visual Quantum Mechanics – Kap. 4.1 & 5.10 & 7.4) I Erhaltung der WSK d dt Z |ψt (x)|2 dx = 0 führt auf Forderung der Selbstadjungiertheit von H. Zur Mathematischen Struktur einer physikalischen Theorie gehört neben dem Zustandsbegriff der Begriff der Observablen. ff ff Zustand Warscheinlichkeiten −→ −→ Prognose der Meßwerte Observable Erwartungswerte Observablen: (selbstadjungierte) lineare Operatoren auf L2 (R) Beispiele: Energie H d Impuls P = −i dx Ort X = x Erwartungswert der Observablen A im Zustand ψ: Bemerkung: hψ, A ψi Selbstadjungierter Operator auf L2 (R) analog zu symmetrischer n × n Matrix auf Rn . Nicht-Kommutative Observablen Unschärfe Relationen Beipiel: Ortsoperator X und Impulsoperator P d ψ(x) dx d d d (PX ψ) (x) = − i (X ψ) (x) = −i [xψ(x)] = −i x ψ(x) − iψ(x) dx dx dx (XPψ) (x) = x (Pψ)(x) = −i x Kurz: XP − PX = i Anschauliche Konsequenzen: I Zustände sind entweder im Ortsraum schmal und im Impulsraum breit oder umgekehrt. (Gaußsche Wellenpakete) I Translationen im Ortsraum und Impulsraum (d.h. Phasenshift im Ortsraum) vertauschen nicht. IV. Ergänzungen und Ausblicke Tunneleffekt Trifft ein Wellenpaket auf eine Potentialbarriere, so wird ein Teil des Pakets reflektiert und ein Teil durch die Barriere transmittiert. Mathematisch beschreibt man diesen d Vorgang durch die Schrödinger Gleichung i dt ψt (x) = Hψt (x), mit H := − Dabei ist: ~2 d 2 + V (x) . 2m dx 2 I V : R → [0, vmax ] eine lokalisierte Barriere, z.B. vmax , falls |x| < b. V (x) = 0, sonst. I ψ0 ∈ L2 (R) eine links der Barriere lokalisierte Wellenfunktion, z.B. ψ0 (x) = 0 , falls x ≥ −b. Unter dem Tunneleffekt versteht man die Transmission durch die Barriere, d.h. Z ∞ T := lim |ψt (x)|2 dx > 0 , t→∞ b selbst im Falle, dass die mittlere Energie des Wellenpakets, hψ0 , Hψ0 i, kleiner als die Barrierenhöhe vmax ist. Aufgabe: Wie hängt die Transmissionswarscheinlichkeit T qualitativ von der Barrierenbreite b ab? Betrachten Sie dazu: (Visual Quantum Mechanics – Kap. 7.11) Energie Eigenzustände: Unter einem Eigenzustand einer Operators A auf Hilbertraum H (z.B. H = L2 (R)) versteht man eine normierte Funktion ψ ∈ H, für welche gilt: Aψ = aψ. In diesem Fall heißt a der Eigenwert. (Verallgemeinerung von Eigenvektor/-wert einer Matrix) Im Fall des Energie Operators H spricht man von den Energie Eigenzuständen. Beipiel: Harmonischer Oszillator H=− (Visual Quantum Mechanics – Kap. 5.2) ~ d2 mω 2 2 + x 2m dx 2 2 Die Eigenfunktionen s φn (x) = “x ” 1 −x 2 /2λ2 e H , √ n 2n n! πλ λ 2 n 2 n ∈ N0 , d −x die Hermite Polynome wobei λ2 := ~/(mω) and Hn (x) = (−1)n ex dx ne bezeichnen, und die entsprechen Eigenwerte ” “ En = ~ω n + 12 sind explizit bekannt. Aufgaben: I Verifizieren Sie, dass Hφ0 = E0 φ0 gilt, und betrachten Sie die Gallerie von Eigenfunktionen in (Visual Quantum Mechanics – Kap. 5.2). I Drücken Sie ψt := e−itH ψ0 , für ψ0 = φn , allein durch den entsprechenden Eigenwert En und ψn aus. Tipp: Benützen Sie die Reihendarstellung der Exponentialfunktion, e −itH = ∞ X (−itH)k k =0 k! , und leiten Sie zunächst einen Ausdruck für H k φn her. Interpretation des Ergebisses: Stationarität von Eigenfunktionen Die Zerlegung von selbsadjungierten Operatoren H in eine Orthonormalbasis von Eigenfunktionen (φn ) ist u.a. deshalb von großem Interesse, da X f (H)ψ = f (En )hφn , ψi φn n=0 für jede (stetige) Funktion f . Die Zeitentwicklung jedes Wellenpakets ψ kann somit im Prinzip explizit berechnet werden. Aufgaben: I Berechnen Sie e−itH (φn + αφm ) , α ∈ C, und veranschaulichen Sie die Zeitentwicklung solcher Linearkombination von Eigenwerten. (Visual Quantum Mechanics – Kap. 5.3-8) Weiteres Beispiel: Mechanics – Kap. 2) Eigenzustände des Wasserstoffatoms. (Advanced Visual Quantum Appendix: Literatur: I B. Thaller, Visual quantum mechanics, Springer 2002 I B. Thaller, Advanced visual quantum mechanics, Springer 2005 Mathematische Quantenmechanik am Zentrum Mathematik der TU München: I Lehrstuhl für Analysis: Prof. Dr. G. Friesecke, Prof. Dr. D. Castrigiano, Prof. Dr. S. Warzel I Lehrstuhl für Mathematische Physik: Prof. Dr. H. Spohn