VO Europa von der Spätantike bis zum Interregnum Pädagogische Akademie der Diözese Linz Sommersemester 2004 Dr. Christian ROHR Grundprobleme des spätantiken Staates Die Zeit der Soldatenkaiser Nach der friedlichen Zeit des 2. Jahrhunderts, in der die so genannten Adoptivkaiser für eine stabile Lage im Inneren sorgten, kam es im 3. Jahrhundert zur so genannten Zeit der Soldatenkaiser. In den Jahren 193-284 regierten nicht weniger als 39 Kaiser und Gegenkaiser, die zumeist von den Soldaten wichtiger Heeresverbände (Legionen) zum Kaiser ausgerufen wurden. Somit gab es häufig mehrere Kaiser im Reich, die sich gegenseitig bekämpften. Die inneren Kriege verschlangen riesige Kosten, für die die Soldatenkaiser immer neue Geldquellen suchten. Der Kaiser Septimius Severus (193-211) etwa verstaatlichte die gesamten landwirtschaftlichen Großbetriebe (Latifundien) in Spanien. Der bis dahin rege Handel mit Wein, Getreide, Olivenöl, etc. von Spanien in alle Teile des Römerreiches brach schlagartig ab, weil die Wirtschaftsführung unter den Soldatenkaisern offenbar kurzsichtig war und nur auf die Finanzierung der eigenen Kriegsführung ausgerichtet war. Die Spätantike Mit den notwendigen Reformen, die nach fast 100 Jahren des Chaos von Kaiser Diokletian (284-305) durchgeführt wurden, wird zumeist der Beginn einer Zeit angesetzt, die als Spätantike bezeichnet wird. Diese unterscheidet sich sowohl verfassungsgeschichtlich (Ende der Prinzipatszeit, Teilung des Römerreichs) als auch geistesgeschichtlich (Aufstieg des Christentums) von den Zeiten davor. Mit dem Eindringen der Hunnen (ab 375) und germanischer Stämme ins Römerreich und ihrer Ansiedlung an dessen Grenzen beginnt die große „Völkerwanderung". Diese wird zumeist mit dem Einfall der Hunnen in den Schwarzmeerraum im Jahr 375 und dem Einfall der Langobarden in Norditalien im Jahr 568 begrenzt und bildet einen fließenden Übergang von der Antike ins Mittelalter. Die Verwaltungsreformen Kaiser Diokletians Diokletian sah, dass das Römerreich in der bisherigen Form und Größe nicht mehr regierbar war. Er teilte es in einen Westteil und einen Ostteil, in denen jeweils ein Oberkaiser (Augustus) und ein Unterkaiser (Caesar) regierte. Diese 4 Kaiser (= Tetrarchen) teilten sich die Macht auf, wobei die Unterkaiser die Nachfolger der Oberkaiser sein sollten. Dieses System wurde in den nächsten 100 Jahren mehrmals abgewandelt, bis es im Jahr 395 unter Kaiser Theodosius zur endgültigen Teilung in ein lateinischsprachiges Westreich und in ein weitgehend griechischsprachiges Ostreich kam. Beide Reiche waren weitgehend voneinander unabhängig und unterstanden jeweils einem Kaiser. Seit Diokletian bekamen die Kaiser auch gesetzlich deutlich mehr 1 Macht. Der Prinzeps-Kaiser wurde durch den Dominus-Kaiser abgelöst (Name von der offiziellen Anrede für Diokletian: „dominus et deus“ = Herr und Gott). Die Zeit ab Diokletian wird daher auch als Dominatszeit bezeichnet. Allerdings hielt sich nach Diokletian die Gleichsetzung des Kaisers mit einem Gott nicht lange, weil das Christentum sich immer mehr durchsetzte. Der Aufstieg des Christentums Diokletian hatte die Christen nicht zuletzt deswegen hart verfolgt, weil diese die Verehrung des Kaisers als Gott vehement ablehnten. Unter seiner Regierungszeit starben viele Tausend Christen im Reich den Märtyrertod. Einer der Nachfolger Diokletians, Kaiser Konstantin (305/312-337), setzte sich gegen seine Mitkaiser durch und verfügte im Jahr 313 im Edikt (= Gesetzeserlass) von Mailand, dass das Christentum, das unter Diokletian noch schwer verfolgt wurde (z. B. der Märtyrer Florian), toleriert werde. Konstantin selbst war aber vermutlich noch kein Christ. Erst unter Kaiser Theodosius wurde das Christentum im Jahr 391 zur Staatsreligion erhoben, es war also gegenüber allen anderen Religionen bevorzugt und für die Staatsbediensteten Vorschrift. Römer und Barbaren – Die Völkerwanderung(en) Völker auf Wanderschaft Die germanisch dominierten Siedlungsverbände im Norden und Osten Europas waren Halbnomaden, die nur für einige Zeit an einem Ort blieben. Sie zogen weiter, wenn aus dem Gebiet nicht mehr genug Nahrung für das Volk zu bekommen war. Auch dürfte sich in der Spätantike das Klima merkbar verschlechtert haben. Durch diese Wanderbewegungen, die im 2. Jh. n. Chr. begannen, wurden andere Gruppen verdrängt, die wiederum bis ins Römerreich vorstießen. Wenn ein Stamm erfolgreiche Führer hatte, schlossen sich ihm andere Stämme zur Gänze oder teilweise an, sodass diese Stämme immer größer wurden (Wanderlawine). Die Bezeichnung für ein derartiges Volk auf ständiger Wanderschaft richtete sich stets nach den Führungsschichten, das Volk selbst bestand aus Teilen vieler Völkerschaften. Unter „den Hunnen“ ist also ein großer Siedlungsverband auf Wanderschaft zu verstehen, bei dem die Führungsschicht aus Hunnen besteht. Darunter befanden sich aber auch Mitglieder vieler anderer Herkunft. Römer und Barbaren Der Beginn der Völkerwanderung wird zumeist mit dem Einfall der Hunnen in die Siedlungsgebiete der Goten am Schwarzen Meer im Jahr 375 angesetzt. Als Folge dieses „Hunnensturms“ gerieten viele Stämme in Bewegung, doch sind die Wanderungen oft ziemlich undurchsichtig und verwirrend. Die Goten teilten sich seit 375 in Westund Ostgoten, wobei die Westgoten zunächst ins Römerreich eindran2 gen und dort als „Föderaten“ (= Bündnispartner) angesiedelt wurden. Sie übernahmen die Grenzverteidigung für einen Teil des Römerreiches und bekamen im Gegenzug Land und Geldzahlungen. Reichsgründungen Am Ende oft jahrzehntelanger Wanderungen stand häufig die Sesshaftwerdung eines Stammes und die Gründung eines Reiches. Die Westgoten gelangten nach Südfrankreich und nach Spanien, die Vandalen aus Ostdeutschland nach Nordafrika, die Angeln und Sachsen aus Dänemark nach England, die Franken aus den Niederlanden nach Nordfrankreich, die Ostgoten nach vielen Irrwegen nach Italien. Mit dem Einfall und der Reichsgründung der Langobarden in Norditalien im Jahr 568 wird zumeist das Ende der Völkerwanderungszeit angesetzt. Odoaker und Theoderich An der Spitze eines Heeres aus verschiedenen Germanenstämmen drang der Söldnerführer Odoaker ins Römerreich ein und setzte im Jahr 476 den letzten Kaiser des weströmischen Reiches, Romulus Augustulus, ab. Wenn man die Schwäche der damaligen weströmischen Kaiser bedenkt, wird klar, dass das häufig als Epochendatum (Ende der Antike und Beginn des Mittelalters) angeführte Jahr 476 nur ein eher mittelmäßig bedeutendes Ereignis war, und man den Übergang von der Antike zum Mittelalter auch anderswo ansetzen könnte. Um das Jahr 500, aber nicht durch ein bestimmtes Datum eingrenzbar, kommt es zu einem gleitenden Übergang von der Antike zum Mittelalter. Odoaker wurde schon nach wenigen Jahren vom ostgotischen König Theoderich abgesetzt und ermordet (493). Die Ostgoten hingegen konnten in Italien ein Reich für etwa 60 Jahre aufrechterhalten, das in den prächtigen Bauwerken von Ravenna noch bis heute seine Spuren hinterließ. Wie die Vandalen zu ihrem Image kamen Die Vandalen machten sich kurz nach 400 vom Osten des heutigen Deutschland auf und zogen über Frankreich und Spanien nach Nordafrika. Im Gebiet des heutigen Tunesien gründeten sie ein Reich auf römischen Boden, das etwa 100 Jahre Bestand hatte. Wie viele andere Gruppen wurden sie nicht von Katholiken, sondern von den so genannten Arianern christianisiert. Den Vandalen dürfte der feine theologische Unterschied kaum aufgefallen sein; sie wussten wohl nur, dass sie sich in Opposition zur katholischen Kirche verhalten sollten und unterdrückten daher die Katholiken in ihrem Reich. In er späteren (katholischen) Kirchengeschichtsschreibung wurden diese Verfolgungen – und auch eine Plünderung Roms im Jahr 455 – äußerst drastisch dargestellt, sodass die Vandalen zu ihrem schlechten Ruf kamen. Tatsächlich dürften sie sich aber kaum anders verhalten haben als etwa die Westgoten, die ebenfalls lange Zeit dem Arianismus folgten und im Jahr 410 Rom plünderten. 3 Arianer Anhänger des griechischen Theologen Areios, der im Gegensatz zur offiziellen Lehre behauptete, dass Jesus nur Gott ähnlich, nicht aber Gott gleich sei. Das Merowingerreich und andere frühmittelalterliche Reichsbildungen Das Frankenreich unter den Merowingern Im Rahmen der Völkerwanderung zog der Stamm der Franken vom Gebiet der heutigen Niederlande nach Nordfrankreich. Unter ihrem König Chlodwig (482-511) dehnten sich die Franken über weite Teile des heutigen Frankreich aus. Chlodwig bekehrte sich auch zum katholischen Glauben und ließ sich taufen. Unter seinen Nachfolgern kamen weitere Gebiete in Südfrankreich und im Gebiet des heutigen Deutschland hinzu. Die Siedlungsräume der Schwaben (im heutigen deutschen Bundesland Baden-Württemberg) und der Bayern standen unter einem fast königsgleichen Herzog und waren nur lose von den Merowingerkönigen im Frankenreich abhängig. Die Macht der Könige war vor allem deswegen gering, weil häufig kleine Kinder an die Macht kamen, für die beispielsweise die Großmutter regierte, bis diese Könige in jungen Jahren ermordet wurden. Außerdem war das Frankenreich häufig unter mehreren Königen aufgeteilt. In diesem Chaos, das auch dadurch spürbar ist, dass in dieser Zeit die Kenntnisse der antiken Kultur meist verloren gingen, stieg die Familie der Karolinger auf. Diese waren als Hausmeier, eine Art oberste Verwaltungsbeamte, die eigentlichen Regenten. Westgoten, Angelsachsen, Langobarden Während die Reiche der Ostgoten in Italien und der Vandalen in Nordafrika nicht über das 6. Jahrhundert hinaus Bestand hatten, konnten sich die Westgoten zunächst in Südfrankreich und dann in weiten Teilen Spaniens festsetzen. Ihr Reich, das bis ins 7. Jahrhundert noch als Heimat spätantiker Kultur diente, wurde erst 711 mit dem Übergreifen der muslimischen Mauren nach Spanien beendet. Viele Errungenschaften, etwa eine eigene westgotische Buchschrift oder die westgotische Zeitrechung (sie rechnet vom Jahr 38 v. Chr. weg), blieben für nicht nur für den christlich verbliebenen Norden Spaniens für das gesamte Mittelalter von Bedeutung. Die Langobarden wiederum waren 568 nach Nord- und Mittelitalien gekommen. Ihre Herrschaft wurde erst von Karl dem Großen beendet. Kulturell knüpften sie an spätantik-christliche Traditionen, aber auch die Kultur der Ostgoten an. Durch zahlreiche Heiratsverbindungen mit den Bajuwaren fand auch ein reger Kulturaustausch über den Alpenhauptkamm statt. Die Angeln, Sachsen und Jüten waren aus dem heutigen Norddeutschland und Dänemark nach Südengland aufgebrochen und füllten dort das Machtvakuum, das seit dem Abzug der Römer 410 geblieben war. Die Königreiche waren zwar zumeist regional begrenzt, doch wiesen sie eine für die damalige Zeit durchaus beachtliche Verwaltungstätigkeit auf, wie mehrere erhaltene Urkunden beweisen. Außerdem stießen Missionare aus Rom und Irland auf fruchtbaren Boden. Sie schufen mit der Gründung der beiden Erzbistümer Canterbury und York die noch heute aufrechte Kirchenorganisation und errichteten Klöster, die zu Zentren frühmittelalterlicher Gelehrsamkeit wurden. Die Neuchristianisierung Europas 4 Auch das Christentum nahm in der Merowingerzeit vorerst wieder ab, christlicher Glaube vermischte sich mit germanischen Kulten. Ab dem frühen 7. Jh. kam es aber zu einer Neumissionierung, die vor allem von Irland und England ausging. Besonders die irischen Mönche führten ein sehr radikales und enthaltsames Leben. Um das „grüne Martyrium“ zu erleiden, zogen sich die Mönche auf unwirtliche Inseln zurück oder fuhren mit kleinen Schiffen auf das europäische Festland, das auf weite Strecken von Urwald bedeckt war. Dort gründeten sie, häufig mit Unterstützung des Königs und der Adeligen, Klostergemeinschaften, die auch viele Bewohner des Frankenreiches anzogen. Man spricht daher von einer irofränkischen Klosterkultur, die zu einem der wenigen Kulturträger der Merowingerzeit wurde. Auch der Neugründer von Salzburg, der Heilige Rupert, stand unter irofränkischem Einfluss; einer seiner Nachfolger, der Heilige Virgil von Salzburg, war selbst Ire. Es ist außerdem wahrscheinlich, dass der irische Mönch Brendan vom Golfstrom getrieben über Grönland bis nach Kanada kam. Der Ire Tim Severin baute in den 1970er-Jahren das Schiff Brendans exakt nach den genauen Beschreibungen der „Navigatio Sancti Brendani“ (Seefahrt des Hl. Brendan) nach und gelangte bis nach Amerika. Somit wären die Iren und nicht die Wikinger oder Christoph Kolumbus die „Entdecker“ Nordamerikas. Kulturtransfer oder Kulturverlust? Transformation oder Zusammenbruch? Das Fortleben antiker Kultur Der Beitrag des frühen Christentums zur spätantiken Literatur und Kunst wurde lange Zeit in der Forschung unterschätzt. Die Christen nahmen die klassisch-römische Kultur zum Vorbild, um daraus neue Formen zu gestalten. Die Basilica, ursprünglich eine hohe gewölbte Markthalle, wurde zur typischen Kirchenform der ausgehenden Antike. Dichter wie Iuvencus übertrugen Teile des Neuen Testaments in Versform und folgten dabei dem sprachlichen Vorbild der klassischen Dichter Vergil und Ovid. Gebildete Römer wie Ennodius und Cassiodor schrieben noch am Beginn des 6. Jahrhunderts unter der Herrschaft der Ostgoten in Italien ihre Werke in einem hochstilisierten Latein und ließen dabei den Ostgotenkönig Theoderich wie einen römischen Kaiser erscheinen. Schließlich fasste der gebildete Bischof Isidor von Sevilla am Beginn des 7. Jahrhunderts den Wissensstand der Antike nochmals zusammen. Seine „Etymologiae“ fehlten in kaum einer Klosterbibliothek des Mittelalters und wurden so zur führenden Enzyklopädie für mehr als 800 Jahre. Spätrömische Verwaltungsstrukturen im Frühmittelalter Auch wenn es seit 476 keinen Kaiser mehr im Weströmischen Reich gab – ein Umstand, der den Zeitgenossen kaum aufgefallen sein dürfte –, so lebten doch viele Strukturen der römischen Verwaltung auf regionaler Ebene weiter. An die Stelle städtischer Beamter traten meist die 5 Der englische Universalgelehrte Edward Gibbon hatte in seinem 1776-1788 erschienenen Werk „The Decline and Fall of the Roman Empire“ das Bild vom Untergang des Römerreichs und einem weitgehenden Kulturverlust durch den Aufstieg des Christentums entstehen lassen. Nach neueren Forschungen ist dieses Bild allerdings deutlich zu präzisieren, weil viele Errungenschaften der Antike in oft veränderter Form das Mittelalter und seine christlichen Bischöfe, die vor allem im Frankenreich zu Trägern der Gesellschaft entStadtherrschaft wurden. Sie entstammten oft denselben Familien wie scheidend prägten. die Magistratsbeamten vor dem Ende des Römerreichs. Der gebildete Bischof und Chronist Gregor von Tours (538-594) stellte über seine Vorfahren fest, dass er nur mit fünf seiner 18 Vorgänger als Bischof von Tours nicht verwandt gewesen sei. In Churrätien, dem heutigen Schweizer Kanton Graubünden, hielt die Familie der Viktoriden das Amt des Bischofs und damit auch des weltlichen Verwalters der einst römischen Provinz bis ins 9. Jahrhundert inne. Auch die Wurzeln des Lehenswesens reichen in die Spätantike und Völkerwanderungszeit zurück: Die Besitz- und Machtverhältnisse auf den großen landwirtschaftlichen Einheiten des Römerreichs, den Latifundien, wurden prägend für die Grundherrschaften des Mittelalters; das System des militärisch legitimierten Heerführer-Königs mit seiner Gefolgschaft an Adeligen ist wiederum typisch für die germanisch dominierten Verbände der Völkerwanderungszeit und blieb für das gesamte Mittelalter und die Frühneuzeit bestimmend. Abgrenzungen Antike – Mittelalter Die Abgrenzungen des Mittelalters werden heute nicht mehr so klar mit Jahreszahlen umrissen. Als Beginn des Mittelalters wurde zumeist das Jahr 476 n. Chr. (Absetzung des letzten weströmischen Kaisers) angegeben, als Ende das Jahr 1492 (Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus). Eine derartig klare Abgrenzung lässt sich allerdings inhaltlich nicht wirklich begründen. Die Hauptmerkmale, die „das Mittelalter“ ausmachen, finden sich teilweise auch in den Zeiten davor und danach. Sieht man beispielsweise die Durchdringung allen Lebens mit dem christlichen (katholischen) Glauben an, so begänne das Mittelalter eher 391 (Erhebung des Christentums zur Staatsreligion) und endete mit dem Jahr 1517 (Beginn der Reformation Martin Luthers). Die Absetzung des letzten weströmischen Kaisers hat kaum größere Auswirkungen gezeigt, sodass man das Jahr 476 getrost als „Epochendatum“ vernachlässigen kann. Die Reformation Luthers wiederum hatte für die Umgestaltung der mittelalterlichen Welt sicherlich mehr Bedeutung - zumindest in Mitteleuropa - als die „Entdeckung“ Amerikas. Es wird daher sinnvoll sein, von festen Jahreszahlen wegzugehen und stattdessen von Übergangszeiten auszugehen, die jeweils einen fließenden Übergang von einer Epoche zur nächsten bilden. Zwischen der Römerzeit und dem Mittelalter liegt die Völkerwanderung (375-568), in der sich die staatliche Organisation des gesamten Mittelmeerraumes und weiter Teile West- und Mitteleuropas von einem Großreich (Römerreich) zu mehreren kleineren Reichen verschob (germanisch oder slawisch geprägte Reiche). Während der Völkerwanderungszeit etablierte sich weiters das Christentum zur Staatsreligion im Römerreich und wurde auch für die neu entstehenden Germanenreiche bestimmend. Die Ausbildung des Feudalwesens 6 Die Entwicklung des Feudalwesens Schon seit dem 7./8. Jh. bildete sich in ganz Europa ein System gegenseitiger Abhängigkeit zwischen den verschiedenen Schichten der Gesellschaft heraus, das bis ins 18. Jh., also bis in die Neuzeit, Gültigkeit besaß: Man nennt es Lehenswesen oder Feudalwesen. Was ist das Lehenswesen? Unter dem Lehenswesen versteht man ein System, bei dem jeweils der Nächsthöhere seinen unmittelbaren Untertanen ein Amt bzw. ein Stück Land, das sogenannte Lehen (lateinisch feudum), verleiht. Der Kaiser/König belehnt somit seine unmittelbaren Untertanen, die sogenannten Kronvasallen (Hochadelige, z. B. Herzöge, wichtigere Grafen, Bischöfe, Äbte). Diese wiederum belehnen ihre Untertanen. Vor allem seit dem 10. Jh. war dieses Feudalsystem oder Lehenssystem voll ausgebildet. Prinzipiell galt ein derartiges Lehensverhältnis für die Lebenszeit der beiden Rechtspartner, es musste also beim Tod einer Seite vom bzw. für den Nachfolger bestätigt werden. Dieser Schritt war normalerweise reine Formsache, indem der Untertan um das Lehen bat, und der Vorgesetzte das Lehen meist in einem Zeremoniell, bei dem dem Untertan ein Schwert auf die Schulter gelegt wurde, verliehen bekam. Wenn ein Rechtspartner ohne einen eindeutigen Erben starb, konnte das Lehen an jemand anderen verliehen werden, z. B. an den zweiten Gatten der Witwe des Verstorbenen. Es war daher im Mittelalter häufig, dass die Frauen oder Schwestern der letzten Vertreter eines Geschlechts sehr begehrt waren, auch wenn sie teilweise schon in hohem Alter standen. Die Lehenspyramide Kaiser/König Kronvasallen später Landesherrn, Landesfürsten genannt (Hochadelige, z. B. Herzöge, wichtige Grafen, Bischöfe) Grundherrn/Landherrn (niedere Adelige, z. B. kleinere Grafen, Ritter, später auch Bürger) Bauern Ein gegenseitiges Verhältnis von Rechten und Pflichten Das Abhängigkeitsverhältnis war gegenseitig: Der Vorgesetzte gewährte das Lehen, Schutz und Vertretung nach oben, der Untertan war zu Abgaben (v. a. den Zehent, das ist eine 10 %-Steuer auf den Ertrag) 7 und zum Heeresdienst verpflichtet, wobei jeder für seine eigene militärische Ausrüstung (Waffen, Pferd, etc.) sorgen musste. Mit der Zeit kam es innerhalb des Feudalwesens zu Verschiebungen der Machtverhältnisse: Der König verlor viele königliche Rechte (sogenannte Regalien) an die ihm unterstellten Hochadeligen (Landesherrn). Davon betroffen waren beispielsweise Rechte, die Bodenschätze abzubauen, Mauten einzuheben, Stadtrechte zu verleihen, etc. Auch die Stellung der Bauern veränderte sich. Die Stellung der Bauern Die Bauern wiederum waren zwar ursprünglich meist frei, konnten aber der Mehrfachbelastung (Bebauung des Ackers, Abgaben, oft mehrjähriger Heeresdienst) oft nicht standhalten. Sie begaben sich daher in der Regel stärker in die Abhängigkeit ihres Vorgesetzten (des Grundbesitzers = Grundherr), gaben Teile ihrer Freiheit auf, mussten aber nicht mehr Heeresdienst leisten. Man nennt diese halbfreien Bauern „Hörige“. Die stärkere Unfreiheit bestand beispielsweise darin, dass sie auch für Privates (z. B. Heirat) die Zustimmung des Grundherrn benötigten und mehr Abgaben leisten mussten, z. B. in Form von unbezahlter Zwangsarbeit in der Burg oder am „Privatgrundstück“ des Grundherrn (so genannte Robotleistung). In manchen Gebieten, vor allem in Osteuropa, ging diese Abhängigkeit so weit, dass die Bauern keinerlei Rechte mehr besaßen und als sogenannte „Leibeigene“ fast wie Sklaven gehalten wurden. Von der Großreichsidee Karls des Großen zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation Von Hausmeiern zu Königen Schon in den Wirren der Merowingerzeit war die Familie der Karolinger als Hausmeier (eine Art oberste Verwaltungsbeamte) die eigentliche Herrscherfamilie. Schließlich stürzte der Hausmeier Pippin im Jahr 751 den letzten Merowingerkönig und machte sich mit Hilfe des Papstes, der ihn feierlich zum König salbte, zum König der Franken (regierte als König 751-768). Pippin schenkte aus Dank dem Papst ganz Mittelitalien (die so genannte Pippinische Schenkung). Aus diesem Gebiet entwickelte sich der sogenannte Kirchenstaat, in dem der Der Kirchenstaat Papst auch weltlicher Herrscher war. Der Kirchenstaat). existierte weitgehend bis 1870, wurde im Rahmen der Einigung Karls Aufstieg Pippins Sohn und Nachfolger Karl der Große (geboren um 747, König Italiens beseitigt und 768-814), stärkte seine Macht im Reich noch dadurch, dass er die letz- unter Mussolini 1929 ten verbliebenen mächtigen Herzöge schrittweise absetzte. Wichtig ist wieder in symbolifür unseren Raum vor allem die Absetzung des Bayernherzogs Tassilo scher Form errichtet. (788), der beispielsweise Kremsmünster gründete (777); der Tassilo- Der Vatikanstadt bekelch, einer der wichtigsten Kunstgegenstände aus dem Frühmittelal- steht aus dem Peterster, stammt ebenfalls aus dieser Zeit. Bayern reichte bis zur Enns, das dom und einigen anGebiet östlich davon gehörte zum Reich der Awaren. Anstelle der deren große Kirchen 8 mächtigen Herzöge setzte Karl Grafen ein, deren Gebiet deutlich klei- Roms und ist der kleinste Staat der ner war und die ausschließlich enge Gefolgsleute von ihm waren. Erde Die Ausdehnung des Karolingerrreichs Karl dehnte sein Reich im Laufe seiner langen Regierungszeit auch in alle Richtungen aus. Die Kämpfe waren dabei oft sehr langwierig und blutig: Wichtig ist vor allem die Besiegung der Langobarden in Norditalien, der Sachsen in Norddeutschland und der Awaren im Süden und Osten Österreichs sowie in Westungarn. Karls Reich reichte somit von den Pyrenäen bis Dänemark und von Nordfrankreich bis zum Plattensee und bis in die Toskana. An den Grenzen errichtete Karl sogenannte Marken, das sind Gebiete mit besonderer Militärpräsenz. Auch Österreich war als Awarenmark und Karantanenmark (gegen die Karantanen, die slawischsprachigen Bewohner Kärntens und „Vorläufer“ der Slowenen) als eine Art Militärbezirk organisiert. Die Reformen im Inneren Zur Organisation eines solchen Großreiches war es notwendig, eine funktionierende Verwaltung einzurichten: Karl sorgte sich deswegen um die Pflege der lateinischen Sprache und um eine gut lesbare Schrift. An seinem Hof wurde daher die sogenannte „karolingische Minuskel“ entwickelt, die in weiten Zügen unserer Druckschrift entspricht. Für diese Reformzwecke holte Karl auch die gebildetsten Leute aus ganz Europa an seinen Hof, die fähig waren, die Werke der Antike zu verstehen, zu sammeln und abzuschreiben. Viele Texte aus der Antike sind deswegen in Handschriften aus der Karolingerzeit erhalten, während ältere Handschriften meist verlorengegangen sind oder beseitigt wurden, weil man sie nicht mehr lesen konnte. Die Reform bezog sich nicht nur auf die Vereinheitlichung von Sprache, Schrift und Literatur, sondern auch auf das Mönchswesen. Unter Karl und seinem Nachfolger Ludwig dem Frommen wurde für alle Klöster die Regel des Hl. Benedikt verpflichtend. Diese Regel war bis dahin nur eine von vielen, zeichnete sich aber dadurch aus, dass sie sehr praktisch war und Gebet und Arbeit vereinigte („Bete und arbeite!“). Die Regierungspraxis Karls Die Verwaltung des Reiches war nur dadurch möglich, dass Karl sein ganzes Leben im Reich herumzog und jeweils für einige Zeit in einer seiner vielen Hauptstädte (Pfalzen) die Regierungsgeschäfte wahrnahm. Die Lieblingspfalz Karls war Aachen (westlich von Köln). Auch in späteren Zeiten war es notwendig, dass der König oder Kaiser zu seinen Untertanen kam und deswegen ständig im Reich umherzog. Der König hatte auch sogenannte Königsboten, die darüber wachten, dass die Gesetze eingehalten wurden. Die Kaiserkrönung Am Weihnachtstag des Jahres 800 wurde Karl in Rom vom Papst zum Kaiser gekrönt. Offensichtlich sollte damit ausgedrückt werden, dass Karl auf derselben Stufe wie die Kaiser im Oströmischen Reich (Byzantinischen Reich) stehe. Noch dazu gab es damals in Konstantinopel 9 (dem heutigen Istanbul) Thronstreitigkeiten, sodass ein neuer Kaiser allerdings im Frankenreich auf dem Gebiet des ehemaligen Weströmischen Reiches - gekrönt werden könne (sogenannte „renovatio imperii“). Die Teilung des Karolingerreichs Unter den Nachfolgern Karls wurde das Reich mehrmals geteilt, weil keiner der nachfolgenden Herrscher genug Autorität hatte, ein derartiges Großreich zu regieren. Die Teilung in ein Westfränkisches und ein Ostfränkisches Reich spiegelt sich noch heute in der Teilung zwischen französisch- und deutschsprachigem Gebiet wider. Wegen der Schwäche der letzten Karolinger, die im Ostfränkischen Reich schließlich im Jahr 911 ausstarben, entwickelten sich wieder starke Herzogtümer in Bayern, Sachsen und anderen Gebieten, die nach einer königsgleichen Macht strebten. Nach dem Aussterben der Karolinger kamen im Ostfrankenreich (Deutschland, Österreich, Schweiz, Norditalien, Ostfrankreich / Burgund) die Ottonen (auch Sachsenkönige genannt) an die Macht (9191024). Ihr Geschlecht ist nach den drei wichtigsten Königen (Otto I.III.) benannt. Von besonderer Wichtigkeit ist in vielerlei Hinsicht die Herrschaft des Königs Otto I. (auch mit dem Beinamen „der Große“, regierte 936-973). Das Heilige Römische Reich Da die Vorgänger Ottos I. eher schwache Könige waren, erstarkten wieder Herzöge in manchen Kernbereichen des Ostfränkischen Reiches (Bayern, Sachsen, Schwaben). Der König war daher auf den guten Willen dieser mächtigen Reichsfürsten (ein Überbegriff für alle geistlichen und weltlichen Hochadeligen, die direkt unter dem König stehen) angewiesen. Andererseits versuchte er, den Einfluss der Reichsfürsten zu beschränken und selbst eine übergeordnete Rolle einzunehmen. Otto ließ sich daher im Jahr 962 vom Papst in Rom zum Kaiser krönen. Der Unterschied zum Kaisertum Karls des Großen und seiner Nachfolger war, dass Otto bewusst den Anschluss an das Römerreich suchte. Nach der christlich-mittelalterlichen Lehre gab es nämlich insgesamt vier Reiche (die Reiche der Ägypter, der Babylonier, der Perser und der Römer), danach werde die Welt untergehen. Otto sah sich daher in der Tradition der weströmischen Kaiser und sein Reich in der Tradition des römischen Reiches. Diese Idee von der „Übertragung des Reiches“ („translatio imperii“) machte somit aus dem deutschsprachigen Ostfrankenreich ein „Römisches“ Reich. Man spricht daher seit dieser Zeit vom „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ (Sacrum Imperium Romanorum), auch kurz „RömischDeutsches Reich“ genannt. Der Kaiser wird daher auch als „Römisch-Deutscher Kaiser“ bezeichnet. Dieses Reich, das sich zwar in sich und in seiner Ausdehnung immer wieder veränderte, dauerte bis 1806. 10 Die Reform der Kirche – Cluniazensische Reform und Investiturstreit Krise in der Kirche Besonders seit dem 8. und 9. Jh. gab es in der katholischen Kirche viele Missstände. Die Päpste in Rom führten manchmal einen sehr unheiligen Lebenswandel; zudem stritten sich die Adelsgeschlechter in Rom vehement um dieses Amt, sodass geistliche Kriterien in den Hintergrund traten. Nicht selten lebten Priester in eheähnlichen Verhältnissen - übrigens konnten Priester und sogar Bischöfe bis ins Frühere Mittelalter heiraten und Familie besitzen; Auch die Simonie war weit verbreitet. Außerdem wurde die Freiheit der Kirche durch das Reichskirchensystem der Ottonen (919-1024) und der nachfolgenden Salier (1024-1125) stark eingeengt. Im ostfranzösischen Kloster Cluny und anderen Zentren formierte sich seit dem 10. Jh. eine Reformbewegung, deren Ziel es war, die Kirche zu ihren Wurzeln und zu einer größeren Eigenständigkeit zurückzuführen. Die Ideen dieser so genannten Cluniazensischen Reform verbreiteten sich schnell über ganz Europa und zeigten in mehreren Bereichen nachhaltigen Niederschlag. Die Reform des Mönchswesens Auch in den Klöstern, die seit der Zeit Karls des Großen und seiner Nachfolger allgemein nach der Regel des Heiligen Benedikt lebten, kam es zu Missständen und verweltlichten Erscheinungsformen. Außerdem waren viele Klöster vom Willen der weltlichen Herrscher abhängig, weil diese oder deren Vorfahren die jeweiligen Klöster gegründet und mit Besitzungen ausgestattet hatten. Geprägt von den Reformgedanken aus Cluny und anderen Zentren der Kirchenreform entstand der Zisterzienserorden, der besonders vom berühmtesten Theologen der damaligen Zeit, Bernhard von Clairvaux, gefördert wurde. Es handelt sich dabei um eine Mönchsgemeinschaft, die ähnlich wie die Benediktiner leben, allerdings im unwegsamen Gelände ihre Klöster gründeten und die Gegend rundherum rodeten und bebauten. Sie strebten danach, von ihrer Umwelt wirtschaftlich unabhängig zu sein. Bis heute hängen an den Zisterzienserklöstern größere Wirtschaftsbetriebe, v. a. Holzschlägerung und Holzverarbeitung, wofür sowohl früher als auch noch heute weltliche Angestellte herangezogen wurden. Wichtige Klöster der Zisterzienser in unserem Raum sind Heiligenkreuz (NÖ), Zwettl (NÖ), Lilienfeld (NÖ), Wilhering (OÖ) oder Schlierbach (OÖ),. Das Wiedererstarken des Papsttums im Investiturstreit Durch die Cluniazensische Reform gelangte auch das Papsttum zu neuem Selbstbewusstsein. Besonders das Reichskirchensystem der Ottonen und Salier bedeutete eine starke Einengung der päpstlichen Gewalt, weil das Recht, hohe kirchliche Würdenträger (Bischöfe, Äbte) zu bestimmen, nur mehr beim Kaiser/König lag. Der Konflikt spitzte sich zu, als auf der einen Seite König Heinrich IV. (1056-1105) und auf der anderen Seite Papst Gregor VII. (1073-1085) nicht nachgeben wollten. Schließlich bannte der Papst den König, d. h. er schloss 11 Simonie Ämterkauf, benannt nach der Gestalt des Simon Magus in der Apostelgeschichte, der die Gunst der Apostel und seine Erlösung erkaufen wollte ihn aus der Gemeinschaft der Kirche aus. Dieser Schritt war für den König vor allem deswegen gefährlich, weil die Herrschaft des Königs nach der mittelalterlichen Meinung von Gott gegeben war. Wenn der König aus der Gemeinschaft Christi ausgeschlossen werde, müssten daher auch seine Untertanen ihn nicht mehr anerkennen. Da die Reichsfürsten immer versuchten, gegenüber dem König möglichst viele Rechte zu erwirken, konnte ihnen diese Situation nur dienlich sein. König Heinrich IV. zog daher dem Papst nach Italien entgegen und bat auf der Burg Canossa in der nördlichen Toskana den Papst um Aufhebung des Banns (1077). Dieser sogenannte „Canossagang“ ist heute noch sprichwörtlich, wenn jemand klein beigeben und um Vergebung bitten muss. Der Streit um die Investitur, also die Frage, ob der Papst oder der König die hohen kirchlichen Würdenträger einsetzen dürfe, zog sich noch einige Jahrzehnte mit teilweise bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Heiligen Römischen Reich dahin, bis man sich schließlich 1122 im sogenannten Wormser Konkordat (ein staatsrechtlicher Vertrag zwischen dem Papst und einem Staat) auf einen Kompromiss einigte: Der Papst dürfe die geistlichen Würden (Spiritualia) verleihen, der König die weltlichen Würden (Temporalia), d. h. die Würde eines Bischofs wird vom Papst verliehen, ein eventuell dazugehöriges Land vom König. Investitur Einsetzung in ein Amt, vgl. auch Investition = Einsatz) Geistliche und weltlicher Herrscher in einer Person Im heutigen Österreich besaßen der Erzbischof von Salzburg und der Bischof von Passau jeweils eigene Hoheitsgebiete, in denen sie wie ein weltlicher Fürst regierten. Unter einem Bistum ist die gesamte Kirchenprovinz zu verstehen, für die der Bischof als geistiges Oberhaupt zuständig ist. Der Bischof von Passau besaß beispielsweise ein relativ kleines Gebiet (das so genannte Erzstift Passau nördlich von Passau), war aber als Bischof für ein Bistum zuständig, das bis ins 18. Jh. auch Ober- und Niederösterreich umfasste. Das Land Salzburg bildete sogar bis 1803 den weltlichen Herrschaftsbereich des Erzbischofs von Salzburg. Somit gehörte Salzburg bis dahin nicht zu Österreich, sondern war ein eigenes, gleichrangiges Gebiet. Miteinander, nebeneinander, gegeneinander – Das Verhältnis von Christentum, Judentum und Islam Inhaltliche Gemeinsamkeiten Judentum, Christentum und Islam sind drei untereinander eng verwandte Weltreligionen. Sie weisen von ihrer Entstehungsgeschichte und von ihren Inhalten her viele Parallelen auf. Trotzdem oder gerade deswegen war das Verhältnis untereinander oft sehr von Unverständnis und Intoleranz geprägt. Alle drei Religionen haben im Zentrum den Glauben an einen einzigen Gott (sogenannte monotheistische Religionen), nämlich Jahwe, Gott Vater/Sohn/Hl. Geist und Allah. Jede Religion hat eine Heilige Schrift (Thora, Bibel, Koran), die über Propheten offenbart wurde; 12 daher werden die drei Religionen auch als die „Offenbarungsreligionen“ bezeichnet. Die drei Religionen bauen jeweils aufeinander auf: Das Judentum hat die Schriften des Alten Testaments, erweitert um die Rechtsgutachten der Rabbiner (zusammen Talmud genannt), als Basis. Das Christentum übernimmt die Schriften des Alten Testaments unter Ergänzung des Neuen Testaments. Der Islam sieht Judentum und Christentum als Vorläufer an: Jesus ist beispielsweise im Islam einer der Propheten, doch vollzieht sich die Erfüllung erst durch die Offenbarungen Mohammeds. Mohammed und seine Lehre Der Kaufmann Mohammed wurde um 570 n. Chr. in der Stadt Mekka (heute Saudi-Arabien) geboren. Auf seinen Handelsreisen kam er mit Judentum und Christentum in Berührung. In einer Nacht soll ihm der Koran offenbart worden sein. Allerdings stieß Mohammed bei der Verkündigung seiner neuen Lehre auf Widerstand, besonders in Mekka, wo sich um einen großen Meteoriten (ein auf die Erde gefallener, großer, schwarzer Sternklumpen - die sogenannte Kaaba, die heute das Zentrum der Großen Moschee von Mekka bildet) ein heidnisches Pilgerheiligtum befand. Da man dort Mohammed als Konkurrenten ansah, vertrieb man ihn im Jahr 622 in die Nachbarstadt Medina. Diese Flucht, die sogenannte Hedschra, bedeutet den Beginn der islamischen Zeitrechnung. Von Medina aus setzte sich Mohammed allerdings schnell durch; er selbst starb im Jahr 632. Die Ausbreitung des Islam Unter seinen Nachfolgern breitete sich der Islam sehr rasch über den ganzen Orient und nach Nordafrika aus. Auch ganz Spanien wurde von den islamischen Mauren besetzt. Erst im Jahr 1492 (also im selben Jahr wie die „Entdeckung“ Amerikas) konnten die christlichen Könige Spaniens endgültig die letzten islamischen Reste in Spanien (um die südspanische Stadt Granada, wo viele Bauwerke im islamischen Stil noch an die damalige Zeit erinnern) zurückerobern. Die schnelle Ausbreitung des Islam lag vor allem daran, dass im Koran die Verbreitung des Glaubens auch mit gewaltsamen Mitteln (Dschihad = „Heiliger Krieg“) verankert ist. Das Reich der islamischen Araber erstreckte sich somit vom Iran bis nach Spanien und wurde von Kalifen regiert, die zumeist in Bagdad residierten. Das Verhältnis des Islam zu anderen Religionen war relativ tolerant. So gab es beispielsweise im Mittelalter immer wieder „Religionsgespräche“, zu denen christliche und jüdische Gelehrte eingeladen wurden. Die Kreuzzüge Während die Araber den Fernhandel mit Indien und China (v. a. Gewürze) nicht oder nur kaum behinderten, erschwerten die Seldschuken ab dem 10. Jh. den Handel. Dieses Volk stammt aus Ostasien, nahm den islamischen Glauben an und eroberte vor allem den asiatischen Teil der heutigen Türkei. Durch die erhöhten Kosten beim Fernhandel kam die Idee auf, den Weg nach Ostasien freizukämpfen. Dabei verwendete man für wirtschaftliche Interessen religiöse Argumente zur Rechtfertigung: Die Seldschuken hätten den freien Zugang zu den 13 Heiligen Stätten in und um Jerusalem blockiert. Mit Billigung des Papstes bildeten sich seit 1095/96 mehrere Kreuzzüge, an denen Hochadelige und Ritter aus ganz Europa teilnahmen. Infolge des 1. Kreuzzuges (1096-1099) gelang es den Kreuzrittern, ein christliches „Königreich Jerusalem“ zu schaffen, an dessen Spitze Gottfried von Bouillon stand. Es geriet jedoch bald in schwere Krisen. Im Zuge der Kreuzzüge kam es zur Entstehung von Ritterorden. In ihnen verbanden sich ritterliche und mönchische Ideale. Am bedeutendsten waren die Johanniter (Malteser), die seit dem Ende der Kreuzzüge v. a. in der Krankenpflege tätig sind, weiters die Templer (1312 aufgelöst) und der Deutsche (Ritter-)Orden, der sich seit dem Spätmittelalter v. a. mit der Kolonisation des Ostseeraumes beschäftigte. Die meisten Städte in den baltischen Staaten gehen auf Gründungen des Deutschen (Ritter-)Ordens zurück. Alle weiteren Kreuzzüge waren nur mäßig erfolgreich oder führten zu Katastrophen. Auf dem Seeweg ins Heilige Land wurden mehrere gewaltige Burgen als Stützpunkte errichtet (u.a an der Südküste der heutigen Türkei und in Syrien). Wichtig ist vor allem der 3. Kreuzzug (1189-1192), an dem unter anderem der Römisch-Deutsche Kaiser Friedrich I. Barbarossa (er ertrank 1190 im Fluss Saleph in der Türkei), der französische König Philipp II. August, der englische König Richard Löwenherz und der Herzog von Österreich, Leopold V., teilnahmen. Richard Löwenherz zerstritt sich aber mit den meisten anderen Herrschern und kehrte vorzeitig nach Hause zurück. Bei seiner Durchreise durch Österreich wurde er – verkleidet als Sänger Blondel – gefangengenommen und auf der Burg Dürnstein in der Wachau festgenommen. Erst gegen ein hohes Lösegeld, das zur Errichtung der Stadt Wiener Neustadt verwendet wurde, kam Richard frei und kehrte nach England zurück, wo während seiner Abwesenheit sein Bruder Johann Ohneland (John Lackland) eine Schreckensherrschaft geführt hatte (vgl. die Sage um Robin Hood). Juden in der Diaspora Schon zur Zeit der Apostel vollzog sich die immer stärker werdende Trennung von Judentum und Christentum. Die Anhänger Christi hatten sich als eigenständige Strömung etabliert. Auf dem sogenannten Apostelkonzil von Jerusalem (48/49 n. Chr.) berieten die Apostel beispielsweise, ob sie im Christentum die jüdischen Gebräuche übernehmen sollten. Zumeist entschied man sich dagegen, z. B. ob neugeborene Buben beschnitten werden sollten. Außerdem breitete sich das Christentum vor allem im nichtjüdischen Bereich in den Unterschichten des Römischen Reiches aus. Die Sprache der Evangelien ist daher nicht wie im Alten Testament Hebräisch, sondern Griechisch. Die Juden hingegen wurden nach einem lange andauernden, aber erfolglosen Aufstand gegen die Römerherrschaft (66-73 n. Chr. und nochmals um 135 n. Chr.) über das ganze Römerreich verstreut, besonders nachdem ihre Heiligtümer in Jerusalem zerstört worden waren und jede öffentliche Religionsausübung in Synagogen verboten wurde. Diesen Aufenthalt außerhalb Israels nennt man Diaspora. Auch heute noch lebt – trotz der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 – der Großteil der Juden auf der ganzen Welt verstreut. 14 Juden in der mittelalterlich-christlichen Gesellschaft Schon im Mittelalter lebten die Juden verteilt auf ganz Europa. Sie wurden meist ausgegrenzt und nur zu wenigen Berufen zugelassen (Kaufleute, Bankiers); auch der erste für das Jahr 1194 belegte Münzmeister von Wien war ein Jude namens Schlomo. Alle Berufe, die mit Geldgeschäften zusammenhingen, galten als schmutzig im Mittelalter; außerdem war es den Christen verboten, Zinsen zu nehmen. Gerade als Geldgeber waren die Juden im Mittelalter und in der Neuzeit von großer Bedeutung für die Landesherrn. Sie wurden deswegen bei Bedarf gut behandelt, bei Rückzahlungsproblemen aber oft vertrieben und teilweise ermordet. Besonders auch nach dem Ausbruch von Seuchen kam es zu systematischen Vertreibungen und Verfolgungen von Juden (sogenannte Pogrome), weil man meinte, jüdische Fernhändler hätten die Seuche eingeschleppt. Durch ihren unterschiedlichen Glauben blieben sie von der übrigen Gesellschaft ausgegrenzt. Ein Beispiel für dieses Unverständnis sind die sogenannten Ritualmordlegenden. Dabei dichtete man den Juden an, christliche Kinder entführt zu haben und für kultische Zwecke getötet zu haben. Das bekannteste Beispiel auf österreichischem Gebiet ist die Legende um das sogenannte „Anderl von Rinn“ (in Tirol), doch ist diese Anschuldigung heute eindeutig als falsch und erfunden nachgewiesen worden. 15