Haus der Wannsee

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Haus der Wannsee-Konferenz
Raum 11 – Deportationena
Nach der Wannsee-Konferenz wurde die jüdische Bevölkerung nach und nach aus allen von Deutschland
beherrschten Gebieten und aus den meisten mit dem Deutschen Reich verbündeten Staaten verschleppt. Die
zentrale Planung der Deportationen lag in den Händen des Referates IV B 4 des Reichssicherheitshauptamtes
(RSHA) unter Adolf Eichmann. Das Auswärtige Amt war an den Verhandlungen über die Auslieferung der
Juden verbündeter oder abhängiger Staaten beteiligt. Die Deutsche Reichsbahn sorgte für die Logistik der
Transporte. Der Grad der Abhängigkeit der Länder vom Deutschen Reich, die Bereitschaft ihrer Regierungen
zur Auslieferung der jüdischen Bevölkerung und der Kriegsverlauf bestimmten den Ablauf der Deportationen. Im
Reich, in Westeuropa und in den verbündeten Staaten prägte die arbeitsteilige verwaltungsmäßige
Durchführung das Erscheinungsbild der Deportationen. Im besetzten Osteuropa trat dagegen der
Vernichtungswille durch das äußerst gewalttätige und willkürliche Vorgehen offen zu Tage.
Seit Kriegsbeginn waren Deportationen ein zentrales Element der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik.
Durch die Ermordung bestimmter Bevölkerungsgruppen, den todbringenden Entzug von Versorgungsgütern
und die zwangsweise Verschleppung von Millionen von Menschen, darunter der jüdischen Bevölkerung, sollte
eine „Neuordnung“ Europas erreicht werden. Da der geplante „Blitzkrieg“ gegen die Sowjetunion Ende 1941
scheiterte, konnten die mörderischen „Siedlungsplanungen“ nicht verwirklicht werden. Im Rahmen der
Entwicklung der „Endlösung der Judenfrage“ wurden die Juden nun zur Ermordung in den Osten deportiert.
11.1. Frankreich
Frankreich wurde nach der Niederlage im Juni 1940 in eine besetzte Zone unter deutscher Militärverwaltung im
Norden und in eine unbesetzte Zone im Süden aufgeteilt. Die abhängige französische Regierung hatte ihren
Sitz in Vichy im unbesetzten Süden. Ihre Autorität erstreckte sich nominell auf ganz Frankreich, doch stand die
Administration im Norden in der Praxis unter deutscher Aufsicht. Die Verwaltungsstrukturen blieben im ganzen
Land weitgehend erhalten. Das Vichy-Regime versuchte, seinen Handlungsspielraum durch Kollaboration zu
sichern. Innenpolitisch dominierte eine „Politik der nationalen Einheit“ – Ausländer, Minderheiten und vor allem
Juden wurden ausgegrenzt. Nach der alliierten Landung in Nordafrika besetzte die Wehrmacht Anfang
November 1942 auch den Süden des Landes.
In Frankreich lebten über 300.000 Juden, etwa zu gleichen Teilen in der besetzten und der unbesetzten Zone.
Fast die Hälfte von ihnen hatte eine ausländische Staatsangehörigkeit, darunter Zehntausende von
Flüchtlingen. Im Sommer 1942 unterstützte Vichy massiv die deutschen Deportationspläne. Aufgrund
entschiedener Proteste der Kirchen und der ablehnenden Haltung der Bevölkerung sah sich das Regime im
September gezwungen, von seiner bisherigen Praxis abzurücken. Dennoch gingen die Deportationen aus
Frankreich weiter. Erst am 22. August 1944, drei Tage vor der Befreiung von Paris, wurden die Transporte
gestoppt. Innerhalb dieser knapp zweieinhalb Jahre sind insgesamt etwa 76.000 Juden deportiert worden, allein
rund 32.000 von ihnen zwischen dem 19. Juli und 30. September 1942.
Marseille, 24. Januar 1943
(BA Koblenz)
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Bekanntmachung des Militärbefehlshabers in Frankreich, 14. Dezember 1941, veröffentlicht in der Tageszeitung
„Le Matin“ vom 15. Dezember 1941
„In der letzten Zeit sind wieder Sprengstoffanschläge und Pistolenattentate auf deutsche
Wehrmachtsangehörige verübt worden. Urheber dieser Attentate sind teilweise auch
jugendliche Elemente, die im Solde der Angelsachsen, Juden und Bolschewisten stehen und
nach deren heimtückischen Parolen handeln.
Deutsche Soldaten wurden hinterrücks ermordet und verwundet. Die Täter wurden in keinem
Falle ergriffen.
Um die Urheber dieser feigen Verbrechen zu treffen, habe ich die sofortige Durchführung
folgender Maßnahmen befohlen:
1) Den Juden des besetzten französischen Gebietes wird eine Geldbusse von 1 Milliarde Francs
auferlegt.
2) Eine große Zahl verbrecherischer jüdisch-bolschewistischer Elemente wird zu
Zwangsarbeiten nach dem Osten deportiert. Weitere Deportationen sind neben den in jedem
einzelnen Falle mir noch notwendig erscheinenden Maßnahmen im größerem Umfange
vorgesehen, wenn sich neue Anschläge ereignen sollten.
3) 100 Juden, Kommunisten und Anarchisten, die dem Täterkreis nahestehen, werden
erschossen.
Diese Massnahmen treffen nicht das französische Volk, sondern nur Individuen, die im Solde
der Feinde Deutschlands Frankreich in`s Unglück stürzen wollen und darauf ausgehen, die
Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich zu sabotieren.“
Die angekündigten Maßnahmen beruhten auf einer „Führerweisung“. Tatsächlich begannen die Deportationen
aus Frankreich mit einem ersten so genannten Geiseltransport am 27. März 1942. Mit ihm wurden Juden, die
nach mehreren, gegen die deutschen Besatzer gerichteten Anschlägen in Paris im Dezember 1941 verhaftet
und in Compiègne interniert worden waren, nach Auschwitz verschleppt:
„Betr.: Abschub von 5000 Juden aus Frankreich (Quote 1942).
[...]
Bei der Tagung der Judenreferenten im RSHA – IV B 4 – am 4.3.1942 in Berlin habe ich in ganz
knapper Form Lage und Schwierigkeiten unserer Einschaltung in Frankreich dargestellt. Dabei
ging ich auch auf die Notwendigkeit ein, der französischen Regierung einmal etwas wirklich
Positives, wie etwa den Abschub mehrerer tausend Juden vorzuschlagen.
SS-Obersturmbannführer Eichmann hat [...] folgendes festgelegt:
Vorbehaltlich der endgültigen Entscheidung des CdS [Chef der Sicherheitspolizei] und des SD
[Heydrich] kann jetzt schon in Vorverhandlung mit französischen Regierungsstellen eingetreten
werden wegen des Abschubs von rd. 5000 Juden nach dem Osten.
Dabei habe es sich zunächst um männliche, arbeitsfähige Juden, nicht über 55 Jahre, zu
handeln.“
Auszug aus einem Vermerk des Leiters des Judenreferates der Sicherheitspolizei im besetzten Frankreich,
Theodor Dannecker, 10. März 1942
(CDCJ Paris)
Die Anzahl der 1942 aus Frankreich deportierten Juden ging bei weitem über die im März festgelegte Quote
hinaus.
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Fernschreiben (2 Seiten) des Leiters des Judenreferates der Sicherheitspolizei im besetzten Frankreich an das
RSHA, betr.: Judenabschub aus Frankreich, 6. Juli 1942
(CDJC Paris)
Erst Mitte August 1942 gab das RSHA in Berlin die Deportation von Kindern unter 16 Jahren aus Frankreich
frei. Doch bereits zuvor hatte die französische Polizei Kinder zwischen 12 und 16 Jahren mit abtransportieren
lassen, um die mit den Deutschen vereinbarten Deportationskontingente zu erfüllen.
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Am 8. August 1942 sicherte sich Vichy durch ein Abkommen mit dem Deutschen Reich die weitestgehende
Autonomie der französischen Polizei. Im Gegenzug hatte sich das Regime dazu verpflichten müssen, alle
„Feinde des Deutschen Reichs“ zu bekämpfen.
Aufgrund dessen lieferte das Vichy-Regime ab Anfang August 1942 die staatenlosen Juden aus der
unbesetzten Zone aus. Der Abtransport in die Sammellager im besetzten Norden wurde ausschließlich von der
französischen Polizei durchgeführt.
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Schreiben des Befehlshabers der Sicherheitspolizei im besetzten Frankreich an den Militärbefehlshaber in
Frankreich, an den Kommandanten von Groß-Paris und an die Deutsche Botschaft in Paris, 7. Juli 1942
(CDJC Paris)
Angesichts des entschiedenen Protests der Kirchen und der ablehnenden Haltung der Bevölkerung sah sich
das Vichy-Regime im September 1942 gezwungen, seine massive Unterstützung der deutschen
Deportationsforderungen vorerst zurückzunehmen. Das Regime fürchtete, anderenfalls die bestehende
grundsätzliche Zustimmung zu seiner Politik der Kollaboration zu gefährden.
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Fernschreiben des Befehlshabers der Sicherheitspolizei im besetzten Frankreich an das RSHA,
25. September 1942
(CDJC Paris)
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Das Vichy-Regime sperrte sich gegen die systematische Deportation der französischen Juden. Erst ab
September 1943 wurden diese ohne die Unterstützung der französischen Polizei in größerem Umfang
deportiert. Insgesamt waren nur etwa 30 Prozent aller Deportierten französische Staatsbürger.
Fernschreiben des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) in Lyon, SS-Obersturmführer Klaus
Barbie, an den Befehlshaber der Sicherheitspolizei in Frankreich, betr.: Jüdisches Kinderheim in Izieu-Ain,
6. April 1944
(CDJC Paris)
Auch die siebenjährige Mina und die dreijährige Claudine Halaunbrenner wurden von Izieu, 80 Kilometer
südöstlich von Lyon, zunächst ins Sammellager nach Drancy gebracht.
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11.2. Bulgarien
Seit 1935 herrschte in Bulgarien unter Zar Boris III. ein autoritäres Regime mit einem Parlament, das über
begrenzte Vollmachten verfügte. Durch die Annäherung an das Deutsche Reich erhoffte sich das Land
wirtschaftliche Hilfe und eine Revision seiner nach dem Ersten Weltkrieg erlittenen Gebietsverluste. Am 1. März
1941 trat es dem Dreimächtepakt zwischen dem Deutschen Reich, Italien und Japan bei. Im April 1941 erlaubte
Bulgarien der Wehrmacht, von seinem Territorium aus ihren Feldzug gegen Griechenland und Jugoslawien zu
beginnen. Im Gegenzug erhielt Bulgarien Teile des ehemals griechischen Thraziens und jugoslawischen
Mazedoniens.
In Bulgarien lebten 1943 etwa 60.000 bis 63.000 Juden, fast die Hälfte von ihnen in Sofia. In den annektierten
Gebieten Thraziens und Mazedoniens waren es 12.000 Juden mit zumeist griechischer bzw. jugoslawischer
Staatsangehörigkeit. Mit Kriegsbeginn im September 1939 führte das Land in Anlehnung an das Deutsche
Reich eine antijüdische Gesetzgebung ein. Diese wurde allerdings nur auf vermögensrechtlichem Gebiet
konsequent umgesetzt. Im März 1943 lieferte Bulgarien die „fremden“ Juden Thraziens und Mazedoniens zur
Deportation aus. Die bulgarischen Juden blieben aufgrund von Protesten aus der Bevölkerung und dem
Parlament verschont. Im weiteren Verlauf des Jahres 1943 war die bulgarische Führung angesichts der
Kriegswende immer weniger bereit, sich durch die Auslieferung der bulgarischen Juden international in
Misskredit zu bringen. So konnten die Juden des bulgarischen Kernlandes überleben.
Auszug aus einer Vereinbarung zwischen dem bulgarischen „Kommissar für Judenfragen“, Aleksander Belev
und dem vom RSHA entsandten „Berater für Judenfragen“ beim Polizeiattaché des deutschen Gesandten in
Bulgarien, Theodor Dannecker, 22. Februar 1943 (CDA Sofia)
Als der Ministerrat die Vereinbarung am 2. März billigte, war ihm bewusst, dass in den annektierten Gebieten
nur etwa 12.000 Juden lebten. Unter strenger Geheimhaltung sollten auch 8.000 Juden aus ganz Bulgarien,
ausgenommen aus Sofia, deportiert werden. Belev strich die Passagen „aus den neuen bulgarischen Gebieten
Thrazien und Mazedonien“ später handschriftlich aus:
„Vereinbarung
Über die Umsiedlung von vorerst 20.000 Juden aus den neuen bulgarischen Gebieten Thrazien
und Mazedonien nach den deutschen Ostgebieten wird folgende Vereinbarung zwischen dem
bulgarischen Kommissar für jüdische Fragen Herrn Aleksander Belev, einerseits und dem
deutschen Bevollmächtigten Hauptmann der Sicherheitspolizei/ SS-Hauptsturmführer/
Theodor Dannecker, andererseits getroffen:
Nach Bestätigung durch den Ministerrat sollen 20.000 Juden, ohne Unterschied von Alter und
Geschlecht, aus den neuen bulgarischen Gebieten Thrazien und Mazedonien für die
Umsiedlung bereitgestellt werden.
[...]
Gestattet ist, ausschließlich nur Juden für die Transporte abzustellen.
[...]
Die bulgarische Regierung wird auf keinen Fall die Rückkehr der umgesiedelten Juden
verlangen.“
(Übersetzung aus dem Bulgarischen)
Über 4.000 thrazischen Juden wurden von Lom aus am 20. und 21. März 1943 nach Wien verschifft, dort in
Züge verladen und ins Todeslager Treblinka deportiert. Zwischen dem 22. und 29. März 1943 wurden über
7.000 mazedonische Juden in Zügen der bulgarischen Staatsbahn vom zentralen Sammelort Skopje aus
ebenfalls in das Todeslager Treblinka verschleppt.
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Auszug aus einem Bericht des Polizeiattachés der deutschen Gesandtschaft in Sofia an das RSHA,
Attachégruppe, betr.: "Judenabschub" aus Bulgarien, 5. April 1943
(PAAA Berlin):
„Es bestehen hier weder die weltanschaulichen noch rassischen Voraussetzungen um das
Judenproblem dem bulgarischen Volk gegenüber so dringlich und lösungsbedürftig erscheinen
zu lassen, wie dies im Reich der Fall ist. Die bulgarische Regierung verfolgt mit der Evakuierung
der Juden überwiegend materialistische Interessen., die darin bestehen, in das Eigentum der
abgeschobenen Juden zuverlässige Bulgaren einzuweisen, hiermit diese zufriedenzustellen und
gleichzeitig in den neu erworbenen Gebieten die unruhigen Juden gegen zuverlässige Bulgaren
einzutauschen. Die bulgarische Regierung ist ohne Zweifel auch bereit, die Juden aus AltBulgarien abzuschieben; sie will es jedoch auf jeden Fall vermeiden, daßdas Judenproblem in
Bulgarien durch die Weltpresse gezogen wird.“
Auszug aus einem Schreiben des Leiters der Gruppe Inland II des Auswärtigen Amtes an den
Chef des RSHA, Dr. Ernst Kaltenbrunner, 31. August 1943
(PAAA Berlin):
„Wiederholt ist seitens des Reichssicherheitshauptamtes die Anregung an das Auswärtige Amt
herangetragen worden, den Druck auf die Bulgarische Regierung in der Judenfrage zu
verstärken, um eine tunlichst unverzügliche Bereinigung dieses Problems im Sinne einer
Evakuierung in die Ostgebiete zu erreichen. [...] Gesandter Beckerle hat aus Gesprächen [...]
den Eindruck gewonnen, daßz.Zt. seitens der Bulgarischen Regierung jeder Antrag
deutscherseits auch bei noch so starkem Druck abgelehnt werden würde. [...] Trotzdem glaubt
Gesandter Beckerle, daßes in absehbarer Zeit gelingen werde, die Judenfrage restlos zu lösen,
und zwar dann, wenn wieder deutsche Erfolge im Vordergrund stehen und die feindliche
politische Offensive dadurch in den Hintergrund gedrängt wird. [...] Es dürfte daher nicht nur
aussichtslos, sondern vom allgemein politischen Standpunkt aus sogar gefährlich sein, in der
Judenfrage im derzeitigen Augenblick Schritte zu unternehmen. Ich wäre jedoch dankbar,
wenn dem Auswärtigen Amt alles dort etwa anfallende Material über die Schädlichkeit des
Judentums in Bulgarien zugeleitet werden würde, damit die Gesandtschaft keine Gelegenheit
versäumt, die bulgarischen Behörden anhand aktuellen Materials auf die Gefahren des
Judentums hinzuweisen.“
11.4. Deutsches Reich
Zwischen Oktober 1941 und April 1945 wurden etwa 174.000 Juden aus dem Deutschen Reich nach
Litzmannstadt, Minsk, Kaunas, Riga, Warschau, in den Distrikt Lublin, nach Theresienstadt, Maly Trostinec,
Raasiku bei Reval und Auschwitz deportiert – über 100.000 Menschen allein im Jahr 1942. Das
Reichssicherheitshauptamt (RSHA) bestimmte die Abfolge der Transporte und gab durch Richtlinien den
äußeren Rahmen der Deportationen vor. Die Dienststellen der Gestapo organisierten den Ablauf vor Ort. Die
Finanzverwaltung führte die Beraubung der Betroffenen durch. An der Erfassung, der Konzentrierung in
Sammelstellen, am Abtransport selbst, sowie an der sich anschließenden endgültigen Abwicklung der
bürgerlichen Existenz eines jeden einzelnen Menschen waren weite Teile der deutschen Verwaltung und
zahlreiche private Unternehmen beteiligt. Der Abtransport der jüdischen Nachbarn war in der deutschen
Bevölkerung bekannt. Viele bereicherten sich am geraubten Besitz der Deportierten.
Etwa 10.000-15.000 Juden entzogen sich den Deportationen durch Flucht in den Untergrund. Ihr Leben und
Überleben war in der Regel nur mit Hilfe von Nichtjuden möglich.
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Organisation und Durchführung der Deportationen
Die vom RSHA herausgegebenen Richtlinien schränkten den zu deportierenden Personenkreis ein. Über 65
Jahre alte, in Mischehe lebende oder im kriegswichtigen Arbeitseinsatz eingesetzte Juden sollten zu diesem
Zeitpunkt ebenso wie bestimmte ausländische Juden noch von den Deportationen ausgeschlossen bleiben. Die
Betroffenen durften nur wenige Bekleidungsstücke und Alltagsgegenstände mit auf den Transport nehmen. Ihre
gesamten Vermögenswerte mussten sie zurücklassen.
Das Transportziel Trawniki wurde kurzfristig geändert. Die im Frühjahr und Sommer 1942 in das
Generalgouvernement deportierten deutschen Juden wurden anfangs in verschiedene Durchgangsghettos im
Distrikt Lublin und nach Warschau, später zumeist über das Konzentrationslager Majdanek in das Todeslager
Sobibór verschleppt.
Verladung des Gepäcks und Marsch zum Bahnhof Aumühle, 25. April 1942. Seite aus dem Fotoalbum der
Würzburger Gestapo
(NA Washington D. C.)
Die Bildunterschriften lauten: „... bei der Verladung des Gepäcks müssen „unsere Leut“
schon wieder fest arbeiten!... muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus" ....“.
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Staatlich organisierter Raub
Schreiben des Finanzamts Grevenbroich an den Oberfinanzpräsidenten in Düsseldorf, betr.: Grundbesitz aus
eingezogenem und verfallenem Vermögen, 16. August 1945 (Privatbesitz)
Steuerinspektor Josef Krüppel, 1944 zum Heeresdienst einberufen, nahm unmittelbar nach dem Krieg seine
Tätigkeit im Finanzamt Grevenbroich wieder auf und wickelte die Rückgabe der geraubten Vermögenswerte ab.
Juden über 65 Jahre, Inhaber des Verwundetenabzeichens und Träger hoher Kriegsauszeichnungen des
Ersten Weltkrieges waren nach den Richtlinien des RSHA bis zum Sommer 1942 von den Deportationen
ausgenommen. Ab Anfang Juni wurden sie in das „Altersghetto Theresienstadt“ transportiert. Durch den
Abschluss von „Heimeinkaufverträgen“ mit der unmittelbar dem RSHA unterstehenden „Reichsvereinigung der
Juden in Deutschland“ erkauften sie sich vermeintlich das Recht auf lebenslange Unterbringung in einem Heim
„bezw. in einer sonstigen Gemeinschaftswohnung auch ausserhalb des Altreichs“.
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Vor aller Augen
Auszug aus einem Schreiben des NSDAP Kreisleiters des Kreises Göttingen an die Geheime Staatspolizei
Göttingen, 19. Dezember 1941
(BA Berlin):
„Unterbringung von Judenfamilien in Göttingen.
Da die Absicht, die Juden in nächster Zeit von Göttingen abzutransportieren, in der
Bevölkerung bereits bekannt geworden ist, wird die Kreisleitung [der NSDAP] mit Anträgen
auf Wohnungszuweisungen überlaufen.“
Helfer von Untergetauchten
In Berlin gingen seit dem Beginn der Deportationen im Oktober 1941 etwa 5.000 bis 7.000 Juden in den
Untergrund, nur etwa 1.500 bis 1.700 gelang es zu Überleben. Das Leben und Überleben in der Illegalität war in
der Regel nur mit Hilfe von Nichtjuden möglich. Die Motive der Helfer waren nicht einheitlich. Sie reichten von
schlichter Menschlichkeit bis zu materieller Vorteilsnahme.
Hilfe für Antonie und Adalbert Lieban
Otto Jogmin trug das jüdische Ehepaar Lieban unter dem Namen „Lüdeke“ als „evangelisch“ in das Meldebuch
ein. Nachdem das Melderegister des zuständigen Polizeireviers durch einen Bombentreffer zerstört worden
war, meldete er sie als Ausgebombte an. Dadurch erhielten sie Lebensmittelkarten. Die Liebans hatten bereits
zuvor schon über ein Jahr im Untergrund gelebt, zumeist in den Wohnungen ihrer „deutschblütigen“ Schwägerin
Madeleine Lieban, geborene Schmitt. Nachdem sie in der Zähringerstraße 20/21 in Wilmersdorf ausgebombt
worden waren, kamen alle drei in der Wielandstraße unter. Unter ihrem falschen Namen Lüdeke lebten sie
praktisch legal im Haus und konnten sich dort frei bewegen. Andere Juden versteckte Jogmin in den nur ihm als
Hauswart zugänglichen Kellern des Hauses und hielt sie an, nur zeitweise dort zu wohnen. Das Ehepaar Lieban
wurde im Sommer 1944, wahrscheinlich von einer Mitbewohnerin des Hauses, denunziert und am 11. August
1944 nach Theresienstadt deportiert. Dort wurden sie am 8. Mai 1945 befreit.
Otto Jogmin
Otto Jogmin wurde am 28. November 1894 als drittes von acht Kindern in Berlin-Schöneberg geboren. Die
Familie lebte in sehr einfachen Verhältnissen. Nach verschiedenen Hilfstätigkeiten erhielt er 1935 die Stelle
eines Hauswarts in der Wielandstraße 18, einer Seitenstraße des Kurfürstendamms und bezog eine kleine
Eineinhalbzimmerwohnung im Gartenhaus. Ab 1936 war er auch im Nachbarhaus der Nummer 17 tätig. Im
Verlauf des Krieges zog seine Frau mit der Adoptivtochter angesichts der Bombenangriffe aufs Land. Nach
seinem Ausscheiden aus dem Hausmeisterdienst in der Wielandstraße 18 im Jahre 1957 waren er und seine
Frau gezwungen, in eine Sozialwohnung zu ziehen. 1958 wurde Otto Jogmin vom Berliner Senat für seine
Hilfeleistungen für Verfolgte geehrt. Otto Jogmin starb am 2. Juni 1989.
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Auszug aus einem Interview mit Otto Jogmin, 31. Mai 1985 (ZfA Berlin)
„Hatten Sie manchmal das Gefühl, Sie möchten lieber aufhören und den ganzen Druck von sich
schaffen?
Nein, da habe ich überhaupt nicht dran gedacht. Nein, ich saß ja drinne und ich konnte ja nicht
raus. Ich konnte ja gar nicht. Wo sollte ich hin? Erstens mal, ich hatte da meinen Arbeitsplatz.
Ich war auf den angewiesen, nicht wahr, weil ich da auch mein Essen und mein Brot verdiente.
Ich konnte ja gar nicht anders. Nein, nein, nein, ausweichen war da nicht, gar nicht dran zu
denken. Ausweichen gab es nicht! Vogel friß oder stirb. Eines von die beiden.
[...]
Na, ja, ich weiß ja nicht, wir haben ja… mit den Menschen, es gab ja gar keine Entscheidung,
es gab ja überhaupt gar nichts – was, wo ich fragen konnte, ob das Recht ist oder Unrecht, das
gab’s ja nicht, nicht wahr. Ich war der einzige, entweder ich tat es oder ich tat es nicht und da
ich von Hause aus – meine Mutter war eben so ein Mensch, war der – so mitleidig war, nicht
wahr, da konnte ich einfach nicht anders, ging nicht, ging nichts anderes. Ich hab auch gar nicht
überlegt, also überhaupt nicht, denn wenn ich ehrlich überlegt hätte, hätte ich vieles vielleicht
überhaupt gar nicht gemacht.“
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