Das Ende des Alten Reiches im Ostseeraum Das Ende - H-Soz-Kult

Werbung
Das Ende des Alten Reiches im Ostseeraum
Das Ende des Alten Reiches im
Ostseeraum
Veranstalter:
Alfried-KruppWissenschaftskolleg Greifswald; Pilotprojekt
1806; Prof. Dr. Michael North, Greifswald
Datum, Ort: 08.06.2006–09.06.2006, Greifswald
Bericht
von:
Jörg
Driesner/Kathleen
Jandausch/Robert Riemer
Das Pilotprojekt „1806“ (gefördert von der
Alfried Krupp von Bohlen und Halbach
Stiftung in Essen1 ) hatte in das AlfriedKrupp-Wissenschaftskolleg Greifswald zu einem Symposium über „Das Ende des Alten
Reiches im Ostseeraum“ geladen. Die Ziele der Tagung bestanden in der Vorstellung
und Diskussion neuer Forschungsergebnisse
über die Integration des südlichen Ostseeraums (des Reichsnordens) in das Alte Reich
und die Frage nach der „Reichsferne“ Norddeutschlands am Ende des Alten Reiches. Das
Symposium war thematisch zweigeteilt und
behandelte im ersten Abschnitt die europäische Politik um 1800 sowie die Reaktionen
der europäischen und norddeutschen Hauptakteure auf die Ereignisse im Alten Reich.
Im zweiten Tagungsteil rückte die Wahrnehmung des Reichsendes durch einzelne Personengruppen (z. B. Greifswalder Professoren)
und in verschiedenen Medien in den Vordergrund. Ihren Abschluss fand die Reihe der
Referate mit einem Ausblick auf die Zeit der
französischen Besetzung unserer Region und
die politischen Entwicklungen rund um den
1806 gegründeten und von Napoleon protektionierten Rheinbund, bis hin zur Entstehung
des Deutschen Bundes auf dem Wiener Kongress 1814/15.
Der wissenschaftliche Direktor des Kollegs,
Prof. Klaus Pinkau, und der Rektor der ErnstMoritz-Arndt-Universität Greifswald, Prof.
Rainer Westermann, begrüßten die Referenten und Gäste, bevor dann Prof. North als Veranstalter in das geplante Programm einführte.
Europäische Politik um 1800 / Reaktionen
der Hauptakteure
Heinz Duchhardt (Mainz) eröffnete die Reihe der Vorträge mit seinen Ausführungen zu
„Ein[em] System in beschleunigter Bewegung
oder vor seinem Kollaps? Europäische Staa-
tenpolitik um 1800“ und wies dabei auf die
an der Jahrhundertwende stärker werdende
Kritik an der Politik der fünf großen europäischen Mächte hin, die vor allem den eigenen
Vorteil suchten (z. B. mit der Teilung Polens)
und mithin leichtfertig den Krieg und die
Existenz des Reiches riskierten. Die mindermächtigen Staaten des Reiches standen dementsprechend vor der Furcht, selbst Teilungsopfer zu werden. Dies ist umso bedeutsamer,
als die kolonialen Interessen immer weiter in
den Hintergrund traten.
Der Referent führte Paul W. Schröders
Theorien an – die Staaten bzw. deren Regierungen bedienten sich einer modernen Medienstrategie, um ihre Interessen zu propagieren, mussten andererseits aber auch die
wichtiger werdende öffentliche Meinung berücksichtigen. Dies bedeutete zunächst, dass
sich die anderen Großmächte aus den französischen innenpolitischen Verwicklungen zur
Zeit der Revolution heraushielten, da letztere
auf offene Sympathien in ganz Europa stieß.
Das Ausgreifen der Revolution über die französischen Grenzen hinaus führte zur Bildung
antifranzösischer Koalitionen.
Um 1800 war das alte Reichssystem endgültig kollabiert, die Pentarchie zur Tetrarchie
geschrumpft. Der Aufstieg Napoleons sorgte
für Aufsehen, womit erneute Überlegungen
zur europäischen Balance begannen, verbunden mit ersten „konstruktiven Visionen“ für
ein Europa „ohne den Korsen“. In diese Richtung weisen auch Forschungen zur zeitgenössischen Literatur (z. B. über E. M. Arndts
„Germanien und Europa“ [Visionen zu einer neuen Staatengemeinschaft?], die Arndt
als einen der ersten „Europapolitiker“ präsentieren), die auf Ansätze zum Konzept eines
nachnapoleonischen Europas verweisen.
Torsten Riotte (London) betrachtete mit
„Großbritannien und das Ende des Alten Reiches 1806“ eine der europäischen Großmächte
und fragte danach, ob das Reichsende aus britischer Sicht als Endpunkt einer Epoche wahrgenommen wurde. Immerhin stammte George III. aus Hannover, sah sich selbst – am Ende des Reiches war er bereits seit 46 Jahren
englischer König – aber als Brite. Dieser Haltung entspricht seine Kritik an der hannover1 Vgl.
<http://www.uni-greifswald.de/~histor
/~neuzeit/fnzfors/1806/Startseite.htm>.
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
freundlichen Politik seines Großvaters (George II.). Untersucht man die Flugschriften von
1803, so wird deutlich, dass die Rolle des britischen Monarchen Vorrang vor den Interessen
des hannoveranischen Reichsfürsten hatte.
Dennoch war es ausgerechnet George III.,
der als einziger Monarch und Reichsfürst offiziellen Einspruch gegen die Auflösung des
Alten Reiches auf dem Reichstag in Regenburg einlegte. George III. und britische Diplomaten zeigten sich bereits 1803 besorgt um
das Alte Reich, hatten aber dessen rasches
Ende dennoch nicht vorausgesehen. Nach
der Besetzung Hannovers Anfang 1806 hatte
ein Wandel im britischen Bewusstsein eingesetzt, man sah die Interessen als Reichsfürst
verletzt. Mit dem Aufstieg der Printmedien
wuchs, wie schon von Heinz Duchhardt angedeutet, die politische Öffentlichkeit. Sie propagierte Frankreich nach der Besetzung Hannovers als größte britische Bedrohung – die
Angst vor einer Invasion der Inseln (England
selbst, aber möglicherweise auch Irland) stieg.
Im Bewusstsein der britischen Öffentlichkeit trat das Alte Reich nicht als einheitliches
politisches Gebilde auf, sondern stets als eine
Ansammlung von Einzelstaaten. Nach dem
Reichsende verwendeten britische Journalisten wegen der Unklarheit des Status’ des ehemaligen Alten Reiches den Begriff Deutschland.
Den Auftakt der Diskussion bildeten einige
Anmerkungen zu Arndt und die Frage, ob im
Reich ab 1803 die Herausbildung einer neuen
Außenpolitik erkennbar war. Dies wurde verneint, allerdings setzte um 1800 innerhalb der
Territorien eine Verschiebung im politischen
Denken ein (Beispiel Hohenzollern, Stein und
Hardenberg), wenn auch nicht im Sinne des
„europäischen Friedensprojekts“ (Arndt). Die
starke Betonung Arndts als Vernunfteuropäer wurde bestritten, da er nicht als Vater des
modernen Europas geeignet sei. Darüber hinaus kam der Hinweis, dass der Protest George III. gegen die Auflösung des Reiches lediglich aus Sekundärquellen rekonstruiert werden könne. Dann wurde gefragt, wie es angesichts des französischen Drucks für die süddeutschen geistlichen Fürsten weiter gehen
sollte. Die diesbezüglichen Visionen reichten
von der Wiederherstellung des Alten Reiches
bis hin zum Einheitsstaat mit einem Kaiser an
der Spitze, aber auch Teilungen stellten eine
Option dar, bei der die alten Fürsten ein Mitspracherecht erhalten sollten. Generell haben
sich die geistlichen Fürsten gegen die Machtverschiebung zugunsten Frankreichs und damit auf ihre Kosten gewehrt, jedoch erfolglos.
Gab es Befunde zur Wiederbelebung des
Reichsgedankens in Großbritannien? Antwort: London war nicht nur britische Hauptstadt, sondern ebenso europäische Metropole, die die Schaltzentrale des politischen Netzwerks gegen Napoleon bildete. Hier wurden
Diskussionen zur Zukunft des Reiches (auch
am Beispiel Hannovers) geführt, welches als
weitgehend toter Körper angesehen wurde
(Stein wollte Deutschland in zwei Einflusssphären teilen). Die Gesundheit Charles James Fox’ ist Thema in der gesamten reichsweiten Presse, da er sich sehr intensiv für die
Belange des Reichs einsetzte. Dagegen wurde
der Gesundheitszustand George III. weniger
thematisiert. Einer der Diskutanten wies darauf hin, dass Hannover immerhin Teil des britischen Empire war – wieso fiel die britische
Reaktion auf den Verlust relativ verhalten
aus? Antwort: Dem König wurde diese Entwicklung von seinen Diplomaten zunächst
verschwiegen (Hannover sollte an Preußen
gehen), um jenen vom Zerfall des Empire abzulenken (George III. hatte drei Dekaden zuvor bereits die nordamerikanischen Kolonien
verloren).
Jan Kusber (Mainz) vollzog den Sprung
vom Westen in den Osten Europas und betrachtete „Russland und das Ende des Alten
Reiches 1806“. Zar Alexander I. entwickelte
1801 Vorstellungen von der Etablierung Russlands in einer neuen europäischen Ordnung.
Das neu geschaffene russische Außenministerium suchte nach neuen Verbündeten, wofür das Reich als Ganzes nicht in Frage kam.
Dagegen stand ein polnischer Staat in den
Grenzen vor 1772 mit einem russischen König zur Debatte, die eigenen Handelsinteressen an der Ostsee und am Schwarzen Meer
mussten beachtet werden. Dies machte die
Stoßrichtung der russischen Interessen nach
außen hin schwer nachvollziehbar. Nach 1803
orientierte sich Russland in Richtung Großbritannien und gegen Frankreich, welches besonders nach der Kaiserkrönung Napoleons
als militärische Bedrohung wahrgenommen
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
Das Ende des Alten Reiches im Ostseeraum
wurde.
Wichtig war für Alexander der Zusammenhalt der großen europäischen Mächte gegen
Frankreich. Der Rest des Reiches (fast immer als „Deutschland“ bezeichnet) blieb außen vor. Russland war nach dem Frieden
von Tilsit wegen der Kriege gegen Schweden (um Finnland) und Frankreich anderweitig beschäftigt. Ebenso erteilte Alexander auf
dem Wiener Kongress einer möglichen Neubelebung des Reiches eine klare Absage.
Thomas Stamm-Kuhlmann (Greifswald)
warf in seinen Ausführungen einen Blick auf
die Rolle Preußens am Ende des Alten Reiches („‚Für dessen Constitution ich keine drei
Kreuzer mehr gebe’: Hardenberg, Preußen
und das Alte Reich“). Im Mittelpunkt standen
Hardenbergs vier Varianten der Politik:
1. „außer dem Reich“ (Versuch einer Bestimmung der außenpolitischen Rolle Großbritanniens, für welches das Reich/Deutschland
ein vorteilhafter Bündnispartner wäre),
2. „unter dem Reich“ (Forderungen nach dem
Reichskrieg etwa durch die Reichsritterschaft;
Hardenberg – damals in Franken tätig – verbot das Trauergeläut beim Tod des Kaisers
1792; nach Landgewinnen in Franken folgte
die Neustrukturierung der Verwaltung, die
letztlich nur der Homogenisierung des neuen
Königreiches Bayern diente),
3. „im Reich“ (erste reichspolitische Gedanken Hardenbergs 1778 in einem Brief nach
London sichtbar – Hannover müsse mit Preußen und Sachsen ein gutes Einvernehmen
haben; Argument, dass das Widerstandsrecht
der Fürsten gegen den Kaiser unter Umständen rechtmäßig ist; gleichzeitig kommentierte
er die Reichsverfassung „für deren Constitution ich keine drei Kreuzer mehr gebe“;
starke Revolutionsfurcht auch in den nicht
von französischen Truppen besetzten rechtsrheinischen Gebieten nach der Besetzung des
linken Rheinufers) und
4. „nach dem Reich“ (1804: Vorschlag an
den preußischen König, die Kaiserkrone
anzunehmen – Hardenberg rät ab; Teilnahme
an Verhandlungen zwischen Preußen und
Frankreich zur Erstellung einer neuen Reichsverfassung; Vorstellung eines Entwurfs einer
neuen Reichsverfassung im Februar 1806 in
Berlin: mit einem Kaiser, sechs Reichskreisen,
Abschaffung der Reichslehen aber Wiederer-
öffnung des Reichstages).
Hardenberg agierte getreu des eingangs zitierten Ausspruchs mit Blick auf die Stärkung
der Einzelstaaten und nicht der des Reiches.
Die erste Frage der Diskussion galt einer
möglichen Beeinflussung Alexanders durch
Denkschriften, die klar zu bejahen war. Das
Interesse Alexanders an der Existenz Preußens im Frieden von Tilsit erkläre sich, so
Kusber, mit dem guten persönlichen Draht
zu Friedrich Wilhelm III. Dagegen rieten die
Ratgeber des Zaren, Preußen klein zu halten
und sich vorrangig um Polen zu kümmern.
Statt die preußische Existenz zu sichern, könne man sich an dessen Territorium bedienen.
Ein Detail von Hardenbergs Leben beleuchtete die Frage nach den Auswirkungen seiner
dänischen Liaison, in der sich die ansonsten
klare Trennung des öffentlichen und privaten
Lebens Hardenbergs vermischte. Die genauen Motive der Verweigerung des Trauergeläuts bleiben unklar – wahrscheinlich schien
die Position des Kaisers aus fränkischer Sicht
als nicht stark genug, zumal ja auch nicht
mehr für Kaiser und Reich in der Kirche gebetet wurde. Die Hardenbergschen Reichsplanungen waren zweifellos rational durchdacht, sind aber nachträglich schwer nachvollziehbar. In ihnen vermengten sich Vorstellungen einer Reichs- mit einer europäischen
Ordnung, zumal Hardenberg sich teilweise
an fremde Entwürfe anlehnte.
Jens E. Olesen (Greifswald) lenkte den
Blick der Tagungsteilnehmer in den Norden
Europas, auf „Schweden und SchwedischPommern nach dem Ende des Alten Reiches“.
Er legte den Fokus seiner Ausführungen auf
1806/07, das endgültige Ende der schwedischen Großmachtzeit und den Abschluss
einer historischen Epoche für Vorpommern.
Das Ende des 18. Jahrhunderts war sowohl
in Schweden als auch in Vorpommern eine
Zeit der Reformen (Visitations- und Matrikelsachen).
Bereits 1798 hatte Schweden versucht,
Schwedisch-Pommern an Preußen zu verkaufen. 1806 erhielt Russland ein Kaufangebot,
da Schweden nicht ohne Grund befürchtete,
durch seine deutsche Provinz in zentraleuropäische Konflikte hineingezogen zu werden.
Schweden hatte sich nach dem erneuten Ausbruch des Krieges zwischen Großbritannien
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
und Frankreich (1805) zwar für neutral erklärt, doch Ende Oktober 1805 war der schwedische König in den Krieg gegen Frankreich
aktiv eingetreten (u. a. aus dem Bemühen heraus, einem Eingreifen Preußens auf französischer Seite zuvorzukommen).
Kurz vor dem Ende des Alten Reiches erging der Befehl zur Aufhebung der bisherigen Verfassung und der Landstände sowie
zur Einführung der schwedischen Verfassung
(u. a. des schwedischen Reichsgesetzbuches;
Arndt übersetzte die schwedische Verfassung und sollte ab 1808 eine antifranzösische
Zeitschrift herausgeben, die sich bald auch
mit gesamteuropäischen Fragen beschäftigte.) Die Besetzung Schwedisch-Pommerns
durch napoleonische Truppen sorgte für einen (endgültigen) Aufschub dieser Pläne.
Nach der Aufgabe des belagerten Stralsunds
und dem Frieden von Tilsit war Schweden
1807 isoliert, Preußen und Russland standen
an Frankreichs Seite. Der endgültige Verlust
Schwedisch-Pommerns 1815 spielte seitdem
in der schwedischen Geschichte kaum eine
Rolle, im Gegensatz zum Verlust Finnlands,
der im schwedischen Bewusstsein bis heute
fortlebt.
Kathleen Jandausch (Greifswald) referierte
über „Die Situation Mecklenburgs nach der
Niederlegung der römischen Kaiserkrone“.
Während der Koalitionskriege wahrte Mecklenburg zunächst seine Neutralität. Die Gründung des Rheinbundes bedeutete auch für
die mecklenburgischen Gesandten am Reichstag die Zerschlagung des Reiches in der alten Form, während die Diskussion um die
Übertragung der deutschen Kaiserkrone an
Napoleon in die zukünftigen Planungen der
Schweriner Minister mit einbezogen wurde.
Möglich war für diese eine Anlehnung an
Frankreich, Preußen war angesichts der militärischen Lage bestenfalls zweite Wahl – trotz
bester familiärer Beziehungen der Herzöge
nach Russland und Preußen.
Trotz erklärter mecklenburgischer Neutralität flohen preußische Truppen nach der
Niederlage von Jena/Auerstädt auch durch
Mecklenburg und wurden von Franzosen verfolgt. Die angedeuteten Familienbande stellten sich nun als verhängnisvoll heraus – französische Truppen besetzten das Herzogtum
und etablierten eine eigene Verwaltung. Die
ins Exil verbannten Mitglieder der herzoglichen Familie von Mecklenburg-Schwerin
kehrten erst nach dem Frieden von Tilsit mit
russischer Unterstützung zurück.
Beide Landesteile traten Anfang 1808 dem
Rheinbund bei. Die Herzöge versuchten aus
einem Souveränitätsanspruch heraus (aus
Reichsende und Mitgliedschaft im Rheinbund), durch innenpolitische Reformen die
ständische Verfassung zu beseitigen, was jedoch am Widerstand der Landstände scheiterte. Einen Nutzen zogen die Mecklenburgischen Herzöge aus dem Ende des Alten Reiches demnach nicht, im Gegenteil – sie dienten den Großmächten als potentielles Tauschobjekt zu deren Interessenausgleich, nachdem
der verfassungsmäßige Schutz des Reichsverbandes entfiel.
Nils Jörn (Wismar) beschäftigte sich mit einem Teilaspekt der schwedischen und mecklenburgischen Geschichte nach dem Ende des
Alten Reiches – „Die Herrschaft Wismar nach
der Schwedenzeit und ihre Einbindung in die
mecklenburgischen Strukturen“. Seine Ausführungen begannen mit der Herauslösung
Wismars aus dem mecklenburgischen Territorium und seiner Einbindung in die schwedischen Reichsbesitzungen. Ähnlich wie im
Falle Pommerns versuchte Schweden, Wismar an Mecklenburg-Schwerin zu verpfänden. Die Verhandlungen darüber begannen
um 1800, das Tribunal zog 1802 nach Stralsund um. Die Verpfändung wurde 1803 für
100 Jahre vertraglich geregelt. Das Geschäft
holte Wismar, Poel und Neukloster nach über
150 Jahren nach Mecklenburg zurück, verschaffte dem Land neben Rostock einen weiteren Hafen und Schweden eine Finanzspritze von 1.250.000 Reichstalern – dem Kaiser
wurde die Verpfändung lediglich mitgeteilt.
Zur Kompensation des Tribunals sollte ein
mecklenburgisches Gericht in der Stadt angesiedelt werden, doch ein neues oberstes
Gericht (Oberappellationsgericht) für Mecklenburg wurde nach zehnjähriger Diskussion
nicht in Wismar, sondern in Parchim eingerichtet. Es folgte die Auflösung des Konsistoriums, um Schwerin und Rostock zu stärken.
Bis 1871 blieb Wismar eine scheinbar eher
ungeliebte mecklenburgische Neuerwerbung,
erst dann begann die Einbindung in das Land.
Warum konnte Schweden nicht als Garan-
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
Das Ende des Alten Reiches im Ostseeraum
tiemacht für die norddeutschen Reichsterritorien auftreten? Dies war nach der im Wesentlichen gescheiterten schwedischen Außenpolitik nur schwer durchführbar, dennoch
gab es 1797 und um 1803 zwei Versuche
der schwedischen Gesandten, ihren Anspruch
als Garantiemacht des Westfälischen Friedens
durchzusetzen. Die Bemühungen scheiterten
am Widerstand Napoleons. Schweden war
nicht das einzige Land, das mit Pommern
und Wismar Reichsterritorien zum Verkauf
oder Tausch anbot. Ähnliches versuchte Dänemark zwischenzeitlich mit seinem Reichsbesitz. Worin konnten die Verkaufs- oder
Tauschangebote realistischerweise bestanden
haben? Eine Möglichkeit bot sich mit einem
Austausch gegen russische Eismeergebiete,
andererseits war ein Tausch mit Dänemark
gegen Norwegen im Gespräch (um 1798/99).
Als gänzlich realitätsfern galten mögliche
Ambitionen des schwedischen Königs auf die
deutsche Kaiserkrone.
Die Angst der mecklenburgischen Landstände vor den herzoglichen Reformen erwies
sich als unbegründet. Da die Abschaffung der
erstgenannten nicht zur Debatte stand, stellte sich auch nicht die Frage nach einer Unterstützung der Herzöge. Die Angst vor Veränderungen bzw. das Bestehen auf traditionellen Privilegien kostete dagegen Wismar mehrere Jahrzehnte, in denen die Einbindung in
das mecklenburgische Territorium stagnierte.
Michael Bregnsbo (Odense) präsentierte in
seinem Referat „Die Einverleibung von Holstein im Jahre 1806 und die dänische Reaktion auf die Auflösung des Heiligen DeutschRömischen Reiches“ den zweiten nordischen
Reichsstand. Die dänischen Könige waren bereits seit mehreren Jahrhunderten Herzöge
von Holstein, doch diese Rolle stand mit der
Auflösung des Reiches zunächst in Frage. Das
Ende des Reiches gab dem dänischen König
die Möglichkeit, bereits zuvor gehegte Pläne zur stärkeren Einbindung Holsteins in den
dänischen Staat durch die Einführung der dänischen Verfassung zu verwirklichen. Die holsteinischen Gesetze mussten in dänisch oder
deutsch ausgeführt werden und auch Beamte erstere Sprache beherrschen. Die Universität in Kiel erhielt einen Lehrstuhl für dänische Sprache und Literatur, während Rendsburg seine Militärschule verlor.
Mit diesen Verwaltungsreformen ging ein
verordneter Mentalitätswandel einher – wenn
sich ein Holsteiner nun als Deutscher sah,
wurde ihm Staatsuntreue vorgehalten. Die
Zusammenlegung Holsteins mit Dänemark
ging mit einem Wandel vom „Konglomerats“ zum „Einheitsstaat“ einher (beide Formen
wurden miteinander verglichen). Der dänische Staat war ein Konglomeratsstaat, eine
Vorform des nationalen Einheitsstaates. Bereits 1802 hatte die dänische Regierung versucht, in Holstein eine Steuerreform durchzusetzen, ohne die Ritterschaft darüber zu
informieren – die Folge war eine deutliche
Verschlechterung der Beziehungen zwischen
Holstein und Kopenhagen gewesen. Nach dänischen Bemühungen, einen Konsens zu finden, ermöglichte schließlich die Auflösung
des Reiches eine engere Anbindung der Herzogtümer an das skandinavische Königreich.
Hans-Dieter Loose (Hamburg) griff nach
thematischer Abstimmung mit Antjekatrin
Graßmann ein erstes „Wahrnehmungsthema“
auf: „Der Verfall der Reichsordnung 18031806 in der Wahrnehmung der Bürger der
norddeutschen Reichsstädte“. Basis seines Referates bildeten hamburgische Druckerzeugnisse, die den Bürgern als primäre Informationsquellen dienten. Entsprechend versuchte die städtische Obrigkeit, die Printmedien
in ihrem Sinne zu beeinflussen – etwa durch
Zensur mit dem Argument der Sicherung der
inneren Ruhe oder als hilfreiche Unterstützung bei der Verfolgung außenpolitischer Ziele. Dabei vermittelten die Zeitungen zunächst
lediglich reine Fakten und kommentierten
diese bewusst nicht (um eine Entmündigung
des Lesers zu vermeiden). Dagegen werteten
die Wochen- und Monatsschriften Nachrichten bereits in vielen Fällen und brachten die
Informationen in einem größeren Kontext unter. So kritisierten Teile der hamburgischen
Presse die französische respektive napoleonische Politik und betitelten 1804 als das „Jahr
der Cäsaren“ (Napoleon I., Franz II./I.). Die
in der öffentlichen Presse geprägten Bilder
fanden sich auch in verschiedenen privaten
Briefwechseln wieder. Allerdings funktionierte die Beeinflussung der Meinung auch – nicht
nur in Hamburg – in die entgegen gesetzte
Richtung: Patriotische Gesellschaften prägten
nicht nur die öffentliche Meinung innerhalb
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
einer Stadt, sondern manipulierten auch die
jeweilige Stadtregierung.
Antjekatrin Graßmann (Lübeck) beendete
den ersten Tag des Symposiums mit ihren
Ausführungen zum Thema „‚Vom reichsfreyen Bürger zum vogelfreyen Republikaner.’
Tradition und Chancen der drei freien Hansestädte nach dem Ende des Alten Reiches“.
Die besonderen Chancen Hamburgs, Lübecks
und Bremens nach dem Reichsende resultierten aus deren enger Verbundenheit als ehemalige Hansestädte. Ziel der gemeinsamen
Anstrengungen war die Erhaltung der inneren Verwaltung und sonstigen Freiheiten, Abstimmung bei Friedensverträgen und gemeinsame Auslegung neuer Gesetze. Auf Beratungen einigte man sich auch auf ein einheitliches
Bundessiegel, die Bewahrung alter innerstädtischer Verhältnisse, den Ausbau der Postverbindungen und die Einstellung von diplomatischen Vertretern, die gemeinschaftlich besoldet werden sollten. Ein Hauptaugenmerk
lag auf dem Schutz des Seehandels, wobei
die Neutralität – besonders gegenüber Preußen – betont wurde. Der Status änderte sich
von Reichsstädten hin zu (gleichwohl kurzlebigen) Handelsrepubliken.
Die verstärkte Annäherung wirkte in alle Bereiche der städtischen Verwaltung hinein und somit auch in das Justizwesen. Die
Reichsgesetze gehörten fast komplett in den
Reliquienschrank, fast vollständige Novellierungen waren gefordert – einhergehend mit
Überlegungen zur Einrichtung eines obersten
Gerichtshofes. Das Wohl der Städte läge in der
gemeinsamen Arbeit mit Rückbesinnung auf
die große Zeit der Hanse. Doch die absolute Freiheit währte nur kurz, der vierte Koalitionskrieg holte zuerst Lübeck ein, das von
den Franzosen erobert und geplündert wurde; später folgten Hamburg und Bremen.
Aus dem Auditorium kam die Frage, ob
man den Fürstenstaat vom Einheitsstaat am
Beispiel Dänemarks abgrenzen könne. Das
Modell könne in diesem Fall nicht angewendet werden – ein Nationalstaat setze im Idealfall eine einzelne, homogene Bevölkerungsgruppe voraus (ein Staatsvolk), was im Falle der Annäherung Dänemarks und Holsteins
nicht gegeben sei. Darüber hinaus sei zwischen dem Machtstaat des 17. und jenem des
18. Jahrhunderts zu unterscheiden. Allerdings
gab es in Kopenhagen keine Vorstellung und
noch weniger einen Zeitplan zur Dauer der
Integration Holsteins. Grundsätzlich hatten
die Dänen – anders als die Schweden – fast
immer Probleme, wenn Deutsche in der Administration saßen.
Ein Sonderstatus Bremens ist in einigen Details feststellbar, z. B. in seiner Eigenschaft als
Produktionsstandort (dies zieht sich bis ins
20. Jahrhundert hinein). In allen drei Hansestädten erfolgte eine Umorientierung vom
Reich in Richtung Frankreich, die ehemaligen
Reichstagsgesandten präsentierten die Städte
nun in Paris.
Wahrnehmung des Reichsendes
Georg Schmidt (Jena) eröffnete den zweiten
Teil des Symposiums mit der Frage „Deutschland um 1800 – eine Kulturnation?“ und einer
einleitenden Diskussion über den Kulturbegriff. Schwierig ist auch der Begriff der Nation
– sind z. B. deutsche Aussiedler an der Wolga Russen oder Deutsche (u. a. auch Danzig,
Bern, Riga)? An den politischen/staatlichen
Verhältnissen in ihren neuen Heimaten wollten außerhalb des Reiches lebende Deutsche
nichts ändern.
Die Staaten der Frühen Neuzeit waren keine Adelsnationen mehr, sondern näherten
sich der Charakteristik des modernen Staates
an, von dem sie sich durch die nicht vorhandenen überregionalen rechtlichen Ordnungen unterschieden. Manche Publizisten in Jena und Weimar sahen die alte Reichsverfassung als Garanten des Zusammenhalts des
Reiches, in Berlin dagegen galt sie als Basis eines alternden Systems. Publizisten, welche die letztere Einstellung vertraten, begrüßten denn auch zunächst die französische Revolution, lehnten sie später aber wegen der
Furcht vor einer „neuen Barbarei“ ab (Friedrich Schiller: „Die Deutschen bilden den Kern
der Menschheit“). Einheit und Freiheit galten
als gemeinsames verbindendes Ziel des Reiches, der deutschen Nation. Gab es eine Äquivalenz von Reich und deutscher Nation? Ein
auf das deutsche Reich bezogenes, föderatives Nationalbewusstsein schloss das Zugehörigkeitsgefühl zu Städten und Ländern nicht
aus. Die deutsche Nation bildete eine überständische, überkonfessionelle, überregionale, durch Medien verbundene politische Öffentlichkeit, die jedoch rechtlich ungleich war
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
Das Ende des Alten Reiches im Ostseeraum
und der eine massenhafte politische Partizipation fehlte.
Wolfgang Burgdorf (München) richtete den
Blick der Tagungsteilnehmer auf „‚Funktionseliten im Übergang.’ Wahrnehmung des
Endes des Alten Reiches durch die norddeutschen Gesandten auf dem Regensburger
Reichstag“ und schilderte dabei die konkreten Ereignisse bei der Auflösung des Alten
Reiches. Der Reichstag hatte sich im Sommer
1806 ungewöhnlich zeitig in die Ferien verabschiedet, so dass von den wichtigen Gesandten nur der Vertreter Preußens anwesend war,
während die neuen französischen Verbündeten (Rheinbundmitglieder) den Reichstag ohnehin boykottierten.
Als Reaktion auf Napoleons Ultimatum
wurden die Gesandten aus den Ferien geholt, um den „letzten Staatsakt des sterbenden Reiches“ zu begleiten und zu vollziehen. Zum Teil war echtes Bedauern nach der
kaiserlichen Abdankung zu spüren, verbunden jedoch mit der Erwartung der Annahme
der deutschen Kaiserkrone durch Napoleon.
Letztlich ging das Reich sang- und klanglos
unter – Proteste gab es nur von England bzw.
den fremden Reichsständen, wohingegen die
deutschen Reichsstände und Diplomaten das
Ende des Alten Reiches klaglos hinnahmen
und schnell „zur Tagesordnung übergingen“.
Dirk Alvermann (Greifswald) untersuchte
das Reichsende aus der Sicht zeitgenössischer
Akademiker: „‚Eine schöne Stunde hat dem
Vaterlande geschlagen . . . ’ – 1806 in der Wahrnehmung der Greifswalder Professoren“. In
den universitären Quellen fand das Ende des
Reiches zwar kaum Niederschlag, doch stellte das Ereignis für die Universitäten eine
noch nie da gewesene Erschütterung dar – 25
Universitäten wurden aufgelöst, viele andere
kämpften um ihr Überleben. Zahlungen von
Seiten des Reiches blieben nun aus, die alte
Verwaltung inklusive des Kanzlers wurde für
kurze Zeit entlassen. Dagegen sind uns unterschiedliche Meinungsäußerungen von mehreren Greifswalder Professoren aus den Jahren
um 1806 überliefert. Beispielsweise hatte sich
Arndt mit einem kritisch abwägenden Blick
schon vor dem Ende des Reiches von diesem abgewandt. Erst um 1815 finden sich wieder verstärkt Aussagen zum Ende des Alten
Reiches unter den Greifswalder Professoren,
die dieses Ereignis als Erschütterung der alten Ordnung (um 1806) wahrnahmen, in den
Nachbetrachtungen ein Jahrzehnt später allerdings bewusst oder unbewusst Umdeutungen mit Blick auf die neue Verfassung vornahmen.
Wie schaffte Schiller eigentlich den Spagat
zwischen deutscher Größe und der „Ichweiß-das- Land-nicht-zu-finden“-Attitüde?
Er gab damit lediglich – wie übrigens auch
Goethe –Denkanstöße auf der Suche nach
einem „geflochtenen inneren Band“, da das
staatliche Band nicht mehr gebraucht wurde;
immerhin sei das Reich bereits 1795 mit dem
Frieden von Basel und dem Austritt Preußens
aus der ersten Koalition gegen Napoleon
erledigt gewesen.
Aus dem Publikum kam der Hinweis auf
die Tendenz, im Zuge der Nationalstaatsbildung Fremdeinflüsse auszusortieren, so z. B.
auch bei den Juristen, die das Römische Recht
womöglich durch ein germanisches (Natur-)
Recht ersetzen wollten. Diese Argumente gab
es bereits während der schwedischen Epoche
im norddeutschen Raum – die Vorstellung,
dass die Deutschen ihr eigenes Recht haben,
ist schon alt, das römische Recht wurde als
aufgestülpt betrachtet.
Ein Einwand zielte darauf, dass der Topos
vom sang- und klanglosen Untergang in den
Bereich der Legende gehöre.
Wer war eigentlich existentiell vom Ende des Alten Reiches betroffen? Diese Frage scheint einfacher zu beantworten: es fand
letztlich Widerhall in allen Bevölkerungsschichten, beispielsweise auch bei den Bauern, die nun in ihren Möglichkeiten der Gerichtsnutzung (Stichwort RKG/RHR) eingeschränkt wurden.
Holger Böning (Bremen) referierte „Von
der ‚unpartheyischen’ Berichterstattung zum
Meinungsjournalismus – der pressegeschichtliche Umbruch nach dem Ende des Alten Reiches“. Wurden im 18. Jahrhundert in Zeitungen zunächst nur Fakten abgedruckt (größter
Wert wurde auf Auswertbarkeit und Stichhaltigkeit der Nachrichten gelegt, die Meinungsbildung überließen die Schreiber dem mündigen Leser), galt nach dem Ende des Alten Reiches die unparteiliche Berichterstattung als
verächtlich, Zensur war alltäglich. Dazu gab
es neue Anforderungen an die Zeitungen –
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
der Zeitungsjournalist wollte nicht mehr nur
getreuer Diener seiner Leser sein, sondern deren Meinungen bilden.
Um die Zeit der Französischen Revolution
kam eine partiell sehr revolutionsfreundliche
Berichterstattung auf, doch mit der französischen Besetzung war es mit der politischen
Freiheit vorbei. Printerzeugnisse wurden von
den Franzosen umfassend zensiert, Korrespondenten durften nicht mehr von überall
her berichten (z. B. aus London). Ab 1811
mussten die wenigen noch existierenden Zeitungen im ehemaligen Reich in deutscher
und französischer Sprache erscheinen. Dennoch wurden auch Zeitungen gegründet – zu
Propagandazwecken. Zeitungen alter Schule,
die sich den neuen Formen der meinungsbildenden Zeitungen nicht anschlossen, verloren
bald ihre Leserschaft.
Andreas Önnerfors (Lund) widmete sich
ebenfalls den Printmedien und betrachtete
„Das Ende des Alten Reiches als Medienereignis in schwedischen und deutschen Zeitschriften“. Die kriegerischen Ereignisse in Europa und Naturkatastrophen – beispielsweise
in der Schweiz und in Italien – wurden in Jahresgedichten zusammengefasst und als Chaos dargestellt. Schwedens Mitbestimmung in
Mitteleuropa durch die Funktion als Garantiemacht des Westfälischen Friedens fiel nach
dem Ende des Alten Reiches weg. Die zunächst relativ umfassende Pressefreiheit erfuhr besonders unter Gustav IV. Adolf starke
Einschränkungen, einzelne Zeitungen wurden sogar – zumindest einzelne Nummern
nach offizieller Prüfung – verboten, darunter
besonders ausländische Auflagen aus Großbritannien und Deutschland. Den Wert einer
manipulierten Presse wusste der schwedische
Könige allerdings zu schätzen und nahm daher eine mobile Felddruckerei auf seine Feldzüge mit, um seine Truppen sowie die Bewohner der Durchzugsgebiete in seinem Sinn zu
beeinflussen. Die Nachrichten aus dem Reich
erschienen in schwedischen Zeitungen mit
einmonatiger Verzögerung. Nur eine Nachricht über die Auflösung des Reiches lässt sich
einer Zeitung aus Stockholm nachweisen. Dafür wurde das Thema in der Stralsundischen
Zeitung aus Schwedisch-Pommern, die auch
nach Südschweden geliefert wurde, um so
ausführlicher behandelt.
In der Diskussion wurde nach einer Zäsur von 1806 gefragt – war eine neue Generation von Journalisten feststellbar? Ja durchaus, jedoch war dies nicht mit einem Generationswechsel zu erklären, sondern mit einem
Wandel der Arbeitsmethoden der Journalisten. Erst ab 1830 gab es eine neue Generation von Intellektuellen (beispielsweise Arndt
für Greifswald). Zur Rezeption der Zeitungen neuen Typs gibt es bisher keine gesonderten Forschungen, doch der Meinungsjournalismus setzte sich in den folgenden Jahren
durch.
Die Felddruckereien waren übrigens schon
seit längerer Zeit üblich und nicht erst eine Erfindung des schwedischen Königs. Mit
ihrer Hilfe konnte gleich in mehreren Sprachen schnell auf aktuelle Ereignisse reagiert
und Flugschriften verfasst werden. Die teilweise unklare schwedische Politik der folgenden Jahre erklärt sich aus den unklaren Verhältnissen um 1806, denn mit dem Fortbrechen des Alten Reiches sind die schwedischen
Gebiete in Pommern verloren – das Reich hatte einen Puffer gebildet, der auch Vorpommern für Schweden sicherte. Dennoch konnte
Gustav IV. Adolf nicht unbedingt davon ausgehen, dass Vorpommern endgültig verloren
war, obwohl er sich dies bedingt wünschte –
schließlich hatte er selbst versucht, Pommern
zu verkaufen oder zu vertauschen.
Robert Riemer (Greifswald) wandte sich einem Ereignis aus der Zeit der französischen
Besetzung zu und trug zum Thema „Der Anfang der Befreiung – Ferdinand von Schill in
Mecklenburg und Pommern“ vor. Der Schillsche Versuch der Anzettelung einer Revolution im ehemaligen Reich gegen die französischen Besatzer war – trotz Schills letztlich eigenmächtiger Aktion – ursprünglich als Teil
einer größeren antifranzösischen Bewegung
geplant. Da die französischen Armeen bereits mit dem spanischen Aufstand und den
österreichischen Truppen in Bayern beschäftigt waren (letzteres firmiert unter der Bezeichnung der fünften Koalition), schien die
Zeit für ein Losschlagen in Norddeutschland
günstig zu sein. Der Erhebung des Obersten
Dörnberg im Königreich Westfalen gedachte
Schill zur Hilfe zu eilen und tat dies gegen
den ausdrücklichen Willen Friedrich Wilhelm
III. Auf seinem Zug westlich der Elbe zu-
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
Das Ende des Alten Reiches im Ostseeraum
nächst bejubelt, drang Schill, Schrecken verbreitend, in Mecklenburg ein. Sein Ziel war
Stralsund, wo er sich – nachdem ihn die Nachrichten von den Niederlagen Dörnbergs und
der Österreicher erreicht hatten – verschanzen
wollte. Ein Kontakt mit England als Rückversicherung für ein schnelles Ausweichen über
die Ostsee kam nicht zu Stande, doch da Stralsund – trotz Schills gegenteiliger Meinung –
nicht zu halten war, fielen seine Pläne einer
Befreiung Deutschlands (erinnert sei an seinen „Aufruf an die Deutschen“ von Anfang
Mai 1809) der überlegenen französischen Armee zum Opfer. Als Deserteur und Tyrann
gebrandmarkt, erfuhr der gefallene Schill mit
dem Beginn des Befreiungskrieges 1812/1813
seine Rehabilitierung und galt fortan als Held
und patriotisches Vorbild.
Hans-Werner Hahn (Jena) beschloss die
Reihe der Vorträge mit seinen Ausführungen
„Vom Alten Reich zum Deutschen Bund. 1806
und die Suche nach einer politischen Neuordnung Deutschlands“. Der Deutsche Bund galt
bei den klassischen Historikern im 19. Jahrhundert als eine Sackgasse der deutschen Geschichte und selbst nach 1945 hielt sich diese
Aussage noch lange in den Köpfen. Dies mag
daran gelegen haben, dass der Deutsche Bund
lediglich als Übergangslösung zwischen dem
Alten Reich und einem neuen Deutschland
angesehen wurde. Dabei fügte er sich nahtlos in die Entwicklungen in den letzten Jahren
des Alten Reiches ein, da man bereits vor 1806
plante, dessen innere Strukturen zu verändern. Ein von Publizisten und zunächst auch
Napoleon geförderter Ausbau des Rheinbundes als neue deutsche Konföderation und
Konstitution kam schließlich nicht mehr zu
Stande – mit einem rheinbündisch geführten deutschen Nationalgefühl konnten sich
die Franzosen nicht anfreunden. Der Ausbau scheiterte aber auch am Widerstand einiger ehemaliger Reichsfürsten und ihrem Anspruch auf Souveränität sowie dem Bild der
französischen Fremdherrschaft, das heißt der
Verbindung rheinbündischer Reformen mit
der militärischen Ausbeutung der Territorien
durch Frankreich.
Dem Rheinbund ist es nie gelungen, die
Verluste aus dem Alten Reich bezüglich eines
festen Bezugspunkts und der Reichssymbolik
zu kompensieren – er konnte das Alte Reich
nie ersetzen. Preußen versuchte in der nördlichen Hälfte des ehemaligen Reiches mit einer
Restitution alter Ordnungen und der Gründung eines eigenen Norddeutschen Bundes
den Rheinbund auszuhebeln.
Heute sieht man in einer Art Neubewertung im Rheinischen und später im Deutschen Bund eine Neuordnung, die effektiver als die alte Reichverfassung war. Gerade der Deutsche Bund erscheint heute in einem positiveren Licht als noch bis vor wenigen Jahrzehnten. Trotz der teilweisen Ablehnung durch die Zeitgenossen war der Deutsche Bund mit großen Hoffnungen gegründet
worden – entsprechend lange setzte man auf
ihn, doch nach 1830 wurde der Rückbezug auf
das Alte Reich erneut verstärkt.
Das Auditorium wies auf weitere Bestrebungen gegen die französischen Besatzungstruppen hin, wie den Zug des Herzogs von
Braunschweig und die Unternehmung der
Leutnante Hirschfeld und Katte im Osten
Westfalens. Den Versuchen war nur minimaler Erfolg beschieden, da mehrere der Hauptpersonen Doppelrollen spielten (wie der Berliner Garnisonskommandant Graf Chasot, der
die Aktion der beiden Leutnante verriet). Anders als bei seinem Vater gab es bei Schill keine persönlichen ökonomischen Motive – er
war ein überzeugter, übereifriger und schließlich gescheiterter Patriot.
Kontinuitäten zwischen alter Verfassung
und Deutschem Bund sind unübersehbar. Wegen des Zeitdrucks bei der Suche nach einer
Lösung der deutschen Frage nach dem Ende
des Alten Reiches, den restaurativen Ambitionen der ehemaligen Reichsfürsten und ihrer
Gesandten am Wiener Kongress sowie dem
Untergang Napoleons blieben völlig revolutionäre Überlegungen außen vor. In den Plänen einer deutschen Neuordnung waren zwar
auch viele Elemente enthalten, die nicht für
Kontinuität stehen, dennoch wurden immer
traditionelle Verfassungselemente bemüht.
Das größte Problem 1806 war wohl jenes,
die nunmehr weitgehend leere Hülle des
Begriffs „Reich“ zu füllen, dessen Grenzen in weiten Teilen zunächst annähernd
gleich blieben. Es erwies sich als schwierig,
die Überreste des Reiches in eine allgemeine gemeinsame Ordnung zu bringen,
da zusätzlich die Vorstellungen über eine
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
deutsche Nationalität und die Erhaltung des
ohnehin brüchigen europäischen Gleichgewichts berücksichtigt werden mussten. Zu
beachten ist, dass Diskussionen über ein
eventuelles Ende des Reiches in Nord- und
Süddeutschland zeitlich differierend erfolgten, im Norden tatsächlich im Jahr 1806, im
Süden jedoch bereits 1801/1803 (Frieden von
Lunéville/Reichsdeputationshauptschluss).
Beachtenswert war auch die Frage, ob es
im Reichsnorden nach 1795 (Frieden von
Basel) überhaupt noch einen einheitlichen
Reichsgedanken gab (besonders in den von
Berlin beeinflussten Gebieten). Wenn dies
bejaht wird, dann wurde er vor allem von
den fremden Reichsständen verfolgt. Die
Sprengwirkung lag in der Tatsache, dass es
um 1800 im Norden Frieden und im Süden
Krieg gab, 1806/1807 war es umgekehrt.
Aus Sicht der Dänen und Schweden galt
1806 ebenfalls als wichtige Zäsur, in ihren
Auswirkungen besonders für Schweden eine
lang anhaltende – Schweden spielte bis zum
Eintritt in die EU keine große politische Rolle auf dem europäischen Spielfeld mehr. Was
aber waren die französischen Vorstellungen
zum Alten Reich? Gab es einen französischen
Diskurs über die Reichsordnung? In der Endphase des Alten Reiches wollten die Franzosen dieses entweder möglichst stark zersplittern (alte französische Konzeption) oder
– nach Napoleons Vorstellungen – ein starkes
Reich ohne Österreich und Preußen, welches
als Sperrriegel besonders vor russischen Bestrebungen in Mitteleuropa schützen sollte.
Die Vorträge und Diskussionsbeiträge des
Symposiums lieferten einerseits sowohl einen
Überblick als auch Details zum Reichsende im
Norden des Alten Reiches – inklusive neuer
Forschungsergebnisse, andererseits machten
sie die Bandbreite der Einzelthemen im Rahmen der Reichsgeschichte auch in einem vergleichsweise kurzen Zeitabschnitt mehr als
deutlich. Erneut konnte die Einbindung der
norddeutschen Territorien in das Gesamtsystem Altes Reich nachgewiesen werden, eine
politische Ferne dagegen nicht – im Gegenteil:
hier regierten jene Landesherren, die sich –
letztlich erfolglos – für den Erhalt des Reiches
am stärksten einsetzten. Das große Interesse
und die rege Beteiligung am Symposium sowie viele weitere Tagungen und Ausstellun-
gen zur Erinnerung an das 200-jährige Ende
des Alten Reiches zeigen darüber hinaus dessen anhaltende Bedeutung für die Forschung,
die auch vom Pilotprojekt „1806“ unter dem
Titel „1806 – Ende oder Neubeginn? Der Untergang des Alten Reiches aus norddeutscher
und skandinavischer Perspektive 1789-1815“
weitergeführt wird.
Die Beiträge der Tagung und die Ergebnisse des Projekts sollen in einem Sammelband
veröffentlicht werden.
Tagungsbericht Das Ende des Alten Reiches
im Ostseeraum. 08.06.2006–09.06.2006, Greifswald, in: H-Soz-Kult 01.09.2006.
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
Herunterladen