Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS): Von der Legitimationskrise zur Wiederbelebung als Regime zur Staatsstreichprävention Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg i. Br. vorgelegt von Uwe Berndt aus Augsburg Die Arbeit ist meinem Vater in Dankbarkeit zugeeignet. Referent: Prof. Dr. Dieter Oberndörfer Korreferent: PD Dr. Jakob Rösel Sprecher: Prof. Dr. Christian Mair Tag der Promotion: 07.07.1995 Inhalt I. EINLEITUNG 1 1. Problemstellung 1 2. Forschungsgegenstand 8 II. 1. 2. 3. 4. III. DIE AUSEINANDERSETZUNG ZWISCHEN LATEINAMERIKA UND DEN USA UM DIE FUNKTIONSBESTIMMUNG DER OAS 9 Die OAS als „großer Kompromiß“: Hegemonie und Kooperation 9 Der lateinamerikanische Versuch einer „organisatorischen Einkreisung“ der USA 10 Der lateinamerikanische Versuch, die Machtausübung der USA an Handlungsnormen zu binden (Nichtinterventionsregime) 15 Der lateinamerikanische Versuch einer entwicklungspolitischen Funktionalisierung der OAS 18 FUNKTIONSVERLUSTE DER OAS IN DEN SACHBEREICHEN „WOHLFAHRT“ UND „SICHERHEIT“ 20 1. Frustration der wirtschaftlichen Kooperationshoffnungen Lateinamerikas 20 2. Erosion der OAS als Instititution kollektiver Friedenssicherung 23 2.1 Die Periode der Pax Americana bis 1982 23 2.2 Agonie der interamerikanischen Verteidigungspaktes (Río-Vertrag) 35 2.3 „Selektive Multilateralisierung“ von kollektiver Sicherheit 43 IV. REAKTIONEN AUF DIE LEGIMITIONS- UND STRUKTURKRISE DER OAS 45 1. Strukturreformansätze innerhalb der OAS 45 2. Tendenz zu lateinamerikanischer Multilateralität außerhalb der OAS 49 V. FUNKTIONSGEWINN UND NEUE LEGITIMITÄT DER OAS IM SACHBEREICH „HERRSCHAFT“ 54 1. Die umstrittene gesellschaftspolitische Funktion der OAS 54 2. Traditionen einer interamerikanischen Demokratiedoktrin 56 Polarität zwischen Interventionsverbot und Demokratieprinzip seit Gründung der OAS 60 3.1 Repräsentative Demokratie nur ein Programmansatz 60 3.2 Die OAS als anti-diktatorische Allianz? Sanktionen gegen die Dominikanische Republik (1960) 65 3.3 Wandel der Basisideologie der OAS: „Ideologischer Pluralismus“ statt repräsentativer Demokratie? 68 3.4 Präzedenzfall Nicaragua (1979) 70 3.5 Wiederentdeckung des Demokratieprinzips in den 1980er Jahren 79 3.6 Die gescheiterte Panama-Mission (1989): Kollektiver Lerneffekt für den Umgang mit Diktatoren 84 Das Defense-of-Democracy-Regime der OAS in den 1990er Jahren 95 4.1 Regimeentwicklung und –elemente 95 3. 4. 5. 4.2 Erklärung der Regimedynamik: Konvergenz von Demokratie und Multilateralismus 100 4.3 Strukturelle Regimebegrenzung: Der Gegensatz von „Nichtinterventionisten“ und „Aktivisten“ 105 Testfälle für das Defense-of-Democracy-Regime seit 1991 115 5.1 Erfolglose Sanktionen gegen das Militärregime in Haiti (1991-1994) 115 6. VI. 5.2 „Weiche“ Reaktion auf den Präsidentenputsch in Peru (1992) 117 5.3 Erfolgreiche Beilegung der politischen Krise in Guatemala (1993) 126 Bilanz und Ausblick: Das Defense-of-Democracy-Regime der OAS als Baustein einer „internationalen demokratischen Ordnung“? 140 RÜCKGEWINN VON AUFGABEN IN DEN SACHBEREICHEN „SICHERHEIT“ UND „WOHLFAHRT“ 147 1. Regionale Wirtschaftskooperation 147 2. Interamerikanische Umweltdiplomatie 151 3. Ansätze eines multilateralen Drogenkontrollregimes 157 VII. VERBREITERUNG DES OAS-MULTILATERALISMUS 1. 2. 165 Diffusion der traditionellen Polarität zwischen Lateinamerika und den USA 165 Anglokaribik: Neue Heterogenität in der OAS 166 2.1 Muster von Konflikt und Kooperation 168 2.2 Weitere intraregionale Beziehungsmuster 174 3. Politische Steuerung im OAS-Multilateralismus 176 4. Kanada als Katalysator des Wandels der OAS 178 4.1 Kanada und die OAS bis 1989 179 4.2 Kanadas OAS-Beitritt 1990 185 4.3 Kanada als „issue-energizer“ der OAS 190 4.4 Kanada und die künftige Rollenbestimmung der OAS 195 VIII. PERSPEKTIVEN DER OAS IN DEN 1990ER JAHREN 197 IX. DANKSAGUNG 200 X. SEKUNDÄRLITERATUR 201 1 I. EINLEITUNG 1. Fragestellung Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ist die zentrale zwischenstaatliche Institution des interamerikanischen Systems. Der Begriff des interamerikanischen Systems wird vielfach als Synonym für die OAS verwandt, erfaßt aber über die eigentliche Regionalorganisation hinaus das gesamte Beziehungsgeflecht aus Normen, Verträgen, Konventionen sowie verschiedenen Sonderorganisationen und Kooperationsformen unter dem Dach der OAS. Die OAS ist als Fokus der kontinentalen Kooperation und Konfrontation1 und als Gradmesser von Konvergenz und Divergenz2 in den interamerikanischen Beziehungen aus mehreren Gründen ein lohnender Untersuchungsgegenstand. Die OAS ist als Neugründung der „Union der Amerikanischen Republiken“ von 1889/90 die älteste Regionalorganisation. Zu ihr gab es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kein Pendant. Ihre politisch-militärische Doppelformel einer Kombination aus politischem Bündnis und Sicherheitspolitischer Zusammenarbeit im Río-Pakt findet sich später in der NATO wieder.3 Die OAS ist anders als die Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU), für die sie als regionaler Zusammenschluß einen Vorbildcharakter hatte, eine gemischte regionale Organisation.4 Partner sind die USA und Kanada (seit 1990) einerseits und andererseits die Staatengruppe, die nachfolgend unter dem Sammelbegriff Lateinamerika zusammengefaßt wird, obwohl die Unterschiede dieser Länder nach Größe, Ressourcenausstattung und Entwicklungsstand beträchtlich sind. Diese Verallgemeinerung ist aber in gewissem Maße zulässig, da sich ein derartiges außenpolitisches Subsystem – allerdings nicht im Sinne eines homogenen Blockakteurs – ausmachen läßt: _______________ 1 2 3 4 Knud Krakau: „Die Organisation Amerikanischer Staaten als Fokus US-lateinamerikanischerBeziehungen“, in: Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft e.V. Jahrbuch 1979, Berlin 1980, 148-180. Larman C. Wilson: „Multilateral policy and the Organization of American States: Latin American – U.S. convergence and divergence“, in: Harold Eugene Davis; Larman C. Wilson [u.a.]: Latin American foreign policies: an analysis, Baltimore 1975, 47-84. E[lliott] Vandevanter, Jr.: A further inquiry into the nature of alliances: NATO and the OAS, Santa Monica 1968. J.C. Gautron: „Le régionalisme africain et le modèle interaméricain“, in: Annales Africaines (1966), 49-86. 2 „The behavior and alignment of state members within the Inter-American System are based on the Latin American regional consciousness of those members. Inter-American politics tend to divide member states into distinguishable camps with ambivalent views toward one another. The basic division places the United States on one side and all of Latin America on the other […].5 Jedoch hat sich durch das Hinzukommen zahlreicher anglophoner Kleinstaaten der Karibik und durch den Beitritt Kanadas das bisher hispanische Erscheinungsbild der Regionalorganisation stark gewandelt und die traditionelle US-lateinamerikanische Polarisierung aufgeweicht. Mittlerweile kreuzen sich in der OAS die Außenbeziehungen von 34 Staaten, was die Komplexität der multistaatlichen Entscheidungsprozesse beträchtlich erhöht. Die Dominanz der USA in der Regionalorganisation führte dazu, daß der Staatenzusammenschluß, der aufgrund seiner Zusammensetzung ein Modell für die Kooperation zwischen Nord und Süd hätte sein können, zum Vehikel des Ost-West-Konfliktes verkam. Die Bilanz der Organisation war geprägt von einer anhaltenden Struktur- und Legitimitätskrise, die ihr gehässige Urteile eingetragen hat.6 Publizistische und wissenschaftliche Äußerungen zur Krise, zum Scheitern oder zum Tod der OAS waren seit Mitte der 1960er Jahre die Regel.7 Diese jahrzehntelange „Chronik eines angekündigten Todes“ kulminierte Ende der 1980er Jahre in einer akuten Finanz- und Kassenkrise.8 Die OAS stand vor dem politischen Kollaps. Erst mit dem Ende der Konfrontation zwischen den Blöcken erlangte der regionale Multilateralismus eine neue Bedeutung. Im Rahmen der Friedensbemühungen in Zentralamerika übernahm die OAS neben der UNO neue Aufgaben sowohl bei der Überwachung von Demobilisierung und Reintegration bewaffneter Gruppen als auch bei Wahlen. Der bedeutendste Faktor ihrer Revitalisierung ist jedoch die neuerworbene Legitimität durch ihre Rolle bei der Aufrechterhaltung der Demokratie in Lateinamerika seit Beginn der 1990er Jahre. Die bemerkenswerte Überlebensfähigkeit der seit den 1960er Jahren regelmäßig totgesagten OAS stützt eine Annahme des Neoinstitutionalismus _______________ 5 6 7 8 G. Pope Atkins: Latin America in the international political system. Boulder 1989², 204 f. US-Präsident Lyndon B. Johnson wird folgendes Urteil über die Handlungsfähigkeit der OAS zugeschrieben: „They couldn’t pour warm spit out of a boot if the instructions were written on the heel.“ So kolportiert von Sol M. Linowitz: The making of a public man: a memoir. Boston 1988, 4. Für einen typischen Titel siehe Benjamin Carrión: „Oración fúnebre por la OEA“, in: Cuadernos Americanos 24 (1965) 4, 19-35. Bei einem Jahresbudget der OAS von etwa 60 Mio. US-Dollar beliefen sich allein die kumulierten Beitragsrückstände der USA auf 48 Mio. Dollar (1990). 3 in der Theorie der internationalen Politik, wonach die Kosten der Auflösung einer bestehenden Organisation hoch sind und sie leichter zu erhalten als neu zu schaffen ist.9 Wahrscheinlicher ist die Anpassung einer zur formalen Hülle verkommenen Institution an neue Aufgaben und ihre Umfunktionierung hierfür. Trotz der Tendenz zu exklusiv lateinamerikanischer Multilateralität ist die OAS letztlich keineswegs irrelevant oder funktionslos geworden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es deshalb, Funktionsverlusten der OAS auf der einen und ihren Funktionsgewinnen auf der anderen Seite nachzugehen. Methodisch geht diese Analyse politikfeldbezogen vor, indem sie Funktion und Zielbestimmung der OAS in den drei Sachbereichen • Sicherheit (kooperative Friedenswahrung), • Wohlfahrt (wirtschaftliche Entwicklung und Interessenausgleich im Nord-Süd-Verhältnis, neuerdings auch das Problemfeld Ökologie) sowie • Herrschaft (Ideologie, Legitimation, hier vor allem das Problemfeld Demokratisierung) untersucht.10 Dabei wird zu zeigen sein, daß sich die Natur der Probleme, mit denen sich die Organisation konfrontiert sieht, für die beteiligten Staaten gewandelt und verlagert hat. Bis in die 1970er Jahre stellten sich die klassischen Probleme von high politcs: Konflikte um Sicherheit, Frieden, Intervention usw. im Verhältnis der Mitgliedsstaaten untereinander sowie im globalen Ost-West-Konflikt. Für diese Konflikte hatte die OAS regionalspezifische Bewertungsmaßstäbe, Institutionen und Verfahren entwickelt. Dafür steht z.B. das hochverfeinerte Nichtinterventionsregime im Rahmen der OAS. Dagegen hat die OAS für die sich seit den 1960er Jahren in den Vordergrund drängenden wirtschaftsund entwicklungspolitischen Probleme keine oder keine wirksamen (Allianz für den Fortschritt) regionalspezifischen Antworten gefunden (Kapitel II). Dies hing mit dem global-strukturellen Charakter dieser Probleme (NordSüd-Konflikt, neue Weltwirtschaftsordnung) und der Machtstruktur in diesem Sachbereich (sichtbar an der Zurückweisung der OAS durch die USA _______________ 9 10 Diese Forschungsrichtung hebt hervor, daß das Ergebnis politischer Prozesse zu einem großen Teil davon abhängig ist, in welchen institutionellen Strukturen sie sich vollziehen („institutions matter“). Siehe Otto Keck: „Der neue Institutionalismus in der Theorie der Internationalen Politik“, in: Politische Vierteljahresschrift 32 (1991) 4, 635-653. Zu dieser Unterscheidung siehe Richard W. Mansbach; John A. Vasquez: In search of theory: a new paradigm for global politics. New York 1981; William C. Potter: „Issue areas and foreign policy analysis“, in: International Organization 34 (1980) 3, 405-427. In die deutsche Politikwissenschaft wurde sie eingeführt von Ernst-Otto Czempiel: Internationale Politik: Ein Konfliktmodell. Paderborn 1981, 198. 4 als Forum für den Schuldendialog während der 1980er Jahre) zusammen. Die Funktionsverluste in den herkömmlichen Politikfeldern Sicherheit und Wohlfahrt führten zu einer Legitimitäts und Strukturkrise der OAS (Kapitel III) und provozierten Versuche lateinamerikanischer Selbsthilfe durch neue und konzertartige multilaterale Institutionen. So übernahm die der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) nachgebildete Río-Gruppe wesentliche Funktionen wechselseitiger Konsultation und Abstimmung. Die Substitutionskapazität dieser während der 1980er Jahre in Lateinamerika gebildeten informellen und teilweise minilateralen Koordinations- und Konsultationsgruppen war letztlich nicht so hoch, daß der breite und förmliche Multilateralismus der OAS zu ersetzen gewesen wäre (Kapitel IV). Als kooperatives Instrument im regionalen Demokratisierungsprozeß gelang es der OAS seit Beginn der 1990er Jahre, ein wichtiges Feld im Sachbereich „Herrschaft“ zu besetzen. Die von der 21. Generalversammlung der OAS in Santiago de Chile am 4. Juni 1991 angenommene, vollmundig betitelte „Verpflichtung von Santiago zur Demokratie und zur Erneuerung des Interamerikanischen Systems“ begründete ein regionales Regime zur Staatsstreichprävention. Die Stärkung der repräsentativen Demokratie und die Beachtung und Verteidigung der Menschenrechte wurden darin zum politischen Homogenitätsmerkmal erhoben. Dies ist bahnbrechend vor dem Hintergrund des traditionsreichen Prinzips der Nichtintervention der OAS, dem in nicht geringem Maß eine lange Geschichte unilateraler Interventionen der USA entsprach. In der am 5. Juni 1991 verabschiedeten, implementierenden Resolution 1080 („Repräsentative Demokratie“) wurde ein kollektiver Reaktionsmechanismus installiert, der ein Ad-hoc-Treffen der Außenminister der OAS-Mitgliedsstaaten ermächtigt, binnen zehn Tagen „alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen“, um einen Umsturz in einem Land rückgängig zu machen. Zum ersten Mal bestimmte damit eine internationale Organisation, daß Mitgliedsregierungen über die Art und Weise ihres Machterwerbs und Machterhalts der regionalen Gemeinschaft gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Im Dezember 1992 verabschiedete die Generalversammlung das „Protokoll von Washington“. Die OAS-Charta wurde dahingehend ergänzt, daß. die OAS-Mitgliedschaft einer Putschregierung mit einer Zweidrittelmehrheit zeitweilig ausgesetzt werden kann. Dieses „Defense-of-Democracy“-Regime der OAS stellt einen bemerkenswerten politischen Fortschritt dar und soll sowohl anhand von Fallbeispielen als auch im Kontext der Wechselbeziehung zwischen Multilateralismus und Demokratisierung umfassend untersucht und diskutiert werden (Kapitel V). Wenn multilaterale Institutionen eine zunehmend wichtige Rolle spielen und der Demokratie als Legitimitäts- und Ordnungsprinzip in den internationalen Beziehungen und in der Fortentwicklung des Völkerrechts ein immer stärkeres Gewicht erwächst, dann können die Erfahrungen 5 der OAS auch für andere internationale Organisationen wichtige Aufschlüsse bieten.11 Die angestrebte Policy-Analyse richtet sich auf die Politikentwicklungsprozesse in der und durch die Organisation, d.h. auf die Bedingungen, unter denen sie kollektive Entscheidungen trifft und kollektives Handeln ermöglicht. So sollen z.B. aus dem gegenwärtigen Kräfteverhältnis zwischen den beiden Lagern der „Nichtinterventionisten“ und der „Aktivisten“ Folgerungen für eine strukturelle Begrenzung der demokratiesichernden Funktion der OAS gezogen werden. Es geht um die von den jeweiligen Mitgliedsstaaten vorgenommene Ziel- und Funktionsbestimmung der Organisation. Die Analyseeinheit ist dabei die Organisation selbst als ein Zentrum von Machtund Gegenmachtbildung. Nicht angestrebt wird hingegen eine Untersuchung der politikfeldspezifischen Wirkungen der OAS, also die Messung des „Outputs“ und der „Performanz“ der Staatenorganisation. Eine nach der Wirksamkeit bzw. Leistungsfähigkeit einer internationalen Organisation fragende Analyseperspektive führt leicht zu Verzerrungen und Verengungen. Nicht umsonst waren Effektivität und Effizienz in der Diskussion um die Krise des Multilateralismus während der 1980er Jahre politische Kampfbegriffe, die von den USA gegen die Vereinten Nationen ins Feld geführt wurden.12 Der Output bzw. die Leistungen einer „Vielzweckorganisation“ wie der OAS sind nicht auf einen Nenner zu bringen. Ihre Ziele und Aktivitäten lassen sich nicht zu einer widerspruchsfreien Rangordnung aggregieren, weil die Mitgliedsstaaten über ihre Gewichtung unterschiedliche Präferenzen haben. Ziele wie etwa „Frieden“ und „wirtschaftliche Entwicklung“ sind selbst zu vielschichtig, als daß sie sich als „Outputkomponenten“ eindimensional erfassen ließen.13 Am Beispiel der OAS läßt sich diese Schwierigkeit sehr gut anhand der unterschiedlichen konzeptionellen Füllung des Sicherheitsbegriffs zeigen: Während es für die USA vorrangig war, den Status quo zu sichern, war für die lateinamerikanische Staatengruppe gerade dessen Wandel das Ziel, welches sie in die Forderung nach „kollektiver ökonomischer Sicherheit“ kleideten. _______________ 11 12 13 John Gerard Ruggie (Hg.): Multilateralism matters: the theory and praxis of an institutional form, New York 1993. Zur Leistungsfähigkeit des VN-Systems: Politische Kritik und wissenschaftliche Analyse / Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, hg. Von Klaus Dicke; Klaus Hüfner, Bonn 1987. Die innenpolitische Policy-Forschung unterscheidet bei ihrem Wirkungsbegriff deshalb zwischen den unmittelbaren Politikergebnissen („policy outcomes“) und den nur normativ zu bewertenden Ergebniseffekten („policy impacts“). Siehe dazu Adrienne WindhoffHéritier: Policy-Analyse: Eine Einführung, Frankfurt 1987, 18 f. 6 Ernst B. Haas hat aus diesen Gründen einen Effektivitätsbegriff eingeführt, der sich auf die Verhaltensmuster der Mitgliedsstaaten bezieht, d.h. ihre Erwartungen, Interessen und Beziehungen sowie ihren Willen, die multilaterale Institution zu nutzen: „Effectiveness consists of the ability of member states to use the routines enshrined in principles, norms, rules and procedures to moderate sucessfully the conflicts referred to the organizations; it also involves the ability to persuade members to refer the bulk of their disputes in the organizations instead of seeking unilateral or bilateral solutions.“14 In diesem Sinne soll z.B. die Konfliktregulierungskapazität der OAS bewertet werden, nämlich als Funktion des Mitgliederwillens: Untersucht wird, wann und aus welchen Nutzenkalkülen heraus die multilateralen Instrumente der OAS in Anspruch genommen bzw. wann im Gegenteil ihre Nutzungsintensität abgesenkt wird. Problematisch wäre es deshalb schließlich, den Output und die Tätigkeit der Organisation isoliert und in Analogie zu einzelstaatlichen Entscheidungen zu betrachten. Internationale Organisationen sind in aller Regel keine unabhängigen Akteur-Systeme, sondern lediglich abgeleitete Größen, die auf ein externes nationalstaatliches Interesse für ihre Aktivierung angewiesen sind. Clive Archer unterscheidet diesbezüglich drei Rollenbilder („role images“) internationaler Organisationen: • Arena bzw. Forum, • Instrument, • Akteur.15 Das Hauptcharakteristikum der OAS ist das einer intergouvernementalen Arena bzw. eines Forums, in dem die Mitgliedsstaaten auf verschiedenen Ebenen kommunizieren, ihre Differenzen zu Protokoll geben sowie mit unterschiedlicher Intensität kooperieren. Diese Arena bereitzustellen, wird von den beteiligten Staaten offenbar als unverzichtbare Leistung der OAS angesehen. Der OAS wurde die allgegenwärtige Instrumentalisierung durch die Hegemonialmacht USA unterstellt – während im Gegenzug die lateinamerikanische Staatengruppe versuchte, durch ein Nichtinterventionsregime die OAS für die Einhegung dieser hegemonialen Macht zu instrumentalisieren. Dies trifft heute weniger zu. Die USA sind nicht mehr ein derart überragen_______________ 14 15 Ernst B. Haas: „Regime decay: conflict management and international organizations, 19451981“, in: International Organization 37 (1983) 2, 189-256, 190. Clive Archer: International organizations. London ²1992, 135 ff. 7 der Akteur und müssen sich vermehrt den Mühen multilateraler Aushandlungsprozesse unterziehen. Eine nennenswerte Akteurs- oder Protagonistenrolle der OAS in den verschiedenen Politikfeldern ist allerdings auch heute nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen gegeben.16 Eine Interessenautonomie oder Selbstaktivierung der Organisation gegenüber den Nationalstaaten war unerwünscht, als 1948 in Bogotá die frühere Panamerikanische Union zur Organisation Amerikanischer Staaten umgegründet wurde. Die neutrale Bezeichnung „Organisation“ ersetzte den Begriff „Union“, der für einige lateinamerikanische Delegationen die Assoziation an ein supranationales Gebilde hervorrief. Die OAS blieb hochgradig abhängig von der Bereitschaft der Mitgliedsstaaten, ihren multilateralen Mechanismen die Bearbeitung kollektiver Probleme zu übertragen und sie mit den hierfür nötigen Kompetenzen und Ressourcen auszustatten. Das passive, d.h. aktivierungsgebundene Potential der OAS ist auf politisches „entrepreneurship“ angewiesen.17 Diese Überlegung ist der Ausgangspunkt für ein Kapitel, das die Dimension Mitgliedschaft und die multistaatlichen Entscheidungsprozesse (politics) in den Blick rückt. Es widmet sich ausführlicher dem Neumitglied Kanada, das in das teilweise von den USA während der 1980er Jahre hinterlassene Führungsvakuum gestoßen ist. Für die Revitalisierung der OAS in den 1990er Jahren ist die kanadische Initiativ- und Katalysatorrolle („entrepreneurial leadership“) von großer Bedeutung. Die Mittelmacht Kanada sieht sich selbst auf verbindliches Völkerrecht, regelgeleiteten Konfliktaustrag, Interessenausgleich und damit auf „starke“ internationale Organisationen angewiesen. Entsprechend trägt es mit seinen Vorstellungen von relativ selbständigen Ordnungsmacht- und Gestaltungsfunktionen internationaler Organisationen der OAS ein Rollenbild als „Akteur“ an, das etlichen lateinamerikanischen Staaten, allen voran Mexiko, zu „interventionistisch“ erscheint (Kapitel VII). Abschließend soll in einer zusammenfassenden Bewertung erörtert werden, wie stabil die Wiederbelebung des regionalen Multilateralismus in den 1990er Jahren einzuschätzen ist oder ob nicht erneut ein Mechanismus von Erwartungsüberspannung und Enttäuschung einsetzen könnte. _______________ 16 17 Ansätze für eine Akteursorientierung finden sich im Menschenrechtsbereich, in dem die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IAHRC) über Monitoring-Befugnisse verfügt. Zu diesem Konzept Oran R. Young: „Political leadership and regime formation: on the development of institutions in international society“, in: International Organization 45 (1991) 3, 281-308, 293 ff. 8 2. Forschungsgegenstand Die Forschungslage zur jüngeren und jüngsten Entwicklung der OAS ist unbefriedigend, wie ein Sammelwerk zur politikwissenschaftlichen Lateinamerikaforschung 1990 feststellte: „[A] theme that needs research and thinking of a policy nature is the future of hemispheric organization and international organization generally. As a beginning, more research needs to be done on the effectiveness and problems of existing institutions such as the Organization of American States (OAS). Unfortunately this kind of work has gone out of fashion both in the United States and in South America.“18 Im selben Sammelband weist Atkins auf den Abschwung des akademischen Interesses hin, „which parallels the long period of decline in the effectiveness of the organizations themselves, but the subject has never been abandoned, and, in fact, high quality work continues to be done.“19 Die von Henry H. Han 1988 vorgelegte, auf Interviews mit Diplomaten beruhende empirische Studie gibt lediglich offizielle oder offiziöse Auffassungen wieder.20 Ergiebiger zur Entwicklung der OAS in den 1980er Jahren ist die ebenfalls 1988 vorgelegte Aufsatzsammlung des früheren Verwaltungsdirektors der OAS, des US-Amerikaners Schemen.21 Das neuerwachte Interesse an der OAS dokumentiert die 1993 herausgekommene zweite, aktualisierte Auflage der in den USA zuerst 1965 erschienenen Arbeit Carlos Stoetzers. Ihr Gegenstand sind eher die Formalstrukturen der Organisation. Als Kompendium vorzüglich dokumentierter Fakten ist sie jedoch deskriptiv angelegt.22 Einen knappen Überblick gibt ein ebenfalls 1993 veröffentlichtes schmales Bändchen mit zwei Aufsätzen von Vaky und Muñoz.23 _______________ 18 19 20 21 22 23 Michael J. Francis; Timothy J. Power: „South America“, in: Handbook of political science research on Latin America: trends from the 1960s to the 1990s / David W. Dent (Hg.), New York 1990, 147-369, 364. G. Pope Atkins: „Patterns of international relations research“, in: Ebd., 285-306, 300 f. Henry H. Han: Problems and prospects of the Organization of American States: perceptions of the member states´leaders, New York 1987. L. Ronald Scheman: The inter-American dilemma: the search for inter-American cooperation at the centennial of the inter-American system, New York 1988. O. Carlos Stoetzer: The Organization of American States, Westport ²1993. Viron P. Vaky; Heraldo Muñoz: The future of the Organization of American States: essays, New York 1993. 9 Eine aktuelle, monographische Gesamtwürdigung der Organisation Amerikanischer Staaten steht demnach noch aus. Zu ihr will die vorliegende Arbeit beitragen. Herangezogen wurden hierfür größtenteils noch nicht aufgearbeitete Dokumente aus der Columbus Memorial Library im Generalsekretariat der OAS in Washington, D.C.24 II. DIE AUSEINANDERSETZUNG ZWISCHEN DEN USA UND DER LATEINAMERIKANISCHEN STAATENGRUPPE UM DIE FUNKTION DER OAS 1. Die OAS als „großer Kompromiß“: Hegemonie und Kooperation Die OAS war, wie in der folgenden Untersuchung ihrer Formation Phase gezeigt werden soll, entgegen der bekannten Polemik (Fidel Castro: Kolonialministerium der USA“) Lateinamerika nicht als imperalistisches Instrument aufgezwungen worden. Sie war in erster Linie ein Instrument und dient als solches auch hegemonialer oder, wenn man so will, imperialistischer Politik der USA- wie auch umgekehrt den defensiven Gegenstrategien Lateinmamerikas, die darauf hinausliefen, die USA stärker an internationale Verhaltensnormen (insbesondere der Nichtintervention) zu binden. Lateinamerika suchte einmal einen Weg, um die vorteilhafte Wirtschaftskooperation mit den USA zu Hilfeleistung und Marktoffenheit zu verpflichten. Zum zweiten bestand das Mißtrauen Lateinamerikas gegenüber der Hegemonialstrategie der USA fort. Es suchte deshalb weiterhin die nordamerikanische Machtausübung in Lateinamerika einzudämmen, zu definieren und die Nichtinterventionsnorm zu verankern. Insgesamt kann man die OAS als „großen Kompromiß“ interpretieren: zwischen dem Wunsch der USA nach einem multilateralen Handlungsgaranten für ihre alte Hauptstrategie gegenüber Lateinamerika (die Abwehr extrakontinentaler Mächte, „Systeme“, Ideologien, Kontrollversuche, Interventionen usw.) und dem Interesse Lateinamerikas an Neutralisierung und rechtlicher Einbindung der US-Vormachtstellung. Sucht man wie bei anderen internationalen Organisationen nach einer Art von „Gründungskonsens“, so ergibt sich im Falle der OAS der bemerkenswerte Aufweis, daß Interessen eben nicht gleichgerichtet sein müssen, um ein gemeinsames Interesse an der Gründung bzw. am Fortbestand einer internationalen Organisation zu haben. _______________ 24 Thomas L. Welch: „The Organization of American States and ist documentation“, in: Government Information Quarterly 6 (1989) 3, 267-281. 10 2. Der lateinamerikanische Versuch einer „organisatorischen Einkreisung“ der USA Als die Vereinigten Staaten im späten 19. Jahrhundert als expandierende Wirtschaftsmacht ein spezifisch politisches und strategisches Großmachtinteresse an den Ländern südlich des Río Grande entwickelten, riefen sie 1889/90 die „Union der Amerikanischen Republiken“ ins Leben. Der I. Internationalen Konferenz Amerikanischer Staaten in Washingtion, auf der sofort eine Zollunion diskutiert, aber als nicht durchführbar verworfen wurde, folgten weitere interamerikanische Konferenzen.25 Auf ihnen wurde ein breites Spektrum von Informationsaustausch und gemeinschaftlichen Aktivitäten bei Handel, Transport, Kommunikation usw., sowie die Angleichung von technischen und Rechtsnormen vereinbart. Ein Ständiges Sekretariat, seit 1910 unter der Bezeichnung „Pan American Union“ firmierend, bildete den institutionellen Kern des wachsenden Geflechts von neuen Einrichtungen (innovativ etwa die Interamerikanische Frauenkommission), Konferenzen, Konventionen und Traditionen, für die sich alsbald der Begriff Interamerikanisches System einbürgerte.26 Neben dieser expandierenden multilateralen Koordinations- und Kooperationsebene des Interamerikanischen Systems entwickelte sich eine parallele hegemoniale Dimension, nämlich der unilaterale Anspruch der USA auf eine politische Sicherheitsprärogative in der Westlichen Hemisphäre, die unter der Chiffre „Monroe-Doktrin“ hinlänglich bekannt ist. Beide Ebenen dieses „Dualismus der politischen Gestaltungsprinzipien in Amerika“27 funktionierten scheinbar unverbunden nebeneinander. Sie drifteten jedoch auseinander, da die vermeintlich „unpolitische“ Qualität der Diskussion über Gesundheitswesen und Zollfragen stets politisiert, weil „von der hegemonialen Dimension infiziert“28 war. Der Rechtfertigungszweck der interamerikanischen Konferenzdiplomatie wurde in den 1920er Jahren anläßlich der heftigen Kontroverse über den US-Imperalismus gegenüber Mexiko und dem zentralamerikanisch-karibischen Raum insgesamt offensichtlich. _______________ 25 26 27 28 First International Conference of American States, Washington, October 2, 1889 – April 19, 1890: „Majority report of Committee on Customs Union“, in: The International Conference of American States, 1889-1928: a collection [...] / James Brown Scott (Hg.), New York 1931, 33-35. Sein Sitz war das vom Philanthropen Andrew Carnegie finanzierte Pan American Union Building in Washington, D.C., dessen Architektur eindrucksvoll den damaligen „Neue Welt“-Idealismus repräsentiert. Knud Krakau, Organisation, 151 f. Ebd., 152. 11 In zähem Ringen versuchte die lateinamerikanische Staatengruppe deshalb seit der Jahrhundertwende die Vereinigten Staaten auf die Koordinationsebene zu beschränken. Daß die USA die zunehmend dysfunktionale „big stick policy“ zugunsten der geräuschloseren „dollar diplomacy“ abwandelten, war dem Umstand einer internen und internationalen Doppelkrise geschuldet, als nämlich in den 1930er Jahren die Depression und die Bedrohung durch die Achsenmächte zusammentrafen.29 Dies führte in den 1940er Jahren dazu, daß die USA ein generelles Nichtinterventionsprinzip anerkannten und direkte militärische Eingriffe tatsächlich einstellten.30 Die von US-Präsident Herbert Hoover angelegte, vor allem aber seinem Nachfolger Franklin D. Roosevelt zugerechnete „Politik der guten Nachbarschaft“31 wurde den „interventionistischen“ Charakter der US-Lateinamerikapolitik nicht los: „Protected by the framework of inter-American cooperation and carrying out their tasks with dollars, advisors, and diplomats, rather than the hated marines, the Good Neighbor reformers had a clear field. In addition, as agents of the powerful New Deal state, they had at their disposal a host of agencies and authorities not available Protected by the framework of interAmerican cooperation and carrying out their to earlier expansionists.“32 Während des Zweiten Weltkrieges, als die Roosevelt-Administration das hemisphärische Hinterland politisch, militärisch und wirtschaftlich zu einer sicheren Basis im Kampf gegen die Achsenmächte ausbauen mußte, kam es zu einer tastenden Kooperation mit handfesten Vorteilen für beide Seiten: Lateinamerika erzielte, befreit von Zöllen beim Zugang zum US-Markt, hohe Exporterlöse für seine Rohstoffe und Agrarprodukte. Die USA sicherten sich im Gegenzug Rohstoffe und Militärstützpunkte.33 Entsprechend zeigte sich im interamerikanischen System ein regelrechter „Organisations- _______________ 29 30 31 32 33 Connell-Smith, Inter-American system, 127. Dies entsprach der isolationistischen Grundhaltung der amerikanischen Öffentlichkeit und der Kongreßmehrheit. Selbst Maßnahmen und Interventionen wirtschaftlicher Art waren dem US-Präsidenten infolge der vom Kongreß 1935 erlassenen, 1937 noch einmal verschärften Neutralitätsgesetze untersagt. Third Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs, Rio de Janeiro, 1942: „[Resolution] XXII: The Good Neighbor Policy“, in: The International Conferences of American States. Second Supplement, 1942-1954: Treaties, conventions, declarations, recommendations and resolutions […], Washington, D.C. 1958, 33 f. James R. Benjamin: „The framework of U.S. relations with Latin America in the Twentieth Century: an interpretative essay“, in: Diplomatic History 11 (1987) 2, 91-117, 102. Gerald K. Haines: „Under the eagle’s wing: the Franklin Roosevelt administration forges an American hemisphere“, in: Diplomatic History 1 (1977) 4, 373-388. 12 boom“.34 Im Jahr 1940 wurden 73 interamerikanische Institutionen gezählt.35 Dennoch lud sich im Verlauf der 1940er Jahre das Regionalsystem zunehmend mit Animositäten auf. Die Isolierung des peronistischen Argentinien durch die USA führte zu einer Konfrontation in den interamerikanischen Beziehungen, deren eigentlicher Grund war, daß sich Lateinamerika politisch und wirtschaftlich gegenüber Europa als zurückgesetzt betrachtete. Die lateinamerikanischen Staaten hatten zunächst Mühe zu erkennen, daß die USA mit ihrem Kriegseintritt 1941 die Rolle einer Weltführungsmacht angenommen hatten und sie nun dauerhaft zu behaupten suchten. Diese „Revolution“ der US-amerikanischen Außenpolitik hatte außerordentliche Rückwirkungen auf das interamerikanische System: „From 1933 to 1943, almost every important international meeting which the United States attended was Inter-American. After that time, just the reverse was true.“36 Gegen Kriegsende verloren die Vereinigten Staaten deshalb in ihrer Globalstrategie mit dem Kriegsende zunächst das Interesse an einer intensiven regionalen Kooperation. Roosevelt und die Gruppe um Außenminister Hull planten eine Nachkriegspolitik unter dem Vorzeichen des Universalismus. Sie strebten eine Friedensregelung auf der Basis der Universalorganisation der späteren Vereinten Nationen ohne Sonderrechte für Regionalbündnisse an, wie sie sich auf der Konferenz von Dumbarton Oaks (August bis Oktober 1944) konkretisierte.37 Die Staaten Lateinamerikas wurden bei diesen Nachkriegsplanungen nicht konsultiert. In dieser Situation erwiesen sie sich als eifrige Regionalisten, die in einem selbständigen amerikanischen Regionalbündnis das Prinzip der Gleichberechtigung, der Selbstbestimmung und der Nichteinmischung durchsetzen wollten. Das neue Selbstgefühl der Lateinamerikaner als den für die USA bedeutendsten Lieferanten kriegswichtiger Rohstoffe begründete die Hoffnung auf ihre entsprechende Stärke in einem Interamerikanischen System. Ein Aufgehen dieses Systems in der Organisation der Ver_______________ 34 35 36 37 Brock, Entwicklungsnationalismus, 55. Für eine Auflistung siehe „Synopses of Pan American commissions and other bodies“, in: The International Conferences of American States. First Supplement, 1933-1940: Conventions, recommendations, resolutions and motions […], Washington, D.C. 1940, Appendix B, 453-494. Albert P. Vannucci: „The influence of Latin American governments on the shaping of United States foreign policy: the case of U.S.-Argentine relations, 1943-1948“, in: Journal of Latin American Studies 17,2 (1985), 355-382, 360. Francis X. Gannon: Globalism versus regionalism: U.S. policy and the OAS“, in: Orbis 26 (1982), 195-221, 197. 13 einten Nationen, in welcher der Sicherheitsrat quasi als „Direktorium“ mit dem Vetorecht der Großmächte entscheidet, sahen sie als Gefährdung ihrer Ziele an. Sie forderten daher die Respektierung der Eigenständigkeit des Interamerikanischen Systems und seine Reorganisation. Zu diesem Zweck forcierte die lateinamerikanische Staatengruppe im März 1945 die Interamerikanische Konferenz über Probleme des Krieges und des Friedens in Chalputepec/ Mexiko, um die Konsolidierung und die Neuorganisation des Interamerikanischen Systems zu beschließen. Sie forderten zugleich, dessen Selbständigkeit in der Charta der Vereinten Nationen zu verankern. Die Bestrebungen des lateinamerikanischen Regionalismus trafen sich mit den Anhängern einer traditionellen „hemisphärischen“ Politik der USA, deren Sprecher der rechte Republikaner Senator Vandenberg war. In San Francisco, auf der Gründungskonferenz der Weltorganisation (April bis Juni 1945) konnte sich diese Fraktion nach längeren Auseinandersetzungen in der US-Delegation durchsetzen, indem sie mit Hilfe der sogenannten Vandenberg-Formel in Artikel 51 der UN-Charta, der das Recht auf unmittelbare Maßnahmen zur kollektiven Selbstverteidigung in einer regionalen Vereinigung betont, indirekt eine Sonderstellung des Interamerikanischen Systems erreichte. Die nordamerikanischen Regierungen unter Roosevelt und zunächst auch noch unter Truman blockierten nach der erwähnten amerikanischen Außenministerkonferenz in Mexiko im Rahmen ihrer globalistischen One-WorldDiplomatie weitere Nachfolgekonferenzen, wofür die Differenzen zwischen den USA und dem peronistischen Argentinien den Anlaß boten, bevor die USA im Zeichen der sich rasch zuspitzenden Blockkonfrontation mit der Sowjetunion selbst ein Interesse an einer regionalistisch abgestützten Allianzpolitik gegen den Kommunismus gewannen. Die von den lateinamerikanischen Staaten in Chapultepec initiierten Beschlüsse zur Erneuerung des Interamerikanischen Systems wurden so erst in den Jahren 1947 und 1948 umgesetzt. Auf der Interamerikanischen Konferenz zur Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit auf dem Kontinent in der Nähe von Río de Janeiro38 (15. August bis 2. September 1947) wurde ein interamerikanisches Beistandsabkommen mit der Bezeichnung Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance / Tratado Interamericano de Asistencia Recíproca (TIAR) – kurz Río-Vertrag genannt - beschlossen.39 Die beginnende Ost-West-Ausein_______________ 38 39 Deshalb auch die Bezeichnung „Konferenz von Petrópolis“. „Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance. Signed at the Inter-American Conference for the Maintenance of Continental Peace and Security, held in Rio de Janeiro from August 15 to September 2, 1947“, in: Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance: Applications, Vol. I: 1948-1959, Washington, D.C. ³1973, 423-439. 14 andersetzung hat zweifellos einen starken Einfluß auf die Formulierungen des Río-Vertrages gehabt. Connell-Smith bezeichnet ihn deshalb als ersten der Kalten-Kriegs-Pakte40, obwohl das Beistandsabkommen schon 1942 diskutiert und 1945 definitiv beschlossen worden war.41 Die auf ihre Souveränität so bedachten lateinamerikanischen Staaten erkannten mit dem Río-Vertrag die Verbindlichkeit von weitreichenden Mehrheitsentscheidungen auf dem Gebiet der kollektiven Sicherheit an. Nach mehrmaliger Vertagung kam die IX. Internationale Konferenz der amerikanischen Staaten vom 30. März bis 2. Mai 1948 in Bogotá zusammen. Das erste Ergebnis dieser Tagung war die Charta der Organisation der Amerikanischen Staaten, der Rahmenvertrag der aus der „Union der Amerikanischen Republiken“42 hervorgegangenen OAS (spanisch Organización de los Estados Americanos, im Akronym: OEA). Das zweite Konferenzergebnis war der Amerikanische Vertrag über die friedliche Beilegung von Konflikten (American Treaty on Pacific Settlement / Tratado Americano de Soluciones Pacíficos), der sogennante Bogotá-Pakt.43 Er faßte die seit 1923 zwischen amerikanischen Staaten vereinbarten Schiedsgerichts- und Vergleichsverfahren in einem einheitlichen Vertragstext zusammen.44 Spiegelte diese lateinamerikanische Regionalpolitik am Ende des Zweiten Weltkrieges eine neue Sicht der USA in der Rolle eines Vorkämpfers für lateinamerikanische Wohlfahrt, oder gar die Absicht, die Monroe-Doktrin von 1823 zu multilateralisieren?45 Es spricht vieles dafür, daß diese Regionalpolitik nicht der Ausdruck einer wachsenden Bindekraft der „Western Hemisphere Idea“ war, sondern vielmehr der Ausdruck eines sich verschärfenden Mißtrauens gegenüber den Vereinigten Staaten.46 Brock47 nennt hierfür leitende Interessen der lateinamerikanischen Staaten: _______________ 40 41 42 43 44 45 46 Inter-American system, 150. Dazu die „klassische“ Arbeit von Arthur P. Whitaker: The Western Hemisphere idea: its rise and decline, Ithaca 1965, 171 ff. Charter of the Organization of American States. Signed at the Ninth International Conference of American States, Bogotá, March 30 – May 2, 1948, Washington, D.C. 1948 (Law and treaty series; 23). American Treaty on Pacific Settlement, Pact of Bogotá. Signed at the Ninth International Conference of American States, Bogotá, March 30 – May 2, 1948, Washington, D.C. 1948 (Law and treaty series; 24). Inter-American peace treaties and conventions, Washington, D.C. ³1972, OEA/Ser.X/2 (English) (Treaty series; 16). Gene A. Sessions: „The multilateralization of the Monroe Doctrine: the Rio Treaty, 1947“, in: World Affairs 136 (1973/74), 259-274. Francisco Cuevas: „The Bogota Conference and recent developments in Pan-American relations: a Mexican view“, in: International Affairs 24 (1948), 524-533. 15 Die lateinamerikanischen Staaten wollten verhindern, daß die Vereinten Nationen in Verbindung mit der Sonderstellung der permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates zu einem Instrument der Intervention in Lateinamerika würden. Sie versuchten die auf der UN-Gründungskonferenz von San Francisco anstehenden Entscheidungen zum Verhältnis von Regional- und Universalorganisation entsprechend zu präjudizieren.48 Die lateinamerikanischen Staaten hatten ein dringendes Interesse an der Stabilisierung ihrer Außenwirtschaftsposition auch nach der kriegsbedingten Konjunktur („Kriegsdividende“). Sie wollten gegenüber der sich mit Bretton Woods abzeichnenden freihändlerischen Grundtendenz der weltwirtschaftlichen Nachkriegsplanung die Möglichkeit präferentieller regionaler Zusammenarbeit absichern und dabei das nordamerikanische Wirtschaftspotential für die eigene Entwicklung sowohl mobilisieren, als auch durch die Aufwertung multilateraler Kooperation unter Kontrolle bringen. Zusammenfassend: Die Lateinamerikaner erhofften sich mit der OAS ein effektives Instrument der Interessenaggregation gegenüber den USA im wirtschaftlichen und politischen Bereich. Nach Connell-Smith versuchten sie, die Institutionen des überkommenen interamerikanischen Systems gleichsam zu „demokratisieren“, und sich dem dominierenden Einfluß der USA als Hegemon und ihrer externen Druckausübung durch die Ausweitung des Interventionsverbotes zu entziehen.49 Brock faßt diese These ConnellSmiths in der Formulierung zusammen, die OAS-Vertragswerke seien der Versuch einer „organisatorischen Einkreisung“ der Handlungsfreiheit der USA durch die Staaten Lateinamerikas.50 Es ist im folgenden zu prüfen, wie erfolgreich dieser Versuch bisher war. 3. Der lateinamerikanische Versuch, die Machtausübung der USA an Handlungsnormen zu binden (Nichtinterventionsregime) Die USA hatten zwischen 1812 und 1932 31mal in Lateinamerika bewaffnet interveniert, so gab es das State Department 1950 an.51 Die lateinamerikanischen Staaten setzten demnach aus guten Gründen mit Artikel 8 der „Konvention über Rechte und Pflichten der Staaten“ im Jahr _______________ 47 48 49 50 51 Entwicklungsnationalismus, 60 ff. Inis L. Claude, Jr.: „The OAS, the UN, and the United States“, in: International regionalism: readings / Joseph S. Nye, Jr. (Hg.), Boston 1968, 3-21, 12. Connell-Smith, Inter-American system, 26 f. Brock, Entwicklungsnationalismus, 161. Gerhard Kutzner: Die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS), Hamburg 1970, 185. 16 1933 die förmliche Anerkennung des Interventionsverbotes als völkerrechtliches Leitprinzip der interamerikanischen Beziehungen durch: „Kein Staat hat das Recht, in die inneren und äußeren Angelegenheit eines anderen Staates zu intervenieren.“52 Da diese schlichte Formulierung den USA die Möglichkeit beließ, lediglich militärische Interventionen unter dieses Verbot zu subsumieren und alle anderen Formen der Einschaltung als nicht unter das Verbot fallend darzustellen, dehnte 1936 ein Zusatzprotokoll das Verbot auch auf indirekte Interventionen aus.53 Hiervon wollten die Vereinigten Staaten jedoch nur ein Verbot der militärischen Drohung, in Ergänzung zum direkten militärischen Eingriff, betroffen sehen. Die Ausübung von Druck im positiven (Finanzhilfe) und im negativen (Androhung von wirtschaftlichen Folgen) Sinne galt ihnen als davon unberührt. So bestanden die lateinamerikanischen Staaten bei der Gründung der OAS auf einer weiteren Ergänzung. Nach Artikel 15 der Bogotá-Charta sollte expressis verbis verboten sein „jede andere Form von Einmischung oder Bedrohung der Persönlichkeit des Staates oder seiner politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen“. Aber auch diese sehr umfassende Regelung enthielt Mehrdeutigkeiten.54 Wo war z.B. eine Grenze zu ziehen zwischen einer Gruppenintervention und einer Kollektivaktion in Anwendung des Rió-Vertrages? Oder: Die Zulässigkeit diplomatischer Aktionen gegen Willkürmaßnahmen (z.B. im Fall unmittelbarer physischer Bedrohung eigener Staatsbürger durch einen anderen Staat) ist unbestritten. Darf dieser Schutz aber auch auf Eigentumsinteressen ausgedehnt werden? Schon Präsident Coolidge argumentierte 1927, die Wahrnehmung der Interessen von US-Bürgern und der Schutz ihres Kapitals sei keine Intervention, sondern lediglich temporäres Eingreifen - „temporary interposition“.55 Überdies ist die Grenze zwischen legitimen Maßnahmen der Außenwirtschaftspolitik und gezielter Einmischung fließend. So beklagte gerade zum Zeitpunkt der OAS-Gründungsverhandlungen die kubanische Regierung Grau San Martín, Opfer einer „ökonomischen Aggression“ zu sein. Sie sollten durch die Inaussichtstellung _______________ 52 53 54 55 Seventh International Conference of American States, Montevideo, Uruguay 1933: „Convention on Rights and Duties of States“, in: The International Conferences of American States. First Supplement, 1933-1940: Conventions, recommendations and motions […], Washington, D.C. 1940, 121-125. Inter-American Conference for the Maintenance of Peace, Buenos Aires 1936, Final Act: „Additional Protocol relative to non-intervention“, in: a.a.O., 191-192. Yale H. Ferguson: „Reflections on the inter-American principle of non-intervention: a search for meaning in ambiguity“, in: Journal of Politics 32 (1970), 628-654. Connell-Smith, Inter-American system, 62. 17 einer Kürzung ihrer Zuckerimportquote in den USA zu kooperativerem Verhalten gegenüber Wirtschaftsinteressen der USA bewegt werden.56 Das Interventionsverbot, das sich in der OAS-Charta weitreichender und konsequenter als in allen Bestimmungen vorhergegangener interamerikanischer Verträge und Konventionen kodifiziert finden und zum Vorbild späterer Normierungsversuche der Vereinten Nationen wurde, ist strenggenommen gar nicht operationalisierbar.57 In dieser Sicht war es deshalb für die Vereinigten Staaten annehmbar, denn die rigide Anwendung seiner Bestimmungen hätte nicht nur Intervention und Einflußnahme verboten, sondern fast jedes Tun und Lassen des „Colossus of the North“: „...they would prohibit the exercise of foreign policy itself, particularly by the United States, which has the greatest capabilities to influence the affairs of other states, intentionally or even unintentionally, by the exercise of ist tremendous political, economic and military power.“58 Die Ausübung einer den eigenen Interessen Rechnung tragenden Außenpolitik war den USA schwerlich zu verbieten. Allein eine realpolitische Absicherung und machtpolitische Fundierung kann der Nichtinterventionsnorm zu ihrer Durchsetzung verhelfen. Eine erhebliche Machtasymmetrie ist in der OAS nicht zu übersehen. Vom Institutionellen her besteht kein Übergewicht der USA in der Staatenorganisation. Es gibt keine Stimmwägung, kein Vetorecht, kein dem UN-Sicherheitsrat vergleichbares antiegalitäres Organ, nach ungeschriebenem Grundsatz keinen US-Bürger als Generalsekretär und auch keine personelle Durchdringung anderer Schlüsselpositionen durch die USA. Trotz dieses formalen Egalitarismus und ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit stehen die lateinamerikanischen Staaten aber den USA nicht als gleichwertige Partner gegenüber. Lothar Brock kommt zu einer paradoxen Feststellung: Das Interventionsverbot selbst sei ein Instrument zur Rechtfertigung von Interventionen, soweit sie nur kollektiver Natur seien. Das Interventionsverbot der OAS sei, so formuliert er pointiert, „per se interventionistisch“.59 Slaters Einschätzung ist ähnlich: _______________ 56 57 58 59 Thomas J. Heston: „Cuba, the United States, and the Sugar Act of 1948: the failure of economic coercion“, in: Diplomatic History 6 (1982) 1, 1-21. Brock, Entwicklungsnationalismus, 162. Jerome Slater: The OAS and Unired States Foreign Policy, Columbus 1967, 24. Lothar Brock: „Die Funktion der OAS für die Rechtfertigung der Lateinamerika-Politik der USA“, in: Politische Vierteljahresschrift 19 (1978) 3-22, 12. 18 „For years a weapon directed against the United States, the principle of nonintervention […] became the major weapon in the United States´effort to maintain the hemispheric status quo“.60 Guatemala 1954 und die Dominikanische Republik 1965 stehen für direkte hegemoniale Interventionen als Instrument der Containment-Politik. Jüngere Beispiele für die Verletzung der Nichtinterventionsnorm sind die bekannt gewordenen Destabilisierungsaktionen des US-Geheimdienstes gegen das sich revolutionär gebärdende Chile 1973 und die Interventionen von US-Truppen in Grenada 1983 und in Panamá 1989.61 Als die OAS aufgrund der Frontstellung der USA im Kontext des Kalten Krieges zu einem ideologischen Pakt mutierte, wendeten die USA den Interventionsvorwurf gegen den „internationalen Kommunismus“, nicht unterscheidend zwischen Bürgerkrieg und internationalem Krieg, um damit Konter-Interventionen zu rechtfertigen. Daß der „Kommunismus“ zum Dauerobjekt kollektiver Aktion befördert wurde, sofern diese nach den Bestimmungen des Artikel 6 des Río-Paktes (nichtmilitärische Aggression) im Rahmen des interamerikanischen Konsultativsystems beschlossen werden konnte, lag nicht zuletzt im Interesse jener lateinamerikanischer Regierungen, die von sozialrevolutionärer Opposition bedroht waren. Die prekäre Instabilität ihrer Herrschaft erlebten die Vertreter dieser Länder während der OAS-Gründungsverhandlungen in Bogotá unmittelbar: Ein spontaner Gewaltausbruch („Bogotazo“) führte auch zu einem Sturm auf das Konferenzgebäude und mündete in eine blutige „violencia“ (1948-1963) in Kolumbien.62 Das verringerte ihre Konfliktfähigkeit und mag die Bereitschaft erhöht haben, den USA später bei der antikommunistischen Ausrichtung der OAS zu folgen. Mit einem Minimum an Zugeständnissen konnten die US-Regierungen lange die grundsätzliche Kompromißbereitschaft der lateinamerikanischen Staaten erhalten.63 4. Der lateinamerikanische Versuch einer entwicklungspolitischen Funktionalisierung der OAS Die auf den interamerikanischen Konferenzen von Chapultepec und Bogotá sich herausbildende Haltung gegenüber den USA charakterisiert Brock _______________ 60 61 62 63 Slater, OAS, 64. Weitere Fallbeispiele bei Jacques Noel: Le principe de non-intervention: théorie et pratique dans les relations inter-américaines, Bruxelles 1981. Samuel Guy Inman: Inter-American conferences 1826-1954: history and problems / Harold Eugene Davis (Hg.), Washington 1965, 244 f. Brock, Entwicklungsnationalismus, 164 f. 19 als entwicklungsnationalistisch. Sie unterschied sich vom einfachen Wirtschaftsnationalismus (so lautete der Vorwurf der US-Regierungen) durch ihren defensiven Gehalt. Es ging, bezogen auf den Entwicklungsstand dieser Länder, nicht um die Erlangung einer Vorteilsposition gegenüber den USA, sondern um Abwehr von Benachteiligungen durch den Freihandelsuniversalismus der USA, der die „eine“ und „offene“ Welt proklamierte.64 Die lateinamerikanischen Regierungen erstrebten präferentielle Wirtschaftsbeziehungen in einem nach außen abgeschirmten Wirtschaftsraum regionaler Art, da die verfolgte Importsubstitution („Wachstum nach innen“) einen „Schutz der Schutzzollpolitik“ erforderte.65 Hatten die USA 1889 noch eine regionalistische und protektionistische Linie (bis hin zum Vorschlag einer vor allem gegen Großbritannien gerichteten Zollunion) verfolgt, so betrieben sie nach Kriegsende eine Politik der Auflösung regionaler Handelsblöcke. Jedes regionale Arrangement hätte diesen Anspruch diskreditiert. Eine Absicherung der lateinamerikanischen Interessensphäre erschien zudem nicht so vordringlich wie noch 1889. Ein weiteres Ziel des lateinamerikanischen Regionalismus war die Mobilisierung externer Ressourcen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit nur die USA zur Verfügung stellen konnten. Eine Ausweitung der Kapital und Technologietransfers sollte inter-gouvernemental und über multilaterale Entwicklungseinrichtungen erfolgen.66 Demgegenüber gaben die USA privaten Direktinvestitionen den Vorrang und schlossen eine von den Lateinamerikanern geforderte Unterwerfung des Auslandskapitals unter die Zielsetzungen nationaler Entwicklungspolitik aus. Die Verhandlungsposition der lateinamerikanischen Staaten war kein taktischer Zug etwa im Rahmen einer sozialrevolutionären Gesamtstrategie dieser Staaten. Auch wenn die Forderung nach zwischenstaatlicher Entwicklungsförderung (gegen den „private capital approach“ der USA) zur Verminderung wirtschaftlicher Fremdbestimmung eine Aufwertung von Staatsfunktionen implizierte, verfolgten diese Regierungen in ihrer Tendenz das Ziel der Verwirklichung eines nationalen Kapitalismus. Brock, dessen Fragestellung über traditionell im Vordergrund stehende völkerrechtliche und sicherheitspolitische Aspekte hinausgeht, sieht bei den Gründungsverhandlungen der OAS einen frühen Versuch zur entwicklungspolitischen Instrumentalisierung einer internationalen Organisation durch Länder der _______________ 64 65 66 Ebd., 117. Ebd. Larman C. Wilson: „Multilateral policy and the Organization of American States: Latin American – U.S. convergence and divergence“, in: Latin American foreign policies: an analysis / Harold Eugene Davis; Larman C. Wilson, Baltimore 1975, 47-84, 54. 20 Dritten Welt.67 Es ist im folgenden zu fragen, welche Positionsverbesserungen die Akteure erzielen konnten. Die OAS-Charta enthielt keine näheren Ausführungen zu wirtschaftlichen Fragen. 1948 kamen die lateinamerikanischen Vorstellungen lediglich in einigen vagen Bestimmungen der später nicht ratifizierten Wirtschaftsvereinbarung von Bogotá (Convenio Económico de Bogotá) über eine begrenzte wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Zuge.68 Für die Regelung der interamerikanischen Wirtschaftsbeziehungen erreichte sie nie Rechtsverbindlichkeit. Eine weitere Thematisierung wirtschaftlicher Fragen konnten die USA durch Abblocken der für 1948 in Buenos Aires geplanten Wirtschaftskonferenz abwehren. Infolge ihrer ständigen Verschiebung bis 1957 galt sie bald als „die verlorene Konferenz“.69 III. Funktionsverluste der OAS in den Sachbereichen „Wohlfahrt“ und „Sicherheit“ 1. Frustration der wirtschaftlichen Kooperationshoffnungen der lateinamerikanischen Staatengruppe Ein für die USA lästiges wirtschaftspolitisches Idearium des „desarrollismo“ war der in den 1950er Jahren von Raúl Prebisch inspirierte „Cepalismo“ der gegen die Opposition der USA gegründeten UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (ECLA/CEPAL).70 Der Interamerikanische Wirtschafts- und Sozialrat (IA-ECOSOC/CIES) als Organ der OAS ordnete sich hingegen in seinen Aktivitäten mit Ausbruch des Koreakrieges den kriegswirtschaftlichen Interessen der USA unter. Seine Kompetenzen lagen auf dem Gebiet der technischen Zusammenarbeit, getragen durch Mittel lediglich aus dem regulären Budget der Pan American Union (wie damals das Generalsekretariat der OAS in Washington noch _______________ 67 68 69 70 Brock, Entwicklungsnationalismus, 11. Economic Agreement of Bogotá. Signed at the Ninth International Conference of American States, Bogotá, March 30 – May 2, 1948, Washington, D.C., 1948 (Law and treaty series; 25). Stephen G. Rabe: „The elusive conference: United States economic relations with Latin America, 1945-1952“, in: Diplomatic History 2 (1978) 3, 279-294; Ann ruth Willner: „Case study in frustration: Latin America and economic issues at post-war inter-American conferences“, in: Inter-American Economic Affairs 2 (1949) 4, 29-44. Miguel S. Wionczek: „Latin American integration and United States economic policies“, in: Robert W. Gregg (Hg.): International organization in the Weszern Hemisphere, Syracuse 1968, 91-156, 95 21 hieß). Gregg resümiert: „In the economic and social fields […] the OAS has been unable to match the performance of ECLA.“71 Die TrumanAdministration war trotz der politischen Aufwertung regionaler Kooperation im Rahmen der Containment-Politik wenig geneigt, den lateinamerikanischen Kooperationserwartungen entgegenzukommen. Im Vergleich zu Westeuropa war Lateinamerika als Adressat der US-amerikanischen Auslandshilfe eine ausgesprochene „low priority area“.72 Der Anteil Lateinamerikas an der Auslandshilfe der USA zwischen 1946 und 1960 betrug niemals mehr als 4,2 Prozent.73 Dabei waren die politischen „pay-offs“ der lateinamerikanischen Regierungen im Zuge ihrer Quid pro quo-Strategie bezogen auf die minimalen „trade-offs“ der US-Regierung beachtlich: Mit ihrer Zustimmung zur verschärften Antikommunismus-Resolution auf der X. Interamerikanischen Konferenz von 1954 in Caracas hatten sie nicht nur ihre generelle politische Gefolgschaft gegenüber den USA bekundet, sondern sie schirmten auch implizit die Politik der USA gegenüber dem entwicklungsnationalistischen Arbenz-Regime in Guatemala ab.74 Auch die Eisenhower-Administration schätzte offensichtlich das Ausmaß der Gefährdung eigener Interessen zunächst als gering genug ein, um aus dieser Erwartungsdivergenz schon Gefahren für den politischen Aufgabenbereich der OAS zu antizipieren. Eisenhower sagte 1954: „[…] military assistance must be continued. Technical assistance must be maintained. Economic assistance can be reduced.“75 Eine bis dahin nicht erwartete Krise des interamerikanischen Systems wurde anläßlich der wütenden Demonstrationen gegen den damaligen Vizepräsidenten Nixon in Lima und Caracas während seiner Südamerikareise und der kubanischen Revolution vor allem diagnostiziert.76 Das führte noch unter der Eisenhower-Administration zu einer Umorientierung der Politik der Vereinigten Staaten.77 In diesem Kon_______________ 71 72 73 74 75 76 77 Gregg, International organization, 5 Wilson, Multilateral policy, 53 J. Fred Rippy: „U.S. postwar aid to Latin America: an exhibit of incomplete official accounting“, in: Inter-American Economic Affairs 14 (1961), 57-65, 59 „[Resolution] XCIII: Declaration of solidarity for the preservation of the political integrity of the American states against the intervention of international communism“, in: Tenth Inter-American Conference, Caracas, Venezuela, March 1-28, 1954, Final Act. Washington, D.C. 1954 (Conferences and organization series; 33), 94-96 Zitiert nach Connell-Smith, Inter-American system, 160 Marvin R. Zahniser; W. Michael Weis: „A diplomatic Pearl Harbor? Richard Nixon’s goodwill mission to Latin America in 1958“, in: Diplomatic History 13 (1989) 2, 163-190 Burton I. Kaufman: Trade and aid: Eisenhower’s foreign economic policy, 1953-1961, Baltimore 1982 22 text erweckte die „Allianz für den Fortschritt“ den Eindruck eines umfassenden Neubeginns in den interamerikanischen Beziehungen. Die zunächst erste und wichtigste Neuerung, zu der der politische Kurswechsel der USA führte, war die Verwirklichung des bis dahin immer wieder gescheiterten Projekts einer interamerikanischen Bank. Die 1959 gegründete Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB/BID) ist als Institution des interamerikanischen Systems zwar unabhängig von der OAS, verdankt aber ihre Entstehung den im Rahmen der OAS angenommenen Entschließungen.78 Als spätes Ergebnis der OAS-Gründung wurde indessen mit der „Allianz Paar El Progresse / Allianz fr Progreß (AFG)“ ein Entwicklungsprogramm geschaffen. Diese Nachbesserung bekannte sich nicht nur zu Strukturveränderungen, sondern bedachte auch deren Finanzierung. Sich ging zurück auf ein Memorandum des damaligen brasilianischen Präsidenten Kubische, wurde im März 1961 von US-Präsident Kennedy aus der Taufe gehoben und im selben Jahr noch mit der Charta von Pußta dl Este („Erklärung an die Völker Lateinamerikas“) auf eine interamerikanische Basis gestellt.79 In Verbindung mit dem Foreign Assistance Act von 1961 brachte die Allianz zwar eine erhebliche Ausweitung der US-amerikanischen öffentlichen Finanzhilfe für Lateinamerika. Dem Marshall-Plan (European Recovery Program), für die lateinamerikanischen Regierungen stets der Maßstab dafür, was als angemessene externe Hilfe zu gelten habe, kam sie aber im Volumen und im Vergabemodus (Überwiegen von „loans“ gegenüber „grants“) nicht im entferntesten nahe. Das Komitee der AfP (CIAP) hatte als OAS-Organ keine Entscheidungskompetenz bei der Vergabe von Allianzmitteln. Zu dem die Vergabe von ERP-Mitteln regelnden Europäischen Wirtschaftsrat (OEEC, die spätere OECD) gab es demnach im Rahmen der OAS keine Entsprechung. Die Vergabe der Finanzhilfe war unilateral bestimmt und Brock argwöhnt, sie habe zu einem großen Teil einer indirekten und direkten Subvention der US-Exportindustrie gedient.80 Die AfP war eine – unzulängliche – Antwort auf die Krise in der OAS und ein Mittel anti-castristischer Eindämmungspolitik. Die Us-amerikanische Entwicklungspolitik am Ende der Eisenhower- und zu Beginn der Kennedy-Administration war demnach keine Alternative, sondern eine Er_______________ 78 79 80 Agreement establishing the Inter-American Development Bank. Opened for signature at the Pan American Union on April 8, 1959, Washington, D.C. 1959 (Treaty series; 14) Consejo Interamericano Económico y Social; Reunión extraordinaria al bivel ministerial, Punta del Este, Uruguay 1961: Alianza para el Progreso. Documentos oficiales. Washington, D.C. 1967, OEA/Ser.H/XII.1 rev.2. Hier: „Declaración a los pueblos de América“, 3-4 Brock, Entwicklungsnationalismus, 206 23 gänzung zur direkten politisch-militärischen Stabilisierung. Der materiellen Reformpolitik wurde mit der reihenweisen Übernahme der Macht durch das mit Geopolitik und der Doktrin „nationaler Sicherheit“ präokkupierte Militär (z.B. in Brasilien 1964) dann vorläufig wieder einiges von ihrem Erfolgszwang genommen. Die Realität zu Ende der 1960er Jahre war verglichen mit den Zielkatalogen der Allianz unerfreulich: steigende Auslandsverschuldung und sogar Rückschritte beim Pro-Kopf-Einkommen gegenüber den 1950er Jahren. 2. Erosion der OAS als Institution kollektiver Friedenssicherung 2.1 Die Periode der Pax Americana bis 1982 Der OAS als einer Institution kollektiver Friedenssicherung sind für die beiden ersten Jahrzehnte seit ihrer Gründung beachtliche Erfolge im zentralamerikanisch-kariischen Raum bescheinigt worden.81 Eine Sichtung der Konflikte, mit denen die OAS befaßt war82, führt jedoch zu einem bemerkenswerten Befund: Die Streitbeilegung fand häufig nicht im Rahmen der dafür vorgesehenen Verfahren und Organe statt. Die naheliegende Vermutung, es habe an einem solchen Instrumentarium gefehlt, trifft nicht zu. Mit dem „Amerikanischen Vertrag über friedliche Lösungen“ („Pakt von Bogotá“, 1948) verfügte die OAS über ein umfassendes und geschlossenes Streitbeilegungssystem, das die früheren interamerikanischen Instrumente für die friedliche Beilegung von Kontroversen zusammenfaßte und ergänzte. Bereits die (Bündnis-)Verträge, die während der sogen. Lateinamerikanischen Konferenzepoche im 19. Jahrhundert (ab 1826) von wechselnden Staatengruppen geschlossen wurden, enthielten einschlägige Vorschriften. Die Interamerikanischen Konferenzen schufen eine ganze Reihe von Konventionen und Verträgen über die Errichtung von Untersuchungskommissionen, über Ausgleichs- und Schiedsverfahren, Gute Dienste und Vermittlung dann erst ein im eigentlichen Sinne multilaterales Streitbeilegungssystem. Scheman weist auf sein Versagen hin: „The historical experience of this effort holds the most important lesson. All of these treaties, which were worked on so diligently […], were virtually ignored.“83 _______________ 81 82 83 Jerome Slater: The OAS and United States foreign policy. Columbus 1967, 63 ff. Tabellarische Übersicht bei L. Ronald Scheman: „Peace and security“, in: Ders.: The interAmerican dilemma, New York 1988, 51-101, 81 Ebd., 62 24 Die Lehre daraus wurde nicht beherzigt, wie der Bogotá-Pakt als die weitere Steigerungsform eines völkerrechtlich und prozedural perfektionierten Instruments zeigte. Margaret Ball charakterisiert ihn lakonisch als „a good legal document but perhaps a poor political one.“84 Im Sachbereich „Sicherheit“ leidet die OAS deshalb nicht etwa an einem Organisationsdefizit, sondern vielmehr an einer Überentwicklung. Der Bogotá-Pakt taugte paradoxerweise nicht für die Praxis, weil er ein nahezu lückenloses System der friedlichen Stretbeilegung anbot. Sein Hauptmangel lag darin, daß die Streitentscheidung, nicht die einvernehmliche Beilegung, im Vordergrund standen. Mit anderen Worten; Im Gegensatz zu dem rigiden System des Bogotá-Paktes, das darauf angelegt war, einen vorgelegten Streitfall auch gegen den Willen einer Partei in einem obligatorischen bzw. judiziären Verfahren zu entscheiden, zogen die Mitgliedsstaaten der OAS formlose Verfahren vor, in denen sie volle Handlungsfreiheit behielten.85 Sie fürchteten supranationale Einmischung in von ihnen als vital eingestufte Fragen. Davon einmal abgesehen, wären die Mechanismen des BogotáPaktes vermutlich für das akute Krisenmanagement zu schwerfällig und bei kleineren Konflikten zu wuchtig gewesen. Wegen der großen Zahl von Nichtratifikanten war das ambitiöse Vertragswerk unwirksam und wurde auch in Konflikten zwischen den dreizehn Staaten, die ihn zum teil mit erheblichen Vorbehalten unterzeichnet und ratifiziert hatten, nicht in Anspruch genommen. Weil der Bogotá-Pakt versagte, kam ersatzweise das „Interamerikanische Beistandsabkommen“, der Río-Vertrag, zur Anwendung, obwohl er eigentlich primär als kollektiver Beistandspakt zur Abwehr extraregionaler Aggression konzipiert worden war. Ermöglicht wurde diese Zweckentfremdung durch Artikel 7 des Río-Vertrages, dessen Generalklausel zur friedlichen Konfliktlösung intraregionaler Konflikte summarisch alle jene bevorzugten nichtförmlichen Verfahren der einvernehmlichen Streitbeilegung des gescheiterten Bogotá-Paktes-Untersuchung, Gute Dienste, Vermittlung – zu subsumieren vermochte.86 Entsprechend konsensorientiert war das Vorgehen der OAS: Es fällt auf, daß in Berichten und Resolutionen sorgsam vermieden wurde, einen Mitgliedsstaat als für den Streitfall verantwortlich zu bezeichnen oder gar zu verurteilen. Das eigentlich im Río-Vertrag vorgesehene Instrumentarium zur _______________ 84 85 86 M. Margaret Ball: The OAS in transition, Durham 1969, 427 Kutzner, Organisation, 23 Rudolf Dolzer: „Enforcement of international obligations through regional arrangements: structures and experience of the OAS“, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 47 (1987), 113-133, 126 25 Bestimmung des Angreifers mit der Folge kollektiver Zwangsmaßnahmen wurde mithin selten angewandt.87 Damit wollte die OAS Desintegrationstendenzen uns insbesondere Austritten (z.B. zeitweilig Bolivien) vermeiden. Sanktionen wurden deshalb nur in fünf Fällen verhängt: gegen die Dominikanische Republik 1960 und gegen Kuba in den Jahren 1962, 1964 und 1967 und zuletzt das Embargo gegen Haitis illegales Regime nach dem Militärputsch im Jahr 1991.88 In der politischen Entscheidungsbildung waren solche Sanktionsbeschlüsse - obwohl formell solidarische Kollektivbeschlüsse der amerikanischen Staaten – stets mit einem zähen „line-up“ verbunden. Formal-juristisch zweifelhaft war überdies der Ausschluß Kubas aus der Staatenorganisation auf dem VIII. Konsultativtreffen der Außenminister der OAS im Jahr 1962. Da die OAS-Charta keine Handhabe bot, konstruierten die Außenminister einen Selbstausschuß der Regierung Kubas, nachdem das Castro-Regime sich freimütig das Etikett „MarxismusLeninismus“ angehängt hatte.89 Das strikt legalistisch argumentierende Mexiko beanstandete, daß die in der Folge verhängten Sanktionen der OAS gegen Kuba eigentlich einen Nicht-Mitgliedsstaat träfen.90 Die OAS zog aber vor ihrem Sitz in Washington weiterhin die kubanische Flagge auf und behalf sich mit der Fiktion des „leeren Stuhls“, wonach nur die gegenwärtige Regierung Kubas von der Teilnahme am interamerikanischen System suspendiert worden sei, während der Staat Kuba formal Mitglied blieb. Das änderte am Ausschluß des Staates Kuba de jure und de facto nichts.91 Bemerkenswert ist, daß die OAS-Mitgliedsstaaten in Konfliktfällen häufig nicht nur die eigentlich vorgesehenen Verfahren mieden, sondern auch die regulär zuständigen Organe. So agierte vor allem der Rat der OAS, eigentlich nur als vorläufiges Hilfsorgan, in Wahrnehmung der Kompetenzen des Außenministertreffens, das er ohne Datum einberief und welches nur in _______________ 87 88 89 90 91 Brandt, Interamerikanisches Friedenssystem, 391 ff. C. Lloyd Brown-John: „Economic sanctions: the case of the OAS and the Dominican Republic, 1960-1962“, in: Caribbean Studies 15 (1975), 73-105; Margaret P. Doxey: International sanctions in contemporary perspective, Basingstole 1987, 56-65. Edward A. Jamison: „Cuba and the inter-American system: exclusion of the Castro regime from the Organization of American States“, in: Americas 36 (1980), 317-346, 326; 336. F. V. García-Amador: La cuestión cubana en la OEA y la crisis del sistema interamericano, Coral Gables 1987, 36 ff. Denise Mathy: „Les mesures économiques américaines et de l’O.E.A. contre Cuba.“, in: Les moyens de pression économiques et le droit international, Bruxelles 1985 Brandt, Interamerikanisches Friedenssystem, 175. Kuba kündigte selbst den Río-Pakt einseitig auf und ist auch nicht Mitglied der Interamerikanischen Entwicklungsbank. 26 wenigen Fällen tatsächlich tagte.92 Die Entwicklung des Rates zum zentralen Streitschlichtungsorgan93 und zur wichtigsten politischen Entscheidungsinstanz der OAS94 wurde in der 1967 geänderten OAS-Charta juridifiziert. Seit dem Inkrafttreten der Charta-Reform im Jahr 1970 trägt er die Bezeichnung Ständiger Rat. Zwar wurde seine umfassende Zuständigkeit aus noch zu erörternden Gründen stark beschnitten, auf dem Gebiet der friedlichen Streitregelung wurde sie dagegen erweitert. Danach war er nicht mehr nur provisorisches Konsultationsorgan des Vertrages von Río, sondern konnte in eigener Zuständigkeit „über die Erhaltung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Mitgliedern wachen und zu diesem Zweck ihnen in wirksamer Weise bei der friedlichen Lösung ihrer Streitigkeiten helfen“.95 Damit wurde die Anwendung des Río-Paktes auf die Fälle beschränkt, für die er konzipiert worden war, d.h. schwerwiegende zwischenstaatliche Konflikte, bei denen kollektive Zwangsmaßnahmen notwendig erschienen. Interessant ist weiterhin, daß in vielen Sciherheitskrisen nicht der OASRat selbst tätig wurde, sondern die aus dem Zweiten Weltkrieg (1940) überkommenen Interamerikanischen Friedensausschuß (Inter-American Peace Committee, IAPC) mit der Tatsachenfeststellung und der Ausarbeitung von Vermittlungsvorschlägen beauftragte. Auch hier gilt: Sein Wert lag für die Streitparteien darin, daß er keine bindenden Entscheidungen traf und ihnen damit volle Handlungsfreiheit beließ. Der häufige (18 mal zwischen 1948 und 1964) und geräuschlose Einsatz dieses fünfköpfigen, in den OAS-Basisverträgen eigentlich nicht mehr vorgesehenen Gremiums war ein weiteres Element des höchst elastischen modus operandi unter dem Schirm des an sich zweckfremden Río-Vertrages. Der selbständige Sonderstatus des IPAC erweckte jedoch das Mißtrauen vieler Mitgliedsstaaten, so daß man ihm1951 ein Statut verordnete, wonach ihm die Möglichkeit zu eigener Initiative genommen wurde. Er durfte danach nur noch einverständlich auf Anforderung aller Konfliktparteien und unter Aufsicht des OAS-Rates tätig werden. Auch dem OAS-Generalsekretär erlaubten die souveränitätsbewußten lateinamerikansichen Staaten keine Initiativfunktion. Seine Zuständigkeiten waren konzipiert als die eines bloßen „chiefclerk“. Die aktive Rolle Dag Hammarskjölds als Generalsekretär der Vereinten Nationen, die zu einem _______________ 92 93 94 95 Alwyn V. Freeman: „The political powers of the OAS Council“, in: Law and politics in the world community: essays on Hans Kelsen’s pure theory and related problems in international law / George A. Lipsky (Hg.), Berkeley 1953, 252-278 Brandt, Interamerikanisches Friedenssystem, 508 Ann van Wynen Thomas; A. J. Thomas Jr.: The Organization of American States, Dallas 1963, 106. Der Rat ist in der institutionellen Hierarchie nur dritthöchstesOAS-Organ. Artikel 82 der revidierten OAS-Charta 27 wesentlichen Faktor der Friedenssicherung geworden war, gab das als negativ empfundene Gegenbild ab, an dem die OAS und übrigens auch die OAU die Stellung ihres Generalsekretärs ausrichteten. So blieben bis zu einer Änderung der OAS-Satzung im Protokoll von Cartagena (1985) die politischen Entfaltungs- und Einflußmöglichkeiten des OASS-Generalsekretärs vollkommen unbedeutend, da das ständige multi-nationale politische Organ der OAS, der Rat, eifersüchtig über seine Funktionen wachte. Der OAS gelang es so in der Nachkriegszeit, die Regierung Costa Ricas gegen die von Nicaragua ausgehende Invasion zu schützen (1955). Sie trug zur Beilegung des Grenzstreites zwischen Honduras und Nicaragua bei (1957-1961) und sie unterstützte die USA –erstmals inkonsequent in der Beachtung des Interventionsverbotes- bei der Ausschaltung des friedensgefährdenden Trujillo-Regimes in der Dominikanischen Republik (1960/61). Der erste wirkliche Krieg in der Region seit dem Chaco-Krieg (1932-35), mit dem sich die OAS zu befassen hatte, der Krieg zwischen El Salvador und Honduras (1969), konnte von der OAS nach nur hundert Stunden beendet werden, auch wenn es bis zu einem Friedensabkommen dann noch sechs Jahre dauern sollte. Bemerkenswert nun, daß dies der OAS von Teilen der Fachwissenschaft nicht einmal als Erfolg gutgeschrieben wurde, mit der Begründung, sie habe lediglich eine Konfliktberuhigung, nicht aber eine definitve Konfliktlösung herbeigeführt. Entsprechend urteilt eine Autorin zur Rolle der OAS im sog. „Fußballkrieg“: „It is my thesis that ´crisis management´ rather than pacific settlement of the actual disputes themselves, by default, became the main task of OAS pacific settlement mechanisms.“96 Hier liegt der springende Punkt bei der Messung des Leistungsoutputs einer internationalen Organisation. Es fehlt nämlich nicht selten bereits im Ansatz an einer Definition, welche Leistungen exakt bei welchen Funktionen- hier also auf dem Feld der internationalen Friedenssicherung – erwartet werden. Die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) ist ein Beispiel für die aus diesem Versäumnis resultierenden Mißverständnisse. So machten etliche Analysen eine negative Bilanz der regionalen Konfliktbewältigung in Afrika auf, ließen dabei außer acht, daß der vorrangige Organisationsauftrag der OAU eben nicht die kollektive Sicherheit der Region war, obwohl dies natürlich in ihrer Charta niedergelegt ist. In der Form einer versteckten Agenda war ihr vielmehr die Aufgabe der Herrschaftssicherung zugewiesen worden. Als Heilige Allianz des Status quo hatte sie territorial und demokratisch prekäre nationalstaatliche Herrschaftssysteme zu legitimieren und _______________ 96 Mary Jeanne Reid Martz: The Central American Soccer War: historical patterns and internal dynamics of OAS settlement procedures, Athens, Ga. 1978, 7 28 gegen allfällige Umstürze und Sezessionsbestrebungen zu schützen. Die innerafrikanischen Konflikte mußten zu diesem Zweck auch gegen interessierte, äußere Großmächte abgeschirmt werden. Häckel hat diesbezüglich die einzigartige und erfolgreiche politische Legitimationsleistung der OAU für die Konsolidierung der jungen afrikanischen Nationalstaaten herausgearbeitet.97 Dies berücksichtigend kommt Akinyemi zu einer realistischen Einschätzung des angeblichen Erfolgsdefizits der afrikanischen Regionalorganisation: „It is my contention that these(...) cannot be termed failures for the OAU does not claim to resolve conflicts (...). Rather than resolve conflicts, the OAU insulates them from non-African factors, and in doing so, ensures their resolution by sheer exhaustion – of either or both parties.“98 Die OAS, deren ausdrückliches Mandat die Friedenssicherung auf dem amerikanischen Kontinent ist, begnügte sich natürlich nicht damit, die Konfliktparteien ausbluten zu lassen. Der relative Erfolg der OAS in den oben angeführten, als „Kleinkriegen“ zu klassifizierenden Konflikten bestand tatsächlich in der Herbeiführung eines „pacific non-settlement“, d.h. einer Stillegung ohne Lösung der den Einzelkonflikten zugrundeliegenden Spannungen.99 Hierin war das Wirken der OAS demjenigen der Vereinten Nationen durchaus vergleichbar.100 Ein Autor weist auf die Bedingungen des Erfolges der OAS hin, die zunächst im damals vorherrschenden Konflikttyp zu suchen sind: „It seems clear that the OAS was an effective instrument of conflict management in the El Salvador- Honduras conflict. Yet, the conflict was precisely the type that it had successfully been able to resolve in the past – a conflict between two small and weak Central American nations arising over a purely local question.“101 Auch die Auseinandersetzungen zwischen Militärdiktaturen und demokratischen Reformregierungen, um deren Beilegung sich die OAS gleich nach ihrer Gründung mit Erfolg bemühte, glichen trotz der ideologischen _______________ 97 98 99 100 101 Erwin Häckel: „Die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU): Legitimationsfunktionen einer internationalen Organisation“, in: Internationales Afrikaforum 15 (1979), 151166 A. B. Akinyemi: „Africa – challenges and responses: a foreign policy perspective“, in: Daedalus 3 (1982) 3, 243-254, 251 Dies waren im Falle des „Fußballkrieges“ u.a. Migrationsprobleme. Aida Luisa Lewin: The Organization of American States and the United Nations: relations in the peace and security field, New York 1974, 73 L.T.G.: „A microcosmic view of the OAS: the Honduras – El Salvador conflict“, in: Virginia Law review 57 (1971), 291-314, 310 29 Prägung eher persönlichen Fehden der Staatschefs. Die Dimension der stark internationalisierten zentralamerikanischen Krise in den 80er Jahren stellte dann an die Konfliktlösungskapazität ungleich höhere Anforderungen, da nur mit einem „negativen Frieden“ keine Stabilität mehr zu erreichen war. Wie gesagt, war die Streitbeilegung der OAS bis Ende der 60er Jahre vor allem dort erfolgreich, wo Regierungen die Konfliktparteien bildeten und diese eindeutig gegen die von der OAS etablierte Nichtinterventionsnorm verstießen. Schwieriger war es, in den seit 1979 verschärften Antiregimebzw. Bürgerkriegen Zentralamerikas zu vermitteln, da nicht beide Konfliktparteien Organisationsmitglieder waren. Erschwerend kam hinzu, daß die zwischenstaatlichen Konflikte in der Subregion, für welche die OAS eigentlich zuständig gewesen wäre, mit der Einmischung der beiden Supermächte aus West und Ost durch Fremdkonflikte überlagert wurden. Dazu aber später. Zu der für die beiden Jahrzehnte nach ihrer Gründung recht günstigen Bilanz des OAS-Konfliktmanagements trug darüber hinaus das relativ geringe Maß an zwischenstaatlicher Gewalt in einer häufig wegen ihrer „Militarisierung nach innen“ als gewalttätig apostrophierten Weltregion bei, so der Befund von Grabendorff zu Ende der Jahre.102 Auch ein strikter traditioneller Legalismus hat in Lateinamerika zur Durchsetzung völkerrechtlicher Güteverfahren entscheidend beigetragen, so daß man von einem spezifisch lateinamerikanischen Konfliktverhalten sprechen kann.103 Die Mehrzahl der lateinamerikanischen Länder sind seit langem konsolidierte Nationalstaaten mit einer gemeinsamen kolonialen Vergangenheit und der Sprache und Kultur der Hispanität (hispanidad), von der sich die Idee der „naciones hermanos“ ableitet. Die territoriale bzw. die – in vielen Weltregionen zur Signatur der neuen Zeit gewordene – ethnonationale Konfliktdimension104 drohte deshalb kaum je die Konfliktregulierungsfähigkeit der OAS zu überfordern. Das ist nicht selbstverständlich, wie ein Vergleich der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) zeigt, die ja massiv mit Grenzkonflikten und Sezessionsbestrebungen konfrontiert war. _______________ 102 103 104 Wolf Grabendorff: „Gewalt und Außenpolitik: Zum Konfliktverhalten lateinamerikanischer Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg“, in: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 15 (1978), 397-424, 397 Waldemar Hummer: „Rechtsfragen in zwischenstaatlichen Krisen- und Konfliktslagen in Lateinamerika“, in: Zeitschrift für Lateinamerika (1980) 17, 37-65. Siehe auch: Francisco José Urrutia: La evolución del principio de arbitraje en América, Madrid 1920 Einen Überblick über potentielle und anhängige Konflikte geben: Stephen M. Gorman: „Present threats to peace in South America: the territorial dimensions of conflict“, in: InterAmerican Economic Affairs 33 (1979), 51-71; Jack Child: 30 Eine weitere Determinante für die Effektivität der interamerikanischen Friedenssicherung war schließlich die Existenz einer sanktionsfähigen Ordnungsmacht, d.h. das Engagement und das militärische Potential der insbesondere an der karibisch-zentralamerikanischen Region strategisch, ökonomisch und politisch interessierten Vereinigten Staaten. Das galt zunächst ganz vordergründig und konkret für die technisch-logistische Seite von OAS-Operationen, z.B. bei der Beendigung des Krieges zwischen El Salvador und Honduras: „In no small measure the effectiveness of the OAS as a peace-keeper results from US membership. United States resources play a key role in OAS peace and security activities, particulary field operations.“105 Das Funktionieren des gewaltbegrenzenden Sicherheitssystems der OAS war aber in einem weiteren Sinne garantiert, weil die Hegemonialmacht USA über ausreichende, nicht institutionalisierte Sanktionsmechnismen verfügte. Die Grenzen der OAS lagen nicht zufällig dort, wo die realen oder perzipierten Interessen der USA im überwölbenden Ost-West-Konflikt betroffen waren und sich intra-regionale Konflikte allianzabhängig mit extra-regionalen verschränkten.106 Dafür stehen als Beispiele die Konflikte des Hauptakteurs USA mit Guatemala 1954, Kuba 1961, Panama 1964 und der Dominikanischen Republik 1965. Die friedenswahrende Rolle der OAS war dann von erheblicher Schlagseite gekennzeichnet. So ist beispielsweise die von den USA geförderte „Schweinebucht“-Invasion Kubas (1961) von der OAS noch nicht einmal diskutiert worden. Beim Sturz der guatemaltekischen Arbenz-Regierung 1954 handelte die OAS als Regionalorganisation so rechtzeitig, um dem Eingreifen der Vereinten Nationen zuvorzukommen, aber auch dilatorisch genug, um den von den USA favorisierten Erfolg des Coups von Castillo Armas nicht noch zu gefährden.107 Der indirekte Eingriff der USA in der Dominikanischen Republik im Jahr 1965 ist von der Entsendung einer OAS-Friedenstruppe beantwortet worden, deren Funktion letztlich die Rettung des autoritären Regimes war. Im Gegensatz dazu hat sich die OAS schneller Befassung und Verurteilung aggressiver Akte Kubas befleißigt. Mark Zacher stellt hierzu fest: „In such cases of aggression against a communist state, most of the OAS members wanted the collective security system to fail.“108 _______________ 105 106 107 108 Levin, Organization, 33 Jean-Paul Hubert: „L´Organisation des Etats Américaines“, in: Revue Francaise de Science Politique 21 (1971) , 339-361, 360 f. Slater, OAS and United States, 122 f. Mark W. Zacher: International conflicts and collective security, 1946-77: the United Nations, Organization of American States, Organization of African Unity, and Arab League, New York 1979, 108 31 Für die USA und die mit ihnen verbündeten sozialkonservativen Regime etwa in Brasilien oder Zentralamerika diente hier die OAS weniger der Friedens- als vielmehr der Herrschaftssicherung, wie sie als implizite Aufgabe der OAU vorstehend bereits ausgemacht wurde. Die am Ost-West-Gegensatz ausgerichtete Fremdbestimmung von Konflikten erklärt den janusköpfigen Doppelcharakter der OAS. Konzipiert als ein typisches System kollektiver Sicherheit fungiert die OAS seit ihrer Gründung mit mehr oder weniger Erfolg als ein Gewaltverzichts- bzw. Gewaltsanktionsregime, das Konflikte zwischen den Mitgliedsstaaten bearbeiten soll. Rasch kam jedoch die Rolle einer extrovertierten Allianz mit antikommunistischer Ausrichtung hinzu, der die Abwehr „sino-sowjetischer Aggression“, wie es damals hieß, nach außen wie nach innen aufgetragen wurde.109 Der letzte Aspekt verschärfte die Kompatibilitätsprobleme zwischen der vormals mit großer Autonomie agierenden OAS als Regionalorganisation und der übergeordneten, globalen Organisation der Vereinten Nationen. Zweifelhaft ist, ob die OAS jemals ein wirkliches militärisches Bündnissystem darstellte. Im Gegensatz zur NATO verfügt die OAS nicht über eigene Truppenkontingente und über integrierte Stäbe bzw. Kommandostrukturen in Friedenszeiten. Auch für den Fall einer von außerhalb der Hemisphäre kommenden Aggression wird kein institutioneller Rahmen bereitgehalten. Anders als beim Atlantik-Pakt gibt es im OAS-Río-PaktSystem auch keine automatische Bündnispflicht, wonach ein Angriff auf einen Vertragspartner als eine Angriffshandlung auf alle betrachtet wird und alle Beteiligten verpflichtet sind, dann sofort Beschlüsse zu fassen. Nach dem Río-Vertrag entscheidet jedes einzelne Mitgliedsland selbst über den Einsatz bewaffneter Gewalt.110 Trotz ihrer ursprünglichen Funktion auf dem Gebiet kollektiver Selbstverteidigung war die OAS kein militärisches Bündnis, sondern wurde lediglich mit konsultativen sicherheitspolitischen Funktionen ausgestattet. Sie war der symbolische multilaterale Deckel für die bilateralen Sicherheits- und Militärhilfeabkommen der USA mit den lateinamerikanischen Staaten, worauf Child in seiner maßgebenden Studie hingewiesen hat.111 _______________ 109 110 111 Helmut Rumpf: „Ideologische Homogenität in den Allianzen“, in: Außenpolitik 33 (1982), 147-158, 151 ff. Für Rumpf war die OAS das Beispiel eines modernen ideologischen Paktes. E. Vandevanter Jr.: A further inquiry into the nature of alliances: NATO and the OAS, Santa Monica 1968 John Child: Unequal alliance: the inter-American military system, 1938-1978, Boulder 1980, 236 32 Daß Funktionselemente eines militärischen Bündnissystems demnach eine atypische Seite der OAS darstellten, erklärt auch, weshalb für den Interamerikanischen Verteidigungsrat (Inter-American Defense Board) eine vollständige Integration in die OAS bisher nicht zu erreichen war. 1942 gegründet,112 wurde dem IADB nur die Stellung einer der OAS assoziierten Sonderagentur zugebilligt, die nicht ihr, sondern allein den Mitgliedsstaaten verantwortlich sein sollte. Die OAS bestimmte lediglich über das Budget des Verteidigungsrats. 113 Als eine Art Konsortium von Flaggoffizieren der Signatarstaaten des Río-Paktes war der Verteidigungsrat in der Vergangenheit ein Koordinationszentrum der militärischen Planung auf dem Gebiet der Rüstungsstandardisierung (besonders auf der Höhe des Korea-Krieges), der Ausbildung und später bei der sog. „Subversionsbekämpfung“. Die lateinamerikanischen Mitgliedsländer der OAS standen ganz überwiegend einer Funktionserweiterung der Staatenorganisation auf dem militärischen Sektor ablehnend gegenüber, wie die gescheiterten Versuche zur Institutionalisierung eines ständigen militärischen Hauptorgans der OAS und einer interamerikanischen Friedensstreitmacht erkennen lassen. Sie fürchteten den Einsatz eines NATO-ähnlichen Paktes gegen sie selbst, deshalb wurden derartige Vorstöße als „OTANización“ (Natoisierung) abgelehnt.114 Diese Haltung bestärkten die Erfahrungen der Dominikanischen Krise von 1965, als eine vorhergegangene unilaterale US-Intervention multilateral drapiert wurde. Die OAS realisierte nach dem fait accompli der US-Invasion in Santo Domingo, in zwei Lager gespalten, nur mühsam die Schaffung einer „Interamerikanischen Friedensstreitmacht“ (IAPF) durch ein Einkleckern von lateinamerikanischen Symbolkontingenten in die US-Besatzungsmacht.115 Solcher überzogene unilaterale Gebrauch der multilateralen Staatenorganisation erschöpfte zunehmend ihre Legitimationskapazität für die Politik _______________ 112 113 114 115 Third Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs of the American Republics, Rio de Janeiro 1942: „[Res.] XXXiX: Inter-American Defense Board“, in: The International Conferences of American States. Second supplement, 1942-1954: Treaties, conventions, declarations, recommendations, and resolutions […], Washington, D.C. 1958, 44 Inter-American Conference on Problems of War and Peace, México, D.F. 1945: „[Res.] IV: Creation of a permanent military agency“, ebd., 62 f.; Ninth International Conference of American States, Bogotá 1948: [Res.] VII: Budget of the Inter-American Defense Board“, ebd., 236; Charter of the Organization of American States, Art. 44-47 („Advisory Defense Committee“), ebd., 187; Fourth Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs, Washington, D.C. 1951: „Inter-American military cooperation“, ebd., 293-295 James R. Jose: An inter-American peace force within the framework of the Organization of American States: advantages, impediments, implications, Metuchen 1970, 110 V. Shiv Kumar: US interventionism in Latin America: Dominican crisis and the OAS, London 1987, 49 ff.; Gordon Connell-Smith: „The OAS and the Dominican crisis“, in: Joseph S. Nye Jr. (Hg.): International regionalism: readings, Boston 1968, 97-105 33 der USA, indem die Legitimität der OAS bei der Mehrheit ihrer Mitglieder entwertet wurde. Slater beschreibt die Risiken einer solchen opportunistischen Strategie des mächtigsten Mitglieds: „The capacity of an international organization to legitimate national policies may very widely from case to case, function to function. Since its legitimacy depends on its being perceived as a repository of the general will, its capacity to bestow collective legitimization is inversely related to the degree to which the organization is used by member states to implement their traditionally defined national interests rather than to seek consensus(...). The organization may not so much legitimize the policy as the policy delegitimize the Organization.“116 In dem Maße, in dem sich die lateinamerikanischen Außenbeziehungen diversifizierten und sich in einem grundlegenden Strukturwandel damit zugleich das interamerikanische System“ entvertikalisierte“117 wurde die „hegemoniale Anmaßung“118 und die „pre-emptory authority“119 der Vereinigten Staaten immer offener zurückgewiesen. Der relative Positionsverlust der USA, parallel zur Nivellierung der Handelsdominanz120 dieses bisher nahezu alles bestimmenden externen Akteurs, der sich zwar nicht in der gesamten Region, aber doch in Südamerika zeigte, wird von Juan Puig mit einem Beispiel illustriert: „The sterile, last-minute telephone call from President Reagan to General Galtieri of Argentina on the occasion of the 1982 Argentine recovery of the Malvinas islands vividly demonstrates this decline in US ability to deter or control conflict.“121 _______________ 116 117 118 119 120 121 Jerome Slater: „The limits of legitimization in international organizations: the Organization of American States and the Dominican crisis“, in: International Organization 23 (1969), 48-72, 72 Abraham F. Lowenthal: „Strukturwandel in den interamerikanischen Beziehungen“, in: Europa-Archiv 35 (1980), 509-516; Klaus Eßer: „Neue Elemente in den Außenbeziehungen der Staaten Lateinamerikas“, in: Europa-Archiv 25 (1970), 691-702, 697 Abraham F. Lowenthal: „The United States and Latin America: ending the hegemonic presumption“, in: Foreign Affairs 55 (1976), 199-213 Michael A. Morris; Victor Millán: „Introduction“, in: Dies. (Hg.): Controlling Latin American conflicts: ten approaches, Boulder 1983, 2 Dieter Oberndörfer: „Die Lateinamerikapolitik der USA: Bilanz und neuere Entwicklung“, in: Jahrbuch für Amerikastudien 18 (1973), 24-61, 30 ff. Oberndörfer wies ebenso auf die Kehrseite der Medaille hin, nämlich den sinkenden Stellenwert Lateinamerikas im Interessenhorizont der USA. Juan Carlos Puig: „Controlling Latin American conflicts: current juridical trends and perspectives for the future“, in: Michael A. Morris; Victor Millán (Hg.): Controlling Latin American conflicts: ten approaches, Boulder 1983, 24. 34 Das betraf insbesondere die traditionellen Steuerungs- und Einflußmöglichkeiten der Vereinigten Staaten, mit Hilfe von Waffenlieferungen das Konfliktpotential und die Drohkapazität einzelner lateinamerikanischer Staaten zu begrenzen oder gegeneinander auszubalancieren.122 Vor allem südamerikanische Großstaaten entzogen sich dem Einfluß der USA durch den Einkauf militärischer Spitzentechnologie auf dem Weltwaffenmarkt und durch den Aufbau eigener Rüstungsindustrien. Argentinien führte hochmodernes Kriegsgerät 1982 im Südatlantikkrieg vor. Brasilien, ein Land mit mittlerer Technologiereife, ist zugleich ein Beispiel für das große Potential an horizontaler Rüstungsproliferation. Es war Mitte der 80er Jahre nicht nur der größte Waffenexporteur Lateinamerikas, sondern ebenso der gesamten Dritten Welt, bevor u.a. die Schließung des irakischen Marktes einen herben Rückschlag bedeutete.123 Vor dem Hintergrund dieser Rüstungsautonomie ist die abrupte Kündigung von Militärhilfeabkommen zu verstehen, mit der eine ganze Reihe von Militärregimen auf die Menschenrechtspolitik der Carter-Adminstration reagierte. Die USA verloren damit gerade dort an Einfluß, wo ihre Autorität traditionell am höchsten war, nämlich bei den militärischen Eliten Lateinamerikas. Die Dreistigkeit, mit der in jüngster Zeit die Militärmachthaber so „schwacher“ Staaten wie Panama und Haiti den Pressionen der USA getrotzt haben, belegen diese Entwicklung. Zusammenfassend: Das bilaterale Einflußpotential der USA als Ordnungsmacht hatte in Verbindung mit der legalistischen Tradition des Subkontinents und der elastischen, informellen Streitbeilegungspraxis der OAS bis in die 70er Jahre hinein konfliktreduzierend gewirkt. In der Folge versagten die Konfliktregulierungskapazitäten der OAS in den Ereignissen, die mit der Metapher „Mars moves South“ beschrieben wurden. Beispiele für die neuerliche Konfliktgeneigtheit des Subkontinents waren die militärischen Kollisionen zwischen Peru und Ecuador 1981 und 1983.124 Gleichzeitig nahm der Rekurs auf die Konfliktschlichtungsprozeduren der OAS stark ab. So stand 1984 bei der Territorialregelung des argentinisch-chilenischen Jahrhundertstreites um den Beagle-Kanal, der 1978 noch beinahe zum Krieg _______________ 122 123 124 Gabriel Marcella: „Las relaciones militares entre los Estados Unidos y América Latina: crisis e interrogantes futuras“, in: Estudios Internacionales 13 (1980) 51, 382-400, 395 Nikolaus Werz: „Militär und Rüstungstendenzen in Lateinamerika“, in: Beiträge zur Konfliktforschung 16 (1986), 69-86, 78 f. Jack Child: Geopolitics and conflict in South America: quarrels among neighbors, New York 1985, 92 ff. 35 eskaliert wäre, die mondiale Friedensautorität des Papstes und die bilaterale Kompromißbereitschaft Pate, nicht aber die Vermittlung der OAS.125 Dennoch sah sich die OAS als stiller Teilhaber des Erfolges: „ There is a theory in vogue among OAS delegates and secretariat staff members that the sheer existence of the organization´s settlement machinery deters disputes and thus the efficacy of the mechanism is not necessarily measured by the use thereof.“126 Morris und Millán urteilten hierzu im Jahr 1983 apodiktisch: „… the organization generally has failed to constrain the expansion of conflicts or to limit them in recent years.“127 Einen tieferen Einschnitt für das kollektive Sicherheits- und Beistandssystem der OAS bedeutete der Falkland-Krieg. In diesem ersten wirklichen Konflikt mit einer außerhemisphärischen Macht erwies sich der Rió-Pakt als gänzlich unwirksam. 2.2 Agonie des interamerikanischen Verteidigungspaktes (Río-Vertrag) Als Folge des unerklärten Falkland/Malwinen-Krieges zwischen Argentinien und Großbritannien im Jahr 1982 erwarteten viele Kommentatoren ein baldiges Ende der OAS. In der Tat wurde im Juli 1982 u.a. vom mexikanischen Staatspräsidenten de la Madrid und vom einflußreichen venezolanischen Ex-Präsidenten Pérez die Forderung nach einer alternativen „OEA sin Estados Unidos“ und nach einem eigenen lateinamerikanischen Verteidigungspakt erhoben.128 Costa Rica schlug vor, die OAS aus Washington abzuziehen und bot sich selbst als Sitzstaat an.129 Dabei handelte es sich, wie Arthur Whitakers klassische Arbeit nachweist, um Ideen, die regelmäßig dann wiederkehren, wenn das bestehende interamerikanische System durch die Interessen der USA einseitig überbeansprucht wird.130 Die postulierte Umgründung der OAS in eine _______________ 125 126 127 128 129 130 Der Erfolg des vatikanischen Schlichters erinnerte an die fast 500 Jahre zuvor mit päpstlicher Autorität herbeigeführte Aufteilung der Interessensphären der iberischen Staaten, aus der 1494 mit dem Vertrag von Tordesillas die erste Grenzziehung in Lateinamerika resultierte. Mary Jeanne Reid Martz: „OAS reforms and the future of pacific settlement“, in: Latin American Research Review 12 (1977), 176-186, 183 Morris; Millán, Controlling Latin American conflicts, 1 Carlos J. Moneta: „El conflicto de Malvinas: algunas consideraciones sobresus efectos en el marco regional e internacional“, in: Nueva Sociedad (1982) 62, 25-41, 36; Viron P. Vaky: „Inter-American security; lessons from the South Atlantic“, in. Worldview 26 (1983) 1, 17-20, 18 Francisco Orrego Vicuña: „La crisisisl Atlántico Sur y su influencia en el sistema regional“, in: Estudios Internacionales 15 (1982) 60, 473-498, 494 Arthur P. Whitaker: The Western Hemisphere idea: its rise and decline, Ithaca ²1965 36 alternative lateinamerikanisches „OLAS“ behielt auch 1982 ihren rhetorischen Charakter. Dennoch trugen Krise und Krieg im Südatlantik dazu bei, daß sich erneut eine lateinamerikanische Solidaritätsfront profilierte, wie sie sich schon 1979 abgezeichnet hatte, als der Vorschlag der Vereinigten Staaten, den Bürgerkrieg in Nicaragua durch die Entsendung einer interamerikanischen Friedenstruppe zu beenden, auf die geschlossene Ablehnung der lateinamerikanischen Staaten in der OAS gestoßen war. Insofern kam die Krise um die Falklands/Malwinen nicht als Ursache für die Agonie der OAS in den darauf folgenden Jahren ausgemacht werden: „Whether it accelerated longexisting trends related to the continuing decline of Pan-Americanism and further erosion of U.S. hemispheric hegemony.“131 Nicht die OAS, sondern der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen war mit dem Falkland-Konflikt in erster Instanz befaßt. Als seine Resolution 502 vom 3. April 1982 den sofortigen Abzug aller argentinischen Streitkräfte von den Inseln forderte132 und eine Unterstützung der britischen Position durch die Europäische Gemeinschaft zu erwarten sind, richteten sich die Hoffnungen des argentinischen Militärregimes auf den Ständigen Rat der OAS, der auf ihren Antrag hin unter den Bestimmungen der OAS-Charta zusammentrat. Da entsprechend den Statuten alle der damals 29 Mitgliedsländer vertreten waren, konnten die Außenminister der englischsprachigen Staaten, neben den USA also auch die in der karibischen Gemeinschaft CARICOM zusammengefaßten Neumitglieder der OAS, einen mäßigenden Einfluß auf die ausgegebene „Resolution of concern“ des OAS-Rates vom 13. April 1982 ausüben.133 Dies trug den „anglófonos“ seitens Argentiniens den Vorwurf ein, sie handelten als Agenten einer „außereuropäischen Kolonialmacht“, was nur der schrillste Ausdruck eines verbreiteten Mißtrauens der hispanoamerikanischen Staaten gegenüber den mit Europa immer noch eng verbundenen CARICOM-Staaten war. Diese maßgeblich auch auf kulturelle Unterschiede zurückzuführende Kluft, welche die OAS durchzieht, wird später noch aus_______________ 131 132 133 G. Pope Atkins: Diplomacy in the South Atlantic crisis“, in: Latin America and Caribbean contemporary record, Volume II, 1982-1983 / Jack W. Hopkins (Hg.), New York 1984, 2233., 32 United Nations, Security Council: „Resolution 502 (1982) of 3 April 1982“, in: Resolutions and decisions of the Security Council 1982, New York: United Nations, 1983 (Security Council Official Records, 37th year, S/INF/38), 15 Permanent Council: „CP/RES. 359 (490/82): The situation obtaining between the Republic of Argentina and the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland in relation to the Malvinas (Falkland) Islands, OEA/Ser.G, CP/RES. 359 (490/82), 13.04.1982 37 führlich erörtert werden.134 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle zunächst einmal, daß die Krise eine Polarisierung der Mitgliedschaft der OAS in einen „mindo hispano“ und einen „mundo anglo-sajón“ zutage treten ließ. Argentinien wechselte, um eine günstigere Entscheidung herbeizuführen, daraufhin das Forum innerhalb der OAS. Es rief den Río-Pakt (TIAR im spanischen Kürzel) an. Dabei suchte es nicht gezielt militärischen Beistand, sondern irgendeine Form sichtbarer Unterstützung.135 Gegen die entschiedene Opposition der Vereinigten Staaten und gegen die Bedenken Chiles und Kolumbiens trat das XX. Konsultativtreffen der OAS-Außenminister unter den Bestimmungen des Beistandspaktes von Río zusammen. Damit blieben acht der neun CARICOM-Staaten vor der Türe dieses Gremiums, da von ihnen allein Trinidad und Tobago zu den 21 Signatarstaaten des RíoVertrages gehörte, Die OAS-Außenminister drängten, während die britische Streitmacht bereits vorrückte, in ihrer Resolution vom 28. April 1982 auf einen sofortigen Waffenstillstand, forderten die Anerkennung der Souveränität der Republik Argentinien über die Malwinas (Falkland-Inseln) und der Interessen der Inselbewohner“ und verlangten „Verhandlungen zur friedlichen Beilegung des Konflikts“.136 Es ist bezeichnend, daß trotz der emotionalen Solidarisierung Lateinamerikas mit der Position Argentiniens, das vom Angreifer zum Angegriffenen geworden war, es der Militärjunta in Buenos Aires in keiner Weise gelang, eine der nach dem Río-Vertrag möglichen, bis hin zu kollektiven militärischen Maßnahmen reichenden Sanktionen gegen Großbritannien zu erwirken, die eine Zweidrittelmehrheit erfordert hätten. Nicht einmal den Abzug der britischen Kriegsflotte im Südatlantik verlangten die Außenminister, wohingegen sie Argentinien zur Mäßigung mahnten.137 Die Vereinigten Staaten, die auf eigene Vermittlungsbemühungen im bilateralen Rahmen setzten und denen die Behandlung der Krise durch den OAS-Multilateralismus ungelegen kam, versagten der Resolution ihre Unterstützung, ebenso Kolumbien und Trinidad und Tobago. Andere OASMitglieder von Gewicht, wie Brasilien und Mexiko, bezweifelten, daß der _______________ 134 135 136 137 Barbara Crossette: „In the O.A.S., cultural rift“, in: New York Times, 16.04.1982, A11 Tomás Mestre Vives: El sistema interamericano y la guerra de las Malvinas: Su mutuo impacto, Madrid 1984, 16 Ministers of Foreign Affairs, XX,. Meeting of Consultation: „Declararation by the foreign ministers of the Americas upon initiating the opening session of the Twentieth Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs“, OEA/Ser.F/II.20, Doc.14/82, 26.04.1982; „Resolution I: Serious situation in the South Atlantic“, OEA/Ser.F/II.20, Doc.28/82 rev.3 corr.1, 28.04.1982 Gordon Connell-Smith: „The OAS and the Falkland conflict“, in: The World Today 38 (1982), 340-347, 345 38 Río-Pakt überhaupt zuständig sei.138 Sie favorisierten die Konfliktlösung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Damit bestritten nicht zum ersten Mal Mitgliedsländer der OAS das von ihr beanspruchte Erstbefassungsrecht, welches dem Regionalsystem anfänglich zu weitgehender Autonomie im Verhältnis zur Universalorganisation der Vereinten Nationen verholfen hatte. Blickt man auf die Staatenpraxis in Afrika, so hielt man sich dort fast durchweg an die Priorität der regionalen Streitbeilegung nach der Maxime „try Oau first“.139 Lateinamerikanische Staaten richteten sich, wie zuletzt das sandinistische Nicaragua, aus Sorge über die Dominanz der USA zunehmend an die Vereinten Nationen. Ausdrücklich verankerten sie deshalb bereits 1975 durch das Zusatzprotokoll von San José im Río-Vertrag das Recht der Mitgliedsstaaten, den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen direkt einzuschalten.140 Für das Verhalten der Länder Lateinamerikas waren in erster Linie Rivalität oder Freundschaft zu Argentinien, Kontinuität der wirtschaftlichen Beziehungen zu Westeuropa und den USA und die Frage, ob sie selbst in ähnliche Territorialstreitigkeiten verwickelt waren, bestimmend. Unter der Oberfläche gesamtlateinamerikanischer Solidaritätsbekundungen mit Argentinien und seinem Souveränitätsanspruch über die Malwinen kamen komplexe zwischenstaatliche Rivalitäten zum Vorschein, die dem scheinbaren „Block“ insgesamt wenig mehr als Lippenbekenntnisse und symbolische Gesten zugunsten der argentinischen Position erlaubten. Der Konflikt um die Inselgruppe führte nicht erst zu den Friktionen innerhalb der lateinamerikanische Staatengruppe, sondern er rührte an bestehende ungelöste Territorialdispute auf dem Subkontinent, die mit ihm teilweise die kolonialgeschichtliche Wurzel gemein haben. Venezuela, Guatemala, Panama und Peru unterstützten nachdrücklich den argentinischen Territorialanspruch, da sie in vergleichbare Konflikte jeweils mit Guyana (vormals Britisch-Guiana), Belize (vormals Britisch-Honduras), den Vereinigten Staaten und Chile verstrickt waren. Als zusätzliches Motiv spielte im Falle Venezuelas noch hinein, daß das Land im Begriff war, sich von der Haltung der Vereinigten Staaten zu der zentralamerikanischen Krisenregion abzusetzen und seine Distanz in jenem Augenblick demonstrieren konnte, als die USA von einer vermittelnden „hemisphärischen“ zu einer „Nord_______________ 138 139 140 Alejandro Magnet: „La OEA a la hora de la verdad“, in: Hoy (1982) 251, 48-49 Victor Eno-obong Archibong: The Organization of American States and the Organization of African Unity on issues of peace and security: comparative analysis of selected disputes, Lawrence, Univ. of Kansas, Ph.D. Dissertation, 1987. Artikel 11 des Protocol of Amendment to the Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance (Rio Treaty), July 1975, enthalten in: OEA/Ser.A/1.Add. (SEPF) = Serie sobre tratados; 46 39 Position“ an der Seite des nordatlantischen Verbündeten Großbritannien wechselten. Brasilien unterstützte die argentinische Position zwar, dies aber eher halbherzig. Beide Länder trennte historisch ihre traditionelle Rivalität, doch wollte Brasilien die seit 1979 von beiden Ländern gesuchte Wiederannäherung nicht belasten. Die nationalen Interessen transzendierten während der Falklandkrise sogar ideologische Trennlinien: Demokratische Regierungen wie Venezuela, Peru, Ecuador, Costa Rica und die Dominikanische Republik unterstützten das autoritäre Militärregime in Buenos Aires ebenso wie die „radikalen“ Regime Nicaraguas, Grenadas und Kubas (von außerhalb der OAS), die sich aus ideologischen Gründen („antiimperialistische Solidarität“) dazu aufgerufen glaubten und mit einer Demonstration hemisphärischer Solidarität gleichzeitig aus ihrer isolierten Stellung in der OAS auszubrechen versuchten.141 Die Eigeninteressen der lateinamerikanischen Minderheit, die sich bei den entscheidenden Abstimmungen in der OAS ihrer Stimme enthielt, lassen sich ebenfalls benennen: Kolumbien hatte Territorialkonflikte mit Venezuela und Chile solche mit Peru, Bolivien und Argentinien. Wie Großbritannien übten sie die Kontrolle über das umstrittene Gebiet aus und fürchteten eine Präzedenzwirkung, wäre Argentinien erfolgreich gewesen. Chile war insbesondere besorgt, daß Argentinien daraufhin ein weiteres militärisches Abenteuer im Konflikt um den Beagle-Kanal hätte suchen können.142 So ist festzuhalten, daß der Falkland-Konflikt außerhalb der OAS eine Fragmentierung der lateinamerikanischen Staatengruppe bloßlegte, in der einige Beobachter bereits die Gefahr einer „Balkanisierung“ zu erkennen glaubten, die aber, wie sich zeigen sollte, letztlich bewirkte, daß intraregionale Kooperationsanstrengungen verstärkt wurden.143 Erst als die USA in diesem Konflikt Partei nahmen und damit auch aus der Warte der Völkerrechtswissenschaft eindeutig die Bestimmungen (insbesondere Artikel 3) des Río-Vertrages mißachteten144, sahen sich „die“ Lateinamerikaner, die eine „Einheit“ nur im Verhältnis zu den Vereinigten _______________ 141 142 143 144 Atkins, Diplomacy in the South Atlantic crisis, 30 f., Annegret Haffa; Nikolaus Werz: „Falkland-Konflikt und interamerikanische Beziehungen“, in: Außenpolitik 4 (1983), 182198, 188 f.; Srilal Perera: „The OAS and the inter-American System: History, law, and diplomacy“, in: The Falklands War: Lessons for strategy, diplomacy, and international law / Alberto R. Coll; Anthony C. Arend (Hg.), Boston 1985, 132-155, 143 ff. Atkins, Diplomacy in the South Atlantic crisis, 30 Heraldo Muñoz: „Efectos y lecciones del conflicto de los Malvinas“, in: Estudios Internacionales 15 (1982) 60, 499-512, 511 Tina A. Lamoreaux: „United States obligations under the OAS Charter and the Rio Treaty: an analysis of the Falkland Island crisis“, in: California Western International Law Journal 13 (1983) 3, 493-518, 513 ff. 40 Staaten darstellten, zu einer Solidarisierung gezwungen, für die sich die OAS als Bühne anbot. Die rasche Abkehr der USA von ihrer anfänglichen Vermittlerrolle mit der Pendeldiplomatie ihres Außenministers Haig und das Einschwenken auf die Seite des engsten NATO-Verbündeten trug den Vereinigten Staaten von ihren südlichen Nachbarn den Vorwurf ein, den interamerikanischen Beistandspakt aufgekündigt zu haben. Mit Argentinien fühlten sie sich zu Verbündeten „zweiter Klasse“ degradiert. Der Außenminister Nicaraguas drückte dies aus, indem er der Reagan-Administration unterstellte: „“As far as they´re concerned, America is the United States. Latin American countries are merely tools of their policies and interests and objectives.“145 Noch nie zuvor hatte die OAS eine derart von Emotion und Frustration geprägte Debatte erlebt, wie jene Dringlichkeitssitzung der Außenminister am 27. Mai 1982, in der ein Redner nach dem anderen Großbritannien und die USA attackierte. Nach 17 Stunden wurde mit 17 Stimmen bei 4 Enthaltungen146 eine Resolution verabschiedet, die allerdings den vollständigen Bruch mit den USA vermied: Ausdrücklich verurteilt wurde die britische „Aggression“, nicht aber deren materielle und logistische Unterstützung durch die USA. Die USA, darin bestand die Nuance, wurden lediglich aufgefordert, diese Hilfe für Großbritannien und ihre Strafmaßnahmen gegen Argentinien einzustellen.147 Die von ihnen als „Betrug“ empfundene Parteinahme der USA ließ die politischen Eliten Lateinamerikas Alternativen zum Río-Pakt bis hin zu einer Neutralitätslösung diskutieren.148 Der Río-Vertrag, der aus dem OstWest-Gegensatz heraus entstanden war, erwies seine Hinfälligkeit gerade angesichts dieses ersten Krieges zwischen Nord und Süd in seinem Vertragsbereich. In der Einleitung zur vorliegenden Arbeit war die Rede davon, daß der Río-Pakt mit seiner politisch-militärischen Doppelformel ein Vorbild für die NATO war. Damit enden aber schon die Gemeinsamkeiten, auch wenn die NATO vor ihrer Bewährung angesichts weltweiter Interessen der USA (und Großbritanniens) ebenso als ein vergleichsweise bescheidener Regionalpakt _______________ 145 146 147 148 Bernard Wein[t]raub: „Argentine assails U.S. at O.A.S. talks“, in: New York Times, 28.05.1982, A1; A8, Zitat hier A8 USA, Chile, Kolumbien, Trinidad und Tobago – mithin dieselbe Konstellation wie bei der Abstimmung über die Resolution I. Ministers of Foreign Affairs, XX. Meeting of Consultation: „Resolution II“, OEA/Ser.F/II.20, Doc.80/82 rev.2 corr.1, 29.05.1982. Siehe auch Robert Reinhold: „U.S. is set back as O.A.S. sides with Argentina“, in: New York Times, 30.05.1982, sec. 1, 16 So z.B. der ehemalige bolivianische Präsident Walter Guevara Arce: „El TIAR a la luz del conflicto de las Malvinas“, in: Nueva Sociedad (1982) 62, 43-56, 43 41 begann. Der Río-Pakt erlebte jedoch mit anderen Bündnissystemen aus der Zeit der Containment-Politik eine fortschreitende Desintegration. Er ist zwar bisher nicht wie die SEATO (1972) oder der CENTO-Pakt (1979) aufgelöst worden, aber wie der ANZUS-Pakt besteht er nur formell fort. Sollte die Reagan-Administration ursprünglich geplant haben, mit seiner Hilfe ihre Vorstellungen in Zentralamerika durchzusetzen, so stand dieses Instrument nicht mehr zur Verfügung . Die für antikommunistische Sanktionen (wie diejenigen von 1962 und 1964) erforderliche Unterstützung einer Zweidrittelmehrheit war fortan sehr wahrscheinlich unerreichbar. Eine wesentliche Folge der Krise im Südatlantik war es, daß der bereits brüchige Río-Vertrag seine Funktion als eine ursprünglich tragende Säule in der Konstruktion der OAS verlor, und weil funktional nicht mehr adäquat, seither politisch als „tot“ gelten muß. Seit 1947/48 haben sich in der Praxis die beiden Schlüsseldokumente des Gründungskonsenses der OAS, RíoVertrag und OAS-Charta, ständig auseinanderentwickelt, so daß Díaz mit Recht sogar auf eine das interamerikanische System kennzeichnenden „dicotomía OEA-TIAR“ hinweisen konnte.149 Während immer mehr Staaten der OAS beitraten, d.h. ihre Charta ratifizierten, wurde die – rechtlich allerdings umstrittene – obligatorische Bindung der OAS-Mitgliedschaft an einen Beitritt zum Río-Pakt150 mißachtet. Der letzte Signatarstaat war Trinidad und Tobago anläßlich seines OAS-Beitritts im Jahr 1967 gewesen. Seither versagte sich das gute Dutzend Neumitglieder – zuletzt Kanada bei seinem Beitritt im Jahr 1990 – einer vertraglichen Bindung an dieses Beistandsinstrument der OAS. Auch der Lateinamerikaspezialist Howard Wiarda hob aus der Sicht der Vereinigten Staaten bei seiner Schadensbilanz vor allem auf die nachhaltigen Folgen des Falkland-Krieges für die sicherheitspolitische Funktion der OAS ab: „The Rio Treaty, which we long nurtured as a bulwark against Communist expansion, is all but defunct; the OAS has become an anti-American forum; the whole range of inter-American agencies built up over decades is threatened; the dream of an inter-American peace force is unlikely now to be _______________ 149 150 Luis Miguel Díaz: „El sistema interamericano entre el unilateralismo y la inoperancia“, in: Contemporary issues in international law / Thomas Buergenthal (Hg.), Kehl 1984, 407426, 420 Inter-American Juridical Committee: Standards for the admission of new members to the Organization of American States: draft opinionand comments, Washington, D.C.: Pan American Union, 1964, OEA/Ser. I/VI.2, CIJ-71 42 resuscitated; the old American hope of someday linking NATO with the hemispheric alliance is now also gone“151 Eine solche „alarmistische“ Bewertung der Folgen des Südatlantikkonflikts für die Funktion und die Integrationskraft der OAS muß relativiert werden: Die interamerikanischen Beziehungen als solche waren zwar stark belastet worden und wurden 1983 durch die Grenada-Invasion erneut beschädigt. Trotz aller Rhetorik der Entfremdung wurde die Existenz der OAS von der lateinamerikanischen Staatengruppe unmittelbar nicht in Frage gestellt. Dazu kalkulierten die lateinamerikanischen Staaten ihr bilaterales Verhältnis zu Washington zu nüchtern.152 Vielmehr war ein sang- und klangloses Ende der OAS durch politische Nichtbeachtung und finanzielle Auszehrung (wie durch die dramatisch hohen Beitragsrückstände der USA und anderer Staaten seit Mitte der 80er Jahre) das wahrscheinliche Szenario – also ein Tod der Organisation „not with a bang, but with a whimper“, wie es im Englischen bildhaft umschrieben wird. So war auch zu erwarten, daß die sich selbst überlassene OAS ihre Funktionsverluste durch eine juristische Nabelschau, d.h. durch die Perfektionierung ihrer Vertragsgrundlagen komp0ensierte. Eine solche Ersatzaktivität waren u.a. die anhaltenden Bemühungen, dem niemals in Kraft gesetzten Bogotá-Pakt doch noch Leben einzuhauchen. Dies läßt vermuten, daß ihm Funktionen des obsoleten Río-Vertrages zugedacht werden. Fraglich ist aber, ob dieses hochverfeinerte Streitbeilegungsinstitut tauglicher ist als die informellen Verfahren, die sich bei dem Bemühen der OAS um Konfliktlösungen bewährt haben. Daß die OAS in der Krise um die Falkland-Inseln keine konstruktive Rolle gespielt hat und den Krieg im Südatlantik nicht abwenden konnte, hat sie gewiß auch mit den Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft gemein.153 Die offensichtliche Funktionsunfähigkeit des internationalen Krisenmanagements relativiert jedoch nicht den bleibenden Schaden, welcher der konfliktregulierenden Potenz der OAS als einem System kollektiver Sicherheit in der Falkland-Krise entstand. _______________ 151 152 153 Howard J. Wiarda, Statement: „The United States and Latin America in the aftermath of the Falklands/Malvinas crisis“, in: United States. Congress. House of Representatives. Committee on Foreign Affairs. Sub-committee on Inter-American Affairs: Latin America and the United States after the Falklands/Malvinas crisis. Hearings […]. 97th Cong., 2nd sess., July 20 and August 5, 1982, Washington, D.C. 1982, 26-42, 33 Alan Riding: „Surrender expected to bring better U.S.-Latin ties“, in: New York Times, 18.06.1982, A11 Dennis R. Gordon: „The paralysis of multilateral peacekeeping: international organizations and the Falkland/Malvinas war“, in: Peace and Change 12 (1987) ½, 51-63 43 Bezeichnenderweise erwogen die USA in der nächsten sicherheitspolitischen Krise (Grenada 1983) nicht einmal mehr die Einschaltung der OAS. Sie sichten statt dessen die Legitimation durch eine verläßlicher oder, wenn man so will, auch willfähriger als die OAS erscheinende subregionale Formation. In der andauernden Krise in Zentralamerika stützte sich die ReaganAdministration auf subregionale Verbündete oder griff zu verdeckten Aktionen, während die bedeutendste lateinamerikanische Initiative der ContadoraProzeß, ebenfalls außerhalb der OAS lanciert wurde. Dieser in den 60er und 70er Jahren noch nicht denkbare „selektive“ Multilateralismus soll deshalb hinsichtlich seiner Folgen für den „breiten“ regionalen Multilateralismus der OAS genauer in den Blick genommen werden. 2.3 „Selektive Multilateralisierung“ von kollektiver Sicherheit Die am 25. Oktober 1983 auf der Antilleninsel Grenade erfolgte Invasion durch eine multinationale Streitmacht unter Führung der USA unterlief das Nichtinterventionsregime der OAS und belastete nach dem Falkland-Krieg erneut das US-lateinamerikanische Verhältnis. An der Militäraktion beteiligten sich fünf Mitglieder der Organisation Ostkaribischer Staaten (OECS), zwei weitere Nachbarstaaten (Barbados, Jamaica) und die Vereinigten Staaten, die auf dem Höhepunkt der Operation 95 Prozent der Soldaten stellten.154 Der Anstrich multilateraler Legitimation war demnach ähnlich dünn wie bei der dominikanischen Intervention von 1965. Politisch entsprach die Aktion dem vorrangigen Ziel der Außenpolitik der USA, eine „Kubanisierung“ der Region zu verhindern. Die OAS wurde in keiner Weise konsultiert, obwohl sich die USA immerhin veranlaßt sahen zu behaupten, die Intervention sei konform mit den allgemeinen völkerrechtlichen Verhaltensstandards und im Einklang mit den Regeln des Interamerikanischen Systems gewesen. Unter den formalen Rechtfertigungsgründen (u.a. Rettungsaktion zum Schutz des Lebens amerikanischer Bürger), die nach ganz überwiegender Auffassung der Juristen nicht zu überzeugen vermochten155, findet sich deshalb auch der Rekurs auf Artikel 6 des Río-Vertrages. Danach haben die Vertragsstaaten das Recht, einzuschreiten, wenn die politische Unabhängigkeit eines amerikanischen Staates durch einen Umstand oder eine Situation beeinträchtigt ist, welche den Frieden in Amerika gefährden könnte. Selbst wenn diese Voraussetzung zugetroffen hätte, wäre die Intervention nur gedeckt gewesen, wenn die _______________ 154 155 Hermann Weber: „Die ´erbetene´Intervention : Die Landung auf Grenada, im Lichte es Völkerrechts“, in: Vereinte Nationen 31 (1983), 169-174, 169 Siehe Jon M. Karas; Jerald M. Goodman: „The United States action in Grenada: an exercise in realpolotik“, in: University of Miami Inter-American Law Review 16 (1984) 1, 53-108 44 Signatarstaaten in dem dafür vorgesehenen Verfahren solche Maßnahmen gebilligt hätten. Das war indes nicht der Fall gewesen; im übrigen hatte Grenada den Río-Pakt nicht ratifiziert.156 Die OAS war bis auf die formale Reverenz an den Río-Pakt beim Vorgehen der USA in Grenada eine ansonsten politisch vernachlässigbare Größe, da die OECS als Legitimationsbeschaffer herhielt. Die OECS war bis dahin als subregionale Gruppe innerhalb des Regionalverbandes der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM) vor allem als Instrument einer Pragmatischen Wirtschaftsintegration aufgefallen. Erst ihre Beteiligung an der Intervention machte auf ihren fast unbekannten Verteidigungs- und Sicherheitsausschuß und auf den Artikel 8 des OECS-Gründungsvertrages aufmerksam, der eine Beistandsleistung für den Fall einer äußeren bzw. einer Söldneraggression (mercenary aggression) vorsah.157 Dieser Artikel der OECS-Charta hatte die Grundlage für das OECS-Hilfeersuchen an den Drittstaat (!) USA gebildet. Die fast unbeteiligte Unterstützung der anglophonen karibischen Staaten für das Vorgehen der USA in Grenada erschwerte es der OAS, Klage über die Verletzung ihres geheiligten Interventionsverbotes zu führen. Sie mußte erkennen, daß ein Drittel ihrer Mitglieder zu den Interventionsstaaten zählte. Dies erklärt, weshalb die Reaktion in Lateinamerika wider Erwarten gemischter ausfiel als in anderen Teilen der Welt, von wo aus deutlicher Tadel an die Adresse der Vereinigten Staaten gerichtet wurde.158 Bei der Dringlichkeitssitzung des Ständigen Rates der OAS einen Tag nach dem Beginn des „quick strike“ verurteilte natürlich Grenada die Invasion in schrillem Ton.159 Von den 28 anwesenden Staatenvertretern kritisierten 15 teils in scharfer, teils in eher moderater Weise die USA.160 Neben Jamaika, Barbados und den OECS-Staaten schirmten vor allem die engen zentralamerikanischen Verbündeten (bemerkenswerte Ausnahme: Honduras) die USA gegen eine mögliche Tadelresolution ab. Eine solche kam nicht einmal zur Abstimmung. Unterstellt man, daß die OAS das für die Beurteilung der Situation in Grenada völkerrechtlich autorisierte Gremium war, so _______________ 156 157 158 159 160 Zur Unvereinbarkeit mit Art. 18 und 20 der OAS-Charta Scott Davidson: Grenada: a study in politics and the limits of international law. Aldershot 1987, 110-112 Treaty establishing the Organization of Eastern Caribbean States [done June 18, 1981], in: International Legal Materials 20 (1981) 5, 1166-1189 So auch von der britischen Premierministerin Thatcher. Die dramatische Ansprache der untergetauchten OAS-Botschafterin Grenadas, Dessima Williams, wurde von einem Tonband abgespielt. Consejo Permanente: „Acta de la sesión extraordinaria celebrada el 26 de octubre de 1983: consideración de la situación actual en Grenada“, OEA/Ser.G., CP/APTA 543/83, 26.10.1983. Siehe auch Howard Kurtz: “At OAS, Grenadan denounces U.S.; 15 members join condemnation“, Washingtopn Post, 27.10. 1983, A9 45 muß der Ausgang dieser Sitzung des Ständigen Rates als ein relativer diplomatischer Erfolg der Vereinigten Staaten gewertet werden. Zugunsten der USA verschob sich das Stimmungsbild sogar noch einmal auf dem Außenministertreffen anläßlich der OAS-Generalversammlung im November 1983: Nur sieben Staaten nahmen eine offen kritische Haltung ein, weitere zehn hielten sich bedeckt und immerhin zehn der Außenminister äußerten Verständnis für die Beweggründe der USA.161 Hardt kommt deswegen zu dem Schluß, bei allen Legitimierungsproblemen sei der „multilaterale Charakter“ der Grenada-Aktion für ihren politischen Erfolg (aus Sicht der USA) ausschlaggebend gewesen.162 Für die OAS war die Intervention in Grenada hingegen der schädliche Präzedenzfall eines „selektiven Multilateralismus“, dessen Folgen Jack Child resümiert: „The employment of a little-know security article in the virtually ignored Organization of Eastern Caribbean States suggested that a new and dangerous form of selective and narrow multilateralism was being used to by-pass the traditional broad multilateralism present in the OAS and the Rio Treaty.“163 IV. REAKTIONEN AUF DIE LEGITITIMITÄTS- UND STRUKTURKRISE DER OAS 1. Strukturreformansätze innerhalb der OAS Die lateinamerikanische Unzufriedenheit drängte bereits in den 60er Jahren auf eine Revision der OAS-Struktur164, die dann 1967 mit dem „Protokoll von Buenos Aires“165 eingeleitet wurde. Die Charta-Reform von 1967 _______________ 161 162 163 164 165 Ein Beobachter hielt sogar den Erfolg einer die USA unterstützenden Resolution für möglich, wäre sie eingebracht worden: Alfonso Chardy: „OAS result: U.S. gets more praise than blame for Grenada mission“, Miami Herald, 20.11.1983, 32A D. Brent Hardt: „Grenada reconsidered“, in: Fletcher Forum 11 (1987) 2, 277-308, 277; 306 Jack Child: „Present trends in the inte-American security system and the role of the Rio Treaty“, in: Anuario Jurídico Interamericano 1983. Washington 1984, 43-82, 59 Demetrio Boersner: Die Dritte Generalversammlung der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS). Bonn- Bad Godesberg 1973, 4 William Manger: „Reform of the OAS. The 1967 Buenos Aires Protocol of Amendment to the 1848 Charter of Bogotá: an appraisal“, in: Journal of InterAmerican Studies 10 (1968), 1-14; Walter Bäumer: „Ergänzungen für die Satzung der OAS“. in: Außenpolitik 19 (1968), 106-113 46 ist als ein Versuch der Mehrzahl der lateinamerikanischen Regierungen zu verstehen, die Funktionalität der Organisation für die eigenen Interessen zu erhöhen. Ziel der Änderungen war es, aus einer im wesentlichen auf „high politics“ und Sicherheit orientierten, durch den Kalten Krieg mitgeprägten Organisation einen institutionellen Rahmen für die Entwicklungsanstrengungen des Subkontinents zu machen.166 Dazu mußte auch die formale Organisationsstruktur der OAS den seit der Einleitung der Allianz für den Fortschritt enorm erweiterten Aktivitäten der Organisation auf ökonomischen und sozialen Gebieten angepaßt werden. Der Interamerikanische Wirtschafts- und Sozialrat (IA-ECOSOC / CIES), bis dahin ein Unterorgan des Rates (jetzt: „Ständiger Rat“), wurde zusammen mit dem Interamerikanischen Rat für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (IA-CESC/CIECC) als ein nunmehr direkt der neueingerichteten jährlichen Vollversammlung (bisher: Interamerikanische Konferenz, im fünfjährigen Turnus tagend!) verantwortliches Organ der OAS etabliert. Die Räte sollten je einmal jährlich auf Minister- und Expertenebene tagen. Seit der Charta-Revision gibt es somit drei völlig gleichgestellte funktionale Räte der OAS. Der reorganisierte IA-ECOSOC / CIES und sein schon 1963 eingerichtetes ständiges Exekutivkomitee (Interamerikanisches Komitee der Allianz für den Fortschritt / CIAP) implizierten eine Aufwertung der multilateralen Entscheidungsebene und einen Erweiterung der OAS im wirtschaftlichen und sozialen Aufgabenbereich. Die Allianz war jedoch praktisch bereits tot, als die revidierte Charta 1970 in Kraft trat.167 Schon 1973 beschloß die OAS mit der Schaffung eines Sonderausschusses zum Studium der Reform des Interamerikanischen Systems (im spanischen Akronym CEESI) eine abermalige Überprüfung ihrer Organisationsstruktur und ihrer vertraglichen Grundlagen. Der Ausschuß war nicht nur ein Unternehmen bürokratischer Nabelschau, sondern er arbeitete auch an der Formulierung des schwer definierbaren Begriffs der „kollektiven ökonomischen Sicherheit“ für einen erweiterten OAS-Zielkatalog. Ein paralleles, exklusiv lateinamerikanisches „institution building“ reflektiert jedoch die tendenziell negativen Erfahrungen, die die lateinamerikanischen Staaten seit der Gründung der OAS hinsichtlich der Bearbeitung ihrer Entwicklungsprobleme auf interamerikanischer Ebene gemacht haben. 1964 wurde vor der ersten UNCTAD-Konferenz (Comisión Especial de Coordinación Latinoamericana) gegründet, die der Nixon-Administration _______________ 166 167 Georges D. Landau: „Politische Auswirkungen der Reform des interamerikanischen Systems“, in: Europa-Archiv 30 (1975), 577-586 Landau, Politische Auswirkungen, 578 47 ein kollektives Beschwerdememorial vorlegte. Dieser „Konsens von Viña del Mar168“ konfrontierte die USA zum ersten Mal mit einer einheitlichen entwicklungspolitischen Position der lateinamerikanischen Staaten. Der Konsens von Viña del Mar nahm innerhalb der OAS als Sonderausschuß für Konsultation und Verhandlungen (Comisión Especial de Copnsulta y Negociación CECON) Gestalt an. Formal bildete CECON einen Unterausschuß des Wirtschafts- und Sozialrates der OAS (CIES) und wurde als ein ausschließlich für die Bearbeitung der Probleme und Konflikte auf der Interaktionsebene USA – Lateinamerika zuständiges Diskussionsforum in die Strukturen der OAS eingeschoben. Die Einrichtung von CECON stellte eine Zäsur in der traditionellen OAS-Diplomatie dar: „The United States, previously, had been treated as a member of the OAS round table, rather than a party to two-sided negotiations between it and the bloc“169. Eine derartige institutionelle Neuerung vermochte die Vereinigten Staaten jedoch nicht in den einseitigen Entscheidungsmustern ihrer außenhandelspolitischen Interessenverfolgung zu beeinflussen. Dies zeigten unmittelbar die als „ökonomische Aggression“ gegeißelte Verhängung einer zehnprozentigen Importsteuer 1971 und das die OPEC-Mitglieder Ecuador und Venezuela abstrafende US-Handelsgesetz von 1974. Vor dem Hintergrund wachsender Divergenz in den interamerikanischen Beziehungen machte sich die lateinamerikanische Staatengruppe daran, die vertraglichen Grundlagen der OAS responsibler für ihre Wirtschaftsinteressen zu gestalten. Dem Hauptanliegen der USA, nämlich „Sicherheit“, setzten sie ihr vorrangiges Ziel „Wirtschaftliche Entwicklung“ gleich. Der von Peru170 angeführte Vorstoß, im Río-Pakt (TIAR) die „kollektive ökonomische Sicherheit (seguridad económico colectiva)“ zu verankern, diente nicht nur dazu, tatsächliche oder vermeintliche „ökonomische Aggressionen“ der Vereinigten Staaten abzuwehren, sondern er sollte die USA durch einen ausgefeilten Maßnahmen- und Sanktionenkatalog regelrecht auf eine „positive Diskriminierung“171 zugunsten ihrer lateinamerikanischen Alliierten verpflichten. Peru trug seinen Reformvorschlag in die von 1973 bis 1975 in fünf Verhandlungszyklen tagende Comisión Especial para su Estructuración _______________ 168 169 170 171 Texto de la Carta de Viña del Mar, in: Revista Mexicana de Ciencia Política , N.F., 15 (1969) 57, 423-434 „Pioneering North-South Economic Relations“. In: Américas 34 (1982) 1, 54 Peru lag in den späten 60er und frühen 70er Jahren mit den USA in einem Dauerkonflikt um die Nationalisierung von US-Unternehmungen und das sogen. Hickenlooper-Amendement. Tom J. Farer: The grand strategy of the United States in Latin America. New Brunswick 1988, 30 48 (CEESI).172 Es wurde dabei hauptsächlich von Mexiko aktiv, von anderen Staaten wie Brasilien und denen der Karibik lediglich „im Prinzip“ unterstützt.173 Deren Vorbehalte verweisen auf ein Dilemma, das in dem schwer zu definierenden und seinerzeit auch im System der Vereinten Nationen ohne größeres Ergebnis diskutierten Konzept „ökonomischer Sicherheit“ angelegt ist.174 Um einen solchen spezifischen Schutz der Souveränität der lateinamerikanischen Entwicklungs- und Schwellenländer verbindlich machen zu können, hätte die Generalversammlung der OAS mit Elementen supranationaler Durchsetzungsmacht ausgestattet werden müssen, gegen die sich das nationalstaatliche, stark souveränitätorientierte Denken dieser Länder ja gerade sperrte.175 Gleichwohl wurde mit 20 zu einer Stimme der Widerstand der Vereinigten Staaten überrannt und die Präambel und Artikel 11 des Río-Vertrages um den Zusatz ergänzt, daß „ökonomische Sicherheit“ in einem gesonderten Vertrag zu garantieren sei.176 Die Sache verlief im Sande, denn die USA gaben zu Protokoll: „The United States […] accepts no obligation or commitment to negotiate, sign or ratify a treaty or convention on the subject of collective economic security.“177 Auch CECON blieb darauf beschränkt, die jeweils neueste Entwicklung der Außenhandelspolitik der Vereinigten Staaten zu analysieren, darüber in einem Informationsdienst zu berichten und bei einem drastisch erschwerten Marktzutritt den OAS-Generalsekretär als Emissär auszusenden.178 Die Vereinigten Staaten ignorierten CECON zunehmend, „for it is designed for _______________ 172 173 174 175 176 177 178 Ihre umfangreichen Vorarbeiten zur Revision des Río-Vertrages sind dokumentiert in: Informes#, Actas y Documentos de la Comisión Especial para Estudiar el Sistema Interamericano y Prponer Medidas para su Estructuración (CEESI) , OEA/SER.P/ CEESI/Doc.26/ 73, vols. I-XII Rafael de la Colina: El protocolo de reformas al Tratado Interamericano de Asistencia Recíproca: Participación de México. Tlatelolco, México, D.F. 1977, 85 f. Vgl. Martin Domb: „Defining economic aggression in international law: The possibility of regional action by the Organisation of American States“, in: Cornell International Law Journal 11 (1978) 1, 85-105 Larman C. Wilson: „The concept of collective economic security for development and contemporary Latin American-U.S. relations“, in: Towson State Journal of International Affairs 12 (1977) 1, 7-41, 28 Protocol of Amendment to the Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance (RioTreaty), San José, Costa Rica, July 1975, OEA/Ser.A./1.Add. (SEPF) = Serie sobre tratados; 46 Protocol, 12 „OAS to study reports on U.S. Trade, Tariff Act“, ; „OAS to seek greater access 49 one-way airing of Latin American and Caribbean complaints against the US“.179 Einige der Länder, die sich mit der Zäsur lateinamerikanischer Außenpolitik in den frühen 70er Jahren als neue regionale oder subregionale Vormächte und wirtschaftlich als „Schwellenländer“ profilieren konnten, erschien die OAS als Zentrum zur Formulierung gemeinsamer Strategien nicht mehr geeignet. Der daraus folgenden Tendenz zu exklusiv lateinamerikanischer Multilateralität gab zunächst SELA das Forum ab. Weitere Schritte der „concertación“ sollten folgen.180 2. Tendenz zu lateinamerikanischer Multilateralität außerhalb der OAS Während die OAS in den 70er Jahren allseits als im Niedergang begriffen gesehen wurde, schien sie in der folgenden Dekade der 80er schließlich dem Untergang geweiht zu sein. 1969 schrieb Jerome Slater: „It seems clear that the Organization of American States (OAS) has entered a period of disarray and political decline. The signs are everywhere present“181. Was Slater mit dem Hinweis auf die unilaterale Interventionspraxis der USA seit Guatemala (1954) als „Niedergang“ umschrieb, entspricht der in den 1970er Jahren vermehrten Konfliktartikulation, wie sie vorstehend nachgezeichnet wurde. Die Organisation verlor zunehmend ihre Bedeutung als Forum der interamerikanischen Kooperation und diente zu wenig mehr als zur Klagemauer der lateinamerikanischen Staaten. Mit dem Falkland-Krieg, als sich die Führungsmacht USA auf die Seite Großbritanniens schlug – und damit den NATO-Bündnisinteressen den Vorrang vor dem Río-Pakt gab – verlor die OAS in der Sicht der lateinamerikanischen Staaten vollends an Legitimation und Kooperationsperspektive. Auch die Grenada-Invasion bestärkte diese Sicht, wie überhaupt der Konfrontationskurs der USA unter der Präsidentschaft Ronald Reagans (1981-1989) erheblich dazu beitrug, insbesondere die demokratisch gewählten Zivilregierungen des südlichen Subkontinents zu entfremden. So wurde nicht nur der „Niedergang“ der OAS zur feststehenden Tatsache, vielmehr stand ihr Überleben in Frage. Hatte Abraham Lowenthal im Jahr 1980 noch spekuliert, die OAS habe eine bescheidene _______________ 179 180 181 „Views of the United States Permanent Mission on the subject ´Strengthening the OAS´ (AG/RES. 940 (XVIII-0/88)“, OEA/Ser.G CP/GT/FOEA/doc.1/89, 5 Martin Alisky: „SELA, the Latin American economic system , a new entity outside the OAS“, in: United States policy towards Latin America: antecedents and alternatives / Lewis A. Tambs (Hg.) Tempe 1976, 207-217 Jerome Slater: „The decline of the OAS“, in: International Journal 24 (1969) 3, 497-506, 497 50 Zukunft wohl nur wegen ihrer Vergangenheit, nicht aber aufgrund zwingender gegenwärtiger oder zukünftiger Notwedigkeiten, so faßte 1984 Francisn X. Gannon, der dem OAS-Generalsekretär von 1976 bis 1984 als politischer Berater gedient hatte, die nunmehr akute Frage nach ihrer Existenzberechtigung überhaupt in einen markanten Titel: „Will the OAS live to be 100? Does it deserve to?“.182 Gannon zufolge hatte die OAS nicht nur den Tiefpunkt ihres Prestiges erreicht, sondern ihre raison d´être war grundsätzlich klärungsbedürftig. Nichts verdeutlicht besser den Zustand der Agonie, in den die OAS aufgrund der Konfrontation im interamerikanischen Verhältnis gefallen war, als ihre mangelnde Konfliktlösungskapazität in der zentralamerikanischen Dauerkrise und ihre Irrelevanz bei der kooperativen Bearbeitung der Verschuldungskrise. Als politisch lahmgelegt erwies die OAS sich damit gerade in den beiden wichtigsten internationalen Herausforderungen, die sich während der 80er Jahre dem amerikanischen Kontinent stellten. Wichtig ist nun, daß die Lähmung der OAS die lateinamerikanische Staatengruppe Kooperationsformen außerhalb der OAS suchen ließ. Wurde auf globaler Ebene in bezug auf die Legitimationsprobleme des Systems der Vereinten Nationen in der ersten Hälfte der 80er Jahre eine – vor allem von den USA hochstilisierte – „Krise des Multilateralismus“183 gesehen, so war für den regionalen Zusammenhang Lateinamerikas ein solch verallgemeinernder Befund keineswegs zutreffend. Zwar verkümmerte der breite, institutionalisierte Multilateralismus der OAS, doch statt seiner blühte ein enger, auf Ad hoc-Basis organisierter, auf konkrete Sachverhalte (issues) bezogener Multilateralismus auf. Mit Feinberg und Boylan läßt sich auch von einem „modularen Multilateralismus“ sprechen, „multilateral because many nations must cooperate to arrive at workable answers to common problems; modular because the nations at the table shift according to the nature of the problem at hand and the moment in time.“184 Dieser ineinandergreifende Multilateralismus auf engerer Basis gewann zuletzt auch weltpolitisch an Bedeutung, da die mit dem Ende der Block_______________ 182 183 184 Caribbean Review 13 (1984), 12-14; 42-43 Maurice Bertrand: „Die Bilanz der Weltorganisation“, in: Die Wiederentdeckung der Vereinten Nationen: Kooperative Weltpolitik und Friedensvölkerrecht / Günther Doeker; Helmut Vogler (Hgg.). Opladen 1990, 104-129, 110. Höhepunkte dieser Kries waren der Austritt der USA und anderer Mitglieder aus der UNESCO sowie die akute Finanzkrise der UN durch da Zurückhalten von Pflicht-Beiträgen, wiederum vor allem durch die USA. Richard E. Feinberg; Delia M. Boylan: „Modular multilateralism: U.S. economic policy toward southern nations in an age of uneven development“, in: Eagle in a new world: American grand strategy in the post-cold war era / Kenneth A. Oye, Robert J. Lieber; Donald Rothchild (Hgg.). New York 1992, 179-205, 180, Hervorhebung im Original 51 konfrontation freigesetzte zentripetale Dynamik weder die vielbeschworene „neue“ Weltordnung hervorbrachte noch die Staatenwelt in ein System anarchischer Selbsthilfe zurückfiel. Er scheint vielmehr geradezu charakteristisch zu sein für solche Strukturen der internationalen Politik im Übergang: So gab es, nachdem die Spaltung Europas überwunden war, eine wahre Proliferation von Institutionen und Prozessen (OSZE, NATO-Kooperationsrat, Visegrad-Gruppe u.a.m.), die sich einem anspruchsvollen Modell nach als „interlocking institutions“ zukünftig zu einer Hyperkonstruktion („gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur“) zusammenfügen sollen, in der Realität gegenwärtig aber eher als „interblocking institutions“ zu wirken scheinen. Zu nennen sind auch die multilateralen Gespräche zwischen Israel und den arabischen Staaten (nicht nur den Nachbarländern). Diese Beispiele sollten genügen, um den Eindruck einer generellen Krise des Multilateralismus zu relativieren. Er trifft insbesondere nicht auf die lateinamerikanische Szenerie der 80er Jahre zu, wo zwar der „breite“ Multilateralismus der OAS in einer Dauerkrise steckte, aber eine Reihe von Konsultations- und Konzentrationsorganen entstand. Bemerkenswert ist, daß solche mini- und multilateralen Kooperationsforen in Lateinamerika bereits einige Zeit vor dem Epochenbruch von 1989 geschaffen wurde, nicht zuletzt, um Freiräume fern der einengenden Perzeptionsmuster des Kalten Krieges zu schaffen. Insbesondere die Contadora-Gruppe war mit ihren Friedensplänen angetreten, „lateinamerikanische Lösungen für lateinamerikanische Probleme“ zu entwickeln. Wie schon erwähnt, hatte das Unbehagen der lateinamerikanischen Staatengruppe an der mangelnden Funktionalität der OAS für ihre Interessen 1975 mit dem Lateinamerikanischen Wirtschaftssystem SELA (Sistema Económico Latinoamericano) den ersten Versuch inneramerikanischer Selbsthilfe auf den Plan gerufen. SELA bildete den frühen Ausgangspunkt einer in den 80er Jahren sich verdichtenden Reihe von Mechanismen der Konzertation und Kooperation außerhalb der OAS. Unter Konzertation versteht man in Lateinamerika eine multilaterale Diplomatie, die auf hoher und höchster Entscheidungsebene (im wesentlichen der Präsidenten und der Außenminister) angesiedelt ist und politische Grundsatzfragen behandelt, die für die Selbstbehauptung der Region oder auch der lateinamerikanischen bzw. karibischen Subregionen wesentlich sind.185 Den Anfang einer Reihe von (Parallel-)Entwicklungen dieser Art machte im Januar 1983 die aus Kolumbien, Mexiko, Venezuela und Panama beste_______________ 185 Alicia Frohmann: Puentes sobre la turbulencia: la concertacíon política latinoamericana en los ochenta. Santiago 1990 52 hende Contadora-Gruppe, der sich 1985 eine sogenannte Unterstützungsgruppe, bestehend aus Argentinien, Brasilien, Peru und Uruguay zugesellte. Die paralysierte OAS, deren als Bogotá-Pakt bekannter Vertrag über friedliche Streiterledigung ja eigentlich zu dem Zweck konstruiert worden war, Konflikte zwischen amerikanischen Staaten beizulegen, spielte bei der Friedenssuche in Zentralamerika vor Ende 1986 keine Rolle. Während der OAS sich genötigt sah, diese Verhandlungsbemühungen außerhalb ihres institutionellen Rahmens zu begrüßen186, bekannte ihr Generalsekretär Orfila offen: „[W]e are paying a horrible price because of Contadora“. Er sagte weiter: „whenever action is taken outside the OAS, the institution is […] weakened“. 187 Der Contadora-Prozeß hat zu zwei heute von einander unabhängigen Entwicklungen geführt. Zum einen entstand ein eigener zentralamerikanischer Friedens- und später Konsultationsprozeß, der 1987 mit dem berühmten Gipfeltreffen von „Esquipulas II“ in Guatemala einen ersten Höhepunkt erreichte. Aus der Contadora-Gruppe und der Contadora-Unterstützungsgruppe hat sich zum anderen im 1986 eine damals noch „Gruppe der Acht“ und heute Río-Gruppe genannte Vereinigung gebildet, die sich als „Permanenter Mechanismus der Konsultation und der Abstimmung“188 versteht. Seit dem im November 1987 in Acapulco durchgeführten Präsidentengipfel kommt man routinemäßig im Rahmen der auf 16 Mitgliedsstaaten erweiterten Río-Gruppe zusammen. Eine weitere, mehr „issue“-bezogene Manifestation regionaler politischer Aktion war der sogen. „Konsensus von Cartagena“, ein Ad hoc-Forum von elf großen, hochverschuldeten Staaten Lateinamerikas, die mit der unterschwelligen Drohung eines Schuldnerkartells auf ihrem „Schuldengipfel“ von Quito im Januar 1984 die drückende Außenverschuldung erfolgreich „politisierten“. Die USA, die darin nur ein vorrangig finanzielles und ausschließlich bilateral zu behandelndes Problem hatten sehen wollen, machten schließlich mit Schuldenerleichterungen189 ein Zugeständnis an das von der Cartagena-Gruppe postulierte Prinzip einer geteilten Verantwortung zwischen Schuldner- und Gläubigerseite. Wichtig ist nun, daß die vermehrte Konfliktartikulation n den 70er und 80er Jahren nicht gleichbedeutend war mit einer Entscheidung zur Dissozia_______________ 186 187 188 189 General Assembly, XIII Regular Session: „AG/RES. 675 (XIII-O/83): „Peace efforts in Central America“, OEA/Ser.P./XIII.O.2, 14.12.1983, vol.I, 84-85 Joanne Omang: „Orfila, leaving OAS, seeks role promoting hemispheric unity“, Washington Post, 22.11.1983, F1 Mecanismo Permanente de Consulta y Concertación Polìtica Von ihrer starren Vorgabe rückten sie ab 1985 mit dem sogen. Baker-Plan, dem BradyPlan von 1989 und Präsident Bushs „Enerprise für the Amercas“-Initiative 53 tion. Die lateinamerikanische Staatengruppe betrieb keine Strategie der bewußten Zerstörung der OAS. Zwar kultivierten einige Regierungen eine antiamerikanische Entfremdungsrhetorik, wobei die Kritik der OAS bzw. ihrer Handhabung durch die USA immer auch eine Strategie der Eigenlegitimation war. Wiederholt gab es Stimmen eines kontinentalen Nationalismus, die, wie zuletzt 1986 der peruanische Präsident García, eine rein lateinamerikanische Staatenorganisation forderten, deren Basis z.B. SELA bilden sollte.190 Die Kapazität von SELA, die OAS als Zentrum zur Formulierung gemeinsamer Strategien zu ersetzen, war aber von vornherein gering. SELA verschaffte vor allem regionalen Vormächten zusätzlichen Manövrierraum „in their attempt to reorganize inter-American relations under their trusteeship“.191 Deren Ambitionen neutralisierten sich jedoch gegenseitig, da z.B. Brasilien sich seine selbständige Außenpolitik auch nicht von einer „OAS ohne die USA“ binden lassen wollte. Die Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten war nicht bereit, die „special relationship“ mit den USA, die die OAS trotz ihrer Krise verkörperte, zugunsten eines weniger fundamentalistischen als taktischen „tercermundismo“ zu opfern. Die Substitutionskapazität homogener Spezialorganisationen, die auch nicht vor organisatorischer und deklamatorischer Ersatzaktivität („viele Themen – wenig Entscheidungen“) gefeit sind, muß so lange begrenzt bleiben, wie lateinamerikanische Staaten die besonderen Abhängigkeitsverhältnisse zu den USA mit assoziativen Konfliktstrategien (kombiniert aus kooperativen und konfrontativen Mustern) bewältigen müssen. Selbst zu Zeiten, in denen die Amplitude der außenpolitischen Abweichung der lateinamerikanischen Staatengruppe von den USA ihren größten Ausschlag tat, blieb die OAS immer noch eine Art letzter Instanz, wo der kleinste gemeinsame Nenner errechnet oder, wo das nicht möglich war, die unüberbrückbaren Differenzen zu Protokoll gegeben wurden. Auch das „ständige Beratungsgremium“ der Río-Gruppe, das im Gegensatz zur OAS über keinen organisatorischen Unterbau verfügt, legte nicht das Fundament zu einer neuen Organsation amerikanischer Staaten in Abkoppelung von den USA, auch wenn es seinen Ursprung als politisch-diplomatischer Gegenpart zu Washingtons in der Ost-West-Auseinandersetzung um Zentralamerika („Contadora-Unterstützerländer“) nicht verleugnete. Doch in einer inzwischen völlig veränderten Welt wurde der Sinn und Wert dieser Gruppierung, deren Präsidentengipfel sich als teure außenpolitische _______________ 190 191 „Garcia wants to create new OAS without U.S.“ ( EFE, Madrid, 16.06.1986) Foreign Broadcast Information Service. daily Report- Latib America 6 (17.10.1986) 201, J1 (PrEx 7.10: FBIS-LaM-86-201) Jacques Zylberberg: „SELA does little to further Latin American integration“, in: International Perspectives (May/June 1976), 29-33, 29 54 Spektakel in Lateinamerika immer weniger für eine innenpolitische Aufwertung nutzen lassen, von einigen Beobachtern bereits in Frage gestellt. Auch wenn die Río-Gruppe im internationalen Rahmen vermehrt als gemeinsame Stimme Lateinamerikas auftritt,192 so sinken auf intraregionaler Ebene ihre „komparativen Vorteile“ gegenüber der OAS, da eine inzwischen stark aufgeblähte Mitgliedschaft ein einheitliches Handeln nicht einfacher macht.193 Der Grupo de Río trat auch gar nicht an, die OAS zu ersetzen. Vielmehr charakterisierte er die OAS als unentbehrliches "politisches Forum" und propagierte seither ihre Stärkung in den Verlautbarungen der Präsidententreffen.194 Paradoxerweise hatte der die OAS zunächst umgehende „enge“ lateinamerikanische Multilateralismus eine nicht zu unterschätzende Brückenfunktion für die Wiederbelebung des „breiten“ Multilateralismus, indem er in einer echten politischen Innovation die Bemühungen um den Frieden in Zentralamerika mit dem regionalen Demokratisierungsprozeß verband. Die Río-Gruppe definierte sich als „Gemeinschaft demokratischer Staaten“ und gab damit das Vorbild für eine neue und umfassende Funktion der OAS im Sachbereich „Herrschaft“ ab. V. FUNKTIONSGEWINN UND NEUE LEGITIMITÄT DER OAS IM SACHBEREICH „HERRSCHAFT“ 1. Die umstrittene gesellschaftspolitische Funktion der OAS Der Sachbereich „Herrschaft“ war der multilateralen Bearbeitung in der OAS am schwersten zugänglich. Zwar waren im Rahmen des interamerikanischen Systems die Prinzipien des Konstitutionalismus, der Demokratie und seit dem ende des Zweiten Weltkriegs auch der Menschenrechte vielfach beschworen worden. So erklärt die 1948 die Bogotá verabschiedete OAS-Charta: „Die Solidarität der amerikanischen Staaten und die hohen Ziele, die sie erstreben, setzen eine politische Organisation dieser Staaten auf der Grund- _______________ 192 193 194 Die Außenminister der Río-Gruppe treffen sich regelmäßig mit den Eg/EUAußenministern zu den sogen. „ San-José-Konferenzen“. Boris H. Yopo: „The Rio Group:decline or consolidation of the Latin American concertación policy?“, in: Journal of Interamerican Studies and World Affairs 33 (1991) 4, 27-44 „Group of Eight blames U.S. for OAS crisis“ (ACAN, Panama City, 14.11.1988) Foreign Broadcast Information Service. Daily Report- Latin America, 15.11.1988, 6 f. (PrEx 7.10: FBIS-LAT-88-220) 55 lage des wirksamen Funktionierens [effective exercise] einer repräsentativen Demokratie voraus.“ Eine innen- bzw. gesellschaftspolitische Funktion der OAS, etwa im Sinne einer kollektiven Verantwortung für eine demokratische Entwicklung Amerikas, wurde hieraus aber nicht abgeleitet und war kein Bestandteil des Gründungskonsenses und der Aufgabenzuweisung der Organisation in ihrer Gründungs-Charta. Wegen der nicht überbrückten Polarität zwischen dem eindeutig rechtsverbindlichen Interventionsverbot (als der raison d´etre des Interamerikanischen Systems!) und dem in der OAS-Charta zwar gleichwertig verankerten, aber stets nur als Programmsatz interpretierten Demokratieprinzips mußte sich die Organisation durchweg vorsichtig verhalten. Wenn ein Konsens erreicht werden sollte, stellten die Mitgliedsstaaten in der Regeln das Prinzip der Nichteinmischung unter souveränen Staaten über jenes der repräsentativen Demokratie. Einem politischen Quantensprung kam es deshalb gleich, daß die OAS zu Beginn der 90er Jahre eine profilierte Rolle bei der regionalen Kooperation zur Sicherung der Demokratie erhielt. Die bahnbrechende 21. Generalversammlung in Santiago de Chile verabschiedete eine Verpflichtung zur Demokratie („Santiago Commitment to Democracy and the Renewal of the Inter-American System“), die begleitet wurde von einer operativen „Resolution 1080“, wonach die OAS im Falle eines Staatsstreichs automatisch Stellung beziehen muß, auch wenn dabei keine automatischen Sanktionen vorgesehen sind. Im Dezember 1992 wurde die Charta der Organisation um einen Passus erweitert, der es erlaubt, durch Staatsstreich an die Macht gekommene De facto-Regime von der Mitgliedschaft in der Staatenorganisation zu suspendieren. Zum ersten Mal in der Geschichte der OAS wurden mit diesen, im einzelnen noch zu interpretierenden, Schlüsseldokumenten innere Verhältnisse – die Gefährdung der Stabilität einer demokratischen Regierung – zum Anlaß für eine kollektive Aktion erhoben. Die Rolle der OAS bei der Staatsstreichprävention soll hier im umfassenden Kontext der Wechselbeziehungen zwischen Multilateralismus und Demokratisierung untersucht werden. Die Wiederbelebung der totgesagten OAS seit Beginn der 90er Jahre folgte der regionalen Redemokratisierungsentwicklung der 80er Jahre auf dem Fuße. Mit der Ausbildung eines multilateralen „Defense-of-Democracy“195-Regimes fand die OAS eine _______________ 195 Diese griffige Alliteration verwendet Richard J. Bloo,field: „Making the Western Hemisphere safe for democracy? The OAS defense-of-democracy regime“, in: Washington Quarterly 17 (1994) 2, 157-169 56 Nische und erwarb neue Legitimität, die in eine raschen Folge von – hier fallweise zu untersuchenden – Krisen (Haiti, Peru und Guatemala) Bewährungsproben unterzogen wurde. Folgende Fragen sind aufgeworfen: Wie abhängig sind beide Entwicklungen voneinander: Hängt eine erweiterte multilaterale Kooperation von einer konsolidierten Demokratisierung ab? Und: Kann die Demokratisierung überhaupt in nennenswerter Weise durch multilaterale Institutionen gestützt werden? Von einer Erörterung dieser Zusammenhänge ist zunächst auf die mühsame Entwicklung einer interamerikanischen Demokratiedoktrin einzugehen. 2. Traditionen einer interamerikanischen Demokratiedoktrin „Demokratie blieb in den amerikanischen Staatenbeziehungen gegenüber dem klar rechtsverbindlichen Interventionsverbot bis mindestens zur Mitte der 80er Jahre ein unverbindlicher Programmsatz. Auch wenn man anerkennt, daß sich die amerikanischen Staaten seit ihrer Unabhängigkeit programmatisch zur republikanischen Staatsform und zum demokratischen politischen Ideal bekannt haben, so läßt sich keinesfalls eine progressive Entwicklung einer kollektiven interamerikanischen Demokratiedoktrin erkennen, wie sie von Advokaten einer aktiven prodemokratischen Funktion der OAS heute gelegentlich konstruiert wird. Trotz der großen Bedeutung des Nichteinmischungsgrundsatzes für die Lateinamerikaner hat es andererseits nie an Stimmen gefehlt, die davor warnten, diesen zum Schutzschild für alle diejenigen werden zu lassen, die Demokratie und Menschenrechte in Sicherheit vor äußeren Eingriffen verletzen. Entsprechende Traditionsstränge, die hier knapp gemustert werden sollen, sind aber eher schwach. Von besonderem Interesse sind hierbei die frühen, zugleich aber seltenen Versuche, Demokratie als verbindliches Kriterium für die Legitimität amerikanischer Regierungen anzuwenden. In diesem Zusammenhang ist die sogen. Tobar-Doktrin zu nennen. Die Forderung, usurpatorischen, d.h. auf nicht verfassungskonforme Weise an die Macht gekommene „de facto-Regierungen“ in Amerika künftig die diplomatische Anerkennung zu verweigern, erhob 1907 der ecuadorianische Diplomat und Politiker Carlos R. Tobar. Sein Vorschlag diente allerdings weniger der ideologischen Verteidigung demokratischer Grundsätze, als der pragmatischen Verteidigung einer – wie auch immer gearteten – bestehenden Verfassung, um potentielle Putschisten abzuschrecken und den von permanenten pronunciamientos erschütterten Unruheherd Zentralamerika zu stabilisieren. Als „indirekte 57 Intervention“ schlug Tobar vor, bloße de facto-Regierungen schlechthin nicht anzuerkennen.196 Diese Tobar-Doktrin bildete die Grundlage für die unter der Schirmherrschaft der USA in Washington zwischen den fünf zentralamerikanischen Staaten 1907 und 1923 geschlossenen Friedens- und Freundschaftsverträge. Pointierter als der Vorschlag Tobars enthielten die Bestimmungen des Vertrages von 1907 demokratisch-ideologische Legitimitätsvorstellungen, deren Artikel I lautete: „The Governments of the High Contracting Parties shall not recognize any other Government which may come into power in any of the five Republics as a consequence of a coup d´etat, or of a revolution against the recognized Government, so long as the freely elected representatives of the people thereof, have not constitutionally reorganized the country.“197 Der Vertrag machte somit die Anerkennung nach einem Umsturz von einer demokratischen Legitimierung und der verfassungsmäßigen Reorganisation des Staates durch die gewählte Volksvertretung abhängig. Carl Schmitt hat hierzu notiert: „Damit war die demokratische Erscheinungsform der Legalität und der Legitimität zum völkerrechtlichen Standard erklärt.“198 Zwischen 1913 und 1931 übernahmen die Vereinigten Staaten diesen Ansatz als Wilson (bzw. Coolidge)-Doktrin. Die Tobar-Wilson-Doktrin wurde jedoch in der gegebenen hegemonialen Situation als „interventionistischmanipulatives Instrument“199 von der Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten abgelehnt. Mexiko, das während seiner Revolutionswirren ein prominentes Ziel der manipulativen nordamerikanischen Anerkennungspraxis geworden war, versuchte ihr den interventionistischen Stachel dadurch zu ziehen, indem es 1930 durch seinen Außenminister Genaro Estrada das Rechtsinstrument der Anerkennung gewissermaßen für abgeschafft erklärte. _______________ 196 197 198 199 Diese Auffassungen sind formuliert in dem offenen Brief, den Tobar 1907 aus Barcelona an den bolivianischen Konsul in Brüssel richtete. Wiedergegeben bei Günter Kahle: „Die Tobar-Doktrin“, in: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 9 (1972), 379-405, 403 (=Anhang) „Treaty and conventions of the Central American Peace Conference [September 17, 1907]“, in: American Journal of International Law 2 (1908), Supplement = Official Documents, 219-265, hier: „Additional Convention to the General Treaty“, 229f. (=Art. I). Diese Anerkennungsklausel wurde im Vertrag von 1923 noch erweitert: „Conventions, protocols and declarations signed at the Conference on Central American Affairs, Washington, D.C., February 7, 1923“, in: AJIL 17 (1923), Suppl., 70-132, hier: „General Treaty of Peace and Amity“, 118f. (=Art.II) Carl Schmitt: Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum. Berlin ²1974, 282 Knud Krakau: „Anerkennungspolitik als Spiegel der interamerikanischen Beziehungen“, in: Jahrbuch für Amerikastudien 16 (1971), 8-27, 16 58 Dieser im Völkerrecht und in der Staatenpraxis sehr wirksam gewordenen „Estrada-Doktrin“ zufolge wollte Mexiko die entwürdigende und souveränitätsverletzende Praxis nicht fortführen, die in dem Urteil über Legitimität oder Legalität fremder Regierungen enthalten sei, sondern es wollte lediglich über die Frage des diplomatischen Verkehrs entscheiden.200 Nach noch heute gültiger mexikanischer Ansicht bestehen diplomatische Beziehungen mit einem Staat, nicht mit der jeweiligen Regierung.201 Freilich wurde das Problem der Anerkennung bzw. Nichtanerkennung damit nur verlagert auf die Entscheidung, ob die diplomatischen Beziehungen mit dem betroffenen Staat fortzusetzen seien.202 Auch wenn die Estrada-Doktrin „machtpolitisch zu einer ohnmächtigen Geste geworden“203 war, bestätigte die unkritische Begeisterung, mit der sie in Lateinamerika als Schutzdoktrin gegenüber den USA aufgenommen worden war, die überaus starke Tendenz zur Nichteinmischung in innere Angelegenheiten von souveränen Nationalitäten. Entsprechend mißlangen spätere Versuche, eine demokratisch-legitimistische Anerkennungsdoktrin durch die OAS gewissermaßen zu multilateralisieren. 1945 plädierte die guatemaltekische Delegation auf der Konferenz von Chapultepec vergeblich für die Einführung des Prinzips der Nichtanerkennung von „antidemokratischen“ bzw. „totalitären“ Regimen, die in der Zukunft in der Westlichen Hemisphäre errichtet werden könnten. Den möglichen Putschisten sollte ein politischer Boykott durch die übrigen amerikanischen Regierungen angedroht werden. Das seit seinem ersten verfassungsmäßigen Präsidentenwechsel, dem Amtsantritt Rómulo Betancourts im Jahr 1959, demokratisch verfaßte Venezuela erklärte seinerzeit, es werde künftig keine durch Staatsstreich an die Macht gekommene, sondern nur demokratisch legitimierte und verfassungsgemäß gewählte Regierungen anerkennen. Diese „Betancourt-Doktrin“ wurde in Lateinamerika, selbst wo man ihre demokrat5isch-konstitutionalistische Zielsetzung bejahte, wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Nichtinterventionsprinzip verworfen. Nach einer Welle von militärischen Coups204 wurden in den Jahren 1963/64 die Regierungen Venezuelas und Costa Ricas erneut aktiv mit dem Ziel, ein _______________ 200 201 202 203 204 „Estrada-Doctrine of Recognition [September 27, 1930]“, in: American Journal of International Law 25 (1931), Suppl., 203 Im Falle konkurriender Prätendenten für den Titel Regierung wird bei dieser neutralen Anerkennungspraxis auf das Kriterium effektiver Herrschaft abgestellt. Mexiko selbst wich gelegentlich von der Estrada-Doktrin ab, als es sich z.B. viele Jahre lang weigerte, das Franco-Regime in Spanien anzuerkennen oder als es nach dem Putsch Pinochets die diplomatischen Beziehungen zu Chile für mehrere Jahre suspendierte. Schmitt, Nomos der Erde, 282 Z.B. Sturz der gewählten dominikanischen Regierung (September 1963), des bolivianischen Präsidenten Paz Estenssoro( November 1964) 59 kollektives Anerkennungsregime im Sinne der venezolanischen BetancourtDoktrin in der OAS zu verankern, d.h. „[to make] the old institution of recognition, rejuvenated in structure, […] a legal instrument of representative democracy in any member state of the OAS.“205 Solche Vorstöße der prodemokratischen „Interventionsisten“ scheiterten regelmäßig an der Mehrheit der souveränitätsbewußten lateinamerikanischen Regierungen (die „Estrade-Partei“), die eine Relativierung des Interventionsverbots auf keinen Fall zulassen wollte. Das gleiche Schicksal widerfuhr auch der über solche Vorschläge einer diskriminatorischen Anerkennungspolitätk noch hinausreichenden Rodríguez Larreta-Doktrin, die eine multilaterale Intervention in Fällen friedensstörender Menschenrechtsverletzungen erlaubt hätte. Wenige Jahre vor der Gründung der OAS, im November 1945, hatte der Außenminister von Uruguay, Eduardo Rodríguez Larreta, in gleichlautenden Noten an die amerikanischen Regierungen vorgeschlagen, gegen antidemokratische Regierungen im Wege der kollektiven Aktion vorzugehen.206 Er argumentierte, die permanente Verletzung der Menschenrechte und der Grundsätze der Demokratie stellte eine Friedensgefährdung dar, der entgegenzutreten nicht nur das Rechts, sondern die Pflicht der amerikanischen Republiken aufgrund der zwischen ihnen bestehenden Vereinbarungen sei. Solche kollektiven Maßnahmen seien vom Interventionsverbot nicht berührt, da seit dem Zweiten Weltkrieg der „Parallelismus zwischen Frieden und Demokratie“ den Charakter einer „absoluten Wahrheit“ habe.207 Nur fünf lateinamerikanische Staaten stimmten dem Plan einer kollektiven Demokratisierungspolitik mit Vorbehalten zu.208 Ein Regierungsvertreter der Vereinigten Staaten hatte noch zwei Tage vor der Note Uruguays erklärt: „We do not intend to impose democracy.“209 Doch die kaum verhüllte anti-peronistische Stoßrichtung des uruguayischen Vorschlages spielte der Argentinienpolitik der USA direkt in die Hände, so daß die Vereinigten Staaten die Idee einer „kollektiven Ver_______________ 205 206 207 208 209 Council: „Proposed agenda of the Meeting of Consultation of Ministers“, OEA/Ser. G/V C-d-1206, 02.04.1964, 3. Vgl. den entsprechenden Vorschlag eines „Mechanism of consultation on recognition of de facto government“, ebd., 5-6. Dazu Donald Marquand Dozer: „Recognition in contemporary inter-American relations“, in: Journal of InterAmerican Studies 8 (1966) 2, 318-335, 332 ff. „Inter-American solidarity: safeguarding the democratic ideal. Note from Uruguayan foreign minister to secretary of state [James F. Byrnes]“, in: Department of State Bulletin 13 (25.11.1945) 335, 864-866 A.A.O., 864 Es waren Costa Rica, Guatemala, Kuba, Panama, Venezuela und ausgerechnet das somozistische Nicaragua. Ellis O. Briggs: Pan America, a post-war estimate“, in: Department of State Bulletin 13 (25.11.1945), 867-869, 869 60 antwortung“ für die demokratische Entwicklung Amerikas ebenso prompt wie nachdrücklich begrüßten.210 3. Polarität zwischen Interventionsverbot und Demokratieprinzip seit Gründung der OAS 3.1 Repräsentative Demokratie nur ein Programmsatz Bei der Reorganisation des Interamerikanischen Systems nach dem Zweiten Weltkrieg waren die lateinamerikanischen Staaten in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit nicht bereit, ihren politischen Triumph über den „Monroísmo“ zugunsten einer kollektiven Demokratisierungspolitik zu opfern. Nachdem sie den USA in einer Folge von historischen Konferenzen in den 30er Jahren die rechtliche Kodifikation eines allumfassenden Interventionsverbotes abgerungen hatte, wollten sie nicht zulassen, daß es im Interesse einer pro-demokratischen Einflußnahme relativiert würde. Das Nichtinterventionsregime sollte im Gegenteil effektiviert werden, indem nicht nur die einzelnen Mitgliedsstaaten davon gebunden, sondern auch die Staatenorganisation der OAS darauf verpflichtet werden sollte. Die USA als der dominierenden Macht oder einer ihr verbundenen Gruppe von lateinamerikanischen Staaten sollte die Möglichkeit beschnitten werden, die „basic goal values“ des Interamerikanischen Systems einseitig definieren und sie anderen Staaten politisch aufzwingen zu können. Entsprechend ist auch das kollektive Sicherheitssystem des Río-Vertrages so konzipiert worden, daß es keine Basis für andere kollektive Aktionen bietet als für jene, die sich gegen Aggressionen und Aggressionsdrohungen richten. Trotz der vielen Erklärungen und Resolutionen, in denen das demokratische Ideal der amerikanischen Staaten angesichts der faschistischen Gefahr im Zweiten Weltkrieg beschworen worden war, war eine innen- Bzw. gesellschaftspolitische Funktion der OAS im Sachbereich Herrschaft im Grundkonsens nicht eingeschlossen. Demokratie und Schutz der Menschenrechte waren deshalb, dies ist zu unterstreichen, nicht Organisationsziele von Anfang an. Sie wurden es verstärkt erst zu Beginn der 90er Jahre, wie noch auszuführen ist. Der Nachweis dieser These soll am Beispiel des regionalen Menschenrechtsschutzes geführt werden. So war es charakteristisch, daß von den beiden vom Interamerikanischen Juristischen Komitee für die Gründungskonferenz der OAS 1948 entworfenen Prinzipienerklärungen nur die das Interventionsverbot enthaltenden „fundamental rights and duties of states“, _______________ 210 [James Francis Byrnes:] „U.S. adherence to principle opposing oppressive regimes among American republics“, in: Department of State Bulletin 13 (02.12.1945), 892 61 in die OAS-Charta Eingang fanden.211 Letztere wurden separat als die „Amerikanische Erklärung der Menschenrechte und –pflichten verabschiedet, die nicht bindende Rechtsnorm, sondern lediglich Programm war. Die Erwähnung der Menschenrechte in der OAS-Charta selbst fiel derart beiläufig und vage aus, daß Autoren in den 50er Jahren beklagte, daß „human rights are now less protected than they were under general international law.“212 Paradoxerweise entwickelte sich aus diesen unverbindlichen Deklarationen, beginnend im Jahr 1959 mit der Einrichtung einer Menschenrechtskommission, ein regionales Menschenrechtsschutzsystem, das heute als das weltweit „zweitbeste“ (nach dem Menschenrechtsregime des Europarates) gilt. Auf seine Darstellung wird hier verzichtet, da die Aufgabe von überwiegend juristischer Spezialliteratur umfassend geleistet worden ist.213 Eine noch zu beantwortende, politikwissenschaftlich fruchtbare Fragestellung bleibt dabei diejenige nach der „Regimedynamik“: Was erklärt, so ist zu fragen, diese erfolgreichen Normierungs- und Institutionalisierungsprozesse (Amerikanische Menschenrechtskonvention, Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte) ausgerechnet in einem regionalen Milieu, in dem historisch und bis in die jüngste Vergangenheit schwerste Menschenrechtsverletzungen notorisch sind? Eine naheliegende Führungsrolle der USA als „hegemonialer Stabilisator“ des Regimes taugt nicht zur Erklärung. Zwar ist richtig, daß die frühe Gründung der Menschenrechtskommission im Jahre 1959 ganz wesentlich durch die Situation im Kuba seit dem Sturz des Diktator Batista und die Machtübernahme Castros bestimmt war. Die USA waren aber nachweislich, bis die Administration Carter Menschenrechtsfragen spektakulär in den Vordergrund ihrer Lateinamerikapolitik stellte, dem Thema Menschenrechte gegenüber eher indifferent. Zweifellos spielte das „moral leadership“ eher machtressourcenschwacher Staaten eine Rolle in dieser insgesamt ungeplanten Entwicklung. 214Juliane Kokott weist auf den interessanten Zusammenhang hin, wonach man in Lateinamerika von einem internationalen Überwachungssystem zur Einhaltung der Menschenrechte durchaus auch eine Sicherung der nationalstaatlichen Souveränität erwartete, _______________ 211 212 213 214 Art. 3 (j) der Präambel und Art. 13 Satz 2 der Fassung von 1948 Ann Van Wynen Thomas; A. J. Thomas, Jr.: Non-intervention: the law and ist import in the Americas, Dallas 1956, 390 Siehe die Übersichtsdarstellung von Thomas Buergenthal: „Menschenrechtsschutz im interamerikanischen System“, in: Europäische Grundrechte-Zeitschrift 11 (1984) 6/8, 169189 David P. Forsythe: „Human rights, the United States and the Organization of American States“, in: Human Rights Quarterly 13 (1991) 1, 66-98 62 um den Vereinigten Staaten das Thema Menschenrechtsverletzungen als möglichen Interventionsanlaß zu entziehen.215 Dennoch sind vor dem Hintergrund des traditionell starken Spannungsverhältnisses zwischen internationalem Menschenrechtsschutz und Souveränitätsdenken die von der OAS später geschaffenen Gremien des interamerikanischen Menschenrechtsschutzes – unsere Argumentation stützend – als „institutionelle Anomalie“ bezeichnet worden.216 Festzuhalten bleibt demnach, daß eine innen- und gesellschaftspolitische Funktion der OAS in ihrer Formationsphase von der erdrückenden Mehrheit der lateinamerikanischen Staatengruppe abgelehnt wurde, die im Gegenteil bestrebt war, das Interventionsverbot zu effektivieren. Die im Rahmen des interamerikanischen Systems definierten und beschworenen Prinzipien des Konstitutionalismus, der Demokratie, und seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch der Menschenrechte bleiben deshalb lange Zeit lediglich Verbalismen. Wegen der nicht überbrückten Polarität zwischen dem Prinzip der Nichtintervention als der raison d´etre des Interamerikanischen Systems und dem in der OAS-Charta gleichwertig verankerten Demokratieprinzip mußte die Organisation sich durchweg vorsichtig verhalten. Wenn ein Konsens erreicht werden sollte, stellte sie in der Regeln das Prinzip der Nichteinmischung unter souveränen Staaten über jenes der repräsentativen Demokratie, zu dem Artikel 5 (d) der 1948 in Bogotá gefaßten OAS-Charta niederlegte: „The solidarity of the American States and the high aims which are sought through it require the political organization of those States on the basis of the effective exercise of representative democracy“. Das Demokratieprinzip wurde durchgehend opportunistisch benutzt. Die auf der 9. Konferenz der Amerikanischen Staaten 1948 beschlossene Resolution XXXII erwähnte auf Betreiben der USA unter dem Oberbegriff der Sicherung der Demokratie expressis verbis nur die kommunistische Gefahr, nicht aber – wie von einer Minderheit der Unterzeichnerstaaten zunächst gewollt – auch die durchgehend viel größere Gefahr von Rechtsdiktaturen.217 Dies war seinerzeit um so bemerkenswerter, als es den USA 1945 in der Phase des zu Ende gehenden Weltkrieges und dann bis 1947 ganz wesentlich um die Verhinderung eines faschistischen „Brückenkopfes“ in dem _______________ 215 216 217 Kokott, Interamerikanisches System zum Schutz der Menschenrechte, 8 Bryce Wood: „Human rights and the inter-American system“, in: The future of the interAmerican system / Tom J. Farer (Hg.), New York 1979, 119-152, 120 Final Act, Ninth International Conference of American States, Bogotá 1948: „[Resolution] XXXII: The preservation and defense of democracy in America“, in: The International Conferences of American States. Second Supplement, 1942-1954: Treaties, conventions, declarations, recommendations, and resolutions […], Washington, D.C. 1958, 270-271 63 lange Zeit mit den Achsenmächten sympathisierenden Argentinien gegangen war. Die auf dem 4. Konsultationstreffen der Außenminister im Jahr 1951 angenommene Erklärung („Strengthening and Effective Exercise of Democracy“) wurde wiederum aus souveränitätspolitischen Rücksichten nicht konkretisiert. So führte die Interamerikanische Juristenkommission einen entsprechenden Arbeitsauftrag der Konferenz nicht aus, da die genannte Resolution XXXII „refers to matters of internal security and general political orientation of the American republics without containing any specific problem or matter requiring the preparation of a juridical report.“218 Im Jahr 1959 brachte der Rat der OAS das zweifellos bestehende Konkurrenzverhältnis von Nichtinterventionsnorm und Demokratieprinzip in ein klares Unterordnungsverhältnis zu Lasten des letzteren, indem er anläßlich der Behandlung eines Konfliktes zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik folgendes beschloß: „CONSIDERING: That both the principle of representative democracy and that of non-intervention are established in many inter-American instruments, and that both are basic principles of harmonious relations among the countries of America; and That there exists some confusion of ideas as to the means of harmonizing the effective execution and application of the basic principle of non-intervention and that of the exercise of representative democracy, RESOLVES: 1. To reaffirm the principles of representative democracy […] 2. To declare that the aforementioned principles do not in any way nor under any concept authorize any Government or group of Governments to violate inter-American commitments relative to the principle of nonintervention […]“219 Das in der OAS-Charta 1948 niedergelegte Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie hatte somit eine lediglich ideologische, nicht aber eine rechtliche Bedeutung. _______________ 218 219 Inter-American Juridical Committee: „Strengthening and effective exercise of democracy: report preparedin accordance with Resolution VII of the Fourth Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs“, OEA/Ser.I/CIJ-42, … 1959, 8 Resolution IV, Consejo de la Organización de los Estados Americanos: „Acta de la sesión extraordinaria del Consejo de la Organización de los Estados Americanos, actuando provisionalmente como organo de consulta, celebrada el 8 de abril de 1950“, in: Actas del Consejo, V.5: C-a. 53-64, OEA/Ser. G/II C-a-54, 886. Englische Übersetzung des spanischen Textes entnommen aus: Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance, Applications. Volume I: 1948-1959, Washington, D.C. ³1973, 140 64 Auf dem 5. Konsultationstreffen der OAS-Außenminister, das im August 1959 in Santiago de Chile stattfand, kam es dann erneut über das Thema „Effektive Ausübung der repräsentativen Demokratie und Respektierung der Menschenrechte“ zu Debatten. Dabei ging es letztlich darum, ob Diktatoren vom Schlage Batistas, Trujillos, Somozas oder Stroessners weiterhin durch den Nichteinmischungsgrundsatz abgeschirmt werden durften, oder ob kollektive Aktionen der OAS zur Durchsetzung der Demokratie gerechtfertigt seien, wie sie insbesondere die junge Revolutionsregierung Kubas (!) und die konstitutionelle Zivilregierung Venezuelas forderten. Die Vereinigten Staaten, die damals ihr Interesse an regionaler Stabilität, d.h. der Abwehr des scheinbar alles bedrohenden Kommunismus, besser durch die Bundesgenossenschaft autoritärer Militär- bzw. Familiendiktaturen gewährleistet sahen als durch Regime, die auf eine in der Region vordringliche Wirtschafts- und Sozialreform ausgerichtet waren, machten sich diesmal zum Fürsprecher der unbedingten Einhaltung des Nichteinmischungsprinzips. Daß eine beträchtliche Mehrheit der amerikanischen Staaten sich in der Grundsatzfrage „Strikte Nichteinmischung oder Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten“ de facto zugunsten der ersteren Option entschied und auf die letztere praktisch verzichtete, sollte das feierliche Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie eskamotieren, das als „Erklärung von Santiago de Chile“ in die Schlußakte der Versammlung aufgenommen wurde.220 Diese Erklärung zum Demokratieprinzip der OAS, wie sie am selben Ort 1991 mit der „Santiago-Verpflichtung“ und der Resolution 1080 „Repräsentative Demokratie“ eine substanziellere Neuauflage erleben sollte, forderte freie Wahlen, Respektierung und gerichtlichen Schutz der Menschenrechte sowie die Stärkung der Demokratie durch wirtschaftliche und soziale Maßnahmen und listete die Grundvoraussetzungen eines demokratischen Regimes auf, hatte aber wenig praktischen Wert.221 Der vom 5. Konsultationstreffen in Auftrag gegebene Entwurf einer „Konvention über die effektive Ausübung der repräsentativen Demokratie“ blieb ohne Ergebnis.222 Immerhin war sich das Außenministertreffen bei der Erörterung der Spannungen in der karibischen Region sich des Zusammenhanges zwischen Demokratie, Menschenrechtsschutz und regionaler Stabilität sehr wohl bewußt, als es feststellte: _______________ 220 221 222 Ministers of Foreign Affairs, V Meeting of Consultation, Final Act: „[Resolution] I: The Declaration of Santiago, Chile“, OEA/Ser.F/II.5, Doc. 89 rev. 2, 12.10.1959, 4-6 M. Margaret Ball: „Issue for the Americas: non-intervention v. human rights and the preservation of democratic institutions“, in: International Organization 15 (1961) 1, 21-31, 21 „[Resolution] IX: Effective exercise of representative democracy“, a.a.O., 11 65 „It has been considered essential […] that such [human] rights be protected by a juridical system, so that men will not be driven to the extreme expedient of revolt against tyranny and oppression.“223 Eine neue Rolle der OAS als einer anti-diktatorischen Allianz folgte daraus unmittelbar aber nicht, wie nachfolgend an dem Umgang der OAS mit der Trujillo-Diktatur in der Dominikanischen Republik nachgewiesen werden kann. 3.2 Die OAS als anti-diktatorische Allianz? Sanktionen gegen die Dominikanische Republik (1960) Da die Mehrheit der amerikanischen Staaten 1959 in Santiago an einem unbedingten Nichteinmischungsgrundsatz festhielt, begab sich die OAS der Möglichkeit, die Spannungen der Karibischen Region nachhaltig zu befrieden. Die zahlreichen Auseinandersetzungen in der Krisenregion, die sich neben anderen Faktoren charakteristischerweise aus der ideologischen Frontstellung zwischen „Demokraten“ und „Diktatoren“ speisten, konfrontierten den Rat der OAS mit dem grundlegenden Prinzipienstreit der Organisation : “Essentially what the Council had to do, if it was to look beyond the immediate conflict, was to measure the doctrine of non-intervention against the doctrine of democratic development.“224 Erwartungsgemäß erlangte dabei das Nichteinmischungsgebot das relativ größere Gewicht: „In any balance of principles of non-intervention and democracy the scales would be tipped toward the former.“225 Zur Verteidigung, Erhaltung oder Wiederherstellung der Demokratie konnte die OAS nur dann in Aktion treten, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen der Verteidigung gegen eine Aggression oder eine andere Friedensgefährung in Anwendung des Río-Vertrages gegeben waren. Die typische karibische Konfliktkonstellation jener Zeit erfüllte potentiell diese Voraussetzungen. Innerstaatliche Machtkämpfe entwickelten sich nämlich leicht zu zwischenstaatlichen Konflikten, weil das Karussell von erfolgreichen und mißlungenen Coups, der ausgiebige Gebrauch der politischen Verbannung in Verbindung mit der großzügigen lateinamerikanischen Tradition des politischen Asyls zu einer großen Zahl sogenannter „Exilados“ führte, die überall in der karibischen Region am Sturz ihrer Heimatregierungen arbeiteten. Entgegen der Bürgerkriegskonvention von Havanna (1928) und ihrem Zusatzprotokoll (1957) duldeten asylgewährende _______________ 223 224 225 „[Resolution] VIII: Human rights“, a.a.O., 10 Edgar S. Furniss, Jr.: „The inter_american system and recent Caribbean disputes“, in: International Organization 4 (1950) 4, 585-597, 594 Ebd. 66 Regierungen, daß auf ihrem Territorium Exilgruppen Umsturzpläne schmiedeten, und nicht selten zettelten sie solche Konspirationen gegen Nachbarregierungen sogar an. Eine Zielscheibe bildete dabei wiederholt das Regime des Generals Rafael Leónidas Trujillo, der seit 1930 die Dominikanische Republik in einen totalitären Polizeistaat und in einen wirtschaftlichen Privatbesitz seiner Großfamilie verwandelt hatte. Der dominikanische Caudillo sah sich durch etliche Invasionsunternehmen von Exil-Dominikanern bedroht, die von Kuba, Haiti und Venezuela ausgingen. Er suchte bei der OAS Schutz und gab dadurch Anlaß, die völlig vergessene Interamerikanische Friedenskommission im Juli 1948 wiederzubeleben. Gleichzeitig verschärfte er selbst mit aggressiven Willkürmaßnahmen die karibische Krise. So unternahm er Versuche, die konstitutionelle Regierung Venezuelas zu stürzen, die die Aufmerksamkeit der OAS auf die Zustände der Dominikanischen Republik gelenkt hatte. Sie gipfelten in einem Komplott zur Ermordung des venezolanischen Präsidenten Rómulo Betancourt, der bei dem Attentat im Juni 1960 knapp mit dem Leben davonkam. Auf Antrag Venezuelas trat das 6. Konsultationstreffen der OAS-Außenminister in San José, Costa Rica zusammen. Zum ersten Mal fand ein solches Treffen in Anwendung des Río-Vertrages statt und zum ersten Mal wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, kollektive Sanktionen nach Art. 8 des Río-Vertrages zu beschließen. Nachdem Nachforschungen der Interamerikanischen Friedenskommission die Urheberschaft der dominikanischen Regierung für das Attentat auf den Präsidenten Venezuelas erwiesen hatten, waren die von den OAS-Außenministern am 21. September 1960 beschlossenen Sanktionen der Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit der Dominikanischen Republik sowie eine teilweise Unterbrechung der Handelsbeziehungen, beginnend mit der sofortigen Einstellung des Handels mit Waffen und Rüstungsmaterial jeder Art.226 Diese kollektiven Sanktionen der OAS stellten jedoch kein Handelsembargo dar, da z.B. die Exporte der Dominikanischen Republik davon unberührt blieben. Den Maßnahmen der OAS kam vor allem ein politischer Symbolwert zu.227 Bei der Behandlung der dominikanischen Situation waren die Zielsetzungen der Vereinigten Staaten und der anderen OAS-Mitglieder _______________ 226 227 Ministers of Foreign Affairs, VI Meeting of Consultation, serving as Organ of Consultation in application of the Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance: „EsolutionI“, in: Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance, Applications, Volume II: 1960-1972, Washington, D.C. ³1973, 8 f. C Lloyd Brown-John: „Economic sanctions: the case of the O.A.S. and the Dominican Republic, 1960-1962“, in: Caribbean Studies 15 (1975) 2, 73-105, 103 ff. 67 keineswegs deckungsgleich. Der nordamerikanische Außenminister Herter, der auf dem Außenministertreffen 1959 in Santiago das Prinzip der Nichteinmischung mit der Begründung hochgehalten hatte, keinem Land sei die Demokratie von außen aufzuzwingen, forderte nunmehr die Umformung der OAS in eine „antidiktatorische Allianz“. Er schlug vor, anstelle von Strafmaßnahmen gemäß Art. 8 des Río-Vertrages die Durchführung freier Wahlen in der Dominikaischen Republik unter internationaler Aufsicht zu beschließen, wobei die OAS z.B. die Formierung von Parteien unterstützen sollte.228 Wegen der Besorgnis der USA über das sich radikalisierende Revolutionsregime Castros standen hinter diesem Vorschlag weniger prodemokratische Motive, als zwei politische Zwecküberlegungen, die Außenminister Herter seinem Präsidenten Eisenhower darlegte: Ein friedlicher Machtwechsel diene der Abwendung einer „revolution which might well produce a communist or Castro-type government in Santo Domingo“ – und – „if we prove successful in this, a very useful precedent will have been set for possible later action when the Cuban matter ist before us.“229 Für die lateinamerikanischen Staaten war der Vorschlag der USA, die inneren Verhältnisse der Dominikanischen Republik politisch neu zu ordnen, so unannehmbar, das er gar nicht erst zur Abstimmung kam. Die vom 6. Konsultationstreffen in San José 1960 tatsächlich beschlossenen Maßnahmen bildeten daher keine kollektive Aktion zur Durchsetzung der repräsentativen Demokratie. Eine entsprechende Aufweichung des Nichteinmischungsgrundsatzes stand für Lateinamerika nicht zur Debatte. Als die USA darauf drängten, die Handelssanktionen auf Erdöl und dessen Derivate sowie Lastkraftwagen und Ersatzteile auszudehnen, enthielten sich bei der Abstimmung darüber am 4. Januar 1961 bereits sechs Staaten – darunter Brasilien und Argentinien – der Stimme. Ihrer Ansicht nach stellte die Dominikanische Republik nicht länger mehr eine Gefahr für den Frieden und die Sicherheit Amerikas dar; die USA stützten ihre Forderung nach einer Verschärfung der Sanktionen ausschließlich auf das Fortbestehen interner Diktatur und verletzten somit den Nichteinmischungsgrundsatz.230 _______________ 228 229 230 G. Pope Atkins; Larman C. Wilson: The United States and the Trujillo regime, New Brunswick 1972, 116-119; Slater, OAS and United States foreign policy, 190 F.; Dreier, Organization of American States and hemisphere crisis, 99 f. Zitiert nach Stephen G. Rabe: Eisenhower and Latin America: the foreign policy of anticommunism, Chapel Hill, 1988, 159 Siehe „Dissenting vote of Brazil“ zum „First Report of the Special Committee to carry out the mandate received by the Council pursuant to Resolution I of the Sixth Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs“, in: Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance, Applications II, 10-12, 13 f. 68 Es läßt sich einwenden, daß die OAS bei der Beachtung des Nichteinmischungsprinzips durchaus inkonsequent war.231 So billigten die lateinamerikanischen Staaten, von denen damals einige deutlich prodemokratisch orientiert waren, stillschweigend, daß die USA nach der Ermordung Trujillos im Mai 1961 das Regime dadurch ausschalteten, indem sie die Familie Trujillo aus dem Land drängten, so daß kein Sippenregime nach dem Vorbild der Somozas entstehen konnte. Gleichwohl hätte die OAS gegen die Trujillo-Diktatur, die drei Jahrzehnte lang ein Schandfleck des amerikanischen Kontinents gewesen war, nichts unternommen, da sie ein insulares Phänomen ohne expansionistische Ideologie – wie man sie wenig später Kuba vorwerfen sollte – gewesen war, wenn Trujillo nicht die Souveränität Venezuelas verletzt hätte. Nicht die Diktatur und die Menschenrechtsverletzungen Trujillos lösten die OAS-Sanktionen gegen die Dominikanische Republik aus, sondern Trujillos Fehler, sein despotisches Regime gewissermaßen „exportieren“ zu wollen. Die OAS setzte daraufhin wohlgemerkt nur den Abwehrmechanismus des Río-Vertrages in einem Fall von Intervention und indirekter Aggression gegen einen amerikanischen Staat in Gang. Für die politische Einordnung der ersten Sanktionen der OAS gegen einen Mitgliedsstaat ist deshalb entscheidend, daß dieser zugleich erste Einsatz der Organisation als „antidiktatorische Allianz“ gerade mit dem Nichteinmischungsgrundsatz gerechtfertigt wurde. Es sollte bis 1979 dauern, ehe die erste, ausschließlich mit Menschenrechtsverletzungen begründete kollektive Brandmarkung eines Diktators – freilich unter Ausnahmebedingungen – möglich wurde. 3.3 Wandel der Basisideologie der OAS: „Ideologischer Pluralismus“ statt repräsentativen Demokratie? Die von der OAS 1960/1962 beschlossenen Sanktionen gegen die „rechte“ Abweichung vom Tugendpfad des „effective exercise of representative democracy“ in der Dominikanischen Republik wurden im Sinne der USA zur Vorübung für das Vorgehen gegen „linke“ Abweichungen von der interamerikanischen Orthodoxie. Die antikommunistischen Caracas-Beschlüsse von 1954 (Anlaß: Guatemala), die Suspendierung des Castro-Regimes von der OAS-Mitgliedschaft, die wirtschaftliche und politische Isolierung Kubas (1962/64) und die dominikanische Intervention von 1965 postulierten die Inkompatibilität zwischen den repräsentativ-demokratischen _______________ 231 Cabranes nennt die Sanktionen der Organisation gegen die Dominikanische Republik „its first substantial departure from the doctrine of absolute non-intervention in the interAmerican system“, in: Michigan Law Review 65 (1966/67), 1147-1182, 1165, Fn. 35 69 Prinzipien des amerikanischen Regionalsystems und dem marxistisch-leninistischen System des „internationalen Kommunismus“. Da sich die OAS mit Vorgängen interner Natur nicht befassen durfte, mußte eine Friedensgefährdung internationalen Charakters hergeleitet werden: Ein radikaler Regimewandel in Lateinamerika war seit den Beschlüssen von 1954 und den auf starken Druck der USA mit knappen Mehrheitsvoten gefaßten Sanktionsbeschlüsse der OAS definitorisch nicht mehr denkbar als Ergebnis autochthoner politisch-gesellschaftlicher Prozesse, sondern nur noch als Ergebnis fremder „extra-kontinentaler“ Intervention. Die schiere Existenz eines „extrahemisphärischen Prinzipen“ zugewandten Regimes galt – unabhängig von seinem konkreten Verhalten – per se als friedensgefährdend und aggressiv. Jedoch hatten die erwähnten Sanktionen den Nichtinterventionsschild zu offenkundig durchbrochen. Die Intervention der USA in Santo Domingo 1965 markierte einen Wendepunkt, von dem an die Legitimationskapazität der OAS für die Lateinamerika-Strategien der USA sich erschöpfte und versagte. Dies schlug sich nicht zuletzt in der politisch-ideologischen Basis der OAS nieder. In einer etwa zehnjährigen Diskussion von 1963 an, intensiviert nach 1965 bis 1973 wurde das – wenn auch nicht im rechtlichen Sinne – „verbindliche“ Demokratie-Konzept ersetzt durch die Formel vom „ideologischen Pluralismus“, welche die Generalversammlung, auf einen breiten Konsens gestützt, 1973 einführte. Die entsprechende Resolution sagte: „[…] plurality of ideologies is a presupposition of regional solidarity“232. Dabei handelte es sich um eine von den USA mit ausgearbeitete Kompromißformulierung, die nicht so weit ging, eine offene Anerkennung des Marxismus auszusprechen, was den Boykott gegen Kuba illusorisch gemacht hätte. Sie ermöglichte aber den anderen OAS-Staaten die Neugestaltung der Beziehungen zu Kuba. Wie an derer Stelle ausgeführt, hob die Konferenz von San José 1975 die Sanktionen zwar nicht auf, stellte aber jedem Mitglied die Normalisierung seiner Beziehungen zu Kuba anheim. Alle Beteiligten einschließlich der USA erlangten so ohne Gesichtsverlust ihre Flexibilität wieder. Der Wandel der Basisideologie der OAS von „repräsentativer Demokratie“ zum „ideologischem Pluralismus“ in den 70er Jahren drückte somit das Unbehagen Lateinamerikas an der Dominanz der USA und an deren oppor_______________ 232 General Assembly, III Regular Session: „AG/RES. 128 (III/0-73): Principles governing relations among the American States“, OEA/Ser. P/III-0.2, 15.04.1973, Vol. I, 137-138. Ohne sachliche Unterscheidung waren in der vorangegangenen Disjussion des General Committee am 10.04.1973 die Begriffe „solidaridad pluralista“, „pluralismo ideológico“, „pluralidad ideológica“ u.ä. verwendet worden. Siehe OEA/Ser. P/AG/CG/ACTA 25/73, 9, 12, 27-29, 33 und ACTA 27/73, 3-4 70 tunistischem Gebrauch des Demokratiekonzepts aus, verhinderte aber nicht, daß ab etwa Mitte der 70er Jahre die Probleme von Demokratie und Menschenrechten wieder verstärkt die OAS beschäftigten. Während 1960 die Sanktionen gegen die Trujillo-Diktatur gerechtfertigt wurden als ein Mittel „to end agression“, kam die OAS 1979 offen als „anti-diktatorische Allianz“ zum Einsatz. 3.4 Präzedenzfall Nicaragua (1979) „Immediate and definitive replacement of the Somoza regime“: Das war die beispiellose Forderung des 17. Konsultationstreffens der OAS-Außenminister im Juni 1979, die mit Menschenrechtsverletzungen und der Vorenthaltung der Demokratie durch die Diktatur Somozas begründet wurde. Zum ersten Mal entzog die OAS ohne Rücksicht auf den allfälligen Interventionsvorwurf dem Staatsoberhaupt eines Mitgliedsstaates die Legitimation. Dieser Präzedenzfall erklärt sich aus einer spezifischen Situation, in welcher er den Höhepunkt eines Delegitimierungsprozesses des Regimes darstellte. Für das Verständnis ist außerdem wichtig, daß die direkte und indirekte Einmischung einer größeren Zahl amerikanischer Staaten in den Bürgerkrieg Nicaraguas gängige Praxis war. Somoza und seine Nationalgarde gerieten in den 70er Jahren zunehmend in die Isolation. Die Diktatur Anastasio Somoza II. Debayles war unfähig, den tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel des Landes politisch zu verarbeiten. Mittels massiver Repression hielt sie am status quo fest. Das Sippenregime bereicherte sich schamlos auch in einer nationalen Notsituation wie der Erdbebenkatastrophe von 1972 und drang mit mafiotischen Praktiken in bisher respektierte Domänen der nicht-somozistischen Unternehmerschaft ein. Der Mord an Pedro Joaquín Chamorro, der Integrationsfigur der gemäßigten, „bürgerlichen“ Opposition, markierte im Januar 1978 einen politischen Wendepunkt. Die Sandinistische Nationale Befreiungsfront FSLN (Frente Sandinista de Liberación Nacional), bis dahin eine unbedeutende, marxistisch orientierte Guerilla-Bewegung, stieg innerhalb weniger Monate zur beherrschenden Kraft im Oppositionslager auf. Obwohl das Gewicht marxistisch-leninistischer Gruppen schwer abschätzbar war, gewann der FSLN durch programmatische Mäßigung Sympathien im In- und Ausland. Die spektakuläre Besetzung des Nationalpalastes durch den FSLN im August 1978 und der anschließende sogenannte Septemberaufstand weiteten sich zum Bürgerkrieg aus, wobei Somozas Nationalgarde durch die Bombardierung und Beschießung der aufständischen Städte den Aufruhr der Bevölkerung vorerst noch blutig niederschlagen konnte. Die zum Bürgerkrieg eskalierte Regimekrise rief mehrere amerikanische Staaten auf den Plan. Die Carter-Regierung versuchte, ihre Menschen- 71 rechtspolitik mit einer ausdrücklichen Politik der Nichteinmischung gegenüber der Situation in Nicaragua zu verbinden. Zu dieser offensichtlich unvereinbaren Doppelstrategie zwang sie der Druck einer größeren, parteiübergreifenden Pro-Somoza-Lobby im US-Kongress, die die Ratifizierung der Panamakanal-Verträge zu sabotieren drohte. Die Administration gab zunächst Vermittlungsbemühungen außerhalb der OAS den Vorzug und versuchte über den Weltwährungsfonds Druck auf Somoza auszuüben, diese Vermittlung zu akzeptieren. Offen mit dem FSLN sympathisierten die Regierungen Castro (Kuba), Pérez (Venezuela), Carazo (Costa Rica) und Torrijos (Panama), die allesamt an der Belieferung der Befreiungsfront mit Waffen beteiligt waren. Costa Rica hatte nicht nur eine Schlüsselstellung bei diesem Waffentransfer via Panama. Trotz seiner offiziellen Neutralität duldete es, daß die Sandinisten von seinem Territorium aus militärisch operierten. Wilson kommt deshalb zu der begründeten Feststellung, daß in entscheidender Weise Costa Rica – nicht Kuba – zum Sieg des FSLN über Somoza beigetragen habe.233 Kubas zweifellos wichtige Rolle bestand vor allem darin, gewissermaßen als Vorbedingung für internationale Unterstützung, die Vereinigung der drei konkurrierenden FSLN-Fraktionen zustandegebracht zu haben. Auch war Kuba der größte einzelne Waffenlieferant der Befreiungsfront. Costa Ricas Rolle bedarf einer kurzen Erklärung. Das mit dem Panamakanal verknüpfte strategische Interesse der USA an Stabilität in Zentralamerika ist Gemeingut. Als Faktor der regionalen Instabilität weniger bekannt ist hingegen die tiefe Rivalität zwischen dem demokratischen Costa Rica und dem diktatorischen Nicaragua, personifiziert in der bitteren Fehde zwischen Präsident José Figueres Ferrer und General Anastasio Somoza I. García und seinen beiden Söhnen. Meist wird verkannt, daß die USA das politische System Costa Ricas klar bevorzugten und enge Beziehungen zu Präsident Figueres unterhielten, welcher modernisierende Ideen mit sozialdemokratischer Tendenz bei gleichzeitigem Antikommunismus vertrat. Zugleich unterstützten die USAS trotz zeitweilig ernster Zerwürfnisse wirtschaftlich und militärisch die somozistische Diktatur mit ihrer Feudalstruktur. Beide Regime erbrachten trotz ihrer unterschiedlichen politischen Systeme vor dem weltpolitischen Hintergrund des Kalten Krieges für die USA eine gleichartige Stabilisierungsleistung, obwohl in ihrer Rivalität eine der wesentlichen Ursachen für die subregionale Instabilität lag. In den schwelenden Konflikt zwischen Costa Rica und Nicaragura wurde die OAS bereits 1948/49 und 1955 eingeschaltet. Als sich Costa Rica _______________ 233 Larman C. Wilson: The Nicaraguan insurrection and the delegitimization of Somoza: intervention and the role of the OAS and US“, in: Terrorism, political violence and world order / Henry Hyunwook Han (Hg.), Lanham 1984, 387-428, 412 ff. 72 1978/79 in „passiver Unterstützung“ dem FSLN als militärischer Aufmarschplatz zur Verfügung stellte, von dem aus er seine Offensiven gegen Somozas Nationalgarde vortrug, setzte diese wiederum den Rebellen auf costaricanisches Territorium nach. Costa Rica, das 1948 seine Armee abgeschafft hatte und nur über Polizeikräfte verfügte, wandte sich 1978 wegen dieser Grenzverletzungen und der Invasionsdrohung Somozas (I´m not ruling out the possibility of declaring war on Costa Rica“) erneut an die OAS. Zeitgleich verlangte Venezuela am 2. September 1978 ein Konsultationstreffen der OAS-Außenminister.234 Wegen der von Washington eingeschlagenen Verzögerungstaktik konnte der Ständige Rat der OAS erst am 18. September 1978 – nach der Niederschlagung des letzten Aufruhrs in Nicaragua (Estelí) – beschließen, eine solche Außenministerkonferenz für den 21. September 1978 einzuberufen. Die entsprechende Resolution wurde mit 23 gegen eine Stimme (Paraguay) angenommen. Gemäß Art. 59 der OAS-Charta konstituierten sich das Siebzehnte Konsultationstreffen der Außenminister. Bei seinen Beratungen wurden drei Gruppen sichtbar: Eine wurde von Venezuela und Costa Rica angeführt, die von der OAS eine scharfe Verurteilung der Regierung Nicaraguas erwarteten. Nach ihrer Auffassung mußte die Gefahr eines sich durch Somozas Unberechenbarkeit regionalisierenden Konflikts so rasch wie möglich durch dessen Sturz ausgeschaltet werden. Eine weitere Gruppe, voran die USA, wollten durch internationale Vermittlung eine „Öffnung“ des SomozaRegimes erreichen. In einer dritten Gruppe formierten sich die autoritären Regime Zentralamerikas und des Cono Sur, die zu verhindern suchten, daß die OAS einen Präzedenzfall für wie auch immer geartete Eingriffe schuf, der sich einmal gegen sie selbst würde kehren können. General Stroessners Paraguay warnte: „Intervention can never be justified on the basis of a supposed human rights violation” [and] „to accept it would limit sovereignty. No cries of anxiety, nor calls for a hypocritical humanitarianism could justify intervention under any pretext. We do not consider ourselves, or any other State, competent to arrogate to itself the right to judge, try, accuse, prosecute, or to act as gendarmes or international policemen in order to audaciously and daringly intrude ourselves, intimidating other states with offensive threats which would break down the fundamental structures of the O.A.S.“235 _______________ 234 235 Art 59 (heute Art. 60) der OAS-Charta: „The Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs shall be held in order to consider problems of an urgent nature and of common interest to the American States, and to serve as the Organ of Consultation. Ministros de Relaciones Exteriores, XVII Reunión de Consulta: „Acta de la primera sesión plenaria“, OEA/Ser.F/II.17, 12/78, 21.09.1978, 18-24. Übersetzung des spanischen Originals: Christina Cerna: „Human rights in conflict with the principle of nonintervention: the case of Nicaraguan before the Seventeenth Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs“, in: Comisión Interamericana de Drechos Humanos: 73 Die am 23. September 1978 von den Außenministern verabschiedete Resolution spiegelt den Gruppenkompromiß, dessen Formel „friendly cooperation“ am wenigsten interventionsverdächtig klang. Die Resolution stellte fest, „that […] Nicaragua has stated that it is willing in principle to accept the friendly cooperation and conciliatory efforts that several member States of the Organization may offer“. Zugleich wurde mit der Zustimmung Nicaraguas beschlossen, einen Untersuchungsausschluß der Intermaerikanischen Menschenrechtskommission zu entsenden.236 Der im November 1979 vorgelegte Bericht der Menschrechtskommission geißelte unmißverständlich die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und Massaker der Regierung Nicaraguas und ihrer Nationalgarde.237 Von der Cater-Administration wurde er als „Schocker“ bezeichnet und für die nächste Entscheidung des 17. Konsultationstreffens der OAS-Außenminister stellte er eine moralische Herausforderung dar.238 Der von den USA angeführten Vermittlungsmission, der die OAS-Außenminister mit ihrer Resolution vom 23. September 1978 stillschweigend zugestimmt hatten, fehlte es an der notwendigen Neutralität, Repräsentativität und Glaubwürdigkeit, da sie vor allem den Zweck verfolgte, eine USfreundliche, „bürgerliche“ Reformregierung in Amt zu bringen, um die revolutionäre Machtübernahme des FSLN und damit ein „zweites Kuba“ zu verhindern.239 Als Somoza es im Februar 1979 schließlich ablehnte, sich einem international überwachten Plebiszit zu stellen, wie es von der Vermittlungsinitiative der USA vorgeschlagen worden war, reagierte Präsident Carter entschlossen und kündigte die teilweise schon suspendierte Wirtschafts- und Militärhilfe für Nicaragua auf. Aus den genannten innenpolitischen Gründen war die US-Administration jedoch an einer kohärenten Politik gehindert, reagierte verspätet auf die Kräfteverschiebung innerhalb _______________ 236 237 238 239 homenaje a la memoria de Carlos A. Dunshee de Abranches, [Washington, D.C. 1984), 93107, 95 Ministers of Foreign Affairs, XVII Meeting of Consultation: „Resolution I“, OEA/Ser.F/II.17. Doc.19/78 rev.2, 23.09.1978 Cerna, Human rights in conflict, 97 Comisión Interamericana de Drechos Humanos: „Informe sobre la situación de los drechos humanos en Nicaragua: resultado de la observación ‚in loco‘ practicada del 3 al 12 de octubre de 1978“, OEA/Ser.L/V/II.45, Doc. 16 rev. 1, 17.11.1978 „Containment“ war die Leitlinie der Carterschen Nicaragua-Politik, so: Martha L. Cottam: „The Carter administration’s policy toward Nicaragua: images, goals, and tactics“, in: Political Science Quarterly 107 (1992) 1, 123-146. Die „International Commission of Friendly Cooperationand Conciliation“ wurde gebildet von einem US-Sonderbotschafter und den Botschaftern der Dominikanischen Republik und Guatemalas. Die Mission war keine OAS-Vermittlung, als die sie z. B. bezeichnet wird von Shirley Christian: Nicaragua: revolution in the family, New York 1985, 87 74 Nicaraguas und wurde schließlich von den Ereignissen überrollt. So erkannte die an der Idee der „Vermittlung“ festhaltende Carter-Regierung nicht, daß die Regimesturz-Stratgie des FSLN mittlerweile von weiten Bevölkerungskreisen bis hin zu den Unternehmerorganisationen und der katholischen Kirchenhierarchie240 unterstützt wurde: „The Carter Administration […] was unable to accept this reality and pursued almost to the end the untenable policy of attempting to reconcile the irreconciliable.“241 Vor dem Hintergrund des sich ausweitenden Bürgerkriegs im Frühjahr 1979 wurde die OAS verstärkt von einigen ihrer Mitgliedsstaaten als Resonanzboden genutzt, um die jeweils eigenen außenpolitischen Ziele zur Geltung zu bringen. Offensichtlich war dies bei den Vereinigten Staaten, die erst auf die OAS setzten, als ihre Politik nach dem Scheitern der eigenen Vermittlungsinitiativen „out of options“ war. Costa Rica und Nicaragua brachten ihren Konflikt über gegenseitige Grenzverletzungen vor die OAS.242 Auch eine Reihe anderer Staaten, wie z.B. Venezuela, Mexiko, Panama und Kolumbien, wurde im multilateralen Rahmen der OAS aktiv, wobei dieser Anti-Somoza-Block weiterhin mit verdeckten unilateralen Aktionen auf den Sturz Somozas hinarbeitete. Den Kern dieses Blockes bildete der Andenpakt. Eigentlich ein Instrument subregionaler Wirtschaftsintegration, diente er bei dieser Gelegenheit den fünf ausschließlich demokratischen Mitgliedsstaaten als ein außenpolitisches Koordinationsgremium.243 Als sich militärisch das Blatt zugunsten der Sandinisten zu wenden begann, reagierte die Regierung Carter erratisch. Hatte sie im Februar 1979 noch mit harschen Sanktionen auf Somozas Weigerung, eine Volksabstimmung über sein Verbleiben entscheiden zu lassen, reagiert, so befürwortete sie Mitte Mai 1979 einen Stützungskredit des Weltwährungsfonds für Nica_______________ 240 241 242 243 Die Repräsentativität der Opposition gegen Somoza spiegelte sich in der neuformierten „Breiten Oppositionsfront“, in der auch der FSLN vertreten war. Wilson, Nicaraguan insurrection, 406 Der Ständige Rat richtete am 17. September 1978 eine Ad hoc-Beobachtungskommission ein, der eine zivile Beobachtermission zur regelmäßigen Überwachung der gemeinsamen Grenze zwischen Costa Rica und Nicaragua an die Stelle gestellt wurde. Da beide Staaten sich als „Aggressionsopfer“ bezeichneten, wurden die Mechanismen des Río-Vertrages in Gang gesetzt. Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance, Applications, Volume III, Part Two, 1977-1981, Washington, D.C. 1982, 19-30 Der Ständige Rat richtete am 17. September 1978 eine Ad hoc- Beobachtungskommission ein, der eine zivile Beobachtermission zur regelmäßigen Überwachung der gemeinsamen Grenze zwischen Costa Rica und Nicaragua an die Seite gestellt wurde. Da beide Staaten sich als „Agressionsopfer“ bezeichneten, wurden die Mechanismen des Río-Vertrages in Gang gesetzt: Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance, Applications, Volume III, Part Two, 1977-1981, Washington, D.C. 1982, 19-30 75 ragua in Höhe von 65,5 Mio. Dollar. Etwas später unterband sie jedoch die vor allem über Israel weiterlaufenden Waffenlieferungen an Somoza. Mitte Juni 1979 unternahm die Carter-Administration eine letzte Anstrengung, ihre Nicaragua-Politik durch die OAS voranzubringen und verabschiedete sich von ihrer offiziell propagierten „Nichteinmischung“.244 Das US-Außenministerium versuchte dabei immer noch, die OAS für eine „politische Lösung“ in Gestalt einer gemäßigten Übergangsregierung als Alternative zum FSLN einzuspannen, während die Andenpaktstaaten bereits erklärt hatten, daß sie den FSLN als kriegführende Partei völkerrechtlich anerkennen wollten: „The decision to use the OAS was a sign that the department had not fully grasped the implications of the Andean Pact statement […]; the Andean countries were moving in the opposite direction from that of the United States. To invite an OAS meeting was to invite an embarrassment at best, a collision at worst.245“ US-Außenminister Cyrus Vance forderte am 21. Juni 1979 vor der Versammlung der OAS-Außenminister unter Hinweis auf eine mögliche Ausdehnung des Konflikts in Nicaragua und die Verwicklung Kubas darin die Ablösung des Diktators Somoza durch eine „Übergangsregierung der nationalen Versöhnung“ und die Entsendung einer OAS-Friedenstruppe nach Nicaragua.246 Dieser Vorschlag stieß bei der Mehrheit der OAS-Staaten und beim FSLN auf heftigen Widerspruch. Entgegen den Bedenken des State Department hatte Präsident Carter, nach Rücksprache mit Sicherheitsberater Brzezinski, persönlich den Hinweis auf Kuba („mounting evidence of involvement by Cuba“) und die Aufforderung „the member states of this Organization must consider on a[n) urgent basis the establishment of a peace-keeping force“ in den Redetext seines Außenministers geschrieben.247 Wegen der bekannten lateinamerikanischen Empfindlichkeiten wirkten diese Reizthemen zwangsläufig kontraproduktiv im Bemühen der USA um eine „politische Lösung“ im nicaraguanischen Bürgerkrieg. Ein Gegenvorschlag der von Venezuela angeführten Andenpaktstaaten bildete, nachdem die USA ihren Vorschlag _______________ 244 245 246 247 Dies wurde u.a. bewirkt von der kaltblütigen Ermordung eines US-amerikanischen Journalisten durch die Nationalgarde Somozas am 20. Juni. Die über alle Fernsehkanäle in den USA ausgestrahlte Filmaufzeichnung der Hinrichtung wurde auch auf dem Konsultativtreffen der OAS-Außenminister am 21.Juni vorgeführt. Robert A, Pastor: Condemned to repetition: the United States and Nicaragua, with a new epilogue, Princeton 1988, 141 Ministers of Foreign Affairs, XVII Meeting of Consultation: „Statement of the U.S. representative, reconvened 17th Meeting of Foreign Ministers, June 21, 1979“, OEA/Ser.F./II.17, Doc. 38/79, 21.06.1979 Anthony Lake: Somoza falling, Boston 1989, 224. Die US-Diplomaten milderten die stark tönende Formulierung „peace-keeping force“ im entsprechenden Resolutionsentwurf der USA zu „OAS presence“ ab 76 einer OAS-Friedenstruppe hatten fallenlassen, die Grundlage für die mit 17 gegen zwei Stimmen (Nicaragua und Paraguay) bei sechs Enthaltungen angenommene Schlußresolution, die lautete: „WHEREAS: The people of Nicaragua are experiencing the horrors of a fierce armed conflict […]; The inhumane conduct of the dictatorial regime governing the country, as evidenced by the report of the Inter-American Commission of Human Rights, is the fundamental cause of the dramatic situation faced by the Nicaraguan people […]; THE SEVENTEENTH MEETING OF CONSULTATION OF MINISTERS OF FOREIGN AFFAIRS DECLARES: That the solution of the serious problem is exclusively within the jurisdiction of the people of Nicaragua. That in the view of the Seventeenth Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs this solution should be arrived at on the basis of the following: 1. Immediate and definitive replacement of the Somoza regime. 2. Establishment, within Nicaraguan territory, of a democratic government, the composition of which should include the principal groups representative of the Somoza regime´s opposition and should reflect the free will of the people of Nicaragua. 3. Guarantee of the respect for human rights of all Nicaraguan without exception. 4. The holding of free elections as soon as possible, that will lead to the establishment of a truly democratic government […]. RESOLVES: 1. To urge the member states to take whatever steps within their reach to facilitate an enduring and peaceful solution to the Nicaraguan problem on the bases set forth above, while scrupulously respecting the principle of nonintervention […].“248 (Hervorhebungen mit Kursivschrift durch d. Verf.) Obgleich diese Resolution die konkreten Folgerungen dem Handeln der einzelnen Mitgliedsregierungen anheimstellte, war sie präzedenzlos, da die OAS zum ersten Mal die Ablösung des amtierenden Staatschefs eines Mitgliedslandes forderte. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission stellte dies 1981 heraus: _______________ 248 Ministers of Foreign Affairs, XVII Meeting of Consultation: „Resolution II“, OEA/Ser.F/II.17, Doc.40/79 rev. 2, 23.06.1979 77 „On June 23, 1979, the XVII Meeting of Consultation approved a resolution which, for the first time in the history of the OAS and perhaps for the first time in the history of any international organization, deprived an incumbent government of a member state of the Organization of legitimacy, based on the human rights violations by that government against its own population.“249 Die Resolution vom 23. Juni 1979 ist als Kulminationspunkt eines schrittweisen Delegitimierungsprozesses des Somoza-Regimes anzusehen. Zum Zeitpunkt der Versammlung der OAS-Außenminister war das Ende der Somoza-Diktatur absehbar, nachdem der „Frente“ bereits 20 Städte in Nicaragua militärisch erobert hatte. Die von der Resolution ausgehende Wirkung bezeichnet Wilson deshalb als “Gnadenstoß“.250 In der Tat antwortete Somoza auf die Frage, wann er sich zu seiner am 17. Juli 1979 erfolgten Flucht aus Nicaragua entschieden habe: „from the moment the OAS made that decision. Look, I´m a realist. What role do I play when I have the OAS down my neck?“251 Wichtige Stationen der Delegitimierung der SomozaRegierung waren die Breite und Repräsentativität des vom FSLN angeführten Volksaufstandes, der Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, und der sukzessive Abbruch der diplomatischen Beziehungen lateinamerikanischer Staaten mit Nicaragua.252 Während der Versammlung der OAS-Außenminister am 21. Juni 1979 war ein gegenläufiger, legitimierender Prozeß zugunsten der Somoza-Gegner im Gange: Ein Markstein dieser Entwicklung war es, daß die Außenminister des Andenpaktes auf ihrem Treffen am 16. Juni in Caracas die Sandinisten als kriegführende Partei anerkannten.253 Die am selben Tag in Costa Rica gebildete Junta der nicaraguanischen Regierung für den nationalen Wiederaufbau wurde sofort von Panama und Grenada, Ende Juni von Brasilien und Peru, und im Juli von Costa Rica als die legitime Regierung Nicaraguas anerkannt. Bedenken hinsichtlich des „interventionistischen“ Charakters der OASResolution vom 23. Juni 1979 wurden nicht nur vom Vertreter des Militärregimes in Paraguay und selbst redend von Nicaragua vorgebracht, wie auch _______________ 249 250 251 252 253 Inter-American Commission on Human Rights: „Report on the situation of human rights in the Republic of Nicaragua“; OEA/Ser. L/V/II.53, Doc. 25, 30.06.1981, 2 Wilson, Nicararguan insurrection, 411 Karen DeYoung: „Somoza agrees to quit, leaves timing to U.S.“, Washington, Post, 07.07.1979, A1; A3 Costa Rica: November 1978; Mexico: Mai 1979; Ecuador and Panama: Juni 1979 (vor dem Außenministertreffen der OAS). Völkerrechtlich bedeutete dies eine Gleichstellung der von Somoza als „Terroristen“ und „Guerilla“ bezeichneten sandinistischen Befreiungsfront mit der gegnerischen Nationalgarde Somozas. 78 das ja keineswegs einstimmige Abstimmungsergebnis belegt. Immerhin hatte Mexiko, ansonsten der unerschütterliche Sachwalter des Nichteinmischungsgrundsatzes, der von den Andenpaktstaaten vorgeschlagenen Resolution zugestimmt, weil es sie nicht als Einmischung, sondern „as an act of hemispheric solidarity and political support to an internal process approaching its culmination“ betrachtete.254 Eine Einmischung hätte es nach mexikanischer Auffassung dargestellt, wenn die OAS Einfluß auf den Ausgang dieser inneren Entwicklung, so z.B. die Zusammensetzung der neuen Regierung Nicaraguas (etwa nach den Vorstellungen der USA), genommen hätte. Das Interventionsargument war deshalb auch nachrangig, weil die Intervention auswärtiger Staaten bzw. Staatengruppierungen (Andenpakt) – ganz überwiegend zugunsten der Sandinisten – bereits die Regel war: „In fact, while paying lip-service to non-intervention, the practice was intervention by all.“255 Vor allem Costa Rica, Venezuela, Panama und Kuba waren seit dem Beginn des Widerstandes gegen Somoza im Jahr 1977 aktiv in den inneren Konflikt Nicaraguas verstrickt. Ihre Einmischung datiert mithin lange vor der Delegitimierung Somozas durch die OAS als der zentralen „regional licensing agency“ (Wilson), die im Bericht ihrer Menschenrechtskommission vom November 1978 Somoza als einen Diktator brandmarkte, der seine eigene Bevölkerung bombardieren ließ. Auf geschlossene Ablehnung der lateinamerikanischen Staaten stieß hingegen jede Form der Einmischung der Vereinigten Staaten, obwohl sie zugleich die diffuse Erwartung an die USA richteten, das von ihnen mitgeschaffene Problem Somoza zu bereinigen: „They wanted Washington to make things right in Central America, but not through an interventionist exercise of American power, even under cover of the OAS.“256 Die Resolution des 17. Konsultationstreffens der Außenminister vom 23. Juni 1979 war bahnbrechend, da zum erstenmal die Entfernung eines diktatorischen Regimes gefordert wurde, das sich Menschenrechtsverletzungen hatte zuschulden kommen lassen. Die bis dahin unter den OAS-Mitgliedsstaaten vorherrschende Auffassung, wonach das Prinzip der Nichteinmischung völkerrechtlich zwingend, das Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten hingegen nur moralisch verpflichtend sei, wurde damit sozusagen auf den Kopf gestellt. Es zeigte sich, daß das Prinzip der Nichtintervention nicht eigentlich eine juristische „Doktrin“ war, sondern ein ganz und gar politisches Prinzip, das nach Opportunität gedehnt, manipuliert oder gar vernachlässigt werden konnte. Menschenrechtliche und demokratische Normen transzendierten erstmalig das Nichtinterventionsprinzip und recht_______________ 254 255 256 Cerna, Human rights in conflict, 100 Wilson, Nicaraguan insurrection Lake, Somoza falling 79 fertigten zumindestens die Ausnahme von der Regel.257 Dieses Ergebnis verdankte sich der beschriebenen Konstellation im besonderen Fall Nicaragua – dem bereits fortgeschrittenen Legitimationsverlust des Somoza-Regimes und der Absicht der zum Teil selbst massiv intervenierenden lateinamerikanischen Staaten, die USA von einer Intervention abzuhalten. Daß die OAS wegen Meschenrechtsverletzungen erstmals kollektiv die Abdankung eines Diktators forderte, kam au feiner Ad hoc-Basis zustande und begründete deshalb nicht unmittelbar eine neue Praxis der Staatenorganisation. Dies wird an späterer Stelle am Beispiel der Panama-Krise von 1989 zu zeigen sein, bei der die traditionellen Vorbehalte gegenüber Einmischungen in die Domaine réservée staatlicher Souveränität erneut Oberhand gewannen und die kollektiven Handlungsmöglichkeiten der OAS beschränkten. Als Präzedenzfall kommt der Resolution zur Brandmarkung Somozas jedoch ohne Zweifel eine gewisse Fernwirkung auf die Demokratisierungsfunktion der OAS zu, welche die Organisation seit Beginn der 90er Jahre stärker zur Geltung bringen sollte. 3.5 Wiederentdeckung des Demokratieprinzips in den 1980er Jahren Das im Dezember 1985 verabschiedete, im November 1988 in Kraft getretene Reformprotokoll von Cartagena de Indias zur Revision der OASCharta „marked a turning point“, so ein hochrangiger OAS-Beamter, „in the role of the OAS is called upon to play in support of democracy“.258 Als wichtigsten Aspekt dieser Revision der OAS-Charta verdeutlichte der Stellvertretende OAS-Generalsekretär McComie ranghohen Militärs aus 16 lateinamerikanischen Ländern, „that wherever in the future you have elected governments changed other than by elections or by an expression of the will of the people, that this could be interpreted as a violation of the Charter of the OAS.“259 _______________ 257 258 259 Juan Carlos Puig: „El principio de no intervención en el derecho internacional público interamericano: influencia de las nuevas relaciones internacionales“, in: Anuario Jurídico Interamericano 1979 (1980), 55-87, 87 Hugo de Zela: „The role of the Organization of American States in the promotion of democracy in the Americas“, in: Unit for the Promotion of Democracy: elections and electoral observations. Washington, D.C. 1993, 91-100, 91. Ebenfalls von einem Wendepunkt spricht Francisco Villagrán de León: The OAS and democratic development. Washington, D.C. ²1992, 9 „Amended OAS Charter stresses democracy“ (CANA, Bridgetown, 30.01.1986) Foreign Broadcast Information Service. FBIS Daily Report – Latin America, 6 (31.01.1986) 21, A1; A2 (PrEx 7.10: FBIS-LAM-86-021). 80 Villagrán de León zufolge spiegelte das Reformprotokoll von Cartagena die regionale Demokratisierungswelle, die im Laufe der 80er Jahre in den meisten lateinamerikanischen Ländern gewählte Zivilregierungen an die brachte, „and opened the way for an important reassessment of the scope of multilateral cooperation, which until then had been constrained by the principles of nonintervention and selfdetermination.”260 Ihrer Tendenz nach und im Lichte der weiteren Entwicklung ist diese Einschätzung gewiß nicht falsch, doch ergibt im folgenden eine genauere Exegese des Reformprotokolls von Cartagena überwiegend Belege für das außerordentliche Beharrungsvermögen des Nichtinterventionsprinzips im interamerikanischen System. Tatsächlich nimmt die in Cartagena de Indias amendierte OAS-Charta verstärkt Bezug auf das Demokratieprinzip – nicht aber ohne zugleich den Grundsatz der Nichteinmischung erneut zu bekräftigen. Ein der Präambel der Charta auf Argentiniens Initiative hin eingefügter Abschnitt verkündet die Überzeugung, „that democracy is an indispensable condition for stability, peace and development of the region“.261 Eine profiliertere Demokratisierungsfunktion der OAS, wie sie führende Funktionäre der Organisation mit dem Ziel einer „task expansion“ daraus schon ableiten wollten, widersprach aber den Vorstellungen maßgeblicher Mitgliedsregierungen, allen voran Mexiko. Nicht anders ist folgender, in Artikel 1 des ersten, die Zuständigkeit der OAS definierenden Kapitels der revidierten Charta zur Neutralisierung beigegebener Absatz nicht zu verstehen, der lautet: „The Organization of American States has no powers other than those expressly conferred upon it by this Charter, none of whose provisions authorizes it to intervene in matters that are within the internal jurisdiction of the Member States.“262 Der zitierte Absatz wurde auf Betreiben Mexikos eingefügt, dessen außenpolitischer Aktionsschwerpunkt traditionell in der Betonung des Nichtinterventionsprinzips, der Verteidigung der nationalen Souveränität und des Rechts auf Selbstbestimmung lag. Da der außenpolitische Fundus Mexikos über effektive machtpolitische Mittel nicht verfügt, hat Mexiko „völkerrechtliche Formen zur Verteidigung seiner nationalen Interessen bis zur Perfektion entwickelt und versucht diesen Formen auf internationaler Ebene zum Durchbruch zu verhelfen“, was dem Land „einen klar erkennba_______________ 260 261 262 OAS and democratic development, 9 Protocol of Amendment Protocol of Amendment, Art. 1, Abs. 2 81 ren Einfluß in vielen internationalen Organisationen verschafft“ hat.263 Auch das Reformprotokoll von Cartagena de Indias bestätigt diesen Befund: Dieses Unternehmen der formaljuristischen Verfeinerung der Statuten der OAS trägt nachweislich Mexikos legalistisch-defensive Handschrift. Das selbst demokratisch nur unvollständig legitimierte Regime Mexikos fühlte sich in besonderer Weise aufgerufen, als Gralshüter des Nichtinterventionsprinzips dessen etwaiger Relativierung durch das Demokratieprinzip entgegenzuwirken. Es ist deshalb festzuhalten, daß trotz dem erneuerten Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie der OAS mitnichten ein zur Durchsetzung und Förderung der demokratischen Ordnung entsprechend erweitertes Handlungspotential eingeräumt werden sollte, zumal der Organisation mit dem um einen neuen Abschnitt (b)ergänzte Artikel 2 ihrer Charta geradezu die Quadratur des Kreises zur Aufgabe gemacht wird, nämlich „to promote and consolidate representative democracy, with due respect for the principle of nonintervention“.264 Um so nachdrücklicher werden die Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Mitgliedsstaaten in einem neuen Abschnitt (e) von Artikel 3 betont: „Every State has the right to choose, without external interference, its political, economic, and social system and to organize itself in the way best suited to it, an has the duty to abstain from intervening in the affairs of another State. Subject to the foregoing, the American States shall cooperate fully among themselves, independently of the nature of their political, economic, and social systems”.265 Diese ebenfalls von Mexiko lancierte Betonung des Nichtinterventionsprinzips fällt hier besonders kräftig aus, wenn man den zitierten Abschnitt mit dem inhaltlich gleichartigen, sprachlich aber verhalteneren Artikel 16 der Charta vergleicht.266 Tatsächlich scheint der neu eingefügte Artikel 3 (e) _______________ 263 264 265 266 Wolf Grabendorff: „Mexikos Außenpolitik: Möglichkeiten und Grenzen einer mittleren Macht der Dritten Welt“, in: Polarität und Interdependenz: Beiträge zu Fragen der Internationalen Politik / Stiftung Wissenschaft und Politik (Hg.). Baden-Baden 1978, 433445, 444 Protocol of Amendment, Art. 2 (b). Die erste Hälfte des Zitats geht auf die argentinische, die zweite (vom Verf. hervorgehobene) Hälfte hingegen auf die mexikanische Initiative zurück. Siehe dazu Ricardo Macouzet Noriega: „México en la OEA: del distanciamento a la cooperación“, in: Carta de Política Exterior Mexicana 6 (1986) 4, 17-28, 22 Protocol of Amendment, Art. 3 (e) „Each State has the right to develop its cultural, political, and economic life freely and naturally.“ Daran schließt die – im neuen Art. 3 (e) auffälligerweise weggelassene Maßgabe an: „In this free development, the State shall respect the rights of the individual and the principles of universal morality." 82 eine weitgehend überflüssige Verdoppelung von Artikel 16 darzustellen, abgesehen davon, daß er zusätzlich eine Kooperationspflicht der amerikanischen Staaten untereinander – ungeachtet der jeweiligen politischen Regime – stipuliert. Es demnach festzuhalten, daß diese Redundanz politisch gewollt war, um entsprechend den Grundsatz der Nichteinmischung „doppelt“ zu unterstreichen. Der bei dieser Statutenänderung erneut aktualisierte Konflikt zwischen Demokratie- und Nichtinterventionsprinzip kam in den Vorbehaltsklauseln klar zum Ausdruck, welche die Vereinigten Staaten bei der Unterzeichnung und Mexiko anläßlich der Ratifikation des Reformprotokolls von Cartagena anbrachten.267 Die USA machten geltend, daß Artikel 3 (e) entsprechend dem in Artikel 3 (d) niedergelegten Prinzip der repräsentativen Demokratie zu interpretieren sei: „Accordingly, it neither bars the promotion under the Charter and Rio Treaty of democracy and security by the Organization an its member states, nor requires the OAS or its member states to accept regimes that are undemocratic or otherwise hostile to inter-American values, nor is it intended in any way to change the fundamental character of the OAS as an organization of American States.” Im Gegensatz dazu wollte Mexiko festgehalten wissen, daß Artikel 3 (e) “introduces political pluralism into the Charter as the guiding principle of inter-American coexistence and stresses the inalienable right of every State to choose, without external interference, the political, economic and social organization best suited to it, establishes the obligation of the American States to cooperate fully among themselves, independently of their political, economic and social systems […]” Mexiko zog sich damit letztlich au feine überwunden geglaubte Position zurück, die verneint, daß Menschenrechte eine auch internationale Regelungsmaterie sind. Dies widersprach u.a. der Amerikanischen Menschenrechtskonvention, die in Artikel 23 ein Beteiligungsrecht an der Staatswillensbildung stipuliert.268 Der Hintergrund für Mexikos Ratifikationsvorbehalt, der zugleich den ideellen Prinzipienkonflikt in der OAS-Charta realpolitisch spiegelte, war folgender: Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hatte in den Jahren 1985 und 1986 Individualbeschwerden entgegengenommen, in denen Kandidaten der konservativen mexikanischen Oppositionspartei PAN Akte _______________ 267 268 Mexikos Ratifikation datiert auf den 11. Oktober 1988. American Convention on Human Rights, „Pact of San José, Costa Rica“. Signed at the Inter-American Specialized Conference on Human Rights, San José, Costa Rica, November 7-22, 1969. Washington, D.C. 1970, OEA/Ser.A/16 (English) = Treaty series; 36 83 von Wahlbeeinflussung und –fälschung seitens der allein herrschenden Staatspartei PRI beklagten. Die mexikanische Regierung bestritt die Zuständigkeit der Kommission als einem Organ der OAS. Sie argumentierte, daß „[if a] State agreed to submit itself to international jurisdiction with respect to the election of its political bodies, a State would cease to be sovereign“.269 Dabei war die Beobachtung und Erörterung von Präsidentschaftswahlen in Mitgliedsstaaten seit den 60er Jahren nichts Neues, auch wenn ausgeprägte Feldmissionen erst seit 1989 zum politischen Repertoire der OAS gehören. Die Menschenrechtskommission wies in ihrer grundsätzlich gehaltenen Antwort auf Mexikos Einlassung auf die Rechtspflichten der Staaten im interamerikanischen System hin: „Hemispheric legal discourse has insisted, for its part, on the existence of a direct relationship between the exercise of political rights thus defined and the concept of representative democracy as a form of the organization of the State, which at the same time presupposes the observance of other basic human rights.“270 Auf diesen Zusammenhang, wonach nur die tatsächliche Ausübung der repräsentativen Demokratie die Menschenrechte gewährleisten kann, hatte die Kommission früher schon abgestellt.271 Schließlich leitete sie 1991 aus den einschlägigen Vorgaben der OAS-Charta unmißverständlich ab, daß die repräsentative Demokratie „is the form of State organization explicitly espoused by the member states of the Organization of American States.“272 Den – von Mexiko in diesem Zusammenhang regelmäßig erhobenen – Einmischungsvorwurf wies die Kommission u.a. mit der Begründung zurück, das Prinzip der Nichteinmischung sei konditioniert durch die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten der OAS, die Menschenrechte zu beachten: „A proper interpretation of the principle of non-intervention, therefore, is the protection of the right of States to non-intervention, provided that the State conducts itself in such a way that the rights of the individual are respected.“273 Die hier wiedergegebenen Stellungnahmen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission lassen sich jedoch angemessen nur würdigen, wenn man berücksichtigt, daß die Kommission ein von den Interessen der Mit_______________ 269 270 271 272 273 Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights, 1989-90, 103, §26 107, §41 Sie sprach von „The organic relation that exists between representative democracy and human rights“: Annual report of the Inter-American Commission on Human Rights, 198586, OEA/Ser.L/V/II.68, Doc. 8 rev. 1, 26.09.1986, 91 Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights, 1990-91, OEA/Ser.L/V/II.74, Doc. 12 rev. 1, 22.02.1991, 514 f. Ebd., 516 84 gliedsstaaten unabhängiges Expertengremium und als einziges „autonomes Organ“ der OAS „self-activating“ ist. Dies erlaubte es ihr, der Mutterorganisation an der Spitze des „demokratischen Fortschritts“ vorauszueilen. Wie zu zeigen war, schlugen sich im Gegensatz dazu bei der Revision der OASCharta im Reformprotokoll von Cartagena de Indias die hergebrachten, an prominenter Stelle von Mexiko formulierten Vorbehalte gegenüber Einmischungen in die „inneren“ Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten durch. Auch wenn das Reformprotokoll von Cartagena eine wichtige Etappe bei der politischen Entmottung der OAS darstellte, so war das anläßlich der Statutenänderung 1985 erneuerte Bekenntnis der OAS zum Demokratieprinzip noch nicht der „Wendepunkt“, von dem aus die repräsentative Demokratie zu einem verbindlichen Leitprinzip der interamerikanischen Staatenbeziehungen hätte avancieren können. Vielmehr wurde das im Reformprotokoll deklaratorisch bekräftigte Demokratieprinzip zugunsten des immer noch sakrosankten Nichteinmischungsgrundsatzes mit einer Reihe von Kautelen versehen und damit letztlich neutralisiert. Wie eng hierbei noch – im Vergleich zu den Beschlüssen der OAS ab dem Juni 1991 – das Koordinatensystem gehalten wurde, in dem sich die Demokratisierungsfunktion der OAS zu halten hatte, läßt sich im folgenden sehr gut an den Handlungsrestriktionen der Panama-Mission der OAS im Jahr 1989 verdeutlichen. Sie ist als Fallbeschreibung deshalb um so interessanter, als ihr Scheitern einen kollektiven Lerneffekt anschob und einen Einstellungswandel der OAS-Mitgliedsstaaten gegenüber diktatorischen Regimen in den eigenen Reihen voranbrachte. 3.6 Die gescheiterte Panama-Mission (1989): Kollektiver Lerneffekt für den Umgang mit Diktatoren Bekanntlich versuchte die Regierung der Vereinigten Staaten seit Beginn des Jahres 1988 den panamaischen Oberbefehlshaber Manuel Antonio Noriega zu isolieren und wenn möglich zu vertreiben, nachdem er den Präsidenten Eric Delvalle abgesetzt hatte, Panama aus der Kaserne heraus regierte und vor zwei Gerichten in Florida wegen der Beteiligung an internationalen Drogengeschäften angeklagt war. Die von der ReaganAdministration im April 1988 angeordneten Wirtschaftssanktionen gegen Panama verfingen ebensowenig wie Verhandlungen von Außenminister Schultz über einen friedlichen „Abgang“ des einstigen Schützlings verschiedener US-Geheimdienste und wechselnder US-Regierungen, der nicht mehr in das Bild einer Administration paßte, die der Droge den „Krieg“ erklärt hatte. Die lateinamerikanischen Staaten verhielten sich gegenüber dem De facto-Machthaber Panamas ambivalent. Das 26 Nationen Lateinamerikas 85 und der Karibik umfassende Lateinamerikanische Wirtschaftssystem SELA verurteilte fast einhellig die US-Sanktionen gegen Panama und erwog sogar ein finanzielles Nothilfeprogramm für die von Noriega widerrechtlich eingesetzte Regierung Solís Palma. Dies war ein klares Signal an Washington, daß die Regierungen der Region eine Einmischung der USA ablehnten. Auch in der OAS überwog das Ressentiment gegen Eingriffe in innere Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates, zumal Panama „am isthmischen Schnittpunkt der interamerikanischen Beziehungen“ und auf Grund seiner 140-jährigen Symbiose mit den USA seit jeher ein Zielpunkt von US-Interventionen gewesen war.274 Der Ständige Rat der OAS ließ gegen den vehementen Protest der USA und Einwände von Costa Rica, Guatemala, Argentinien und Uruguay den von der Marionetten-Regierung Solís Palma designierten Vertreter zu, während der vom – nach Meinung der USA der jure einzig legitimen – Präsidenten Delvalle ernannte bisherige OAS-Botschafter Panamas seinen Platz räumen mußte.275 Eindeutig gegen die Diktatur Noriegas stellte sich allein die demokratische Staatengemeinschaft der „Gruppe der Acht“, die im Februar 1988 Panama von der Aktiven Mitgliedschaft in der Achtergruppe suspendierte. Die Krise spitzte sich zu, als die Präsidentschaftswahlen vom 7. Mai 1989 auf Anweisung General Noreigas annulliert wurden, weil trotz offensichtlicher Manipulationen unter den Augen internationaler Beobachter ein Wahlerfolg der Opposition nicht zu leugnen war. Mit gewalttätigen Übergriffen von „Bataillone der nationalen Würde“ genannte Schlägertrupps gegen die offenkundig siegreichen Kandidaten des oppositionellen Parteienbündnisses ließ Noriega vollends die Maske fallen. Das bot der neuen BushAdministration bei ihrer ersten außenpolitischen Herausforderung eine Gelegenheit, von der bisherigen einseitigen und fruchtlosen Handhabung des Konflikts mit Panama abzugehen, zu der sie dann mit der Invasion Panamas und der Gefangennahme Noriegas zum Jahreswechsel 1989/90 zurückkehren sollte. Von lateinamerikanischer Seite wurde die US-Regierung gedrängt, eine Lösung des Konflikts mit Mitteln der regionalen Diplomatie zu suchen. Der seinerzeit als informeller Sprecher Lateinamerikas geltende venezolanische Staatspräsident Carlos Andrés Pérez rief zusammen mit anderen Staatschefs Lateinamerikas im Mai 1989 zu einer scharfen internationalen Verurteilung _______________ 274 275 Friedrich von Krosigk: „Panama und die Grenzen US-amerikanischer Hegemonie: Überlegungen zum Konzept der Gegenmacht“, in: Zeitschrift für Lateinamerika (1992) 43, 81-93, 81 Don Shannon: „OAS council approves Noriega ambassador despite U.S. protest“, Los Angeles Times, 28.02.1988, I-6; I-8 86 des Noriega-Regimes auf und versuchte gleichzeitig die USA strikt auf ein multilaterales Vorgehen in der OAS zu verpflichten: „The United States is a part of the OAS, and it will intervene there“. Pérez bekräftigte: „What we are interested in, is that the United States acts within the OAS.“276 Für die USA war die multilaterale Option durchaus interessant, weil die Politischen Kosten einer amerikanischen Militäraktion wegen des „Gringo-Faktors“ in ganz Lateinamerika sehr hoch erschienen und die neue Bush-Administration generell zu außenpolitischer Zurückhaltung und niedrigem Risiko tendierte. Das Szenario vor dem von Venezuela beantragten Konsultativtreffen der OAS-Außenminister am 17. Mai 1989277 glich dem Fall Nicaragua vor damals fast genau zehn Jahren, wo es auch Pérez gewesen war, der sich in vorderster Linie für die kollektive Brandmarkung des Diktators Anastasio Somoza eingesetzt hatte.278 Die USA hatten somit die Hoffnung, auf diplomatischer Ebene abermals eine durchgehende Front zur effektvollen Isolierung des Diktator aufbauen zu können. Wie aber gezeigt wurde, war der OAS im Juni 1979 der seltene Akt von Geschlossenheit vergleichsweise leicht gefallen, weil die militärische Niederlage Somozas in dem Volkskrieg unter der Führung des Frente Sandino, den damals erst wenige diktatorischer Neigungen verdächtigten, unmittelbar bevorstand. In Panama fehlte jedoch der Druck der Waffen, ein von der Opposition initiierter Generalstreik wurde nur halbherzig befolgt. Wegen der historisch bedingten Abhängigkeit Panamas von den USA war zu erwarten, daß in der OAS das Nichteinmischungsprinzip anstelle des provozierenden Wahlbetruges und der Menschenrechtsverletzungen zum dominierenden Thema würde, weshalb Pérez die Lateinamerikanischen Regierungen mahnte: „Sometimes nonintervention becomes the most subtle form of intervention."279 Wie sehr im Panama-Konflikt die traditionellen Vorbehalte gegen eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates im Vordergrund standen, ließ die erste Resolution der OAS-Außenminister erkennen. Der ursprüngliche Resolutionsentwurf, der vor allem auf Peru zurückging, dessen Präsident Alan García den Gewaltstreich Noriegas immerhin als erster öffentlich kritisiert hatte, nannte den Usurpator überraschender_______________ 276 277 278 279 Julia Preston: „Latin American nations condemn Panama and warn U.S. on intrusion“, International Herald Tribune, 13./14.05.1989, 5 Permanent Council: „CP/RES. 522 (776/89): Convocation of the Twenty-first Meeting of Consultation of Ministers“, OEA/Ser.G., CP/RES. 522 (776/89), 12.05.1989 Constantine C. Menges: „There’s solid precedent in seeking OAS consensus on isolating Noriega“, Los Angeles Times, 17.05.1989, II-7; L. Ronald Scheman: „Nations of the hemisphere find commitment to democracy tested“, ebd. Julia Preston: „Venezuelan leader to press to denounce Noriega“, Washington Post, 13.05.1989, A10 87 weise nicht einmal beim Namen. Um so mehr betonte der Text stattdessen das Prinzip der Nichtintervention, was als Kritik an dem freilich dosierten Machtsignal von Präsident Bush zu verstehen war, der die in der Kanalzone stationierten US-Truppen um eine Brigade verstärkt hatte. Der Resolutionsentwurf forderte die USA überdies auf, die Carter-Torrijos-Verträge aus dem Jahr 1977 zu respektieren. Die von Außenminister Baker und dem designierten Assistenzstaatssektretär für interamerikanische Beziehungen, Bernard Aronson, geführte US-Delegation vermöchte jedoch nach stundenlanger Diskussion hinter verschlossenen Türen auch überzeugte Anwälte des Nichtinterventionsprinzips wie Mexiko und Brasilien zu einer deutlicheren Sprache gegenüber Noriega bewegen. Die schließlich gefaßte Kompromißresolution schob Noriega die Verantwortung für die schwerwiegenden Vorfälle im Zusammenhang mit den Wahlen sowie die „empörenden Mißbräuche gegen die Oppositionskandidaten und Bürger“ zu. Sie verlangte eine „demokratische Übertragung der Macht in Panama“, forderte General Noriega aber nicht ausdrücklich zum Rücktritt auf. Eine Dreierdelegation der OAS, zusammengesetzt aus den Außenministern von Ecuador, Guatemala und Trinidad und Tobago, sollte sich zusammen mit dem OAS-Generalsekretär nach Panama begeben, um „dringend Einigungsformeln für eine nationale Verständigung zu fördern“ und die „schnellstmögliche Übergabe der Regierungsgewalt nach demokratischen Regeln unter voller Berücksichtigung des souveränen Willens des panamaischen Volkes“ zu sichern.280 Die Entscheidung für die Entsendung der Vermittlerdelegation wurde bei zwei Gegenstimmen (Panama und Nicaragura) sowie sieben Enthaltungen gebilligt.281 Das US-Staatsdepartement zeigte sich befriedigt, daß sich die OAS-Mitglieder mehrheitlich für eine deutliche Verurteilung des Noriega-Regimes und für gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung einer demokratischen Machtübertragung in Panama aussprechen. Die Tatsache, daß seit 1982 erstmals wieder ein Konsultativtreffen der Außenminister, zudem noch auf Initiative Venezuelas zustande kann, war allein schon als politischer Erfolg zu werden.282 Die US-Regierung mußte in Rechnung stellen, daß viele der lateinamerikanischen Regierungen wegen ihrer Kooperation mit den USA zur regionalen Lösung der Panama-Krise durch die OAS einen Sturm der _______________ 280 281 282 Ministers of Foreign Affairs, XXI Meeting of Consultation: „Resolution I: The serious crisis in Panama in the international context“, OEA/Ser.F/II.21, Doc. 8/89 rev. 2, 17.05.1989 Antigua, Bahamas, Dominica, Grenada, Peru, Surinam und Uruguay Im Unterschied zu 1982 trat das Treffen der Außenminister jedoch nicht als Konsultativorgan unter den Bestimmungen des Río-Vertrages zusammen, sondern als außerordentliches Treffen nach Art. 60 der OAS-Charta. 88 Entrüstung im Inneren heraufbeschworen. Am heftigsten wurde in Mexiko die öffentliche Kontroverse zu den Vorgängen in Panama geführt. Das mexikanische Außenministerium hatte in einem Kommunique dem General, der über eine „unehrenhafte Reputation“ verfüge, vorgeworfen, die Situation in seinem Land zu verschärfen, indem er sein Eigeninteresse über jenes des panamaischen Volkes stelle.283 Die mexikanische Regierung ging dann sogar noch einem Schritt weiter, indem sie in der OAS wider Erwarten für die Verurteilung Noriegas stimmte. Die links-nationalistische Opposition, führende Intellektuelle und Kommentatoren lasteten Präsident Salinas de Gortari und Außenminister Solana ein gefährliches Abrücken vom Nichteinmischunsprinzip vor, durch das Mexiko nicht zu gewinnen, aber viel zu verlieren habe.284 Die Präsidenten von Venezuela und Peru, Pérez und García, sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, ihnen sei vor allem am Wohlwollen der USA bei den Verhandlungen über die drückende Auslandsschuld ihrer Länder gelegen. Die panamaische Regierungszeitung „Crítica“ verdächtigte die von einer Finanzkrise in ihrer Existenz bedrohte OAS, sie habe sich ihre Resolution abkaufen lassen gegen das Versprechen der Vereinigten Staaten, die 54 Mio. Dollar Beiträge zu zahlen, welche die USA der Organisation schuldeten. Tatsächlich wurde im OAS-Apparat allgemein ein solcher Schritt der US-Regierung erwartet. Dies hatte jedoch einen allenfalls geringen oder keinen Einfluß auf die Haltung der Mitgliedsregierungen. Daß ihnen bei der Panama-Krise innenpolitisch der Wind ins Gesicht blies, bewirkte im Gegenteil, daß sie bei ihrem konzertierten Vorgehen in der OAS über die erste rhetorische Verurteilung Noriegas nicht hinausgingen.285 Insbesondere waren die meisten OAS-Mitgliedsstaaten nicht bereit, den postulierten „transfer of power“ in Panama in irgendeiner Form zu erzwingen. Den Bemühungen der OAS um einen „nationalen Dialog“ in Panama fehlte damit der Nachdruck. Zwischen dem 23. Mai und dem 21. August 1989 unternahm die OAS-Delegation insgesamt vier Erkundungsreisen nach Panama, wobei ihr zunächst auf 15 Tage befristetes Mandat ein um andere Mal verlängert werden mußte. Der von der Resolution der Außenminister festgelegte Vermittlungsauftrag der Unterhändler war im Sinne von „Guten Diensten“ zwar weit gefaßt, jedoch sind im Grund drei einschränkende Maßgaben darin enthalten: Erstens räumte der Text der Resolution der Ma_______________ 283 284 285 „Noninterventionist Mexico lambastes Gen. Noriega“, Washington Post, 16.05.1989, A16 Larry Rohter: „O.A.S. draws Latin fire for stand on Panama“, New York Times, 04.06.1989 Jorge G. Castañeda: „Noriega-bashing has had ist day: key OAS members show resistance to U.S. goals“, Los Angeles Times, 11.06.1989, V-5. Der bekannte mexikanische Politikwissenschaftler war einer der führenden Kritiker der Haltung seiner Regierung. 89 rionetten-Regierung Noriegas und der Opposition, die einen überwältigenden Wahlsieg beanspruchte, gleiche Positionen ein. Zwar hatten internationale Beobachter einen Sieg des Oppositionsbündnisses ADO-Civilista von etwa 3:1 errechnet, doch sah sich die OAS mangels eines offiziellen Wahlresultates außerstande, die Fakten anzuerkennen. Dies verschaffte Noriega einen Zeitgewinn bis Ende August 1989. Am 1. September 1989 endete laut Verfassung das Mandat der amtierenden Regierung Solís Palma, deren Legitimität wegen der Ausbootung Präsident Delvalles durch Noriega im Februar 1988 bereits höchst fragwürdig war. Im Gegensatz zum Militärmachthaber, dem Zeit blieb, Schlupflöcher und einen wirksame Repressionsstrategie gegen seine wehrlosen Gegner in Panama zu finden, geriet die Opposition in Zugzwang, da sie das ohnehin schwache Feuer des Volksprotestes immer wieder von neuem schüren mußte. Zweitens begrenzte es den Handlungsspielraum der Vermittlungsmission, daß die OAS die Verständigung mit dem Usurpator suchte. Der Leiter der OAS-Delegation, Córdovez, erklärte deshalb, die OAS beteilige sich nicht an der Diskussion über den – vor allem von den USA geforderten – Rücktritt des Generals. Auch wenn die OAS-Unterhändler diskret die Möglichkeit eines ehrenvollen Abgangs für Noriega, dem sich Venezuela und Spanien als Exilländer angeboten hatten, sondierten, leistete diese grundsätzliche Position der OAS der Unnachgiebigkeit des Militärmachthabers Vorschub. Drittens ging es bei der OAS-Mission offenkundig weniger darum, demokratischen Verhältnissen in Panama zum Durchbruch zu verhelfen, als vielmehr die als „fremden Händel“ betrachtete panamaisch-amerikanische Dauerfehde seit 1987 zu entschärfen, um eine mögliche Intervention der Vereinigten Staaten abzuwenden. Córdovez vertrat – in wörtlicher Übereinstimmung mit der OAS-Resolution – die Auffassung, daß die Krise „interne und externe“ Gründe habe und bot daher die Vermittlerdienste der OAS an, um direkte Verhandlungen zwischen Panamas Regierung und den Vereinigten Staaten zustande zu bringen. Die Vermittlergruppe, die in Panama keinen Schritt weitergekommen war, legte den am 20. Juli 1989 abermals zusammengetretenen Außenministern der 31 Mitgliedsstaaten ihren Bericht vor, woraufhin das Gremium die Errichtung einer Übergangsregierung bis zum 1. September forderte, die möglichst bald freie Wahlen abhalten sollte.286 Die Außenminister hatten sich in der über 18stündigen Marathonsitzung nicht darauf einigen können, Noriega zum Rücktritt aufzufordern. Unklar blieb auch, was laut dem Text der Erklärung vom 20. Juli mit der „Machtübergabe am 1. September“ ge_______________ 286 Ministers of Foreign Affairs, XXI Meeting of Consultation: „The serious crisis in Panama in the international context: declaration by the president of the meeting of consultation“, OEA/Ser.F/II.21, Doc. 45/89, 20.07.1989 90 meint war. Für die USA bekräftigte der OAS-Delegierte und stellvertretende Außenminister Lawrence Eagleburger, die Formulierung impliziere, daß Noriega nach dem Antritt der Übergangsregierung gehen müsse. Der panamaische Außenminister Jorge Ritter hob dagegen hervor, daß Noriega in der Erklärung nicht namentlich erwähnt werde und sein Verbleib an der Spitze der Streitkräfte ausschließlich eine innere Angelegenheit Panamas sei. Lediglich Präsident Solís Palma solle abgelöst werden. Der venezolanische Außenminister verteidigte den Text, dem zur Überraschung der Gegner Noriegas auch die Vereinigten Staaten zugestimmt hatte, mit dem Argument, die Lateinamerikaner suchten einen Ausweg, bei dem der General das Gesicht wahren könne. Die panamaische Opposition verzeichnete mit großer Bitterkeit, daß sich die OAS in der Erklärung vom 20. Juli mit dem eklatanten Wahlbetrug abfand.287 Am 23. August brach die OAS ihren erfolglosen Vermittlungsversuch in Panama schließlich ab. In einer einstimmig gutgeheißenen Erklärung wurden die „Panamaer“ – und nicht etwa Noriega – aufgefordert, alle Anstrengungen zu unternehmen, um bis zum 1. September, dem Datum des fälligen Präsidentenwechsels, die Wiederherstellung der Demokratie zu gewährleisten.288 Die USA, die erkennen mußten, daß die notorisch unentschlossene OAS den Stab über Panamas Machthaber nicht zu brechen bereit war, wie sie es zehn Jahre zuvor im Falle Somozas getan hatte, reagierte gereizt auf das Scheitern der regionalen Diplomatie. Daß die USA die nach 12stündiger Beratung mühsam erarbeitete Erklärung vom 23. August billigte, zeigte nur, daß ihnen an einer weiteren Befassung der Organisation mit der Krise in Panama nicht mehr gelegen war. Die OAS-Vermittler machten im Gegenzug das Säbelrasseln der USA, die, wie es hieß, „unpassenden“ Manöver der US-Truppen in der Kanalzone für die Ergebnislosigkeit ihrer viermonatigen Verhandlungen mitverantwortlich.289 Am 31. August 1989 trat Panama in eine Phase der offenen Diktatur ein, indem Noriega eine unbefristete „provisorische“ Regierungsjunta installierte und Neuwahlen ad calendas graecas verschob, da es als unabdingbare Voraussetzung für ihre Durchführung das „Ende der amerikanischen Aggres_______________ 287 288 289 „Panamas Opposition enttäuscht über die OAS“, Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe), 25.07.1989, Nr. 169, 2 Ministers of Foreiggn Affairs, XXI Meeting of Consultation: „Declaration by the President of the Twenty-first Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs“, OEA/Ser.F/II.21, Doc. 59/89, 23.08.1989 Ministers of Foreign Affairs, XXI Meeting of Consultation: „Report of the mission appointed by the Twenty-first Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs“, OEA/Ser.F/II.21, Doc. 56/89, 23.08.1989. Die Delegation äußerte zugleich Besorgnis über „Verletzungen“ der Menschenrechte und politischen Rechte“, in Panama, wobei Militärchef Noriega in diesem Zusammenhang ungenannt blieb. 91 sion“ festlegte. Seine Diktatur ließ trotz diplomatischer Isolierung und vertiefter Wirtschaftskrise keine sichtbaren Schwächezeichen erkennen. Die OAS mußte eingestehen, das Ziel eines demokratischen Regierungswechsels in Panama verfehlt zu haben.290 Auch wenn sie letztlich an der intransigenten Haltung Noriegas scheiterte, waren die immanenten Handlungsrestriktionen der konzertierten OAS-Diplomatie nicht zu übersehen. Verschiedene Länder fürchteten, die OAS-Mission würde zu einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates geraten – ein besonders von den autoritären Regimen auf dem Isthmus gefürchteter Präzedenzfall.291 Obwohl einige der demokratischen Regierungen in Südamerika Noriega keine Sympathie entgegenbrachten, fehlte damit der Organisation der politische Wille zu verpflichtenden Maßnahmen. Das Fiasko der OAS-Mission stieß indessen ein Umdenken an. Der costaricanische Außenminister Rodrigo Madrigal Nieto zielte mit seiner harten Kritik an der Unfähigkeit der OAS, eine klare Haltung einzunehmen, auf das zentrale Dilemma der Organisation. Er erklärte, die OAS müsse ihre Situation grundlegend überprüfen und wählen, ob sie „mit ihren Prinzipien leben oder mit ihren Vorurteilen sterben“ wolle. Das wichtigste „Vorurteil“ der OAS bestand Madrigal zufolge darin, daß sie auf Gedeih und Verderb das Prinzip der Nichtintervention über andere Grundsätze wie die Menschenrechte und die Achtung der freien Stimmabgabe setze. Die OAS wäre zu einer kollektiven Verteidigung der Demokratie in Panama und damit auf dem ganzen Kontinent verpflichtet gewesen. Mit dem Hinweis auf die vorgesehene Rolle der OAS bei den Wahlen in Nicaragua im Februar 1990 fragte der Außenminister Costa Ricas, mit welcher moralischen Autorität die Organisation angesichts ihrer Impotenz in Panama in anderen Ländern eine mehr als bloß dekorative Rolle spielen könne.292 Ein erstes Indiz für eine zukünftig entschiedenere Abgrenzung der OAS von illegitimen De facto-Regimen in ihren Reihen fand sich im November 1989 in einem Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zur Situation in Panama, der feststellte: „The annulment of the elections of _______________ 290 291 292 John Felton: „OAS ministers admit failure in effort to oust Noriega“, in: Congressional Quarterly Weekly Report 47 (26.08.1989) 34, 3223; „On Noriega‚ we have failed miserably“, Newsweek 114 (04.09.1989), 10, 33 Liz Sly: OAS bid failed because Noriega didn’t want to give up power“, Chicago Tribune, 24.08.1989, I-16 „Die Impotenz der OAS gegenüber Panama“, Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe), 27./28.08.1989, Nr. 197, 2 92 May 7, 1989 […] [has] left the current provisional Government devoid of constitutional legitimacy.“293 Nach Wochen der Spannungen und militärischer Eskalation, in deren Verlauf sich Noriega am 15. Dezember zu einer Art Über-Staatschef („Oberster Führer der nationalen Befreiung“) ausriefen ließ und im Cäsarenwahn den „Kriegszustand“ seines Landes mit den Vereinigten Staaten erklärte, ordnete Präsident Bush am 20. Dezember 1989 die Intervention in Panama an. Diese Invasion im Rahmen der Operation „Gerechte Sache“ war die bedeutendste amerikanische Militäraktoin zwischen Vietnam und dem Golfkrieg. Die Zivilbevölkerung in Panama-Stadt entrichtete dabei einen hohen Blutzoll. Bush präsentierte sich mit der Intervention der heimischen Öffentlichkeit und dem Kongreß, besonders nach der Kritik am Beiseitestehen bei der offenbar konfusen Offizierserhebung gegen Noriega am 3. Oktober, als kombattanter Politiker. Wesentlich für unsren Zusammenhang ist die zugleich exkulpierende und legitimierende Funktion der OAS für die Rechtfertigung der Intervention. US-Außenminister Baker versuchte, die Intervention mit der ausgebliebenen Solidarität der OAS zu begründen, die diplomatisch und politisch – keine Sanktionen, kein direkter Druck auf das Regime – versagt und Washington am Ende keine andere Wahl gelassen habe: „One of the biggest disappointments that I’ve seen […] [since] I’ve been in this job was the inability of the [OAS] to move effectively on this problem of Noriega and Panama. The Unites States worked very hard, diplomatically and in both a bilateral and multilateral way – multilaterally through the OAS – to try and take care of this problem. And I think if the OAS had been able to generate a greater support for some of the things that the United States suggested, political sanctions, economic Sanctions, […] may be we wouldn’t find ourselves in this situation today.“294 Diese Kritik an der OAS war nicht frei von Zynismus. Es war nämlich die Reagan-Administration gewesen, die bei ihrer gegen Nicaragua gerichteten Politik und bei der Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen die Regionalorganisation nicht nur völlig ignoriert hatte, sondern sie auch durch den gewaltigen Beitragsrückstand an den Rand des Kollapses gebracht hatte.295 Die Bush-Administration, die Reagans unilaterale Sanktionen gegen Panama fortsetzte, es aber schließlich doch der OAS übertrug, die „Machtübergabe“ _______________ 293 294 295 Inter-American Commission on Human Rights: „Report on the situation of human rights in Panama“, OEA/Ser. L/V/II.76, Doc. 16 rev. 2, 09.11.1989, 61; Paul Lewis: „O.A.S. team calls Noriega’s rule illegitimate“, New York Times, 14.11.1989, A13 Zitiert nach Larman C. Wilson: „The OAS and promoting democracy and resolving disputes: reactivation in the 1990s?“, in: Revista Interamericana de Bibliografía 39 (1989) 4, 477-499, 495 John M. Goshko: „OAS: a troubled forum on Panama“, Washington Post, 16.05.1989, A15 93 in Panama zu erwirken, durfte daher kaum erwarten, daß sich die solchermaßen geschwächte OAS zu einem entschiedeneren Vorgehen gegen Noriegas Diktatur aufraffte. Auf die indirekt legitimierende Rolle der OAS für die US-Intervention weist Pastor hin: „In the end, this multilateral path did not achieve Noriega´s departure, but did provide the Bush administration with a patina of international legitimacy that permitted it to take military action without irrevocably fracturing U.S. relations with its democratic friends in the region.“296 Entsprechend signalisierte die Regierung Bush, um der Mißstimmung über die unilaterale Intervention entgegenzuwirken, daß sie die multilaterale Dimension der interamerikanischen Beziehungen nicht vernachlässigen wollte. Dies belegen u.a. die durch das Gipfeltreffen zur Drogenbekämpfung von Cartagena im Februar 1990 gemeinsam erarbeiteten Konzepte. Der Ständige Rat der OAS rang in nächtlicher Sitzung 17 Stunden lang um eine Reaktion auf die US-Intervention. In dem schließlich verabschiedeten Resolutionstext wurde das „tiefe Bedauern“ über das „militärische Eingreifen“ geäußert. Während es im spanischen Original noch „deplorar profundamente“ lautet, fiel diese Formulierung in der offiziellen englischen Übersetzung mit „deeply regret“ – statt „deeply deplore“ – milder aus.297 Der Unterschied ist auf die Bemühungen der anglokaribischen Delegierten zurückzuführen, die Kritik an den USA zu entschärfen.298 Die Entschließung, die mit 20 Stimmen bei sechs Enthaltungen299 gegen die Stimme der USA zustande kam, wurden die „Invasionstruppen“ zum Rückzug aufgefordert, ohne daß hierfür eine Frist gesetzt wurde. Obwohl die Vereinigten Staaten im Resolutionstext nicht erwähnt wurden, war dies seit dem Bestehen der OAS immerhin die erste formelle Kritik an der Politik der USA. Dem panamaischen OAS-Delegierten, den die von den USA ins Amt gebrachte Regierung Guillermo Endara designiert hatte, wurde anfänglich das _______________ 296 297 298 299 Robert A. Pastor: „The Bush administration and Latin America: the pragmatic style and the regionalist option“, in: Kenneth A. Oye; Robert J. Lieber; Donald Rothchild (Hg.): Eagle in a new world: American grand strategy in the post-Cold War era, New York 1992, 361-387, 381 f. Permanent Council: „CP/RES. 534 (800/89): Serious events in the Republic of Panama“, OEA/Ser.G, CP/RES. 534 (800/89) corr. 1, 22.12.1989 Marcia Kunstel: „Midnight battle rages to soften Latin effort to critizise U.S. for Panama invasion“, Atlanta Constitution, 22.12.1989, A11; John M. Goshko; Michael Isikoff: „OAS votes to censure U.S. for intervention“, Washington Post, 23.12.1989, A7; A10 Der Stimme enthielten sich die enger mit den USA verbundenen zentralamerikanischen Länder Costa Rica, El Salvador, Honduras, Guatemala, sowie der kleine Karibikstaat Antigua und Barbuda. 94 Akkreditiv versagt – wie auch die Vereinten Nationen den von Endara ernannten UN-Vertreter zunächst nicht zu ihren Beratungen zuließen. Die Verurteilung der Intervention durch die lateinamerikanischen Staatspräsidenten war deutlich abgestuft: Perus García sprach von einer “Beleidigung ganz Lateinamerikas“, der Brasilianer Sarney von einem „Rückschritt in den interamerikanischen Beziehungen“, und der venezolanische Präsident Pérez äußerte, man habe durch eigene Entschlußlosigkeit die Intervention indirekt gefördert.300 Zweifellos erlitt die OAS mit dem Ausgang der Panama-Krise unmittelbar einen weiteren schwerwiegenden Prestigeverlust, obwohl es bereits eine deutliche Aufwertung der Regionalorganisation darstellte, daß sie als multilaterales Instrument für die Lösung der Krise in der Kanalrepublik überhaupt bemüht worden war. Unter dem Strich ist aber entscheidend, daß von der gescheiterten Panama-Mission der OAS ein Umdenken hinsichtlich des künftigen Umgangs mit Diktatoren ausging. Wie zuvor schon der Außenminister Costa Ricas, identifizierte auch der venezolanische Präsident Pérez die verabsolutierte Doktrin der Nichteinmischung als den zentralen Grund dafür, daß die OAS ideologisch-strukturell unfähig war, Krisen dieser Art zu lösen: „[…] Latin American mechanisms have been weakened by differences over the principle of non-intervention. Its mechanisms have long clung to archaic 19th-centrury concepts that predate the UN, OAS conventions and declarations […], thereby anchoring our countries´ decisions to inaction and inefficiency and thereby proving them incapable of paving the way for a solution to the crisis.“301 Weil die Nichtintervention zur passiven Intervention gegen die Demokratie geworden sei, so sagte Pérez in eine Rede vor der OAS, habe die Panama-Krise mit der US-Intervention als dem unannehmbarsten aller Ergebnisse geendet. Im Wortsinn hieß es:302 „La no intervención, por omisón, era una intervención pasiva conta la democracia y a favor del dictador. […] Sea como fuere, la crisis terminó con _______________ 300 301 302 „Verurteilungen der Intervention in Panama mit vorbehalten“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.12.1989, Nr. 297, 4 „President Pérez gives year-end speech“ (Caracas Venezolana de Televisión Canal 8, 30.12.1989) Foreign Broadcast Information Service. FBIS Daily Report – Latin America, 02.01.1990, 67 (PrEx 7.10: FBIS-LAT-90-001) Consejo Permanente: „Acta de la sesión protocolar celebrada el 27 de abril de 1990. Con motivo de la visita del Excelentísimo señor Carlos Andrés Pérez, Presidente de la República de Venezuela“, OEA/Ser. G., CP/ACTA 814/90, 27.04.1990, 7-15, 9. Siehe auch Carlos Andrés Pérez: „La necesidad de revitalizar la O.E.A.“, in: Política Internacional (1990) 18, 1-18, 2 95 el más inaceptable delos resultados, como fue la acción armadaunilateral de los Estados Unidos“. Die Erfolglosigkeit der OAS-Vermittlungsbemühungen hatte zusammengefaßt seine Ursache darin, daß die OAS, eben weil sie dem Prinzip der Nichteinmischung Priorität einräumte, nach der Annulierung der verlorenen Wahl durch General Noriega einen Ausgleich mit dem Usurpator suchte. Die erfolglos gebliebene OAS-Mission trug dazu bei, daß sich die USA zur Militärintervention am Kanal entschlossen. Durch das Panama-Debakel kam allerdings ein kollektiver Lernprozeß303 innerhalb der OAS in Gang, der eine Relativierung des rigiden Nichteinmischungsgrundsatzes erlaubte und dem Demokratieprinzip in den 90er Jahren zu größerem Recht verhalf. 4. Das Defense-of-Democracy-Regime der OAS in den neunziger Jahren 4.1 Regimeentwicklung und –elemente Seit Mitte der 80er Jahre, beginnend mit dem Reformprotokoll von Cartagena, begann sich die OAS allmählich als ein Verband demokratischer Staaten zu verstehen. Die Ablösung der in den 70er Jahren in Lateinamerika weit verbreiteten Militärregime durch gewählte Zivilregierungen im Lauf der 80er Jahre wirkte sich auf das kollektive Selbstverständnis der OAS aus. 1986 stellte die Generalversammlung der Organisation in Guatemala City fest: „For the first time in many decades, many member States held free elections, with the result that democratic, representative and pluralist systems of government have been established, and it is the aim of the Organization of American States to promote and consolidate representative democracy while respecting the principle of nonintervention.“304 Die Generalversammlung drängte „the governments of the Americas whose societies have problems that call for reconciliation and national unity to undertake or continue a genuine dialogue […] and contribute decisevely [sic] to improving the human rights situation and to strengthening the representative and pluralist democratic system.“305 _______________ 303 304 305 Zum Konzept des Lernens: George Modelski: „Is world politics evolutionary learning?“, in: International Organization 44 (1990) 1, 1-24 General Assembly, XVI Regular Session: „AG/RES. 837 (XVI-0/86): Human rights and democracy“, OEA/Ser.P/XVI.0.2, 17.12.1986, Vol. I, 69 Ebd. 96 Die regionalen Redemokratisierungsprozesse vertieften die „moralische Interdependenz“ und erhoben die Demokratie zu einem wertvollen Gut, daß es zu schützen gilt. Sie führten zu einer Nachfrage nach einschlägigen Dienstleistungen der OAS, so vor allem im Bereich der Wahlbeobachtung. Dies führte 1990 zur Einrichtung eines Büros zur „Förderung der Demokratie“ („Unit for the Promotion of Democracy“) im Generalsekretariat der OAS. Die 20. Generalversammlung in Asunción gab der „Unit for Democratic Development“, (wie sie anfänglich hieß) auf, ein Programm auszuarbeiten, „that can respond promptly and effectively to member states which, in the full exercise of their sovereignty, request advice or assistance to preserve or strengthen their political institutions and democratic procedures.“306 Ein Sonderorgan mit deinem derartigen Mandat im heiklen Sachbereich „Herrschaft“ wäre fünf oder sechs Jahre zuvor in der OAS völlig undenkbar gewesen! Es gibt gegenwärtig international auch nur wenig vergleichbare Einrichtungen: Zu nennen wären das seit 1990 vom Europarat zur Förderung der Demokratie in den postkommunistischen Staaten Europas durchgeführte „Demosthenes-Progamm“ sowie das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) in Warschau, das geschaffen wurde durch die Pariser Charta für ein neues Europa, in der am 21. November 1990 neue Strukturen und Institutionen des KSZE-Prozesses vereinbart wurden.307 Der „Unit for the Promotion of Democracy (UPD)“ wurde zwei Kompetenzbereiche zugesprochen: Unterstützungsleistungen bei der Organisation und Beobachtung von Wahlen („assistance“) sowie die langfristig angelegte Förderung demokratischer Institutionen z.B. durch die Fortbildung von Mitgliedern administrativer und legislativer Körperschaften, die Entwicklung von politischen Bildungsprogrammen usw. („advisory services“)308 In den ersten beiden Jahren ihres Bestehens war die UDP fast ausschließlich damit befaßt, die Wahlbeobachtungsteams der OAS zu koordinieren. Eine Aufstockung ihres Personals und ihrer Finanzmittel im Jahr 1992 erlaubt es der UDP, sich seither verstärkt dem zweiten Bereich zuzuwenden. Die 21. Vollversammlung der OAS, die im Juni 1991 in Santiago de Chile stattfand, ging über eine papierne Beschwörung des Demokratieprinzips als dem ideellen Fundament der OAS, wie sie zuletzt 1985 in Reform_______________ 306 307 308 General Assembly, XX regular Session: „AG/RES. 1063 (XX-0/90): Unit for Democratic Development“, OEA/Ser. P/XX.0.2, 31.08.1990, Vol. I, 109-111, 110 Die „Electoral Unit“ der Vereinten Nationen hat dagegen kein Mandat zur Förderung von Institutionen und beschränkt sich auf die Wahlbeobachtung. Permanent Council: „CP/RES. 572 (882/91): Program of support for the promotion of democracy“, OEA/Ser. G, CP/RES. 572 (882/91), 10.12.1991 97 protokoll von Cartagena erneuert worden war, einem deutlichen Schritt hinaus. Sie begründete zur Sicherung der Demokratie in der Region eine dauerhaft angelegte, institutionalisierte Kooperationsstruktur, die politikwissenschaftlich zusammen mit vergleichbaren Regelsystemen anderer Sachbereiche als „internationales Regime“ erfaßt wird. Der Begriff „Regime“ ist dabei nicht zu verwechseln mit dem alltagssprachlichen bzw. politischen Wortgebrauch, der repressiv-diktatorische Regierungsformen meint. Vielmehr kennzeichnet er die internationale Regelung von Konflikten und Problemen in einem sachlich begrenzten Bereich. Ein Beispiel für ein von der OAS im Politikfeld „Sicherheit“ generiertes Regime ist das „Nichtinterventionsregime“. Die mittlerweile klassische Definition von Stephen Krasner lautet: „Regimes can be defined as sets of implicit or explicit principles, norms, rules, and decision-making procedures around which actors´ expectations converge in a given area of international relations.“309 Ein internationales Regime besteht demnach neben einer Norm bzw. einem Bestand von Normen auch aus einem implementierten Regelsystem. Beides charakterisiert das 1991 geschaffene Defense-of-Democracy-Regime der OAS, wenngleich seine Struktur noch wenig komplex ist. Die repräsentative Demokratie, bisher bloß ein auffüllungsbedürftiger Progammsatz, erhielt einen verpflichtenden Charakter, indem die 34 Mitgliedsstaaten der OAS nicht nur „[t]heir inescapable commitment to the defense and promotion of representative democracy“310 erklärten, sondern das Demokratieprinzip als die „Clubnorm“ der Organisation zugleich mit der prozeduralen Maßgabe verbanden, „to adopt efficacious, timely and expeditious procedures to ensure the promotion and defense of representative democracy“.311 Zur Durchsetzung des Normbefehls „Repräsentative Demokratie“ wurde ein Mechanismus installiert, der die Abweichung von der Norm – durch Staatsstreiche und andere illegale Formen der Machtübernahme – künftig _______________ 309 310 311 Stephen D. Krasner: „Structural causes and regime consequences: regimes as intervening variables“, in: Ders. (Hg.): International regimes. Ithaca 1983, 1-21, 2 Vgl. die Erklärung des KSZE-Treffens der Staats- und Regierungschefs in Paris vom 21. November 1990: Charta von Paris für ein neues Europa“, in: Europa-Archiv: Dokumente 45 (1990) 24, D656-D664, in der es heißt: „Wir verpflichten uns die Demokratie als einzige Regierungsform unserer Nationen aufzubauen und zu stärken“ (hier: D656). General Assembly, XXI Regular Session: [AG/RES. 1079 (XXI-0/91:] „The Santiago Commitment to democracy and the renewal of the inter-American system“, OEA/Ser. P/XXI.0.2, 20.08.1991, Vol. I, I-III, hier: II, 3 98 durch folgendes Verfahren abschrecken soll: Die entsprechende operative „Resolution 1080“ weist den OS-Generalsekretär für einen solchen Fall an, umgehend den Ständigen Rat der OAS einzuberufen, der innerhalb von zehn Tagen zu prüfen hat, ob einen Konferenz der Außenminister oder eine außerordentliche Generalversammlung stattfinden soll; bestimmt, daß diese Versammlung, die spätestens zehn Tage nach einem solchen Ereignis (bei einer entsprechenden Situationsinterpretation) zusammentreten muß, die Lage kollektiv analysieren soll und dann eine Verurteilung und eventuelle diplomatische und wirtschaftliche Sanktionen beschließen kann.312 In diesem Zusammenhang gilt es ein Mißverständnis auszuräumen, dem selbst ein so wohlinformierter Regionalexperte wie Wolf Grabendorff aufsitzt: Er kolportiert einen „automatisch anzuwendenden“, abgestuften „Sanktionskatalog“, der zeitliche Abstände vorsehe, die Raum für Verhandlungslösungen bieten sollen. Grabendorff zufolge ist sogar die Entsendung einer OAS-Friedensstreitmacht Teil des angeblich in Santiago de Chile verabschiedeten „Maßnahmenkatalogs“.313 Das Gegenteil ist der Fall – ein Konsens für automatische Sanktionen konnte gerade nicht erzielt werden! Die Beschlüsse der OAS, so könnten Kritiker nämlich einwenden, kommen bei aller guten Absicht „ohne Biß“ daher. Im Falle eines Umsturzes in einem Mitgliedsstaat ist die OAS zu nicht mehr verpflichtet als zu einer “bürokratischen“ Reaktion in Form einer Krisen- oder Dringlichkeitssitzung – und tatsächlich war nichts weiter beabsichtigt.314 In diesem formalen Sinne hat die OAS in allen Fällen nicht regelkonformen Verhaltens (Haiti, Peru, Guatemala usw.) stets unverzüglich reagiert, womit auch das Effektivitätskriterium eines „internationalen Regimes“ erfüllt ist. Die Santiago-Beschlüsse spiegeln einen momentanen Kompromiß in der OAS wieder, der vorläufig nur ein sanktionsschwaches Regime gestattet. Die Mitgliedsstaaten des Andenpakts unter der Führung _______________ 312 313 314 Es heißt: to look into the events collectivily and adopt any decisions appropriate.“ – General Assembly, XXI Regular Session: „AG/RES. 1080 (XXI-0/91): representative democracy“, OEA/Ser. P/XXI.0.2, 20.08.1991, Vol. I, 4-5. Dokumentiert in: US Department of State Dispatch 2 (07.10.1991) 49, 750 Wolf Grabendorff: „Ansätze und Erfahrungen mit multilateralen Instrumenten der Konfliktlösung und Friedenssicherung in Lateinamerika“, in: Winrich Kühne (Hg.): Blauhelme in einer turbulenten Welt: Beiträge internationaler Experten, Baden-Baden 1993, 293-302, 299 f. Dies betont auch der Präsident des Washingtoner Instituts „Inter-American Dialogue“, Peter Hakim: „The OAS putting principles into practice“, in: Journal of Democracy 4 (1993) 3, 39-49, 40 99 Venezuelas hatten nämlich weiter gehen wollen. Sie hatten gefordert, daß die OAS-Staaten automatisch die diplomatischen Beziehungen zu einer verfassungswidrig an die Macht gekommenen Regierung abzubrechen hätte. Die Opposition dagegen kam vor allem von seiten Mexikos, dessen Außenpolitik dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten höchsten Stellenwert einräumt. Die „Santiago-Verpflichtung“ und die sie operativ umsetzende „Resolution 1080“ sind gleichwohl in doppelter Hinsicht bahnbrechend: Erstens muß die OAS bei einer Verletzung des demokratischen ordre public in der Region Stellung beziehen. Zweitens kann die OAS, anders als bisher die Vereinten Nationen, sich nunmehr ohne Zustimmung der betroffenen Regierung mit einem ausschließlich internen Konflikt in einem Mitgliedsstaat befassen. Sie ist ermächtigt, dem Demokratiestandard zu seinem Recht verhelfen, losgelöst von der Aufgabe der Wahrung von Frieden und Sicherheit. Im Mai 1992 bekräftigte die OAS ihre neue Demokratisierungsfunktion in der „Deklaration von Nassau“315 und verabschiedete im Dezember 1992 das „Protokoll von Washington“, mit dem ein neuer Artikel 9 in die OASCharta eingefügt wird, der es ermöglicht, eine durch Staatsstreich an die Macht gekommene De facto-Regierung mit Zweidrittel-Mehrheit von der OAS-Mitgliedschaft zu suspendieren.316 Es geht herbei nicht um einen De iure-Ausschluß, der, wie die Erfahrung anderer internationaler Organisationen zeigt, „self-defeating“ sein kann, weil die politische Kommunikation mit dem inkriminierten Sanktionsadressaten abbricht und auf ihn somit nicht mehr eingewirkt werden kann. Der neue Passus in der OAS-Charta suspendiert das Stimmrecht und daas Teilnahmerecht z.B. an Versammlungen, was natürlich einem De facto-Ausschluß nahekommt. Diese isolierende Sanktionsmaßnahme darf laut dem „Protokoll von Washington“ aber erst verhängt werden, wenn alle Bemühungen der OAS zur Wiederherstellung der Demokratie im betroffenen Land fehlgeschlagen sind, und auch nach der Suspendierung sind die diplomatischen Initiativen fortzusetzen. Das gegenwärtig noch ratifikationsbedürftige Protokoll wurde gegen die Stimme Mexikos bei einer Enthaltung (Trinidad und Tobago) angenommen. Obwohl Mexiko starke Lobbyaktivitäten gegen die Suspendierungsklausel entfaltete, blieb es diesmal isoliert. _______________ 315 316 General Assembly, XXII Regular Session: „AG/DEC. 1 (XXII-0/92): „Declaration of Nassau“, OEA/Ser. P/XXII.0.2, 21.06.1992, Vol. I, 1-5 Protocol of Amendment to the Charter of the Organization of American States, „Protocoll of Washington“, signed at Washington, D.C., United States of America, on December 14, 1992, at the Sixteenth Special Session of the General Assembly 100 Die Suspendierung eines Mitgliedsstaates war der OAS von der sogen. Río-Gruppe bereist vorexerziert worden: Panama wurde 1987 ausgeschlossen, nachdem dort Präsident des Valle durch den Armeechef Noriega abgesetzt worden war. Die Gruppe erkannte später auch die Regierung von Präsident Endara nicht an, die nach der US-Invasion im Dezember 1989 an die Macht gekommen war. Peru wurde nach dem „Selbstputsch“ von Präsident Fujimori vom 5. April 1992 von der Teilnahme an diesem außenpolitischen Konsultationsmechanismus lateinamerikanischer Staaten ausgeschlossen. Im Juni 1992 beschlossen die vier Staatschefs des sich im Süden Lateinamerikas formierenden Gemeinsamen Marktes MERCOSUR, daß jedwede Unterbrechung der verfassungsmäßigen Ordnung in einem MERCOSUR-Staat sofort dessen Suspendierung von der Mitgliedschaft zur Folge haben werde.317 4.2 Erklärung der Regimedynamik: Konvergenz von Demokratie und Multilateralismus Bei der vorangegangenen Darstellung der Entwicklungsschritte und der Elemente des Defense-of-Democracy-Regimes der OAS wurde darauf hingewiesen, daß es von einer Art Nachfragedruck befördert wurde, nämlich dem Eigeninteresse der neuen gewählten Zivilregierungen, ihren teilweise fragilen Bestand multilateral absichern zu lassen. Zweifellos stellte die politische Homogenität (eigentlich: Homologie) des amerikanischen Kontinents (natürlich mit Ausnahme des petrifizierten Regimes in Kuba) eine wesentliche Bedingung für die regionale Kooperation für die Demokratie im Rahmen der OAS dar. Die Entstehungsbedingungen des Defense-of-DemocracyRegimes sind damit aber nicht befriedigend zu erklären. Die hier vertretene These ist, daß die Regimedynamik in der Konvergenz und den Wechselbeziehungen von Demokratie und Multilateralismus zu suchen ist. Die zweite Hälfte der 80er Jahre bildete die entscheidende „Brücke“ beim Übergang vom Unilateralismus der USA unter den Vorzeichen der Blockkonfrontation zu einer Wiederbelebung des regionalen und globalen Multilateralismus, wie er von der OAS bzw. dem System der Vereinten Nationen repräsentiert wird. Ein subregionaler Multilateralismus auf Ad hoc-Basis – namentlich die Contadora-Initiative und der Esquipulas-Friedensprozeß in Zentralamerika – überspannte die Kluft zwischen dem überholten US-Unilateralismus der Vergangenheit und einem künftig stärker institutionalisierten Multilateralismus z.B. in Gestalt der OAS, die in den _______________ 317 „Bekräftigter Wille zur Marktintegration in Südamerika“, Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe), 01.07.1992, Nr. 149, 11 101 80er Jahren aber noch nicht als handlungsfähig galt.318 Als der ideologische Gegensatz des Ost-West-Konflikts an Bedeutung verlor, wuchs die Bereitschaft in der Region, multilaterale, von den Vereinten Nationen und der OAS koordinierte Instrumente der Konfliktlösung erstmals oder neuerlich in Anspruch zu nehmen. Ihre Feuerprobe bestanden beide Organisationen 1990 bei der Unterstützung der Präsidentschaftswahlen in Nicaragua. Aber: Die neue Akzeptanz multilateraler Friedenssicherung in der Region allein hätte keineswegs ausgereicht, der vielfach noch als impotent angesehenen OAS neue Legitimität zu verleihen. Vielmehr ist der Bedeutungszuwachs der OAS zu Beginn der 90er Jahre wesentlich der Tatsache geschuldet, daß sie als ein kooperatives Instrument im regionalen Demokratisierungsprozeß eine Nische zu besetzen vermöchte. Diese These soll im folgenden erläutert und begründet werden. Wichtig ist zunächst der Befund, daß die OAS als die „breite“ multilaterale Regionalorganisation in den 90er Jahren jene Rolle replizierte, die 1987 der Esquipulas-Friedensplan gespielt hatte: Er hatte erstmals Multilateralismus (in einer subregionalen Ad hoc-Form) und Demokratisierung verknüpft. Während der 80er Jahre befürchteten die jungen, demokratisch legitimierten Regierungen in ganz Lateinamerika, daß regionale Konflikte zur Destabilisierung der neu errungenen Demokratie führen könnten, indem sie die militärische Dimension der Politik gegenüber der zivilen förderten. Dies galt besonders für Zentralamerika, wo der Friedensprozeß ohne einen gewissen Grad der Demokratisierung nicht angestoßen worden wäre, Die Präsidenten Oscar Arias aus der Vorzeigedemokratie Costa Ricas und Vinicio Cerezo A. aus Guatemala, wo sich die „eingeschränkte Demokratie“ seit 1983 geöffnet hatte, trieben maßgeblich die sogen. Friedensplan von Esquipulas voran, der wesentliche demokratische Reformen zum Inhalt hatte. Das im August 1987 unterzeichneten Esquipulas-II-Abkommen rückte nämlich innenpolitische Aspekte – Demokratisierung und „nationale Versöhnung“ („gemeint ist die Wiedereingliederung der Guerilla in das politische Leben) – in den Vordergrund rückte. Die fünf zentralamerikanischen Regierungen verpflichteten sich darin zur Demokratisierung und zu gleichzeitigen freien Direktwahlen eines Gemeinsamen Zentralamerikanischen Parlaments auf der Basis eines einheitlichen Wahlkodex. Damit sollte „simultane demokratische Legitimität“ erzielt werden, ohne direkt an nationale Machtpositionen – etwa der Sandinisten – zu rühren. Indem es sich diesen Wahlen zum Zentralamerikanischen Parlament anschloß, verzichtete das _______________ 318 Robert B. Andersen: „Unilateralism and multilateralism in a transitional world: lessons of the Arias Peace Plan“, in: Peace & Change 17 (1992) 4, 434-457, 436 102 sandinistische Nicaragua ohne Gesichtsverlust auf seinen volksdemokratischen Anspruch („democracia participatora“). Auf eine solche pragmatische Weise wurde das liberal-repräsentative Demokratiemodell zum subregionalen Standard erhoben.319 Entsprechend explizit und detailliert war Punkt III („Demokratisierung“) des Friedensplans: „Die Regierungen verpflichten sich, einem echten demokratischen, pluralistischen und auf Mitbestimmung gerichteten Prozeß Impulse zu verleihen, der die Förderung der sozialen Gerechtigkeit, die Achtung der Menschenrechte, der Souveränität, der territorialen Unversehrtheit der Staaten und des Rechtes aller Nationen einschließt, ihr wirtschaftliches, politisches und soziales System frei und ohne jegliche Einmischung von außen zu bestimmen. Die Regierungen werden ferner nachprüfbare Maßnahmen treffen, die zur Schaffung und gegebenenfalls Vervollkommnung demokratischer, repräsentativer und pluralistischer Systeme beitragen […].“320 Ausdrücklich wurden die wichtigsten Oppositionsrechte, wie freie und regelmäßige Wahlen, unabhängige Wahlbehörden, Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit aufgeführt.321 Hinter einer derart eindeutigen Benennung von wesentlichen Requisiten der Demokratie im Abkommen von Esquipulas fallen die einschlägigen Dokumente der OAS später zurück. Man vergleiche nur den geschraubten und mehrdeutigen Wortlaut der „Resolution 1080“, in der es heißt: „[…] in the event of any occurences giving rise to the sudden or irregular interruption of the democratic political institutional process or of the legitimate exercise of power by the democratically elected government in any of the Organization´s member states […]“. Das Fehlen definitorischer Vorgaben macht einmal mehr den Kompromißcharakter dieser wichtigen OAS-Resolution deutlich. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, daß ein Friedensabkommen zwischen fünf Präsidenten weniger „interventionistisch“ wirkt als eine wie auch immer ausgestaltete kollektive Reaktion der großen Regionalorganisation gegen einen von der demokratischen Norm abgewichenen Mitgliedsstaat. Während „Contadora“ und „Esquipulas“ seit Mitte der 80er Jahre Multilateralismus und Demokratie zusammenführten, wurde die OAS zum institutionellen Rahmen für eine umfassendere Verbindung dieser beiden Ele_______________ 319 320 321 Günther Maihold: „Die Konstituierung des zentralamerikanischen Parlaments: Friedensprozeß und subregionale Integration“ „Übereinkommen zur Schaffung eines tragfähigen und dauerhaften friedens in Mittelamerika, unterzeichnet in Guatemala-Stadt am 7. August 1987“, in: Europa-Archiv: Dokumente 42 (1987) 18, d499-D504, D501 Ebd. 103 mente in den 90er Jahren. Der Esquipulas-Friedensprozeß war der Ausgangspunkt fü rden Rekurs auf einen formalen Multilateralismus, indem er seine Implementation durch die Vereinten Nationen und die OAS sichern ließ. Beide Organisationen erlangten dabei durch Aufgaben wie Verifikation, Demobilisierung und Wahlbeobachtung eine umfassende Rolle bei der Beendigung des Bürgerkrieges in Nicaragua, während die zweite Phase der Befriedung Zentralamerikas – die 1992 abgeschlossenen Friedensvereinbarungen für El Salvador – eine exklusive Domäne der Vereinten Nationen blieb. Gleichwohl ging vom Friedensprozeß in Zentralamerika ein ungemein wichtiger Impuls auch für die Reaktivierung der OAS aus. Möglich wurde dies durch eine erste, wenngleich noch überaus zaghafte Relativierung der bisher sakrosankten Doktrin der Staatensouveränität und des ehernen Prinzips der Nichteinmischung. Die massive Präsenz ausländischer Beobachter 1990 in Nicaragua – ONUVEN322, OAS, Carter-Gruppe u.a. – zur Überwachung des Ablaufs der Wahlen in einem souveränen Staat war ein Novum in der Geschichte der Vereinten Nationen.323 Auch für den interamerikanischen Multilateralismus bildeten die auf „Esquipulas II“ zurückgehenden Wahlen in Nicaragua im Jahr 1990 einen Wendepunkt in dem, was Robert Pastor „crossing the sovereign divide“ nennt: „[…] Nicaraguans redefined the boundaries of political sovereignty and developed a new model for the entire hemisphere that offers the promise of making democracy sturdier and possibly permanent. The idea that a defiantly nationalistic regime that fought the „northern colossus“ to a stalemate should then open its gates to Americans to judge an election is certainly ironic. But that was the essence of the Nicaraguan formula: to invite the international community to help make democracy within a sovereign state.“324 Zwar war die Wahlbeobachtung für die OAS grundsätzlich nicht Neues, hatte sie doch zwischen 1962 und 1989 in über 15 Mitgliedsstaaten Beobachter entsandt. Mehr als moralische Unterstützung und symbolische Präsenz gerade einmal am Wahltag selbst hatten sie aber nicht leisten können. Dagegen war der Fall Nicaragua präzedenzlos, wie der Charakter der Wahlbeobachtung als explizite Demokratisierungshilfe, die ungewöhnlich große _______________ 322 323 324 Misión de Observación de las Naciones Unidas para la Verificación de las Elecciones en Nicaragua Im UN-Kontext wurde die internationale Wahlbeobachtung ausschließlich im Zusammenhang mit der Entkolonialisierung eingesetzt – so noch 1989 bei der Überwachung der ersten freien Wahlen in Namibia. Mit den Aktivitäten in Nicaragua bildete sich ein neues Muster der Wahlbeobachtung zur Lösung innerstaatlicher Konflikte heraus. Robert A. Pastor: Whirlpool: U.S. foreign policy toward Latin America and the Caribbean, Princeton 1992, 247. Hervorhebung im Original. 104 Personalstärke der Beobachtermissionen und ihre Anwesenheit während der ganzen Dauer des Wahlprozesses (Einschreibung, Wahlkampf, Stimmenabgabe und verrechnung) zeigen. Nachdem die OAS in Nicaragua Verdienste beim friedlichen Übergang der Macht von einem Revolutionsregime auf die Opposition erworben hatte, konnte sie ihre Wahlbeobachtungsaktivitäten (z.B. in den Ländern Haiti, El Salvador, Surinam und Paraguay) erheblich ausweiten.325 Wie die Vereinten Nationen hatte die OAS ihre Verfahren der Wahlhilfe und -beobachtung bereits standardisiert. Zwischen UNO und OAS ist jedoch ein markanter Unterschied beim politischen Spielraum auszumachen. Die Wahlbeobachtungsaktivitäten der OAS als ihrer neuen Demokratisierungsfunktion sind weitaus unumstrittener als im Fall der Weltorganisation. Dort spiegeln zwei konträre Resolutionen der jährlichen Generalversammlung eine widerstreitende Fraktionsbildung in dieser Frage wieder. Eine konservative, abwehrende Position, die von fast allen Staaten der sogen. Dritten Welt getragen wird, drückt sich aus im Titel der Entschließung „Achtung der Grundsätze der nationalen Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten im Hinblick auf Wahlprozess“.326 Eine von den westlichen Industriestaaten und den osteuropäischen Reformstaaten (einschließlich der Mehrheit der GUS-Länder) vertrete Gegenposition betont dagegen die „Verstärkung der Wirksamkeit des Grundsatzes regelmäßiger und unverfälschter Wahlen“.327 Ungleich stärker als die OAS müssen sich die Vereinten Nationen deshalb abwartend verhalten in einer schwierigen Lage zwischen grundsätzlichem Festhalten am Prinzip der nationalen Souveränität und wachsender Akzeptanz des Anliegens, daß dieses Prinzip zugunsten der Durchsetzung internationaler Menschenrechts- und demokratischer Standards relativiert werden müßte.328 Ist für die Vereinten Nationen die Wahlbeobachtung noch immer eine wohl zu begründende Ausnahmeak_______________ 325 326 327 328 Jennifer McCoy; Larry Garber; Robert Pastor: „Pollwatching and peacemaking“, in: Journal of Democracy 2 (1991) 4, 102-114, 106. Zu weiteren Missionen in Panama, Peru und Venezuela siehe: General Assembly, XXIII Regular Session: „Report of the Secretary General on compliance with the resolution ‚Human rights and democracy – electoral monitoring‘“, OEA/Ser. P, AG/Doc. 2950/93, 20.05.1993 Am Anfang einer Serie von Resolutionen steht: United Nations. General Assembly Res. 44/147: „Respect for the principles of national sovereignty and non-interference of States in their electoral processes“, 15.12.1989, in: General assembly Official Records (GAOR), 44th session, Supplement No. 49 (A/44/49), New York 1990, 225-226 Als Ergebnis einer Initiative der USA: United Nations. General Assembly Res. 45/150: „Enhancing the effectiveness of the principle of periodic and genuine elections“, 18.12.1990, in: GAOR, 45th Session, Suppl. No. 49 A (A/45/49), 254-255 Stefan Mair: „Internationale Präsenz und nationale Souveränität. Wahlbeobachtung: ein expandierendes Betätigungsfeld der Staatengemeinschaft“, in: Vereinte Nationen 43 (1994) 4, 133-140 105 tivität, so ist sie für die OAS eher schon Routine. Die OAS, in ihrer Mitgliedschaft während der 70er Jahre selbst von nichtdemokratischen Regimen dominiert, wird deshalb von der OAU als der Staatenorganisation des noch weitgehend patrimoniellen und diktatorialen Afrika durchaus als Vorbild gesehen.329 4.3 Strukturelle Regimebegrenzung: Gegensatz von „Nichtinterventionisten“ und „Aktivisten“ Das entscheidende strukturelle Hindernis für die Wirksamkeit und die Entwicklung des von der OAS geschaffenen Defense-of-Democracy-Regimes stellt immer noch das Nichteinmischungsprinzip dar. Es wäre ein Mißverständnis anzunehmen, daß durch jüngste Funktionen der OAS auf dem Gebiet der Staatsstreichprävention sich das Gebot der Nichteinmischung (Art. 18 OAS-Charta) überlebt habe.330 „Resolution 1080“ als Umsetzung der „Santiago-Verpflichtung“ konditioniert lediglich Artikel 18, hebt ihn aber wohlgemerkt nicht auf. Vielmehr bricht damit der Widerspruch zwischen Nichtinterventions- und Demokratieprinzip, der latent blieb, solange letzteres über ein Lippenbekenntnis nicht hinausging, offen auf und erfordert z. B. eine aktualisierte Nichtinterventionskasuistik der OAS, wie sie gegenwärtig von der Interamerikanischen Juristischen Kommission erarbeitet wird. Für die weitere Regimeentwicklung entscheidend wird deshalb das Kräfteverhältnis zwischen den „Nichtinterventionisten“ und den „Aktivisten“ unter den OAS-Mitgliedsstaaten sein. Infolge eines Gestaltwandels der Interventionsproblematik spürt eine Reihe von Mitgliedsstaaten der OAS heute mehr denn je äußeren Druck auf ihre sogen. Inneren Angelegenheiten. Als die internationalen Beziehungen durch die Blockkonfrontation noch bipolar geprägt waren, ging in Amerika eine strategisch motivierte Interventionsdrohung von der Hegemonialmacht USA aus und betraf im Wesentlichen die kleinen Staaten der Karibik und Zentralamerikas. Ein Land, das zum Opfer einer offenen oder verdeckten Intervention der Vereinigten Staaten geworden war, durfte sich wenigstens der Moralischen Solidarität der meisten anderen OAS-Mitgliedsstaaten gewiß sein. Dies hat sich geändert. Nach dem Ende des Ost-WestGegensatzes haben sich im Trend der zunehmenden Transnationalisierung der internationalen Beziehungen die Anlässe und die möglichen Adressaten _______________ 329 330 Larry Garber: „The OAU and elections“, in: Journal of Democracy 4 (1993) 3, 55-59, 58 f. Bertrand de la Grange: „L’Organisation des Etats américains a défendu une conception étroite de la souveraineté de ses membres“, Le Monde, 21.06.1993, 4 106 externer Eimischung vervielfacht.331 Von Interdependenzproblemen wie Umweltzerstörung, Drogenhandel, Migration oder Menschenrechten sieht sich ein immer größerer Teil der Staatenwelt selbst betroffen, so daß mittlerweile schon ein freilich höchst kontroverses „devoir d’ingérence“ diskutiert wird. Bloomfield umschreibt plastisch die gewandelte Interventionsproblematik: „No longer can it be assumed, that intervention will be presented in the guise of David versus Goliath, rather, it may be the good guys versus the bad guys, with those resisting outside pressure wearing the black hats.“332 So sehen sich insbesondere einige Lateinamerikanische Regierungen einer internationalen Kritik ausgesetzt, weil sie massiven Umweltzerstörungen oder dem Drogenhandel nicht wirksam Einhalt gebieten. Das macht sie gegenüber Präzedenzfällen mistrauisch, in denen – wie hier beim Thema Demokratie – internationale Organisationen mit kollektiven Handlungsmöglichkeiten ausgestattet werden könnten. In der OAS wenden sich infolgedessen wichtige oder gar tonangebende Staaten wie Mexiko, Brasilien und Kolumbien gegen ein solches „interventionistisches“ Rollenbild der Organisation. Mexiko ist zweifellos führend in diesem „Lager der Nichtinterventionisten“ (Bloomfield). Für seine Haltung hat es zum einen als leidgeprüfter Nachbar der Vereinigten Staaten gute geschichtliche Gründe, seitdem es 1848 die Hälfte seines Staatsgebietes an die USA hatte abtreten müssen und in diesem Jahrhundert Ziel etlicher militärischer Eingriffe seitens seines überlegenen nördlichen Nachbarn gewesen war. Zum anderen reagiert Mexiko auch nach seiner wirtschaftlichen „apertura“, in deren Folge es sich mit den USA und Kanada zum trilateralen Freihandelspakt NAFTA verband, unverändert mit einer geradezu allergischen Abwehrhaltung auf politische Einmischungsversuche von außen.333 Zur OAS stand Mexiko entsprechend immer in einem Doppelverhältnis. Es ist gleichzeitig ein Eckpfeiler und einer der vehementesten Kritiker gewesen. Mexiko nutzte einerseits die OAS, um den Einfluß der USA auf La_______________ 331 332 333 Der Begriff der transnationalen Politik beschreibt – im Unterschied zur zwischenstaatlichen internationalen Politik – die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges beobachtbare Erosion nationalstaatlicher Souveränität durch gesellschaftliche, ökonomische, technologische und ökologische Wirkkräfte, die staatliche Grenzen überschreiten und sich dem Zugriff nationalstaatlicher Politik ganz oder teilweise entziehen. Richard J. Bloomfield: Making the Western Hemisphere safe for democracy? The OAS defense-of-democracy regime“, in: Washington Quarterly 17 (1994) 2, 157-169, 162 Tim Golden: „U.S. and Mexico wrestling over limits of intervention“, New York Times, 01.12.1993, A3 107 teinamerika mit multilateralen, d.h. mit völkerrechtlichen Mitteln zu begrenzen. Vorstehend konnte gezeigt werden, in welchem Maße es Mexiko 1985 gelungen war, der Reform der OAS-Charta seinen Stempel aufzuprägen. Andererseits bekämpfte Mexiko die von ihm wesentlich eher und schärfer als von den meisten anderen lateinamerikanischen Staaten wahrgenommene Instrumentierung der OAS für die Politik der USA und kritisierte darüber hinaus den Mangel an wirtschafts- und entwicklungspolitischen Instrumenten der OAS.334 „Effektiv“ ist die OAS als internationale Organisation nach mexikanischen Verständnis dann, wenn sie durch ein striktes Nichteinmischungsprinzip auf die Rolle eines regionalen Forums (einer „Arena“ in der Terminologie Clive Archers) beschränkt bleibt. Mexiko wünscht sich die OAS als eine Art „Commonwealth“ des amerikanischen Doppelkontinents, dem eine gemeinsame, überwiegend iberische kulturelle Prägung eine Art Clubcharakter verleiht. Die in der 80er Jahren politisch lahmgelegte OAS war paradoxerweise geeignet, diese defensive Strategie Mexikos zu flankieren, was dem Land eine Wiederannäherung an die multilaterale Regionalorganisation erlaubte.335 Mit einer weitergehenden Reaktivierung der OAS tut sich Mexiko infolgedessen schwer. So mußte es hinnehmen, von der Interamerikanischen Menschenrechtskommision wegen des Wahlbetruges der Staatspartei PRI angeprangert zu werden.336 Während die OAS in den vergangenen Jahren auf dem Feld der internationalen Wahlbeobachtung Meriten sammelte, stellte dies für Mexiko, das bis vor kurzem als einziges Mitgliedsland der OAS keine offiziellen Wahlbeobachter zuließ, eine unannehmbare Einmischung in seine inneren Angelegenheiten dar. Es kam deshalb nicht unerwartet, daß der mexikanische Außenminister Fernando Solana 1991 alle Entwürfe der Resolution 1080 verwarf, weil sie ihm auf einen Sanktionsautomatismus hinzudeuten schienen. Eine Überraschung war es vielmehr, daß er die Resolution nach stundenlanger Überredung durch alle anderen OAS-Delegierten schließlich doch mitverabschiedete. Bei der Änderung der OAS-Charta im „Protokoll von Washington“ _______________ 334 335 336 Olga Pellicer de Brody: „México en la OEA“, in: Foro Internacional 6 (1965/66) 2/3, 288302 Ricardo Macouzet Noriega: „México en la OEA: del distanciamiento a la cooperación“, in: Carta de Política Exterior Mexicana 6 (1986) 4, 17-28 „Report No. 8/91, case 10.180, Mexico, 22 February 1991“, in: Annual Report of the InterAmerican Commission on Human Rights 1990-1991, OEA/Ser. L/V/II.79 rev. 1, Doc. 12, 22.02.1991, 237-250; Larry Rohter: „O.A.S. cautions Mexicans on election fraud“, New York Times, 04.06.1990, A17 108 von 1992 fiel Mexiko jedoch in den gewohnten Habit zurück und stimmte als einziger Mitgliedsstaat gegen die Suspendierungsklausel des neuen Artikel 9. Es erkannte darin „supranationale“ Machtbefugnisse, mithin die Voraussetzungen für eine Akteursrolle der Organisation, die es strikt ablehnt.337 Die für die rigide Position der Nichteinmischung typischen Einlassungen der mexikanischen Regierung lohnen ein längeres Zitat: „[I]f such penalties are added […] they could even serve as a pretext for violating or jeopardizing other objectives that are equally valuable and essential to the harmonious and peaceful existence of the inter-American system itself. […] [T]he incorporation of texts such as those hitherto proposed […] introduce the possibility of recourse to a punitive measure […] and thereby set at risk the equilibrium of principles on which the OAS has hitherto been based, and, on the other hand, on the pretext of supporting democracy in the hemisphere, they seek to broaden the sphere of action of the Secretary General to include intervention in internal matters that have hitherto been regarded as within the exclusive purview of the member states. ]…] [The Government of Mexico] considers that each national process has a dynamic of its own, and that excessive external force, however good the intentions with which it is brought to bear, could project the Organization into an undesirable era of interventionism.“338 Die Außenpolitik Brasiliens ist wie diejenige Mexikos deutlich defensiv ausgerichtet, wobei sich Brasilien ohne die direkte Nachbarschaft der USA ein höheres Profil erlauben konnte. Brasilien, das die Hälfte der Fläche Südamerikas einnimmt, über 50 Prozent der Bevölkerung des Subkontinents beheimatet und die neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt bildet, ist traditionell ein Land mit Aufstiegsambitionen, die früher teilweise die Extremform des Großmachtstrebens annahmen. Hierbei wird es von der Sorge vor externer Strangulation umgetrieben („Don’t fence me in“ – so ironisiert Bloomfield Brasiliens Haltung). Abgeflaut ist die Befürchtung, der Erzrivale Argentinien könne mit den spanischsprachigen Nachbarn eine antibrasilianische Koalition schmieden, seitdem sich die 1979 eingeleitete détente zu einer engen Zusammenarbeit verdichtete, die am 1. Januar 1995 in der Bildung des gemeinsamen Marktes MERCOSUR gipfelt. Höchst virulent ist hingegen die Furcht, der Club der Großmächte und Industrieländer wolle das aufstrebende Schwellenland Brasilien beim Vorankommen in der internationalen Rangordung hemmen. Der massive internationale Druck auf die _______________ 337 338 „Solana rejects OAS Charter reform proposal“ (NOTIMEX, Mexico City, 14.12.1992) Foreign Broadcast Information Service, FBIS Daily Report – Latin America, 16.12.1992, 18 (PrEx 7.10: FBIS-LAT-92-242) Permanent Council, Special Committee on Amendments to the Charter: „Declaration of Mexico on the proposed amendments to the OAS Charter, presented at the committee’s meeting on October 6, 1992“, OEA/Ser. G, CE/CARTA-26/92, 06.10.1992, 280. Unterstreichungen im Original. 109 brasilianische Regierung in der zweiten Hälfte der 80er Jahre in Fragen der Umwelt und der indianischen Ureinwohner Amazoniens wurde entsprechend als ein Versuch arrivierter Mächte gesehen, Brasilien in der internationalen Stratifizierung in untergeordneter Position festzuhalten. Das mit einem professionellen und weltweit vertretenen diplomatischen Apparat (das „Itamaraty“) operierende Brasilien hält deshalb gegen den Trend der Transnationalisierung der internationalen Beziehungen weiterhin fest an der zentralen Bedeutung des Nationalstaates und des Souveränitätsprinzips. Anläßlich der Beratungen der OAS über eine kollektive Staatsstreichprävention stellte sich Brasilien eindeutig gegen jeden Versuch, das Nichteinmischungsgebot durchlässiger zu gestalten: “The idea that the defense of the people’s sovereignty could be served by the international limitation of the state’s sovereignty would be a misperception […]. An absence of full respect for the people’s will within a state cannot be offset by a display of will within a state or other peoples. Self-determination is, by definition, always the self and never of the other […]. It is within these parameters that the Brazilian Government supports the effort to adapt the OAS Charter […].”339 Dieses Zitat belegt das konservative Verständnis des Rechtes auf Selbstbestimmung, das Brasilien hier als ein exogenes Recht begreift, welches das Volk vor Einmischung von Außen schützt, nicht als ein endogenes, das die Rechte des Volkes gegenüber seiner eigenen Regierung wahrt. Brasilien wendet sich damit gegen aktuelle Bestrebungen, das Konzept der Demokratie völkerrechtlich dadurch zu sichern, indem das Recht auf Selbstbestimmung auch als ein internes, aus der Volkssouveränität abgeleitetes Recht definiert wird. Gleichwohl agiert Brasilien im Gegensatz zu Mexiko flexibel. Bereits in seiner Umweltaußenpolitik hatte es sich trotz eines anfänglichen Konfliktkurses der Einsicht nicht verschlossen, daß für die Zukunft neue ökologische Ordnungsmuster unabwendbar sind. Auf dem UN-Umweltipfel in Río im Jahr 1992 übernahm es dann sogar eine Schlichter- und Koordinierungsfunktion zwischen den Industrieländern des Nordens und den Entwicklungsund Schwellenländern des Südens. Ganz ähnlich bildete es in der OAS eine Brücke zwischen den „Nichtinterventionisten“ und den „Aktivisten“. Es war zweifellos eine beachtliche Integrationsleistung der brasilianischen Diplomatie, daß die kontroverse Suspendierungsvorkehrung im „Protokoll von Washington“ schließlich bei einer Enthaltung (Trinidad undnTobago) mit 31 gegen eine Stimme (Mexiko) nahezu einmütig verabschiedet wurde. _______________ 339 General Assembly, XVI Special Session: „Observations of the member state governments on the report of the Special Committee on Amendments to the Charter: Brazil“, OEA/Ser. G, AG/Doc. 7 (XVI-E/92) add. 1, 24.11.1992, 1 110 Brasiliens Einsatz bei dieser Statutenänderung rührt nicht zuletzt daher, daß es bestrebt war, das Demokratieregime im Rahmen der OAS im Sinne seiner eigenen Vorstellungen zu prägen. Da Brasilien bei den Beratungen über die Suspendierungsklausel des neuen Artikel 9 der OAS-Charta erkennen mußte, „that most of the member states are inclined to support an extremly rigorous procedure for applying the suspension measure“, zielte es u.a. darauf ab, mit einem Konsenserfordernis (bzw. „Konsens minus eins“ gegen die Stimme des Sanktionsadressaten) die Schwelle für die Suspendierung so hoch wie möglich zu legen und damit gewissermaßen ein Vetorecht einzubauen: “Brazil supports the concept that the suspension measure can only be applied in cases in which the OAS member states have no marked differences of opinion on the matter.”340 Auch versucht Brasilien zu verhindern, daß internationale Organisationen in den Händen von Großmächten zu einem hegemonialen Instrument werden. Als es 1992 erstmals darum ging, den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem Haiti-Problem (dazu weiter unten) zu befassen, sprach sich das seinerzeit gewählte, nichtständige Ratsmitglied Brasilien dagegen aus. Nach seiner Auffassung, die von der Volksrepublik China und den meisten der nichtständigen Mitglieder geteilt wurde, stellte die Lage in Haiti keine Bedrohung von Frieden und Sicherheit gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen dar. Brasilien suchte damit Weiterungen der Jurisdiktion des Sicherheitsrates vorzubeugen, damit sie nicht auf Fragen von Menschenrechten, Demokratie und Umwelt ausgreife. Wenn es denn schon unvermeidlich erscheint, zieht die Regionalmacht Brasilien die multilaterale Behandlung dieser nicht zuletzt im interamterikanischen Kontext sensitiven Themen im Rahmen der OAS vor, wo es mehr Einfluß auf den Entscheidungsprozeß auszuüben in der Lage ist. Brasilien trägt, sich gewissermaßen ins Unvermeidliche schickend, das Defense-of-Democracy-Regime OAS im Prinzip mit, wie seine führende Rolle bei der Ergänzung der OAS-Charta 1992 belegt. Es wird aber bei der Implementierung der „Santiago-Verpflichtung“ in Zukunft eher als Bremser fungieren. Im Unterschied zu Mexiko tendiert das beweglichere Brasilien insgesamt jedoch mehr in Richtung einer zentristischen Position, was von der vergleichsweise komplexeren außenpolitischen Interessenlage Brasiliens herrührt. Da es mit neun der elf südamerikanischen Länder eine gemeinsame Grenze hat, ist ihm die Stabilität der Nachbarn letztlich wichtiger als ihre jeweilige Regierungsform. So verwundert es nicht, daß Brasilien sich im Verein mit Kolumbien bemühte, den die OAS-Außenminister seit dem Präsidentenputsch vom April 1992 beschäftigenden Fall Peru sofort von der _______________ 340 Ebd., 5 111 Tagesordnung zu streichen, als Präsident Fujimori mit den Wahlen zu einer Konstituante eine eher fragwürdige Konzession gemacht hatte. Für die Zukunft ist deshalb damit zu rechnen, daß Brasilien sich gegen Versuche stellen wird, die OAS mit eigenständiger Durchsetzungsmacht, z.B. in Form automatischer Sanktionen, auszustatten. Kolumbien wird ebenfalls zur Gruppe der „Nichtinterventionisten“ gerechnet. Das Land genoß als das neben Venezuela einzige südamerikanische Land, das seit 1958 ununterbrochen von Zivilisten regiert wird, lange Zeit international ein hohes Ansehen. In der Person von zwei ehemaligen Präsidenten gilt Kolumbien fast schon als Sachwalter der interamterikanischen Kooperationsidee: Albert Lleras Camargo war von 1948 bis 1954 der erste, César Gaviria ist seit September 1994 der amtierende OAS-Generalsekretär. Das Bild trübt sich allerdings ein durch die bald zweihundertjährige (zum Teil auch nichtpolitische) Gewalttradition des Landes. Auch nach den Modernisierungsmaßnahmen César Gavirias befindet sich ein morsch zu nennender Staat noch immer in einer mehrfachen Belagerungssituation: Er lebt mit politischer Gewalt, endemischer Korruption, hoher gewöhnlicher Kriminalität, terroristischer Drogenmafia und er steht nicht zuletzt im militärischen Patt mit einer Guerilla. Deshalb gibt er den Streit- und Sicherheitskräften weiten Aktionsraum. Massiver Druck der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, also von einem Gremium der OAS, zwang 1995 die Regierung Samper, Menschenrechtsverbrechen durch die Staatsmacht zugeben. Als Hauptursprungsland von Kokain hat sich Kolumbien bei der Drogenbekämpfung in den letzten Jahren au feine enge Kooperation mit den USA eingelassen. Das Souveränitätsempfinden der kolumbianischen Öffentlichkeit und der Regierung wurde dabei vielfach provoziert, so etwa 1991 durch eine angebliche „Seeblockade“ der USA zur Unterbindung der Schmuggelrouten. Außerdem muß die Regierung fürchten, sie könnte vergleichbar dem von den Vereinten Nationen in El Salvador vermittelten Frieden dereinst zu weitgehenden Konzessionen gegenüber der Guerilla genötigt werden. In der Folge sich Kolumbien sich äußeren Pressionen möglichst zu entziehen und bemühte sich zunächst zusammen mit Mexiko und Brasilien, 1991 das Demokratiethema von der Tagesordnung der OAS-Vollversammlung in Santiago zu halten, und als dies nicht gelang, den Text der „Santiago-Verpflichtung“ zugunsten des Nichtinterventionsprinzips zu verwässern.341 Kolumbien darf deswegen als ein Protagonist des Nichtinterventionslagers gelten, wenngleich es dabei mit einem niedrigeren Profil als Mexiko und Brasilien agiert. _______________ 341 Bloomfield, Making the Western Hemisphere, 163 f. 112 Diesem Lager der „Nichtinterventionsisten“ gegenüber steht eine Gruppierung von „aktivistischen“ Staaten, die vor allem von Argentinien, Venezuela, Kanada, Chile und den Vereinigten Staaten gebildet wird, zu der aber auch einige kleinere Länder wie Costa Rica und Panama zu rechnen sind. Diese Staaten befürworten im Grundsatz ein durchsetzungsfähiges interamerikanisches Demokratieregime, lassen sich aber in der Praxis immer wieder von außenpolitischen Rücksichten leiten und wollen deshalb schroffe Kollektivmaßnahmen vermeiden. Argentinien, das von 1976 bis 1983 eine brutale Militärdiktatur erlitten hat, ist der eifrigste Promotor eines starken Demokratieregimes der OAS. Von ihm ging der Vorstoß zur Reform des Artikels 9 („Protokoll von Washington“) aus. Nach dem Putschversuch in Venezuela und angesichts der andauernden Militärherrschaft in Haiti forderte der argentinische Außenminister im Februar 1992 explizit eine „stärkere Einmischung“ der OAS in Form einer Suspendierung der Mitgliedschaft einer illegitimen De factoRegierung.342 Die Vorreiterrolle Argentiniens ist stark an die Person seines machtbewußten Präsidenten Carlos Sául Menem gebunden, der seit 1989 eine scharfe Kehrtwende der argentinischen Politik – in Gestalt der neoliberalen Wirtschaftsdoktrin und des Schulterschlusses mit den USA – herbeiführte. Sicherlich kompensiert Menems Außenpolitik mit ihrer demokratieorientierten „moralischen“ Führungsrolle in der OAS den rapiden Verlust internationalen Gewichts, den Argentinien seit den 50er Jahren hinnehmen mußte, und schönt zugleich den anrüchigen Ausgleich mit dem Militärs („Schlußpunktgesetz“), den seine Regierung Menem um des inneren Friedens willen gesucht hat. Venezuelas prodemokratische Außenpolitik in der Region hat, was hier mehrfach angesprochen wurde, eine längere Tradition. Im Sinne der Betancourt-Doktrin brach es nach dem „Selbstputsch“ des peruanischen Präsidenten seine diplomatischen Beziehungen mit der Regierung in Lima ab – von den anderen OAS-Staaten schloß sich lediglich Panama diesem Vorgehen an. Venezuelas „interventionistische“ Avantgarderolle, die sein Vertreter bei der OAS sogar als „militant“343 deklarierte, war jedoch stark an die persönlichen Überzeugungen des damaligen Präsidenten Carlos Andrés Pérez geknüpft, zu denen der im Dezember 1993 gewählte Präsident Rafael _______________ 342 343 „Di Tella urges ‚greater intrusion‘ by OAS“ (Noticias Argentinas, Buenos Aires, 04.02.1992) Foreign Broadcast Information Service. FBIS Daily Report – Latin America, 05.02.1992, 14 (PrEx 7.10: FBIS-LAT-92-024) „Statement of Ambassador Guido Grooscors […]“, in: General Assembly, XVI Special Session: „Report of the Special Committee on Amendments to the Charter: Comments by the Venezuelan delegation […]“, OEA/Ser. P, AG/Doc. 6 (XVI-E/92) add. 2, 23.11.1992, hier: 6 113 Caldera auf Abstand ging. Caldera selbst drohte dem oppositionellen Parlament nach peruanischem Muster mit einem „Fujimorazo“, d.h. der Entmachtung, und hob Grundrechte per Dekret auf. Chile ist ein weiterer wichtiger Bannerträger des Demokratiethemas in der OAS. Seit dem März 1990 war es für die beiden demokatischn Regierungen Alqyn und Frei vorrangig, das Ansehen Chiles in der internationalen Gemeinschaft wiederherzustellen. Bis 1973 hatte Chile aufgrund einer fast ununterbrochenen demokratischen und rechtsstaatlichen Tradition in einer instabilen Umwelt einen besonderen regionalen Einfluß ausgeübt. Während der sechzehnjährigen Pinochet-Diktatur war es dagegen – nicht zuletzt in der OAS – in die außenpolitische Isolierung geraten und z.B. aus dem Andenpakt geschieden, als Nachzügler der Redemokratisierung kehrte es nach Paraguay (wo die Diktatur Stroessners im Februar 1989 endete) in die stark angewachsene regionale Gemeinschaft der repräsentativen Regierungen zurück und konnte damit nur noch „einen Platz unter vielen „ einnehmen. Um so mehr forcierte die neue chilenische Diplomatie multilaterale Initiativen in der OAS zur gegenseitigen Unterstützung der Demokratien und betonte das Thema Menschenrechte, um die verlorene internationale Reputation rasch wiederzuerlangen.344 Aber auch Chile ordnet seinen Enthusiasmus für das abstrakte Gut Demokratie, wenn nötig, einem profanen außenpolitischen Interressenkalkül unter. So unterstützte es in der Krise um Peru zwar die Resolutionen der OAS, die Fujimoris Präsidialdiktatur verurteilten, war aber zugleich bestrebt, dem Regime die Rückkehr in die Gunst der OAS offenzuhalten, da es mit Peru gerade einen alten Territorialkonflikt bereinigt hatte. Zu ähnlicher Rücksichtnahme und Interessenabwägung ist hingegen Kanada, das der Organisation erst 1990 beigetreten ist, bisher kaum genötigt gewesen. Noch ist der in der OAS von Kanada vorgetragene Menschenrechts- und Demokratiedealismus, der stark von verschiedenen kanadischen Nichtregierungsorganisationen beeinflußt ist, recht unbeschwert von profanen Eigeninteressen in Lateinamerika – was sich durch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA möglicherweise ändern kann. Kanada tritt für wirksame diplomatische und wirtschaftliche Sanktionsinstrumente ein und legte hierzu 1992 einen differenzierten Maßnahmenkatalog und Stufenplan vor. Die neue Führungsrolle Kanadas in der OAS wird an anderer Stelle dieser Arbeit noch umfassend gewürdigt. Anders als Kanada befinden sich die Vereinigten Staaten seit ehedem im Konflikt zwischen politischen Idealen und nationalen Eigeninteressen, auch wenn deren Deckungs_______________ 344 Manfred Wilhelmy: „Demokratie und Außenpolitik in Chile“, in: Demokratie und Außenpolitik in Lateinamerika / dieter Nohlen; Mario Fernández; Alberto van Klaveren (Hg.), Opladen 1991, 93-111, 96 f. 114 gleichheit ideologisch stets postuliert worden ist. So war die US-Regierung beispielsweise geneigt, notfalls eine kaum kaschierte Diktatur in Peru in Kauf zu nehmen, als das Land durch eine Quarantäne der OAS tiefer ins Chaos zu stoßen. Die Bemühungen der OAS und der UN um die Wiederherstellung der Demokratie in Haiti wurde entscheidend durch die uneindeutige Haltung der Vereinigten Staaten geschwächt, denen der gestürzte legitime Präsident Aristide politisch nicht geheuer war. Trotzdem werden die USA geradezu mit einem „demokratischen Interventionismus“ identifiziert. Sie sind ein Land, dessen politische Tradition und Kultur es anfällig für demokratische Kreuzzüge macht, sei es in der liberalen Variante des „Wilsonismus“ oder in der des Reaganismus.345 Von jeher will sich Washington in der Westlichen Hemisphäre in einer politisch und wirtschaftlich befreundeten Umwelt bewegen. Die sich seit Anfang der 90er Jahre entwickelnde Funktion der OAS zur Sicherung der Demokratie hat es deshalb beifällig begrüßt, zumal sie sich in die große Perspektive „von der Eindämmung zur Erweiterung“ („from containment to enlargement“) fügt, die Sicherheitsberater Lake im Herbst 1993 als Teil einer außenpolitischen „Clinton-Doktrin“ skizziert hat. Diese Strategie zielt auf die Entstehung und Absicherung immer neuer marktwirtschaftlich orientierter Demokratien seit der Niederlage des Kommunismus („a strattegy of American efforts to enlarge the community of market democracies“).346 Ein entsprechender Führungsanspruch der USA – als „hegemonic stabilizer“ würde jedoch den Keim zur Selbstzerstörung des Defense-ofDemocracy-Regimes der OAS legen: Aus historisch begründeter Vorsicht mißtrauen die lateinamerikanischen Staaten einer solchen Anmaßung. Wiederkehrende Versuche von US-Regierungen, „Demokratie zu exportieren“, waren zudem im Ergebnis „usually negligible, often counterproductive, and only occasionally positive“, wie Lowenthal knapp bilanziert.347 In den folgenden Fallstudien zur Anwendung der „Resolution 1080“ wird der heterogenen Interessenlage der meisten lateinamerikanischen Staaten und ihren Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Defense-of-DemocracyRegimes noch im Detail nachzugehen sein. Dabei wird nachzuweisen werden, daß die OAS in ihrer neuerworbenen Rolle als Garant der Demokratie keine eigenständige Akteursqualität erhielt, _______________ 345 346 347 Siehe die ideologiekritische Studie von Thomas Carothers: In the name of democracy: U.S. policy toward Latin America in the Reagan years, Berkeley 1991 Anthony Lake: „A strategy of enlargement and the developing world“, in: U.S. Department of State Dispatch 4 (25.10.1993) 43, 748-751, 748 Abraham F. Lowenthal: „The United States and Latin American democracy: learning from history“, in: Ders. (Hg.): Exporting democracy: the United States and Latin America, Baltimore 1991, 383-405, 383 115 sondern fallweise mit „geliehener“ Ordnungsmacht operieren muß und deshalb unmittelbar vom divergierenden und stets wechselhaften politischen Willen der Mitgliedsstaaten abhängig bleibt. Die um so wichtigere Rolle prominenter „impulsores“ reduzierte sich durch den unrühmlichen Abgang des Venezolaners Perez auf den Argentinier Menem. Die Regimeentwicklung bleibt durch die zuletzt auf der 23. Generalversammlung der OAS in Mangua im Juni 1993 erneut zutage getretene Spaltung der Mitgliedschaft in „Nichtinterventionisten“ und „Aktivisten“ strukturell begrenzt.348 5. Testfälle für das Defense-of-Democracy-Regime seit 1991 Schon kurz nach der „Verpflichtung von Santiago“ hatte sich die neue interamerikanische Demokratiedoktrin zu bewähren: Im September 1991 putschte das Militär in Haiti gegen Präsident Aristide. Im Februar 1992 scheiterte ein (erster) Putschversuch in Venezuela – ein Ereignis, das wegen der außergewöhnlichen demokratischen Kontinuität dieses Landes besonders schockierte. Im April 1992 bediente sich Perus Präsident Fujimori des Militärs, um durch einen „Selbstputsch“ Parlament und Justiz auszuschalten. Einen solchen „kalten“ Staatsstreich kopierte der guatemaltekische Präsident Serrano im Mai 1993. Diese Ereignisse, auf die die OAS sehr unterschiedlich reagierte, prägten auch die weitere Diskussion zum Thema Demokratie. 5.1 Erfolglose Sanktionen gegen das Militärregime in Haiti (19911994) Nicht einmal vier Monate nach seiner Installierung wurde das Defenseof-Democracy-Regime der OAS einem ersten Test ausgesetzt in einer Krise, die sich über drei Jahre hinziehen sollte. Jean-Bertrand Aristide, der im Dezember 1990 mit haushoher Mehrheit gewählte erste demokratische Präsident Haitis und das Idol der armen Massen, wurde durch einen blutigen Putsch am 29. September 1991 von Armeechef Raoul Cédras in Exil gezwungen. Das Militärregime begann das Land mit einem Ausmaß an Gewalt zu terrorisieren, das an die Zeiten der Duvalier-Diktaztur erinnerte. Unter dem Mandat der „Resolution 1080“ reagierte die Außenministerkonferenz der OAS unverzüglich. Bereits drei Tage nach dem Coup forderte sie die Militärjunta einstimmig und energisch zur Rückgabe der Macht an den gestürzten Präsidenten auf. Sie empfahl den Mitgliedsstaaten jedwede wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit mit Haiti abzubrechen und _______________ 348 „OAS sidesteps ‚effectiveness‘ issue“, in: Latin American Weekly Report (24.06.1993) 24, 282-283 116 die Junta diplomatisch zu isolieren. Der Aufruf schloß sogar eine versteckte Drohung mit Intervention („weitere Maßnahmen“) ein.349 Ebenso umgehend reiste eine OAS-Delegation unter der Führung des Generalsekretär Baena Soares – zu ihr zählten auch mehrere Außenminister – nach Port-au-Prince, um Cédras mit Hinweis auf politische Isolation, Nichtanerkennung und wirtschaftliche Sanktionen zum Nachgeben zu bewegen. Die Gespräche der OAS wurden von einigen Truppenteilen mit Drohgebärden begleitet und blieben ergebnislos. Deshlab beschlossen die OAS-Außenminister nach einer ersten solchen Empfehlung, am 8. Oktober 1991 strikte Sanktionen, indem an die Mitgliedsstaaten die Aufforderung erging, Haitis Vermögenswerte zu sperren und das Land mit einem Handelsembargo zu belegen, von dem nur humanitäre Hilfe auszunehmen war. Auf Anregung von Aristide, den die erfolgreichen OAS- und UN-Missionen zur Sicherung der freien Wahlen im Dezember 1990 stark beeindruckt hatten, bot die OAS die Entsendung eines zivilen Expeditionskorps („OEADEMOC“) an, um als Puffer zwischen den feindlichen Fraktionen die Wiederherstellung der demokratischen Institutionen zu erleichtern.350 Daß die OAS in der haitischen Krisendiplomatie die Initiative sofort an sich ziehen konnte, ist auf zwei Gründe zurückzuführen: Erstens waren die USA bereit, Ordnungsmachtfunktionen an die OAS zurückzuverlagern. Präsident Bush wollte keine direkte militärische Intervention wie in Panama betreiben und erwog ein Eingreifen allenfalls im Rahmen einer kollektiven OAS-Aktion: „I am disinclined to use American force […]. We´ve got a big history of American force in this hemisphere, and so we´re got to be very careful about that. But I will see how others feel at the O.A.S. There might be some talk over there about a multinational force of some sort, so we´ll have to wait and see.“351 Vom venezolanischen Präsidenten Pérez ließen ich die USA in eine OAS-Koalition hineinziehen, obwohl sie an einer Wiedereinsetzung Aristides nicht dringend interessiert waren. Washington sah in Oberschicht und Armee natürliche Verbündete, während es an der regierungfähigkeit und den demokratischen Tugenden des so erratischen wie charismatischen Armenpriesters zweifelte, der einen aus der kreolischen Volkskirche kommenden Antiamerikanismus pflegte. _______________ 349 350 351 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „MRE/RES. 1/91: Support to the democratic government of Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 1/91 corr. 1, 03.10.1991 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „MRE/RES. 2/91: Support for democracy in Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 2/91, 08.10.1991 117 Zweitens hatte die OAS mit den Santiago-Beschlüssen die Fessel des unbedingten Nichtinterventionismus so weit gelockert, daß sie mit unverzüglichen Sanktionen ihre Entschlossenheit zur kollektiven Verteidigung demokratischer Regierungen demonstrieren konnte, während der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Fall Haiti zunächst zu einem Eiertanz gezwungen war. Das Gremium konnte sich nur au feine moralischen Unterstützung in Form einer völkerrechtlich unverbindlichen Erklärung des Ratspräsidenten einigen, in der die Bemühungen der OAS unterstützt wurden und die Wiedereinsetzung der „legitimen Regierung“ gefordert wurde. Eine von Frankreich eingebrachte verbindliche UN-Resolution, die den Putsch formell verurteilt hätte, wurde durch die von China (Vetomacht) und Indien angeführten blockfreien Ratsmitglieder blockiert. Diese Länder der Dritten Welt fürchteten einen „Präzedenzfall“ für eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten.352 In der OAS kam es hingegen schon zu einem Streit über eine mögliche multinationale Militärintervention, auch wenn Vorschläge in dieser Richtung Fensterreden waren. Argentiniens Außenminister di Tella forderte die Organisation auf, durch eine Änderung ihrer Statuten die Bildung einer Eingreiftruppe zu ermöglichen. Der venezolanische Präsident Pérez unterstrich die Bereitschaft seines Landes, in einer multinationalen Truppe Soldaten nach Haiti zu entsenden. Diese Vorschläge stießen in der lateinamerikanischen Staatengruppe auf keine Begeisterung. Anfang Dezember 1991 verwarfen die lateinamerikanischen Staatschefs auf dem Gipfel der RíoGruppe in Cartagena mit großer Mehrheit den Vorschlag des argentinischen Präsidenten Menem, eine Militärblockade gegen Haiti zu verhängen. Statt dessen wurde in einer gemeinsamen Erklärung der dreizehn Staatschefs die Europäische Gemeinschaft aufgefordert, sich dem Wirtschaftsembargo der OAS anzuschließen. Dem OAS-Vermittler Ramírez Ocaqmpo, einem ehemaligen Außenminister Kolumbiens, gelang es nicht, einen Vertreter der haitischen Militärs an den Verhandlungstisch zu bewegen. Er handelte am 23. Februar 1992 den „Kompromiß von Washington“ (Washington Protocol) zwischen Aristide und der Parlamentsführung in Port-au-Prince aus. Dieses Vermittlungspapier sah vor, daß der moderate Kommunistenführer Théodore Premierminister einer Übergangsregierung werden sollte, um dann die – zeitlich nicht festgelegte – Rückkehr Aristides in die Wege zu leiten. Der De factoMachthaber Cédras sollte Armeechef bleiben, die Putschisten begnadigt werden. Mit 250 zivilen Beobachtern wollte die OAS über die Einhaltung _______________ 352 Anthony Clark Arend: „The United Nations and the New World Order“, in: Georgetown Law Journal 81 (1993) 3, 491-533, 500 ff. 118 des Abkommens wachen, das aber von der Junta sogleich desavouiert wurde und toter Buchstabe blieb.353 Die OAS mußte, wollte sie ihre Glaubwürdigkeit bewahren, den Druck gegen Haiti verstärken.354 Allerdings war auf der XXII. Generalversammlung in Nassau (Bahamas) nicht mehr von einem militärischen Eingreifen die Rede. Die von den USA uns anderen OAS-Mitgliedern angestrebte diplomatische Isolierung scheiterte vor allem an Widerstand Mexikos, welches die ehrwürdige Estrade-Doktrin zur Anerkennung souveräner Staaten ins Feld führte. So blieb es bei wirtschaftlichen Maßnahmen. Eine Spezialkommission des Ständigen Rates zur Verifizierung des Embargos sollte von OAS-Mitgliedern, die ein Unterlaufen, des Embargos duldeten, „Erklärungen“ verlangen. Zusätzlich wurden die Mitgliedsländer aufgefordert, allen Schiffen, die das Embargo gebrochen hatten, den Zugang zu ihren Häfen zu sperren und den Anhängern des Regimes Visa zu verweigern und ihre Konten zu sperren.355 In der zweiten Jahreshälfte 1992 mußte die OAS erkennen, daß sich ihre Mittel erschöpften. Folgende Gründe werden hier gesehen: Im Gegensatz zur OAS und den ebenfalls diplomatisch involvierten Ländern Frankreich und Kanada unterstützte Washington, wo nun einmal der Schlüssel für karibische Krisen liegt, den legitimen Machanspruch des Exilpräsidenten entgegen den ersten Erklärungen nicht rückhaltlos. Statt dessen verstärkten die USA den Druck auf Aristide, Konzessionen an die Junta und die mit ihr liierten zivilen Kräfte zu machen. Dies lockerte zugleich den Druck auf die De facto-Machthaber, ein Arrangement mit Aristide suchen zu müssen. Sie hatten eine feine Witterung für die ambivalente Haltung der US-Regierung gegenüber Aristide. In einem geschickten Schachzug präsentierten sie Anfang Juni 1992 als neuen Premierminister den Wirtschaftsfachmann Marc Bazin, der als langjähriger Weltbank-Funktionär über gute Verbindungen in Washington verfügte. Tatsächlich begannen die USA offen mit der Option eines „dritten Weges“ – einer Rückkehr Haitis zur Normalität auch ohne Aristide – zu liebäugeln. Dies unterminierte die Position der OAS, die anders als bei ihrem Umgang mit dem panamaischen Diktator _______________ 353 354 355 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „Support of the Secretary General to the Ad Hoc Meeting of Ministers of Foreign Affairs on Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/Doc. 4/92, 14.05.1992 Permanent Council: „Declaration of the Permanent Council on the situation in Haiti“, OEA/Ser. G, CP/Doc. 2248/92, 01.04.1992 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „MRE/RES. 3/92: Restoration of democracy in Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 3/92, 17.05. 1992; Howard M. French: „Americas approve forceful steps to restore ousted Haitian leader“, New York Times, 18.05.1992, A1; A8 119 Noriega und seinen zivilen Marionettenregierungen diesmal den „de factos“ verwehrte, sich international auch nur den Anschein von Autorität einer De iure-Regierung zuzulegen. Die Administration Bush gab überdies ein psychologisch verheerendes Signal, indem sie gegen den Willen der OAS vom US-Handelsembargo die in amerikanischem Besitz befindliche Offshore-Lohnveredelungsindustrie in Haiti ausnahm. Diese euphemistisch als „Feinabstimmung“ der Sanktionen bezeichnete Maßnahme wurde offiziell mit humanitären Gründen gerechtfertigt, ging aber Berichten zufolge auf die Intervention interessierter Wirtschaftskreise zurück.356 Der gelockerte wirtschaftliche Druck ermunterte die Junta, den Widerstand gegen eine Rückkehr Aristides fortzusetzen. Das OAS-Embargo wurde aber ohnehin bis zur Wirkungslosigkeit hintergangen – und dies vor allem von OAS-Mitgliedsstaaten selbst, für die die Sanktionen lediglich einen Empfehlungscharakter hatten.357 Die OAS-Charta biete nämlich keinerlei Handhabe, die kollektive Befolgung von Sanktionen zu erzwingen, schon gar nicht für Konflikte und Interventionen unterhalb der Gewaltschwelle.358 Die Druckwirkung des OAS-Embargos verpuffte nicht zuletzt auch deshalb, weil es von Staaten außerhalb der Region nicht anerkannt wurde. So fühlte sich die Europäische Gemeinschaft daran kollektiv nicht gebunden. Das löchrige Embargo verfehlte darüber hinaus seinen Zweck, weil es die soziale Lage der Bevölkerung des Armenhauses der Karibik abgrundtief verschlechterte, während es die schmale feudalistische Oberschicht und die von ihr ausgehaltenen Militärs kaum traf. Den Militärs erschloß der umfangreichen Drogenschmuggel sichere Einnahmequellen, so daß ein „trickle up“ des Embargos ausblieb. Die anfänglich federführende OAS richtete nunmehr ihre Hoffnung auf eine Kooperation mit den Vereinten Nationen, die in der Haiti-Krise bis dahin ein niedriges Profil hatten.359 Am 13. Dezember 1992 erging das formelle Ersuchen, dem regionalen Handelsembargo mit einem Beschluß des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta (insbesondere Art. 41) _______________ 356 357 358 359 Al Kamen; John M. Goshko: „U.S. plans to ease embargo on Haiti: OAS chief expresses caution“, Washington Post, 05.02.1992, A1; A26 „OAS admits embargo has failed in Haiti“, Boston Globe, 28.08.1992, 2 Domingo E. Acevedo: „The Haitian crisis and the OAS response: a test of effectveness in protecting democracy“, in: Enforcing restraint: collective intervention in internal conflicts / Lori Fisler Damrosch (Hg.), New York 1993, 119-155, 135 f. Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „Notes of the Secretary General of the Organisation and of the Secretary-General of the United Nations on cooperation between the two organizations in regard to Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/INF. 15/92, 22.07.1992; Permanent Council: „CP/RES. 594 (923/92), 10.11.1992 120 weltweit Verbindlichkeit zu verleihen.360 Dies sollte nicht als Kapitulation der Regionalorganisation verstanden werden: Der OAS-Generalsekretär unterstrich, daß der Sicherheitsrat nicht anstelle, sondern in Ergänzung der OAS tätig werden solle. Ein solches paralleles Krisenmanagement beider internationaler Organisationen, deren Verhältnis während des Ost-WestKonfliktes von machtpolitischer Rivalität geprägt gewesen war, hatte sich bereits seit 1989, bei der engen Zusammenarbeit zur Beendigung des Konfliktes in Nicaragua, bewährt, wirft aber nach wie vor völkerrechtliche Abgrenzungsprobleme auf.361 Vor den UN hatte die Militärjunta nur wenig mehr Respekt als vor der OAS. Als einzig wirklich greifbaren Erfolg erreichte der im Dezember 1992 von den Generalsekretären von UN und OAS zum Haiti-Sonderemissär ernannte frühere argentinische Außenminister Dante Caputo im Januar 1993 eine Einigung mit den Machthabern in Port-au-Prince über die Entsendung eines größeren Kontingents von Menschenrechtsbeobachtern. Die gemeinsame „OAS/UN International Civilian Mission (MICIVIH)“, die ein Novum in der Zusammenarbeit beider Organisationen darstellte, sollte 400 Beobachter umfassen, was eine erhebliche Steigerung bedeutete, da die OAS im September 1992 nur 17, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkte Beobachter („OAS-DEMOC“) hatte entsenden können. Die Militärjunta ließ jedoch im Mai 1993 weitere Verhandlungen scheitern und verlegte sich auf eine endlose Hinhaltepolitik. Auf Antrag der USA, wo die neue Clinton-Administration das HaitiProblem von der Vorgängerregierung Bush geerbt hatte, beschloß die OASAußenministerkonferenz daraufhin am 6. Juni 1993 ein Ölembargo und die Einstellung aller zivilen Flugverbindungen mit Haiti.362 Der UN-Sicherheitsrat zog am 23. Juni mit einem Erdöl- und Waffenembargo nach und verfügte die Einfrierung der Finanzmittel des karibischen Staates im Ausland. Von einer Seeblockade sah das UN-Führungsgremium zunächst ab. Dagegen hatte sich insbesondere Brasilien gewehrt, das souveränitätspolitische Bedenken geltend machte.363 Mit Rücksicht auf die in der UN-Charta verankerten Souveränitätsrechte von Staaten begründete der Sicherheitsrat seine Entscheidung deshalb formell nicht direkt mit der Sorge um die Menschenrechte und die Bemühung _______________ 360 361 362 363 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „MRE/RES. 4/92: reinstatement of democracy in Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 4/92 corr. 1, 13.12.1992 Yves Daudet: „L’ONU rt l’OEA en Haïti et le droit international“, in: Annuaire Français de Droit International 38 (1992), 89-111 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „MRE/RES. 5/93: Support for the Haitian people“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 5/93 corr. 1, 06.06.1993 „Haiti: Brazil doesn’t help“, International Herald Tribune, 19./20.06.1993, 4 121 um eine Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in Haiti. Vielmehr berief er sich auf das in Kapitel VII der UN-Charta, das bei einer Gefährdung des internationalen Friedens zu Zwangsmaßnahmen gegen einen Staat ermächtigt. Als Gefährdung des Friedens interpretierte der Rat die seit dem Putsch zum Massenexodus angeschwollene Flucht von haitischen Boat people in Richtung USA. Der UN-Sicherheitsrat folgte dabei seinem seit Anfang der 90er Jahre erkennbaren erweiterten Begriff der Friedensbedrohung, den er auch in bezug auf die Unterdrückung von Minderheiten im Irak, die Auslieferung der Lockerbie-Attentäter durch Libyen und im Fall von Somalia angewandt hatte. Dies erschien China und bestimmten blockfreien Staaten als ein Kontinuitätsbeginn, der abgewendet werden mußte, und sie veranlaßten zu Beginn der Haiti-Krise den als „schizophren“ erscheinenden Rückwärtsschwenk des Sicherheitsrates zu einer restriktiv ausgelegten Zuständigkeit.364 Mit seiner Resolution 841 (1993) zeigte der Rat aber neuerlich Bereitschaft, auf einen „inneren Friedensbruch“ in einem souveränen Mitgliedsstaat zu reagieren. Der Druck von UN, OAS und der als „Freunde des Generalsekretärs“ firmierenden Haiti-Kontaktgruppe (Frankreich, Kanada, Venezuela und die Vereinigten Staaten) zeigte diesmal bessere Wirkung. Unter amerikanischer und UN-Vermittlung einigten sich am 3. Juli 1993 die beiden Hauptkontrahenten Aristide und Cédras auf einen Plan zu Rückkehr des demokratisch gewählten Präsidenten, der dem im Februar 1992 von der OAS ausgehandelten, aber seinerzeit fehlgeschlagenen „Kompromiß von Washington“ nachgebildet war. Kernstück des nach dem Tagungsort Governors Island „New York) benannte Vertrages war ein Machtwechsel in Schritten unter den Auspizien von UN und OAS. Die Vereinbarung sah vor, daß Aristide einen Premierminister nominierte, dessen Ernennung vom Parlament in Port-au-Prince bestätigt werden mußte. Unmittelbar nach der Bestätigung sollten die von OAS und vom Sicherheitsrat verhängten Sanktionen suspendiert werden, Haiti bedeutende Wirtschaftshilfe erhalten und von UN-Beratern bei der Reform („Professionalisierung“) der Armee und bei der Bildung neuer Polizeikräfte unter ziviler Hoheit unterstützt werden. Der Präsident mußte laut dem Plan eine Amnestie erlassen, von der die Putschisten von 1991 profitieren sollten. Cédras würde seine „Option auf eine vorgezogene Pensionierung“ ausüben und einem von Aristide zu ernennenden Oberbefehlshaber Platz machen, welcher für die Zusammensetzung des neuen Generalstabs zuständig sein sollte. Erst danach, am 30. Oktober, 25 Monate _______________ 364 Arend, United Nations, 497 122 nach seiner Vertreibung, sollte der Präsident wieder seinen Platz in Haiti einnehmen.365 Ein Sprecher der Clinton-Regierung nannte das Abkommen von Governors Island einen Beweis dafür, „that pro-democracy policies can be forged through the United Nations, in cooperation with governments in the region“. Er sagte weiter: “This shows that multilateralism can work“. USAußenminister Christopher nannte das Abkommen „a good example of the emerging era of multilateral diplomacy.“ Das Abkommen wurde voreilig bejubelt, denn gerade seine Lücken und Fallstricke programmierten einen Fehlschlag des multilateral assistierten Demokratisierungsplanes: „The Governors Island Accord was a profoundly flawed an inconclusive document. The agreement continued no mechanisms for enforcement, no penalties for noncompliance, and dangerous concessions to Haitian military leaders.“366 Daß Cédras nicht unmittelbar weichen mußte, sondern mit nichts weiter als der Erklärung, daß er immerhin seinen Rücktritt (nicht aber ausdrücklich seine Expatriierung!) in Erwägung ziehen werde, bis zu der für den 30. Oktober 1993 vorgesehenen Wiedereinsetzung des entmachteten Präsidenten im Amt bleiben konnte, verschaffte der Militärführung die Zeit für neue Fait accomplis. Ein schwerwiegender Fehler war es, daß UN und OAS dem Abkommen gemäß ihre Sanktionen “unmittelbar“ nach der Bestätigung von Aristides neuem Premierminister Robert Malval, aber noch Monate vor der Rückkehr Aristides aussetzten und jenes Mittel aus der Hand gaben, das zusammen mit massivem Druck der USA die Militärs erst zu Verhandlungen bewegt hatte. Die mögliche Wiederverhängung des Embargos war eben nicht das „Damoklesschwert“, das der US-Sonderbotschafter für Haiti, Lawrence Pezzullo, erkennen wollte, so lange nicht bestimmt wurde, wann das Maß an Verzögerung oder Mißachtung des Demokratieplans voll war. Einzig ein UN-Papier bezeichnete als einen Verstoß gegen den „Geist“ des Abkommens „numerous violations of the human rights and fundamental freedoms set forth in the international instruments to which Haiti is a party and in the Constitution of Haiti“,367 _______________ 365 366 367 „Agreement of Governors Island, signed by the Constitutional President of Haiti, His Excellency Jean-Bertrand Aristide, and by general Raoul Cedras, on July 3, 1993“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/INF. 38/93, 07.07.1993 Kate Doyle: „Hollow diplomacy in Haiti“, in: World Policy Journal 11 (1994) 1, 50-58, 53 United Nations, General Assembly / security Council: „Support of the Secretary-General: The situation of democracy and human rights in Haiti“, A/47/875; S/26063, 12.07.1993, 4 (Ziffer 11) 123 ohne zu quantifizieren, so merkt Doyle bitter an, wie viele Menschen terrorisiert und getötet werden mußten, damit die Sanktionen reaktiviert würden.368 Tatsächlich verführte der in wesentlichen Punkten vage Plan die Militärführung, die internationale Entschlossenheit auf die Probe zu stellen. Offensichtlich war die Signatur von Cédras von vornherein nichts wert geweswen. Vor allem die USA überschätzten bei den Verhandlungen die Lauterkeit des haitischen Militärs, das sie als Stabilitätsgaranten zu reformieren hofften, so wie sie die tiefsitzende Furcht der Oligarchie Haitis vor einer grundlegenden Machtverschiebung unterschätzten. Die Offiziere, von ihnen unterhaltene paramilitärische Terrorbanden und zivile NeoDuvalieristen wollten keinen Kompromiß, da sie befürchteten, daß nach einer Wiedereinsetzung Aristides dessen Volksbewegung Lavalas („reinigende Flut“) die bisherigen Herrschaftsstrukturen wegfegen könnte. Der Terror gegen die in Basisgruppen orgaisierten Anhänger Aristides und gegen die breite Bevölkerung eskalierte, während die Vorbereitungen zur Entsendung der UNO-„Blaumützen“, die zu einer friedensstiftenden Übergangsordnung beitragen sollten, äußerst schleppend vorangingen. Cédras unterbrach schließlich die vereinbarte Zug-um-Zug-Übergabe der Macht mit Nachforderungen zum Abkommen. Den Militärmachthabern, die mit hohem Einsatz spielten, kam die weltpolitische Lage zu Hilfe. Die Clinton-Administration stand wegen der demütigenden Verluste der US-Truppen in Mogadiscio innenpolitisch unter Druck einer antiinterventionistischen Stimmung. Nach während des Marineschiff „Harlan County“, das etwa 200 amerikanische und kanadische Militärinstruktoren und Techniker als Vorhat der UN-Mission (UNMIH) beförderte, Kurs auf Haiti nahm, diskutierte US-Verteidigungsminister Aspin mit Außenminister Christopher die Unwägbarkeiten eines „zweiten Somalia“. Bei einer derartigen Verunsicherung der Weltmacht USA genügte dann eine Handvoll bewaffneter Provokateure im Hafen von Port-au-Prince, um die „Harlan County“ unverrichteterdinge zurückzubeordern. Ohne die Vereinten Nationen und die OAS zu konsultieren und zu informieren, schreckte Washington fatalerweise davor zurück, die Landung der internationalen Überwachermission durch die Entsendung weiterer Soldaten zu erzwingen, die den Widerstand des Militär und des von ihnen losgelassenen Mobs vermutlich sinnlos gemacht hätte. Die Vereinten Nationen, deren militärischer Arm hier wie auch in Somalia amerikanische Soldaten waren, waren blamiert. Während die demokratiefeindlichen Kräfte in Haiti ihren leicht errungenen Sieg kaum fassen konnten, mußten die zur schutzlosen Zielscheibe gewordenen UN/OAS-Menschenrechtsbeobachter von ihren Orga_______________ 368 Doyle, Hollow diplomacy, 54 124 nisationen überstürzt abgezogen werden. Kurz darauf wurde der Justizminister der machtlosen Regierung Malval auf offener Straße ermordet. Das Scheitern der multilateralen Haiti-Operation im Somalia-Schatten wirft grundsätzlich Fragen auf: „In the end, it was the U.S. disengagement from a military mission the administration had wished on the U.N. that precipitated collapse. Haiti as well as Somalia poses hard questions about whether a U.N. operation can afford to accept the participation of U.S. troops, given the current state of U.S: public and congressional opinion.“369 Die starke Abhängigkeit multilateraler Krisendiplomatie von der Innenpolitik des maßgeblichen Einzelakteurs USA wird sogleich zu erörtern sein. Als der vertraglich vereinbarte Tag für die Rückkehr Aristides, der 30. Oktober, ergebnislos verstrichen war, wurde zwar das Erdöl- und Waffenembargo der UN neu verhängt, weitere Anläufe zur Lösung der Krise blieben aber vorerst aus. Danach kochte das Thema Haiti in der internationalen Politik monatelang auf kleiner Flamme. Die Regierung Clinton schien überzeugt, daß eine Lösung gegen Cédras und die Militärs nicht möglich war, während ihr Engagement für die Sache des Exilpräsidenten zunehmend schwächer wurde. Doch sie blieb in einer störungsanfälligen Allianz an den unbequemen Aristide gekettet, zu dem sie keine überzeugende Alternative fand. Die innenpolitische Sorge vor einer Flüchtlingswelle gehörte zu den wichtigsten Motiven in Washington, die internationalen Anstrengungen um eine Behebung der Haiti-Krise nicht ganz im Sande verlaufen zu lassen. Wie schon unter der Administration Bush wurden haitische Bootsflüchtlinge, deren Zahl dramatisch anschwoll (im Vergleich zur illegalen Immigration aus Mexiko aber ein Rinnsal blieb), auf hoher See aufgegriffen und mehrheitlich ohne reguläres Asylverfahren in ihre Heimat deportiert und damit den Militärs ausgeliefert. Clinton geriet wegen dieser Praxis der Zwangsrückführung haitischer Flüchtlinge, die er im Wahlkampf gegen Bush noch selbst kritisiert hatte, unter Beschuß des überparteilichen Zusammenschlusses schwarzer Kongreßabgeordneter („Black caucus“). Seine als führungsschwach kritisierte Außenpolitik begann zudem im Vorfeld der Erneuerungswahlen für den Kongreß im November 1994 sein innenpolitisches Durchsetzungsvermögen zu tangieren. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung entschloß sich die Clinton-Administration zu einer Neuformulierung ihrer Haiti-Politik und wurde zusammen mit Frankreich, Kanada und Venezuela aktiver. _______________ 369 Ian Martin: „Haiti: managed multilateralism“, in: Foreign Policy (1994) 95, 72-89, 88 125 Auf Betrieben der USA verhängte der UN-Sicherheitsrat über das bisherige Treibstoff- und Waffenembargo hinaus ein fast vollständiges Handelsembargo – worauf die Junta nur mit einer provokativen Geste antwortete und vom Rumpfparlament in Port-au-Prince einen Marionetten-Präsidenten vereidigen ließ. Auf ihrer 24. Generalversammlung im brasilianischen Belém setzte die OAS ebenfalls in erster Linie auf die Wirkung verschärfter internationaler Sanktionen gegen Haiti, schloß aber eine bewaffnete Intervention nicht aus. Dabei setzten sich die USA, Kanada, Argentinien und einige andere Länder mit ihrer Auffassung durch, wonach die Möglichkeit einer Militärintervention – als Drohung und weiterer Einschüchterungsversuch – offengehalten werden sollte. Diese Option wurde in der schließlich verabschiedeten Resolution zwar nicht erwähnt, aber auch nicht explizit ausgeschlossen, wie dies einige Mitgliedsstaaten (Mexiko, Brasilien, Bolivien, Uruguay und Peru) gefordert hatten, die die Verpflichtung zu einer „friedlichen Lösung“ hatten hineinschreiben wollen.370 Gleichwohl war die Stimmung in der OAS eindeutig gegen militärisch abgestützte Maßnahmen.371 Auch die Clinton-Administration steuerte einen schwankenden Kurs, indem sie wiederholt ein militärisches Eingreifen androhte, zu dem sie sich sehr lange nicht entschließen konnte. Sie vermied es deshalb, der vagen Warnung mit spezifischen Bedingungen einen ultimativen Charakter zu geben, obwohl eine Militärintervention angesichts der an die mutwilligen Provokationen Noriegas erinnernden Renitenz der haitischen Militärs zunehmend unausweichlich erschien. Nach dem Scheitern der Sanktionspolitik und mangels anderer Alternativen mußte Clinton, der unter dem Druck der Flüchtlingskrise unter Entscheidungszwang geriet, die militärische Option ernsthafter ins Auge fassen. Hinzu kam, daß Haitis Putschistenregime weiter mit dem Feuer spielte und am 11. Juli 1994 die etwa 120 internationalen Beobachter von UN und OAS ultimativ aus dem Land jagte. Mit dieser Provokation schalteten die Militärs zugleich das internationale Alarmsystem aus, um ungestört die Reste der demokratischen Gegenkultur in Haiti beseitigen zu können. Wegen der ablehnenden Haltung regionaler Schwergewichte wie Mexiko und Brasilien war für die USA die Zustimmung zu einer von ihnen geführten militärischen Invasion in Haiti von den anderen 14 Sicherheitsratsmitgliedern leichter zu erreichen als von der durch das Medium des Konsens agierenden Organisation der 34 amerikanischen Staaten. Am 31. Juli 1994 ver_______________ 370 371 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting on Haiti: „MRE/RES. 6/94: Call for the return to democracy in Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 6/94, 09.06.1994 Howard M. French: „Latin Americans reject use of force to unseat Haiti military“, International Herald Tribune, 14./15.05.1994, 3 126 abschiedete der UN-Sicherheitsrat mit zwölf Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen (China und Brasilien) die von den USA lancierte, aber tagelang heftig umstrittene Entschließung 940. Sie autorisierte, ohne ein zeitliches Ultimatum zu setzen, den „Einsatz aller notwendigen Mittel“ zur Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse auf Haiti. Die Resolution ließ (nach dem Muster der Ermächtigung zur Operation „Dessert Storm“ gegen den Irak und wie Ende 1992 in Somalia) den USA freie Hand für eine von ihnen zu tragende militärische Blitzaktion zur Vertreibung der Generäle, versicherte sie aber andererseits einer multilateralen Nachfolgeoperation unter der Flagge der Vereinten Nationen. Brasilien bekundete schwerwiegende Bedenken und übte praktisch im Namen der Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten Stimmenthaltung. Allein Argentinien stimmte im Sicherheitsrat für die Resolution. Venezuela initierte zusammen mit weiteren Staaten der Region einen aussichtslosen „letzten Dialog“ mit den Machthabern in Port-au-Prince, um eine „lateinamerikanische Lösung für ein lateinamerikanisches Problem“ zu finden.372 Ein wenig beachteter Aspekt der vom UN-Sicherheitsrat auf Antrag der Vereinigten Staaten verabschiedeten Resolution 940 war übrigens eine Abkehr von der Monroe-Doktrin, laut der sich die USA ein militärisches Eingreifen in der westlichen Hemisphäre vorbehielten, wo immer sie ihre regionalen Interessen gefährdet sahen. Erstmals in der Geschichte amerikanischer Lateinamerika-Politik ersuchte die Regierung in Washington vor einer Intervention in der als „amerikanischer Hinterhof“ bezeichneten Region um die Zustimmung der Vereinten Nationen. Während Präsident Bush 1989 noch ohne ein Mandat des Sicherheitsrates die Invasion Panamas anordnete, scheint Präsident Clinton damit das von früheren Präsidenten machtbewußt praktizierte regionalpolitische Vorrecht zugunsten einer multilateralen Flankierung der amerikanischen Außenpolitik aufgegeben zu haben. Trotz der Ermächtigung durch die Vereinten Nationen zögerte Präsident Clinton noch geraume Zeit, bevor er am 19. September 1994 15 Tausend amerikanische Soldaten nach Haiti in Marsch setzte. Eine gewaltsame Konfrontation mit der siebentausend Mann starken Streitmacht Haitis (eigentlich kaum mehr als eine schlecht gerüstete Soldateska ohne klare Hierarchie, deren Hauptzweck es war, die eigene Bevölkerung zu terrorisieren) konnte vermieden werden, weil es dem früheren Präsidenten Carter durch Verhandlungen in letzter Minute gelang, die Militärführung zum unblutigen Rückzug zu bewegen. Diese gewissermaßen „ausgehandelte“ Intervention der USA, deren Mandat am 31. März 1995 auf die Vereinten Nationen überging, war entgegen allen anfänglichen Befürchtungen relativ erfolg_______________ 372 „Wave of opposition in Latin America to US-led invasion of Haiti“, in: Latin American Weekly Report (11.08.1994) 30, 349 127 reich. Der durch die Intervention ins Amt zurückgebrachte Aristide verzichtete auf eine zweite Amtszeit und mutierte zum Versöhnungspolitiker, weshalb ihn militante Mitstreiter zu verdächtigen begannen, er sei eine Marionette der USA. Größere Gewaltausbrüche konnten bisher vermieden werden. Die internationale Aufbauhilfe für Haiti lief an, auch wenn die verelendete Bevölkerung ihre Wirkungen noch kaum spürt. Der Aufbau eines Justizsystems und einer armeeunabhängigen Zivilpolizei durch amerikanische, kanadische und französische Instruktoren machte erkennbar Fortschritte. Die drastisch auf 1500 Mann verkleinerte Armee stellt kaum noch eine wirkliche Bedrohung für den insgesamt höchst fragilen Demokratisierungsprozeß dar. Es ist aber fraglich, ob das im Februar 1996 mit der Amtsübernahme eines neuen haitischen Präsidenten – dessen Wahl für den Dezember 1995 vorgesehen ist – zu Ende gehende UN-Mandat ausreicht, um die Verhältnisse in Haiti genügend zu stabilisieren. Ein Entgleisen des Demokratisierungsexperiments, über dem immer noch der Somalia-Schatten liegt, ist wegen der langen Gewalttradition in dem innerlich zerrissenen Haitis nach wie vor nicht auszuschließen. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die OAS in der ersten Bewährungsprobe ihres Defense-of-Democracy-Regimes umgehend und scharf reagierte. Anders als noch 1989 gegenüber Panamas Diktator Noriega machte im Oktober 1991 dem Putschistenregime in Haiti unmißverständlich klar, daß sie nicht gewillt war, den Sturz einer gewählten Regierung zu akzeptieren. Gleichwohl wurde während der dreijährigen Haiti-Krise deutlich, daß die Staatenorganisation keine Mittel besaß, den Widerstand der obstinaten Militärs zu brechen und daß die multilaterale Haiti-Diplomatie der OAS, und später auch der Vereinten Nationen, in großem Maße abhängig blieb von den USA als dem maßgeblichen Einzelakteur. Daß dessen teilweise erratische außenpolitische Entscheidungen vor allem unter innenpolitischen Gesichtspunkten gefällt werden, hat, worauf noch einzugehen sein wird, erhebliche Rückwirkungen auf den Einsatz und die Effektivität multilateraler Instrumente im Rahmen der OAS. 5.2 „Weiche“ Reaktion auf den Präsidentenputsch in Peru (1992) Das demokratische Lateinamerika schreckte erneut auf , als sich am 5. April 1992 Perus Präsident Alberto Fujimori mit Unterstützung des Militärs diktatorische Vollmachten gab. Er verfügte die Auflösung des Parlaments (Congreso) und suspendierte die Verfassung, soweit sie den Zielen seiner „Notstandsregierung für den nationalen Wiederaufbau“ im Wege stand. Er kündigte an, Politik und Staatsapparat – hier vor allem die Justiz – zu säubern und zu modernisieren, sowie das Land vom Terrorismus und Drogenhandel zu befreien. Fujimori strebte eine Staatsreform unter Umgehung 128 rechtsstaatlicher Mittel an: Die peruanische Verfassung von 1979 sollte revidiert und einem Plebiszit unterworfen werden.373 Für Fujimoris Vorgehen kennt die politische Terminologie Lateinamerikas die Bezeichnung „Selbstputsch“ (autogolpe), der als gewissermaßen „institutioneller“ Staatsstreich von der Spitze der Staatsmacht selbst ausgeht. Fujimori hatte für die demokratischen Institutionen stets offene Verachtung gezeigt. Vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden Legitimationskrise des peruanischen politischen Systems und seiner Führungsschicht war der japanischstämmige Agrarwissenschaftler und „Nicht-Politiker“ Fujimori gerade als Antityp zum hispanischen politischen Establishment im Juni 1990 in das Präsidentenamt gewählt worden. Fujimori steht seither für das Phänomen der Ablehnung der etablierten Parteien und der Wahl von Außenseitern, für das man in Lateinamerika bereits den Begriff der „Fujimorización“ der Politik geprägt hat. In Peru mit seinen existenzbedrohenden Problemen – edemische Armut, Guerilla-Terror Korruption und Rauschgifthandel – wurde Fujimori zum ersehnten „“deus ex machina“, dessen neoliberale wirtschaftliche Roßkur („Fuji-Schock“) die Bevölkerung trotz der fortschreitenden Pauperisierung hinnahm. Seine Popularität verführte den sich als Volkstribum gebenden Fujimori, der sich ohne Hausmacht in einer der etablierten Parteien einem Parlament gegenübersah, das ihn fast geschlossen nach Kräften zu blockieren versuchte, mit dem Schwert den gordischen Knoten zu durchhauen: Er begnügte sich in diesem Dauerkonflikt, der als „angeborene“ Schwäche vieler Präsidentialsysteme in Lateinamerika gelten kann, nicht mehr damit, per Dekret an der störenden Legislative vorbeizuregieren, sondern entmachtete sie in einem kalten Staatsstreich im Bund mit dem Militär. Durch Vetternwirtschaft und Bestechlichkeit waren die Volksvertreter, aber auch die von Fujimori ebenfalls in die Wüste geschickten Richter, derart in Verruf geraten, daß die Stimmung für Fujimoris Präsidialdiktatur im eigenen Land günstig war, obwohl die gesamte politische und geistige Elite Perus protestierte. Die Stimmung des Auslands einzuschätzen, fiel Fujimori schwerer. Offenbar hatte er sich für seinen Versuch, nach chilenischem Vorbild unter autoritörer Führung das Land zu einem wirtschaftlichen Aufstieg zu leiten, eine internationale Duldung bis zum Ende seiner Amtszeit 1995 erhofft – so wie sie vor ihm General Pinochet genossen hatte. Die demokratisch legitimierten Regierungen in der amerikanischen Staatengemeinschaft, die in der OAS gegenüber dem Putschistenregime auf _______________ 373 [Alberto Fujimori:] „Medidas buscan transformar el Estado para lograr pacificación y desarrollo“, El Peruano, 06.04.1992, A2 129 Haiti eine breite Ablehnungsfront bildeten, waren jedoch durch die FebruarRevolte in dem bis dahin als stabil geltenden Venezuela alarmiert. Der Coup Fujimoris, dessen Präsidentschaft immerhin aus demokratischen Wahlen hervorgegangen war, nährte zusätzlich die Befürchtung, die lateinamerikanischen Demokratien würden einen weiteren Bodenverlust erleiden. Der Ständige Rat der OAS warnte deshalb vor einer gefährlichen Entwicklung und forderte die unverzügliche Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung und die Achtung der Menschenrechte in Peru. Zur Beratung über weitere Schritte berief er gemäß Resolution 1080 („Repräsentative Demokratie“) eine Sondersitzung der Außenminister nach Washington ein. Es war dies das dritte Mal in kurzer Folge, daß die im Jahr 1990 eingerichteten institutionellen Mechanismen der OAS zur Staatsstreichprävention ausgelöst werden mußten. Die am 13. April 1992 zusammengekommenen Außenminister der OAS forderten den peruanischen Präsidenten auf, die mit der Entmachtung von Parlament und Justiz verletzte Verfassung wieder in Kraft zu setzen. In der ohne Gegenstimme angenommenen Resolution sprach die OAS ihr „starkes Bedauern“ über die Vorgänge in Peru aus, verhängte aber keine Sanktionen. Der Generalsekretär der Organisation, Baena Soares, sowie der uruguayische Außenminister Gros Espiell sollten nach Lima entsandt werden, um Fujimori zuzureden, damit er die demokratische Verfassungsordnung wiederherstelle. Außerdem wurde eine Delegation der Interamerikanischen Menschenrechtskommission beauftragt, in Peru die Entwicklung zu beobachten und der OAS Bericht zu erstatten.374 Der peruanische Außenminister Blacker Miller stimmte nicht gegen die Resolution, die er als „recht ausgewogen“ bezeichnete, sondern enthielt sich der Stimme. Er nannte die Aufhebung der Verfassung eine „vorübergehende“ Maßnahme. Offenbar um das Verständnis der USA werbend, kündigte er außerordentliche Anstrengungen der peruanischen „Notstandsregierung“ gegen den Drogenschmuggel an. Der amerikanische Außenminister Baker ermahnte jedoch Fujimori mit den Worten: „You cannot destroy democracy in order to save it.“ Er stellte Peru vor die Wahl zwischen einem internationalen Scherbengericht und internationaler Hilfe. Wenn Peru die verfassungsmäßige Demokratie wiederherstelle, könne dem Land geholfen werden. Wenn jedoch Peru „pursues the lonely and unacceptable path of authotarianism, our solidarity, cooperation and help will be impossible.“375 _______________ 374 375 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Peru): „MRE/RES. 1/92: Support for the restoration of democracy in Peru“, OEA/Ser. F/V.2, MRE/RES. 1/92, 13.04.1992 Norman Kampster: „OAS denounces Fujimor’s power grab“, Los Angeles Times, 14.04.1992, A6 130 Die OAS-Mitglieder bekundeten insgesamt Verständnis für die gravierenden Probleme Perus, weshalb die Resolution milde ausfiel. Einer Delegation von Gegnern Fujimoris wurde es verwehrt, den Sitz Perus in der OAS einzunehmen. Dem von den peruanischen Parlamentariern gewählten Gegenpräsidenten San Román wurde die internationale Anerkennung versagt. Der Hauptgesprächs- und Verhandlungspartner der OAS blieb De factoPräsident Fujimori. Die Vertreter einer harten Linie gegenüber Peru, besonders Venezuela, Argentinien und Costa Rica, die hinter Fujimoris Aktion einen verkappten Militärputsch erblickten, von dem eine Ansteckungsgefahr für die Region auszugehen drohte, blieben deutlich in der Minderheit. Auch die Initiative Panamas, im Vorfeld der OAS-Außenministerversammlung, die „Betancourt-Doktrin“376 auf Peru anzuwenden, war nur insofern erfolgreich, als das Regime des Putschpräsidenten Fujimori von der aktiven Mitgliedschaft in der informellen Río-Gruppe suspendiert wurde, während kollektive diplomatische Sanktionen seitens der OAS ausblieben. Lediglich Venezuela und Panama brachen ihre zwischenstaatlichen Beziehungen mit Peru ab. Das offenbar keineswegs unpopuläre Experiment Fujimoris mit der Präsidialdiktatur machte eine geschlossene und einschneidende Gegenreaktion der OAS von vornherein wenig wahrscheinlich. Die milde Behandlung Perus durch die OAS hatte weitere Gründe. Für Fujimori zahlte sich seine pragmatische Außenpolitik zur Zufriedenheit vor allem der Nachbarn Bolivien und Ecuador aus. Ein wichtiges Interesse der benachbarten Länder bestand darin, Peru keinen Anlaß zu geben, sich den handelspolitischen Verpflichtungen des 1989 wiederbelebten Andenpaktes zu entziehen. Die Nachbarstaaten Perus hatten verlauten lassen, daß sie Sanktionen nicht zustimmen könnten. Für Kolumbien war die am 13. April 1992 verabschiedete Resolution, an der neben den USA, Kanda, Argentinien und Brasilien selbst maßgeblich mitgewirkt hatte, das Äußerste, was im Konsenswege zu erreichen war. Nur die USA kündigten an, bei der Überprüfung ihrer Peru-Politik etwas weiter gehen zu wollen. Die Vereinigten Staaten hatten nach dem unerwarteten Coup Fujimoris ihre Wirtschafts- und Militärhilfe für Peru gesperrt. Diese Entscheidung war der Administration Busch offensichtlich nicht leicht gefallen, da sie Fujimoris neoliberale Stabilisierungs- und Strukturanpassungspolitik sehr schätzte. Es hatte fast 24 Stunden gedauert, bis die USA den kalten Staatsstreich Fujimoris eindeutig verurteilten. Anzunehmen ist, daß hinter den Kulissen um die Frage gerungen worden war, ob der Marktwirtschaft oder _______________ 376 Es handelt sich um die in der venezolanischen Außenpolitik seit langem verankerte Tradition, wonach die diplomatischen Beziehungen abgebrochen werden, wenn ein Staat die demokratischen Normen verletzt. 131 der Demokratie der Vorrang gehöre. Den Gegensatz dieser beiden mutmaßlichen Lager, die am „Modellfall Peru“ die Richtigkeit ihrer Doktrinen zu beweisen suchten, konnte sich Fujimori letztlich zunutze machen, wie zu zeigen sein wird.377 Fürs erste besaßen die USA jedoch gute bilaterale Pressionsmöglichkeiten, die dazu beitragen konnten, Fujimori auf den Pfad der demokratischen Tugend zurückzulenken. Fujimori hatte offenbar nicht damit gerechnet, daß die Vereinigten Staaten Ihre bilaterale Wirtschaftsund Militärhilfe tatsächlich auf Eis legen würden und daß andere Staaten der „Unterstützungsgruppe“ für Peru im Rahmen der internationalen Finanzinstitutionen – Japan, Deutschland und Spanien – dem Beispiel der USA folgen könnten. Auch die Interamerikanische Entwicklungsbank setzte die Auszahlung bereits zugesagter Kredite aus. Die eher symbolischen Sanktionen der OAS und der Río-Gruppe konnte die Regierung in Lima verschmerzen, nicht jedoch den Verlust der internationalen Kreditwürdigkeit, die sie seit 1990 unter immensen Opfern der Bevölkerung wiederhergestellt hatte. Der peruanische Finanzsektor wurde an die Zeiten von Fujimoris linkspopulistischem Vorgänger Alan García erinnert. Dieser hatte mit einer Konfrontationspolitik die internationalen Kreditgeber gegen sich aufgebracht und den wirtschaftlichen Ruin des Landes mitverschuldet. Zudem begann die Armee die außenpolitische Isolierung des Landes zu spüren – die gefährdete Militärhilfe der USA für den „Drogenkrieg“ machte die Militärführung nervös. Die OAS-Sondierungsmission versuchte, während zweier aufeinanderfolgender Besuche, in Lima den innenpolitischen Dialog in Gang zu bringen. Von vornherein war rätselhaft, wie diese Vermittlung funktionieren sollte. Fujimori, der vor dem Coup nie das Vernehmen mit der von ihm für nutzlos erachteten Legislative gesucht hatte, bestand darauf, die Bedingungen für den „nationalen Dialog“ zu diktieren. Die Oppositionsparteien, die schon vor der Auflösung des Parlaments den legitimen Präsidenten blockiert hatte, wo sie nur konnten, verneinten erst recht jede Möglichkeit des Kompromisses, nachdem sich Fujimori diktatoriale Vollmachten angemaßt hatte. OASGeneralsekretär Baena Soares und Uruguays Außenminister Gros Espiell, die vom 21. Bis 23. April 1992 Gespräche mit Fujimori, den Spitzen des aufgelösten Kongresses und der politischen Partien sowie Vertretern von Menschenrechts- und Juristenorganisationen führten, reisten unverrichteter Dinge ab. Nur scheinbar Bewegung gab es während der zweiten, erweiterten Sondierungsmission der OAS Anfang Mai. Fujimori kündigte im rahmen eines einjährigen Normalisierungszeitplans, eine Verfassungsreform an, die einem _______________ 377 „Peru – ein Modellfall?“, Neue Zürcher Zeitung, 09.04.1992, FA Nr. 83, 5 132 Volksreferendum unterworfen werden sollte. Nach Fujimoris Vorstellungen sollte mit der neuen Verfassung in Peru eine „perfektionierte“ repräsentative Demokratie mit partizipativen Elementen, namentlich Volksbefragungen entstehen. Wie jeder Caudillo verstand auch Fujimori sich als geborenen Interpreten des wahren Volkswillens und sprach von „democracia real y auténtica“.378 Der OAS-Emissär Héctor Gros Espiell durchschaute die Absicht Fujimoris, in einem Plebiszit den Coup nachträglich legitimieren zu lassen: „[…] the envisaged direct popular vote should not be designed to ratify the events of April 5.“379 Mit seinem ergänzenden Vorschlag einer Verfassunggebenden Versammlung stieß Gros Espiell bei dem Außenminister Perus und Kabinettschef von Fujimoris „Notstandsregierung“, Oscar de la Puente, jedoch auf Granit, der apodiktisch erklärte: „the term ´constituent assembly´ is not in the Government´s vocabulary.“380 Unterdessen geriet Fujimori an zwei Fronten in Bedrängnis: An der inneren Front signalisierte eine massiv zunehmende Kapitalflucht die Nervosität der Wirtschaftskreise. Der „Leuchtende Pfad“ führte fast täglich mit Bombenanschlägen in der Hauptstadt Lima vor, daß er einer Diktatur ebenso trotzen konnte wie einer konstitutionellen Regierung. Auf Grund des hartnäckigen Drängens seines im Ausland angesehenen Wirtschafts- und Finanzministers Carlos Blona Behr, der den absehbaren Flurschaden für sein wirtschaftliches Stabilisierungsprogramm abzuwenden versuchte, gab Fujimori seine sture Haltung in letzter Minute auf und unterbreitete der OAS einen Kompromißvorschlag, um wenigstens die Lage an der äußeren Front zu beruhigen. Es war daher keine demokratische Rückbesinnung, die Fujimori veranlaßte, überraschend nach Nassau auf den Bahamas zu fliegen und bei den dort anläßlich der 22. Jahresversammlung der OAS tagenden Außenministern am 18. Mai 1992 persönlich vorzusprechen. Fujimori legte ihnen einen beschleunigten Normalisierungszeitplan vor, der das Zugeständnis einer gewählten Verfassunggebenden Versammlung erhielt. Sie sollte noch im Jahr 1992 zusammentreten, um die peruanische Verfassung von 1979 zu überarbeiten und zu „modernisieren“. Für den damit verbundenen Wahlgang bat Fujimori das OAS-Generalsekretariat um Wahlhilfe, einschließlich der Wahlbeobachtung.381 Die Volkswahl der Konstituante _______________ 378 379 380 381 „La OEA concede un margen de confianza a Alberto Fujimori“, El País (Edición internacional), 25.05.1992, 2 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Peru): Report of the mission to Peru“, OEA/Ser. F/V.2, MRE/doc. 2/92, 17.05.1992, 12 Report of the mission to Peru, 8 Lee Hockstader: „Peruvian president takes case to OAS“, Washington Post, 18.05.1992, A12 133 bedeutete eine Konzession an die OAS und an die Opposition, deren Gegenpräsident San Román ein ähnliches Prozedere gefordert hatte. Zuvor hatte Fuimori darauf beharrt, die neue peruanische Verfassung durch ein von ihm bestelltes Expertengremium ausarbeiten und in einem Plebiszit absegnen zu lassen. Die von Fujimori nunmehr vorgesehene Konstituante sollte vorübergehend auch legislative Aufgaben übernehmen. Ihre Mitglieder sollten für das später zu wählende Parlament nicht mehr kandidieren dürfen, so daß sie ihre Privilegien nicht in der neuen Verfassung festschreiben konnten. Stutzig machen mußte bei Fujimoris Vorschlag die Formel, wonach es darum gehe, zur „Institutionalität“ des Landes zurückzukehren. Von „Konstitutionalität“ war hingegen nicht die Rede. An der Lauterkeit von Fujimoris Absichten ließ ebenfalls zweifeln, daß er nur wenige Tage vor seinem Auftritt vor der OAS die Delegation der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, die die Menschenrechtssituation in Peru prüfen sollte, vor verschlossenen Türen hatte stehen lassen. Die Reaktion der Außenminister und anderen Delegierten auf Fujimoris überraschenden Auftritt war kühl. Von der Außenministerin des OAS-Neumitgliedes Kanada, Barbara J. McDougall, mußte sich der Verfassungsbrecher schulmeistern lassen, wobei sie jedoch nach dem Geschmack einiger lateinamerikanischer Diplomaten zu wenig Einfühlung in die peruanische Krisensituation zeigte. Allgemein war man aber befremdet von den Tiraden gegen das Parteiensystem Perus, welche die Hälfte von Fujimoris Redezeit ausmachten.382 Fujimoris Kotau vor der OAS blieb dennoch nicht ohne Wirkung. In einer moderaten Resolution begnügten sich die Außenminister mit Ermahnungen, die „uneingeschränkte Rückkehr“ des Landes zu einer verfassungsmäßigen Ordnung zu beschleunigen.383 Während die Renitenz des Militärregimes in Port-au-Prince den Außenministern in Nassau keine Wahl ließ, parallel zu den Beratungen über Peru das Embargo gegen Haiti zu verschärfen, gelang es dem pragmatisch-beweglichen Fujimori, die OAS geschickt „einzubinden“. Indem er der Organisation „irgend etwas“ anbot, half er ihr aus der politisch unbequemen Verlegenheit, doch noch über Zwangsmittel gegen Peru entscheiden zu müssen. Unmittelbar nach dem Besuch einer weiteren OAS-Delegation in Lima kündigte Fujimori für Anfang Juni 1992 allgemeine Wahlen zu dem geplanten „Congreso Constituyente Democrático“ an, der bis 1995 als Parla_______________ 382 383 [Alberto Fujimori:] „La democracia no puede vivir sin los partidos pero éstos pueden matar la democracia: Fujimori“, El Día (México, D.F.), 19.05.1992; Lee Hockstader: „Fujimori offers OAS Peru plan“, Washington Post, 19.05.1992 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Peru) 134 mentsersatz mit verfassunggebenden Vollmachten fungieren sollte. Im Rahmen ihrer Einbindungsstrategie bat Perus Regierung die OAS um technische Hilfe bei dieser Wahl. Aus Rücksicht auf die internationale Stimmung verzichtete Fujimori auf sein ebenfalls geplantes, vorn der Opposition heftig bekämpftes Plebiszit, mit dem er sich ursprünglich im Juli seinen Verfassungsbruch hatte legitimieren lassen wollen. Der hinsichtlich Zusammensetzung, Wahl und Aufgaben der Konstituante wenig präzise gehaltenen Ankündigung folgte ein Verwirrspiel mit dem konkreten Wahldatum, das schließlich auf den 22. November 1992 festgesetzt wurde. Von der OAS wurde ein weiterer Versuch Fujimoris, die Macht in seinen Händen zu konzentrieren, ohne Widerspruch hingenommen, als er gegen den Protest der Opposition die ebenfalls im November 1992 fälligen Kommunalwahlen sine die verschob.384 Nur halbherzig verfolgte Perus selbsternanntes Notstandsregime den ihm durch die OAS-Resolution vom 18. Mai 1992 auferlegten Dialog mit den Parteien, deren Machtstellung Fujimori ja gerade brechen wollte. Entsprechend ziel- und ergebnislos verliefen die unter den Auspizien der OAS geführten Dialogrunden.385 Ende August 1992 dekretierte Fujimori ein Wahlgesetz, das eine Reihe von Einzelbestimmungen enthielt, welche die absolute Souveränität und Autonomie der Konstituante beschnitten. So sollte sie in ihrer Funktion als Ersatzparlament einerseits die Regierung kontrollieren, andererseits aber bereits vollzogene „Notstandsdekrete“ der Regierung nicht annullieren dürfen.386 Als Resultat des einseitigen „nationalen Dialogs“ zur Vorbereitung des Wahlgesetzes boykottierten die kaltgestellte politische Elite und ihre früher tonangebenden Parteien die Wahl zum „Verfassunggebenden Demokratischen Kongreß“ am 22. November 1992. Der Boykott bescherte Fujimori das gewünschte Akklamationsorgan, in welchem neben der mit absoluter Mehrheit ausgestatteten Regierungsallianz „Nueva Mayoría / Cambio 90“ nur unbedeutende Splittergruppen mit unerfahrenen Neupolitikern vertreten waren. Die formale Gewalttrennung und damit eine Art demokratischer Legalität wurde durch die Wahl im November 1992 zweifellos wiederhergestellt. Gleichwohl hatte Fujimori nur eine demokratische Scheinlegitimität errungen. Der Konstituante fehlte nämlich nach dem Boykott der etablierten _______________ 384 385 386 Eduardo Ferrero Costa: Peru’s presidential coup“, in: Journal of Democracy 4 (1993) 1, 28-40, 37 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Peru): „Note of Peruvian political party leaders addressed to the Secretary General of the Organization on June 18, 1992“, OEA/Ser. F/V.2, MRE/INF. 7/92, 24.06.1992 „Bekanntgabe von Fujimoris Wahlgesetz“, Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe), 26.08.1992, Nr. 196, 4 135 Parteien das nach gängiger Staatsrechtslehre unbedingt erforderliche Merkmal der Repräsentativität. Trotzdem verlieh die OAS dieser bereits im Ansatz fragwürdigen Wahl allein durch die Entsendung von 210 Beobachtern das Unbedenklichkeitszertifikat und richtete ihr Augenmerk lediglich auf den korrekten Verlauf des Urnenganges: „Perhaps influenced by officials in United States President George Bush´s administration who favored Peru´s return to international good graxes, or by representatives of other Latin American nations who feared intensive international analysis of their own elections, or by top OAS leaders who believed a Fujimori government was Peru´s best option, the OAS´s focus was on the absence of fraud on election day.“387 Die internationale Re-Legitimierung von Fujimoris Regime wurde demnach von maßgeblichen OAS-Mitgliedsregierungen gewünscht, und war möglich, sobald das Regime Fujimoris sich wenigstens ein demokratisches Feigenblatt anlegte. Unter dem Primat des nicht zuletzt in Peru geführten „Drogenkrieges“ war vor allem die Administration Bush bereit, einen Verlust an – ohnehin eher formaler – Demokratie in Lateinamerika in Kauf zu nehmen, solange nur die Bekämpfung des Drogenhandels gewährleistet war und die peruanische Regierung überdies ihr wirtschaftliches Stabilitäts- und Öffnungsprogramm fortführte. Die Nachfolgeregierung Clinton behielt ungeachtet ihrer Demokratie- und Menschenrechtsrhetorik diesen Kurs gegenüber Fujimori unverändert bei.388 Entsprechend schloß die Ad hoc-Außenministerkonferenz zu Peru ihre Beratungen formell am 14. Dezember 1992 ab, als die Eröffnungssitzung des neuen Kongresses in Peru in Sicht war. Der peruanische Publizist Gorriti stellte dazu bitter fest: „[…] the Organization of American States virtually legitimized Alberto Fujimori´s dictatorship.“389 Die OAS sprach tatsächlich den autokratischen „Fujimorismus“, zu dem die Mitgliedsstaaten offensichtlich keine Alternative sahen, vom Verdacht der Diktatur frei. Sie sah lediglich Verbesserungsmöglichkeiten, was in der Schlußresolution zum Ausdruck kam, die Peru aufforderte, dem Ständigen Rat der OAS über die Fortschritte bei der Redemokratisierung zu berichten.390 Auch die im Ver_______________ 387 388 389 390 Cynthia McClintock: „Peru’s Fujimori: a caudillo derails democracy“, in: Current History 92 (1993) 572, 112-119, 119 „Peru policy under review: White House takes soft stance on democracy, human rights“, in: Washington Report on the Hemisphere 13 (04.06.1993) 13, 5 Gustavo Gorriti: „America’s dance with a dictator“, New York Times, 27.12.1992, sec. 4, 11 Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Peru): „MRE/RES. 3/92: Restoration of democracy in Peru“, OEA/Ser.F/V.2, MRE/RES. 3/92 corr. 1, 14.12.1992 136 gleich zur OAS noch zögernde Río-Gruppe nahm Anfang April 1993 Peru wieder als vollberechtigtes Mitglied auf. Mit einem solchermaßen aufpolierten internationalen Image konnte Fujimori seine Projekte auf dem Weg zur „authentischen Demokratie“ verwirklichen. Die neue Verfassung, die Fujimori sich am 1. November 1993 in einer Volksabstimmung billigen ließ, ermöglicht die bisher ausgeschlossene unmittelbare Wiederwahl des Präsidenten für eine zweite Amtsperiode nach nordamerikanischem Muster – in Lateinamerika, wo die Caudillos sozusagen in ihren Stiefeln starben und in diesen Präsidentialsystemen checks and balances nach Art der US-Verfassung fehlen, war dies bis dahin ein ausgesprochenes Tabu. Die Verfassung sieht außerdem – in einem Land mit oligarchischer Tradition zwangsläufig pseudodemokratische – Volksreferenden vor. Auch sie sind den lateinamerikanischen Verfassungsdenken generell fremd. Ebenfalls neu eingeführt wurde die Todesstrafe für „Terrorismusverbrechen“, woraufhin Peru eigentlich die Amerikanische Menschenrechtskonvention von San José aus dem Jahr 1969 hätte kündigen müssen. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die ambivalente Reaktion der amerikanischen Staatengemeinschaft auf Fujimoris autoritäres Experiment deutlich macht, daß Peru als ein Sonderfall gesehen und dementsprechend behandelt wurde. Es wurde berücksichtigt, daß Fujimori sich auf einen Massenanhang stützen konnte. Und obwohl das bonapartistisch anmutende Personalregiment Fujimoirs sich in eine starke Abhängigkeit vom Militär begeben hatte, wurde es einer „harten“ Militärdiktatur allemal vorgezogen. Fujimoris improvisierte Hinhaltetaktik gegenüber der OAS war deshalb erfolgreich. Es gelang ihm, den interamerikansichen bzw. internationalen Druck zu mildern, ohne seine innere Machtposition aufgeben zu müssen. Aus diesen Gründen entging das vom demokratischen Pfad abgewichene Peru anders als Haiti und das nachfolgend zu behandelnde Guatemala der regionalen Isolation. 5.3 Erfolgreiche Beilegung der politischen Krise in Guatemala (1993) Mit Unterstützung der Streitkräfte setzte am 25. Mai 1993 der Präsident Guatemalas, Jorge Serrano Elías, die Verfassung außer Kraft, löste das Parlament auf, und kündigte an, er werde die Spitzen des Obersten Gerichtshofs, des Verfassungsgerichts und der Justizbehörden auswechseln. Das Oberste Wahlgericht forderte er auf, eine Verfassunggebende Versammlung innerhalb von 60 Tagen einzuberufen, damit der guatemaltekische Staat durch eine Verfassungsrevision „modernisiert“ werden könne.391 _______________ 391 „Pronunciamiento de Jorge Serrano“, in: La crisis político-constitucional de Guatemala: del golpe de Estado de Jorge Serrano a la Presidencia constitucional de Ramiro de León Carpio 137 Die Gründe des irrational erscheinenden Couops blieben weitgehend im Dunkeln. Um so auffälliger ist, daß Serrano der dreizehn Monate zuvor erfolgte „autogolpe“ des peruanischen Präsidenten Fujimori als Vorbild diente. Als „Selbstputsch“ bezeichnet man in Lateinamerika, wie bereits erwähnt, das Umstoßen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Exekutivgewalt selbst, mit Duldung oder aktiver Unterstützung durch das Militär. Eine weitere Parallele zum peruansichen „Fujigolpe“ war es, daß auch Serrano vorgab, Guatemala mit Diktaturmethoden zu einer “echten“ Demokratie führen zu wollen. Serrano erklärte die von ihm angekündigte Wahl einer Konstituante ganz ähnlich wie Fujimori zuvor als den Versuch zur Ersetzung einer „formalen Fassadendemokratie“ durch einen „reale Demokratie“, in der die Machthaber das Volk repräsentierten und eine wirkliche Kontrolle existiere. Serrano hatte mit seiner Charakterisierung des oligarchischen politischen Systems des sozial und ethnisch tief zerrissenen Landes sogar recht – „nur wird die Demokratie mit dem Niederreissen der Fassade nicht echter.“392 Mit seinem Staatsstreich unterliefen Serrano zwei schwerwiegende Rechenfehler. Der erste bestand darin, daß er offensichtlich hoffte, mit der Auflösung des allgemein als korrupt und handlungsunfähig geltenden Congreso de la República die breite Unterstützung der Guatemalteken für seinen Coup gewinnen zu können. Der zweite war, daß Serrano erwartete, die amerikanische und internationale Staatengemeinschaft werde auf seinen Staatsstreich ähnlich reagieren wie auf Fujimoris „autogolpe“, wo die OAS sich mit einem „Fahrplan“ zur schrittweisen Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen zufrieden gegeben hatte: „That is, Serrano expected the international community to demand only that he sketch a process for restoring democratic rule – not necessarily immediately and not precluding his own continuing role – thus still allowing him to reshape the political landscape to his liking.“393 Die erste Fehlkalkulation zeigte, daß Serrano den Widerstand der zivilen Gesellschaft unterschätzt hatte, in der demokratische Werte mehr als von ihm erwartet Wurzeln geschlagen hatten. Das von Serrano für aufgelöst erklärte Verfassungsgericht bezeichnete im Gegenangriff die Putschdekrete des Präsidenten als verfassungswidrig und hinfällig. Dieses Verdikt fand ein _______________ 392 393 / Instituto Centroamericano de Estudios Políticos, Ciudad de Guatemala 1993 (Panorama centroamericano: temas y documentos de debate; 3/93 = 45), 33-40. Dort auch die Dekrete zur Aufhebung der politischen Freiheiten: Normas temporales de gobierno“, 41-44 „Kein Platz für den Rechtsstaat in Guatemala“, Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe), 28.05.1993, Nr. 120, 5 Francisco Villagrán de León: „Thwarting the Guatemalan coup“, in: Journal of Democracy 4 (1993) 4, 117-124, 119 138 lautes Echo in einer breiten Front der Ablehnung in der guatemaltekischen Zivilgesellschaft. Das in der Krisensituation entstandene Bündnis “Instancia Nocional de Consenso“ vermochte Gewerkschaften, Partien, Bauernvereinigungen und weitere Berufsverbände gegen den Staatsstreich zu mobilisieren. Die zweite Fehlrechnung Serranos auf eine „weiche“ internationale Reaktion ging ebenfalls nicht auf. Mit der wachsenden inneren Isolierung Präsident Serranos drohte Guatemala zugleich ein Rückfall in die internaltionale Isolation, unter der es während der langen Militärdiktatur bis 1986 litt, und ein Verlust der wiedergewonnenen Kreditwürdigkeit. Daß die Vereinigten Staaten und die Europäische Gemeinschaft sofort ihre Finanzhilfen für Guatemala einfroren, gab ein deutliches Signal in dieser Richtung. Die Präsidenten der zentralamerikanischen Nachbarstaaten und die Río-Gruppe forderten Guatemala ebenso nachdrücklich auf, zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren.394 Auch der Ständige Rat der OAS reagierte umgehend und beschloß, Generalsekretär Baena Soares an der Spitze einer Erkundungsmission nach Guatemala zu sende, und die Mechanismen gemäß dem Mandat der „Resolution 1080“ in Gang zu setzen.395 Begleitet von den Außenministern von Barbados, Nicaragua und Uruguay bereiste Baena Soares bereits wenige Tage nach dem Putsch, vom 29. Bis 31. Mai 1993, das Land und erkundete in Gesprächen mit Vertretern der politischen und gesellschaftlichen Kräfte die Situation, um dem für den 3. Juni anberaumten Ad hoc-Außenministertreffen in Washington Bericht zu erstatten, und Vorschläge für eventuelle Sanktionen gegen die guatemaltekische Regierung zu unterbreiten. Derart in die Enge getrieben, reagierte Präsident Serrano mit dem Vorschlag, die von ihm bereits am Tag des Staatsstreichs angekündigte Konstituante in einer Volkswahl bestimmen zu lassen. Auch damit folgte er dem Vorbild Fujimori, denn dies entsprach exakt jener (einzigen) Konzession des peruanischen Präsidenten auf den Druck der OAS hin. Baena war offensichtlich sehr überzeugend. Den konservativen Unternehmer-Dachverband CACIF, dem er die Folgen von internationalen Sanktionen ausmalte, bestärkte er in der Ablehnung des Coups. Ihm gelang es auch, jenen Teilen des Militäars, die Serrano unterstützten, deutlich zu machen, daß sie mit internationaler Isolierung zu rechnen hätten. Nach der Unterredung mit dem OAS-Generalsekretär versicherte der Verteidigungsminister José García , der den Putsch _______________ 394 395 „Declaración de los gobiernos de Costa Rica, El Salvador, Honduras, Nicaragua y Panamá, 25 de mayo 1993“; „Declaración de la Secretaría pro tempore del Grupo de Río, 26 de mayo 1993“, in: Crisis político-constitucional, 144; 177 Consejo Permanente: „CP/RES. 605 (945/93): Resolución sobre la situación en Guatemala“, OEA/Ser. G, CP/RES. 605 (945/93) corr. 1, 25.05.1993 139 nach anfänglichem Zögern unterstützt hatte, die Armee werde die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung im Land garantieren. Das Militär, das dadurch irritiert war, daß Serrano keine zivilen Verbündeten fand, entmachtete ihn eine Woche nach seinem „Selbstputsch“ und zwang ihn ins Exil. In dem anschließenden Machtvakuum sah es danach aus, als ob das Militär die Macht wieder offen übernehmen wollte, die es für fast vier Jahrzehnte mit oder ohne zivile Regierung ausgeübt hatte. Offensichtlich war die Armee darüber aber gespalten, so daß sich mit der Unterstützung von Verteidigungsminister García, der seit dem Sturz Serranos faktisch herrschte, der bisherige Vizepräsident Espina zum Staatschef erklärte. Da dieser jedoch zusammen mit Serrano verfassungsbrüchig geworden war, bestritt die Opposition Espinas´ formal durch die Verfassung abgestützten Machtanspruch, und forderte vehement die Neuwahl eines Staatspräsidenten. Die am 3. Juni 1993 zusammengetretenen Außenminister der OAS verurteilten unterdessen den Staatsstreich Serranos und forderten angesichts der unklaren Machtverhältnisse die guatemaltekischen Behörden zur vollen Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung auf.396 Das Militär ließ den Vizepräsidenten daraufhin fallen und gab den Weg frei für die vom Verfassungsgericht ultimativ geforderte Wahl eines neuen Präsidenten. Während sich der OAS-Generalsekretär und der Außenminister Ecuadors vom 5. bis 8. Juni erneut zu Gesprächen in Guatemala aufhielten, setzte das Parlament Ramiro de León Carpio bis zum Auslaufen von Serranos Amtszeit im Januar 1996 als neuen Staatschef ein. Die glückliche Beilegung der politischen Krise Guatemalas drückte sich auch in der Person de Leóns aus, der in seiner bisherigen, mutigen Tätigkeit als Staatsanwalt für Menschenrechte (Procurador de los Derechos Humanos) den Respekt breiter Bevölkerungskreise erworben hatte und als unbestritten integer galt. Der neue Präsident erwies bereits wenige Tage später der 23. Generalversammlung der OAS in Managua seine Reverenz, indem er vor der Versammlung eine Art Regierungserklärung abgab. Die OAS feierte ihre Aktivitäten als Erfolg.397 _______________ 396 397 Ministros de Relaciones Exteriores, Reunión ad hoc (Guatemala): „MRE/RES. 1/93: Restablecimiento democrático de Guatemala“, OEA/Ser. F/V.3, MRE/RES. 1/93, 03.06.1993; Pamela Constable: „OAS neighbors remain wary as Guatemala crisis lingers“, Boston Globe, 04.06.1993, 2 Ministros de Relaciones Exteriores, Reunión ad hoc (Guatemala): „Acta de la segunda sesión“, OEA/Ser. F/V.3, MRE/ACTA 2/93, textual 140 6. Bilanz und Ausblick: Das Defense-of-Democracy-Regime der OAS als Baustein einer “internationalen demokratischen Ordnung“? Aus den untersuchten drei Testfällen für das internationale Demokratieregime der OAS lassen sich bereits erste Schlußfolgerungen ziehen: Erstens kann festgestellt werden, daß von OAS-„Resolution 1080“ geschaffene Mechanismus ohne Ausnahme ausgelöst wurde und somit „funktioniert“. In allen drei Fällen eines Umsturzes bezog die OAS umgehend Stellung. Sie ächtete die undemokratischen De facto-Regime und beeinflußte damit die allgemeine internationale Reaktion – z.B. der Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft – über den regionalen Rahmen hinaus. Damit wird allen potentiellen Usurpatoren deutlich signalisiert, daß die Regionalorganisation den Sturz einer gewählten Regierung nicht stillschweigend hinnimmt. Zweitens zeigt sich, daß der von der OAS ausgeübte internationale Druck durchaus Wirkung entfaltet. Zumindest in den Fällen Peru und Guatemala schreckte die Drohung mit internationaler Isolierung. Nur die haitische Junta ließ sich davon nicht beeindrucken und versuchte die von der OAS angeführte Verweigerung einer internationalen Anerkennung durch den traditionellen Einsatz von Gewalt nach innen zu überspielen. Vermutlich fruchteten Sanktionen gegen Haiti auch deshalb nicht, weil das Land seit zwei Jahrhunderten wegen seiner wirtschaftlichen Hoffnungslosigkeit und seiner kulturellen Isolierung ohnehin unter einer Art „Embargo“ stand. Der Fall Haiti macht klar, daß der OAS generell wenig nachhaltige Mittel zu Gebote stehen, um ihrem Mechanismus zur Verteidigung der repräsentativen Demokratie in der Region Durchschlagskraft zu verleihen. Der Politikwissenschaftler und Botschafter Chiles bei der OAS, Heraldo Muñoz, weist auf diesen Mangel hin: „One important lesson from Haiti will be that we need to improve the efficiency of our instruments and actions on behalf of democracy, while still respecting international law.“398 Hier genau liegt das Problem, denn, so konnte gezeigt werden, im Defense-of-Democracy-Regime der OAS ist in keiner Weise eine Art Automatismus z.B. in Form eines Sanktionskataloges vorgesehen. Vielmehr besteht Konsens nur für einen Gradualismus, der die OAS-Außenminister bei jeder Krise aufs neue improvisieren läßt. Schon gar nicht werden militärische Zwangsmittel ins Auge gefaßt. Gegen eine „Militarisierung“ der OAS gibt es in der Mitgliedschaft eine fast geschlossene Front der Ablehnung. Diejenigen Länder, die während der _______________ 398 Heraldo Muñoz: „Haiti and beyond“, Miami Herald, 01.03.1992, 6C 141 Krise um Haiti Truppenkontingente für eine multinationale Mission zur Sicherung einer Übergangsordnung in Aussicht stellten, taten dies unter der Voraussetzung eines friedlich ausgehandelten Machtverzichts des Militärs. Lediglich Argentinien, das im Zweiten Golfkrieg immerhin einige Fregatten zur Unterstützung der USA in den Persischen Golf entsandt hatte, bekundete (wie ernsthaft auch immer) Bereitschaft, den legitimen Präsidenten notfalls mit einer multinationalen Streitmacht in die Inselrepublik zurückbringen zu wollen. Derartiges hat aber seit der Erfahrung mit einer “Interamerikanischen Friedensstreitmacht“ im Jahr 1965 in Lateinamerika nicht einmal den Hauch einer Realisierungschance. Unspezifische Sanktionen, wie sie erfolglos mit dem Handels- und Ölembargo gegen Haiti verhängt wurden, bewirkten bisher auch in anderen Fällen erfahrungsgemäß wenig. Der Diktator Panamas, General Noriega, konnte sich trotz der bilateralen Sanktionen der USA an der Macht halten. Richtig ist zwar der Einwand, daß ein bitterarmes und von agrarischer Subsistenzwirtschaft geprägtes Land wie Haiti möglicherweise stärker gegen wirtschaftlichen Druck von außen imprägniert ist, als entwickeltere Länder Lateinamerikas, wo eine bereite Mittelklasse – ohne die Ausweichmöglichkeiten einer schmalen Oberschicht wie in Haiti – getroffen würde und gegen die Putschisten mobilisiert werden könnte. Aber man stelle sich vor, einer der beiden im Februar und November 1992 versuchte Putsche in Venezuela wäre erfolgreich gewesen – Sanktionen gegen dieses Land, aus dem der Rest der westlichen Hemisphäre einen großen Teil seines Erdöls bezieht, wären absurd gewesen. Wirksamer scheinen hingegen selektivere und subtilere Sanktionen zu sein. Der Finanzierungsboykott gegen Peru, dem sich Finanzinstitutionen wie die Interamerikanische Entwicklungsbank auf Empfehlung der OAS „freiwillig“ oder auch unter dem Einfluß der Vereinigten Staaten angeschlossen, ließ Präsident Alberto Fujimori um den Erfolg des peruanischen Wirtschaftsprogramms und der Strukturanpassung fürchten und nötigte ihm tatsächlich Konzessionen ab. Ebenfalls begrenzt sind die Möglichkeiten diplomatischer Isolierung. Wie bereits dargestellt, hat die OAS im Dezember 1992 auf einer außerordentlichen Vollversammlung in Washington eine Satzungsänderung verabschiedet, die es nach der Ratifizierung dieses „Protokolls von Washington“ erlauben soll, undemokratische Regierungen von der Mitgliedschaft in der OAS zu suspendieren. Aber auch diese Satzungsänderung enthält keinen Automatismus. Mit anderen Worten: Regierungen, die den Pfad der Demokratie verlassen, können suspendiert werden, aber nicht jede dieser Regierungen muß suspendiert werden. Diese Regelung birgt natürlich die Gefahr der politischen Willkür – je nach wirtschaftlicher und politischer Bedeutung des Landes kann dies Isolierungsmaßnahme verhängt werden oder auch nicht. 142 Die „weiche“ Reaktion der OAS im Fall Peru erhärtet diesen Verdacht. Die Ad hoc-Außenministerkonferenz zu Peru erklärte ihre Aufgabe nach den Wahlen zu einer Konstituante im November 1992 für abgeschlossen, obwohl diese Wahlen in Peru selbst umstritten waren, weil sich die größten Parteien aus Protest gegen den „autogolpe“ Fujimoris nicht an ihnen beteiligten. Der OAS-Generalsekretär vertrat den Standpunkt, in Peru gebe es zwar Verbesserungsmöglichkeiten des politischen Systems, aber keine Diktatur. Während das randständige, kleine Haiti mit empfindlichen Sanktionen belegt wurde, welche die Bevölkerungsmehrheit noch tiefer ins Elend stürzten, kam die Regierung des südamerikanischen Flächenstaates Peru ungeschoren davon, zumal sich die Lage anderen Regierungen angesichts der militärischen Folgen der Guerillaarmee des „Leuchtenden Pfades“ als eine „Wahl zwischen Pest und Cholera“ darstellte.399 Damit setzte sich die OAS dem Verdacht aus, mit zweierlei Maß zu messen. Die erfolgreichen Aktivitäten der OAS in Guatemala – dort wurde die Wende unbestreitbar nach dem Zusammentreffen des OAS-Generalsekretärs Bena Soares mit Verteidigungsminister García eingeleitet – wurden durch einen einhellige und massive internationale Reaktion (durch die USA, die Europäische Gemeinschaft, die Río-Gruppe und die andren zentralamerikanischen Präsidenten) erleichtert, vor allem aber durch einen breite Mobilisierung der internen Opposition gegen den Staatsstreich in Guatemala selbst. Die internationale Ächtung des De facto-Regimes konnte diese zivile Allianz aus Parteien, Presse, Gewerkschaften und sogar konservativen Unternehmerverbänden stärken. In Haiti war dagegen die Opposition gegen das Militär zu machtlos und schlecht organisiert, in Peru selbst fand der Selbstputsch von Präsident Fujimori eine recht bereite Unterstützung in der Bevölkerung. Daraus ergibt sich folgendes Bild: Nur wenn es starke interne Opposition gegen den Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung gibt, kann internationaler und regionaler Druck etwas ausrichten. Weiterhin ist das Problem zu erkennen, daß das Defense-of-DemocracyRegime der OAS einen reaktiven Charakter trägt. Dies hat seine Entsprechung im Sachbereich „Sicherheit“, wo traditionell die notorisch konfliktscheue OAS immer erst tätig wurde, wenn ein Konflikt zu einer internationalen Krise ausgewachsen war. Bisher wurden kaum konkrete Überlegungen angestellt, wie das Demokratieregime „proaktiver“ gestaltet werden könnte. Denkbar wäre es z.B., die 1990 eingerichtete „Unit for the Promotion of Democracy“ analog dem Mandat der Interamerikanischen Menschenrechtskommission mit Überwachungs- und Berichtskompetenzen (Fact-finding, Monitoring) auszustatten. Vermutlich wäre aus souveränitätspolitischen _______________ 399 Kurtenbach, Regionale Kooperation, 257 143 Rücksichten die dafür notwendige institutionelle Unabhängigkeit der „Unit“ vorerst nicht realisierbar. Zweifellos hätten sich Länder wie Brasilien und Venezuela, die mit den Korruptionsvorwürfen und Impeachmentverfahren gegen die jeweiligen Präsidenten Fernando Collor de Mello und Carlos Andres Pérez im Jahr 1993 schwere politische Krisen durchliefen, gegen einen Begutachtung ihrer internen Situation durch ein OAS-Organ gewehrt. So wird das Defense-of-Democracy-Regime der OAS vor allem ein Krisenmechanismus bleiben. Immerhin haben sich die OAS-Regierungen im Juni 1993 in der „Erklärung von Managua“ grundsätzlich verpflichtet, den Ursachen demokratischer Instabilität stärker an die Wurzel zu gehen und vorzubeugen. Dabei spielt der Kampf gegen die extreme Armut der Bevölkerungsmehrheit in der Region eine entscheidende Rolle. Das wurde von der OAS bereits 1992 in einer von Mexiko eingebrachten Resolution anerkannt.400 Eine entscheidende Determinante für die Effektivität des multilateralen Defense-of-Democracy-Regimes der OAS ist seine Unterstützung durch maßgebliche Einzelakteure. Hier kommt es – so richtig „multilateral“ ist das noch immer asymmetrisch strukturierte interamerikanische System eben doch nicht – vor allem auf die Vereinigten Staaten an. Wie gezeigt werden konnte, war die multilaterale Haiti-Diplomatie der OAS, später auch der UN, in hohem Maße abhängig von der schwankenden Haiti-Politik der USA. Die Bush-Regierung verlagerte zwar Ordnungsmachtfunktionen an die OAS zurück, unterstützte aber wegen ihrer zwiespältigen Haltung gegenüber dem Exilpräsidenten, der ihr eher unheimlich als verteidigenswert erschien, nur halbherzig die multilateralen Bemühungen. Es wurde vor allem nicht das bilaterale Druckpotential bei den Sanktionen gegen das von den USA hochgradig abhängige Haiti ausgeschöpft. Angeblich aus humanitären Rücksichten, vermutlich aber doch wegen des Drängens amerikanischer Geschäftsinteressen, nahm Präsident Bush Teile der Verarbeitungsindustrie in den wirtschaftlichen Freizonen auf Haiti vom Embargo aus und schadete der Glaubwürdigkeit der OAS. Aus Sorge, einen unkontrollierbaren Massenexodus aus dem verelendeten und terrorisierten Inselstaat in Gang zu setzen, zögerte auch die nachfolgende Clinton-Administration lange, die Embargoschraube stärker anzuziehen. Erst als Präsident Clinton wegen seiner Flüchtlingspolitik innenpolitisch unter den vor allem des „Black Caucus“ geriet, aktivierte er – viel zu spät – seine Haiti-Diplomatie. Daß außenpolitische Entscheidungen der USA vorrangig unter innenpolitischen Gesichtspunkten gefällt werden, hat enorme Rückwirkungen auf _______________ 400 Diese Verknüpfung der Frage der Demokratie mit dem Armutsthema besitzt natürlich auch ein exkulpierendes Element – die Resolution wurde daher nicht zufällig von Mexico lanciert. 144 den Einsatz und die Effektivität multilateraler Instrumente, wie Joseph Tulchin treffend darlegt: „The worst effect of domestic political pressure on the policy process is that it undermines the government´s will to allow multilateral agencies to operate. The international organizations, especially the United Nations and the OAS, are maddeningly slow and painfully democratic in their operations. The more intense the crisis, the more insistent the domestic forces, the less tolerance there is in Washington to allow the United Nations or the OAS to act with calm and independence. The key to future solutions will be for the multilateral agencies to act before the U.S. domestic forces become involved and begin to lay down the conditions for resolving the crisis.“401 Dieses Monitum könnte spätestens dann relevant werden, wenn mit einer politischen „transición“ in Kuba der große Testfall für die OAS eintritt. Die Ernsthaftigkeit des Eintretens der lateinamerikanischen Staaten für Demokratie und Menschenrechte bei einem gleichzeitig stark verwurzelten Respekt für die Souveränität wird am Beispiel Kuba stärker als in jedem anderen Fall gemessen werden. Dann aber könnte es sich tatsächlich erweisen, daß der Raum für multilateral assistierte Verhandlungslösungen nach dem erfolgreichen Modell Nicaraguas ausgesprochen eng ist, weil die US-Regierung sich nicht vom innenpolitischen Druck exilkubanischer Hardliner freimachen können und wie bisher in einer angesichts der neuen weltpolitischen Realitäten anomalen Perzeption aus den Zeiten des Kalten Krieges verharren. Welchen Einfluß die konservative „Kubanisch-amerikanische Nationalstiftung“ von Jorge Mas Canosa auszuspielen in der Lage ist, zeigte sich, als es ihr durch Lobbyarbeit gelang, die von der neuen Clinton-Administration designierten Kandidaten für das Amt des Assistenzstaatssekretärs für Interamerikanische Angelegenheiten und für den Posten des OAS-Botschafters zu blockieren. Bleibt Kuba, wovon auszugehen ist, der zentrale Prüfstein für den Einsatz multilateraler Instrumente und für die Effektivität jeder regionalen Friedensund Demokratiesicherung, so werden die Erfahren mit der Haiti-Krise skeptische Fragen auf. Dennoch gilt es die demokratiesichernde Funktion der OAS grundsätzlich zu würdigen. Sie könnte nämlich zum Baustein einer neuen „internationalen demokratischen Ordnung“ werden. Einige Autoren sehen die demokratische Regierung bereits zur universell bindenden Norm der Legitimität werden.402 _______________ 401 402 Joseph S. Tulchin: „The formulation of U.S. foreign policy in the Caribbean“, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science (1994) 533, 177-187, 186 Thomas M. Franck: „The emerging right to democratic governance“, in: American Journal of International Law 86 (1992) 1, 46-91; Ders.: The power of legitimacy among nations, 145 Demokratie wäre mithin ein Rechtsanspruch, der aus den inneren Aspekten des Rechtes auf Selbstbestimmung abgeleitet wird, das in der klassischen Sichtweise bekanntlich ein rein externes Recht darstellte. Der amerikanische Völkerrechtler Franck vertritt prominent diese These, wonach sich Demokratie zu einem internationalen Rechtsanspruch („democratic entitlement“) entwickelte. Er stellt seit etwa 1990 den Durchbruch vom bloßen Ideal („moral prescription“) zu einem völkerrechtlichen Konzept („international legal obligation“) fest: „Undeniably, a new legal entitlement is being crated, based in part on costum and in part on the collective interpretation of treaties.“403 Die neue Funktion der OAS bei der regionalen Demokratiesicherung ordnet sich ein in diese normenschaffende Entwicklung, welche Franck folgendermaßen charakterisiert: „The capacity of the international community to extend legitimacy to national governments […] depends not only on its capacity to monitor an election or to recognize the credentials of a regime´s delegate to the UN General Assembly, but also on the extent to which such international activity has evolved from the ad hoc to the normative: that is, the degree to which the process of legitimation itself has become legitimate.“404 An einer solchen Durchsetzung des Demokratiekonzepts als Legitimitätsprinzip in den internationalen Beziehungen und in der Völkerrechtsordnung hat die OAS zweifellos maßgeblichen Anteil. Diese Entwicklung impliziert, daß internationalen Organisationen mehr und mehr die Aufgabe zuwächst, auf Demokratisierungsprozesse z.B. mit Wahlbeobachtung, Menschenrechtskontrolle oder notfalls auch mit Sanktionen bei nicht regelkonformen Verhalten ihrer Mitglieder einzuwirken. Dies ist in der Tat neu. Lediglich der 1949 gegründete Straßburger Europarat, dessen tragendes Prinzip die Rechtsstaatlichkeit ist, kannte seit jeher ein Legitimitätsprinzip als Vorbedingung der Mitgliedschaft und ihrer Fortsetzung. Hingegen wiesen die Abkommen, die der NATO und der Europäischen Gemeinschaft zugrundeliegen, keine Demokratisierungsverpflichtung auf, auch wenn anerkannt werden muß, daß die EG durch ihre feste Haltung die Redemokratisierung Spaniens, Portugals und Griechenlands Mitte der 70er Jahre erleichtert und durch die rasche Aufnahme in die Gemeinschaft konsolidiert hat. _______________ 403 404 New York 1990; Morton H. Halperin; Kristen Lomasney: „Toward a global ‚guarantee clause‘, in: Journal of Democracy 4 (1993) 3, 60-69 Franck, Emerging right, 47. Das Defense-of-Democracy-Regime der OAS hat natürlich nicht die Qualität eines völkerrechtlichen Kollektivvertrages, sondern gründet nur auf Entschließungen der Generalversammlung der OAS. Ebd., 51 146 Erst nach den „Revolutionen“ des epochalen Jahres 1989 erlebte der Demokratiebegriff als völkerrechtliches Konzept einen Durchbruch. IN dieser Hinsicht bedeutsame Dokumente wurden im Rahmen der KSZE verabschiedet. Das Dokument über die Menschliche Dimension der KSZE auf dem Kopenhagener Treffen der Konferenz vom 29. Juni 1990 und die erwähnte „Charta von Paris für ein neues Europa“ vom 21. November 1990 definieren detailliert die Kernbestandteile der demokratischen Ordnung. Das am 3. Oktober 1991 verabschiedete Dokument des Moskauer Treffens über die Menschliche Dimension der KSZE betont, „daß Fragen der Menschenrechte, Grundfreiheiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein internationales Anliegen sind“. Im Bereich der Menschlichen Dimension eingegangene Verpflichtungen seien „ein unmittelbares und berechtigtes Anliegen aller Teilnehmerstaaten und eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des betroffenen Staates“. Die KSZE knüpft damit an die Tradition des bereits erwähnten Europarates an, der die Regeln der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit hochhält, festigt und durch die Aufnahme von 11 osteuropäischen Transformationsstaaten (nunmehr 34 Mitgliedsstaaten) auszubauen sucht. Auffällig ist, daß auf der Ebene der Vereinten Nationen keine derart weitreichenden Schritte getan wurden. Der Grund liegt natürlich auf der Hand. Der Weltorganisation geht das engere Solidaritätsgefüge ab, wie es beispielsweise der OAS als einer Regionalorganisation und neuerdings als einem homogenen Verband demokratischer Staaten zu eigen ist, während die heterogenen Vereinten Nationen Demokratien, Militärdiktaturen, Feudalmonarchien, Theokratien usw. zu ihrer Mitgliedschaft zählen.405 Die OAS befindet sich seit den bahnbrechenden Beschlüssen der 21. Generalversammlung von Santiago im Jahr 1991 mit der hier beschriebenen Entwicklung gleichauf oder steht sogar an ihrer Spitze. Bloomfield zufolge darf die westliche Hemisphäre als die Region gelten, „that has advanced farthest in the creation of a multilateral prodemocracy regime“.406 Daß die OAS die Demokratiesicherung zu ihrer „raision d´être“ gemacht hat, ist wegen des enormen Beharrungsvermögens des Prinzips der Nichteinmischung ein um so bemerkenswerterer politischer Quantensprung. Der Vorstoß der OAS in diesen neuen Aufgabenbereich verleiht ihr selbst in den 90er Jahren die zuvor verlorengegangene Kohärenz und Legitimität. _______________ 405 406 Regionalismus allein verbürgt keine Solidarität, wie die Liga der Arabischen Staaten zeigt. Bloomfield, Making the Western Hemisphere, 157 147 VI. RÜCKGEWINN VON AUFGABEN IN DEN SACHBEREICHEN „SICHERHEIT“ UND „WOHLFAHRT“ 1. Regionale Wirtschaftskooperation Obwohl der Vorstellung von „low politics“ zufolge der wenig politisierte Sachbereich „Wohlfahrt“ internationaler Problembearbeitung und sogar internationaler Integration eigentlich am zugänglichsten sein müßte, gelang es der OAS seit dem Ableben der Allianz für den Fortschritt nicht, ihre Kompetenzen in Fragen von Wirtschaft und Entwicklung über die recht engen Grenzen hinaus zu erweitern, die von den Vereinigten Staaten akzeptiert wurden. Die Themen blieben beschränkt. Daß die USA die OAS als Forum für den politischen Dialog zurückwiesen, zeigte eindrücklich die regionale Machtstruktur auch in diesem Bereich. Nach mehr als einem Jahrzehnt hat unterdessen nicht nur die lateinamerikanische Schuldenkrise vorläufig an Brisanz verloren, sondern die Szenerie insgesamt hat sich radikal verwandelt: Ein wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel der lateinamerikanischen Staatengruppe (mit Ausnahme Kubas) führte zu einem bisher ungekannten Grundkonsens marktwirtschaftlicher Ordnungsvorstellungen – parallel zur Demokratie als der neuen Unité de doctrine im politischen Bereich. Die lateinamerikanischen Staaten erkannten während der sogenannten „verlorenen Dekade“ der 80er Jahre das Scheitern der seit den 30er Jahren vorherrschenden, nach innen gerichteten Importsubstitutionspolitik. Ihr Blick richtete sich neidvoll auf die Erfolge der exportorientierten südostasiatischen Schwellenländer. Bekanntlich haben seither die durch Wahlen legitimierten Regierungen der Region unter immensen gesellschaftlichen Opfern den Abbau der alten, von zivilen und militärischen Vorgängern zementierten protektionistischen und staatsinterventionistischen Wirtschaftsstrukturen in Angriff genommen. Sie erklärten die Öffnung des Marktes, ausgeglichene Budgets, Privatisierung der Staatsbetriebe und die Reduzierung staatlicher Eingriffe zu ihren Maximen. Die lateinamerikanische Staatengruppe steht einer partnerschaftlich ausgerichteten Kooperation mit den USA, mit denen der Subkontinent immer noch fast die Hälfte der Warenexporte abwickelt und die als weitaus wichtigster Investor auftreten, heute vorurteilsfreier als in früheren Jahren gegenüber. Für die USA formulierte im Gegenzug Präsident Bush im Juni 1990 mit der „Enterprise for the Americas Initiative“ den Plan eines kontinentumspannenden Freihandelsraumes. Der Freihandelspakt mit Mexiko werde nur der Auftakt für die panamerikanische Initiative sein. Was immer auch die tragenden Motive von Bushs Amerika-Initiative waren, so ist doch bemerkenswert, wie von Krosigk hervorhebt, 148 „daß erstmals in der Geschichte interamerikanischer Beziehungen von seiten der USA ein hemisphärisches Kooperationskonzept vorgelegt wurde, das nicht als vom Primat sicherheitspolitischer Erwägungen bestimmt erscheint."407 Daß dieses Konzept einstweilen nicht mehr als eine vage Verheißung blieb, wurde in Lateinamerika zunächst ni der Weise positiv umgedeutet, daß damit Raum für eine eigene aktive Rolle bei der Zielbestimmung und Implementierung bleibe.408 Auch die OAS begrüßte die Initiative und suchte eine Rolle bei ihrer Umsetzung.409 Atkins sieht tatsächlich eine mögliche Funktion der OAS bei der Neuordnung der interamerikanischen Handelsbeziehungen, allerdings im Verbund mit anderen Institutionen: „The likely form of hemispheric governance, if it occurs at all, is the reconstitution of existing OAS agencies in turn coordinated with the IDB and other inter-American bodies.“410 Hier ist jedoch Skepsis angezeigt. Obwohl Fragen der Wirtschaft und des Handels nunmehr hohe Priorität im interamerikanischen Verhältnis haben, ist eine maßgebliche Rolle der OAS auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet daraus nicht abzuleiten. An ihre frühere operative Rolle, die sie mit den regelmäßigen „country reviews“ des Interamerikanischen Komitees der Allianz für den Fortschritt (CIAP)411 ausübte, wird die OAS aus mehreren Gründen nicht mehr anknüpfen können: Die regionalen Wirtschaftsbeziehungen werden heute über bilaterale Regierungskontakte, durch ein multiples Institutionengeflecht (Interamerikansiche Entwicklungsbank, Weltbank, Weltwährungsfonds, GATT/WTO) oder im Rahmen neuer subregionaler Integrationsanläufe (NAFTA, Gemeinsamer Südmarkt MERCOSUR, „Gruppe der Drei“ u.a.m.) organisiert und gestaltet. Damit scheint es eigentlich ausgeschlossen, daß die OAS zu einem weiteren Integrationsorgan wird. Dafür fehlen ihr die technische Kapazität _______________ 407 408 409 410 411 Friedrich von Krosigk: „Interamerikanische Beziehungen im Zeichen turbulenter Interdependenz“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (1992) 28, 23-28, 27 Peter Hakim: „President Bush’s southern strategy: The Enterprise for the Americas Initiative“, in: Washington Quarterly 15 (1992) 2, 93-106 General Assembly, XXI Regular Session: „AG/RES. 1109 (XXI-0/91),: Support to the Enterprise for the Americas Initiative“, OEA/Ser. P/XXI.O.2, 20.08.1991, Vol. I, 72-73; „OAS very interested in Americas Initiative“ (EFE, Madrid, 22.04.1991) Foreign Broadcast Information Service. FBIS Daily Report – Latin America, 24.04.1991, 3 (PrEx 7.10: FBIS-LAT-91-079) G. Pope Atkins: „Institutional arrangements for hemispheric free trade“, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science (1993) 526, 183-194, 194 José Luís Restrepo: „The Alliance and institutional development in Latin America“, in: L. Ronald Scheman (Hg.): The Alliance for Progress: a retrospective, New York 1988, 149156 149 und auch der organisatorische Zuschnitt. So wird der im Rahmen der Amerika-Initiative von Präsident Bush Anfang 1992 geschaffene Multilaterale Investitionsfonds nicht von der OAS, sondern von der Interamerikanischen Entwicklungsbank verwaltet. Zur Förderung des Fortschritts auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene arbeitet die Organisation gegenwärtig noch mit den zwei funktionalen Hauptorganen, die ihre besten Tage zu Zeiten der Allianz für den Fortschritt gesehen haben. Es sind dies, wie bereits angeführt, der Interamerikanischen Wirtschafts- und Sozialrat (CIES) und der Interamerikanische Rat für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (CIECC). Im Juni 1993 wurde im „Protokoll von Managua“ beschlossen, die OAS-Charta dahingehend zu ändern, daß CIES und CIECC zu einem einzigen Lenkungs- und Konsultationsorgan, dem Interamerikansichen rat für Integrale Entwicklung (CIDI) fusionieren. Der Rat, der wenigstens einmal im Jahr auf Ministerebene tagen muß, kann, wenn er es anstrebt, ein Mandat über die Technische Zusammenarbeit hinaus wahrnehmen. Es lautet: „to promote cooperation among the American States [to achieve] integral development and […] eliminate extreme poverty in accordance with the standards or the Charter“412 Daß der Gesichtspunkt der Armutsbekämpfung hervorgehoben wird, gibt CIDI überdies ein allgemeines soziales Mandat, das in der neuen sozialpolitischen Orientierung der Interamerikanischen Entwicklungsbank seine Entsprechung hat und auf die brennenden Probleme von Massenarmut und Massenarbeitslosigkeit in Lateinamerika verweist. Von dieser institutionellen Straffung, die wegen des üblichen langwierigen Ratifikationsverfahrens noch nicht wirksam ist, erhofft man sich Synergieeffekte für die von der OAS administrierten Programme der Technischen Zusammenarbeit. In diesem Bereich ist die OAS seit 1952 aktiv, aber erst in den frühen 60er Jahren erhielt sie mit der Allianz für den Fortschritt hierfür erweiterte Budgets und aufgaben. Die Bedeutung der entwicklungspolitischen Programme der OAS blieb aber vergleichsweise bescheiden. Anspruchsvolle Zielsetzungen – beim Wissenschafts- und Technologieprogramm seit 1968 war es die technologische „self-reliance“ Lateinamerikas – kontrastierten mit einem Spektrum unzureichend koordinierter Einzelaktivitäten.413 Hinzu kann, daß die lateinamerikanischen Regierungen _______________ 412 413 Protocol of Amendment to the Charter of the Organization of American States, „Protocol of Managua“ [signed at Managua, Nicaragua, on June 10, 1993, at the Nineteenth Special Session of the General Assembly] Zum „Programa Regional Desarrollo Científicio y Tecnológica“ (PRFYT) Ernst B. Haas: „Technological self-reliance for Latin America: the OAS contribution“, in: International Organization 34 (1980) 4, 541-570 150 handelspolitischen Zielen traditionell den Vorrang gegenüber entwicklungspolitischen Maßnahmen einräumten. Für sie verloren die entwicklungspolitischen Aktivitäten der OAS414 in der schuldenfinanzierten Wachstumsstrategien der 70er Jahre vollends an Wichtigkeit. Der damalige OASGeneralsekretär stellte 1980 fest: „While the OAS provides a key forum in which the American nations are wrestling with regional solutions to the new development agenda, it is obvious that the OAS is not designed to serve as a massive technical assistance or donor agency.“415 Mit ihren klein dimensionierten Projekten scheint die OAS interessanterweise eine Nische zu besetzen, die von anderen Geber- oder Durchführungsorganisationen vernachlässigt wird. Vor allem Kleinststaaten, namentlich diejenigen der Karibik, äußern daher immer wieder die Sorge, die OAS könne wegen des Vorstoßes in neue Aufgabenbereiche (z.B. Demokratiesicherung) ihre entwicklungspolitischen Aktivitäten zurück- oder sogar einstellen. Insgesamt sollte die Dienstleistungsfunktion der OAS als einer Mehrzweckorganisation nicht unterschätzt werden. Sie umfaßt nicht nur entwicklungspolitische Aufgaben. Von der Standardisierung der Statistik über die Förderung des Museums- und Bibliothekswesens bis hin zur Erhaltung der Kultur und Folklore indigener Völker reichen die Aktivitäten der OAS und des um sie herum lagernden Kranzes von Sonderorganisationen mit größtenteils langer Tradition im Panamerikanismus. Daß die OAS eine „full-scale agency“ ist, wird deutlich im Vergleich mit der 1963 gegründeten Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU), die sich erst seit Anfang der 80er Jahre (z.B. mit dem „Lagos Plan of Action“ ihres ersten Wirtschaftsgipfeltreffens) von einer institutionalisierten Konferenz der Staatschefs in Richtung einer differenzierten Organisation mit Dienstleistungsfunktionen zu entwickeln begann. Ein weiteres wichtiges Ergebnis der OAS-Sonderversammlung von Managua im Juni 1993war es, daß der bei zahlreichen US-lateinamerikanischen Handelskonflikten in steriler Konfrontation steckengebliebene Sonderausschluß für Konsultation und Verhandlungen (CECON) in einem Sonderausschluß für Handel (CEC) umgewandelt wurde.416 _______________ 414 415 416 Earl Roueche: „Development and technical cooperation: a regional organization’s experience – OAS“, in: Robert S. Jordan (Hg.): Multinational cooperation: economic, social., and scientific development, New York 1972, 192-222 Alejandro Orfila: The Americas in the 1980's: an agenda for the decade ahead, Lanham 1980, 50 General Assembly, XIX Special Session: „Establishment of the Special Committee for Trade (CEC)“, OEA/Ser. P, AD/Doc. 2984/93 rev. 1, 11.06.1993. Zur Entwicklung von 151 Der neue Handelsausschluß der OAS füllt tatsächlich eine Lücke, da es in der Region bisher kein multilaterales Forum für Handelsfragen gab. ER soll Liberalisierung und Ausweitung des Handels fördern. Anstelle der undankbaren Verhandlungsfunktion, an der CECON strukturell gescheitert war, stehen bei CEC Meinungstausch und Dienstleistungen (Analysen, Aufbau einer Datenbank usw. zu Handelsfragen) im Vordergrund, zumal Prozeduren für die Schlichtung von Handelskonflikten in den bestehenden Freihandelsvereinbarungen ohnehin meist vorgesehen sind. Der OAS-Sonderausschuß für Handel ist Ausdruck des erneuerten (hin und wieder auch schon ernüchterten) interamerikanischen Kooperationsgeistes. Aus den dargelegten Gründen wird die OAS im Sachbereich „Wohlfahrt“ nicht mehr an ihre Akteursrolle im Rahmen der Allianz für den Fortschritt anknüpfen können.417 Die OAS wird als politisches Forum mit Dienstleistungselementen ihren Platz in einem multiplen Institutionengeflecht behaupten müssen. Partiell wird sie Issue-bezogene Aufgaben in diesem Sachbereich zugewiesen bekommen. Ein gutes Beispiel für das „Management von Interdependenz“ (Ernst B. Haas) in den Nord-Süd-Beziehungen des Kontinents ist die nachfolgend zu behandelnde neue Rolle der OAS in der Umweltdiplomatie. Wie im Sachbereich Herrschaft erweist sich aber auch hier – gewissermaßen leitmotivisch – das Souveränitätsproblem als die größte Handlungsrestriktion der OAS. 2. Interamerikanische Umweltdiplomatie In einer Politikfeld-bezogenen Analyse der OAS-Funktionen im Sachbereich „Wohlfahrt“ sind nicht nur Fragen der Ökonomie, sondern auch solche der Ökologie anzusprechen, wobei diese Zuordnung nicht zwingend ist. Da Umweltprobleme nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes als wichtiger internationaler Konfliktstoff auch und gerade der Sicherheitspolitik identifiziert werden, wäre ihre Behandlung ebenso unter dem Globalaspekt „Sicherheit“ denkbar. Immerhin hat neben anderen nichtmilitärischen Risiken der Faktor „Umwelt“ inzwischen Eingang in die US-amerikanische Militär_______________ 417 CECON: Martha Lynch: Las relaciones entre América Latina y el Caribe y los Estados Unidos vistas a través de la Comisión Especial de Consulta y Negociación de la OEA (CECON), [o.O.] 1993 (= BID-CEPAL documentos de trabajo sobre comercio en el hemisferio occidental; DT-CHO-26) Für eine Akteursorientierung sprach seinerzeit etwa die Überprüfung der Konformität mit interamerikanischen Standards in Form der „country reviews“, in die auch die US-Politik einbezogen wurde. 152 doktrin der Nationalen Sicherheit gefunden.418 Es ist daran zu erinnern, daß mit den lateinamerikanischen Vorstellung von „Kollektiver ökonomischer Sicherheit“ in der OAS bereits in den 70er Jahren um eine weiter gefaßte Sicherheitskonzeption politisch gerungen wurde. Wissenschaftlich ist der analytische Nutzen einer solchen funktional entgrenzten Sicherheitsdefinition allerdings zweifelhaft. Nach herkömmlicher Auffassung ist Voraussetzung für einen sicherheitspolitisch relevanten Konflikt, daß die Gefahr internationaler Gewaltanwendung besteht – was bei einigen wenigen Kategorien von umweltbezogenen Konflikten tatsächlich zutreffen mag. Für unsere Untersuchung soll die Funktion der OAS bei der kooperativen Bearbeitung ökologischer Probleme unter dem Aspekt „Wohlfahrt“ behandelt werden. Umweltschäden betreffen – wenngleich indirekt, aber doch nachhaltig – wirtschaftliche Wohlfahrtswerte und die Lebenschancen weiter Bevölkerungskreise. Es ist an sich nicht überraschend, daß die OAS als eine multifunktionale Organisation auch übe rein Mandat in der regionalen Umweltdiplomatie verfügt. Es wurde ihr im Juni 1991 auf der insgesamt wegweisenden XXI. Generalversammlung in Santiago de Chile („Santiago Commitment to Democracy and the Renewal of the Inter-American System“) zugesprochen. Das dort verabschiedete Aktionsprogramm ergänzte entsprechend die Zielstellung der OAS mit der Absicht: „To use the OAS as a forum for a rational, constructive hemisphere-wide debate, free of recrimination, aimed at developing a specific regional approach in order to contribute to implementation of the proposals of global scope that environmental protection requires.“419 Frappierend ist jedoch, wie spät im Vergleich zu den Vereinten Nationen die Agenda der OAS um umweltbezogene Aufgaben erweitert wurde. Bereits 20 Jahre vor der OAS waren die Vereinten Nationen in eine Führungsund Koordinierungsfunktion zur Festlegung einer globalen Umweltpolitik hineingewachsen. Die UN-Umweltschutzkonferenz in Stockholm im Jahr 1972 markierte einen international einsetzenden Bewußtseinswandel, der vor allem von den kooperativen Institutionen der Industrieländer (EG, OECD) rasch rezipiert wurde. Die vielbeachtete und als „Erdgipfel“ titulierte UN-Konferenz über „Umwelt und Entwicklung“ (UNCED), die im Juni 1992 in Rio de Janeiro abgehalten wurde, hat die zentrale Stellung der Vereinten Nationen bei globalen Umweltverhandlungen erneut bestätigt. Eine vergleichbare Rolle konnte die OAS bisher nicht spielen. Zwar kennt _______________ 418 419 Der internationale Drogenschmuggel und Massenfluchtbewegungen (wie im Falle Haitis) werden ebenfalls als neue Sicherheitsrisiken gesehen. General Assembly, XXI Regular Session: „Inter-American Program of Action for Environmental Protection“, OEA/Ser. P, AG/Doc. 2769/91 rev. 1, 08.06.1991 153 sie eine lange Tradition der rechnischen Zusammenarbeit, was die geregelte Nutzung natürlicher Ressourcen anbelangt. Zahlreiche OAS-Projekte zur grenzüberschreitenden Gewinnung von Hydroenergie aus den südamerikansichen Flußsystemen sind ein Beispiel dafür. Aber viel mehr als eine Konvention zum Naturschutz im engeren Sinne aus dem Jahr 1940 hat das interamerikanische System bis zum Ende der 80er Jahre nicht hervorgebracht. Zwei Gründe lassen sich dafür nennen: (1) Zunächst kann eine Indifferenz der OAS-Mitgliedsstaaten unterstellt werden. Die lateinamerikanischen Militärregierungen waren während der 70er Jahre auf ihre geopolitisch inspirierten Doktrinen der Nationalen Sicherheit fixiert. Im Zusammenhang damit trieben einige Länder ihre interne Expansion voran. So bereitete damals Brasilien mit der ungehemmten „Erschließung“ des peripheren Amazonasgebietes den Boden für heutige Umweltschäden. Für die in den 80er Jahren zurückkehrenden Zivilregierungen waren ökologische Themen wiederum ein Luxus, rangen sie doch in der „verlorenen Dekade“ von drückender Wirtschafts- und Verschuldungskrise um die Wiedergewinnung wirtschaftlichen Wachstums. (2) Ein zweiter Grund für diese Verspätung der OAS gegenüber den umweltbezogenen Aktivitäten der Vereinten Nationen ist darin zu sehen, daß das Souveränitätsproblem im asymmetrischen Kontext der interamerikanischen Beziehungen besonders sperrig ist. Einige lateinamerikanische Staaten vertraten bereits in der Diskussion um die Neue Weltwirtschaftsordnung vehement das Verständnis der völligen Souveränität über natürliche Ressourcen auf ihrem nationalen Territorium. An der Spitze der Souveränitätsfront stand stets Brasilien, das auf dieser Prärogative bis heute grundsätzlich besteht, freilich nicht, ohne mit dieser Haltung im eigenen Land Kritik hervorzurufen. Brasilien argwöhnt wie andere Schwellen- und Entwicklungsländer auch, daß ihm mit der Klassifizierung seiner Ressourcen als „globale Gemeingüter“ in nationale Entwicklungsstrategien hineingeredet werden solle. Gleichwohl kam es zwischen 1989 und 1991 recht unerwartet zu einer hektischen Abfolge regionaler Manifestationen zum Thema „Umwelt“. Zu nennen sind u.a. - der Umweltpolitische Aktionsplan für Lateinamerika und die Karibik420; _______________ 420 VI Ministerial Meeting on the Environment in Latin America and the Caribbean (Brasilia, 30./31.03.1989): Action Plan for the Environment in Latin America and the Caribbean, 154 - der Bericht „Unsere eigene Agenda“421; sowie - die Tlatelolco-Plattform.422 Wie kam es nach der langen Abwesenheit einer Umweltagenda zu dieser plötzlichen Konjunktur? Am wenigsten war es wohl die Einsicht der lateinamerikanischen Eliten in den wachsenden Problemdruck. Zwar sind die wachsende Wasserverschmutzung, Tropenwaldvernichtung, Bodenerosion und Luftverpestung in urbanen Agglomerationen wie Mexiko City und Santiago unübersehbar. Dennoch vernachlässigen die meisten lateinamerikanischen Regierungen die Umweltproblematik einstweilen noch, weil sie ein Wachstum „um jeden Preis“ benötigen, um die aufgestauten sozialen Probleme reduzieren und dadurch die politische Stabilität sicherer machen zu können. Hier soll vielmehr die These vertreten werden, daß diese regionalen Konzertierungsbemühungen ganz wesentlich von außen, durch die globalen Umweltverhandlungen, initiert und induziert wurden. Die 1992 bevorstehende UNCED in Río nötigte die lateinamerikanischen Regierungen, eine gemeinsame Verhandlungsposition festzulegen. So verpflichteten sich die Präsidenten der Río-Gruppe im Oktober 1990 „[to] maintain constant coordination in multilateral fora on the environment in order to harmonize our positions and assure them more efficiency.“ Zwei Optionen einer konzertierten lateinamerikanischen Haltung zu den Konferenzthemen von UNCED boten sich an: Die erste Möglichkeit bestand in einer kollektiven Verweigerung. IN der entwicklungspolitischen Debatte hat bekanntlich 1990 der sogen. „NyerereBericht“ der Südkommission (als Antwort des Südens auf die Arbeit von Brundtland) der Dritten Welt empfohlen, die „Umweltwaffe“ einzusetzen, um die Industrieländer bei den Verhandlungen über globalen Umweltschutz zu einer Umverteilung finanzieller und technologischer Ressourcen zugunsten des Südens zu zwingen. Vor dem Hintergrund neuer Interdependenzen besitzt Lateinamerika eine solche „Macht der Schwachen“, die sich aus der Fähigkeit ergibt, Unordnung zu exportieren. Verschuldung, Migra- _______________ 421 422 dokumentiert in: Heraldo Muñoz (Hg.): Environment and diplomacy in the Americas, Boulder 1992, 51-81 Latin American and Caribbean Commission on Development and Environment: InterAmerican Development Bank; United Nations Development Program: Our Own Agenda, UNDP/IDB/ECLAC, s/1. Auszugsweise wiedergegeben in: Muñoz, Environment, 82-113 Economic Commission for Latin America and the Caribbean (ECLAC), Plenary Sessions at Ministerial Level: The Tlatelolco Platform, Conference Room Document MIN/5/Rev. 1, 07.03.1991, ebenfalls in Muñoz, Environment, 118-127 155 tion, Drogen und eben auch Umwelt werden als Quellen dieser „Chaosmacht“ identifiziert.423 Lateinamerika entschied sich statt dieser konfliktiven oder gar obstruktiven Verhandlungsstrategie für die andere Option, nämlich eine konziliatorische Strategie des „Mitspielens“. Das international als Umweltsünder par excellence verschriene Brasilien tat dies sogar in profilierter Weise, nämlich als Gastgeber der UN-Konferenz in einer Art Vermittlerrolle.424 Dies wurde ihm von führenden Industrieländern mit beachtlichen finanziellen Zusagen gelohnt, mit denen die umweltverträgliche Bewirtschaftung seines amazonischen Landesteils erleichtert werden soll. Die lateinamerikanische Staatengruppe erkannte mithin, daß neue ökologische Ordnungsmuster im internationalen System und im regionalen Zusammenhang nicht zu verhindern waren und versuchte daher, sie im Sinne der nationalen Entwicklungsinteressen mitzugestalten, indem man die Finanzierung von Umweltprogrammen, Erleichterungen der Schuldenlast und Zugang zu technologischem Know-how aushandelte. Auch ergab sich die Chance, Themen zu verknüpfen. So wird die für lateinamerikanische Regierungen dringliche Armutsbekämpfung auch von den Industriestaaten als zentrale Voraussetzung für den Umwelterhalt anerkannt. Hatten wichtige lateinamerikanischen Staaten also zunächst versucht, sich einer Bedeutungszunahme multilateraler Organisationen in internationalen und regionalen Umweltfragen entgegenzustemmen, weil man von supranationalen Regelungen oder gar Verboten nur Nachteile erwartete, so sorgte man zu Beginn der 90er Jahre dafür, daß sie wenigstens auf einer “low profile“-Ebene haltmachte. Im weltpolitischen Aktionsprogramm der OAS von 1991, das wie beschrieben einem regionalen Schub bei der konzertierten Behandlung der Umweltproblematik mitentsprang, hat sich diese Strategie der Vorwärtsverteidigung ebenfalls niedergeschlagen. Das Prinzip der nationalen Souveränität über natürliche Ressourcen wurde explizit bekräftigt.425 Damit sichern sich die lateinamerikanischen Staaten gegen unerwünschte Eingriffe in ihre nationale Entwicklungspolitik und verhindern vorerst, daß die Bäume eines sich unter dem Dach der OAS entwickelnden Umweltregimes, für das sich vor allem das OAS-Neumitglied Kanada stark macht, in den Himmel wachsen. _______________ 423 424 425 Joseph S. Nye: Bound to lead: the changing nature of American power, New York 1990, 198 Martina Müller: „Ökologie als Waffe? Umweltaußenpolitik in Brasilien“, in: Lateinamerika am Ende des 20. Jahrhunderts / Detlef Junker; Dieter Nohlen; Hartmut Sangmeister (Hg.), München 1994, 212-234, 222 ff. Inter-American Program of Action for Environmental Protection, Kapitel II, Abs. (a) 156 Auch der den globalen Nord-Süd-Konflikt über Umweltfragen wiederspiegelnde interamerikanische Divergenz schließt für die OAS eine umweltdiplomatische Akteursrolle einstweilen aus: Die Forderung lateinamerikanischer Staaten nach einem entsprechenden Technologietransfer wehrten die USA bisher mit dem Argument ab, dieser könne allein Sache des privaten Sektors sein und sei nur möglich unter der Voraussetzung, daß die lateinamerikanischen Staaten die Patentschutzrechte von multinational operierenden US-Firmen respektierten. Im Gegenzug halten lateinamerikanische Staaten den USA einen „grünen“ Handelsprotektionismus vor.426 Die aus der Verknüpfung von Handels- mit Umweltfragen herrührenden bilateralen Konflikte wurden vor allem im GATT ausgetragen, während die OAS mehr als Forum einer allgemeinen Diskussion genutzt wurde. Der beim Ständigen Rat der OAS eingerichtete Umweltausschluß widmete dem strittigen Zusammenhang im April 1992 eine Konferenz mit dem Titel „Trade“, the Environment, and Sustainable Development“. Die USA haben unterdessen einem zentralen Konfliktstoff die Spitze genommen: Die „Enterprise for the Americas Initiative“ von Präsident Bush bezog programmatisch einen Schuldenerlaß im Tausch gegen umweltpolitische Zugeständnisse ein („debt for nature swaps“). Dies dokumentiert nicht zuletzt, wie weit Umweltfragen bereits auf der wirtschaftlichen Agenda der interamerikanischen Kooperation vorgerückt sind. Auch von Kleinstaaten gehen diesbezügliche Impulse aus. Die zentralamerikanischen Staaten gründeten am 12. Oktober 1994 in Managua eine „Allianz für die nachhaltige Entwicklung Zentralamerikas“, deren ambitiöser Aktionsplan den Isthmus in eine ökologische Modellregion verwandeln soll, aber wohl chancenlos ist, solange das Thema einer grundbedürfnisorientierten Agrarreform tabu bleibt. Man darf dahinter den Versuch von ausgepowerten Ländern vermuten, die früher vom Verkauf geostrategischer Positionen lebten und heute in Vergessenheit zu geraten drohen, mit dem Umweltthema Transferzahlungen anzuziehen. Ob nun die OAS das ihr 1991 verliehene umweltpolitische Mandat mit Substanz zu füllen vermag, ist wenige Jahre danach noch nicht zu beurteilen.427 Aus den soeben dargelegten Argumenten ergibt sich, daß die OAS ein höheres Profil in der Umweltdiplomatie so bald nicht erlangen wird. Ihr diesbezüglicher Rückstand gegenüber den Vereinten Nationen bleibt. Das schließt aber keineswegs aus, daß die Funktionserweiterung der OAS und _______________ 426 427 James Brooke: „America: environmental dictator?“, New York Times, 03.05.1992, F7; Roger D. Stone: „The road from Rio“, in: Hemisfile 3 (1992) 5, 8-9 Permanent Council: „Report of the Committee on the Environment in connection with the Inter-American Program of Action for Environmental Protection“, OEA/Ser. G, CP/Doc. 2390/93 rev. 1, 01.06.1993 157 ihre Rolle als Diskussionsforum und technischer Dienstleister auf dem Gebiet der regionalen Umweltpolitik von Dauer sein wird. Zwar sind Umweltfragen bei der asymmetrischen Struktur des Interamerikanischen Systems sehr konfliktträchtig. Anders als etwa bei den homogeneren kooperativen Institutionen der reichen Industriestaaten, die ebenfalls von deutlichen Differenzen in Umweltfragen geprägt sind, verläuft die Konfliktachse in der OAS entlang der Nord-Süd-Richtung. Trotz der daraus resultierenden Verteilungskonflikte werden die amerikanischen Staaten aber allein wegen des wachsenden Problemdrucks eine institutionalisierte Kooperation den längerfristig fruchtlosen Null- oder Negativsummenspielen vorziehen. Die bisherige Entwicklung bestätigt dies. 3. Ansätze eines multilateralen Drogenkontrollregimes Die Bekämpfung des internationalen Rauschgifthandels ist seit Mitte der 80er Jahre eines der Gebiete, auf denen die OAS eine durchaus wichtige Rolle spielen konnte. Obwohl der Drogenkomplex wegen seines inter- bzw. transnationalen Charakters für eine multilaterale Bearbeitung geradezu prädestiniert zu sein scheint, gelang es der OAS nur allmählich, hier eine zusätzliche und neue funktionelle Aufgabe im Sachbereich Sicherheit zu akquirieren. Der Grund dafür ist in der bereits erwähnten, dem interamerikanischen System inhärenten Spannung zwischen einer Hegemonial- und einer Kooperationsebene zu suchen. Die folgende Erörterung von Entstehungsbedingungen und Zukunftsaussichten eines multilateralen Drogenkontrollregimes unter dem Dach der OAS soll dies exemplarisch belegen. Die US-Administrationen Reagan und Bush erhoben das Drogenproblem zur wichtigsten Bedrohung ihrer sozialen, ökonomischen und militärischen Sicherheit. Nicht ohne Grund wurde daher von einer neuen nationalen Sicherheitsdoktrin nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes gesprochen, die auf der Basis der Drogenbekämpfung die Einmischung in interne Angelegenheiten der lateinamerikanischen Länder gestatte.428 Dieses neue Sicherheitskonzept folgte den Grundannahmen der „realistischen“ Denkschule der internationalen Politik. Danach hatten in einem anarchisch organisierten internationalen System des „Hilf dir selbst“ die Vereinigten Staaten nicht nur das Recht, sondern aufgrund ihrer Hegemonialstellung sogar die Pflicht, den untergeordneten lateinamerikansichen Staaten ein Bilateral organisiertes Antidrogen-Regime zu „oktroieren“. Die „Koopera_______________ 428 Waltraud Queiser Morales: „The war on drugs: a new US national security doctrine?“, in: Third World Quarterly 11 (1989) 3, 147-169, 151 158 tion“ der schwächeren Staaten mußte mit diplomatischen oder wirtschaftlichen Pressionen notfalls erzwungen werden, da beim Scheitern des schon 1972 von Präsident Nixon erklärten „Krieges gegen das Rauschgift“ („war on drugs“) das nationale Sicherheitsinteresse der USA und in letzter Konsequenz die Stabilität des internationalen Systems beeinträchtigt worden wäre. Die bei der Bekämpfung des Narkotika-Schmuggels gezogene Analogie zu einem regelrechten „Krieg“ implizierte eine erweiterte Rolle des Militärs und der Nachrichtendienste in den USA selbst, vor allem aber in den lateinamerikanischen Ländern, in denen es eine „Narko-Guerilla“ zu bekämpfen galt. Bei der Reagan-Administration erweckte sogar den Anschein, als habe sie die konkrete Bekämpfung des „narcotráfico“ dem Primat der Subversionsbekämpfung untergeordnet.429 Diese der „realistischen“ Denkschule verpflichtete Strategie steuerte jedoch auf einen Schiffbruch hin. So war nämlich ihre übersimplifizierende Prämisse vom Nationalstaat als dem zentralen Handlungsträger untauglich, weil sie übersah, daß im internationalen Drogengeschäft zahlreiche subbzw. transnationale Akteure operieren. Eine solche staatszentrierte Strategie ignorierte die relative Unabhängigkeit der Marktkräfte in einem globalisierten Drogengewerbe. Sie verkannte auch die inneren Restriktionen von schwachen Staaten, die durch kriminelle Gruppen mit enormen Finanzpotential („Drogenmafia“) infiltriert sind, und denen – wie im Falle Perus und Kolumbiens –die Kontrolle eines Teiles ihres Territoriums von einer Guerilla streitig gemacht wird. Eine effektive Drogenbekämpfungspolitik war von ihnen schlechterdings nicht zu erwarten.430 Ganz gleich wie drängend oder abstrafend auch immer die Vereinigten Staaten sich verhielten, würden solche Staaten eher den Weg des geringsten Widerstandes gehen, indem sie Finanzhilfen einstrichen, um dann bei vorgeblicher Konformität mit dem Antidrogen-Regime doch einen modus vivendi mit den Kokabauern und den „Drogenkartellen“ suchen (sogen free rider-Problem). Ebenso täuschte die „realistische“ Überschätzung militärischer Machtressourcen, die bei polizeilichen Aufgaben gegenüber klandestin operierenden Individuen und Gruppen wenig auszurichten vermag. Der Drogenkrieg war ungleich komplizierter als etwa die Zurückweisung eines Aggressorstaates wie dem Irak. Das Drogenproblem ist beispielhaft ein sogen. „intermestic issue“, als eine Herausforderung mit einer internationalen wie einer inneren („domestic“) Komponente. Die untaugliche „Militarisierung“ der Drogen_______________ 429 430 Bruce Bullington; Alan A. Block: „A Trojan horse: anti-communism and the war on drugs“, in: Contemporary Crises 14 (1990) 1, 39-55 Bruce M. Bagley; Juan Gabriel Tokatlian: „Droga y dogma: la diplomacia de la droga de Estados Unidos y América Latina en la decada de los ochenta“, in: Pensamiento Iberoamericano (1991) 19, 235-255, 240 159 bekämpfung schwächte ohnehin fragile Zivilregierungen und machte sie (z.B. in Peru) vom Militär als regimestabilisierender Kraft abhängig. Das vom machtpolitischen Realismus inspirierte, im wesentlichen von den USA bilateral verordnete Regime nationaler Sicherheit zur Drogenbekämpfung war ungeeignet, eine langfristige und stabile Kooperation zu stiften. Unter einem „Regime“ wird hier eine kooperative Institution verstanden, die durch informelle und formelle, rechtliche und nicht verrechtlichte Strukturen (Prinzipien, Normen, Regeln, Entscheidungsverfahren) gekennzeichnet werden und Konflikte zwischen konkurrierenden Nationalstaaten auf einem Politikfeld bearbeiten.431 Sie kann deshalb von einem Hegemon nicht im Alleingang gebildet werden, sondern entsteht durch die freiwillige Einordnung der schwächeren Staaten aufgrund ihrer eigenen Interessenkalkulation. Aus lateinamerikanischer Sicht fehlte es dem einseitig auf nationale und strategische Sicherheitsinteressen der USA zugeschnittenen Drogenregime an Legitimität, Glaubwürdigkeit und Sympathie. Der Legitimität entbehrte es, weil es mehr im Wege eines unilateralen Oktroi als der kooperativen Aushandlung zustande kam. Zweitens mangelte es ihm an Glaubwürdigkeit, da die Strategie des Drogenkrieges auf die Angebotsseite konzentrierte, d.h. der Bekämpfung in den Produzentenländern. Den Vorrang gab, hingegen die Nachfrageseite vernachlässigte, also die Verhinderung des Konsums, Vorbeugungsmaß nahmen und eine Gesundheitspolitik in den USA selbst. Einige lateinamerikanische Staaten, die sich zum Sündenbock gemacht sahen, beklagten im Gegenzug den unersättlichen Bedarf des mit Abstand größten Rauschgiftkonsumenten der Welt: den Vereinigten Staaten. Drittens entbehrte das Hegemonialregime der Symmetrie, da es die Kosten und Lasten höchst ungleich verteilte. Sichtbar wurde hier abermals der alte Nord-Süd-Konflikt de Hemisphäre: Die Nordamerikaner versprachen sich von energischen Polizei- und Militäreinsätzen in den Erzeugerländern entscheidende Vorteile; die Lateinamerikaner interessierte Wirtschaftshilfe als Prämie für eine Regimeteilnahme. In der Tat waren die Kosten des „Drogenkrieges“ für die betroffenen Länder außerordentlich hoch. Wie schon bei den counter insurgency-Programmen der 60er Jahre entstand die manifeste Gefahr, daß eine Militarisierung der Gesellschaft gefördert wird, die die Militärmacht auf Kosten der zivilen Gesellschaft stärkt. Darüber hinaus warf die direkte Teilnahme nordamerikanischer Streitkräfte die Frage der Bewahrung nationaler Souveränität in der Verfolgung der Drogenmafia auf und stellte die Legitimation der _______________ 431 Stephen D. Krasner: „Structural causes and regime consequences: regimes as intervening variables“, in: Ders. (Hg.): International regimes, Ithaca 1983, 1-21, 2 160 jeweiligen nationalen Regierungen in Frage. Unklare Marinemissionen der USA zur Unterbindung der Schmuggelrouten, die Kolumbien wiederholt eine Seeblockade fürchten ließen, sowie der Anspruch der USA auf eine exterritoriale Rechtsanwendung, bei denen nicht einmal mehr der Anschein eines gemeinsamen Vorgehens gewahrt blieb, provozierten das Nationalgefühl und den Souveränitätswillen von Bevölkerung und Eliten der lateinamerikanischen Länder. Bei derartigen Konflikten gewann die OAS als Mittlerinstanz eine neue Bedeutung, in deren Rahmen z.B. Kolumbien und die USA im Jahr 1988 eine Verständigungslösung erreichten.432 Die Vereinigten Staaten „entdeckten“ die OAS, um ihrem Ziel einer – von vornherein freilich aussichtslosen – multinationalen Drogenbekämpfungseinheit näher zu kommen. Der US-Kongreß forderte im „Omnibus Drug Act“ von 1988 die Exekutive auf: „[…] to make every effort to initiate diplomatic discussions through the Organization of American States aimed at achieving agreement to establish and operate a Western Hemisphere anti-narcotics force; and sensitive to the legitimate concerns of other member nations of the Organization of American States, the United States stands ready to provide […] ressources to support the establishment and operation of such an narcotics force, but believes that the personnel for such a force should be provided by those nations facing the most serious threat from drug trafficking organizations.“433 Es war auch im internationalen Verbund der OAS, daß die USA erstmals offiziell eine Mitverantwortung für das Drogenproblem anerkannten. Der Titel des im April 1986 verabschiedeten Aktionsprogrammes von Río nannte “Angebot“ und „Nachfrage“ als die beiden Seiten der einen Medaille.434 Das seinem Inhalt nach wenig konkrete OAS-Programm bildete immerhin den Aktionsrahmen für die Interamerikanische Kommission zur _______________ 432 433 434 Permanent Council: „CP/RES. 493 (724/88): Cooperation in the fight against narcotics trafficking“, OEA/Ser. G, CP/RES. 493 (724/88), 15.01.1988; David Johnson: „O.A.S. adopts rule to battle trafficking in drugs“, New York Times, 17.01.1988, sec. 1, 10 „Section 401 [of] Public Law 100-690 („Anti-Drug Abuse Act of 1988“)“, in: United States Code, 1988 Edition, Volume 9, Washington 1989, Title 22, § 2291. Siehe auch Richard Sandza: „The drug wars: a multinational force?“, in: Newsweek 111 (18.04.1988) 16, 35 Specialized Inter-American Conference on Drug Trafficking: „Inter-American Program of Action of Rio de Janeiro against the illicit use and production of narcotic drugs and psychotropic substances and traffic therein“ (CEIN/Doc. 22/86 rev. 3), enthalten in: OEA/Ser. P/XVI.0.2, 17.12.1986, Vol. I, Appendix, 29-34 161 Kontrolle des Drogenmißbrauchs (CICAD), die 1987 ihre Arbeit aufnahm.435 Auf eine verstärkt um Kooperation werbende Strategie mußte die BushRegierung nach der für Lateinamerika schockierenden US-Invasion in Panama vom Dezember 1989 umschalten, mit der zum einen das strategische Sicherheitsinteresse am Panamakanal zum Ausdruck kam, und zum anderen mit dem Diktator Noriega ein führender Kopf des internationalen Drogenhandels gefaßte wurde. Auf dem „Andengipfel“ von Cartagena (Kolumbien) im Februar1990 einigten sich die USA als das Land mit dem höchsten Kokainkonsum zum ersten Mal mit den beiden wichtigsten Kokaproduenten, Peru und Bolivien, und dem größten Kokainfabrikanten, Kolumbien, auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Drogenbekämpfung. Die wegweisende „Erklärung von Cartagena“436 war die Basis eines umfassenden Langzeitprogramms, in welchem Wirtschaftshilfe und Drogenbekämpfung eng miteinander verknüpft werden sollten. Die Kooperation der Andenstaaten bei repressiven Maßnahmen und gleichzeitiger alternativer Entwicklung der Koka-Anbaugebiete durch Erntesubstitutionen sollte mit Wirtschaftshilfe aus den USA abgegolten werden, und nicht mehr wie vordem im engen bilateralen Rahmen mit Pressionen erzwungen werden. Eine solche enge Verbindung von Wirtschaftshilfe und Drogenbekämpfung war von Lateinamerika seit langem gefordert worden. Auf einem erweiterten „Drogengipfel“ im Jahr 1992 in San Antonio, zu dem Ecuador, Mexiko und Venezuela stießen, gelang es den Andenländern erneut, den USA wichtige Konzessionen abzuringen. Unterstützt von der Regierung Kolumbiens hatte US-Präsident Bush verstärkter Repression, d.h. regioal abgestimmten Polizei- und Militäraktionen das Wort geredet. Peru und Bolivien stemmten sich gegen einen Einsatz von US-Soldaten in ihren Ländern und lehnten auch die Idee multilateraler Militäreinheiten ab. In ihrem Sinne wurde ein Kompromiß gefunden, wonach Programme zur Wirtschaftshilfe und zur Durchsetzung des Rechts sowie zur alternativen Entwicklung der Kokaregionen gegenüber reinen Repressionsmaßnahmen Vorrang haben sollten. Nach dem Verhandlungserfolg sprach Boliviens Präsident Paz Zamora von „multilateraler Bruderhilfe“, welche eine gefürchtete _______________ 435 436 Alberto Quiroga G.: „La OEA y el control de drogas“, in: Américas 39 (1987) 3, 55; I[rving] G. Tragen: „Co-operation of countries within the Organization of American States to combat drug problems“, in: Bulletin on Narcotics 39 (1987) 1, 57-60 Dokumentiert in: Permanent Council: „Declaration of Cartagena signed by the Presidents of Bolivia, Colombia, Peru and the United States of America on February 15, 1990“, OEA/Ser. G, CP/INF. 2965/90, 20.02.1990 162 „multilaterale Sturmtruppe“ ersetze, ohne die Souveränität der einzelnen Länder zu verletzen.437 Parallel zu den minilateralen „Drogengipfeln“ kam auch die multilaterale Koordination der regionalen Drogenbekämpfung durch die OAS voran. Die Interamerikanische Kommission zur Kontrolle des Drogenmißbrauchs (Comisión Interamericana para el Control del Abuso de Drogas, CICAD) verstand es, den von ihrem Statut als „technisch unabhängige“ Agentur her gegebenen Gestaltungsspielraum zu nutzen. Selbstverständlich war dies nicht, denn gemessen an dem volltönend mit „Alliance of the Americas against Drug Traffic“ betitelten OAS-Ministertreffen war die Ausstattung von CICAD höchst bescheiden.438 Zu den Aufgaben von CICAD gehörte es, den Drogenkomplex politisch zu evaluieren, wobei die Kommission wohlgemerkt keine übernationalen Exekutivbefugnisse besitzt. Technisch hat sie den OAS-Staaten mit Informationen und Expertise zu dienen, wozu neben der Unterhaltung einer Datenbank (mit Unterstützung Japans) Aufklärungskampagnen und regionale Trainingszentren für nationales Strafverfolgungs- und Justizpersonal gehören. CICAD entwickelt außerdem modellhafte Regularien, wie jene zur wirksamen Kontrolle des Marktes von chemischen Hilfsstoffen für die Drogenherstellung (chemical precursors), die bereits von zwölf Staaten in ihre nationale Gesetzgebung übernommen wurde. Solche zur Sanktionierung von Geldwäscherei und zur Schließung der Lücken bei der gegenseitigen Rechtshilfe sind in Vorbereitung. CICAD hat sich damit den Ruf professioneller Kompetenz erworben.439 Die Arbeit dieser regionalen Drogenkontrollkommission unterstreicht einmal mehr den Dienstleistungscharakter der OAS. Nicht nur dadurch haben sich die Voraussetzungen für die Ausbildung eines umfassenden multilateralen Regimes der regionalen Drogenbekämpfung unter dem Dach der OAS seit Anfang der 90er Jahre entscheidend gebessert. Eine Reihe weiterer günstiger Faktoren sind hier zu nennen: _______________ 437 438 439 „Amerikanische Allianz gegen Kokain und Heroin“, Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe), 01./02.03.1992, Nr. 50, 3; 4 Meeting of Ministers in the Illicit Use and Production of Narcotic Drugs and Psychotropic Substances and Traffic Therein – Alliance of the Americas against Drug Traffic: „Declaration and Program of Ixtapa“, OEA/Ser. K/XXVIII.2.1, RM/NARCO/Doc. 29/90 rev. 1, 20.04.1990 Abraham F. Lowenthal: „The Organization of American States and control of dangerous drugs“, in: Drug policy in the Americas / Peter H. Smith (Hg.), Boulder 1992, 305-313, 311 163 (1) (2) Die lateinamerikanischen Länder dürfte es bei ihren Souveränitätssorgen kooperationsgeneigter stimmen, daß die Clinton-Administration die militärische Dimension der Kongreßmehrheit stark reduziert. Regierung und Kongreßmehrheit versprechen sich offensichtlich von Hubschrauberattacken auf Kokapflanzungen und Kokainlabors nicht mehr allzuviel. Militärische Repressionsversuche haben in den Andenländern Kosten verursacht, die in keinem Verhältnis zu der ursprünglich erhofften Wirkung ihres Einsatzes standen: Korruption, Macht- und Mittelmißbrauch und vermehrte Verletzungen der Menschenrechte. Solche Maßnahmen waren auch insofern ineffizient, als Störungen des Drogennachschubes nur zu seiner räumlichen Verlagerung geführt haben und gewissermaßen als Prämie auf das erhöhte Risiko gleichzeitig die üppigen Profite der „Drogenbarone“ eskalierten. Die graduelle Abwendung Clintons von der Rhetorik des „Drogenkrieges“ ist der Sache schon deshalb dienlicher, weil dieses zweifelhafte Schlagwort nur naive Erwartungen einer totalen „Lösung“ befördert hatte. Obwohl seine Regierung keine kohärente Drogenpolitik entwickelt hat, erkennt Clinton – was auch sein Vorgänger Bush im Prinzip bereits getan hatte – verstärkt den internationalen Charakter des Drogenproblems und damit die Notwendigkeit multilateral koordinierten Vorgehens an.440 Die Kooperationsbereitschaft der lateinamerikanischen Regierungen steigt mit ihrer rasch wachsenden Betroffenheit und Verwundbarkeit. Nicht zuletzt als Repressionsfolge haben sich Produktion und Schmuggel von Rauschgift epidemieartig über die ganze Region diversifiziert, während sie sich in den 80er Jahren noch vornehmlich auf die Andenländer konzentrierten. Die traditionelle Klassifikation in Produzenten-, Transit- und Konsumentenländer trifft nicht mehr länger zu. Heute gibt es zwischen dem Río de la Plata und dem Río Grande fast kein Land mehr, das nicht Schauplatz des Narkobusiness geworden ist. Dies spiegelt sich wieder in der Erweiterung von CICAD: War sie ursprünglich gemäß ihrer Satzung auf elf Staatenvertreter beschränkt gewesen, so wurde ihre Mitgliederzahl bis 1993 auf 24 erhöht. An die existenzbedrohende Dimension des Drogenproblems wurden die Staaten der Region schließlich durch den überbordenden Drogenterrorismus („narcoviolencia“) in Kolumbien gemahnt. _______________ 440 Raphael F. Perl: „Clinton’s foreign drug policy“, in: Journal of InterAmerican Studies and World Affairs 35 (1993/94) 4, 143-152 164 (3) Ein multilaterales Drogenkontrollregime im Rahmen der OAS bietet den lateinamerikanischen Ländern, die während der Reaganund Bush-Jahre das „Gesetz des Handelns“ ganz den USA überlassen hatten, den Vorteil, dessen Spielregeln nunmehr mitbestimmen zu können. Die USA können deshalb anders als bei einer unilateral aufgenötigten bilateralen „Kooperation“ mit höherer Regimekonformität rechnen. Ein Vertrauensvorschuß für die OAS selbst dürfte den Vereinigten Staaten heute leichter als früher fallen, da der neue OAS-Generalsekretär César Gaviria vor seiner Amtsübernahme im August 1994 als Präsident Kolumbiens sich bei der Drogenbekämpfung am engsten auf eine Zusammenarbeit mit den USA eingelassen hatte. Freilich sind auch Probleme zu erkennen, die die Kooperation im Rahmen der OAS nächstens erschweren werden und eine weitere Regimeevolution hemmen könnten. Sie ergeben sich daraus, daß das Arsenal der Mittel zur Drogenbekämpfung vorläufig erschöpft zu sein scheint. Das betrifft auch die wohl wegen ihrer einfachen Grundidee ursprünglich als Wundermittel angesehenen Substitutionsprogramme zur Umstellung der Kokapflanzungen auf andere landwirtschaftliche Produkte. Sie waren gerade unter Kooperationsaspekten von den Andenstaaten begrüßt worden, nicht zuletzt weil sie wegen der damit verbundenen Wirtschaftshilfe lukrativ zu sein versprachen. Projekte der alternativen Entwicklung schlugen u.a. deshalb fehl, weil es keine marktfähigen Erntesubstitutionen gibt, die der Landbevölkerung mehr einbringen könnten als der Kokastrauch. Die sogen. „Andenstratgie“ ist damit offenkundig an allen Fronten gescheitert. Aufgrund zunehmender innerer Konflikte hat sich die Regierung Sánchez in Bolivien gegenüber einer Tausendschaft protestierender Koka-Bauern („Marsch für Leben, Koka und nationale Souveränität“) sogar verpflichtet, auf internationaler Ebene eine Entkriminalisierung des Kokablattes einzuleiten. Spannungen mit den USA, die sich auf das abschüssige Terrain einer „Legalisierung“ (mit der einige europäische Staaten bereits lokal experimentieren) nicht vorwagen können oder wollen, sind damit vorgezeichnet. Trotz der seit Beginn der 90er Jahre insgesamt eher günstigen Bedingungen für die weitere Entwicklung eines multilateralen, interamerikanischen Drogenkontrollregimes wird die Regimeeffizienz sich in Zukunft angesichts der schieren Größe und Komplexität des Drogenproblems nur mit der Mikrometerschraube messen lassen. Eine auch institutionelle Stagnation mit der Praxis des „muddling through“ ist nicht auszuschließen. Als Fazit läßt sich somit sagen, daß der festgestellte breite Funktionsverlust der OAS im Sachbereich „Sicherheit“ durch neue Aufgabenstellungen partiell ausgeglichen wird, die sich auf unkonventionelle Sicherheitsgefährdungen beziehen. 165 VII. Verbreiterung des OAS-Multilateralismus 1. Diffusion der traditionellen Polarität zwischen Lateinamerika und den USA Die durch die OAS hervorgebrachten „policies“ in den drei Sachbereichen Sicherheit, Wohlfahrt und Herrschaft sind hier bisher als Ergebnis des Ringens der lateinamerikanischen Staatengruppe und der USA um Ziel- und Funktionsbestimmung der Organisation machtstrukturell interpretiert worden. Es ging m.a.W. um die politikfeldspezifische Macht- und Gegenmachtbildung im stark asymmetrischen Interamerikanischen System. Jüngere und jüngste Entwicklungen, die über den – einer straffen Argumentation zuliebe unvermeidlich schematisch gezeichneten – Antagonismus zwischen „Lateinamerika“ und en USA hinaus zu einer zunehmenden Heterogenität und einer Verbreiterung des hemisphärischen Multilateralismus geführt haben, geben Anlaß, die Dimension „Mitgliedschaft“ und die multistaatlichen Entscheidungsprozesse („politics“) in der OAS genauer in das Blickfeld der Untersuchung zu rücken. Dabei zeigt sich, daß die OAS „multilateraler“ geworden ist. Den einschneidendsten Wandel in der OAS hat wohl der Beitritt von einem Dutzend anglophoner Kleinstaaten der Karibik bewirkt. Damit hat sich die Zusammensetzung der Mitgliedsstaaten hinsichtlich Größe, Bevölkerung und Status in der regionalen Hierarchie enorm aufgefächert. Vom Unterschied der Sprache abgesehen, sind die anglophonen karibischen Staaten von den hispanoamerikanischen Ländern in Tradition und politischer Kultur sehr verschieden. Traditionell auf das schwierige Verhältnis zu dem „Koloß im Norden“ fixiert, sehen sich die hispanoamerikanischen Staaten nunmehr mit einem Asymmetrieproblem eigener Art konfrontiert. Obwohl die karibischen Klein- oder Kleinststaaten zusammen genommen an das politische oder ökonomische Gewicht eines durchschnittlichen südamerikanischen Staates kaum heranreichen, sind sie einzeln im Besitz gleichen Stimmrechts. Das Mißtrauen gilt daher dem Stimmenpotential der nicht selten als ein taktischer Blick agierenden anglophen Karibik, die heute in hohem Maße über Tun und Lassen der Regionalorganisation mitentscheidet. Einen für die weitere Politik- und Programmentwicklung der OAS außerordentlich bedeutsamen Wandel stellt auch die Vollmitgliedschaft Kanadas seit 1990 dar. Mit ihr diffundierte die traditionelle Polarisierung zwischen USA und den anderen Mitgliedsstaaten weiter. Als Mittelmacht und „Handelsstaat“ bildet Kanada die Brücke zwischen den anglophonen und hispanischen Staaten und ist im Vergleich zum „Machtstaat“ USA damit durchaus 166 als ein „Machtzentrum aus eigenem Recht“ anzusehen.441 Kanadas Bedeutung für die Formulierung der Politikinhalte im Rahmen der OAS ist darin zu sehen, daß es Werte wie Demokratie, multikulturelle Toleranz, sozialstaatliche Tradition und eine generelle „new-world adaptability“, denen es innerstaatlich verpflichtet ist, auf die internationale Ebene des regionalen Multilateralismus projiziert und damit die Agenda der OAS akzentuiert und erweitert, was hier in einer ersten Bilanz der kanadischen Mitgliedschaft gezeigt werden soll. Zur Revitalisierung der OAS am Beginn der 90er Jahre hat Kanada wichtige Impulse gegeben. 2. Anglokaribik: Neue Heterogenität im OAS-Multilateralismus Die Ländergruppierung der englischsprachigen Karibik stellt – rechnet man das sich ihr häufig anschließende Surinam hinzu – mittlerweile dreizehn von 34 aktiven Mitgliedsstaaten in der OAS. Der Beitritt des ersten dieser Klein- und Kleinststaaten, Trinidad und Tobago, dem im selben Jahr 1967 noch Barbados folgte, nennt Wilson einen Wendepunkt, der die Entstehung einer “Blockformation“ innerhalb der OAS markiere.442 Offensichtlich ist, daß mit der Erweiterung der OAS um die anglokaribischen Kleinstaaten und dem Beitritt Kanadas 1990 die hispanoamerikanische Prägung der Regionalorganisation verlorengegangen ist. Zu fragen ist jedoch, ob sich mit der Eingliederung einer ganzen Gruppe von Stimmberechtigten tatsächlich ein geschlossener „bloque caribeno anglófono“ in der OAS gebildet hat. Zunächst interessieren die Beitrittsmotive der aus der Konkursmasse der kurzlebigen Westindischen Föderation (1958-1962) hervorgegangenen unabhängigen Kleinstaaten der englischsprachigen Karibik. Trotz ihrer mangelnden historischen und kulturellen Verbindungen mit Lateinamerika drohte den ehemaligen britischen Besitzungen durch die ökonomische und militärische Hegemonie der Vereinigten Staaten im großkaribischen Raum die „Hispanisierung“. Mit der Hinwendung der britischen Patronatsmacht zu Europa und ihrem 1961 noch erfolglos versuchten, dann aber 1972 vollzogenen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erwartete die Commonwealth-Karibik den Verlust ihres wichtigsten Marktes und der Handelspräferenzen. Mit ihrer Unabhängigkeit waren sie „free to _______________ 441 442 Viron P. Vaky: „The Organization of American States and multilateralism in the Americas“, in: Ders.; Heraldo Muñoz: The future of the Organization of American States, New York 1993, 1-65, 33 Larman C. Wilson: „The Caribbean states and international organizations: the United Nations, Organization of American States, and Inter-American Development Bank“, in: The restless Caribbean: changing patterns of international relations / richard Millet; W. Marvin Will (Hg.), New Yoek 1979, 266-283, 273 167 beg anywhere“. Engere Beziehungen zu Kanada, die 1966 auf der „Ottawa Conference of Canada and the West Indies“ geknüpft wurden, boten keinen vollen Ausgleich. Die karibische Freihandelsvereinigung CARIFTA (1968) und die aus ihr 1973 hervorgegangene Karibische Gemeinschaft CARICOM, waren als Ansätze subregionaler Integration noch zu jung. Aus geopolitischen Rücksichten schied das revolutionäre kubanische Entwicklungsmodell als Alternative aus. So waren es vor allem die USA, von denen Marktzugang und Finanzhilfen erwartet werden konnten. Die Entscheidung, der OAS beizutreten, folgte dem historischem Muster der Region – „its record of dependence led the now sovereign states to turn to a nearer, richer and more relevant ´Big-Brother´, given that Britain was a declining power.“443 In dem von Großbritannien hinterlassenen Machtvakuum war demnach ein Wechsel des „Kolonialherren“ unausweichlich. Um jedoch von der wirtschaftlichen Übermacht der ^Vereinigten Staate nicht erdrückt zu werden, suchten die karibischen Mini- und Mikrostaaten ihre Interessen weniger durch bilaterale Arrangements, als vielmehr durch den Beitritt zu einer multilateralen regionalen Organisation zu sichern. Deshalb wandelt Buchanan die These von Connell-Smith ab, wonach die OAS ein Instrument Lateinamerikas zur Einhegung der Macht der USA ist: „Whereas in the OAS, the Latin Americans perceived it as a way of controlling military intervention, now in a sense Commonwealth Caribbean nations are attempting to use the multilateral forum of the OAS to protect themselves from the economic power of the U.S.“444 In einer Fallstudie, die zugleich eine der seltenen Arbeiten zum außenpolitischen Entscheidungsprozeß von Entwicklungsländern darstellt, hat Ince den OAS-Beitritt des „Vorreiters“ Trinidad und Tobago näher untersucht. Sie bestätigt, daß dem unter den Bedingungen einer Einparteienherrschaft vom dominanten Premierminister Eric Williams verfügten Beitritt die beschriebenen wirtschaftlichen Motive zugrunde lagen.445 Die OAS wurde mithin als ein internationaler Rahmen für die von dieser Ländergruppe im ersten Jahrzehnt ihrer Unabhängigkeit verfolgte Entwicklungsstrategie der „industrialization by invitation“ nach dem Vorbild Puerto Ricos gesehen. _______________ 443 444 445 Neville Linton: „The OAS and the English-speaking Caribbean“, in: Bulletin of Eastern Caribbean Affairs 3 (1977-78) ¾, 19-24, 22 Basil Victor Buchanan: Commonwealth Caribbean countries and the Organization of American States, Washington, D.C., American University, Ph.D. thesis, 1976, 11 Basil A. Ince: „Leadership and foreign policy: decision-making in a small state: Trinidad and Tobago’s decision to enter the OAS“, in: Issues in Caribbean international relations / Basil A. Ince; Anthony T. Bryan; Herb Addo; Ramesh Ramsaran (Hg.), New York 1983, 265-295; Buchanan, Commonwealth Caribbean, 52 ff., 62-64, 70 ff. 168 Für einen OAS-Beitritt hatten die karibischen Inselstaaten nicht nur ein längerfristiges, sondern auch ein unmittelbares ökonomisches Motiv. Die OAS war die Schleuse zur Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB). Allein Mitglieder der OAS hatten damals das Recht zur Kreditaufnahme bei der regionalen Entwicklungsbank. Diese Klausel entfiel später, so daß der Bank auch Guyana (1976) und die Bahamas (1977) angehören konnten, die noch nicht Mitglieder der OAS waren. Spielte zum Zeitpunkt des Beitritts der ersten anglophonen Karibikstaaten der Zugang zu den Mitteln der Allianz für den Fortschritt noch eine große Rolle, so ist es heute der überproportional hohe Nutzen, den die Kleinstaaten aus den OAS-Entwicklungsprojekten der technischen Zusammenarbeit ziehen. 2.1 Muster von Konflikt und Kooperation Die „new kids on the block“ trafen bei ihren hispanoamerikansichen Nachbarn auf Mißtrauen. Die britischen Karibikkolonien waren als potentielle Mitglieder der OAS nicht einmal eingeplant, obwohl die Gründungsmitglieder der OAS 1948 in Bogotá erklärt hatten: „ it is a just aspiration of the American republics that colonialism and the occupation of American territories by extra-continental countries should be brought to an end“.446 Als die unabhängig gewordenen ehemaligen englischen Kolonien TrinidadTobago, Barbados und Jamaika in die OAS aufgenommen werden wollten, wurde „entdeckt“, daß die Charta von 1948, der alle amerikanischen Staaten durch die Ratifizierung beitreten konnten, keine besondere Aufnahmeprozedur vorsah. Die I. Außerordentliche Interamerikanische Konferenz regelte deshalb Ende 1964 die Beitrittsfrage mit der „Akte von Washington“ übergangsweise, bis durch das „Protokoll von Buenos Aires“ die Charta in Artikel 8 ergänzt wurde. Artikel 8 verwehrte allen Staaten den Beitritt, deren Territorium vor 1964 ganz oder Teilweise Gegenstand eines akuten Territorialstreits eines OAS-Mitgliedes mit einer außerkontinentalen Macht war. Betroffen waren von hispanoamerikanischen Territorialforderungen Britisch-Honduras und Britisch-Guyana, die auf dem südamerikanischen Festland liegen, sowie die Falkland-Inseln. Guatemala forderte, bis Präsident Serrano 1991 die Souveränität Belizes anerkannte, das gesamte Territorium der früheren britischen Kolonie. Venezuela beansprucht mit der Essequibo-Region mehr als die Hälfte des Staatsgebietes von Guyana. Der Ausschluß Kubas und die Ausgrenzung der beiden festländischen englischsprachigen Kleinstaaten durch die OAS machte den beitrittswilligen _______________ 446 Zitiert nach Val T. McComie: „The Commonwealth Caribbean States and the Organization of American States“, in: Anthony T. Bryan (Hg.): The Organization of American States and the Commonwealth Caribbean: perspectives on security, crisis and reform, St. Augustine 1986, 34-51, 46 169 Regierungen der Inselkaribik deutlich, daß nicht alle Länder gleichermaßen willkommen waren. Denn keinem der lateinamerikanischen Staaten war es zuvor wegen anhängiger Gebietsstreitigkeiten verwehrt worden, der OAS beizutreten. Die Staaten der Commonwealth-Karibik mußten zudem irritieren, daß die OAS, die beansprucht, in Konflikten zwischen amerikanischen Staaten zu vermitteln, jeweils eine Konfliktpartei ausgrenzte, statt zur friedlichen Lösung beizutragen. Die Altmitglieder sahen durch die OAS-Neulinge die traditionelle Zusammensetzung der OAS und die „balance of voting“ gestört. Als nach dem Beitritt von Trinidad und Tobago (1967), Barbados (1967) und Jamaika (1969) abzusehen war, daß weitere Mikrostaaten folgen würden, schlug Argentinien sogar vor, mehreren karibischen Kleinstaaten nur eine gemeinsame Stimme zuzugestehen. As aber stand nach den Grundsätzen der Vereinten Nationen im Gegensatz zum Kardinalprinzip der Gleichbehandlung von Mitgliedsstaaten, das auch die OAS zu einem regionalen Universalismus verpflichtete.447 Die hispanoamerikanischen Staaten, die ihre Unabhängigkeit erkämpft hatten, bezweifelten auch, ob die karibischen Kleinstaaten wirklich unabhängig geworden waren, da sie durch die Klammer des Commonwealth und des Sterling-Blockes ihre Bindung an die koloniale Metropole aufrecht erhielten und in den 70er Jahren die Beziehungen zu Europa durch ihre EGAssoziierung im Rahmen der AKP-Staaten verstärkten. Das verstieß gegen den ungeschriebenen Grundsatz „ninguna alianza dentro de la alianza“, zumal die karibischen Neumitglieder der OAS sich dem Beitritt zum kollektiven interamerikanischen Sicherheitssystem entzogen. Einzig Trinidad und Tobago und die Bahamas ratifizierten den Río-Vertrag. Ein weiterer Anlaß des Mißtrauens war es, daß die karibischen Staaten sich mit der Karibischen Gemeinschaft CARICOM ein eigenes außenpolitisches Koordinationsgremium schufen. Die anglophone Karibik als „britischen Block“ und als fünfte Kolonne einer aggressiven „potencia extrahemisférica“ zu denunzieren, wie das die lateinamerikanischen Länder auf dem Tiefpunkt der gegenseitigen Beziehungen im Jahr 1982 taten, war abwegig.448 Während des Krieges im Südatlantik stand zwar Hispanoamerika durchweg auf argentinischer Seite, wohingegen die anglophone Karibik mit der Ausnahme Grenadas die Gewaltanwendung Argentiniens und die Besetzung des strittigen Territoriums als _______________ 447 448 Leslie Manigat: „The Caribbean between global horizons and Latin American perspectives“, in: The Caribbean and world politics: cross currents and cleavages / Jorge Heine; Leslie Manigat (Hg.), New York 1988, 344-356, 350 Roland Ely: „Repercusiones del conflicto anglo-argentino en la Cuenca del Caribe“, in: Mundo Nuevo 6 (1983) 19/22, 74-132, 92 ff. 170 Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker verurteilte. Die Haltung der anglokaribischen Staaten war jedoch weniger der Solidarität mit dem Commonwealth-Mutterland geschuldet, sondern vielmehr der Sorge, Guatemala und Venezuela könnten das Beispiel Argentiniens nachahmen und ihre territorialen Ansprüche ebenfalls im Waffengang durchsetzen. Der im Juni 1982 vom guatemaltekischen Militärmachthaber Ríos Montt bekräftigte Gebietsanspruch auf Belize gab dazu Anlaß. Auf dem CARICOMGipfeltreffen von Ocho Rios im November 1982 erwogen die Teilnehmerstaaten ernsthaft den Austritt aus der OAS und aus dem Lateinamerikanischen Wirtschaftssystem SELA. In den Augen der Lateinamerikaner machten sich die „anglófonos“ auch durch die von den ostkaribischen Staaten ausgegangene Einladung der USA zur Grenadainvasion verdächtig, immer noch als Halbkolonien dem angelsächsischen Imperialismus zu dienen.449 Richtig daran ist, daß die karibischen Staaten niemals die historisch tiefsitzende Phobie der Lateinamerikaner gegen Einmischungen des Hegemons USA teilten und daher in ihrer Außenpolitik von diesem psychopolitischen Komplex nicht befangen sind. Auf Grund ihrer Bindungen an das Commonwealth und Europa waren die anders als die Lateinamerikaner auch nicht so sehr auf das interamerikanische Verhältnis zu den USA fixiert. In diesem Sinne wurde ein karibischer Diplomat mit den gewiß überheblichen Worten zitiert: „We offer them [the Latin Americans] the opportunity of a window to the rest of the world“.450 Der Höhepunkt anglokaribisch-hispanoamerikanischer Polarisierung im Jahr 1982 erneuerte all jene sterotypen Muster gegenseitiger Wahrnehmung, die aus den unterschiedlichen kolonialgeschichtlichen Erfahrungstraditionen, politischen und ethnokulturellen Verschiedenheiten herrührten.451 Die soziokulturelle Grenze, die anfänglich dazu beitrug, daß den karibischen Inselstaaten mit größter Skepsis begegnet wurde, tat sich 1982 zur politischen Kluft auf. Damals ließ sich ein Unterschied diplomatischer Stile und Traditionen beobachten, der die OAS bis heute prägt: „The Caribbeans, inheritors of a British parliamentary system of debate and a concept of majority rule with minority rights, say that they have run head _______________ 449 450 451 Daß die OAS-Generalversammlung 1972 den britischen Antrag auf Beobachterstatus ablehnte, während sie ihn gleichzeitig Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und Israel einräumte, illustriert, wie stark Großbritannien noch als eine der beiden territorialen Interventionsmächte in Lateinamerika gesehen wird. Barbara Crossette: „In the O.A.S., cultural rift“, New York Times, 16.04.1982, A11 Andrés Serbin: „Conflictos, percepciones y divisiones entre América Latina y el Caribe anglófono“, in: Economía y Ciencias Sociales 26 (1987), 35-56, 53 f. 171 on into a Latin clubbishness and a political style in which decisions are agreed to beforehand and then rubberstamped with public theatricality.“452 Gleichwohl liegt den Beziehungen zwischen Anglokaribik und Hispanoamerika ein komplexes „Muster von Kooperation und Konflikt“ zugrunde.453 So entdeckten die Karibikstaaten als kleine, insulare Entwicklungsländer mit hoher Außenabhängigkeit seit den 70er Jahren ihre „tercermundistische“ Interessenübereinstimmung mit den Ländern Lateinamerikas. Sie kooperierten mit ihnen deshalb nicht nur im Rahmen der OAS, sondern schlossen sich darüber hinaus einigen lateinamerikanischen Integrationsagenturen an (z.B. SELA). Die als „Estranjeros a la familia latinoamericana“454 empfangenen englischsprachigen Karibikstaaten traten schon früh recht geschlossen auf. Es lassen sich in der Folgezeit weitere Beispiele für die Kohäsion der anglophonen Karibikstaaten anführen, die bei den hispanoamerikanischen OAS-Mitgliedern die Befürchtung verstärkte, von einem karibischen Block, wenn nicht majorisiert, so doch blockiert werden zu können. Erstmals zeigte sich das 1977 auf der VII. Generalversammlung der OAS in St. George’s, Grenada. Den damals nur fünf Stimmen der Aglokaribik war es zu verdanken, daß gegen die autoritären Regime Lateinamerikas ein von der Carter-Administration eingebrachter Resolutionsentwurf zu Menschenrechtsfragen knapp durchkam, dessen Diktum lautete: „there are no circumstances which justify torture, summary conviction, or prolonged detention without trial, contrary to law.“455 Der US-Vertreter bei der OAS hob die Rolle seiner karibischen Mitstreiter gebührlich hervor: „The Caribbean […] really came through with great colors on this whole issue. The entire time we were there they were a tremendous source of strength when the infighting began and we got down to the nitty-gritty.“456 Die lateinamerikanischen Verdächtigung, sie handelten als Klientelstaaten der USA, scheuten die karibischen Staaten demnach nicht. Daß die In_______________ 452 453 454 455 456 Crossette, In the O.A.S., A11 Anthony T. Bryan: „Commonwealth Caribbean-Latin American relations: emerging patterns of cooperation and conflict“, in: Basil A. Ince (Hg.): Contemporary international relations of the Caribbean, St. Augustine 1979, 56-78 Knowlson W. Gift: „Ex-colonias británicas en el Caribe: orígines de su participación institucional en organos latinoamericanos“, in: Nueva Sociedad (1977) 28, 23-37, 36 General Assembly, VII regular session, St. George’s, Grenada 1977: „AG/RES. 315 (VII0/77): Promotion of human rights“, OEA/Ser. P/VII-0.2, 27.12.1977, Vol. I, 78-79 U.S. Congress, House, Committee on International Relations, Subcommittee on International Organizations: Human rights issues at the seventh regular session of the Organization of American States General Assembly, Hearing, 95th Congress, 1st sess., 13.09.1977, 3 172 teramerikanische Menschenrechtskommission zu Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre einen bemerkenswerten Aktivismus entfalten konnte, welcher auffällig von der allgemeinen Lethargie der OAS abstach, und der 1980 fünf autoritär regierte Staaten sogar mit dem Austritt aus der OAS drohen ließ, verdankt sie nicht zuletzt der Abschirmung durch den karibischen Stimmenblock.457 Gleichzeitig leisteten die akribischen Staaten der Sache der Menschenrechte einen Bärendienst, indem sie auf derselben Versammlung mit ihren Stimmen einen wegen Verletzung der Menschenrechte an Kuba gerichteten, von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission ausgearbeiteten Resolutionsentwurf scheitern ließen. Die Befürworter des Beschlusses (darunter die USA) erlitten erstmals bei einer gegen das CastroRegime gerichteten Resolution der OAS eine Niederlage. Gegen die Verurteilung Kubas traten neben Jamaika, dessen Vertreter die Initiative wegen Kubas Abwesenheit besonders scharf kritisiert, geschlossen die Phalanx englischsprachiger Länder der Karibik auf. Schon im Oktober 1972 hatten die karibischen Commonwealth-Länder auf einer Konferenz in Port of Spain erklärt, daß sie sich nicht an die OAS-Sanktionen gegen Kuba gebunden fühlten und nahmen in einer gemeinsamen Aktion diplomatische Beziehungen zu Kuba auf. Damit zeichnete sich eine Auflösung der Front gegen Kuba ab. Dabei waren die Beziehungen der Inselkaribik zu Kuba nur selten von herzlichem Charakter, wie im Falle Jamaikas und Guyanas unter den jeweiligen Regierungen Manlay bzw. Burnham. Die Ländergruppierung versucht von jeher normale Kontakte mit ihrem kubanischen Nachbarn zu pflegen, ohne dabei die USA übermäßig zu reizen. Das karibische Abstimmungsverhalten kennzeichnete einen wesentlichen Wandel, der vor allem für die USA den immer breiteren Multilateralismus der OAS zusätzlich unberechenbar werden ließ. Es war nämlich „additional evidence that the OAS lineup has changed from one of alliances to one of issues.“458 Denn nicht als ein unverrückbar „monolithischer“, sondern als ein „taktischer“ Block traten die karibischen Staaten in jenen Fällen geschlossen auf, in denen sie ihre Eigeninteressen besonders berührt sahen. So verhinderten die anglokaribischen Staaten mit ihrer Sperriminorität – damals neun von 29 Stimmen – eine allzu einseitige Parteinahme für Argentinien im Südatlantikkonflikt. Ein Erfolg ihrer Geschlossenheit war auch die Streichung des Guayana und Belize diskriminierenden Artikels 8 der OAS_______________ 457 458 Hans-Jürgen Bartsch: „Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes im Jahr 1980“, in: Neue Juristische Wochenschrift 34 (1981) 10, 488-496, 493; „OAS confronting crisis of credibility“, in: Washington Report on the Hemisphere 13 (09.07.1993) 16, 1; 6; 7 Karen DeYoung: „Human-rights motion passes, underlines divisions in OAS“, Washington Post, 23.06.1977, A20 173 Charta im Reformprotokoll von Cartagena de Indias (1985). Sie erreichten, daß beide Staaten nach Ablauf eine rÜbergangsfrist auch ohne die Beilegung der Territorialdispute im Januar 1991 9in die OAS aufgenommen werden konnten. Mit ihrer Hartnäckigkeit hatten sie früher schon erwirkt, daß Guyana 1972 Beobachter bei der OAS und 1976 Mitglied der Interamerikanischen Entwicklungsbank wurde. Das Vorgehen der anglophonen karibischen OAS-Mitglieder bestätigt den aus der Kleinstaatenforschung bekannten Befund, daß internationalistische Strategien Kleinstaaten erkennbare Vorteile versprechen. Internationale Organisationen ersetzen einen nur marginal ausgebauten diplomatischen Apparat und relativieren die eigene politische Bedeutungslosigkeit. Sie dienen der außenpolitischen Behauptung und Aufwertung des Kleinstaates. Jedoch mindert es den Einfluß der Anglokaribik in der OAS, daß trotz des numerischen Stimmenpotentials vor allem Kleinststaaten wegen der ungenügenden personellen und finanziellen Kapazität ihrer OAS-Missionen an einer effektiven Mitwirkung gehindert sind.459 Offensichtlich soll die außenpolitische Abstimmung im Rahmen der CARICOM dieses Defizit ausgleichen: Anläßlich der jüngsten Abfolge von Revisionen der OASCharta gab die Ländergruppe ihre Stellungnahme regelmäßig gemeinsam ab, wobei sie in den entsprechenden Dokumenten der OAS unter der Bezeichnung „CARICOM-Staaten“ firmierte. Die Rolle der englischsprachigen Karibik in der OAS ist demnach ein Beispiel dafür, wie es Klein- und Kleinststaaten durch die Mitgliedschaft in Staatenvereinigungen wie der OAS immerhin gelingen kann, ihre Interessen zu schützen und – in naturgemäß begrenzter Weise – Einfluß auszuüben. Linton resümiert: „In sum then the Commonwealth Caribbean States have contributed to the process of change in the OAS and have been reformist rather than passive members of the regional agency – from this perspective therefore their contribution has been out of proportion to their size and status.“460 Allein numerisch ist es den anglokaribischen Staaten möglich, den Wandel der OAS voranzubringen, da sie das wegen des Erfordernisses der ZweiDrittel-Mehrheit traditionell zähe Ratifikationsverfahren für Amendierungen der OAS-Charta entscheidend beschleunigen können. Feste Allianzen, die bis in die 60er Jahre hinein es den USA erlaubt haben, die OAS weitgehend zu dominieren, sind nicht mehr zu erkennen. Vielmehr lassen Gruppierungen und Umgruppierungen je nach politischer _______________ 459 460 Daß Kleinstaatlichkeit nicht per se ein Hindernis für diplomatische Effizienz sein muß, zeigt das Beispiel des Stadtstaates Singapur. Linton, OAS and English-speaking Caribbean, 26 174 Tagesordnung das multistaatliche Entscheidungsverfahren zunehmend unkalkulierbarer werden seitdem sich die Mitgliederzahl der OAS vor allem durch das Hinzukommen der anglokaribischen Staatengruppe verdoppelt hat. 2.2 Weitere intraregionale Beziehungsmuster Das jüngste Seilziehen um die Nachfolge des brasilianischen Generalsekretärs Joao Baena Soares, dessen Ablösung im Sommer 1994 nach zwei fünfjährigen Amtsperioden fällig wurde, erlaubte einen guten Einblick in das „inner working“ und die intraregionalen Beziehungsmuster innerhalb der OAS. Der Posten ist weitgehend einen Domäne der südamerikanischen Flächenstaaten geblieben, nachdem die USA mit Rücksicht auf die lateinamerikanischen Empfindlichkeiten bisher nie Anspruch auf das Amt erhoben haben. Deshalb lag in den 50er und 60er Jahren die Schwierigkeit darin, daß die von der OAS benötigte Führung – die „hegemoniale Stabilität“ – von den USA kommen mußte, zugleich aber nie sichtbar sein durfte. Dem im Februar 1968 zum OAS-Generalsekretär gewählten ehemaligen Präsidenten Ecuadors, Galo Plaza, wäre die offenkundige Unterstützung Washingtons für seine Kandidatur beinahe zum „Todeskuß“ geworden, bevor er sich im fünften Wahlgang durchsetzte.461 Der intrigenreichen Wahlvorgang 1967/68 ließ bereits drei oder vier Gruppen erkennen, die die Besetzung des Amtes rein regionalen Interessen unterordneten: die Andengruppe, die großen, die zentralamerikanischen und die karibischen Länder. Als Bewerber aus Zentralamerika versuchte 1993 der Außenminister Costa Ricas seine Kandidatur für die Nachfolge Baenas dadurch zu fördern, daß er ein der Europäischen Politischen Zusammenarbeit nachempfundenes und von der Río-Gruppe angewandtes „Rotationsprinzip“ zur gleichmäßigen geographischen Repräsentation in die OAS einführen wollte. Damit stellte Niehaus der Karbik, auf deren Stimmen er baute, die spätere Anwartschaft auf das Spitzenamt in der Organisation in Aussicht. Das Stimmenpaket von CARICOM hatte bereits 1979 eine wichtige Rolle gespielt. Damals konnte der amtierende argentinische Generalsekretär Alejandro Orfila seine fraglich gewordene Wiederwahl nur dadurch retten, daß er seinen guatemaltekischen Stellvertreter überging und als Kandidaten für das Amt des Stellvertretenden Generalsekretärs den angesehenen Diplomaten Valerie T. McComie aus Barbados neu ins Gespann nahm, um die karibischen Stimmen auf sich zu ziehen. McComies nicht unbegründete Aussicht, dem im Jahr 1983 politisch resignierten und wegen eines Skandals _______________ 461 George W. Grayson: „SOS for the OAS“, in: Reporter (30.05.1968), 31-33, 32 175 zurückgetretenen Orfila selbst nachfolgen zu können, zerschlugen sich wegen der hispanoamerikanischen Verstimmung über die anglokaribische Haltung während des Falklandkrieges. 1989 wurde den Christopher Thomas aus Trinidad und Tobago Stellvertretender Generalsekretär und nutzte diese Position, um den karibischen Nachholbedarf bei der Ämterpatronage im OAS-Verwaltungsstab zu befriedigen. Ein Vorschlag neueren Datums, die Kür geeigneter Kandidaten einer Kommission aus Notabeln zu übertragen, ist wenig realistisch, da die USA und andere große Mitgliedsstaaten nicht ohne Not Einflußchancen aus der Hand geben werden.462 Viele lateinamerikanische Länder verfügen außerdem über ein Potential ambitionierter Ex-Präsidenten, die – zu jung für das Altenteil – neue politische Aufgaben vor allem in internationalen Organisationen suchen. Mit Niehaus trat freilich ein durch eigene Leistung kaum ausgewiesener Außenminister an, da er sich als Vertreter der Kleinstaaten präsentierte. Die Unterstützung der meisten größeren Staaten hatte er nicht und die USA mißtrauten ihm sogar.463 Die Vereinigten Staaten favorisierten wegen seiner politischen Statur und seiner Berechenbarkeit den aus seinem Amt scheidenden Präsidenten Kolumbiens, César Gaviria. Gaviria erklärte seine Bewerbung erst im Februar 1994. Der durch seinen Frühstart verschlissene Niehaus verlor an Unterstützung auch im Heimatland, als der neue Präsident Costa Ricas, José María Figueres, den nobelpreiswürdigen Ex-Präsidenten Oscar Arias die Möglichkeit einer Bewerbung ventilieren ließ. In der Wahl am 27. März 1994 setzte sich Gaviria schließlich mit 20 gegen 14 Stimmen sofort im ersten Wahlgang durch. Der unterlegene Außenminister Costa Ricas sprach in einer undiplomatisch aggressiven Stellungnahme von einer „imperialistischen Haltung“ der großen OAS-Staaten (von denen nur Chile und Ecuador für ihn votierten). Vor allem die USA hätten die Regierungen kleinerer Länder unter Druck gesetzt, gegen ihn zu stimmen. Niehaus hatte zweifellos damit recht, daß die Clinton-Administration, deren Lateinamerikapolitik so recht keine Konturen fand, hier hinter den Kulissen massiv Einfluß ausgeübt haben mußte. An den Realitäten der OAS vorbei geht aber der vom Verlierer konstruierte Gegensatz von „Klein-„ und „Großstaaten“. Einen derartigen Interessengegensatz bzw. entsprechende Interessenidentitäten wird man schwerlich identifizieren können. Die beiden „bloques“ der Kleinen (Zentralamerika und CARICOM), mit deren Unterstützung Niehaus gerech_______________ 462 463 Peter Hakim: „For a strong OAS, choose leader wisely“, Christian Science Monitor, 29.04.1993, 18 Während der Falklandkrise hatte Niehaus vorgeschlagen, den Sitz der OAS von Washington nach San José zu verlegen. 176 net hatte, entzweite ausgerechnet eine neue Marktordnung der Europäischen Union, die seit 1993 Mengenquoten für Bananenimporte vorsieht. Als eines der Bananenexportländer der sogen. Dollarzone bekämpft Costa Rica diese protektionistische Regelung. Das bewog wohl einige karibische AKP-Staaten denen die EU im Rahmen des IV. Abkommens von Lomé Handelspräferenzen gewährt, von Niehaus abzurücken. Ein weiteres kam hinzu: Obwohl sich die beiden – trotz geographischer Nachbarschaft fremden – Subregionen dem Wirtschaftsblock NAFTA gegenüber mit dem Ziel einer gemeinsamen Verhandlungsstrategie kooperieren müsse, droht die neu aufgebrochene Belize-Frage das Verhältnis von Karibischer Gemeinschaft und Zentralamerika auch innerhalb der OAS zu belasten. Diese über eine Ämterkonkurrenz hinausreichenden Probleme machen die intraregionalen Konstellationen recht gut sichtbar. Zweifellos werden die fünf zentralamerikanischen Staaten, die krisen- und bürgerkriegsbedingt noch kaum die Möglichkeit hatten, eine subregionale Identität auszubilden, in absehbarer Zukunft dem Weg der anglophonen Karibik folgen und sich als ein taktischer Block in der OAS formieren, um ihre „bargaining power“ zu erhöhen. 3. Politische Steuerung im OAS-Multilateralismus Gemessen an der Vielfalt von anglo- und frankophonen, arabischen und islamischen Ländern, die in der afrikanischen Regionalorganisation OAU zusammengeschlossen sind, ist die Heterogenität der OAS schwächer ausgeprägt. Dennoch gibt es mehrere erkennbare Machtzentren und Gruppierungen, so die Vereinigten Staaten, Kanada, die anglophone Karibik, die Río-Gruppe (Südamerika samt Mexiko) und die kleineren hispanischen Staaten Zentralamerikas und der Karibik. Diese Aufzählung beinhaltet selbstredend keine trennscharfe Fragmentierung; dazu gibt es zu viele Überlappungen und innere Differenzen: Der Río-Gruppe, die sich selbst als „interlocutor“ versteht, von anderen hingegen als politischer Machtblock wahrgenommen wird, fehlt es an einem Kondensationskern bzw. an Führung. Mexikos Interessen liegen nicht selten quer zu denen der Länder des Cono Sur. Brasilien ist wegen seines Gewichts und seiner Größe dem Subkontinent traditionell etwas abgewandt. Venezuelea hat nach dem Abgang seines Präsidenten Carlos Andrés Pérez, dessen außenpolitische Ambitionen sich nicht zuletzt auf eine Wiederbelebung der OAS richteten, erheblich an Einfluß und Initiativkraft eingebüßt. Das multistaatliche Entscheidungsverfahren in der OAS ist infolge der beschriebenen Gruppierungen und Umgruppierungen zunehmend unübersichtlich und weniger vorhersagbar geworden. Ablesen läßt sich das auch an 177 der Tendenz, Themen nicht allzu rasch einer Mehrheitsentscheidung auszusetzen, sondern sie bis zu einer gewissen Kompromißfähigkeit zu verhandeln. Anhand des Demokratieregimes der OAS ließ sich zeigen, daß die ihm zugrundeliegende Programmentscheidung für die repräsentative Demokratie dadurch ermöglicht wurde, daß man vorerst nur schwache Mittel für seine Implementierung wählte und damit die Souveränitätsbedenken etlicher Mitgliedsstaaten beschwichtigte. An diesem konsensoriertierten Vorgehen, das letztlich eine höhere Folgebereitschaft der Mitgliedsstaaten und eine evolutionäre Politikentwicklung in der OAS sicherstellen soll, wird sich die typische „can do“-Mentalität der Vereinigten Staaten stoßen und den Eindruck notorischer Unentschlossenheit der OAS bestätigt finden. Sicher ist, daß die OAS nach wie vor in außerordentlich hohem Maße von Anforderungen und Unterstützungsleistungen der USA abhängig ist, sei es in der Form von Beitragsgzahlungen oder bei der Verleihung von Ordnungsmachtfunktionen (wie anfänglich in der Haiti-Krise). Unter den Bedingungen einer wesentlich verbreiterten und heterogenen Mitgliedschaft der OAS erscheint heute jedoch der Rückgriff auf eine “hegemoniale Stabilisierung“ durch einen Staat (sprich: die USA) oder eine Koalition von Staaten als unrealistisch und für die meisten amerikanischen Staaten unakzeptabel. Abgesehen von den Legitimationsproblemen wären anders als noch in den beiden ersten Jahrzehnten nach der Gründung der OAS die USA heute auch gewiß nicht mehr zu den bedeutenden Vorleistungen bereit, die ein „hegemonic stabilizer“ zu erbringen hat. Das Problem der „großen Zahl“ bei der multilateralen Entscheidungsfindung, das nach verbreiteter Vorstellung nur Kleinstnenner- und Nicht-Entscheidungen (viele strittige Fragen werden in internationalen Organisationen bekanntlich in Ausschüssen begraben!) zuläßt, darf nicht überschätzt werden. Was vordergründig als mechanisches Problem der schwerfälligen Breite des OAS-Multilateralismus erscheint, ist auf eminent politische Interessenkonflikte zurückzuführen. So war die vorerst sanktionsschwache Ausgestaltung des Demokratieregimes dem momentanen Kräfteverhältnis von „Interventionisten“ und „Nichtinterventionisten“ angemessen. Trotz der formal egalitären Verfahren der Entscheidungsfindung sind es vor allem „minilaterale“ Untergruppen von Staaten, die in einem breiten Multilateralismus Entscheidungen vorbereiten und vorantreiben.464 In diesem Sinne erwartet Viron P. Vaky je nach politischer Tagesordnung sich ad hoc formierenden und in der Zusammensetzung wechselnden „steering caucuses“ in der OAS wesentliche politische Steuerungs_______________ 464 Dies belegt an Beispielen globaler Regime der Nachkriegsordnung Miles Kahler: „Multilateralism with small and large numbers“, in: Multilateralism matters: the theory and praxis of an institutional form / John Gerard Ruggie (Hg.), New York 1993, 295-326 178 leistungen.465 Er weist auch darauf hin, daß jenen Mitgliedsstaaten ein Bonus bei den erzielten Kooperationsgewinnen entsteht, die qualifizierte Vertreter entsenden und sich auf die von der traditionellen bilateralen Diplomatie sehr verschiedene „Kunst“ multilateraler Aushandlungsprozesse beherrschen. Darauf versteht sich in besonderem Maße das Neumitglied Kanada. Wie nachfolgend entwickelt wird, füllt Kanada im Sinne von „entrepreneurial leadership“ das infolge des relativen Hegemonieverlusts der USA entstandene Führungsvakuum in der OAS und ist damit seit Beginn der 90er Jahre ein wesentlicher Faktor der Revitalisierung der OAS. 4. Kanada als Katalysator des Wandels der OAS Kanadas Beitritt zur Organisation Amerikanischer Staaten Anfang 1990 lohnt eine gründliche Untersuchung, da Kanada, das der Selbstdefinition nach ein Musterknabe der internationalen Kooperation ist und traditionell den Ruf eines intermediären „helpful fixer“466 genießt, sich für alle Beobachter vollkommen unerwartet einer weithin noch abgeschriebenen Regionalorganisation angeschlossen hat. Es sind deshalb die Faktoren herauszuarbeiten, die zu diesem Beitritt geführt haben, um anschließend zu erörtern, welche Rolle die zweite Industriemacht auf dem Doppelkontinent in den ersten Jahren ihrer Vollmitgliedschaft in der OAS bisher gespielt hat und weiterhin spielen kann. Ottawas Außenpolitik beansprucht auch im Hinblick auf die OAS: „Canada can make a difference“.467 Fachwissenschaftliche und publizistische Stellungnahmen zum Beitritt haben über Kandas mögliche Aufgaben in der OAS räsonniert. McKenna führt allein vier auf: “(1) image-shaper or OAS champion, (2) issueénergizer´, (3) bridge-builder or intermediary, and (4) catalyst for change.“468 Tatsächlich wird zu zeigen sein, daß Kanada vor allem eine maßgebliche Beschleunigerfunktion bei der Fokussierung des Rollenbildes der Organisation zukommt. _______________ 465 466 467 468 Vaky, Organization of American States and multilateralism, 34 Akira Ichikawa: The „helpful fixer“: Canada’s persistent international image, Toront 1979 (Behind the headlines; 37/3) Canada. [Department of] External Affairs and International Trade: Canada’s first year in the Organization of American States: implementing the strategy for Latin America, Ottawa, January 1991, 12 (Hervorhebung im Original) Peter McKenna: „Canada and the OAS: opportunities and constraints“, in: The Round Table 327 (1993), 323-339, 329 179 4.1 Kanada und die OAS bis 1989 Im Gesamtrahmen kanadischer Außenpolitik hat der OAS-Beitritt natürlich nicht die säkulare Bedeutung, die Kanadas Beteiligung an dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA zukommt. Beide Vorgänge markieren jedoch gleichermaßen den allmählichen Prozeß einer “Kontinentalisierung“ der kanadischen Außenpolitik.469 Ebenso wie der Freihandelspakt kontinentalen Ausmaßes stellt auch die formale Integration Kanadas in das interamerikanische System eine Hinwendung zum Kontinentalismus im Sinne eines starken Bezuges auf die Vereinigten Staaten dar. Damit akzeptiert Kanada regionalistische Tendenzen in der sich nach dem Ende der OstWest-Konfrontation neu formierenden internationalen Topographie. Nachdem Kanada im nordatlantischen Zusammenhang seine traditionelle Ausgleichsfunktion zwischen Ost und West verloren hat, bewirkte zweifellos auch die tiefgreifende Wirtschaftskrise eine Rückbesinnung auf den Kontinentalismus. Trudeaus globalitische „Politik der dritten Option“, die das Ziel einer vertraglichen Marktbindung an Westeuropa und die Lenkung weiterer Handelsströme nach Asien verfolgte, unterlag der normativen Kraft des Faktischen. Das wirtschaftlich und politisch asymmetrische Beziehungsmuster mit den USA erwies sich als letztlich unaufhebbar – für Kanada in Nordamerika wie für Lateinamerika auf dem südlichen Halbkontinent. Die späte Anerkenntnis der realen Außenhandelsverflechtung und -abhängigkeit im Verhältnis zu den USA modifizierte auch die multilateralen Aktivitäten Ottawas: Die bisherige latente Konfrontationsrolle gegenüber den USA wandelte sich zu einer Beobachterrolle, ohne daß eine Wende zu einem eindimensionalen Bilateralismus stattgefunden hat. Nicht zuletzt der OASBeitritt kann als ein Beleg für die unverminderte internationale Präsenz Kanadas auch unter der (im Oktober 1993 abgelösten) Mulroney-Regierung gelten. Der Schritt Kanadas war insofern eine volte-face, als fast alle Regierungen in Ottawa vier Jahrzehnte lang immer wieder die Gründe dafür dargelegt haben, weshalb ein Beitritt zur OAS mehr Nachteile als Vorteile mit sich brächte.470 Diese Gründe resümierte der Diplomat Richard V. Gorham für seine Regierung 1988 in einer Rede vor der OAS: „These reasons reflect at times financial and budgetary priorities, at times concerns about undertaking additional security responsibilities by adhering _______________ 469 470 Ulrich Fanger: „Kanadas Außenpolitik der 80er Jahre: Kontinentalismus und Internationalismus“, in: Außenpolitik 39 (1988) 1, 89-104 Donat Pharand: „Canada and the OAS: the vacant chair revisited“, in: Revue Générale du Droit 17 (1986) 3, 429-454 180 to the Rio Treaty, at times concern that full membership might subject us to pressures from one side or another or restrict our ability for independent actin and at times concerns that our bilateral relations with individual Latin American or Caribbean countries, or with the United States, might suffer because of positions that we, as newcomers in the Organization, might take in an effort to make it more effective, as many of our friends in the OAS have suggested we would. The simple fact is that there has never been a national consensus in Canada in favor of joining. For all of these reasons, successive governments in Canada have concluded we should not seek membership.“471 Das zentrale Bedenken lief stets darauf hinaus, daß Kanada zwischen Baum und Borke geraten könnte: „Canada, as a member of OAS, would find itself in an awkward position on many issues, having to take sides with, or against, the United States“.472 Die Frage der OAS-Mitgliedschaft war vermutlich das am längsten ungelöste Einzelproblem kanadischer Außenpolitik überhaupt, bis im Jahr 1989 ein später Schlußstrich unter Kanadas attent6istische Haltung gegenüber dem Beitritt gezogen wurde, die der heutige liberale Premierminister Jean Chrétien Anfang der 80er Jahre auf die treffende Formel „a definite maybe“ gebracht hatte. Eigentlich bestand auch im Jahr 1989 für eine Entscheidung weder ein unmittelbarer Anlaß noch eine Notwendigkeit. Dem Beitritt ging keine öffentliche oder parlamentarische Debatte voraus, zumal die Regierung Mulroney die „OAS-Frage“ in ihrer ersten Amtsperiode (1984-1988) so gut wie nicht angesprochen hatte. Deshalb erschien es vordergründig als eine überraschende Kehrtwende, als Premierminister Brian Mulroney am 27. Oktober 1989 auf dem kontinentalen Präsidententreffen in Sank José aus Anlaß der 100-Jahr-Feiern der costaricanischen Demokratie den Beitritt seines Landes zur amerikanischen Staatenorganisation ankündigte. Ungewöhnlich rasch wurde die formelle Ratifikation der OAS-Charta vollzogen, so daß Kanada der OAS seit dem 8. Januar 1990 als 33. Mitgliedsland angehört. Mulroney sagte während des Gipfels, seine Regierung sei sich bewußt, daß der OAS Verbesserung dringend not tun würde, und Kanada wolle als Vollbürger Amerikas an einer Perfektionierung der Organisation mitwirken. Die Frage einer Mitgliedschaft Kanadas in den Vorläuferorganisationen der OAS datiert noch vor den Ersten Weltkrieg, obwohl Kanada zum Eintritt _______________ 471 472 Consejo Permanente: Acta de sesión ordinaria celebrada el 7 de septiembre de 1988“, OEA/Ser. G, CP/ACTA 750/88, 07.09.1988, hier: [Richard V. Gorham:] „Exposición del Observador Permanente del Canadá sobre las relaciones de su país con la Organización de los Estados Americanos“, 3-12, 11 John D. Harbron: Canada and the Organization of American States, Washington, D.C. 1963, 22 181 in die Union Amerikanischer Republiken eigentlich nicht qualifiziert war, da es weder eine Republik noch von Großbritannien vollkommen unabhängig war.473 Als während der Interamerikanischen Konferenz von Montevideo 1933 einige lateinamerikanische Staaten, darunter Mexiko, den Wunsch signalisierten, Kanada möge sich der Panamerikanischen Union anschließen, erschien ein kanadischer Beitritt unter dem Gesichtspunkt formaler Souveränität bereits weniger problematisch. Mit dem Westminster-Statut von 1931 hatte das nordamerikanische Dominion das Recht zu selbständiger Außenpolitik errungen. Dennoch verschloß sich Kanada dem Angebot. Erst im Rahmen der intensivierten kontinentalen Verteidigungszusammenarbeit während des Zweiten Weltkrieges ventilierte Kanada vorsichtig sein Interesse, 1942 an dem interamerikanischen Konsultationstreffen in Río teilnehmen zu wollen. Dem stand aber das überkommene Mißtrauen der USA und ihres Präsidenten Roosevelt entgegen, Kanada sei womöglich ein strategisches Vehikel für das Einflußstreben des britischen Empire in der Westlichen Hemisphäre.474 Bei der Gründung der OAS im Jahr 1948 wurde immerhin die Nomenklatur mit Rücksicht auf Kanada geändert. Die Bezeichnung „Organisation Amerikanischer Staaten“ ersetzte den bisherigen Namen „Union der Amerikanischen Republiken“, um den Beitritt anderer Staaten, vor allem Kanadas, zu ermöglichen, die nicht unter den staatsrechtlichen Begriff der „Republik“ fielen.475 Während der 50er Jahre war es jedoch für Kanada als Gründungsmitglied der Vereinten Nationen ausgeschlossen, der Regionalorganisation OAS beizutreten. In dieser Phase des kanadischen Internationalismus galt, daß die ihrem Charakter nach partikulare und in kanadischer Sicht zudem von den USA beherrschte Organisation der puristischen Idee des Universalismus widersprach, deren prominenter Fürsprecher ja gerade der kanadische Außenminister und spätere Premier Lester B. Pearson war. Holmes resümiert die kanadischen Motive: „On Canada´s part, the persistent difficulty lay in our weariness of neutralism before the war and of regionalism after the war.“476 Es bedurfte erst eines funktionalen, arbeitsteiligen Regionalismus, wie z.B. der Contadora-Initiative, um das _______________ 473 474 475 476 Douglas G. Anglin: United States opposition to Canadian membership in the Pan American Union: a Canadian view“, in: International Organization 15 (1961) 1, 1-20, 2 John W. Holmes: „Canada and Pan America“, in: Journal of Inter-American Studies 10 (1968) 2, 173-184, 179 Connell-Smith, Inter-American System, 198 Holmes, Canada and Pan America, 179. Mit „Neutralismus“ kennzeichnet der Autor die isolationistische Grundhaltung der Vereinigten Staaten in der Zwischenkriegszeit. 182 „Canadian prejudice against regionalism“ abzubauen.477 Der erste „antikommunistische“ Einsatz des interamerikanischen Systems im Jahr 1954 in Guatemala tat ein übriges, um Kanadas damalige Abneigung gegen die OAS zu vertiefen, a er das Nichtinterventionsprinzip der OAS ebenso desavouierte wie die Rolle der Universalorganisation der Vereinten Nationen als Friedenshüter. Die interamerikanische Maxime „try the OAS first“ entpuppte sich als ein Mittel der unilateralen Einflußnahme der USA im Kalten Krieg. In den 50er und 60er Jahren, die als das „goldene Zeitalter“ der OAS gelten, war Kanada demzufolge in keiner nennenswerten Weise am interamerikanischen System beteiligt. In den beiden letzten Jahren der an sich anglo- bzw. europhilen Diefenbaker-Regierung (1957-62) kam es erstmals zu einer lebhafteren Debatte über die OAS-Mitgliedschaft. Außerdem begannen die USA, welche die finanzielle Bürde der OAS mit der einzigen anderen Industriemacht auf dem Doppelkontinent teilen wollten, Kanada zum Beitritt zu ermuntern. Die Debatte klang jedoch ab, als Kuba, zu dem Kanada beste Beziehungen pflegte, 1962 aus der OAS ausgeschlossen wurde und sie verstummte schließlich infolge der Intervention der Dominikanischen Republik 1965 für etliche Jahre. Erst im Rahmen der internationalen Profilierung Kanadas unter der Trudeau-Exekutive wurde die „OAS-Frage“ erneut geprüft. 1970 veröffentlichte das Außenministerium in Ottawa eine Art Strategiepapier mit dem Titel „Foreign Policy for Canadians“. Kanadas Interesse an verstärkten Beziehungen mit Lateinamerika wurde darin bekräftigt, es wurde aber auch gefragt, ob gerade die OAS zu diesem Ziel den besten Weg darstelle. Die Frage wurde auf die Alternative zugespitzt, der OAS beizutreten oder „drawing closer to the Inter-American System and some of its organizations without actually becoming a member of the OAS.“478 Obgleich das Weißbuch die Zukunftsperspektiven der OAS wohl aufgrund der damals gerade erfolgten und noch zu erwartenden Beitritte karibischer Staaten insgesamt recht optimistisch einschätzte, wiederholte es die hergebrachten Bedenken Kanadas gegenüber der Regionalorganisation, so die Implikationen einer Ratifikation des Río-Paktes, indem Kanada z.B. nach Artikel 8 mit Zweidrittel-Mehrheit auf kollektive Maßnahmen – wie zuletzt die „Quarantäne“ Kubas – hätte verpflichtet werden können. Das Regierungspapier kam hinsichtlich der angestrebten intensiveren Beziehungen mit Lateinamerika zu folgendem Schluß: _______________ 477 478 John Holmes: „The new agenda for Canadian internationalism“, in: Canada and the New Internationalism / John Holmes; John Kirton (Hg.), Toronto 1988, 12-23, 14 [Canada. Department of External Affairs:] Foreign policy for Canadian. [Bd. 4:} Latin America, Ottawa, Ont. 1970, 20 183 „It may be that, at a certain point in time, a Canadian Government will conclude that Canada could best foster this purpose [of developing closer relations with Latin America] by joining the OAS. In the meantime, Canada should draw closer to individual Latin American countries and to selected inter-American institutions, thus preparing for whatever role it may in future be called upon to play in the western hemisphere and gaining the experience which is indispensable in a complex milieu which few Canadians yet know very intimately.“479 Die kunstfertige kanadische Diplomatie schuf also aus der schlichten Alternative, der OAS entweder beizutreten oder aber ihr fernzubleiben, eine dritte Möglichkeit, die von beidem etwas enthielt. Die Regierung Trudeau entschied sich dafür, den Status eines Beobachtermitgliedes der OAS zu wählen und Mitglied einzelner interamerikanischer Agenturen zu werden. Der Status eines Ständigen Beobachters (Permanent Observer) bei der OAS wurde Kanada zusammen mit Guyana, Israel und Spanien am 2. Februar 1972 verliehen. 1971 wurde Kanada Mitglied der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO), 1972 trat es dem Inter-American Institute of Agricultural Cooperation und der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) bei. Die Vollmitgliedschaft in der regionalen Entwicklungsbank war das sicherste Indiz für Kanadas Hinwendung zum interamerikanischen System: „ Because the membership of the IDB is almost identical to that of the OAS, this multilateral link provided an important testing-ground for gauging the degree of Canada´s diplomatic influence regionally with the states of Latin America.“480 Daß Kanada zuerst die Mitgliedschaft in der IDB anstrebte, unterstrich zugleich den Vorrang seiner wirtschaftlichen Interessen in der karibischen Einflußzone. Weshalb startete Kanada sein interamerikanisches Engagement ausgerechnet in einer Phase von Erosionserscheinungen und eines Bedeutungsverfalls der OAS? Der erste Schritt zur Mitgliedschaft in der zunehmend polarisierten OAS paßte in Trudeaus Suche nach einer „Third Option“ kanadischer Außenpolitik. Ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung war die Organisation zum Schauplatz massiver Unzufriedenheitsbekundungen Lateinamerikas geworden – und hatte damit für Kanada das Stigma verloren, durchgängig von den USA dominiert zu sein. Diese Polarisierungstendenz bestärkte Trudeau, der in den 70er Jahren die These von einem relativen Niedergang der US-Hegemonie vorwegzunehmen schien, noch bevor sie in der akademischen Debatte der 80er Jahre zur Mode wurde, in der Hoffnung, _______________ 479 480 Ebd., 24 (Hervorhebung im Original) James John Guy: „Canada joins the OAS: a new dynamic in the inter-American system“, in: Revista Interamericana de Bibliografía 39 (1989) 1, 500-511, 502 f. 184 kanadischer und lateinamerikanischer Nationalismus könnten zum beiderseitigen Nutzen konvergiere. Zugleich erlaubte es der gewählte Beobachterstatur Kanada, dabei den Hauptkontroversen in der OAS zu entgehen. Man konnte wohl den Stoßseufzer der Erleichterung im Außenministerium in Ottawa förmlich hören, als man während der Falkland/Malwinen-Krise still im Hintergrund bleiben konnte und nicht als OAS-Mitglied, bildlich gesprochen, zwischen Hammer und Amboß geriet. Der Vorsitzende der „Canadian Association of Latin America and the Caribbean“ drückte eine von vielen kanadischen Entscheidungsträgern geteilte Überzeugung aus, als er feststellte: „I believe Canada does enjoy the best of both worlds. It is an observer. It is there. It is participatory behind the scenes to the extent that it wants to be“.481 Das Ziel intensivierter Beziehungen mit Lateinamerika wurde in den 70er Jahren weitgehend erreicht, ohne daß die geweckte Aufmerksamkeit der kanadischen Öffentlichkeit an den Vorgängen in Lateinamerika (Sturz Allendes 1973, Sieg der Sandinisten 1979) mit einem Interesse an der OAÄS selbst einherging. Während der 70er Jahre wurde Kanada, u.a. von US-Präsident Carter, mehrfach angetragen, ihr als Vollmitglied beizutreten. Die Beitrittsfrage wurde vom kanadischen Unterhaus in den Jahren 1981 und 1982 im Zuge einer generellen Bestandsaufnahme der Beziehungen Kanadas zu Lateinamerika und der Karibik erneut geprüft. Der eingesetzte Unterausschuß empfahl mehrheitlich die Vollmitgliedschaft in der OAS, obwohl keiner der angehörten Experten sich dafür ausgesprochen hatte und sein in sich widersprüchlicher Abschlußbericht feststellte: „In general the Organization of American States is not now a particularly effective instrument for the promotion of Canadian foreign policy purposes.“482 In Kontrast zu der mit dem Regierungsantritt von Trudeau verbundenen Zäsur änderte sich durch den Wechsel zur Regierung Mulroney an der Haltung der OAS gegenüber zunächst einmal nichts. Während der ersten Amtsperiode der konservativen Mulroney-Exekutive (1984-88) rangierte, abgesehen von der zentralamerikanischen Subregion, Lateinamerika auf der _______________ 481 482 Hugh Roach, bei einer Parlamentsanhörung: Canada. House of Commons. Standing Committee on External Affairs and National Defence. Subcommittee on Canada’s Relations with Latin America and the Caribbean. 32 Parl., 1st sess., Minutes of Proceedings and Evidence, 15.07.1981, Issue No. 11, 11:23 Canada. House of Commons, Standing Committee on External Affairs and National Defence, Sub-committee on Canada’s Relations with Latin America and the Caribbean: Final report to the House of Commons – Canada’s relations with Latin America and the Caribbean. 32nd Parl., 1st sess., 28.10.1982, Minutes of Proceedings and Evidence, Issue No. 78, 78:19. Beitrittsempfehlung 78:22 und abweichende Voten 78:27 ff. 185 außenpolitischen Prioritätenliste der neuen Regierung recht weit unten. Die außenpolitische Energie wurde vollkommen von dem 1988 abgeschlossenen bilateralen Freihandelsabkommen mit den USA und von der anstehenden Neubestimmung der Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungshilfepolitik absorbiert. Die OAS geriet darüber in Vergessenheit und fiel schließlich sogar in Ungnade. Der Ende 1987 zum Ständigen Botschafter bei der OAS ernannte Richard V. Gorham versah das Amt nicht länger am Sitz der OAS in Washington, D.C., sondern nunmehr von Ottawa aus. Dieser mit den Haushaltskürzungen von 1986/87 begründete Schritt muß zugleich als ein deutliches Signal an die Adresse der OAS gewertet werden. Wie zur Beschwichtigung erhielt Gorham den präzedenzlosen, aber sogleich nach seiner Ablösung 1990 wieder abgeschafften Rang eines „Roving Ambassador to Latin America“. Die Mulroney-Regierung ging damit bis hart an die Grenze einer Kündigung des Beobachterstatus, um ihre Verdrossenheit zu demonstrieren. Die kanadische Kritik an der OAS äußerte Gorham in seiner bereits zitierten Ansprache vor dem Ständigen Rat der OAS im September 1988. Der Botschafter bemängelte unverblümt die „very low priority being given to the Organization by its own members. And we cannot but wonder to what extent the member nations fully believe in and support the Organization which they so often urge us to join.“483 4.2 Kanadas OAS-Beitritt 1990 Es bleibt daher die Frage zu klären, weshalb nur dreizehn Monate später die kanadische Regierung ohne jeden innenpolitischen oder internationalen Druck den auf den ersten Blick überraschend erscheinenden Schritt zur Vollmitgliedschaft in der OAS unternahm. Eine Einordnung des OAS-Beitrittes in die Leitprinzipien der kanadischen Außenpolitik ist bereist skizziert worden. Wichtig ist noch festzustellen, daß der Beitritt Kanadas und sein damit erhobener Anspruch auf Mitbestimmung im interamerikanischen System eines jener multilateralen Gegengewichte ist, die sich Kanada zusätzlich zu der von einem Machtungleichgewicht geprägten Sonderbeziehung zu den Vereinigten Staaten schaffen muß. Ein wichtiges Mittel zu dem Zweck, im bilateralen Verhältnis das Übergewicht Washingtons abzumildern, war stets die Betonung multilateraler Foren, wie die Vereinten Nationen, das Commonwealth, die NATO, die OECD, die „großen Sieben“ der führenden Wirtschaftsmächte, die KSZE und die internationale Frankophonie. Kanada, das zuweilen als der „größte Kleinstaate der Welt“ apostrophiert wird, schafft sich in Staatenver_______________ 483 Gorham, Exposición, 11 f. 186 einigungen wie der OAS ein gewisses multilaterales Gleichgewicht oder verleiht damit der wachsenden Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten wenigstens einen angenehmeren Anstrich. Der Schritt Kanadas zur Vollmitgliedschaft in der OAS ist bei näherer Betrachtung keineswegs die abrupte, voraussetzungslose Entscheidung gewesen, als die sie Ende 1989 vordergründig erscheinen mochte. Vielmehr ist der Beitritt, und das soll hier nachgewiesen werden, der Kulminationspunkte einer zwei Jahrzehnte dauernden, langsamen und schrittweisen Eingliederung Kanadas in das interamerikanische System. Die eigentliche Zäsur ist im Jahr 1970 auszumachen, als von der Regierung Pierre Trudeau im Rahmen des Strategiepapiers „Foreign Policy for Canadians“ die Lateinamerikapolitik neu vermessen und ausgerichtet wurde. Darin wurde anvisiert, daß Kanada sein Verhältnis zum Subkontinent durchaus im bestehenden Rahmen eines „selektiven Bilateralismus“484 konsolidieren und intensivieren solle, indem es sich auf die Ländergruppe der Karibik und auf die erdölexportierenden regionalen Vormächte Mexiko und Venezuela sowie auf Brasilien, dem damals größten einzelnen Markt für Kanadas Warenausfuhr, konzentrierte. Um durch den traditionellen Bilateralismus nicht auch auf selektive Handlungsmöglichkeiten eingeengt zu werden, sollte Kanada den Vorstellungen Trudeaus zufolge darüber hinaus die multilateralen Bindungen durch die Beobachtermitgliedschaft in der OAS als einem „ersten Schritt“ zur Vollmitgliedschaft ausprägen. Als Premier Trudeau während seiner vielbeachteten Lateinamerikareise 1976 vor einem venezolanlischen Publikum erklärte, Kanada sei „very much a participant in the inter-American system“485, so war dies kaum übertrieben. Von 1949 bis 1971, also bis zum Erwerb des offiziellen Beobachterstatus, hatte Kanada Vertreter zu über 120 interamerikanischen Zusammenkünften entsandt, wobei es aber konsequent Diskussionen über Sicherheits- und Verteidigungsfragen auswich.486 Seit 1972 agierte Kanada dann als ein „acive observer“, indem es eigens einen Botschafter bei der OAS akkreditierte und entsprechend eine Ständige Vertretung einrichtete. Komplettiert wurde das Engagement Kanadas durch seine Mitwirkung in verschiedenen Sonderorganisationen der OAS und vor allem durch seine Vollmitgliedschaft in der Interamerikanischen Entwicklungsbank seit 1972. Kanada kam _______________ 484 485 486 Robert Jackson: „Canadians foreign policy and the Western Hemisphere“, in: Governance in the Western Hemisphere / Viron P. Vaky (Hg.), New York 1983, 119-134, 127 Zitiert nach D. R. Murray: „The bilateral road: Canada and Latin America in the 1980s“, in: International Journal 37 (1981/82) 1, 108-131, 110 Stephen J. Randall: „Canada and Latin America: the evolution of institutional ties“, in: A dynamic partnership: Canada’s changing role in the Americas / Jerry Haar; Edgar J. Dosman (Hg.), New Brunswick, NJ 1993, 27-43, 30 187 dabei entgegen, daß der Beobachterstatur auf Grund der einladenden, weil kaum formalisierten Bestimmungen der OAS mit der Ausnahme des Konsultativtreffens der Außenminister die Teilnahme an allen Sitzungen der Räte der OAS erlaubt. Der Impetus der Lateinamerikapolitik Trudeaus, der sich auch aus der frankokanadischen „Latinité“, der kulturellen und linguistischen Affinität der Provinz Quebec zu Lateinamerika, speiste, ging zwar vorübergehend verloren. Dennoch rückte Kanada in der Dekade der 80er Jahre politisch näher an Lateinamerika heran. Ausschlaggebend waren hierfür die auch auf das kanadische Bankensystem durchschlagende Verschuldungskrise des Subkontinents und vor allem die zentralamerikanische Krise seit 1981. Nicht zuletzt aufgrund des innenpolitischen Drucks von seiten der Solidaritätslobby sah sich die Regierung Trudeau veranlaßt, nach anfänglichem Zaudern der Politik der Reagan-Administration in dieser Krisenregion entgegenzuwirken.487 Kanada steuerte dabei einen unabhängigen Kurs, der ihm internationale Geltung in der Region verschaffte. Beispielsweise steigerte es nach dem US-Embargo gegen Nicaragua sogar noch seinen Handel mit diesem Land. Genauso hatte Kanada seit den 60er Jahren trotz der Wirtschaftsblockade seine Handelsbeziehungen zu Kuba stetig ausgebaut und im Verein mit Mexiko damit ein Minimum an kubanischer Einbindung in die Westliche Hemisphäre erhalten.488 Der am Ost-West-Gegensatz ausgerichteten Machtpolitik der Vereinigten Staaten und ihrer indirekten Teilnahme an den regionalen Bürgerkriegen setzte Kanada, ähnlich den europäischen Staaten, eine nichtmilitärische Politik mit Außenhandelscharakter entgegen, die potentielle Verbündete der Sowjetunion abwerben sollte. Kanada agierte hier international als typischer Handelsstaat mit einem klaren „bias to business“.489 Da es die Krisenursachen in den Faktoren Armut und soziale Ungerechtigkeit, mithin in der Nord-Süd-Dimension und nicht im sowjetischen Revolutionsexport verortete, verstärkte Kanada ohne politische Konditionen seine Entwicklungshilfeleistungen an alle Länder Zentralamerikas und der Karibik. An diesem Kurs änderte sich auch nach der Wahl des Konservativen Brian Mulroney (1984) nichts, obwohl er explizit mit dem Ziel angetreten war, im Rahmen einer bilateralen Kontinentalismus (Freihandelsabkommen _______________ 487 488 489 Victor Huard: „Quiet diplomacy or quiet acquiescence? Canadian foreign policy in Central America since 1945“, in: Canadian Journal of Latin American and Caribbean Studies 13 (1988) 20, 103-136 Maurice Dupras: „Canada and the OAS“, in: International Perspectives (January – February 1984), 15- 17 Richard Rosecrance: The rise of the trading state: commerce and conquest in the modern world, New York 1986 188 mit den USA 1988) den Schulterschluß mit den USA zu suchen .Sein Außenminister Joe Clark unterstützte bei der Friedenssuche in Zentralamerika nachdrücklich den mit dem Contadora-Prozeß und (nach dem August 1987) mit dem Arias-Friedensplan sich manifestierenden lateinamerikanischen „Ad hoc-Multilateralismus“. Wichtig war dabei die Affinität zu Costa Ricas diplomatischen Initiativen, die vollkommen den alten internationalistischen Idealen Kanadas entsprachen. Der kanadische Außenminister kam über seinen argentinischen Amtskollegen und persönlichen Freud Dante Caputo überdies in einen intensiven Dialog mit der lateinamerikanischen Río-Gruppe, die im Oktober 1989 in der „Erklärung von Ica“ Kanada aufforderte, durch einen Beitritt der OAS zu einer „größeren politischen Bedeutung“ zu verhelfen.490 Der lateinamerikanische Multilateralismus m Gefolge der zentralamerikanischen Krise muß, obwohl er die OAS unterlief, als der entscheidende Schubfaktor des Beitritts Kanadas zur OAS gesehen werden.491 Das Zusammenwirken mit diesen informellen oder formellen multilateralen Foren außerhalb der OAS ließ Kanada spüren, daß der ursprünglich so komfortalble OAS-Beobachterstatus nunmehr zu eng geschneidert war. Er beschränkte Kanadas Profilierungsmöglichkeiten auf nachrangige, eher technische Aspekte und reduzierte seine politisch-diplomatischen Kontakte auf eine niedrige Ebene, indem es bei den OAS-Generalversammlungen nur als Beobachter, nicht aber durch seinen Premier- oder Außenminister vertreten war. Darüber hinaus sind eine Reihe von OAS-internen Faktoren zu nennen, die den kanadischen Beitritt unmittelbar angestoßen haben, weil sie Kanada eine günstigere Prognose für die Zukunft der Regionalorganisation vermittelten. Noch im Herbst 1988 – es sei an die zitierte Rede Forhams vor der OAS erinnert – bedrohte eine schwere Finanzkrise die schiere Existenz der Organisation und sie schien selbst von ihren Mitgliedern aufgegeben worden zu sein, da außer Trinidad und Tobago bis dahin kein weiterer Staat das Reformprotokoll von Cartagena de Indias ratifiziert hatte. Als Mulroney ein Jahr später den Beitritt ankündigte, war zwar kein dramatischer Wandel zu erkennen, dennoch zeigten sich Tendenzen zum Besseren: Die Río-Gruppe hatte in der „Erklärung von Uruguay“ erneut zur Stärkung der OAS aufgerufen, das Protokoll von Cartagena zur Revision der OAS-Satzung war in Kraft getreten, und einige Mitgliedsländer begannen ihre Beitragsrückstände _______________ 490 491 Mecanismo Permanente de Consulta y Concertación Pol´tica, Tercera Cumbre Presidencial [Ica, Perú, 11 y 12 de octubre de 1989]: „Declaración de Ica“, in: Integración Latinoamericana 15 (1990) 153, 64-69, 67 Brian J. R. Stevenson: „Entering the inter-American system: Canada and the OAS in the 1990s“, Kingston, Ont. [1991?], Typoskript, 42 f. 189 auszugleichen. Die reformiere OAS-Charta brachte Kanada darüber hinaus in Zugzwang, da sie zum Dezember 1990 Belize und Guyana den lange verwehrten Beitritt ermöglichte und Kanada mit der Ausnahme Kubas dann als das einzige Land in der Westlichen Hemisphäre zurückgeblieben wäre, das nicht der OAS angehörte. Die kanadische Regierung führte ebenfalls die gewachsene Interdependenz zwischen Nord und Süd in der Westlichen Hemisphäre an, so die Schuldenkrise und die transnationale Drogen- und Umweltproblematik. Die damit einhergehende Aufwertung multilateraler Problembearbeitung hat die Entscheidung für einen Beitritt somit grundsätzlich gefördert. Innenpolitische Gründe dürften für Mulroneys Entscheidung hingegen kaum eine Rolle gespielt haben. Die kanadische Öffentlichkeit war in dieser Frage skeptisch oder bestenfalls indifferent. In der Presse wurden die altbekannten Argumente für oder gegen den OAS-Beitritt wiederholt. Die Haltung der einflußreichen humanitären und kirchlichen Organisationen, die sich mit Lateinamerika befassen, war ambivalent. Sie sahen die OAS nach wie vor als einen Büttel der Vereinigten Staaten. Die Regierung warb deshalb um ihre Zustimmung mit der Ankündigung, zusätzlich bestimmten OAS-Agenturen und Sonderorganisationen beitreten zu wollen, die für das Engagement dieser Gruppen Ansatzpunkte boten, so der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, der „Inter-American Commission on Women“ und dem „Inter-American Indian Institute“. Schließlich war noch wichtig, daß Kanada wie die meisten karibischen Staaten zuvor schon Mitglied der OAS werden konnte, ohne in die kollektive Pflicht des Sicherheitspaktes von Río genommen und damit der Gefahr unerwünschter Verwicklungen ausgesetzt zu werden, wie z.B. im Falkland/Malwinen-Konflikt. Die Frage, ob Kanada rechtlich oder zumindest doch moralisch verpflichtet sein würde, sich diesem Beistandsvertrag und damit einer weiteren Militärallianz neben NATO und NORAD anzuschließen, lag jahrzehntelang als ein bedeutendes Hindernis auf dem Weg Kanadas in die OAS. Eine solche Bindung an den Río-Pakt wäre der kanadischen Öffentlichkeit nicht zu vermitteln gewesen und kam für Mulroney deshalb auch nicht in Frage. Er stellte 1989 in Sank José abschließend klar, der Río-Vertrag sei „inconsistent with our tradition and objectives“.492 _______________ 492 „Canada to join the OAS: Mulroney pledges new relationship“, Globe and Mail, 28.10.1989, A1 190 4.3 Kanada als „issue-energizer“ der OAS Die Integration Kanadas als Protagonist im multilateralen interamerikanischen System war, wie gezeigt wurde, eine graduelle Entwicklung, die 1970 eingeleitet wurde und knapp zwei Jahrzehnte später im Beitritt Kanadas zur OAS resultierte. Der konservative Premier Mulroney führte damit das vom Liberalen Trudeau begonnene profilierte Auftreten Kanadas in internationalen Gremien fort. Der verspätete OAS-Beitritt war mithin keine Zäsur, sondern der Schlußpunkt seiner graduellen Integration in diese Staatenorganisation. Durch das Ende des Kalten Krieges und durch die Redemokratisierung in Lateinamerika war für Kanada zudem der Schritt vom Beobachterzum Vollmitglied der OAS risikoloser geworden. Die Erwartungen an Kanadas Beitritt innerhalb der OAS waren und sind hochgesteckt. Allgemein wird Kanada eine Ausgleichsrolle zwischen den USA und Lateinamerika zugeschrieben. Dabei muß Kanada beweisen, daß es eine dezidiert unabhängige Außenpolitik verfolgt, gleichzeitig aber darauf achten, daß ihm eine solche in Washington nicht verübelt wird: „Membership in the OAS forced Canadian officials to face their country´s foreign policy limitations head-on.“493 Noch während der Gipfelfeierlichkeiten in San José kündigte der Präsident Nicaraguas, Daniel Ortega, den 19 Monate zuvor zwischen Regierung und Contra geschlossenen Waffenstillstand von Sapoá auf und brachte damit die angesetzten Wahlen in Gefahr. Die US-Invasion in Panama war der erste eigentliche Test für Kanadas unabhängiges Agieren in der OAS. Während der neue Botschafter Jean-Paul Hubert am ersten Tag der OAS-Mitgliedschaft Kanadas zusammen mit der OAS-Mehrheit eine Resolution verabschiedete, die die illegale Durchsuchung von Nicaraguas Botschaft in Panama City durch amerikanische Solden kritisierte, rechtfertigte Mulroney die amerikanische Intervention. Gewissermaßen zur Kompensation befürwortete Außenminister Clark die Rückkehr Kubas in die OAS, da „some of the current problems in Latin America could become more manageable if Cuba were brought back into the family of hemispheric nations“.494 Dennoch zeigte die Mulroney-Regierung keine Neigung, für Kuba als Türöffner bei der OAS aktiv zu werden. Ein Parlamentsausschuß hatte der Regierung im Februar 1990 hinsichtlich Kanadas künftiger Rolle in der OAS empfohlen, „[that] as one tangible contribution to getting the country in the hemispheric swim, Canada should work steadily towards the readmission of Cuba to active membership in the _______________ 493 494 Jonathan Lemco: Canada and the crisis in Central America. New York 1991, 48 f. Canada. Department of External Affairs: „Notes for a speech by the Secretary of State for External Affairs, the Right Honourable Joe Clark, to the University of Calgary on Canadian policy to Latin America, February 1990“ 191 OAS.“495 Die Regierung antwortete im Juli 1990, die formale Initiative hierzu müsse aus dem Kreis derjenigen Staaten kommen, die an der Entscheidung beteiligt gewesen seien, Kuba 1962 von der aktiven Mitgliedschaft auszuschließen. Dies ist gänzlich unverändert auch die Position der liberalen Nachfolgeregierung zur Reintegration Kubas als Vollmitglied der OAS: „We favor it but we are not prepared to take the leas.“496 Gleichwohl betont Kanada bei jeder sich bietenden Gelegenheit sein Interesse daran, die nach dem Ende des Kalten Krieges als anachronistisch betrachtete fortdauernde Isolierung Kubas zu beenden. Von Ottawas, das konstant auf eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in Havanna drängt, wird eine multilaterale Einbindung Kubas als weitaus zweckmäßiger angesehen. So stellte Außenministerin McDougall fest: „We look forward to the time when the vision of the founders for the OAS for a universal hemispheric forum can be realized and Cuba will retake its place in the organization as full member of the hemispheric family.“497 Insgesamt erwies sich also, daß Kanada mit der gewohnten Vorsicht ans Werk ging. Die Mulroney-Regierung wollte offensichtlich das Binnenverhältnis zu den USA nicht dadurch belasten, daß sie sich in der Kubafrage zu weit vorwagte. Auch der kanadische OAS-Beitritt fügte sich ja, dies soll noch einmal unterstrichen werden, in das außenpolitische Programm des Kontinentalismus ein, das zugleich eine engere Anlehnung Ottawas an Washington beinhaltete. Dabei findet Kanadas „continental embrace“ unter Mulroney durchaus seine Entsprechung in der jüngsten Konvergenz wichtiger lateinamerikanischer Staaten im Verhältnis zu den USA.498 Von kritischen Kommentatoren in Lateinamerika und in Kanada selbst wurde Kanadas vorsichtiger Start in der OAS daher erwartungsgemäß als enttäuschend gewertet.499 Es ist absehbar, daß der neue liberale Premier Jean Chrétien, der im Wahlkampf Mulroneys „WashingtonHörigkeit“ aufs Korn genommen hatte, sich auch in der OAS etwas mehr Ellbogenfreiheit gegenüber den Vereinigten Staaten sichern, diese aber in verhältnismäßig „ungefährlichen“ Bereichen demonstrieren, wird. Ein erstes _______________ 495 496 497 498 499 Zitiert nach Richard V. Gorham: „Canada and Cuba: four and a half decades of cordial relations“, in: Cuba’s ties to a changing world / Donna Rich Kaplowitz (Hg.), Boulder 1993, 215-221, 220 Brian Jackson, Ständiger Vertreter Kanadas bei der OAS: „The OAS is moving in the right direction“, in: Washington Report on the Hemisphere 14 (26.01.1994) 5, 2 Canada. [Department of] External Affairs and International Trade: „Notes for a speech by the Honourable Barbara McDougall, Secretary of State for External Affairs, for the meeting of the OAS General Assembly, Santiago, Chile, June 3, 1991“ /Statement 91/30), 1 Larry Rohter: „Latin America finds harmony in convergence“, New York Times, 21.11. 1993, sec. 4:5 James Rochlin: „The evolution of Canada as an actor in inter-American affairs“, in: Millenium 19 (1990) 2, 229-248 192 Beispiel und von einigem symbolischem Wert war die im Juni 1994 angekündigte Wiederaufnahme der offiziellen Entwicklungshilfe Kanadas für Kuba. Für eine grundsätzliche Kontinuität der kontinentalen Harmonie spricht vorerst jedoch, daß der von der Clinton-Administration propagierte „assertive multilateralism“ sich in vollem Einklang mit Kanadas außenpolitischen Prinzipien befindet, wenngleich er nach kanadischem Geschmack, z.B. im Fall der windungsreichen Haiti-Politik der USA, nicht „zupackend“ genug war und Kanada den Exilpräsidenten Aristide von vornherein entschlossener unterstützt hatte. 1991 war eine führende Rolle in der OAS beim Bemühen um eine Lösung der Haiti-Krise für Ottawa im Gegensatz zur Kuba-Frage politisch wie wirtschaftlich wenig kostenträchtig. Washington war sehr damit einverstanden, die OAS mit der Krisensituation zu befassen und lateinamerikanische Regierungen hatten die kanadische hierbei diskret um ihr Engagement gebeten. Auch versprach das entschiedene Eintreten für Aristide sich innenpolitisch auszuzahlen, stellt doch die haitische Diaspora (vor allem in Montreal) ein nicht unbeachtliches Wählersegment dar. Zweifellos wird Québécois Chrétien nach dem Vorbild seines Mentors Trudeau Lateinamerika einen hohen Stellenwert in der Außenpolitik beimessen. Das ideologisch der „Latinité“ verpflichtete Quebec hat vor allen kanadischen Provinzen auch bei handfesten Aspekten wie Handel und Investitionen die engsten Kontakte zum Subkontinent. Der Mulroney-Regierung war vorgehalten worden, ihre Entscheidung für den OAS-Beitritt sei nur die symbolische Ersatzhandlung für eine ansonsten fehlende, umfassend konzipierte Politik gegenüber Lateinamerika gewesen.500 Es hieß, der OAS-Beitritt sei nicht mehr als „a post-free trade initiative to show that Canada could still act independently“. Fügte Kanada der Fülle seiner multilateralen Verpflichtungen bloß einen weitere Mitgliedschaft hinzu, um sich abermals als „the world´s greatest joiner“ zu präsentieren?501 Ein solches Urteil ist nicht angemessen. Dosman stellt hierzu fest: „[…] there is not yet a coherent policy – more a set of partial policies or building blocks.“502 _______________ 500 501 502 Canada.House of Commons. Standing Committee on External Affairs and International Trade: Examination of the ramifications of Canada joining the Organization of American States […]. Appearing: The Right Honourable Joe Clark, Secretary of State for External Affairs. 34th Parl., 2nd Sess., Minutes of Proceedings and Evidence, 08.11.1989, Issue No. 25, 25:22, 25:24; 25:28 David MacKenzie: „‚The world’s greatest joiner‘: Canada and the Organization of American States“, in: British Journal of Canadian Studies 6 (1991) 1, 203-220, 217 Edgar J. Dosman: „Canada and Latin America: the new look“, in: International Journal 47 (1992) 3, 529-554, 529 193 Die Versatzstücke dieser Politik lassen sich in dem breitgefächerten Bündel von Initiativen erkennen, das Kanada in die OAS einbrachte.503 McKennen erkennt bei dem „new kid on the OAS block“ eine „behind-thescenes, consensus-building, pragmatic style of OAS interaction“.504 Es ist dabei zu berücksichtigen, daß Kanadas Engagement auf der multilateralen Szene traditionell zu solider Unauffälligkeit tendiert. Seine multilaterale Diplomatie verzichtet auf spektakuläre Vorstöße mit lauten Fanfaren. Sie ist doppelt charakterisiert „by its consensus ´safety in numbers´ orientation and by its emphasis on detailed and persistent diplomatic work.“505 Trotz dieser vorsichtigen Politik des niedrigen Profils ist Kanada zweifellos in das von den Vereinigten Staaten in den 80er Jahren hinterlassene Führungsvakuum gestoßen. Die kanadische Initiativ- und Katalysatorrolle in der OAS seit 1990 läßt sich der Terminologie von Oran Young folgend als „entrepreneurial leadership“ charakterisieren, die anders als eine etwa den USA zuzuordnende „structural leadership“ ohne das Element der politischen und wirtschaftlichen Dominanz operiert.506 Tatsächlich verharrte Kanada nicht in der Mentalität eines „Ständigen Beobachters“, sondern stützte sich geradezu auf das Thema der Demokratieförderung als dem kanadischen „flagship issue“ in der OAS. Dosman zufolge war Kanada als Außenseiter ohne historischen Ballast prädestiniert, dieses von den USA und wichtigen lateinamerikanischen Staaten zur gegenseitigen Diskreditierung mißbrauchte Thema „democratic development“ glaubwürdig aufzugreifen: „If Canada wanted visibility, it could not have chosen a better subject.“507 Kanada konnte vor allem im Bündnis mit den durch langjährige Militärdiktaturen traumatisierten Länder des Cono Sur die Einrichtung eines „Büros für die Förderung der Demokratie“ (Unit for the Promotion of Democracy) erreiche, dessen gegenwärtiger Exekutivdirektor nicht zufällig ein Kanadier (John W. Graham) ist. Als „issue-energizer“ wandte sich Kanada besonders Problemen regionaler Sicherheit in einem umfassender definierten Verständnis zu. So soll ein „Committee on Cooperative Security“, für das Kanada sich stark macht, _______________ 503 504 505 506 507 Canada. Department of External Affairs: Canada’s first year in the Organization of American States: implementing the strategy for Latin America, Ottawa, January 1991, 4-9 McKenna, Canada and the OAS, 327 Andrew F. Cooper: „Nultilateral leadership: the changing dynamics of Canadian foreign policy“, in: John English; Norman Hillner (Hg.): Making a differencc? Canada’s foreign policy in a changing world order, Toronto 1992 Oran R. Young: „Political leadership and regime formation: on the development of institutions in international society“, in: International Organization 45 (1991) 3, 281-308, 293 ff. Dosman, Canada and Latin America, 543 194 der Prävention neuartiger, nicht traditioneller Sicherheitsrisiken (wie z.B.: Drogen-, Migrations- und Umweltprobleme) dienen und en Interamerikanischen Verteidigungsrat als Relikt des Kalten Krieges längerfristig ersetzen. Kanada schlug vor, diesem die Subsidien zu kürzen und die freiwerdenden Mittel der Inter-American Commission of Women und dem Inter-American Children´s Institute zuzuschlagen. Obwohl Premier Mulroney einen Militäreinsatz gegenüber dem Putschregime in Port-au-Prince nicht völlig ausschließen mochte, wird eine kollektive Rolle der OAS bei militärisch gestützten Friedensoperationen von Kanada offensichtlich nicht gewünscht: „[I]nternational peacekeeping and truce monitoring activity should be left to the U.N.“508 Bei den ersten Vorstößen Kanadas in der OAS zeigte sich gelegentlich seine mangelnde Vertrautheit mit den Verhältnissen in Lateinamerika, das für Kanada historisch eine Terra incognita war. So lancierte Außenministerin McDougall 1991 auf der Generalversammlung in Santiago de Chile eine Abrüstungsresolution, obwohl die Region im Weltmaßstab die am wenigsten hochgerüstete ist, auch wenn die Jahrzehnte der Militärherrschaft einen gegenteiligen Eindruck erzeugt haben. Kanada projiziert eigene Anliegen, wie 1992 mit einer Resolution zur Hochseefischerei, auf die Tagesordnung der OAS, ohne daß diese Themen für die Region derzeit vordringlich sind. Mit dem nachlassenden Neuigkeitswert der OAS-Mitgliedschaft Kanadas dürften solche bisher auto0matisch wohlwollend aufgenommenen Initiativen zukünftig mehr Zurückhaltung begegnen. Die gemeinsame Zielrichtung aller kanadischen Initiativen war es, das politische Profil der OAS zu schärfen, so beispielsweise durch die Einrichtung eines „Office of Political Affairs“, um dem OAS-Generalsekretär für seine Initiativfunktionen nach Artikel 115 der reformierten OAS-Charta zu rüsten, oder auch durch regelmäßige Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs. Die jährliche Generalversammlung soll nach kanadischem Willen hingegen künftig nur noch alle zwei Jahre tagen.509 Der von Mulroney eingeläutete „Neubeginn in unseren Beziehungen zu Lateinamerika“, wie er in San José den OAS-Beitritt nannte, bedeutete keine Verstärkung der aufgewandten Ressourcen. Der Beitritt änderte nichts daran, daß Kanadas diplomatische Repräsentanz in Lateinamerika spärlich ist. Die daraus resultierenden Informationslücken hilft jedoch gerade die OAS mit den potenzierten, multilateralen Kontaktmöglichkeiten zu _______________ 508 509 Richard Gorham: „Canada and the OAS: a commentary“, in: Canada and Latin America, 164-168, 167 Permanent Council: „Note of the Ambassador Permanent Representative of Canada appending a paper summarizing Canada’s views relative to the strengthening of the OAS“, OEA/Ser. G, CP/INF. 2996/90, 07.05.1990 195 überbrücken. Während einige lateinamerikanische OAS-Partner erwartet haben mochten, mit dem Beitritt Kanadas als einem potenten Industrieland der „Siebenergruppe“ würden reichlich Mittel in die Leeren Kassen der OAS fließen, gab sich Außenminister Clark eingedenk des immensen Budgetdefizits im eigenen Land zugeknöpft: „I made it clear that the immediate impact of Canada´s presence would result from the contribution of our political talents rather that changes in the level of aid.“510 Vorläufig unbeantwortet blieb die Frage: „should Canada seek to expand, maintain or reduce the developmental role of the OAS during the longer term?“511 Kanada besteht auf einem Nullwachstum des OAS-Haushalts und beschränkt sich auf seine Beitragszahlung von rund 6,3 Mio. Dollar, wozu 1,8 Mio. extrabudgetäre Mittel für die Entwicklungsaufgaben der OAS kommen. Zusammen mit den USA fordert Kanada auch, die teuren Länderbüros der OAS abzuschaffen, die von den Mitgliedsstaaten vor allem zu personellen Patronagezwecken genutzt werden. Eine selektive Großzügigkeit zeigt Kanada lediglich bei Zuwendungen für zivile Friedens- und Wahlbeobachtungsmissionen der OAS. Auch wenn Kanada versucht6, seine OAS-Mitgliedschaft kostenneutral zu gestalten, verdeutlicht diese erste Bilanz, daß es seine attentistische „Beobachtermentalität“ gegenüber der OAS endgültig abgelegt hat. Mit seinen Initiativen versucht Kanada vor allem, der OAS ein schärferes politisches Profil zu geben. Das rührt an latente Gegensätze in der Regionalorganisation, wie im folgenden zu zeigen ist. 4.4 Kanada und die künftige Rollenbestimmung der OAS Obwohl von Kanadas Mitgliedschaft in der OAS „helpful fixations“ und Stabilisierungsleistungen erwartet werden dürften, akzentuiert seine Position auch Konfliktlinien in der OAS. Daß die „Gringos from the Far North“ bei ihrer Selbstbehauptung stets Wert auf die Verschiedenheit von dem nahe und übergroßen Nachbarn USA legen, ließ sie in Lateinamerika seit jeher als „natürliche“ Verbündete gelten. Diese Sichtweise variiert jedoch: Versprachen sich anfänglich vor allem aufstrebende Regionalmächte wie Brasilien, Mexiko und Venezuela von einer kanadischen OAS-Mitgliedschaft „a sort of extra weight or buffer against what they perceive as possible undeu American pressure“, so erwar_______________ 510 511 Canada. House of Commons, 25:22 David Pollock, bei einer Expertenanhörung: Canada. House of Commons. Standing Committee on Extermal Affairs and International Trade: Examination of the ramifications of Canada joining the Organization of American States. 14th Parl., 2nd sess., Minutes of Proceedings and Evidence, 09.11.1989, Issue No. 26, 26:23 196 teten im Laufe der Jahre „the Costa Ricas and the Panamas […] some sort of buffer not against the United States but against the Brazils and the Mexicos.“512 Die Anglokaribik erwartete in Kanada auf einen starken Bundesgenossen, was wiederum das lateinamerikanische Unbehagen an einem unangemessenen Gewicht des Commonwealth in der OAS nährte.513 Wendet man das Problem positiv, so ergäbe sich nunmehr für Kanada die Aufgabe eines Brückenbauers zwischen den subregionalen ´Blöcken´. Die Reaktion der Vereinigten Staaten auf Kanadas OAS-Beitritt war trotz des „sense of alignment“ zwischen der konservativen Regierung Mulroney und den republikanischen Administrationen Reagan und Bush erstaunlich kühl. Washington erklärte im Oktober 1989 zum bevorstehenden OAS-Beitritt Kanadas in einer Stellungnahme von Zwei Zeilen, es erwarte von Kanada "neue Ideen" für die OAS. Tatsächlich aktualisierten Kanadas „neue Ideen“ latente Konflikte in einem Bereich, der für eine internationale Organisation zentral ist: Es geht um die Definition des Rollenbildes (das „role image“ nach Archer). Für Kanada ist es im Gegensatz zu vielen anderen Staaten selbstverständlich, einer internationalen Organisation in wesentlichen Bereichen eine eigenständige „Akteursrolle“ zuzuschreiben. Unabhängig davon, ob Kanada sich selbst als Mittelmacht bzw. als „principal power“514 versteht, sieht es sich von jeher auf verbindliches Völkerrecht, regelgeleiteten Konfliktaustrag, Interessenausgleich und damit auf „starke“ internationale Organisationen angewiesen. Kanada trägt daher u.a. mit seinem Menschenrechtsaktivismus und seinem Enthusiasmus für die Demokratisierungsfunktion der OAS ein im Sinne dezidierter Handlungsbefugnisse „interventionistisches“ Rollenbild als „Akteur“ an. Es gerät damit jedoch in Gegensatz zu Mexiko, das auf Grund seiner langen geschichtlichen Erfahrung mit Einmischungen der Vereinigten Staaten zwar Kanadas unabhängige Politik gegenüber den USA schätzt, aber ein entgegengesetztes Verständnis von einer „effektiven“ internationalen Organisation hat. Die eigentliche Potenz der OAS besteht für Mexiko darin, daß sie durch ein striktes Nichteinmischungsprinzip auf die Rolle eines regionalen Forums („Arena“ nach Archer) beschränkt bleibt. Mexiko _______________ 512 513 514 Richard V. Gorham, Department of External Affairs, Assistant Under-Secretary, Bureau of Latin America and Caribbean Affairs, bei einer Anhörung: Canada. House of Commons, Standing Committee on External Affairs and National Defence, Sub-committee on Canada’s Relations with Latin America and the Caribbean, 32nd Parl., 1st sess., Minutes of Proceedings and Evidence, 09.06.1991, Issue No. 2, 2:60 Kinda Hossie: „Expectations high for Canadian role in OAS“, Globe and Mail, 26.10.1989, A1; A7 David B. Dewitt; John J. Kirton: Canada as a principal power: a study in foreign policy and international relations, Toronto 1983 197 wünscht sich die OAS als eine Art „Commonwealth“, dem eine gemeinsame, überwiegend „spanische“ kulturelle Prägung den Zusammenhalt verleiht. Die in den 80er Jahren politisch lahmgelegte OAS war paradoxerweise geeignet, diese definsive Strategie Mexikos abzusichern, und erlaubte dem Land eine Wiederannäherung an die OAS.515 Mexiko tat sich mit der u.a. von Kanada vorangetriebenen Reaktivierung der Staatenorganisation deshalb schwer. Es mußte sich beispielsweise gefallen lassen, von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission wegen des Wahlbetruges der Staatspartei angeprangert zu werden.516 Während die OAS in den vergangenen Jahren auf dem Feld der internationale Wahlbeobachtung Meriten sammelte, stellte dies für Mexiko, das bis vor kurzem als einziges Mitgliedsland der OAS keine offiziellen Wahlbeobachter zuließ, eine unannehmbare Einmischung in innere Angelegenheiten dar. Kanada überfordert möglicherweise nicht nur das besonders im Jahr 1994 von den Schockwellen einer gravierenden Modernisierungskrise geschüttelte Mexiko, sondern z.B. auch das um seine staatliche Existenz ringende, autoritär regierte Peru. Kanadas Vorstellungen von relativ selbständigen Ordnungsmacht- und Gestaltungsfunktionen internationaler Organisationen könnten darüber hinaus auch und vor allem n der OAS leicht zu Differenzen mit den Vereinigten Staaten führen, agiert ihnen doch bereist der UN-Generalsekretär zu aktivistisch. Insgesamt kann Kanadas Beitrag zur jüngsten Revitalisierung der OAS sehr hoch veranschlagt werden. Kanada als Exponent eines im Sinne des „entrepreneurial leadership“ (Young) aktiven Multilateralismus agiert dabei nicht als Deus ex machina, sondern beackert – wie bereits dargelegt wurde – einen vom lateinamerikanischen Multilateralismus bereiteten Boden. Kanadas Initiativen in der OAS kommt eine wichtige katalytische Funktion zu, wenn es zukünftig darum geht, das Rollenbild der Organisation zu klären und zu gewichten. VIII. PERSPEKTIVEN DER OAS IN DEN 1990ER JARHREN Der amerikanische Kontinent verfügt mit der OAS als der ältesten Regionalorganisation der Welt über ein einzigartiges multilaterales Kommunikationssystem und eine funktionale Mehrzweckorganisation in den Sachbereichen „Sicherheit“, „Wohlfahrt“ und „Herrschaft“. _______________ 515 516 Ricardo Macouzet Noriega: „México en la OEA: del distanciamiento a la cooperación“, in: Carta de Política Exterior Mexicana 6 (1986) 4, 17-28 Larry Rohter: „O.A.S. cautions Mexicans on election fraud“, New York Times, 04.06.1990, A17 198 Unsere Analyse ergab eine Verschiebung des funktionalen Schwerpunkts der OAS. Vereinfachend zusammengefaßt stellten sich bis in die 70er Jahre hinein die klassischen Probleme der „high politics“, nämlich Konflikte um Fragen der kollektiven bzw. geopolitischen Sicherheit. Dabei führte die einseitige Handhabung der OAS durch die Vereinigten Staaten, die bei der Wahrnehmung ihrer Sicherheitsprärogative die Hegemonialebene stark betonten, zu nachhaltigen Delegitimierungseffekten für die LateinamerikaPolitik der USA und der OAS als Instanz multilateraler Problembearbeitung.517 Die lateinamerikanische Staatengruppe, die die USA auf den Kooperationsaspekt des interamerikanischen Systems festlegen wollte, versuchte die OAS stärker zu einem Resonanzboden für ihre politischen Vorstellungen umzugestalten. Sie traten an die OAS – wie auch die Mehrheit der Entwicklungsländer an die Vereinten Nationen – mit Wohlfahrtsansprüchen heran. Außer der noch traditionell vom Ost-West-Gegensatz motivierten Allianz für den Fortschritt verfolgten die USA aber keine erweiterte Strategie substantieller Legitimationsbeschaffung durch eine Kooperation in Wirtschafts- und Entwicklungsfragen, die einen „spill over“-Effekt für die OAS als politischen Zusammenschluß hätte mit sich bringen können. Der Quid pro quo-Gründungskompromiß der OAS verlor an legitimierender Kraft. Die OAS durchlief in den 70er und 80er Jahren eine sich zunehmend dramatisch entwickelnde Legitimitäts-, Struktur- und Finanzkrise, die zu Ende der 80er Jahre ihr institutionelles Überleben fraglich erscheinen ließ. Ein schwerer Schlag war der Falkland/Malwinen-Krieg, der den formell immer noch bestehenden Río-Pakt zu einem toten Buchstaben machte. Der konfrontative Unilateralismus der Reagan-Administration und die negative Instrumentalisierung der OAS durch Zahlungsverweigerung und selektive Inanspruchnahme schien dem regionalen Multilateralismus vollends die Grundlage zu entziehen. Von einer “generellen Krise des Multilateralismus“ im Regionalsystem konnte aber, das hat die vorliegende Arbeit nachzuweisen versucht, keine Rede sein. Während der 80er Jahren prägte in Lateinamerika ein konzertartiger Ad hoc-Multilateralismus auf „enger“ Basis und in Abkoppelung vom traditionellen interamerikanischen System die Szene. Er führte wider Erwarten nicht zur Ersetzung des „breiten“ Multilateralismus der OAS, sondern gerade zu seiner Revitalisierung in den 90er Jahren. Zum einen war die _______________ 517 Zum Zusammenhang zwischen Legitimationsfunktionen und Legitimität internationaler Organisationen siehe Inis L. Claude: „Collective legitimization as a political function of the United Nations [1966]“, in: Leland M. Goodrich; David A. Kay (Hg.): International organization: politics and process, Madison 1973, 209-221; Jerome Slater, Limits of legitimization in international organizations, 48 ff. 199 "Substitutionskapazität“ homogener Spezialorganisationen zu gering, zum anderen aber vermittelte die von den exklusiv lateinamerikanischen Miniund Multilateralismen (von der Contadora-Initiative bis hin zur Río-Gruppe) ausgehende, innovative Verknüpfung von regionaler Friedenssuche mit dem Redemokratisierungsprozeß auch der OAS eine Überlebensmöglichkeit. Obwohl die Verteidigung der repräsentativen Demokratie schon immer Bestandteil der Resolutionsliturgie der OAS gewesen war, erhielt sie erst seit 1990 zur Konsolidierung des fragilen Redemokratisierungsprozesses Aufgaben im Bereich von „governance“ zugewiesen. Das mit den bahnbrechenden Beschlüssen von Santiago im Juni 1990 installierte „Defense-ofDemocracy“-Regime der OAS verhalf der moribund geglaubten Organisation recht unvermittelt zu neuer Kohärenz und Legitimität, die auch in die anderen Funktionsbereiche abstrahlen, wo sich die OAS neuerdings mit aktuellen Interdependenzproblemen (Umweltfragen, Drogenschmuggel) befaßt, abstrahlt. Die Bäume der OAS im Bereich der Staatsstreichprävention und Demokratiesicherung werden sicherlich nicht in den Himmel wachsen, weil es wegen der hergebrachten souveränitätspolitischen Bedenken vieler Mitgliedsstaaten sanktionsschwach ausgestaltet ist und nur wenige Regierungen das Gewicht der OAS im Sinne einer Akteursqualität vergrößern möchte. Hier könnte die OAS, die eine Funktion des Willens der Mitgliedsstaaten ist, erneut als „ineffektiv“ erscheinen und in den altbekannten Zirkel von Erwartungsüberspannung und –enttäuschung geraten. Das Demokratieregime der OAS dürfte nämlich die entscheidenden Bewährungsproben noch vor sich haben: Nicht zuletzt wegen der immensen sozialen Probleme bricht den zugleich mit den Strukturproblemen des Präsidentialismus kämpfenden lateinamerikanischen Demokratien der Boden weg. Eine weitere Herausforderung in nicht allzu ferner Zukunft könnte von einer „transición“ in Kuba möglicherweise in Form eines Staatszusammenbruchs, ausgehen. Gerade hier wird sich zeigen, ob die durch das Hinzukommen neuer und maßgeblicher Mitgliedsstaaten – die Rolle Kanadas wurde hier ausführlich erörtert – die weniger asymmetrisch, dafür aber „multilateraler“ strukturierte OAS einen Aktionsraum außerhalb der von den USA gesetzten Parametern erhält. Die Dominanz der USA erscheint abgeschwächt. Das Bekenntnis der Clinton-Administration zu einem „zupackenden Multilateralismus“ und die bisher ungekannte Unité de doctrine von Demokratie und Martwirtschaftsmodell in der westlichen Hemisphäre schaffen jedoch zumindest günstige Voraussetzungen für einen Intensivierung der regionalen Kontakte und damit auch für einen Bedeutungszuwachs der OAS. 200 IX. DANKSAGUNG Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Professor Dieter Oberndörfer für Förderung und Freiheit bei der Bearbeitung dieses Themas. Noch während der Anfertigung dieser Dissertationsschrift hat er meine Beschäftigung mit Fragen der Migration und Integration angeregt und mir als Direktor des Arnold-Bergstraesser-Instituts für kulturwissenschaftliche Forschung in Freiburg beste Arbeitsmöglichkeiten geschaffen. Professor Larman C. Wilson von der American University in Washington verdanke ich wertvolle Hinweise. Die dreimonatige Recherche bei der OAS im Jahr 1993 hat der Deutsche Akademische Austauschdienst über das Auslandsamt der Universität Freiburg mit einem Reisestipendium unterstützt. Sehr viel schulde ich auch der Bibliothekarin der OAS (später tätig bei der Botschaft Brasiliens in den USA), Lucília G. Harrington – nicht zuletzt für Ihre Freundschaft. Uwe Berndt 201 X. Sekundärliteratur Acevedo, Domingo E.: “The Haitian crisis and the OAS response: a test of effectiveness in promoting democracy”, in: Lori Fisler Damrosch (Hg.): Enforcing restraint: collective intervention in internal conflicts, New York 1993, S. 119-155. Alisky, Marvin: “SELA, the Latin American Economic System, a new entity outside the OAS”, in: Lewis A. Tempe (Hg.): United States policy towards Latin America: antecedents and alternatives, Tempe 1976, S. 207-217. Andersen, Robert R.: “Unilateralism and multilateralism in a transitional world: lessons of the Arias Peace Plan”, in: Peace & Change 17 (1992) 4, S. 434457. 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