Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS): Von der

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Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS):
Von der Legitimationskrise zur Wiederbelebung
als Regime zur Staatsstreichprävention
Inaugural-Dissertation
zur
Erlangung der Doktorwürde
der Philosophischen Fakultäten
der Albert-Ludwigs-Universität
zu Freiburg i. Br.
vorgelegt
von
Uwe Berndt
aus Augsburg
Die Arbeit ist meinem Vater
in Dankbarkeit zugeeignet.
Referent:
Prof. Dr. Dieter Oberndörfer
Korreferent:
PD Dr. Jakob Rösel
Sprecher:
Prof. Dr. Christian Mair
Tag der Promotion: 07.07.1995
Inhalt
I.
EINLEITUNG
1
1.
Problemstellung
1
2.
Forschungsgegenstand
8
II.
1.
2.
3.
4.
III.
DIE AUSEINANDERSETZUNG ZWISCHEN LATEINAMERIKA UND DEN USA UM DIE FUNKTIONSBESTIMMUNG DER OAS
9
Die OAS als „großer Kompromiß“: Hegemonie und
Kooperation
9
Der lateinamerikanische Versuch einer „organisatorischen
Einkreisung“ der USA
10
Der lateinamerikanische Versuch, die Machtausübung
der USA an Handlungsnormen zu binden (Nichtinterventionsregime)
15
Der lateinamerikanische Versuch einer entwicklungspolitischen Funktionalisierung der OAS
18
FUNKTIONSVERLUSTE DER OAS IN DEN SACHBEREICHEN „WOHLFAHRT“ UND „SICHERHEIT“
20
1.
Frustration der wirtschaftlichen Kooperationshoffnungen
Lateinamerikas
20
2.
Erosion der OAS als Instititution kollektiver Friedenssicherung
23
2.1 Die Periode der Pax Americana bis 1982
23
2.2 Agonie der interamerikanischen Verteidigungspaktes (Río-Vertrag)
35
2.3 „Selektive Multilateralisierung“ von kollektiver
Sicherheit
43
IV.
REAKTIONEN AUF DIE LEGIMITIONS- UND STRUKTURKRISE DER OAS
45
1.
Strukturreformansätze innerhalb der OAS
45
2.
Tendenz zu lateinamerikanischer Multilateralität
außerhalb der OAS
49
V.
FUNKTIONSGEWINN UND NEUE LEGITIMITÄT DER OAS
IM SACHBEREICH „HERRSCHAFT“
54
1.
Die umstrittene gesellschaftspolitische Funktion der OAS
54
2.
Traditionen einer interamerikanischen Demokratiedoktrin
56
Polarität zwischen Interventionsverbot und Demokratieprinzip seit Gründung der OAS
60
3.1 Repräsentative Demokratie nur ein Programmansatz
60
3.2 Die OAS als anti-diktatorische Allianz? Sanktionen
gegen die Dominikanische Republik (1960)
65
3.3 Wandel der Basisideologie der OAS: „Ideologischer
Pluralismus“ statt repräsentativer Demokratie?
68
3.4 Präzedenzfall Nicaragua (1979)
70
3.5 Wiederentdeckung des Demokratieprinzips in den
1980er Jahren
79
3.6 Die gescheiterte Panama-Mission (1989): Kollektiver
Lerneffekt für den Umgang mit Diktatoren
84
Das Defense-of-Democracy-Regime der OAS in den
1990er Jahren
95
4.1 Regimeentwicklung und –elemente
95
3.
4.
5.
4.2 Erklärung der Regimedynamik: Konvergenz von
Demokratie und Multilateralismus
100
4.3 Strukturelle Regimebegrenzung: Der Gegensatz von
„Nichtinterventionisten“ und „Aktivisten“
105
Testfälle für das Defense-of-Democracy-Regime seit 1991
115
5.1 Erfolglose Sanktionen gegen das Militärregime
in Haiti (1991-1994)
115
6.
VI.
5.2 „Weiche“ Reaktion auf den Präsidentenputsch
in Peru (1992)
117
5.3 Erfolgreiche Beilegung der politischen Krise in
Guatemala (1993)
126
Bilanz und Ausblick: Das Defense-of-Democracy-Regime
der OAS als Baustein einer „internationalen demokratischen Ordnung“?
140
RÜCKGEWINN VON AUFGABEN IN DEN SACHBEREICHEN
„SICHERHEIT“ UND „WOHLFAHRT“
147
1.
Regionale Wirtschaftskooperation
147
2.
Interamerikanische Umweltdiplomatie
151
3.
Ansätze eines multilateralen Drogenkontrollregimes
157
VII. VERBREITERUNG DES OAS-MULTILATERALISMUS
1.
2.
165
Diffusion der traditionellen Polarität zwischen Lateinamerika und den USA
165
Anglokaribik: Neue Heterogenität in der OAS
166
2.1 Muster von Konflikt und Kooperation
168
2.2 Weitere intraregionale Beziehungsmuster
174
3.
Politische Steuerung im OAS-Multilateralismus
176
4.
Kanada als Katalysator des Wandels der OAS
178
4.1 Kanada und die OAS bis 1989
179
4.2 Kanadas OAS-Beitritt 1990
185
4.3 Kanada als „issue-energizer“ der OAS
190
4.4 Kanada und die künftige Rollenbestimmung der OAS
195
VIII. PERSPEKTIVEN DER OAS IN DEN 1990ER JAHREN
197
IX.
DANKSAGUNG
200
X.
SEKUNDÄRLITERATUR
201
1
I. EINLEITUNG
1.
Fragestellung
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ist die zentrale zwischenstaatliche Institution des interamerikanischen Systems. Der Begriff des
interamerikanischen Systems wird vielfach als Synonym für die OAS verwandt, erfaßt aber über die eigentliche Regionalorganisation hinaus das
gesamte Beziehungsgeflecht aus Normen, Verträgen, Konventionen sowie
verschiedenen Sonderorganisationen und Kooperationsformen unter dem
Dach der OAS. Die OAS ist als Fokus der kontinentalen Kooperation und
Konfrontation1 und als Gradmesser von Konvergenz und Divergenz2 in den
interamerikanischen Beziehungen aus mehreren Gründen ein lohnender
Untersuchungsgegenstand.
Die OAS ist als Neugründung der „Union der Amerikanischen Republiken“ von 1889/90 die älteste Regionalorganisation. Zu ihr gab es in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kein Pendant. Ihre politisch-militärische
Doppelformel einer Kombination aus politischem Bündnis und Sicherheitspolitischer Zusammenarbeit im Río-Pakt findet sich später in der NATO
wieder.3 Die OAS ist anders als die Organisation der Afrikanischen Einheit
(OAU), für die sie als regionaler Zusammenschluß einen Vorbildcharakter
hatte, eine gemischte regionale Organisation.4 Partner sind die USA und
Kanada (seit 1990) einerseits und andererseits die Staatengruppe, die nachfolgend unter dem Sammelbegriff Lateinamerika zusammengefaßt wird,
obwohl die Unterschiede dieser Länder nach Größe, Ressourcenausstattung
und Entwicklungsstand beträchtlich sind. Diese Verallgemeinerung ist aber
in gewissem Maße zulässig, da sich ein derartiges außenpolitisches Subsystem – allerdings nicht im Sinne eines homogenen Blockakteurs – ausmachen
läßt:
_______________
1
2
3
4
Knud Krakau: „Die Organisation Amerikanischer Staaten als Fokus US-lateinamerikanischerBeziehungen“, in: Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft e.V. Jahrbuch 1979,
Berlin 1980, 148-180.
Larman C. Wilson: „Multilateral policy and the Organization of American States: Latin
American – U.S. convergence and divergence“, in: Harold Eugene Davis; Larman C.
Wilson [u.a.]: Latin American foreign policies: an analysis, Baltimore 1975, 47-84.
E[lliott] Vandevanter, Jr.: A further inquiry into the nature of alliances: NATO and the
OAS, Santa Monica 1968.
J.C. Gautron: „Le régionalisme africain et le modèle interaméricain“, in: Annales
Africaines (1966), 49-86.
2
„The behavior and alignment of state members within the Inter-American
System are based on the Latin American regional consciousness of those
members. Inter-American politics tend to divide member states into
distinguishable camps with ambivalent views toward one another. The basic
division places the United States on one side and all of Latin America on the
other […].5
Jedoch hat sich durch das Hinzukommen zahlreicher anglophoner Kleinstaaten der Karibik und durch den Beitritt Kanadas das bisher hispanische
Erscheinungsbild der Regionalorganisation stark gewandelt und die traditionelle US-lateinamerikanische Polarisierung aufgeweicht. Mittlerweile kreuzen sich in der OAS die Außenbeziehungen von 34 Staaten, was die Komplexität der multistaatlichen Entscheidungsprozesse beträchtlich erhöht.
Die Dominanz der USA in der Regionalorganisation führte dazu, daß der
Staatenzusammenschluß, der aufgrund seiner Zusammensetzung ein Modell
für die Kooperation zwischen Nord und Süd hätte sein können, zum Vehikel
des Ost-West-Konfliktes verkam. Die Bilanz der Organisation war geprägt
von einer anhaltenden Struktur- und Legitimitätskrise, die ihr gehässige
Urteile eingetragen hat.6 Publizistische und wissenschaftliche Äußerungen
zur Krise, zum Scheitern oder zum Tod der OAS waren seit Mitte der
1960er Jahre die Regel.7 Diese jahrzehntelange „Chronik eines angekündigten Todes“ kulminierte Ende der 1980er Jahre in einer akuten Finanz- und
Kassenkrise.8 Die OAS stand vor dem politischen Kollaps.
Erst mit dem Ende der Konfrontation zwischen den Blöcken erlangte der
regionale Multilateralismus eine neue Bedeutung. Im Rahmen der Friedensbemühungen in Zentralamerika übernahm die OAS neben der UNO neue
Aufgaben sowohl bei der Überwachung von Demobilisierung und Reintegration bewaffneter Gruppen als auch bei Wahlen. Der bedeutendste Faktor ihrer Revitalisierung ist jedoch die neuerworbene Legitimität durch ihre
Rolle bei der Aufrechterhaltung der Demokratie in Lateinamerika seit Beginn der 1990er Jahre.
Die bemerkenswerte Überlebensfähigkeit der seit den 1960er Jahren regelmäßig totgesagten OAS stützt eine Annahme des Neoinstitutionalismus
_______________
5
6
7
8
G. Pope Atkins: Latin America in the international political system. Boulder 1989², 204 f.
US-Präsident Lyndon B. Johnson wird folgendes Urteil über die Handlungsfähigkeit der
OAS zugeschrieben: „They couldn’t pour warm spit out of a boot if the instructions were
written on the heel.“ So kolportiert von Sol M. Linowitz: The making of a public man: a
memoir. Boston 1988, 4.
Für einen typischen Titel siehe Benjamin Carrión: „Oración fúnebre por la OEA“, in:
Cuadernos Americanos 24 (1965) 4, 19-35.
Bei einem Jahresbudget der OAS von etwa 60 Mio. US-Dollar beliefen sich allein die
kumulierten Beitragsrückstände der USA auf 48 Mio. Dollar (1990).
3
in der Theorie der internationalen Politik, wonach die Kosten der Auflösung
einer bestehenden Organisation hoch sind und sie leichter zu erhalten als
neu zu schaffen ist.9 Wahrscheinlicher ist die Anpassung einer zur formalen
Hülle verkommenen Institution an neue Aufgaben und ihre Umfunktionierung hierfür. Trotz der Tendenz zu exklusiv lateinamerikanischer Multilateralität ist die OAS letztlich keineswegs irrelevant oder funktionslos geworden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es deshalb, Funktionsverlusten der
OAS auf der einen und ihren Funktionsgewinnen auf der anderen Seite
nachzugehen.
Methodisch geht diese Analyse politikfeldbezogen vor, indem sie Funktion und Zielbestimmung der OAS in den drei Sachbereichen
•
Sicherheit (kooperative Friedenswahrung),
•
Wohlfahrt (wirtschaftliche Entwicklung und Interessenausgleich im
Nord-Süd-Verhältnis, neuerdings auch das Problemfeld Ökologie) sowie
•
Herrschaft (Ideologie, Legitimation, hier vor allem das Problemfeld
Demokratisierung)
untersucht.10 Dabei wird zu zeigen sein, daß sich die Natur der Probleme,
mit denen sich die Organisation konfrontiert sieht, für die beteiligten Staaten
gewandelt und verlagert hat.
Bis in die 1970er Jahre stellten sich die klassischen Probleme von high
politcs: Konflikte um Sicherheit, Frieden, Intervention usw. im Verhältnis
der Mitgliedsstaaten untereinander sowie im globalen Ost-West-Konflikt.
Für diese Konflikte hatte die OAS regionalspezifische Bewertungsmaßstäbe,
Institutionen und Verfahren entwickelt. Dafür steht z.B. das hochverfeinerte
Nichtinterventionsregime im Rahmen der OAS. Dagegen hat die OAS für
die sich seit den 1960er Jahren in den Vordergrund drängenden wirtschaftsund entwicklungspolitischen Probleme keine oder keine wirksamen (Allianz
für den Fortschritt) regionalspezifischen Antworten gefunden (Kapitel II).
Dies hing mit dem global-strukturellen Charakter dieser Probleme (NordSüd-Konflikt, neue Weltwirtschaftsordnung) und der Machtstruktur in diesem Sachbereich (sichtbar an der Zurückweisung der OAS durch die USA
_______________
9
10
Diese Forschungsrichtung hebt hervor, daß das Ergebnis politischer Prozesse zu einem
großen Teil davon abhängig ist, in welchen institutionellen Strukturen sie sich vollziehen
(„institutions matter“). Siehe Otto Keck: „Der neue Institutionalismus in der Theorie der
Internationalen Politik“, in: Politische Vierteljahresschrift 32 (1991) 4, 635-653.
Zu dieser Unterscheidung siehe Richard W. Mansbach; John A. Vasquez: In search of
theory: a new paradigm for global politics. New York 1981; William C. Potter: „Issue areas
and foreign policy analysis“, in: International Organization 34 (1980) 3, 405-427. In die
deutsche Politikwissenschaft wurde sie eingeführt von Ernst-Otto Czempiel: Internationale
Politik: Ein Konfliktmodell. Paderborn 1981, 198.
4
als Forum für den Schuldendialog während der 1980er Jahre) zusammen.
Die Funktionsverluste in den herkömmlichen Politikfeldern Sicherheit und
Wohlfahrt führten zu einer Legitimitäts und Strukturkrise der OAS (Kapitel
III) und provozierten Versuche lateinamerikanischer Selbsthilfe durch neue
und konzertartige multilaterale Institutionen. So übernahm die der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) nachgebildete Río-Gruppe wesentliche Funktionen wechselseitiger Konsultation und Abstimmung. Die
Substitutionskapazität dieser während der 1980er Jahre in Lateinamerika
gebildeten informellen und teilweise minilateralen Koordinations- und Konsultationsgruppen war letztlich nicht so hoch, daß der breite und förmliche
Multilateralismus der OAS zu ersetzen gewesen wäre (Kapitel IV).
Als kooperatives Instrument im regionalen Demokratisierungsprozeß gelang es der OAS seit Beginn der 1990er Jahre, ein wichtiges Feld im Sachbereich „Herrschaft“ zu besetzen. Die von der 21. Generalversammlung der
OAS in Santiago de Chile am 4. Juni 1991 angenommene, vollmundig betitelte „Verpflichtung von Santiago zur Demokratie und zur Erneuerung des
Interamerikanischen Systems“ begründete ein regionales Regime zur Staatsstreichprävention. Die Stärkung der repräsentativen Demokratie und die
Beachtung und Verteidigung der Menschenrechte wurden darin zum politischen Homogenitätsmerkmal erhoben. Dies ist bahnbrechend vor dem Hintergrund des traditionsreichen Prinzips der Nichtintervention der OAS, dem
in nicht geringem Maß eine lange Geschichte unilateraler Interventionen der
USA entsprach. In der am 5. Juni 1991 verabschiedeten, implementierenden
Resolution 1080 („Repräsentative Demokratie“) wurde ein kollektiver
Reaktionsmechanismus installiert, der ein Ad-hoc-Treffen der Außenminister der OAS-Mitgliedsstaaten ermächtigt, binnen zehn Tagen „alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen“, um einen Umsturz in einem Land rückgängig
zu machen. Zum ersten Mal bestimmte damit eine internationale Organisation, daß Mitgliedsregierungen über die Art und Weise ihres Machterwerbs
und Machterhalts der regionalen Gemeinschaft gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Im Dezember 1992 verabschiedete die Generalversammlung
das „Protokoll von Washington“. Die OAS-Charta wurde dahingehend
ergänzt, daß. die OAS-Mitgliedschaft einer Putschregierung mit einer Zweidrittelmehrheit zeitweilig ausgesetzt werden kann.
Dieses „Defense-of-Democracy“-Regime der OAS stellt einen bemerkenswerten politischen Fortschritt dar und soll sowohl anhand von Fallbeispielen als auch im Kontext der Wechselbeziehung zwischen Multilateralismus und Demokratisierung umfassend untersucht und diskutiert werden
(Kapitel V). Wenn multilaterale Institutionen eine zunehmend wichtige
Rolle spielen und der Demokratie als Legitimitäts- und Ordnungsprinzip in
den internationalen Beziehungen und in der Fortentwicklung des Völkerrechts ein immer stärkeres Gewicht erwächst, dann können die Erfahrungen
5
der OAS auch für andere internationale Organisationen wichtige Aufschlüsse bieten.11
Die angestrebte Policy-Analyse richtet sich auf die Politikentwicklungsprozesse in der und durch die Organisation, d.h. auf die Bedingungen, unter
denen sie kollektive Entscheidungen trifft und kollektives Handeln ermöglicht. So sollen z.B. aus dem gegenwärtigen Kräfteverhältnis zwischen den
beiden Lagern der „Nichtinterventionisten“ und der „Aktivisten“ Folgerungen für eine strukturelle Begrenzung der demokratiesichernden Funktion der
OAS gezogen werden. Es geht um die von den jeweiligen Mitgliedsstaaten
vorgenommene Ziel- und Funktionsbestimmung der Organisation. Die
Analyseeinheit ist dabei die Organisation selbst als ein Zentrum von Machtund Gegenmachtbildung.
Nicht angestrebt wird hingegen eine Untersuchung der politikfeldspezifischen Wirkungen der OAS, also die Messung des „Outputs“ und der „Performanz“ der Staatenorganisation. Eine nach der Wirksamkeit bzw.
Leistungsfähigkeit einer internationalen Organisation fragende Analyseperspektive führt leicht zu Verzerrungen und Verengungen. Nicht umsonst
waren Effektivität und Effizienz in der Diskussion um die Krise des Multilateralismus während der 1980er Jahre politische Kampfbegriffe, die von
den USA gegen die Vereinten Nationen ins Feld geführt wurden.12 Der
Output bzw. die Leistungen einer „Vielzweckorganisation“ wie der OAS
sind nicht auf einen Nenner zu bringen. Ihre Ziele und Aktivitäten lassen
sich nicht zu einer widerspruchsfreien Rangordnung aggregieren, weil die
Mitgliedsstaaten über ihre Gewichtung unterschiedliche Präferenzen haben.
Ziele wie etwa „Frieden“ und „wirtschaftliche Entwicklung“ sind selbst zu
vielschichtig, als daß sie sich als „Outputkomponenten“ eindimensional
erfassen ließen.13 Am Beispiel der OAS läßt sich diese Schwierigkeit sehr
gut anhand der unterschiedlichen konzeptionellen Füllung des Sicherheitsbegriffs zeigen: Während es für die USA vorrangig war, den Status quo zu
sichern, war für die lateinamerikanische Staatengruppe gerade dessen Wandel das Ziel, welches sie in die Forderung nach „kollektiver ökonomischer
Sicherheit“ kleideten.
_______________
11
12
13
John Gerard Ruggie (Hg.): Multilateralism matters: the theory and praxis of an institutional
form, New York 1993.
Zur Leistungsfähigkeit des VN-Systems: Politische Kritik und wissenschaftliche Analyse /
Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, hg. Von Klaus Dicke;
Klaus Hüfner, Bonn 1987.
Die innenpolitische Policy-Forschung unterscheidet bei ihrem Wirkungsbegriff deshalb
zwischen den unmittelbaren Politikergebnissen („policy outcomes“) und den nur normativ
zu bewertenden Ergebniseffekten („policy impacts“). Siehe dazu Adrienne WindhoffHéritier: Policy-Analyse: Eine Einführung, Frankfurt 1987, 18 f.
6
Ernst B. Haas hat aus diesen Gründen einen Effektivitätsbegriff eingeführt, der sich auf die Verhaltensmuster der Mitgliedsstaaten bezieht, d.h.
ihre Erwartungen, Interessen und Beziehungen sowie ihren Willen, die multilaterale Institution zu nutzen:
„Effectiveness consists of the ability of member states to use the routines
enshrined in principles, norms, rules and procedures to moderate sucessfully
the conflicts referred to the organizations; it also involves the ability to
persuade members to refer the bulk of their disputes in the organizations
instead of seeking unilateral or bilateral solutions.“14
In diesem Sinne soll z.B. die Konfliktregulierungskapazität der OAS bewertet werden, nämlich als Funktion des Mitgliederwillens: Untersucht wird,
wann und aus welchen Nutzenkalkülen heraus die multilateralen Instrumente
der OAS in Anspruch genommen bzw. wann im Gegenteil ihre Nutzungsintensität abgesenkt wird.
Problematisch wäre es deshalb schließlich, den Output und die Tätigkeit
der Organisation isoliert und in Analogie zu einzelstaatlichen Entscheidungen zu betrachten. Internationale Organisationen sind in aller Regel
keine unabhängigen Akteur-Systeme, sondern lediglich abgeleitete Größen,
die auf ein externes nationalstaatliches Interesse für ihre Aktivierung
angewiesen sind. Clive Archer unterscheidet diesbezüglich drei Rollenbilder
(„role images“) internationaler Organisationen:
•
Arena bzw. Forum,
•
Instrument,
•
Akteur.15
Das Hauptcharakteristikum der OAS ist das einer intergouvernementalen
Arena bzw. eines Forums, in dem die Mitgliedsstaaten auf verschiedenen
Ebenen kommunizieren, ihre Differenzen zu Protokoll geben sowie mit
unterschiedlicher Intensität kooperieren. Diese Arena bereitzustellen, wird
von den beteiligten Staaten offenbar als unverzichtbare Leistung der OAS
angesehen.
Der OAS wurde die allgegenwärtige Instrumentalisierung durch die Hegemonialmacht USA unterstellt – während im Gegenzug die lateinamerikanische Staatengruppe versuchte, durch ein Nichtinterventionsregime die
OAS für die Einhegung dieser hegemonialen Macht zu instrumentalisieren.
Dies trifft heute weniger zu. Die USA sind nicht mehr ein derart überragen_______________
14
15
Ernst B. Haas: „Regime decay: conflict management and international organizations, 19451981“, in: International Organization 37 (1983) 2, 189-256, 190.
Clive Archer: International organizations. London ²1992, 135 ff.
7
der Akteur und müssen sich vermehrt den Mühen multilateraler Aushandlungsprozesse unterziehen.
Eine nennenswerte Akteurs- oder Protagonistenrolle der OAS in den verschiedenen Politikfeldern ist allerdings auch heute nur in eng umgrenzten
Ausnahmefällen gegeben.16 Eine Interessenautonomie oder Selbstaktivierung der Organisation gegenüber den Nationalstaaten war unerwünscht, als
1948 in Bogotá die frühere Panamerikanische Union zur Organisation Amerikanischer Staaten umgegründet wurde. Die neutrale Bezeichnung „Organisation“ ersetzte den Begriff „Union“, der für einige lateinamerikanische
Delegationen die Assoziation an ein supranationales Gebilde hervorrief.
Die OAS blieb hochgradig abhängig von der Bereitschaft der Mitgliedsstaaten, ihren multilateralen Mechanismen die Bearbeitung kollektiver
Probleme zu übertragen und sie mit den hierfür nötigen Kompetenzen und
Ressourcen auszustatten. Das passive, d.h. aktivierungsgebundene Potential
der OAS ist auf politisches „entrepreneurship“ angewiesen.17
Diese Überlegung ist der Ausgangspunkt für ein Kapitel, das die Dimension Mitgliedschaft und die multistaatlichen Entscheidungsprozesse
(politics) in den Blick rückt. Es widmet sich ausführlicher dem Neumitglied
Kanada, das in das teilweise von den USA während der 1980er Jahre hinterlassene Führungsvakuum gestoßen ist. Für die Revitalisierung der OAS in
den 1990er Jahren ist die kanadische Initiativ- und Katalysatorrolle
(„entrepreneurial leadership“) von großer Bedeutung. Die Mittelmacht Kanada sieht sich selbst auf verbindliches Völkerrecht, regelgeleiteten Konfliktaustrag, Interessenausgleich und damit auf „starke“ internationale Organisationen angewiesen. Entsprechend trägt es mit seinen Vorstellungen von
relativ selbständigen Ordnungsmacht- und Gestaltungsfunktionen internationaler Organisationen der OAS ein Rollenbild als „Akteur“ an, das etlichen
lateinamerikanischen Staaten, allen voran Mexiko, zu „interventionistisch“
erscheint (Kapitel VII).
Abschließend soll in einer zusammenfassenden Bewertung erörtert werden, wie stabil die Wiederbelebung des regionalen Multilateralismus in den
1990er Jahren einzuschätzen ist oder ob nicht erneut ein Mechanismus von
Erwartungsüberspannung und Enttäuschung einsetzen könnte.
_______________
16
17
Ansätze für eine Akteursorientierung finden sich im Menschenrechtsbereich, in dem die
Interamerikanische Menschenrechtskommission (IAHRC) über Monitoring-Befugnisse
verfügt.
Zu diesem Konzept Oran R. Young: „Political leadership and regime formation: on the
development of institutions in international society“, in: International Organization 45
(1991) 3, 281-308, 293 ff.
8
2. Forschungsgegenstand
Die Forschungslage zur jüngeren und jüngsten Entwicklung der OAS ist
unbefriedigend, wie ein Sammelwerk zur politikwissenschaftlichen Lateinamerikaforschung 1990 feststellte:
„[A] theme that needs research and thinking of a policy nature is the future
of hemispheric organization and international organization generally. As a
beginning, more research needs to be done on the effectiveness and
problems of existing institutions such as the Organization of American
States (OAS). Unfortunately this kind of work has gone out of fashion both
in the United States and in South America.“18
Im selben Sammelband weist Atkins auf den Abschwung des akademischen Interesses hin,
„which parallels the long period of decline in the effectiveness of the
organizations themselves, but the subject has never been abandoned, and, in
fact, high quality work continues to be done.“19
Die von Henry H. Han 1988 vorgelegte, auf Interviews mit Diplomaten
beruhende empirische Studie gibt lediglich offizielle oder offiziöse Auffassungen wieder.20 Ergiebiger zur Entwicklung der OAS in den 1980er Jahren
ist die ebenfalls 1988 vorgelegte Aufsatzsammlung des früheren Verwaltungsdirektors der OAS, des US-Amerikaners Schemen.21
Das neuerwachte Interesse an der OAS dokumentiert die 1993 herausgekommene zweite, aktualisierte Auflage der in den USA zuerst 1965 erschienenen Arbeit Carlos Stoetzers. Ihr Gegenstand sind eher die Formalstrukturen der Organisation. Als Kompendium vorzüglich dokumentierter Fakten
ist sie jedoch deskriptiv angelegt.22 Einen knappen Überblick gibt ein ebenfalls 1993 veröffentlichtes schmales Bändchen mit zwei Aufsätzen von
Vaky und Muñoz.23
_______________
18
19
20
21
22
23
Michael J. Francis; Timothy J. Power: „South America“, in: Handbook of political science
research on Latin America: trends from the 1960s to the 1990s / David W. Dent (Hg.),
New York 1990, 147-369, 364.
G. Pope Atkins: „Patterns of international relations research“, in: Ebd., 285-306, 300 f.
Henry H. Han: Problems and prospects of the Organization of American States: perceptions of the member states´leaders, New York 1987.
L. Ronald Scheman: The inter-American dilemma: the search for inter-American cooperation at the centennial of the inter-American system, New York 1988.
O. Carlos Stoetzer: The Organization of American States, Westport ²1993.
Viron P. Vaky; Heraldo Muñoz: The future of the Organization of American States: essays,
New York 1993.
9
Eine aktuelle, monographische Gesamtwürdigung der Organisation Amerikanischer Staaten steht demnach noch aus. Zu ihr will die vorliegende
Arbeit beitragen. Herangezogen wurden hierfür größtenteils noch nicht
aufgearbeitete Dokumente aus der Columbus Memorial Library im Generalsekretariat der OAS in Washington, D.C.24
II. DIE AUSEINANDERSETZUNG ZWISCHEN DEN USA UND DER
LATEINAMERIKANISCHEN STAATENGRUPPE UM DIE
FUNKTION DER OAS
1.
Die OAS als „großer Kompromiß“: Hegemonie und Kooperation
Die OAS war, wie in der folgenden Untersuchung ihrer Formation Phase
gezeigt werden soll, entgegen der bekannten Polemik (Fidel Castro: Kolonialministerium der USA“) Lateinamerika nicht als imperalistisches Instrument aufgezwungen worden. Sie war in erster Linie ein Instrument und dient
als solches auch hegemonialer oder, wenn man so will, imperialistischer
Politik der USA- wie auch umgekehrt den defensiven Gegenstrategien
Lateinmamerikas, die darauf hinausliefen, die USA stärker an internationale
Verhaltensnormen (insbesondere der Nichtintervention) zu binden. Lateinamerika suchte einmal einen Weg, um die vorteilhafte Wirtschaftskooperation mit den USA zu Hilfeleistung und Marktoffenheit zu verpflichten. Zum
zweiten bestand das Mißtrauen Lateinamerikas gegenüber der Hegemonialstrategie der USA fort. Es suchte deshalb weiterhin die nordamerikanische
Machtausübung in Lateinamerika einzudämmen, zu definieren und die
Nichtinterventionsnorm zu verankern.
Insgesamt kann man die OAS als „großen Kompromiß“ interpretieren:
zwischen dem Wunsch der USA nach einem multilateralen Handlungsgaranten für ihre alte Hauptstrategie gegenüber Lateinamerika (die Abwehr
extrakontinentaler Mächte, „Systeme“, Ideologien, Kontrollversuche, Interventionen usw.) und dem Interesse Lateinamerikas an Neutralisierung und
rechtlicher Einbindung der US-Vormachtstellung. Sucht man wie bei anderen internationalen Organisationen nach einer Art von „Gründungskonsens“,
so ergibt sich im Falle der OAS der bemerkenswerte Aufweis, daß Interessen eben nicht gleichgerichtet sein müssen, um ein gemeinsames Interesse
an der Gründung bzw. am Fortbestand einer internationalen Organisation zu
haben.
_______________
24
Thomas L. Welch: „The Organization of American States and ist documentation“, in:
Government Information Quarterly 6 (1989) 3, 267-281.
10
2.
Der lateinamerikanische Versuch einer „organisatorischen Einkreisung“ der USA
Als die Vereinigten Staaten im späten 19. Jahrhundert als expandierende
Wirtschaftsmacht ein spezifisch politisches und strategisches Großmachtinteresse an den Ländern südlich des Río Grande entwickelten, riefen sie
1889/90 die „Union der Amerikanischen Republiken“ ins Leben. Der I.
Internationalen Konferenz Amerikanischer Staaten in Washingtion, auf der
sofort eine Zollunion diskutiert, aber als nicht durchführbar verworfen
wurde, folgten weitere interamerikanische Konferenzen.25 Auf ihnen wurde
ein breites Spektrum von Informationsaustausch und gemeinschaftlichen
Aktivitäten bei Handel, Transport, Kommunikation usw., sowie die Angleichung von technischen und Rechtsnormen vereinbart. Ein Ständiges Sekretariat, seit 1910 unter der Bezeichnung „Pan American Union“ firmierend,
bildete den institutionellen Kern des wachsenden Geflechts von neuen Einrichtungen (innovativ etwa die Interamerikanische Frauenkommission),
Konferenzen, Konventionen und Traditionen, für die sich alsbald der
Begriff Interamerikanisches System einbürgerte.26
Neben dieser expandierenden multilateralen Koordinations- und Kooperationsebene des Interamerikanischen Systems entwickelte sich eine
parallele hegemoniale Dimension, nämlich der unilaterale Anspruch der
USA auf eine politische Sicherheitsprärogative in der Westlichen Hemisphäre, die unter der Chiffre „Monroe-Doktrin“ hinlänglich bekannt ist.
Beide Ebenen dieses „Dualismus der politischen Gestaltungsprinzipien in
Amerika“27 funktionierten scheinbar unverbunden nebeneinander. Sie drifteten jedoch auseinander, da die vermeintlich „unpolitische“ Qualität der
Diskussion über Gesundheitswesen und Zollfragen stets politisiert, weil
„von der hegemonialen Dimension infiziert“28 war. Der Rechtfertigungszweck der interamerikanischen Konferenzdiplomatie wurde in den 1920er
Jahren anläßlich der heftigen Kontroverse über den US-Imperalismus gegenüber Mexiko und dem zentralamerikanisch-karibischen Raum insgesamt
offensichtlich.
_______________
25
26
27
28
First International Conference of American States, Washington, October 2, 1889 – April
19, 1890: „Majority report of Committee on Customs Union“, in: The International Conference of American States, 1889-1928: a collection [...] / James Brown Scott (Hg.), New
York 1931, 33-35.
Sein Sitz war das vom Philanthropen Andrew Carnegie finanzierte Pan American Union
Building in Washington, D.C., dessen Architektur eindrucksvoll den damaligen „Neue
Welt“-Idealismus repräsentiert.
Knud Krakau, Organisation, 151 f.
Ebd., 152.
11
In zähem Ringen versuchte die lateinamerikanische Staatengruppe deshalb seit der Jahrhundertwende die Vereinigten Staaten auf die Koordinationsebene zu beschränken. Daß die USA die zunehmend dysfunktionale „big
stick policy“ zugunsten der geräuschloseren „dollar diplomacy“ abwandelten, war dem Umstand einer internen und internationalen Doppelkrise geschuldet, als nämlich in den 1930er Jahren die Depression und die Bedrohung durch die Achsenmächte zusammentrafen.29 Dies führte in den 1940er
Jahren dazu, daß die USA ein generelles Nichtinterventionsprinzip anerkannten und direkte militärische Eingriffe tatsächlich einstellten.30
Die von US-Präsident Herbert Hoover angelegte, vor allem aber seinem
Nachfolger Franklin D. Roosevelt zugerechnete „Politik der guten Nachbarschaft“31 wurde den „interventionistischen“ Charakter der US-Lateinamerikapolitik nicht los:
„Protected by the framework of inter-American cooperation and carrying out
their tasks with dollars, advisors, and diplomats, rather than the hated
marines, the Good Neighbor reformers had a clear field. In addition, as
agents of the powerful New Deal state, they had at their disposal a host of
agencies and authorities not available Protected by the framework of interAmerican cooperation and carrying out their to earlier expansionists.“32
Während des Zweiten Weltkrieges, als die Roosevelt-Administration das
hemisphärische Hinterland politisch, militärisch und wirtschaftlich zu einer
sicheren Basis im Kampf gegen die Achsenmächte ausbauen mußte, kam es
zu einer tastenden Kooperation mit handfesten Vorteilen für beide Seiten:
Lateinamerika erzielte, befreit von Zöllen beim Zugang zum US-Markt,
hohe Exporterlöse für seine Rohstoffe und Agrarprodukte. Die USA sicherten sich im Gegenzug Rohstoffe und Militärstützpunkte.33 Entsprechend
zeigte sich im interamerikanischen System ein regelrechter „Organisations-
_______________
29
30
31
32
33
Connell-Smith, Inter-American system, 127.
Dies entsprach der isolationistischen Grundhaltung der amerikanischen Öffentlichkeit und
der Kongreßmehrheit. Selbst Maßnahmen und Interventionen wirtschaftlicher Art waren
dem US-Präsidenten infolge der vom Kongreß 1935 erlassenen, 1937 noch einmal verschärften Neutralitätsgesetze untersagt.
Third Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs, Rio de Janeiro, 1942:
„[Resolution] XXII: The Good Neighbor Policy“, in: The International Conferences of
American States. Second Supplement, 1942-1954: Treaties, conventions, declarations,
recommendations and resolutions […], Washington, D.C. 1958, 33 f.
James R. Benjamin: „The framework of U.S. relations with Latin America in the Twentieth
Century: an interpretative essay“, in: Diplomatic History 11 (1987) 2, 91-117, 102.
Gerald K. Haines: „Under the eagle’s wing: the Franklin Roosevelt administration forges
an American hemisphere“, in: Diplomatic History 1 (1977) 4, 373-388.
12
boom“.34 Im Jahr 1940 wurden 73 interamerikanische Institutionen gezählt.35
Dennoch lud sich im Verlauf der 1940er Jahre das Regionalsystem zunehmend mit Animositäten auf. Die Isolierung des peronistischen Argentinien durch die USA führte zu einer Konfrontation in den interamerikanischen Beziehungen, deren eigentlicher Grund war, daß sich Lateinamerika
politisch und wirtschaftlich gegenüber Europa als zurückgesetzt betrachtete.
Die lateinamerikanischen Staaten hatten zunächst Mühe zu erkennen, daß
die USA mit ihrem Kriegseintritt 1941 die Rolle einer Weltführungsmacht
angenommen hatten und sie nun dauerhaft zu behaupten suchten. Diese
„Revolution“ der US-amerikanischen Außenpolitik hatte außerordentliche
Rückwirkungen auf das interamerikanische System:
„From 1933 to 1943, almost every important international meeting which
the United States attended was Inter-American. After that time, just the
reverse was true.“36
Gegen Kriegsende verloren die Vereinigten Staaten deshalb in ihrer Globalstrategie mit dem Kriegsende zunächst das Interesse an einer intensiven
regionalen Kooperation. Roosevelt und die Gruppe um Außenminister Hull
planten eine Nachkriegspolitik unter dem Vorzeichen des Universalismus.
Sie strebten eine Friedensregelung auf der Basis der Universalorganisation
der späteren Vereinten Nationen ohne Sonderrechte für Regionalbündnisse
an, wie sie sich auf der Konferenz von Dumbarton Oaks (August bis Oktober 1944) konkretisierte.37
Die Staaten Lateinamerikas wurden bei diesen Nachkriegsplanungen
nicht konsultiert. In dieser Situation erwiesen sie sich als eifrige Regionalisten, die in einem selbständigen amerikanischen Regionalbündnis das
Prinzip der Gleichberechtigung, der Selbstbestimmung und der Nichteinmischung durchsetzen wollten. Das neue Selbstgefühl der Lateinamerikaner als
den für die USA bedeutendsten Lieferanten kriegswichtiger Rohstoffe begründete die Hoffnung auf ihre entsprechende Stärke in einem Interamerikanischen System. Ein Aufgehen dieses Systems in der Organisation der Ver_______________
34
35
36
37
Brock, Entwicklungsnationalismus, 55.
Für eine Auflistung siehe „Synopses of Pan American commissions and other bodies“, in:
The International Conferences of American States. First Supplement, 1933-1940: Conventions, recommendations, resolutions and motions […], Washington, D.C. 1940, Appendix
B, 453-494.
Albert P. Vannucci: „The influence of Latin American governments on the shaping of
United States foreign policy: the case of U.S.-Argentine relations, 1943-1948“, in: Journal
of Latin American Studies 17,2 (1985), 355-382, 360.
Francis X. Gannon: Globalism versus regionalism: U.S. policy and the OAS“, in: Orbis 26
(1982), 195-221, 197.
13
einten Nationen, in welcher der Sicherheitsrat quasi als „Direktorium“ mit
dem Vetorecht der Großmächte entscheidet, sahen sie als Gefährdung ihrer
Ziele an. Sie forderten daher die Respektierung der Eigenständigkeit des
Interamerikanischen Systems und seine Reorganisation.
Zu diesem Zweck forcierte die lateinamerikanische Staatengruppe im
März 1945 die Interamerikanische Konferenz über Probleme des Krieges
und des Friedens in Chalputepec/ Mexiko, um die Konsolidierung und die
Neuorganisation des Interamerikanischen Systems zu beschließen. Sie forderten zugleich, dessen Selbständigkeit in der Charta der Vereinten Nationen zu verankern. Die Bestrebungen des lateinamerikanischen Regionalismus trafen sich mit den Anhängern einer traditionellen „hemisphärischen“
Politik der USA, deren Sprecher der rechte Republikaner Senator Vandenberg war. In San Francisco, auf der Gründungskonferenz der Weltorganisation (April bis Juni 1945) konnte sich diese Fraktion nach längeren Auseinandersetzungen in der US-Delegation durchsetzen, indem sie mit Hilfe der
sogenannten Vandenberg-Formel in Artikel 51 der UN-Charta, der das
Recht auf unmittelbare Maßnahmen zur kollektiven Selbstverteidigung in
einer regionalen Vereinigung betont, indirekt eine Sonderstellung des Interamerikanischen Systems erreichte.
Die nordamerikanischen Regierungen unter Roosevelt und zunächst auch
noch unter Truman blockierten nach der erwähnten amerikanischen Außenministerkonferenz in Mexiko im Rahmen ihrer globalistischen One-WorldDiplomatie weitere Nachfolgekonferenzen, wofür die Differenzen zwischen
den USA und dem peronistischen Argentinien den Anlaß boten, bevor die
USA im Zeichen der sich rasch zuspitzenden Blockkonfrontation mit der
Sowjetunion selbst ein Interesse an einer regionalistisch abgestützten Allianzpolitik gegen den Kommunismus gewannen. Die von den lateinamerikanischen Staaten in Chapultepec initiierten Beschlüsse zur Erneuerung
des Interamerikanischen Systems wurden so erst in den Jahren 1947 und
1948 umgesetzt.
Auf der Interamerikanischen Konferenz zur Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit auf dem Kontinent in der Nähe von Río de Janeiro38
(15. August bis 2. September 1947) wurde ein interamerikanisches Beistandsabkommen mit der Bezeichnung Inter-American Treaty of Reciprocal
Assistance / Tratado Interamericano de Asistencia Recíproca (TIAR) – kurz
Río-Vertrag genannt - beschlossen.39 Die beginnende Ost-West-Ausein_______________
38
39
Deshalb auch die Bezeichnung „Konferenz von Petrópolis“.
„Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance. Signed at the Inter-American Conference
for the Maintenance of Continental Peace and Security, held in Rio de Janeiro from August
15 to September 2, 1947“, in: Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance: Applications, Vol. I: 1948-1959, Washington, D.C. ³1973, 423-439.
14
andersetzung hat zweifellos einen starken Einfluß auf die Formulierungen
des Río-Vertrages gehabt. Connell-Smith bezeichnet ihn deshalb als ersten
der Kalten-Kriegs-Pakte40, obwohl das Beistandsabkommen schon 1942
diskutiert und 1945 definitiv beschlossen worden war.41 Die auf ihre
Souveränität so bedachten lateinamerikanischen Staaten erkannten mit dem
Río-Vertrag die Verbindlichkeit von weitreichenden Mehrheitsentscheidungen auf dem Gebiet der kollektiven Sicherheit an.
Nach mehrmaliger Vertagung kam die IX. Internationale Konferenz der
amerikanischen Staaten vom 30. März bis 2. Mai 1948 in Bogotá zusammen. Das erste Ergebnis dieser Tagung war die Charta der Organisation der
Amerikanischen Staaten, der Rahmenvertrag der aus der „Union der Amerikanischen Republiken“42 hervorgegangenen OAS (spanisch Organización de
los Estados Americanos, im Akronym: OEA). Das zweite Konferenzergebnis war der Amerikanische Vertrag über die friedliche Beilegung von Konflikten (American Treaty on Pacific Settlement / Tratado Americano de
Soluciones Pacíficos), der sogennante Bogotá-Pakt.43 Er faßte die seit 1923
zwischen amerikanischen Staaten vereinbarten Schiedsgerichts- und Vergleichsverfahren in einem einheitlichen Vertragstext zusammen.44
Spiegelte diese lateinamerikanische Regionalpolitik am Ende des Zweiten
Weltkrieges eine neue Sicht der USA in der Rolle eines Vorkämpfers für
lateinamerikanische Wohlfahrt, oder gar die Absicht, die Monroe-Doktrin
von 1823 zu multilateralisieren?45 Es spricht vieles dafür, daß diese
Regionalpolitik nicht der Ausdruck einer wachsenden Bindekraft der
„Western Hemisphere Idea“ war, sondern vielmehr der Ausdruck eines sich
verschärfenden Mißtrauens gegenüber den Vereinigten Staaten.46 Brock47
nennt hierfür leitende Interessen der lateinamerikanischen Staaten:
_______________
40
41
42
43
44
45
46
Inter-American system, 150.
Dazu die „klassische“ Arbeit von Arthur P. Whitaker: The Western Hemisphere idea: its
rise and decline, Ithaca 1965, 171 ff.
Charter of the Organization of American States. Signed at the Ninth International Conference of American States, Bogotá, March 30 – May 2, 1948, Washington, D.C. 1948 (Law
and treaty series; 23).
American Treaty on Pacific Settlement, Pact of Bogotá. Signed at the Ninth International
Conference of American States, Bogotá, March 30 – May 2, 1948, Washington, D.C. 1948
(Law and treaty series; 24).
Inter-American peace treaties and conventions, Washington, D.C. ³1972, OEA/Ser.X/2
(English) (Treaty series; 16).
Gene A. Sessions: „The multilateralization of the Monroe Doctrine: the Rio Treaty, 1947“,
in: World Affairs 136 (1973/74), 259-274.
Francisco Cuevas: „The Bogota Conference and recent developments in Pan-American
relations: a Mexican view“, in: International Affairs 24 (1948), 524-533.
15
Die lateinamerikanischen Staaten wollten verhindern, daß die Vereinten
Nationen in Verbindung mit der Sonderstellung der permanenten Mitglieder
des Sicherheitsrates zu einem Instrument der Intervention in Lateinamerika
würden. Sie versuchten die auf der UN-Gründungskonferenz von San Francisco anstehenden Entscheidungen zum Verhältnis von Regional- und Universalorganisation entsprechend zu präjudizieren.48
Die lateinamerikanischen Staaten hatten ein dringendes Interesse an der
Stabilisierung ihrer Außenwirtschaftsposition auch nach der kriegsbedingten
Konjunktur („Kriegsdividende“). Sie wollten gegenüber der sich mit Bretton
Woods abzeichnenden freihändlerischen Grundtendenz der weltwirtschaftlichen Nachkriegsplanung die Möglichkeit präferentieller regionaler Zusammenarbeit absichern und dabei das nordamerikanische Wirtschaftspotential
für die eigene Entwicklung sowohl mobilisieren, als auch durch die Aufwertung multilateraler Kooperation unter Kontrolle bringen.
Zusammenfassend: Die Lateinamerikaner erhofften sich mit der OAS ein
effektives Instrument der Interessenaggregation gegenüber den USA im
wirtschaftlichen und politischen Bereich. Nach Connell-Smith versuchten
sie, die Institutionen des überkommenen interamerikanischen Systems
gleichsam zu „demokratisieren“, und sich dem dominierenden Einfluß der
USA als Hegemon und ihrer externen Druckausübung durch die Ausweitung
des Interventionsverbotes zu entziehen.49 Brock faßt diese These ConnellSmiths in der Formulierung zusammen, die OAS-Vertragswerke seien der
Versuch einer „organisatorischen Einkreisung“ der Handlungsfreiheit der
USA durch die Staaten Lateinamerikas.50 Es ist im folgenden zu prüfen, wie
erfolgreich dieser Versuch bisher war.
3.
Der lateinamerikanische Versuch, die Machtausübung der USA an
Handlungsnormen zu binden (Nichtinterventionsregime)
Die USA hatten zwischen 1812 und 1932 31mal in Lateinamerika bewaffnet interveniert, so gab es das State Department 1950 an.51 Die
lateinamerikanischen Staaten setzten demnach aus guten Gründen mit
Artikel 8 der „Konvention über Rechte und Pflichten der Staaten“ im Jahr
_______________
47
48
49
50
51
Entwicklungsnationalismus, 60 ff.
Inis L. Claude, Jr.: „The OAS, the UN, and the United States“, in: International regionalism: readings / Joseph S. Nye, Jr. (Hg.), Boston 1968, 3-21, 12.
Connell-Smith, Inter-American system, 26 f.
Brock, Entwicklungsnationalismus, 161.
Gerhard Kutzner: Die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS), Hamburg 1970,
185.
16
1933 die förmliche Anerkennung des Interventionsverbotes als völkerrechtliches Leitprinzip der interamerikanischen Beziehungen durch: „Kein Staat
hat das Recht, in die inneren und äußeren Angelegenheit eines anderen
Staates zu intervenieren.“52 Da diese schlichte Formulierung den USA die
Möglichkeit beließ, lediglich militärische Interventionen unter dieses Verbot
zu subsumieren und alle anderen Formen der Einschaltung als nicht unter
das Verbot fallend darzustellen, dehnte 1936 ein Zusatzprotokoll das Verbot
auch auf indirekte Interventionen aus.53 Hiervon wollten die Vereinigten
Staaten jedoch nur ein Verbot der militärischen Drohung, in Ergänzung zum
direkten militärischen Eingriff, betroffen sehen. Die Ausübung von Druck
im positiven (Finanzhilfe) und im negativen (Androhung von wirtschaftlichen Folgen) Sinne galt ihnen als davon unberührt. So bestanden die lateinamerikanischen Staaten bei der Gründung der OAS auf einer weiteren Ergänzung. Nach Artikel 15 der Bogotá-Charta sollte expressis verbis verboten sein „jede andere Form von Einmischung oder Bedrohung der Persönlichkeit des Staates oder seiner politischen, wirtschaftlichen und kulturellen
Grundlagen“.
Aber auch diese sehr umfassende Regelung enthielt Mehrdeutigkeiten.54
Wo war z.B. eine Grenze zu ziehen zwischen einer Gruppenintervention und
einer Kollektivaktion in Anwendung des Rió-Vertrages? Oder: Die Zulässigkeit diplomatischer Aktionen gegen Willkürmaßnahmen (z.B. im Fall
unmittelbarer physischer Bedrohung eigener Staatsbürger durch einen anderen Staat) ist unbestritten. Darf dieser Schutz aber auch auf
Eigentumsinteressen ausgedehnt werden? Schon Präsident Coolidge argumentierte 1927, die Wahrnehmung der Interessen von US-Bürgern und der
Schutz ihres Kapitals sei keine Intervention, sondern lediglich temporäres
Eingreifen - „temporary interposition“.55 Überdies ist die Grenze zwischen
legitimen Maßnahmen der Außenwirtschaftspolitik und gezielter Einmischung fließend. So beklagte gerade zum Zeitpunkt der OAS-Gründungsverhandlungen die kubanische Regierung Grau San Martín, Opfer einer
„ökonomischen Aggression“ zu sein. Sie sollten durch die Inaussichtstellung
_______________
52
53
54
55
Seventh International Conference of American States, Montevideo, Uruguay 1933:
„Convention on Rights and Duties of States“, in: The International Conferences of American States. First Supplement, 1933-1940: Conventions, recommendations and motions
[…], Washington, D.C. 1940, 121-125.
Inter-American Conference for the Maintenance of Peace, Buenos Aires 1936, Final Act:
„Additional Protocol relative to non-intervention“, in: a.a.O., 191-192.
Yale H. Ferguson: „Reflections on the inter-American principle of non-intervention: a
search for meaning in ambiguity“, in: Journal of Politics 32 (1970), 628-654.
Connell-Smith, Inter-American system, 62.
17
einer Kürzung ihrer Zuckerimportquote in den USA zu kooperativerem
Verhalten gegenüber Wirtschaftsinteressen der USA bewegt werden.56
Das Interventionsverbot, das sich in der OAS-Charta weitreichender und
konsequenter als in allen Bestimmungen vorhergegangener interamerikanischer Verträge und Konventionen kodifiziert finden und zum Vorbild späterer Normierungsversuche der Vereinten Nationen wurde, ist strenggenommen gar nicht operationalisierbar.57 In dieser Sicht war es deshalb für die
Vereinigten Staaten annehmbar, denn die rigide Anwendung seiner Bestimmungen hätte nicht nur Intervention und Einflußnahme verboten, sondern
fast jedes Tun und Lassen des „Colossus of the North“:
„...they would prohibit the exercise of foreign policy itself, particularly by
the United States, which has the greatest capabilities to influence the affairs
of other states, intentionally or even unintentionally, by the exercise of ist
tremendous political, economic and military power.“58
Die Ausübung einer den eigenen Interessen Rechnung tragenden Außenpolitik war den USA schwerlich zu verbieten. Allein eine realpolitische
Absicherung und machtpolitische Fundierung kann der Nichtinterventionsnorm zu ihrer Durchsetzung verhelfen. Eine erhebliche Machtasymmetrie ist
in der OAS nicht zu übersehen. Vom Institutionellen her besteht kein Übergewicht der USA in der Staatenorganisation. Es gibt keine Stimmwägung,
kein Vetorecht, kein dem UN-Sicherheitsrat vergleichbares antiegalitäres
Organ, nach ungeschriebenem Grundsatz keinen US-Bürger als Generalsekretär und auch keine personelle Durchdringung anderer Schlüsselpositionen
durch die USA. Trotz dieses formalen Egalitarismus und ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit stehen die lateinamerikanischen Staaten aber den USA
nicht als gleichwertige Partner gegenüber.
Lothar Brock kommt zu einer paradoxen Feststellung: Das Interventionsverbot selbst sei ein Instrument zur Rechtfertigung von Interventionen, soweit sie nur kollektiver Natur seien. Das Interventionsverbot der OAS sei, so
formuliert er pointiert, „per se interventionistisch“.59 Slaters Einschätzung
ist ähnlich:
_______________
56
57
58
59
Thomas J. Heston: „Cuba, the United States, and the Sugar Act of 1948: the failure of
economic coercion“, in: Diplomatic History 6 (1982) 1, 1-21.
Brock, Entwicklungsnationalismus, 162.
Jerome Slater: The OAS and Unired States Foreign Policy, Columbus 1967, 24.
Lothar Brock: „Die Funktion der OAS für die Rechtfertigung der Lateinamerika-Politik der
USA“, in: Politische Vierteljahresschrift 19 (1978) 3-22, 12.
18
„For years a weapon directed against the United States, the principle of nonintervention […] became the major weapon in the United States´effort to
maintain the hemispheric status quo“.60
Guatemala 1954 und die Dominikanische Republik 1965 stehen für direkte hegemoniale Interventionen als Instrument der Containment-Politik.
Jüngere Beispiele für die Verletzung der Nichtinterventionsnorm sind die
bekannt gewordenen Destabilisierungsaktionen des US-Geheimdienstes
gegen das sich revolutionär gebärdende Chile 1973 und die Interventionen
von US-Truppen in Grenada 1983 und in Panamá 1989.61
Als die OAS aufgrund der Frontstellung der USA im Kontext des Kalten
Krieges zu einem ideologischen Pakt mutierte, wendeten die USA den Interventionsvorwurf gegen den „internationalen Kommunismus“, nicht unterscheidend zwischen Bürgerkrieg und internationalem Krieg, um damit
Konter-Interventionen zu rechtfertigen. Daß der „Kommunismus“ zum Dauerobjekt kollektiver Aktion befördert wurde, sofern diese nach den Bestimmungen des Artikel 6 des Río-Paktes (nichtmilitärische Aggression) im
Rahmen des interamerikanischen Konsultativsystems beschlossen werden
konnte, lag nicht zuletzt im Interesse jener lateinamerikanischer
Regierungen, die von sozialrevolutionärer Opposition bedroht waren. Die
prekäre Instabilität ihrer Herrschaft erlebten die Vertreter dieser Länder
während der OAS-Gründungsverhandlungen in Bogotá unmittelbar: Ein
spontaner Gewaltausbruch („Bogotazo“) führte auch zu einem Sturm auf das
Konferenzgebäude und mündete in eine blutige „violencia“ (1948-1963) in
Kolumbien.62 Das verringerte ihre Konfliktfähigkeit und mag die Bereitschaft erhöht haben, den USA später bei der antikommunistischen Ausrichtung der OAS zu folgen. Mit einem Minimum an Zugeständnissen konnten
die US-Regierungen lange die grundsätzliche Kompromißbereitschaft der
lateinamerikanischen Staaten erhalten.63
4.
Der lateinamerikanische Versuch einer entwicklungspolitischen
Funktionalisierung der OAS
Die auf den interamerikanischen Konferenzen von Chapultepec und Bogotá sich herausbildende Haltung gegenüber den USA charakterisiert Brock
_______________
60
61
62
63
Slater, OAS, 64.
Weitere Fallbeispiele bei Jacques Noel: Le principe de non-intervention: théorie et pratique
dans les relations inter-américaines, Bruxelles 1981.
Samuel Guy Inman: Inter-American conferences 1826-1954: history and problems / Harold
Eugene Davis (Hg.), Washington 1965, 244 f.
Brock, Entwicklungsnationalismus, 164 f.
19
als entwicklungsnationalistisch. Sie unterschied sich vom einfachen Wirtschaftsnationalismus (so lautete der Vorwurf der US-Regierungen) durch
ihren defensiven Gehalt. Es ging, bezogen auf den Entwicklungsstand dieser
Länder, nicht um die Erlangung einer Vorteilsposition gegenüber den USA,
sondern um Abwehr von Benachteiligungen durch den Freihandelsuniversalismus der USA, der die „eine“ und „offene“ Welt proklamierte.64
Die lateinamerikanischen Regierungen erstrebten präferentielle Wirtschaftsbeziehungen in einem nach außen abgeschirmten Wirtschaftsraum
regionaler Art, da die verfolgte Importsubstitution („Wachstum nach innen“)
einen „Schutz der Schutzzollpolitik“ erforderte.65 Hatten die USA 1889
noch eine regionalistische und protektionistische Linie (bis hin zum Vorschlag einer vor allem gegen Großbritannien gerichteten Zollunion) verfolgt,
so betrieben sie nach Kriegsende eine Politik der Auflösung regionaler Handelsblöcke. Jedes regionale Arrangement hätte diesen Anspruch diskreditiert. Eine Absicherung der lateinamerikanischen Interessensphäre erschien
zudem nicht so vordringlich wie noch 1889.
Ein weiteres Ziel des lateinamerikanischen Regionalismus war die Mobilisierung externer Ressourcen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit nur
die USA zur Verfügung stellen konnten. Eine Ausweitung der Kapital und
Technologietransfers sollte inter-gouvernemental und über multilaterale
Entwicklungseinrichtungen erfolgen.66 Demgegenüber gaben die USA privaten Direktinvestitionen den Vorrang und schlossen eine von den Lateinamerikanern geforderte Unterwerfung des Auslandskapitals unter die
Zielsetzungen nationaler Entwicklungspolitik aus.
Die Verhandlungsposition der lateinamerikanischen Staaten war kein
taktischer Zug etwa im Rahmen einer sozialrevolutionären Gesamtstrategie
dieser Staaten. Auch wenn die Forderung nach zwischenstaatlicher Entwicklungsförderung (gegen den „private capital approach“ der USA) zur
Verminderung wirtschaftlicher Fremdbestimmung eine Aufwertung von
Staatsfunktionen implizierte, verfolgten diese Regierungen in ihrer Tendenz
das Ziel der Verwirklichung eines nationalen Kapitalismus. Brock, dessen
Fragestellung über traditionell im Vordergrund stehende völkerrechtliche
und sicherheitspolitische Aspekte hinausgeht, sieht bei den Gründungsverhandlungen der OAS einen frühen Versuch zur entwicklungspolitischen Instrumentalisierung einer internationalen Organisation durch Länder der
_______________
64
65
66
Ebd., 117.
Ebd.
Larman C. Wilson: „Multilateral policy and the Organization of American States: Latin
American – U.S. convergence and divergence“, in: Latin American foreign policies: an
analysis / Harold Eugene Davis; Larman C. Wilson, Baltimore 1975, 47-84, 54.
20
Dritten Welt.67 Es ist im folgenden zu fragen, welche Positionsverbesserungen die Akteure erzielen konnten.
Die OAS-Charta enthielt keine näheren Ausführungen zu wirtschaftlichen
Fragen. 1948 kamen die lateinamerikanischen Vorstellungen lediglich in
einigen vagen Bestimmungen der später nicht ratifizierten Wirtschaftsvereinbarung von Bogotá (Convenio Económico de Bogotá) über eine begrenzte wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Zuge.68 Für die Regelung der
interamerikanischen Wirtschaftsbeziehungen erreichte sie nie Rechtsverbindlichkeit. Eine weitere Thematisierung wirtschaftlicher Fragen konnten
die USA durch Abblocken der für 1948 in Buenos Aires geplanten Wirtschaftskonferenz abwehren. Infolge ihrer ständigen Verschiebung bis 1957
galt sie bald als „die verlorene Konferenz“.69
III. Funktionsverluste der OAS in den Sachbereichen
„Wohlfahrt“ und „Sicherheit“
1.
Frustration der wirtschaftlichen Kooperationshoffnungen der
lateinamerikanischen Staatengruppe
Ein für die USA lästiges wirtschaftspolitisches Idearium des
„desarrollismo“ war der in den 1950er Jahren von Raúl Prebisch inspirierte
„Cepalismo“ der gegen die Opposition der USA gegründeten UN-Wirtschaftskommission
für
Lateinamerika
(ECLA/CEPAL).70
Der
Interamerikanische Wirtschafts- und Sozialrat (IA-ECOSOC/CIES) als
Organ der OAS ordnete sich hingegen in seinen Aktivitäten mit Ausbruch
des Koreakrieges den kriegswirtschaftlichen Interessen der USA unter.
Seine Kompetenzen lagen auf dem Gebiet der technischen Zusammenarbeit,
getragen durch Mittel lediglich aus dem regulären Budget der Pan American
Union (wie damals das Generalsekretariat der OAS in Washington noch
_______________
67
68
69
70
Brock, Entwicklungsnationalismus, 11.
Economic Agreement of Bogotá. Signed at the Ninth International Conference of American
States, Bogotá, March 30 – May 2, 1948, Washington, D.C., 1948 (Law and treaty series;
25).
Stephen G. Rabe: „The elusive conference: United States economic relations with Latin
America, 1945-1952“, in: Diplomatic History 2 (1978) 3, 279-294; Ann ruth Willner:
„Case study in frustration: Latin America and economic issues at post-war inter-American
conferences“, in: Inter-American Economic Affairs 2 (1949) 4, 29-44.
Miguel S. Wionczek: „Latin American integration and United States economic policies“,
in: Robert W. Gregg (Hg.): International organization in the Weszern Hemisphere,
Syracuse 1968, 91-156, 95
21
hieß). Gregg resümiert: „In the economic and social fields […] the OAS has
been unable to match the performance of ECLA.“71 Die TrumanAdministration war trotz der politischen Aufwertung regionaler Kooperation
im Rahmen der Containment-Politik wenig geneigt, den lateinamerikanischen Kooperationserwartungen entgegenzukommen. Im Vergleich zu
Westeuropa war Lateinamerika als Adressat der US-amerikanischen Auslandshilfe eine ausgesprochene „low priority area“.72 Der Anteil
Lateinamerikas an der Auslandshilfe der USA zwischen 1946 und 1960
betrug niemals mehr als 4,2 Prozent.73
Dabei waren die politischen „pay-offs“ der lateinamerikanischen Regierungen im Zuge ihrer Quid pro quo-Strategie bezogen auf die minimalen
„trade-offs“ der US-Regierung beachtlich: Mit ihrer Zustimmung zur verschärften Antikommunismus-Resolution auf der X. Interamerikanischen
Konferenz von 1954 in Caracas hatten sie nicht nur ihre generelle politische
Gefolgschaft gegenüber den USA bekundet, sondern sie schirmten auch
implizit die Politik der USA gegenüber dem entwicklungsnationalistischen
Arbenz-Regime in Guatemala ab.74
Auch die Eisenhower-Administration schätzte offensichtlich das Ausmaß
der Gefährdung eigener Interessen zunächst als gering genug ein, um aus
dieser Erwartungsdivergenz schon Gefahren für den politischen Aufgabenbereich der OAS zu antizipieren. Eisenhower sagte 1954: „[…] military
assistance must be continued. Technical assistance must be maintained.
Economic assistance can be reduced.“75 Eine bis dahin nicht erwartete Krise
des interamerikanischen Systems wurde anläßlich der wütenden Demonstrationen gegen den damaligen Vizepräsidenten Nixon in Lima und Caracas
während seiner Südamerikareise und der kubanischen Revolution vor allem
diagnostiziert.76 Das führte noch unter der Eisenhower-Administration zu
einer Umorientierung der Politik der Vereinigten Staaten.77 In diesem Kon_______________
71
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74
75
76
77
Gregg, International organization, 5
Wilson, Multilateral policy, 53
J. Fred Rippy: „U.S. postwar aid to Latin America: an exhibit of incomplete official
accounting“, in: Inter-American Economic Affairs 14 (1961), 57-65, 59
„[Resolution] XCIII: Declaration of solidarity for the preservation of the political integrity
of the American states against the intervention of international communism“, in: Tenth
Inter-American Conference, Caracas, Venezuela, March 1-28, 1954, Final Act.
Washington, D.C. 1954 (Conferences and organization series; 33), 94-96
Zitiert nach Connell-Smith, Inter-American system, 160
Marvin R. Zahniser; W. Michael Weis: „A diplomatic Pearl Harbor? Richard Nixon’s
goodwill mission to Latin America in 1958“, in: Diplomatic History 13 (1989) 2, 163-190
Burton I. Kaufman: Trade and aid: Eisenhower’s foreign economic policy, 1953-1961,
Baltimore 1982
22
text erweckte die „Allianz für den Fortschritt“ den Eindruck eines umfassenden Neubeginns in den interamerikanischen Beziehungen.
Die zunächst erste und wichtigste Neuerung, zu der der politische Kurswechsel der USA führte, war die Verwirklichung des bis dahin immer wieder gescheiterten Projekts einer interamerikanischen Bank. Die 1959 gegründete Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB/BID) ist als Institution
des interamerikanischen Systems zwar unabhängig von der OAS, verdankt
aber ihre Entstehung den im Rahmen der OAS angenommenen Entschließungen.78 Als spätes Ergebnis der OAS-Gründung wurde indessen mit der
„Allianz Paar El Progresse / Allianz fr Progreß (AFG)“ ein Entwicklungsprogramm geschaffen. Diese Nachbesserung bekannte sich nicht nur zu
Strukturveränderungen, sondern bedachte auch deren Finanzierung. Sich
ging zurück auf ein Memorandum des damaligen brasilianischen Präsidenten Kubische, wurde im März 1961 von US-Präsident Kennedy aus der
Taufe gehoben und im selben Jahr noch mit der Charta von Pußta dl Este
(„Erklärung an die Völker Lateinamerikas“) auf eine interamerikanische
Basis gestellt.79
In Verbindung mit dem Foreign Assistance Act von 1961 brachte die
Allianz zwar eine erhebliche Ausweitung der US-amerikanischen öffentlichen Finanzhilfe für Lateinamerika. Dem Marshall-Plan (European Recovery Program), für die lateinamerikanischen Regierungen stets der Maßstab
dafür, was als angemessene externe Hilfe zu gelten habe, kam sie aber im
Volumen und im Vergabemodus (Überwiegen von „loans“ gegenüber
„grants“) nicht im entferntesten nahe. Das Komitee der AfP (CIAP) hatte als
OAS-Organ keine Entscheidungskompetenz bei der Vergabe von Allianzmitteln. Zu dem die Vergabe von ERP-Mitteln regelnden Europäischen
Wirtschaftsrat (OEEC, die spätere OECD) gab es demnach im Rahmen der
OAS keine Entsprechung. Die Vergabe der Finanzhilfe war unilateral bestimmt und Brock argwöhnt, sie habe zu einem großen Teil einer indirekten
und direkten Subvention der US-Exportindustrie gedient.80
Die AfP war eine – unzulängliche – Antwort auf die Krise in der OAS
und ein Mittel anti-castristischer Eindämmungspolitik. Die Us-amerikanische Entwicklungspolitik am Ende der Eisenhower- und zu Beginn der
Kennedy-Administration war demnach keine Alternative, sondern eine Er_______________
78
79
80
Agreement establishing the Inter-American Development Bank. Opened for signature at the
Pan American Union on April 8, 1959, Washington, D.C. 1959 (Treaty series; 14)
Consejo Interamericano Económico y Social; Reunión extraordinaria al bivel ministerial,
Punta del Este, Uruguay 1961: Alianza para el Progreso. Documentos oficiales.
Washington, D.C. 1967, OEA/Ser.H/XII.1 rev.2. Hier: „Declaración a los pueblos de
América“, 3-4
Brock, Entwicklungsnationalismus, 206
23
gänzung zur direkten politisch-militärischen Stabilisierung. Der materiellen
Reformpolitik wurde mit der reihenweisen Übernahme der Macht durch das
mit Geopolitik und der Doktrin „nationaler Sicherheit“ präokkupierte Militär (z.B. in Brasilien 1964) dann vorläufig wieder einiges von ihrem Erfolgszwang genommen. Die Realität zu Ende der 1960er Jahre war verglichen mit den Zielkatalogen der Allianz unerfreulich: steigende Auslandsverschuldung und sogar Rückschritte beim Pro-Kopf-Einkommen gegenüber
den 1950er Jahren.
2.
Erosion der OAS als Institution kollektiver Friedenssicherung
2.1 Die Periode der Pax Americana bis 1982
Der OAS als einer Institution kollektiver Friedenssicherung sind für die
beiden ersten Jahrzehnte seit ihrer Gründung beachtliche Erfolge im zentralamerikanisch-kariischen Raum bescheinigt worden.81 Eine Sichtung der
Konflikte, mit denen die OAS befaßt war82, führt jedoch zu einem
bemerkenswerten Befund: Die Streitbeilegung fand häufig nicht im Rahmen
der dafür vorgesehenen Verfahren und Organe statt. Die naheliegende Vermutung, es habe an einem solchen Instrumentarium gefehlt, trifft nicht zu.
Mit dem „Amerikanischen Vertrag über friedliche Lösungen“ („Pakt von
Bogotá“, 1948) verfügte die OAS über ein umfassendes und geschlossenes
Streitbeilegungssystem, das die früheren interamerikanischen Instrumente
für die friedliche Beilegung von Kontroversen zusammenfaßte und ergänzte.
Bereits die (Bündnis-)Verträge, die während der sogen. Lateinamerikanischen Konferenzepoche im 19. Jahrhundert (ab 1826) von wechselnden
Staatengruppen geschlossen wurden, enthielten einschlägige Vorschriften.
Die Interamerikanischen Konferenzen schufen eine ganze Reihe von Konventionen und Verträgen über die Errichtung von Untersuchungskommissionen, über Ausgleichs- und Schiedsverfahren, Gute Dienste und Vermittlung
dann
erst
ein
im
eigentlichen
Sinne
multilaterales
Streitbeilegungssystem. Scheman weist auf sein Versagen hin:
„The historical experience of this effort holds the most important lesson. All
of these treaties, which were worked on so diligently […], were virtually
ignored.“83
_______________
81
82
83
Jerome Slater: The OAS and United States foreign policy. Columbus 1967, 63 ff.
Tabellarische Übersicht bei L. Ronald Scheman: „Peace and security“, in: Ders.: The interAmerican dilemma, New York 1988, 51-101, 81
Ebd., 62
24
Die Lehre daraus wurde nicht beherzigt, wie der Bogotá-Pakt als die
weitere Steigerungsform eines völkerrechtlich und prozedural perfektionierten Instruments zeigte. Margaret Ball charakterisiert ihn lakonisch als „a
good legal document but perhaps a poor political one.“84
Im Sachbereich „Sicherheit“ leidet die OAS deshalb nicht etwa an einem
Organisationsdefizit, sondern vielmehr an einer Überentwicklung. Der Bogotá-Pakt taugte paradoxerweise nicht für die Praxis, weil er ein nahezu
lückenloses System der friedlichen Stretbeilegung anbot. Sein Hauptmangel
lag darin, daß die Streitentscheidung, nicht die einvernehmliche Beilegung,
im Vordergrund standen. Mit anderen Worten; Im Gegensatz zu dem rigiden
System des Bogotá-Paktes, das darauf angelegt war, einen vorgelegten
Streitfall auch gegen den Willen einer Partei in einem obligatorischen bzw.
judiziären Verfahren zu entscheiden, zogen die Mitgliedsstaaten der OAS
formlose Verfahren vor, in denen sie volle Handlungsfreiheit behielten.85
Sie fürchteten supranationale Einmischung in von ihnen als vital eingestufte
Fragen. Davon einmal abgesehen, wären die Mechanismen des BogotáPaktes vermutlich für das akute Krisenmanagement zu schwerfällig und bei
kleineren Konflikten zu wuchtig gewesen. Wegen der großen Zahl von
Nichtratifikanten war das ambitiöse Vertragswerk unwirksam und wurde
auch in Konflikten zwischen den dreizehn Staaten, die ihn zum teil mit erheblichen Vorbehalten unterzeichnet und ratifiziert hatten, nicht in Anspruch genommen.
Weil der Bogotá-Pakt versagte, kam ersatzweise das „Interamerikanische
Beistandsabkommen“, der Río-Vertrag, zur Anwendung, obwohl er eigentlich primär als kollektiver Beistandspakt zur Abwehr extraregionaler Aggression konzipiert worden war. Ermöglicht wurde diese Zweckentfremdung
durch Artikel 7 des Río-Vertrages, dessen Generalklausel zur friedlichen
Konfliktlösung intraregionaler Konflikte summarisch alle jene bevorzugten
nichtförmlichen Verfahren der einvernehmlichen Streitbeilegung des gescheiterten Bogotá-Paktes-Untersuchung, Gute Dienste, Vermittlung – zu
subsumieren vermochte.86
Entsprechend konsensorientiert war das Vorgehen der OAS: Es fällt auf,
daß in Berichten und Resolutionen sorgsam vermieden wurde, einen Mitgliedsstaat als für den Streitfall verantwortlich zu bezeichnen oder gar zu
verurteilen. Das eigentlich im Río-Vertrag vorgesehene Instrumentarium zur
_______________
84
85
86
M. Margaret Ball: The OAS in transition, Durham 1969, 427
Kutzner, Organisation, 23
Rudolf Dolzer: „Enforcement of international obligations through regional arrangements:
structures and experience of the OAS“, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht
und Völkerrecht 47 (1987), 113-133, 126
25
Bestimmung des Angreifers mit der Folge kollektiver Zwangsmaßnahmen
wurde mithin selten angewandt.87 Damit wollte die OAS Desintegrationstendenzen uns insbesondere Austritten (z.B. zeitweilig Bolivien) vermeiden.
Sanktionen wurden deshalb nur in fünf Fällen verhängt: gegen die Dominikanische Republik 1960 und gegen Kuba in den Jahren 1962, 1964 und
1967 und zuletzt das Embargo gegen Haitis illegales Regime nach dem
Militärputsch im Jahr 1991.88 In der politischen Entscheidungsbildung waren solche Sanktionsbeschlüsse - obwohl formell solidarische Kollektivbeschlüsse der amerikanischen Staaten – stets mit einem zähen „line-up“ verbunden. Formal-juristisch zweifelhaft war überdies der Ausschluß Kubas
aus der Staatenorganisation auf dem VIII. Konsultativtreffen der Außenminister der OAS im Jahr 1962. Da die OAS-Charta keine Handhabe bot,
konstruierten die Außenminister einen Selbstausschuß der Regierung Kubas,
nachdem das Castro-Regime sich freimütig das Etikett „MarxismusLeninismus“ angehängt hatte.89 Das strikt legalistisch argumentierende Mexiko beanstandete, daß die in der Folge verhängten Sanktionen der OAS
gegen Kuba eigentlich einen Nicht-Mitgliedsstaat träfen.90 Die OAS zog
aber vor ihrem Sitz in Washington weiterhin die kubanische Flagge auf und
behalf sich mit der Fiktion des „leeren Stuhls“, wonach nur die gegenwärtige
Regierung Kubas von der Teilnahme am interamerikanischen System suspendiert worden sei, während der Staat Kuba formal Mitglied blieb. Das
änderte am Ausschluß des Staates Kuba de jure und de facto nichts.91
Bemerkenswert ist, daß die OAS-Mitgliedsstaaten in Konfliktfällen häufig nicht nur die eigentlich vorgesehenen Verfahren mieden, sondern auch
die regulär zuständigen Organe. So agierte vor allem der Rat der OAS, eigentlich nur als vorläufiges Hilfsorgan, in Wahrnehmung der Kompetenzen
des Außenministertreffens, das er ohne Datum einberief und welches nur in
_______________
87
88
89
90
91
Brandt, Interamerikanisches Friedenssystem, 391 ff.
C. Lloyd Brown-John: „Economic sanctions: the case of the OAS and the Dominican
Republic, 1960-1962“, in: Caribbean Studies 15 (1975), 73-105; Margaret P. Doxey: International sanctions in contemporary perspective, Basingstole 1987, 56-65.
Edward A. Jamison: „Cuba and the inter-American system: exclusion of the Castro regime
from the Organization of American States“, in: Americas 36 (1980), 317-346, 326; 336. F.
V. García-Amador: La cuestión cubana en la OEA y la crisis del sistema interamericano,
Coral Gables 1987, 36 ff.
Denise Mathy: „Les mesures économiques américaines et de l’O.E.A. contre Cuba.“, in:
Les moyens de pression économiques et le droit international, Bruxelles 1985
Brandt, Interamerikanisches Friedenssystem, 175. Kuba kündigte selbst den Río-Pakt
einseitig auf und ist auch nicht Mitglied der Interamerikanischen Entwicklungsbank.
26
wenigen Fällen tatsächlich tagte.92 Die Entwicklung des Rates zum zentralen
Streitschlichtungsorgan93 und zur wichtigsten politischen Entscheidungsinstanz der OAS94 wurde in der 1967 geänderten OAS-Charta juridifiziert.
Seit dem Inkrafttreten der Charta-Reform im Jahr 1970 trägt er die Bezeichnung Ständiger Rat. Zwar wurde seine umfassende Zuständigkeit aus noch
zu erörternden Gründen stark beschnitten, auf dem Gebiet der friedlichen
Streitregelung wurde sie dagegen erweitert. Danach war er nicht mehr nur
provisorisches Konsultationsorgan des Vertrages von Río, sondern konnte in
eigener Zuständigkeit „über die Erhaltung freundschaftlicher Beziehungen
zwischen den Mitgliedern wachen und zu diesem Zweck ihnen in wirksamer
Weise bei der friedlichen Lösung ihrer Streitigkeiten helfen“.95 Damit wurde
die Anwendung des Río-Paktes auf die Fälle beschränkt, für die er konzipiert worden war, d.h. schwerwiegende zwischenstaatliche Konflikte, bei
denen kollektive Zwangsmaßnahmen notwendig erschienen.
Interessant ist weiterhin, daß in vielen Sciherheitskrisen nicht der OASRat selbst tätig wurde, sondern die aus dem Zweiten Weltkrieg (1940) überkommenen Interamerikanischen Friedensausschuß (Inter-American Peace
Committee, IAPC) mit der Tatsachenfeststellung und der Ausarbeitung von
Vermittlungsvorschlägen beauftragte. Auch hier gilt: Sein Wert lag für die
Streitparteien darin, daß er keine bindenden Entscheidungen traf und ihnen
damit volle Handlungsfreiheit beließ. Der häufige (18 mal zwischen 1948
und 1964) und geräuschlose Einsatz dieses fünfköpfigen, in den OAS-Basisverträgen eigentlich nicht mehr vorgesehenen Gremiums war ein weiteres
Element des höchst elastischen modus operandi unter dem Schirm des an
sich zweckfremden Río-Vertrages. Der selbständige Sonderstatus des IPAC
erweckte jedoch das Mißtrauen vieler Mitgliedsstaaten, so daß man
ihm1951 ein Statut verordnete, wonach ihm die Möglichkeit zu eigener
Initiative genommen wurde. Er durfte danach nur noch einverständlich auf
Anforderung aller Konfliktparteien und unter Aufsicht des OAS-Rates tätig
werden.
Auch dem OAS-Generalsekretär erlaubten die souveränitätsbewußten lateinamerikansichen Staaten keine Initiativfunktion. Seine Zuständigkeiten
waren konzipiert als die eines bloßen „chiefclerk“. Die aktive Rolle Dag
Hammarskjölds als Generalsekretär der Vereinten Nationen, die zu einem
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92
93
94
95
Alwyn V. Freeman: „The political powers of the OAS Council“, in: Law and politics in the
world community: essays on Hans Kelsen’s pure theory and related problems in international law / George A. Lipsky (Hg.), Berkeley 1953, 252-278
Brandt, Interamerikanisches Friedenssystem, 508
Ann van Wynen Thomas; A. J. Thomas Jr.: The Organization of American States, Dallas
1963, 106. Der Rat ist in der institutionellen Hierarchie nur dritthöchstesOAS-Organ.
Artikel 82 der revidierten OAS-Charta
27
wesentlichen Faktor der Friedenssicherung geworden war, gab das als negativ empfundene Gegenbild ab, an dem die OAS und übrigens auch die
OAU die Stellung ihres Generalsekretärs ausrichteten. So blieben bis zu
einer Änderung der OAS-Satzung im Protokoll von Cartagena (1985) die
politischen Entfaltungs- und Einflußmöglichkeiten des OASS-Generalsekretärs vollkommen unbedeutend, da das ständige multi-nationale politische
Organ der OAS, der Rat, eifersüchtig über seine Funktionen wachte.
Der OAS gelang es so in der Nachkriegszeit, die Regierung Costa Ricas
gegen die von Nicaragua ausgehende Invasion zu schützen (1955). Sie trug
zur Beilegung des Grenzstreites zwischen Honduras und Nicaragua bei
(1957-1961) und sie unterstützte die USA –erstmals inkonsequent in der
Beachtung des Interventionsverbotes- bei der Ausschaltung des friedensgefährdenden Trujillo-Regimes in der Dominikanischen Republik (1960/61).
Der erste wirkliche Krieg in der Region seit dem Chaco-Krieg (1932-35),
mit dem sich die OAS zu befassen hatte, der Krieg zwischen El Salvador
und Honduras (1969), konnte von der OAS nach nur hundert Stunden beendet werden, auch wenn es bis zu einem Friedensabkommen dann noch sechs
Jahre dauern sollte. Bemerkenswert nun, daß dies der OAS von Teilen der
Fachwissenschaft nicht einmal als Erfolg gutgeschrieben wurde, mit der
Begründung, sie habe lediglich eine Konfliktberuhigung, nicht aber eine
definitve Konfliktlösung herbeigeführt. Entsprechend urteilt eine Autorin
zur Rolle der OAS im sog. „Fußballkrieg“:
„It is my thesis that ´crisis management´ rather than pacific settlement of
the actual disputes themselves, by default, became the main task of OAS
pacific settlement mechanisms.“96
Hier liegt der springende Punkt bei der Messung des Leistungsoutputs einer internationalen Organisation. Es fehlt nämlich nicht selten bereits im
Ansatz an einer Definition, welche Leistungen exakt bei welchen Funktionen- hier also auf dem Feld der internationalen Friedenssicherung – erwartet
werden. Die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) ist ein Beispiel
für die aus diesem Versäumnis resultierenden Mißverständnisse. So machten
etliche Analysen eine negative Bilanz der regionalen Konfliktbewältigung in
Afrika auf, ließen dabei außer acht, daß der vorrangige Organisationsauftrag
der OAU eben nicht die kollektive Sicherheit der Region war, obwohl dies
natürlich in ihrer Charta niedergelegt ist. In der Form einer versteckten
Agenda war ihr vielmehr die Aufgabe der Herrschaftssicherung zugewiesen
worden. Als Heilige Allianz des Status quo hatte sie territorial und demokratisch prekäre nationalstaatliche Herrschaftssysteme zu legitimieren und
_______________
96
Mary Jeanne Reid Martz: The Central American Soccer War: historical patterns and internal dynamics of OAS settlement procedures, Athens, Ga. 1978, 7
28
gegen allfällige Umstürze und Sezessionsbestrebungen zu schützen. Die
innerafrikanischen Konflikte mußten zu diesem Zweck auch gegen interessierte, äußere Großmächte abgeschirmt werden. Häckel hat diesbezüglich
die einzigartige und erfolgreiche politische Legitimationsleistung der OAU
für die Konsolidierung der jungen afrikanischen Nationalstaaten herausgearbeitet.97 Dies berücksichtigend kommt Akinyemi zu einer realistischen
Einschätzung des angeblichen Erfolgsdefizits der afrikanischen Regionalorganisation:
„It is my contention that these(...) cannot be termed failures for the OAU
does not claim to resolve conflicts (...). Rather than resolve conflicts, the
OAU insulates them from non-African factors, and in doing so, ensures their
resolution by sheer exhaustion – of either or both parties.“98
Die OAS, deren ausdrückliches Mandat die Friedenssicherung auf dem
amerikanischen Kontinent ist, begnügte sich natürlich nicht damit, die Konfliktparteien ausbluten zu lassen. Der relative Erfolg der OAS in den oben
angeführten, als „Kleinkriegen“ zu klassifizierenden Konflikten bestand
tatsächlich in der Herbeiführung eines „pacific non-settlement“, d.h. einer
Stillegung ohne Lösung der den Einzelkonflikten zugrundeliegenden Spannungen.99 Hierin war das Wirken der OAS demjenigen der Vereinten Nationen durchaus vergleichbar.100
Ein Autor weist auf die Bedingungen des Erfolges der OAS hin, die zunächst im damals vorherrschenden Konflikttyp zu suchen sind:
„It seems clear that the OAS was an effective instrument of conflict
management in the El Salvador- Honduras conflict. Yet, the conflict was
precisely the type that it had successfully been able to resolve in the past – a
conflict between two small and weak Central American nations arising over
a purely local question.“101
Auch die Auseinandersetzungen zwischen Militärdiktaturen und demokratischen Reformregierungen, um deren Beilegung sich die OAS gleich
nach ihrer Gründung mit Erfolg bemühte, glichen trotz der ideologischen
_______________
97
98
99
100
101
Erwin Häckel: „Die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU): Legitimationsfunktionen einer internationalen Organisation“, in: Internationales Afrikaforum 15 (1979), 151166
A. B. Akinyemi: „Africa – challenges and responses: a foreign policy perspective“, in:
Daedalus 3 (1982) 3, 243-254, 251
Dies waren im Falle des „Fußballkrieges“ u.a. Migrationsprobleme.
Aida Luisa Lewin: The Organization of American States and the United Nations: relations
in the peace and security field, New York 1974, 73
L.T.G.: „A microcosmic view of the OAS: the Honduras – El Salvador conflict“, in:
Virginia Law review 57 (1971), 291-314, 310
29
Prägung eher persönlichen Fehden der Staatschefs. Die Dimension der stark
internationalisierten zentralamerikanischen Krise in den 80er Jahren stellte
dann an die Konfliktlösungskapazität ungleich höhere Anforderungen, da
nur mit einem „negativen Frieden“ keine Stabilität mehr zu erreichen war.
Wie gesagt, war die Streitbeilegung der OAS bis Ende der 60er Jahre vor
allem dort erfolgreich, wo Regierungen die Konfliktparteien bildeten und
diese eindeutig gegen die von der OAS etablierte Nichtinterventionsnorm
verstießen. Schwieriger war es, in den seit 1979 verschärften Antiregimebzw. Bürgerkriegen Zentralamerikas zu vermitteln, da nicht beide Konfliktparteien Organisationsmitglieder waren. Erschwerend kam hinzu, daß die
zwischenstaatlichen Konflikte in der Subregion, für welche die OAS eigentlich zuständig gewesen wäre, mit der Einmischung der beiden Supermächte
aus West und Ost durch Fremdkonflikte überlagert wurden. Dazu aber später.
Zu der für die beiden Jahrzehnte nach ihrer Gründung recht günstigen
Bilanz des OAS-Konfliktmanagements trug darüber hinaus das relativ geringe Maß an zwischenstaatlicher Gewalt in einer häufig wegen ihrer „Militarisierung nach innen“ als gewalttätig apostrophierten Weltregion bei, so
der Befund von Grabendorff zu Ende der Jahre.102 Auch ein strikter traditioneller Legalismus hat in Lateinamerika zur Durchsetzung völkerrechtlicher
Güteverfahren entscheidend beigetragen, so daß man von einem spezifisch
lateinamerikanischen Konfliktverhalten sprechen kann.103 Die Mehrzahl der
lateinamerikanischen Länder sind seit langem konsolidierte Nationalstaaten
mit einer gemeinsamen kolonialen Vergangenheit und der Sprache und
Kultur der Hispanität (hispanidad), von der sich die Idee der „naciones
hermanos“ ableitet. Die territoriale bzw. die – in vielen Weltregionen zur
Signatur der neuen Zeit gewordene – ethnonationale Konfliktdimension104
drohte deshalb kaum je die Konfliktregulierungsfähigkeit der OAS zu überfordern. Das ist nicht selbstverständlich, wie ein Vergleich der Organisation
der Afrikanischen Einheit (OAU) zeigt, die ja massiv mit Grenzkonflikten
und Sezessionsbestrebungen konfrontiert war.
_______________
102
103
104
Wolf Grabendorff: „Gewalt und Außenpolitik: Zum Konfliktverhalten lateinamerikanischer
Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg“, in: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft
und Gesellschaft Lateinamerikas 15 (1978), 397-424, 397
Waldemar Hummer: „Rechtsfragen in zwischenstaatlichen Krisen- und Konfliktslagen in
Lateinamerika“, in: Zeitschrift für Lateinamerika (1980) 17, 37-65. Siehe auch: Francisco
José Urrutia: La evolución del principio de arbitraje en América, Madrid 1920
Einen Überblick über potentielle und anhängige Konflikte geben: Stephen M. Gorman:
„Present threats to peace in South America: the territorial dimensions of conflict“, in: InterAmerican Economic Affairs 33 (1979), 51-71; Jack Child:
30
Eine weitere Determinante für die Effektivität der interamerikanischen
Friedenssicherung war schließlich die Existenz einer sanktionsfähigen Ordnungsmacht, d.h. das Engagement und das militärische Potential der insbesondere an der karibisch-zentralamerikanischen Region strategisch, ökonomisch und politisch interessierten Vereinigten Staaten. Das galt zunächst
ganz vordergründig und konkret für die technisch-logistische Seite von
OAS-Operationen, z.B. bei der Beendigung des Krieges zwischen El Salvador und Honduras: „In no small measure the effectiveness of the OAS as a
peace-keeper results from US membership. United States resources play a
key role in OAS peace and security activities, particulary field
operations.“105 Das Funktionieren des gewaltbegrenzenden Sicherheitssystems der OAS war aber in einem weiteren Sinne garantiert, weil die
Hegemonialmacht USA über ausreichende, nicht institutionalisierte
Sanktionsmechnismen verfügte.
Die Grenzen der OAS lagen nicht zufällig dort, wo die realen oder perzipierten Interessen der USA im überwölbenden Ost-West-Konflikt betroffen
waren und sich intra-regionale Konflikte allianzabhängig mit extra-regionalen verschränkten.106 Dafür stehen als Beispiele die Konflikte des Hauptakteurs USA mit Guatemala 1954, Kuba 1961, Panama 1964 und der Dominikanischen Republik 1965. Die friedenswahrende Rolle der OAS war dann
von erheblicher Schlagseite gekennzeichnet. So ist beispielsweise die von
den USA geförderte „Schweinebucht“-Invasion Kubas (1961) von der OAS
noch nicht einmal diskutiert worden. Beim Sturz der guatemaltekischen
Arbenz-Regierung 1954 handelte die OAS als Regionalorganisation so
rechtzeitig, um dem Eingreifen der Vereinten Nationen zuvorzukommen,
aber auch dilatorisch genug, um den von den USA favorisierten Erfolg des
Coups von Castillo Armas nicht noch zu gefährden.107 Der indirekte Eingriff
der USA in der Dominikanischen Republik im Jahr 1965 ist von der Entsendung einer OAS-Friedenstruppe beantwortet worden, deren Funktion letztlich die Rettung des autoritären Regimes war. Im Gegensatz dazu hat sich
die OAS schneller Befassung und Verurteilung aggressiver Akte Kubas
befleißigt. Mark Zacher stellt hierzu fest: „In such cases of aggression
against a communist state, most of the OAS members wanted the collective
security system to fail.“108
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105
106
107
108
Levin, Organization, 33
Jean-Paul Hubert: „L´Organisation des Etats Américaines“, in: Revue Francaise de Science
Politique 21 (1971) , 339-361, 360 f.
Slater, OAS and United States, 122 f.
Mark W. Zacher: International conflicts and collective security, 1946-77: the United
Nations, Organization of American States, Organization of African Unity, and Arab
League, New York 1979, 108
31
Für die USA und die mit ihnen verbündeten sozialkonservativen Regime
etwa in Brasilien oder Zentralamerika diente hier die OAS weniger der
Friedens- als vielmehr der Herrschaftssicherung, wie sie als implizite Aufgabe der OAU vorstehend bereits ausgemacht wurde.
Die am Ost-West-Gegensatz ausgerichtete Fremdbestimmung von Konflikten erklärt den janusköpfigen Doppelcharakter der OAS. Konzipiert als
ein typisches System kollektiver Sicherheit fungiert die OAS seit ihrer
Gründung mit mehr oder weniger Erfolg als ein Gewaltverzichts- bzw. Gewaltsanktionsregime, das Konflikte zwischen den Mitgliedsstaaten bearbeiten soll. Rasch kam jedoch die Rolle einer extrovertierten Allianz mit antikommunistischer Ausrichtung hinzu, der die Abwehr „sino-sowjetischer
Aggression“, wie es damals hieß, nach außen wie nach innen aufgetragen
wurde.109 Der letzte Aspekt verschärfte die Kompatibilitätsprobleme zwischen der vormals mit großer Autonomie agierenden OAS als Regionalorganisation und der übergeordneten, globalen Organisation der Vereinten
Nationen.
Zweifelhaft ist, ob die OAS jemals ein wirkliches militärisches Bündnissystem darstellte. Im Gegensatz zur NATO verfügt die OAS nicht über
eigene Truppenkontingente und über integrierte Stäbe bzw. Kommandostrukturen in Friedenszeiten. Auch für den Fall einer von außerhalb der
Hemisphäre kommenden Aggression wird kein institutioneller Rahmen
bereitgehalten. Anders als beim Atlantik-Pakt gibt es im OAS-Río-PaktSystem auch keine automatische Bündnispflicht, wonach ein Angriff auf
einen Vertragspartner als eine Angriffshandlung auf alle betrachtet wird und
alle Beteiligten verpflichtet sind, dann sofort Beschlüsse zu fassen. Nach
dem Río-Vertrag entscheidet jedes einzelne Mitgliedsland selbst über den
Einsatz bewaffneter Gewalt.110 Trotz ihrer ursprünglichen Funktion auf dem
Gebiet kollektiver Selbstverteidigung war die OAS kein militärisches Bündnis, sondern wurde lediglich mit konsultativen sicherheitspolitischen Funktionen ausgestattet. Sie war der symbolische multilaterale Deckel für die
bilateralen Sicherheits- und Militärhilfeabkommen der USA mit den lateinamerikanischen Staaten, worauf Child in seiner maßgebenden Studie hingewiesen hat.111
_______________
109
110
111
Helmut Rumpf: „Ideologische Homogenität in den Allianzen“, in: Außenpolitik 33 (1982),
147-158, 151 ff. Für Rumpf war die OAS das Beispiel eines modernen ideologischen
Paktes.
E. Vandevanter Jr.: A further inquiry into the nature of alliances: NATO and the OAS,
Santa Monica 1968
John Child: Unequal alliance: the inter-American military system, 1938-1978, Boulder
1980, 236
32
Daß Funktionselemente eines militärischen Bündnissystems demnach
eine atypische Seite der OAS darstellten, erklärt auch, weshalb für den Interamerikanischen Verteidigungsrat (Inter-American Defense Board) eine
vollständige Integration in die OAS bisher nicht zu erreichen war. 1942
gegründet,112 wurde dem IADB nur die Stellung einer der OAS assoziierten
Sonderagentur zugebilligt, die nicht ihr, sondern allein den Mitgliedsstaaten
verantwortlich sein sollte. Die OAS bestimmte lediglich über das Budget
des Verteidigungsrats. 113 Als eine Art Konsortium von Flaggoffizieren der
Signatarstaaten des Río-Paktes war der Verteidigungsrat in der Vergangenheit ein Koordinationszentrum der militärischen Planung auf dem Gebiet der
Rüstungsstandardisierung (besonders auf der Höhe des Korea-Krieges), der
Ausbildung und später bei der sog. „Subversionsbekämpfung“. Die lateinamerikanischen Mitgliedsländer der OAS standen ganz überwiegend einer
Funktionserweiterung der Staatenorganisation auf dem militärischen Sektor
ablehnend gegenüber, wie die gescheiterten Versuche zur Institutionalisierung eines ständigen militärischen Hauptorgans der OAS und einer interamerikanischen Friedensstreitmacht erkennen lassen. Sie fürchteten den
Einsatz eines NATO-ähnlichen Paktes gegen sie selbst, deshalb wurden
derartige Vorstöße als „OTANización“ (Natoisierung) abgelehnt.114 Diese
Haltung bestärkten die Erfahrungen der Dominikanischen Krise von 1965,
als eine vorhergegangene unilaterale US-Intervention multilateral drapiert
wurde. Die OAS realisierte nach dem fait accompli der US-Invasion in
Santo Domingo, in zwei Lager gespalten, nur mühsam die Schaffung einer
„Interamerikanischen Friedensstreitmacht“ (IAPF) durch ein Einkleckern
von lateinamerikanischen Symbolkontingenten in die US-Besatzungsmacht.115
Solcher überzogene unilaterale Gebrauch der multilateralen Staatenorganisation erschöpfte zunehmend ihre Legitimationskapazität für die Politik
_______________
112
113
114
115
Third Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs of the American Republics,
Rio de Janeiro 1942: „[Res.] XXXiX: Inter-American Defense Board“, in: The International Conferences of American States. Second supplement, 1942-1954: Treaties, conventions, declarations, recommendations, and resolutions […], Washington, D.C. 1958, 44
Inter-American Conference on Problems of War and Peace, México, D.F. 1945: „[Res.] IV:
Creation of a permanent military agency“, ebd., 62 f.; Ninth International Conference of
American States, Bogotá 1948: [Res.] VII: Budget of the Inter-American Defense Board“,
ebd., 236; Charter of the Organization of American States, Art. 44-47 („Advisory Defense
Committee“), ebd., 187; Fourth Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs,
Washington, D.C. 1951: „Inter-American military cooperation“, ebd., 293-295
James R. Jose: An inter-American peace force within the framework of the Organization of
American States: advantages, impediments, implications, Metuchen 1970, 110
V. Shiv Kumar: US interventionism in Latin America: Dominican crisis and the OAS,
London 1987, 49 ff.; Gordon Connell-Smith: „The OAS and the Dominican crisis“, in:
Joseph S. Nye Jr. (Hg.): International regionalism: readings, Boston 1968, 97-105
33
der USA, indem die Legitimität der OAS bei der Mehrheit ihrer Mitglieder
entwertet wurde. Slater beschreibt die Risiken einer solchen opportunistischen Strategie des mächtigsten Mitglieds:
„The capacity of an international organization to legitimate national
policies may very widely from case to case, function to function. Since its
legitimacy depends on its being perceived as a repository of the general will,
its capacity to bestow collective legitimization is inversely related to the
degree to which the organization is used by member states to implement
their traditionally defined national interests rather than to seek
consensus(...). The organization may not so much legitimize the policy as
the policy delegitimize the Organization.“116
In dem Maße, in dem sich die lateinamerikanischen Außenbeziehungen
diversifizierten und sich in einem grundlegenden Strukturwandel damit
zugleich das interamerikanische System“ entvertikalisierte“117 wurde die
„hegemoniale Anmaßung“118 und die „pre-emptory authority“119 der
Vereinigten Staaten immer offener zurückgewiesen. Der relative Positionsverlust der USA, parallel zur Nivellierung der Handelsdominanz120 dieses
bisher nahezu alles bestimmenden externen Akteurs, der sich zwar nicht in
der gesamten Region, aber doch in Südamerika zeigte, wird von Juan Puig
mit einem Beispiel illustriert:
„The sterile, last-minute telephone call from President Reagan to General
Galtieri of Argentina on the occasion of the 1982 Argentine recovery of the
Malvinas islands vividly demonstrates this decline in US ability to deter or
control conflict.“121
_______________
116
117
118
119
120
121
Jerome Slater: „The limits of legitimization in international organizations: the Organization
of American States and the Dominican crisis“, in: International Organization 23 (1969),
48-72, 72
Abraham F. Lowenthal: „Strukturwandel in den interamerikanischen Beziehungen“, in:
Europa-Archiv 35 (1980), 509-516; Klaus Eßer: „Neue Elemente in den
Außenbeziehungen der Staaten Lateinamerikas“, in: Europa-Archiv 25 (1970), 691-702,
697
Abraham F. Lowenthal: „The United States and Latin America: ending the hegemonic
presumption“, in: Foreign Affairs 55 (1976), 199-213
Michael A. Morris; Victor Millán: „Introduction“, in: Dies. (Hg.): Controlling Latin
American conflicts: ten approaches, Boulder 1983, 2
Dieter Oberndörfer: „Die Lateinamerikapolitik der USA: Bilanz und neuere Entwicklung“,
in: Jahrbuch für Amerikastudien 18 (1973), 24-61, 30 ff. Oberndörfer wies ebenso auf die
Kehrseite der Medaille hin, nämlich den sinkenden Stellenwert Lateinamerikas im Interessenhorizont der USA.
Juan Carlos Puig: „Controlling Latin American conflicts: current juridical trends and
perspectives for the future“, in: Michael A. Morris; Victor Millán (Hg.): Controlling Latin
American conflicts: ten approaches, Boulder 1983, 24.
34
Das betraf insbesondere die traditionellen Steuerungs- und Einflußmöglichkeiten der Vereinigten Staaten, mit Hilfe von Waffenlieferungen das
Konfliktpotential und die Drohkapazität einzelner lateinamerikanischer
Staaten zu begrenzen oder gegeneinander auszubalancieren.122 Vor allem
südamerikanische Großstaaten entzogen sich dem Einfluß der USA durch
den Einkauf militärischer Spitzentechnologie auf dem Weltwaffenmarkt und
durch den Aufbau eigener Rüstungsindustrien. Argentinien führte hochmodernes Kriegsgerät 1982 im Südatlantikkrieg vor. Brasilien, ein Land mit
mittlerer Technologiereife, ist zugleich ein Beispiel für das große Potential
an horizontaler Rüstungsproliferation. Es war Mitte der 80er Jahre nicht nur
der größte Waffenexporteur Lateinamerikas, sondern ebenso der gesamten
Dritten Welt, bevor u.a. die Schließung des irakischen Marktes einen herben
Rückschlag bedeutete.123 Vor dem Hintergrund dieser Rüstungsautonomie
ist die abrupte Kündigung von Militärhilfeabkommen zu verstehen, mit der
eine ganze Reihe von Militärregimen auf die Menschenrechtspolitik der
Carter-Adminstration reagierte. Die USA verloren damit gerade dort an
Einfluß, wo ihre Autorität traditionell am höchsten war, nämlich bei den
militärischen Eliten Lateinamerikas. Die Dreistigkeit, mit der in jüngster
Zeit die Militärmachthaber so „schwacher“ Staaten wie Panama und Haiti
den Pressionen der USA getrotzt haben, belegen diese Entwicklung.
Zusammenfassend: Das bilaterale Einflußpotential der USA als Ordnungsmacht hatte in Verbindung mit der legalistischen Tradition des Subkontinents und der elastischen, informellen Streitbeilegungspraxis der OAS
bis in die 70er Jahre hinein konfliktreduzierend gewirkt. In der Folge versagten die Konfliktregulierungskapazitäten der OAS in den Ereignissen, die
mit der Metapher „Mars moves South“ beschrieben wurden. Beispiele für
die neuerliche Konfliktgeneigtheit des Subkontinents waren die militärischen Kollisionen zwischen Peru und Ecuador 1981 und 1983.124 Gleichzeitig nahm der Rekurs auf die Konfliktschlichtungsprozeduren der OAS stark
ab.
So stand 1984 bei der Territorialregelung des argentinisch-chilenischen
Jahrhundertstreites um den Beagle-Kanal, der 1978 noch beinahe zum Krieg
_______________
122
123
124
Gabriel Marcella: „Las relaciones militares entre los Estados Unidos y América Latina:
crisis e interrogantes futuras“, in: Estudios Internacionales 13 (1980) 51, 382-400, 395
Nikolaus Werz: „Militär und Rüstungstendenzen in Lateinamerika“, in: Beiträge zur Konfliktforschung 16 (1986), 69-86, 78 f.
Jack Child: Geopolitics and conflict in South America: quarrels among neighbors, New
York 1985, 92 ff.
35
eskaliert wäre, die mondiale Friedensautorität des Papstes und die bilaterale
Kompromißbereitschaft Pate, nicht aber die Vermittlung der OAS.125
Dennoch sah sich die OAS als stiller Teilhaber des Erfolges: „ There is a
theory in vogue among OAS delegates and secretariat staff members that the
sheer existence of the organization´s settlement machinery deters disputes
and thus the efficacy of the mechanism is not necessarily measured by the
use thereof.“126 Morris und Millán urteilten hierzu im Jahr 1983 apodiktisch: „… the organization generally has failed to constrain the expansion of
conflicts or to limit them in recent years.“127
Einen tieferen Einschnitt für das kollektive Sicherheits- und Beistandssystem der OAS bedeutete der Falkland-Krieg. In diesem ersten wirklichen
Konflikt mit einer außerhemisphärischen Macht erwies sich der Rió-Pakt als
gänzlich unwirksam.
2.2 Agonie des interamerikanischen Verteidigungspaktes (Río-Vertrag)
Als Folge des unerklärten Falkland/Malwinen-Krieges zwischen Argentinien und Großbritannien im Jahr 1982 erwarteten viele Kommentatoren ein
baldiges Ende der OAS.
In der Tat wurde im Juli 1982 u.a. vom mexikanischen Staatspräsidenten
de la Madrid und vom einflußreichen venezolanischen Ex-Präsidenten Pérez
die Forderung nach einer alternativen „OEA sin Estados Unidos“ und nach
einem eigenen lateinamerikanischen Verteidigungspakt erhoben.128 Costa
Rica schlug vor, die OAS aus Washington abzuziehen und bot sich selbst als
Sitzstaat an.129 Dabei handelte es sich, wie Arthur Whitakers klassische
Arbeit nachweist, um Ideen, die regelmäßig dann wiederkehren, wenn das
bestehende interamerikanische System durch die Interessen der USA einseitig überbeansprucht wird.130 Die postulierte Umgründung der OAS in eine
_______________
125
126
127
128
129
130
Der Erfolg des vatikanischen Schlichters erinnerte an die fast 500 Jahre zuvor mit päpstlicher Autorität herbeigeführte Aufteilung der Interessensphären der iberischen Staaten, aus
der 1494 mit dem Vertrag von Tordesillas die erste Grenzziehung in Lateinamerika resultierte.
Mary Jeanne Reid Martz: „OAS reforms and the future of pacific settlement“, in: Latin
American Research Review 12 (1977), 176-186, 183
Morris; Millán, Controlling Latin American conflicts, 1
Carlos J. Moneta: „El conflicto de Malvinas: algunas consideraciones sobresus efectos en
el marco regional e internacional“, in: Nueva Sociedad (1982) 62, 25-41, 36; Viron P.
Vaky: „Inter-American security; lessons from the South Atlantic“, in. Worldview 26 (1983)
1, 17-20, 18
Francisco Orrego Vicuña: „La crisisisl Atlántico Sur y su influencia en el sistema regional“, in: Estudios Internacionales 15 (1982) 60, 473-498, 494
Arthur P. Whitaker: The Western Hemisphere idea: its rise and decline, Ithaca ²1965
36
alternative lateinamerikanisches „OLAS“ behielt auch 1982 ihren rhetorischen Charakter.
Dennoch trugen Krise und Krieg im Südatlantik dazu bei, daß sich erneut
eine lateinamerikanische Solidaritätsfront profilierte, wie sie sich schon
1979 abgezeichnet hatte, als der Vorschlag der Vereinigten Staaten, den
Bürgerkrieg in Nicaragua durch die Entsendung einer interamerikanischen
Friedenstruppe zu beenden, auf die geschlossene Ablehnung der lateinamerikanischen Staaten in der OAS gestoßen war. Insofern kam die Krise um
die Falklands/Malwinen nicht als Ursache für die Agonie der OAS in den
darauf folgenden Jahren ausgemacht werden: „Whether it accelerated longexisting trends related to the continuing decline of Pan-Americanism and
further erosion of U.S. hemispheric hegemony.“131
Nicht die OAS, sondern der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen war
mit dem Falkland-Konflikt in erster Instanz befaßt. Als seine Resolution 502
vom 3. April 1982 den sofortigen Abzug aller argentinischen Streitkräfte
von den Inseln forderte132 und eine Unterstützung der britischen Position
durch die Europäische Gemeinschaft zu erwarten sind, richteten sich die
Hoffnungen des argentinischen Militärregimes auf den Ständigen Rat der
OAS, der auf ihren Antrag hin unter den Bestimmungen der OAS-Charta
zusammentrat. Da entsprechend den Statuten alle der damals 29 Mitgliedsländer vertreten waren, konnten die Außenminister der englischsprachigen
Staaten, neben den USA also auch die in der karibischen Gemeinschaft
CARICOM zusammengefaßten Neumitglieder der OAS, einen mäßigenden
Einfluß auf die ausgegebene „Resolution of concern“ des OAS-Rates vom
13. April 1982 ausüben.133
Dies trug den „anglófonos“ seitens Argentiniens den Vorwurf ein, sie
handelten als Agenten einer „außereuropäischen Kolonialmacht“, was nur
der schrillste Ausdruck eines verbreiteten Mißtrauens der hispanoamerikanischen Staaten gegenüber den mit Europa immer noch eng verbundenen
CARICOM-Staaten war. Diese maßgeblich auch auf kulturelle Unterschiede
zurückzuführende Kluft, welche die OAS durchzieht, wird später noch aus_______________
131
132
133
G. Pope Atkins: Diplomacy in the South Atlantic crisis“, in: Latin America and Caribbean
contemporary record, Volume II, 1982-1983 / Jack W. Hopkins (Hg.), New York 1984, 2233., 32
United Nations, Security Council: „Resolution 502 (1982) of 3 April 1982“, in:
Resolutions and decisions of the Security Council 1982, New York: United Nations, 1983
(Security Council Official Records, 37th year, S/INF/38), 15
Permanent Council: „CP/RES. 359 (490/82): The situation obtaining between the Republic
of Argentina and the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland in relation to
the Malvinas (Falkland) Islands, OEA/Ser.G, CP/RES. 359 (490/82), 13.04.1982
37
führlich erörtert werden.134 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle zunächst
einmal, daß die Krise eine Polarisierung der Mitgliedschaft der OAS in
einen „mindo hispano“ und einen „mundo anglo-sajón“ zutage treten ließ.
Argentinien wechselte, um eine günstigere Entscheidung herbeizuführen,
daraufhin das Forum innerhalb der OAS. Es rief den Río-Pakt (TIAR im
spanischen Kürzel) an. Dabei suchte es nicht gezielt militärischen Beistand,
sondern irgendeine Form sichtbarer Unterstützung.135 Gegen die entschiedene Opposition der Vereinigten Staaten und gegen die Bedenken Chiles
und Kolumbiens trat das XX. Konsultativtreffen der OAS-Außenminister
unter den Bestimmungen des Beistandspaktes von Río zusammen. Damit
blieben acht der neun CARICOM-Staaten vor der Türe dieses Gremiums, da
von ihnen allein Trinidad und Tobago zu den 21 Signatarstaaten des RíoVertrages gehörte,
Die OAS-Außenminister drängten, während die britische Streitmacht bereits vorrückte, in ihrer Resolution vom 28. April 1982 auf einen sofortigen
Waffenstillstand, forderten die Anerkennung der Souveränität der Republik
Argentinien über die Malwinas (Falkland-Inseln) und der Interessen der
Inselbewohner“ und verlangten „Verhandlungen zur friedlichen Beilegung
des Konflikts“.136 Es ist bezeichnend, daß trotz der emotionalen Solidarisierung Lateinamerikas mit der Position Argentiniens, das vom Angreifer zum
Angegriffenen geworden war, es der Militärjunta in Buenos Aires in keiner
Weise gelang, eine der nach dem Río-Vertrag möglichen, bis hin zu kollektiven militärischen Maßnahmen reichenden Sanktionen gegen Großbritannien zu erwirken, die eine Zweidrittelmehrheit erfordert hätten. Nicht einmal
den Abzug der britischen Kriegsflotte im Südatlantik verlangten die Außenminister, wohingegen sie Argentinien zur Mäßigung mahnten.137
Die Vereinigten Staaten, die auf eigene Vermittlungsbemühungen im bilateralen Rahmen setzten und denen die Behandlung der Krise durch den
OAS-Multilateralismus ungelegen kam, versagten der Resolution ihre Unterstützung, ebenso Kolumbien und Trinidad und Tobago. Andere OASMitglieder von Gewicht, wie Brasilien und Mexiko, bezweifelten, daß der
_______________
134
135
136
137
Barbara Crossette: „In the O.A.S., cultural rift“, in: New York Times, 16.04.1982, A11
Tomás Mestre Vives: El sistema interamericano y la guerra de las Malvinas: Su mutuo
impacto, Madrid 1984, 16
Ministers of Foreign Affairs, XX,. Meeting of Consultation: „Declararation by the foreign
ministers of the Americas upon initiating the opening session of the Twentieth Meeting of
Consultation of Ministers of Foreign Affairs“, OEA/Ser.F/II.20, Doc.14/82, 26.04.1982;
„Resolution I: Serious situation in the South Atlantic“, OEA/Ser.F/II.20, Doc.28/82 rev.3
corr.1, 28.04.1982
Gordon Connell-Smith: „The OAS and the Falkland conflict“, in: The World Today 38
(1982), 340-347, 345
38
Río-Pakt überhaupt zuständig sei.138 Sie favorisierten die Konfliktlösung
durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Damit bestritten nicht zum
ersten Mal Mitgliedsländer der OAS das von ihr beanspruchte Erstbefassungsrecht, welches dem Regionalsystem anfänglich zu weitgehender Autonomie im Verhältnis zur Universalorganisation der Vereinten Nationen
verholfen hatte. Blickt man auf die Staatenpraxis in Afrika, so hielt man sich
dort fast durchweg an die Priorität der regionalen Streitbeilegung nach der
Maxime „try Oau first“.139 Lateinamerikanische Staaten richteten sich, wie
zuletzt das sandinistische Nicaragua, aus Sorge über die Dominanz der USA
zunehmend an die Vereinten Nationen. Ausdrücklich verankerten sie deshalb bereits 1975 durch das Zusatzprotokoll von San José im Río-Vertrag
das Recht der Mitgliedsstaaten, den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
direkt einzuschalten.140
Für das Verhalten der Länder Lateinamerikas waren in erster Linie Rivalität oder Freundschaft zu Argentinien, Kontinuität der wirtschaftlichen
Beziehungen zu Westeuropa und den USA und die Frage, ob sie selbst in
ähnliche Territorialstreitigkeiten verwickelt waren, bestimmend. Unter der
Oberfläche gesamtlateinamerikanischer Solidaritätsbekundungen mit Argentinien und seinem Souveränitätsanspruch über die Malwinen kamen
komplexe zwischenstaatliche Rivalitäten zum Vorschein, die dem scheinbaren „Block“ insgesamt wenig mehr als Lippenbekenntnisse und symbolische
Gesten zugunsten der argentinischen Position erlaubten.
Der Konflikt um die Inselgruppe führte nicht erst zu den Friktionen innerhalb der lateinamerikanische Staatengruppe, sondern er rührte an bestehende ungelöste Territorialdispute auf dem Subkontinent, die mit ihm teilweise die kolonialgeschichtliche Wurzel gemein haben. Venezuela, Guatemala, Panama und Peru unterstützten nachdrücklich den argentinischen
Territorialanspruch, da sie in vergleichbare Konflikte jeweils mit Guyana
(vormals Britisch-Guiana), Belize (vormals Britisch-Honduras), den Vereinigten Staaten und Chile verstrickt waren. Als zusätzliches Motiv spielte im
Falle Venezuelas noch hinein, daß das Land im Begriff war, sich von der
Haltung der Vereinigten Staaten zu der zentralamerikanischen Krisenregion
abzusetzen und seine Distanz in jenem Augenblick demonstrieren konnte,
als die USA von einer vermittelnden „hemisphärischen“ zu einer „Nord_______________
138
139
140
Alejandro Magnet: „La OEA a la hora de la verdad“, in: Hoy (1982) 251, 48-49
Victor Eno-obong Archibong: The Organization of American States and the Organization
of African Unity on issues of peace and security: comparative analysis of selected disputes,
Lawrence, Univ. of Kansas, Ph.D. Dissertation, 1987.
Artikel 11 des Protocol of Amendment to the Inter-American Treaty of Reciprocal
Assistance (Rio Treaty), July 1975, enthalten in: OEA/Ser.A/1.Add. (SEPF) = Serie sobre
tratados; 46
39
Position“ an der Seite des nordatlantischen Verbündeten Großbritannien
wechselten. Brasilien unterstützte die argentinische Position zwar, dies aber
eher halbherzig. Beide Länder trennte historisch ihre traditionelle Rivalität,
doch wollte Brasilien die seit 1979 von beiden Ländern gesuchte Wiederannäherung nicht belasten. Die nationalen Interessen transzendierten während
der Falklandkrise sogar ideologische Trennlinien: Demokratische
Regierungen wie Venezuela, Peru, Ecuador, Costa Rica und die Dominikanische Republik unterstützten das autoritäre Militärregime in Buenos Aires
ebenso wie die „radikalen“ Regime Nicaraguas, Grenadas und Kubas (von
außerhalb der OAS), die sich aus ideologischen Gründen („antiimperialistische Solidarität“) dazu aufgerufen glaubten und mit einer Demonstration
hemisphärischer Solidarität gleichzeitig aus ihrer isolierten Stellung in der
OAS auszubrechen versuchten.141
Die Eigeninteressen der lateinamerikanischen Minderheit, die sich bei
den entscheidenden Abstimmungen in der OAS ihrer Stimme enthielt, lassen
sich ebenfalls benennen: Kolumbien hatte Territorialkonflikte mit Venezuela und Chile solche mit Peru, Bolivien und Argentinien. Wie Großbritannien übten sie die Kontrolle über das umstrittene Gebiet aus und fürchteten
eine Präzedenzwirkung, wäre Argentinien erfolgreich gewesen. Chile war
insbesondere besorgt, daß Argentinien daraufhin ein weiteres militärisches
Abenteuer im Konflikt um den Beagle-Kanal hätte suchen können.142
So ist festzuhalten, daß der Falkland-Konflikt außerhalb der OAS eine
Fragmentierung der lateinamerikanischen Staatengruppe bloßlegte, in der
einige Beobachter bereits die Gefahr einer „Balkanisierung“ zu erkennen
glaubten, die aber, wie sich zeigen sollte, letztlich bewirkte, daß intraregionale Kooperationsanstrengungen verstärkt wurden.143
Erst als die USA in diesem Konflikt Partei nahmen und damit auch aus
der Warte der Völkerrechtswissenschaft eindeutig die Bestimmungen (insbesondere Artikel 3) des Río-Vertrages mißachteten144, sahen sich „die“
Lateinamerikaner, die eine „Einheit“ nur im Verhältnis zu den Vereinigten
_______________
141
142
143
144
Atkins, Diplomacy in the South Atlantic crisis, 30 f., Annegret Haffa; Nikolaus Werz:
„Falkland-Konflikt und interamerikanische Beziehungen“, in: Außenpolitik 4 (1983), 182198, 188 f.; Srilal Perera: „The OAS and the inter-American System: History, law, and
diplomacy“, in: The Falklands War: Lessons for strategy, diplomacy, and international law
/ Alberto R. Coll; Anthony C. Arend (Hg.), Boston 1985, 132-155, 143 ff.
Atkins, Diplomacy in the South Atlantic crisis, 30
Heraldo Muñoz: „Efectos y lecciones del conflicto de los Malvinas“, in: Estudios
Internacionales 15 (1982) 60, 499-512, 511
Tina A. Lamoreaux: „United States obligations under the OAS Charter and the Rio Treaty:
an analysis of the Falkland Island crisis“, in: California Western International Law Journal
13 (1983) 3, 493-518, 513 ff.
40
Staaten darstellten, zu einer Solidarisierung gezwungen, für die sich die
OAS als Bühne anbot. Die rasche Abkehr der USA von ihrer anfänglichen
Vermittlerrolle mit der Pendeldiplomatie ihres Außenministers Haig und das
Einschwenken auf die Seite des engsten NATO-Verbündeten trug den Vereinigten Staaten von ihren südlichen Nachbarn den Vorwurf ein, den interamerikanischen Beistandspakt aufgekündigt zu haben. Mit Argentinien
fühlten sie sich zu Verbündeten „zweiter Klasse“ degradiert. Der Außenminister Nicaraguas drückte dies aus, indem er der Reagan-Administration
unterstellte: „“As far as they´re concerned, America is the United States.
Latin American countries are merely tools of their policies and interests and
objectives.“145
Noch nie zuvor hatte die OAS eine derart von Emotion und Frustration
geprägte Debatte erlebt, wie jene Dringlichkeitssitzung der Außenminister
am 27. Mai 1982, in der ein Redner nach dem anderen Großbritannien und
die USA attackierte. Nach 17 Stunden wurde mit 17 Stimmen bei 4 Enthaltungen146 eine Resolution verabschiedet, die allerdings den vollständigen
Bruch mit den USA vermied: Ausdrücklich verurteilt wurde die britische
„Aggression“, nicht aber deren materielle und logistische Unterstützung
durch die USA. Die USA, darin bestand die Nuance, wurden lediglich aufgefordert, diese Hilfe für Großbritannien und ihre Strafmaßnahmen gegen
Argentinien einzustellen.147
Die von ihnen als „Betrug“ empfundene Parteinahme der USA ließ die
politischen Eliten Lateinamerikas Alternativen zum Río-Pakt bis hin zu
einer Neutralitätslösung diskutieren.148 Der Río-Vertrag, der aus dem OstWest-Gegensatz heraus entstanden war, erwies seine Hinfälligkeit gerade
angesichts dieses ersten Krieges zwischen Nord und Süd in seinem Vertragsbereich.
In der Einleitung zur vorliegenden Arbeit war die Rede davon, daß der
Río-Pakt mit seiner politisch-militärischen Doppelformel ein Vorbild für die
NATO war. Damit enden aber schon die Gemeinsamkeiten, auch wenn die
NATO vor ihrer Bewährung angesichts weltweiter Interessen der USA (und
Großbritanniens) ebenso als ein vergleichsweise bescheidener Regionalpakt
_______________
145
146
147
148
Bernard Wein[t]raub: „Argentine assails U.S. at O.A.S. talks“, in: New York Times,
28.05.1982, A1; A8, Zitat hier A8
USA, Chile, Kolumbien, Trinidad und Tobago – mithin dieselbe Konstellation wie bei der
Abstimmung über die Resolution I.
Ministers of Foreign Affairs, XX. Meeting of Consultation: „Resolution II“,
OEA/Ser.F/II.20, Doc.80/82 rev.2 corr.1, 29.05.1982. Siehe auch Robert Reinhold: „U.S.
is set back as O.A.S. sides with Argentina“, in: New York Times, 30.05.1982, sec. 1, 16
So z.B. der ehemalige bolivianische Präsident Walter Guevara Arce: „El TIAR a la luz del
conflicto de las Malvinas“, in: Nueva Sociedad (1982) 62, 43-56, 43
41
begann. Der Río-Pakt erlebte jedoch mit anderen Bündnissystemen aus der
Zeit der Containment-Politik eine fortschreitende Desintegration. Er ist zwar
bisher nicht wie die SEATO (1972) oder der CENTO-Pakt (1979) aufgelöst
worden, aber wie der ANZUS-Pakt besteht er nur formell fort.
Sollte die Reagan-Administration ursprünglich geplant haben, mit seiner
Hilfe ihre Vorstellungen in Zentralamerika durchzusetzen, so stand dieses
Instrument nicht mehr zur Verfügung . Die für antikommunistische Sanktionen (wie diejenigen von 1962 und 1964) erforderliche Unterstützung einer
Zweidrittelmehrheit war fortan sehr wahrscheinlich unerreichbar.
Eine wesentliche Folge der Krise im Südatlantik war es, daß der bereits
brüchige Río-Vertrag seine Funktion als eine ursprünglich tragende Säule in
der Konstruktion der OAS verlor, und weil funktional nicht mehr adäquat,
seither politisch als „tot“ gelten muß. Seit 1947/48 haben sich in der Praxis
die beiden Schlüsseldokumente des Gründungskonsenses der OAS, RíoVertrag und OAS-Charta, ständig auseinanderentwickelt, so daß Díaz mit
Recht sogar auf eine das interamerikanische System kennzeichnenden
„dicotomía OEA-TIAR“ hinweisen konnte.149 Während immer mehr Staaten
der OAS beitraten, d.h. ihre Charta ratifizierten, wurde die – rechtlich allerdings umstrittene – obligatorische Bindung der OAS-Mitgliedschaft an
einen Beitritt zum Río-Pakt150 mißachtet. Der letzte Signatarstaat war Trinidad und Tobago anläßlich seines OAS-Beitritts im Jahr 1967 gewesen.
Seither versagte sich das gute Dutzend Neumitglieder – zuletzt Kanada bei
seinem Beitritt im Jahr 1990 – einer vertraglichen Bindung an dieses Beistandsinstrument der OAS.
Auch der Lateinamerikaspezialist Howard Wiarda hob aus der Sicht der
Vereinigten Staaten bei seiner Schadensbilanz vor allem auf die nachhaltigen Folgen des Falkland-Krieges für die sicherheitspolitische Funktion der
OAS ab:
„The Rio Treaty, which we long nurtured as a bulwark against Communist
expansion, is all but defunct; the OAS has become an anti-American forum;
the whole range of inter-American agencies built up over decades is
threatened; the dream of an inter-American peace force is unlikely now to be
_______________
149
150
Luis Miguel Díaz: „El sistema interamericano entre el unilateralismo y la inoperancia“, in:
Contemporary issues in international law / Thomas Buergenthal (Hg.), Kehl 1984, 407426, 420
Inter-American Juridical Committee: Standards for the admission of new members to the
Organization of American States: draft opinionand comments, Washington, D.C.: Pan
American Union, 1964, OEA/Ser. I/VI.2, CIJ-71
42
resuscitated; the old American hope of someday linking NATO with the
hemispheric alliance is now also gone“151
Eine solche „alarmistische“ Bewertung der Folgen des Südatlantikkonflikts für die Funktion und die Integrationskraft der OAS muß relativiert
werden: Die interamerikanischen Beziehungen als solche waren zwar stark
belastet worden und wurden 1983 durch die Grenada-Invasion erneut beschädigt. Trotz aller Rhetorik der Entfremdung wurde die Existenz der OAS
von der lateinamerikanischen Staatengruppe unmittelbar nicht in Frage
gestellt. Dazu kalkulierten die lateinamerikanischen Staaten ihr bilaterales
Verhältnis zu Washington zu nüchtern.152
Vielmehr war ein sang- und klangloses Ende der OAS durch politische
Nichtbeachtung und finanzielle Auszehrung (wie durch die dramatisch hohen Beitragsrückstände der USA und anderer Staaten seit Mitte der 80er
Jahre) das wahrscheinliche Szenario – also ein Tod der Organisation „not
with a bang, but with a whimper“, wie es im Englischen bildhaft umschrieben wird. So war auch zu erwarten, daß die sich selbst überlassene OAS ihre
Funktionsverluste durch eine juristische Nabelschau, d.h. durch die Perfektionierung ihrer Vertragsgrundlagen komp0ensierte. Eine solche Ersatzaktivität waren u.a. die anhaltenden Bemühungen, dem niemals in Kraft gesetzten Bogotá-Pakt doch noch Leben einzuhauchen. Dies läßt vermuten, daß
ihm Funktionen des obsoleten Río-Vertrages zugedacht werden. Fraglich ist
aber, ob dieses hochverfeinerte Streitbeilegungsinstitut tauglicher ist als die
informellen Verfahren, die sich bei dem Bemühen der OAS um Konfliktlösungen bewährt haben.
Daß die OAS in der Krise um die Falkland-Inseln keine konstruktive
Rolle gespielt hat und den Krieg im Südatlantik nicht abwenden konnte, hat
sie gewiß auch mit den Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft gemein.153 Die offensichtliche Funktionsunfähigkeit des internationalen Krisenmanagements relativiert jedoch nicht den bleibenden Schaden,
welcher der konfliktregulierenden Potenz der OAS als einem System kollektiver Sicherheit in der Falkland-Krise entstand.
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151
152
153
Howard J. Wiarda, Statement: „The United States and Latin America in the aftermath of
the Falklands/Malvinas crisis“, in: United States. Congress. House of Representatives.
Committee on Foreign Affairs. Sub-committee on Inter-American Affairs: Latin America
and the United States after the Falklands/Malvinas crisis. Hearings […]. 97th Cong., 2nd
sess., July 20 and August 5, 1982, Washington, D.C. 1982, 26-42, 33
Alan Riding: „Surrender expected to bring better U.S.-Latin ties“, in: New York Times,
18.06.1982, A11
Dennis R. Gordon: „The paralysis of multilateral peacekeeping: international organizations
and the Falkland/Malvinas war“, in: Peace and Change 12 (1987) ½, 51-63
43
Bezeichnenderweise erwogen die USA in der nächsten sicherheitspolitischen Krise (Grenada 1983) nicht einmal mehr die Einschaltung der OAS.
Sie sichten statt dessen die Legitimation durch eine verläßlicher oder, wenn
man so will, auch willfähriger als die OAS erscheinende subregionale Formation. In der andauernden Krise in Zentralamerika stützte sich die ReaganAdministration auf subregionale Verbündete oder griff zu verdeckten Aktionen, während die bedeutendste lateinamerikanische Initiative der ContadoraProzeß, ebenfalls außerhalb der OAS lanciert wurde. Dieser in den 60er und
70er Jahren noch nicht denkbare „selektive“ Multilateralismus soll deshalb
hinsichtlich seiner Folgen für den „breiten“ regionalen Multilateralismus der
OAS genauer in den Blick genommen werden.
2.3 „Selektive Multilateralisierung“ von kollektiver Sicherheit
Die am 25. Oktober 1983 auf der Antilleninsel Grenade erfolgte Invasion
durch eine multinationale Streitmacht unter Führung der USA unterlief das
Nichtinterventionsregime der OAS und belastete nach dem Falkland-Krieg
erneut das US-lateinamerikanische Verhältnis. An der Militäraktion beteiligten sich fünf Mitglieder der Organisation Ostkaribischer Staaten (OECS),
zwei weitere Nachbarstaaten (Barbados, Jamaica) und die Vereinigten
Staaten, die auf dem Höhepunkt der Operation 95 Prozent der Soldaten
stellten.154 Der Anstrich multilateraler Legitimation war demnach ähnlich
dünn wie bei der dominikanischen Intervention von 1965. Politisch entsprach die Aktion dem vorrangigen Ziel der Außenpolitik der USA, eine
„Kubanisierung“ der Region zu verhindern.
Die OAS wurde in keiner Weise konsultiert, obwohl sich die USA immerhin veranlaßt sahen zu behaupten, die Intervention sei konform mit den
allgemeinen völkerrechtlichen Verhaltensstandards und im Einklang mit den
Regeln des Interamerikanischen Systems gewesen. Unter den formalen
Rechtfertigungsgründen (u.a. Rettungsaktion zum Schutz des Lebens amerikanischer Bürger), die nach ganz überwiegender Auffassung der Juristen
nicht zu überzeugen vermochten155, findet sich deshalb auch der Rekurs auf
Artikel 6 des Río-Vertrages. Danach haben die Vertragsstaaten das Recht,
einzuschreiten, wenn die politische Unabhängigkeit eines amerikanischen
Staates durch einen Umstand oder eine Situation beeinträchtigt ist, welche
den Frieden in Amerika gefährden könnte. Selbst wenn diese Voraussetzung
zugetroffen hätte, wäre die Intervention nur gedeckt gewesen, wenn die
_______________
154
155
Hermann Weber: „Die ´erbetene´Intervention : Die Landung auf Grenada, im Lichte es
Völkerrechts“, in: Vereinte Nationen 31 (1983), 169-174, 169
Siehe Jon M. Karas; Jerald M. Goodman: „The United States action in Grenada: an
exercise in realpolotik“, in: University of Miami Inter-American Law Review 16 (1984) 1,
53-108
44
Signatarstaaten in dem dafür vorgesehenen Verfahren solche Maßnahmen
gebilligt hätten. Das war indes nicht der Fall gewesen; im übrigen hatte
Grenada den Río-Pakt nicht ratifiziert.156
Die OAS war bis auf die formale Reverenz an den Río-Pakt beim Vorgehen der USA in Grenada eine ansonsten politisch vernachlässigbare Größe,
da die OECS als Legitimationsbeschaffer herhielt. Die OECS war bis dahin
als subregionale Gruppe innerhalb des Regionalverbandes der Karibischen
Gemeinschaft (CARICOM) vor allem als Instrument einer Pragmatischen
Wirtschaftsintegration aufgefallen. Erst ihre Beteiligung an der Intervention
machte auf ihren fast unbekannten Verteidigungs- und Sicherheitsausschuß
und auf den Artikel 8 des OECS-Gründungsvertrages aufmerksam, der eine
Beistandsleistung für den Fall einer äußeren bzw. einer Söldneraggression
(mercenary aggression) vorsah.157 Dieser Artikel der OECS-Charta hatte die
Grundlage für das OECS-Hilfeersuchen an den Drittstaat (!) USA gebildet.
Die fast unbeteiligte Unterstützung der anglophonen karibischen Staaten
für das Vorgehen der USA in Grenada erschwerte es der OAS, Klage über
die Verletzung ihres geheiligten Interventionsverbotes zu führen. Sie mußte
erkennen, daß ein Drittel ihrer Mitglieder zu den Interventionsstaaten zählte.
Dies erklärt, weshalb die Reaktion in Lateinamerika wider Erwarten gemischter ausfiel als in anderen Teilen der Welt, von wo aus deutlicher Tadel
an die Adresse der Vereinigten Staaten gerichtet wurde.158
Bei der Dringlichkeitssitzung des Ständigen Rates der OAS einen Tag
nach dem Beginn des „quick strike“ verurteilte natürlich Grenada die Invasion in schrillem Ton.159 Von den 28 anwesenden Staatenvertretern kritisierten 15 teils in scharfer, teils in eher moderater Weise die USA.160 Neben
Jamaika, Barbados und den OECS-Staaten schirmten vor allem die engen
zentralamerikanischen Verbündeten (bemerkenswerte Ausnahme: Honduras)
die USA gegen eine mögliche Tadelresolution ab. Eine solche kam nicht
einmal zur Abstimmung. Unterstellt man, daß die OAS das für die Beurteilung der Situation in Grenada völkerrechtlich autorisierte Gremium war, so
_______________
156
157
158
159
160
Zur Unvereinbarkeit mit Art. 18 und 20 der OAS-Charta Scott Davidson: Grenada: a study
in politics and the limits of international law. Aldershot 1987, 110-112
Treaty establishing the Organization of Eastern Caribbean States [done June 18, 1981], in:
International Legal Materials 20 (1981) 5, 1166-1189
So auch von der britischen Premierministerin Thatcher.
Die dramatische Ansprache der untergetauchten OAS-Botschafterin Grenadas, Dessima
Williams, wurde von einem Tonband abgespielt.
Consejo Permanente: „Acta de la sesión extraordinaria celebrada el 26 de octubre de 1983:
consideración de la situación actual en Grenada“, OEA/Ser.G., CP/APTA 543/83,
26.10.1983. Siehe auch Howard Kurtz: “At OAS, Grenadan denounces U.S.; 15 members
join condemnation“, Washingtopn Post, 27.10. 1983, A9
45
muß der Ausgang dieser Sitzung des Ständigen Rates als ein relativer diplomatischer Erfolg der Vereinigten Staaten gewertet werden. Zugunsten der
USA verschob sich das Stimmungsbild sogar noch einmal auf dem Außenministertreffen anläßlich der OAS-Generalversammlung im November
1983: Nur sieben Staaten nahmen eine offen kritische Haltung ein, weitere
zehn hielten sich bedeckt und immerhin zehn der Außenminister äußerten
Verständnis für die Beweggründe der USA.161 Hardt kommt deswegen zu
dem Schluß, bei allen Legitimierungsproblemen sei der „multilaterale Charakter“ der Grenada-Aktion für ihren politischen Erfolg (aus Sicht der USA)
ausschlaggebend gewesen.162
Für die OAS war die Intervention in Grenada hingegen der schädliche
Präzedenzfall eines „selektiven Multilateralismus“, dessen Folgen Jack
Child resümiert:
„The employment of a little-know security article in the virtually ignored
Organization of Eastern Caribbean States suggested that a new and
dangerous form of selective and narrow multilateralism was being used to
by-pass the traditional broad multilateralism present in the OAS and the Rio
Treaty.“163
IV. REAKTIONEN AUF DIE LEGITITIMITÄTS- UND STRUKTURKRISE DER OAS
1.
Strukturreformansätze innerhalb der OAS
Die lateinamerikanische Unzufriedenheit drängte bereits in den 60er Jahren auf eine Revision der OAS-Struktur164, die dann 1967 mit dem „Protokoll von Buenos Aires“165 eingeleitet wurde. Die Charta-Reform von 1967
_______________
161
162
163
164
165
Ein Beobachter hielt sogar den Erfolg einer die USA unterstützenden Resolution für möglich, wäre sie eingebracht worden: Alfonso Chardy: „OAS result: U.S. gets more praise
than blame for Grenada mission“, Miami Herald, 20.11.1983, 32A
D. Brent Hardt: „Grenada reconsidered“, in: Fletcher Forum 11 (1987) 2, 277-308, 277;
306
Jack Child: „Present trends in the inte-American security system and the role of the Rio
Treaty“, in: Anuario Jurídico Interamericano 1983. Washington 1984, 43-82, 59
Demetrio Boersner: Die Dritte Generalversammlung der Organisation der Amerikanischen
Staaten (OAS). Bonn- Bad Godesberg 1973, 4
William Manger: „Reform of the OAS. The 1967 Buenos Aires Protocol of Amendment to
the 1848 Charter of Bogotá: an appraisal“, in: Journal of InterAmerican Studies 10 (1968),
1-14; Walter Bäumer: „Ergänzungen für die Satzung der OAS“. in: Außenpolitik 19
(1968), 106-113
46
ist als ein Versuch der Mehrzahl der lateinamerikanischen Regierungen zu
verstehen, die Funktionalität der Organisation für die eigenen Interessen zu
erhöhen. Ziel der Änderungen war es, aus einer im wesentlichen auf „high
politics“ und Sicherheit orientierten, durch den Kalten Krieg mitgeprägten
Organisation einen institutionellen Rahmen für die Entwicklungsanstrengungen des Subkontinents zu machen.166 Dazu mußte auch die
formale Organisationsstruktur der OAS den seit der Einleitung der Allianz
für den Fortschritt enorm erweiterten Aktivitäten der Organisation auf
ökonomischen und sozialen Gebieten angepaßt werden.
Der Interamerikanische Wirtschafts- und Sozialrat (IA-ECOSOC / CIES),
bis dahin ein Unterorgan des Rates (jetzt: „Ständiger Rat“), wurde zusammen mit dem Interamerikanischen Rat für Erziehung, Wissenschaft und
Kultur (IA-CESC/CIECC) als ein nunmehr direkt der neueingerichteten
jährlichen Vollversammlung (bisher: Interamerikanische Konferenz, im
fünfjährigen Turnus tagend!) verantwortliches Organ der OAS etabliert. Die
Räte sollten je einmal jährlich auf Minister- und Expertenebene tagen. Seit
der Charta-Revision gibt es somit drei völlig gleichgestellte funktionale Räte
der OAS.
Der reorganisierte IA-ECOSOC / CIES und sein schon 1963 eingerichtetes ständiges Exekutivkomitee (Interamerikanisches Komitee der Allianz
für den Fortschritt / CIAP) implizierten eine Aufwertung der multilateralen
Entscheidungsebene und einen Erweiterung der OAS im wirtschaftlichen
und sozialen Aufgabenbereich. Die Allianz war jedoch praktisch bereits tot,
als die revidierte Charta 1970 in Kraft trat.167 Schon 1973 beschloß die OAS
mit der Schaffung eines Sonderausschusses zum Studium der Reform des
Interamerikanischen Systems (im spanischen Akronym CEESI) eine abermalige Überprüfung ihrer Organisationsstruktur und ihrer vertraglichen
Grundlagen. Der Ausschuß war nicht nur ein Unternehmen bürokratischer
Nabelschau, sondern er arbeitete auch an der Formulierung des schwer definierbaren Begriffs der „kollektiven ökonomischen Sicherheit“ für einen
erweiterten OAS-Zielkatalog.
Ein paralleles, exklusiv lateinamerikanisches „institution building“ reflektiert jedoch die tendenziell negativen Erfahrungen, die die lateinamerikanischen Staaten seit der Gründung der OAS hinsichtlich der Bearbeitung
ihrer Entwicklungsprobleme auf interamerikanischer Ebene gemacht haben.
1964 wurde vor der ersten UNCTAD-Konferenz (Comisión Especial de
Coordinación Latinoamericana) gegründet, die der Nixon-Administration
_______________
166
167
Georges D. Landau: „Politische Auswirkungen der Reform des interamerikanischen
Systems“, in: Europa-Archiv 30 (1975), 577-586
Landau, Politische Auswirkungen, 578
47
ein kollektives Beschwerdememorial vorlegte. Dieser „Konsens von Viña
del Mar168“ konfrontierte die USA zum ersten Mal mit einer einheitlichen
entwicklungspolitischen Position der lateinamerikanischen Staaten.
Der Konsens von Viña del Mar nahm innerhalb der OAS als
Sonderausschuß für Konsultation und Verhandlungen (Comisión Especial
de Copnsulta y Negociación CECON) Gestalt an. Formal bildete CECON
einen Unterausschuß des Wirtschafts- und Sozialrates der OAS (CIES) und
wurde als ein ausschließlich für die Bearbeitung der Probleme und Konflikte
auf der Interaktionsebene USA – Lateinamerika zuständiges Diskussionsforum in die Strukturen der OAS eingeschoben. Die Einrichtung von CECON
stellte eine Zäsur in der traditionellen OAS-Diplomatie dar: „The United
States, previously, had been treated as a member of the OAS round table,
rather than a party to two-sided negotiations between it and the bloc“169.
Eine derartige institutionelle Neuerung vermochte die Vereinigten Staaten
jedoch nicht in den einseitigen Entscheidungsmustern ihrer außenhandelspolitischen Interessenverfolgung zu beeinflussen. Dies zeigten unmittelbar
die als „ökonomische Aggression“ gegeißelte Verhängung einer zehnprozentigen Importsteuer 1971 und das die OPEC-Mitglieder Ecuador und
Venezuela abstrafende US-Handelsgesetz von 1974.
Vor dem Hintergrund wachsender Divergenz in den interamerikanischen
Beziehungen machte sich die lateinamerikanische Staatengruppe daran, die
vertraglichen Grundlagen der OAS responsibler für ihre Wirtschaftsinteressen zu gestalten. Dem Hauptanliegen der USA, nämlich „Sicherheit“, setzten sie ihr vorrangiges Ziel „Wirtschaftliche Entwicklung“ gleich. Der von
Peru170 angeführte Vorstoß, im Río-Pakt (TIAR) die „kollektive ökonomische Sicherheit (seguridad económico colectiva)“ zu verankern, diente nicht
nur dazu, tatsächliche oder vermeintliche „ökonomische Aggressionen“ der
Vereinigten Staaten abzuwehren, sondern er sollte die USA durch einen
ausgefeilten Maßnahmen- und Sanktionenkatalog regelrecht auf eine „positive Diskriminierung“171 zugunsten ihrer lateinamerikanischen Alliierten
verpflichten. Peru trug seinen Reformvorschlag in die von 1973 bis 1975 in
fünf Verhandlungszyklen tagende Comisión Especial para su Estructuración
_______________
168
169
170
171
Texto de la Carta de Viña del Mar, in: Revista Mexicana de Ciencia Política , N.F., 15
(1969) 57, 423-434
„Pioneering North-South Economic Relations“. In: Américas 34 (1982) 1, 54
Peru lag in den späten 60er und frühen 70er Jahren mit den USA in einem Dauerkonflikt
um die Nationalisierung von US-Unternehmungen und das sogen. Hickenlooper-Amendement.
Tom J. Farer: The grand strategy of the United States in Latin America. New Brunswick
1988, 30
48
(CEESI).172 Es wurde dabei hauptsächlich von Mexiko aktiv, von anderen
Staaten wie Brasilien und denen der Karibik lediglich „im Prinzip“ unterstützt.173 Deren Vorbehalte verweisen auf ein Dilemma, das in dem schwer
zu definierenden und seinerzeit auch im System der Vereinten Nationen
ohne größeres Ergebnis diskutierten Konzept „ökonomischer Sicherheit“
angelegt ist.174 Um einen solchen spezifischen Schutz der Souveränität der
lateinamerikanischen Entwicklungs- und Schwellenländer verbindlich machen zu können, hätte die Generalversammlung der OAS mit Elementen
supranationaler Durchsetzungsmacht ausgestattet werden müssen, gegen die
sich das nationalstaatliche, stark souveränitätorientierte Denken dieser
Länder ja gerade sperrte.175 Gleichwohl wurde mit 20 zu einer Stimme der
Widerstand der Vereinigten Staaten überrannt und die Präambel und Artikel
11 des Río-Vertrages um den Zusatz ergänzt, daß „ökonomische Sicherheit“
in einem gesonderten Vertrag zu garantieren sei.176 Die Sache verlief im
Sande, denn die USA gaben zu Protokoll: „The United States […] accepts
no obligation or commitment to negotiate, sign or ratify a treaty or
convention on the subject of collective economic security.“177
Auch CECON blieb darauf beschränkt, die jeweils neueste Entwicklung
der Außenhandelspolitik der Vereinigten Staaten zu analysieren, darüber in
einem Informationsdienst zu berichten und bei einem drastisch erschwerten
Marktzutritt den OAS-Generalsekretär als Emissär auszusenden.178 Die
Vereinigten Staaten ignorierten CECON zunehmend, „for it is designed for
_______________
172
173
174
175
176
177
178
Ihre umfangreichen Vorarbeiten zur Revision des Río-Vertrages sind dokumentiert in:
Informes#, Actas y Documentos de la Comisión Especial para Estudiar el Sistema
Interamericano y Prponer Medidas para su Estructuración (CEESI) , OEA/SER.P/
CEESI/Doc.26/ 73, vols. I-XII
Rafael de la Colina: El protocolo de reformas al Tratado Interamericano de Asistencia
Recíproca: Participación de México. Tlatelolco, México, D.F. 1977, 85 f.
Vgl. Martin Domb: „Defining economic aggression in international law: The possibility of
regional action by the Organisation of American States“, in: Cornell International Law
Journal 11 (1978) 1, 85-105
Larman C. Wilson: „The concept of collective economic security for development and
contemporary Latin American-U.S. relations“, in: Towson State Journal of International
Affairs 12 (1977) 1, 7-41, 28
Protocol of Amendment to the Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance (RioTreaty), San José, Costa Rica, July 1975, OEA/Ser.A./1.Add. (SEPF) = Serie sobre
tratados; 46
Protocol, 12
„OAS to study reports on U.S. Trade, Tariff Act“, ; „OAS to seek greater access
49
one-way airing of Latin American and Caribbean complaints against the
US“.179
Einige der Länder, die sich mit der Zäsur lateinamerikanischer Außenpolitik in den frühen 70er Jahren als neue regionale oder subregionale Vormächte und wirtschaftlich als „Schwellenländer“ profilieren konnten, erschien die OAS als Zentrum zur Formulierung gemeinsamer Strategien
nicht mehr geeignet. Der daraus folgenden Tendenz zu exklusiv lateinamerikanischer Multilateralität gab zunächst SELA das Forum ab. Weitere
Schritte der „concertación“ sollten folgen.180
2.
Tendenz zu lateinamerikanischer Multilateralität außerhalb der
OAS
Während die OAS in den 70er Jahren allseits als im Niedergang begriffen
gesehen wurde, schien sie in der folgenden Dekade der 80er schließlich dem
Untergang geweiht zu sein. 1969 schrieb Jerome Slater: „It seems clear that
the Organization of American States (OAS) has entered a period of disarray
and political decline. The signs are everywhere present“181. Was Slater mit
dem Hinweis auf die unilaterale Interventionspraxis der USA seit Guatemala
(1954) als „Niedergang“ umschrieb, entspricht der in den 1970er Jahren
vermehrten Konfliktartikulation, wie sie vorstehend nachgezeichnet wurde.
Die Organisation verlor zunehmend ihre Bedeutung als Forum der interamerikanischen Kooperation und diente zu wenig mehr als zur Klagemauer der
lateinamerikanischen Staaten. Mit dem Falkland-Krieg, als sich die Führungsmacht USA auf die Seite Großbritanniens schlug – und damit den
NATO-Bündnisinteressen den Vorrang vor dem Río-Pakt gab – verlor die
OAS in der Sicht der lateinamerikanischen Staaten vollends an Legitimation
und Kooperationsperspektive. Auch die Grenada-Invasion bestärkte diese
Sicht, wie überhaupt der Konfrontationskurs der USA unter der Präsidentschaft Ronald Reagans (1981-1989) erheblich dazu beitrug, insbesondere
die demokratisch gewählten Zivilregierungen des südlichen Subkontinents
zu entfremden. So wurde nicht nur der „Niedergang“ der OAS zur feststehenden Tatsache, vielmehr stand ihr Überleben in Frage. Hatte Abraham
Lowenthal im Jahr 1980 noch spekuliert, die OAS habe eine bescheidene
_______________
179
180
181
„Views of the United States Permanent Mission on the subject ´Strengthening the OAS´
(AG/RES. 940 (XVIII-0/88)“, OEA/Ser.G CP/GT/FOEA/doc.1/89, 5
Martin Alisky: „SELA, the Latin American economic system , a new entity outside the
OAS“, in: United States policy towards Latin America: antecedents and alternatives /
Lewis A. Tambs (Hg.) Tempe 1976, 207-217
Jerome Slater: „The decline of the OAS“, in: International Journal 24 (1969) 3, 497-506,
497
50
Zukunft wohl nur wegen ihrer Vergangenheit, nicht aber aufgrund zwingender gegenwärtiger oder zukünftiger Notwedigkeiten, so faßte 1984 Francisn
X. Gannon, der dem OAS-Generalsekretär von 1976 bis 1984 als politischer
Berater gedient hatte, die nunmehr akute Frage nach ihrer Existenzberechtigung überhaupt in einen markanten Titel: „Will the OAS live to be 100?
Does it deserve to?“.182 Gannon zufolge hatte die OAS nicht nur den Tiefpunkt ihres Prestiges erreicht, sondern ihre raison d´être war grundsätzlich
klärungsbedürftig.
Nichts verdeutlicht besser den Zustand der Agonie, in den die OAS aufgrund der Konfrontation im interamerikanischen Verhältnis gefallen war, als
ihre mangelnde Konfliktlösungskapazität in der zentralamerikanischen Dauerkrise und ihre Irrelevanz bei der kooperativen Bearbeitung der Verschuldungskrise. Als politisch lahmgelegt erwies die OAS sich damit gerade in
den beiden wichtigsten internationalen Herausforderungen, die sich während
der 80er Jahre dem amerikanischen Kontinent stellten.
Wichtig ist nun, daß die Lähmung der OAS die lateinamerikanische
Staatengruppe Kooperationsformen außerhalb der OAS suchen ließ. Wurde
auf globaler Ebene in bezug auf die Legitimationsprobleme des Systems der
Vereinten Nationen in der ersten Hälfte der 80er Jahre eine – vor allem von
den USA hochstilisierte – „Krise des Multilateralismus“183 gesehen, so war
für den regionalen Zusammenhang Lateinamerikas ein solch verallgemeinernder Befund keineswegs zutreffend. Zwar verkümmerte der breite, institutionalisierte Multilateralismus der OAS, doch statt seiner blühte ein enger,
auf Ad hoc-Basis organisierter, auf konkrete Sachverhalte (issues) bezogener Multilateralismus auf. Mit Feinberg und Boylan läßt sich auch von einem „modularen Multilateralismus“ sprechen,
„multilateral because many nations must cooperate to arrive at workable
answers to common problems; modular because the nations at the table shift
according to the nature of the problem at hand and the moment in time.“184
Dieser ineinandergreifende Multilateralismus auf engerer Basis gewann
zuletzt auch weltpolitisch an Bedeutung, da die mit dem Ende der Block_______________
182
183
184
Caribbean Review 13 (1984), 12-14; 42-43
Maurice Bertrand: „Die Bilanz der Weltorganisation“, in: Die Wiederentdeckung der
Vereinten Nationen: Kooperative Weltpolitik und Friedensvölkerrecht / Günther Doeker;
Helmut Vogler (Hgg.). Opladen 1990, 104-129, 110. Höhepunkte dieser Kries waren der
Austritt der USA und anderer Mitglieder aus der UNESCO sowie die akute Finanzkrise der
UN durch da Zurückhalten von Pflicht-Beiträgen, wiederum vor allem durch die USA.
Richard E. Feinberg; Delia M. Boylan: „Modular multilateralism: U.S. economic policy
toward southern nations in an age of uneven development“, in: Eagle in a new world:
American grand strategy in the post-cold war era / Kenneth A. Oye, Robert J. Lieber;
Donald Rothchild (Hgg.). New York 1992, 179-205, 180, Hervorhebung im Original
51
konfrontation freigesetzte zentripetale Dynamik weder die vielbeschworene
„neue“ Weltordnung hervorbrachte noch die Staatenwelt in ein System anarchischer Selbsthilfe zurückfiel. Er scheint vielmehr geradezu charakteristisch zu sein für solche Strukturen der internationalen Politik im Übergang:
So gab es, nachdem die Spaltung Europas überwunden war, eine wahre
Proliferation von Institutionen und Prozessen (OSZE, NATO-Kooperationsrat, Visegrad-Gruppe u.a.m.), die sich einem anspruchsvollen Modell nach
als „interlocking institutions“ zukünftig zu einer Hyperkonstruktion („gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur“) zusammenfügen sollen, in der
Realität gegenwärtig aber eher als „interblocking institutions“ zu wirken
scheinen. Zu nennen sind auch die multilateralen Gespräche zwischen Israel
und den arabischen Staaten (nicht nur den Nachbarländern). Diese Beispiele
sollten genügen, um den Eindruck einer generellen Krise des Multilateralismus zu relativieren. Er trifft insbesondere nicht auf die lateinamerikanische
Szenerie der 80er Jahre zu, wo zwar der „breite“ Multilateralismus der OAS
in einer Dauerkrise steckte, aber eine Reihe von Konsultations- und Konzentrationsorganen entstand.
Bemerkenswert ist, daß solche mini- und multilateralen Kooperationsforen in Lateinamerika bereits einige Zeit vor dem Epochenbruch von 1989
geschaffen wurde, nicht zuletzt, um Freiräume fern der einengenden Perzeptionsmuster des Kalten Krieges zu schaffen. Insbesondere die Contadora-Gruppe war mit ihren Friedensplänen angetreten, „lateinamerikanische
Lösungen für lateinamerikanische Probleme“ zu entwickeln.
Wie schon erwähnt, hatte das Unbehagen der lateinamerikanischen Staatengruppe an der mangelnden Funktionalität der OAS für ihre Interessen
1975 mit dem Lateinamerikanischen Wirtschaftssystem SELA (Sistema
Económico Latinoamericano) den ersten Versuch inneramerikanischer
Selbsthilfe auf den Plan gerufen. SELA bildete den frühen Ausgangspunkt
einer in den 80er Jahren sich verdichtenden Reihe von Mechanismen der
Konzertation und Kooperation außerhalb der OAS.
Unter Konzertation versteht man in Lateinamerika eine multilaterale
Diplomatie, die auf hoher und höchster Entscheidungsebene (im wesentlichen der Präsidenten und der Außenminister) angesiedelt ist und politische
Grundsatzfragen behandelt, die für die Selbstbehauptung der Region oder
auch der lateinamerikanischen bzw. karibischen Subregionen wesentlich
sind.185
Den Anfang einer Reihe von (Parallel-)Entwicklungen dieser Art machte
im Januar 1983 die aus Kolumbien, Mexiko, Venezuela und Panama beste_______________
185
Alicia Frohmann: Puentes sobre la turbulencia: la concertacíon política latinoamericana en
los ochenta. Santiago 1990
52
hende Contadora-Gruppe, der sich 1985 eine sogenannte Unterstützungsgruppe, bestehend aus Argentinien, Brasilien, Peru und Uruguay zugesellte.
Die paralysierte OAS, deren als Bogotá-Pakt bekannter Vertrag über friedliche Streiterledigung ja eigentlich zu dem Zweck konstruiert worden war,
Konflikte zwischen amerikanischen Staaten beizulegen, spielte bei der Friedenssuche in Zentralamerika vor Ende 1986 keine Rolle. Während der OAS
sich genötigt sah, diese Verhandlungsbemühungen außerhalb ihres
institutionellen Rahmens zu begrüßen186, bekannte ihr Generalsekretär
Orfila offen: „[W]e are paying a horrible price because of Contadora“. Er
sagte weiter: „whenever action is taken outside the OAS, the institution is
[…] weakened“. 187
Der Contadora-Prozeß hat zu zwei heute von einander unabhängigen
Entwicklungen geführt. Zum einen entstand ein eigener zentralamerikanischer Friedens- und später Konsultationsprozeß, der 1987 mit dem berühmten Gipfeltreffen von „Esquipulas II“ in Guatemala einen ersten Höhepunkt
erreichte. Aus der Contadora-Gruppe und der Contadora-Unterstützungsgruppe hat sich zum anderen im 1986 eine damals noch „Gruppe der Acht“
und heute Río-Gruppe genannte Vereinigung gebildet, die sich als „Permanenter Mechanismus der Konsultation und der Abstimmung“188 versteht.
Seit dem im November 1987 in Acapulco durchgeführten Präsidentengipfel
kommt man routinemäßig im Rahmen der auf 16 Mitgliedsstaaten erweiterten Río-Gruppe zusammen.
Eine weitere, mehr „issue“-bezogene Manifestation regionaler politischer
Aktion war der sogen. „Konsensus von Cartagena“, ein Ad hoc-Forum von
elf großen, hochverschuldeten Staaten Lateinamerikas, die mit der unterschwelligen Drohung eines Schuldnerkartells auf ihrem „Schuldengipfel“
von Quito im Januar 1984 die drückende Außenverschuldung erfolgreich
„politisierten“. Die USA, die darin nur ein vorrangig finanzielles und ausschließlich bilateral zu behandelndes Problem hatten sehen wollen, machten
schließlich mit Schuldenerleichterungen189 ein Zugeständnis an das von der
Cartagena-Gruppe postulierte Prinzip einer geteilten Verantwortung zwischen Schuldner- und Gläubigerseite.
Wichtig ist nun, daß die vermehrte Konfliktartikulation n den 70er und
80er Jahren nicht gleichbedeutend war mit einer Entscheidung zur Dissozia_______________
186
187
188
189
General Assembly, XIII Regular Session: „AG/RES. 675 (XIII-O/83): „Peace efforts in
Central America“, OEA/Ser.P./XIII.O.2, 14.12.1983, vol.I, 84-85
Joanne Omang: „Orfila, leaving OAS, seeks role promoting hemispheric unity“,
Washington Post, 22.11.1983, F1
Mecanismo Permanente de Consulta y Concertación Polìtica
Von ihrer starren Vorgabe rückten sie ab 1985 mit dem sogen. Baker-Plan, dem BradyPlan von 1989 und Präsident Bushs „Enerprise für the Amercas“-Initiative
53
tion. Die lateinamerikanische Staatengruppe betrieb keine Strategie der
bewußten Zerstörung der OAS. Zwar kultivierten einige Regierungen eine
antiamerikanische Entfremdungsrhetorik, wobei die Kritik der OAS bzw.
ihrer Handhabung durch die USA immer auch eine Strategie der Eigenlegitimation war. Wiederholt gab es Stimmen eines kontinentalen Nationalismus, die, wie zuletzt 1986 der peruanische Präsident García, eine rein lateinamerikanische Staatenorganisation forderten, deren Basis z.B. SELA
bilden sollte.190 Die Kapazität von SELA, die OAS als Zentrum zur
Formulierung gemeinsamer Strategien zu ersetzen, war aber von vornherein
gering. SELA verschaffte vor allem regionalen Vormächten zusätzlichen
Manövrierraum „in their attempt to reorganize inter-American relations
under their trusteeship“.191 Deren Ambitionen neutralisierten sich jedoch
gegenseitig, da z.B. Brasilien sich seine selbständige Außenpolitik auch
nicht von einer „OAS ohne die USA“ binden lassen wollte. Die Mehrheit
der lateinamerikanischen Staaten war nicht bereit, die „special relationship“
mit den USA, die die OAS trotz ihrer Krise verkörperte, zugunsten eines
weniger fundamentalistischen als taktischen „tercermundismo“ zu opfern.
Die Substitutionskapazität homogener Spezialorganisationen, die auch
nicht vor organisatorischer und deklamatorischer Ersatzaktivität („viele
Themen – wenig Entscheidungen“) gefeit sind, muß so lange begrenzt bleiben, wie lateinamerikanische Staaten die besonderen Abhängigkeitsverhältnisse zu den USA mit assoziativen Konfliktstrategien (kombiniert aus kooperativen und konfrontativen Mustern) bewältigen müssen. Selbst zu Zeiten, in denen die Amplitude der außenpolitischen Abweichung der lateinamerikanischen Staatengruppe von den USA ihren größten Ausschlag tat,
blieb die OAS immer noch eine Art letzter Instanz, wo der kleinste gemeinsame Nenner errechnet oder, wo das nicht möglich war, die unüberbrückbaren Differenzen zu Protokoll gegeben wurden.
Auch das „ständige Beratungsgremium“ der Río-Gruppe, das im Gegensatz zur OAS über keinen organisatorischen Unterbau verfügt, legte nicht
das Fundament zu einer neuen Organsation amerikanischer Staaten in Abkoppelung von den USA, auch wenn es seinen Ursprung als politisch-diplomatischer Gegenpart zu Washingtons in der Ost-West-Auseinandersetzung
um Zentralamerika („Contadora-Unterstützerländer“) nicht verleugnete.
Doch in einer inzwischen völlig veränderten Welt wurde der Sinn und Wert
dieser Gruppierung, deren Präsidentengipfel sich als teure außenpolitische
_______________
190
191
„Garcia wants to create new OAS without U.S.“ ( EFE, Madrid, 16.06.1986) Foreign
Broadcast Information Service. daily Report- Latib America 6 (17.10.1986) 201, J1 (PrEx
7.10: FBIS-LaM-86-201)
Jacques Zylberberg: „SELA does little to further Latin American integration“, in:
International Perspectives (May/June 1976), 29-33, 29
54
Spektakel in Lateinamerika immer weniger für eine innenpolitische Aufwertung nutzen lassen, von einigen Beobachtern bereits in Frage gestellt.
Auch wenn die Río-Gruppe im internationalen Rahmen vermehrt als gemeinsame Stimme Lateinamerikas auftritt,192 so sinken auf intraregionaler
Ebene ihre „komparativen Vorteile“ gegenüber der OAS, da eine inzwischen
stark aufgeblähte Mitgliedschaft ein einheitliches Handeln nicht einfacher
macht.193 Der Grupo de Río trat auch gar nicht an, die OAS zu ersetzen.
Vielmehr charakterisierte er die OAS als unentbehrliches "politisches Forum" und propagierte seither ihre Stärkung in den Verlautbarungen der
Präsidententreffen.194
Paradoxerweise hatte der die OAS zunächst umgehende „enge“ lateinamerikanische Multilateralismus eine nicht zu unterschätzende Brückenfunktion für die Wiederbelebung des „breiten“ Multilateralismus, indem er
in einer echten politischen Innovation die Bemühungen um den Frieden in
Zentralamerika mit dem regionalen Demokratisierungsprozeß verband. Die
Río-Gruppe definierte sich als „Gemeinschaft demokratischer Staaten“ und
gab damit das Vorbild für eine neue und umfassende Funktion der OAS im
Sachbereich „Herrschaft“ ab.
V. FUNKTIONSGEWINN UND NEUE LEGITIMITÄT DER OAS IM
SACHBEREICH „HERRSCHAFT“
1.
Die umstrittene gesellschaftspolitische Funktion der OAS
Der Sachbereich „Herrschaft“ war der multilateralen Bearbeitung in der
OAS am schwersten zugänglich. Zwar waren im Rahmen des interamerikanischen Systems die Prinzipien des Konstitutionalismus, der Demokratie
und seit dem ende des Zweiten Weltkriegs auch der Menschenrechte vielfach beschworen worden. So erklärt die 1948 die Bogotá verabschiedete
OAS-Charta:
„Die Solidarität der amerikanischen Staaten und die hohen Ziele, die sie
erstreben, setzen eine politische Organisation dieser Staaten auf der Grund-
_______________
192
193
194
Die Außenminister der Río-Gruppe treffen sich regelmäßig mit den Eg/EUAußenministern zu den sogen. „ San-José-Konferenzen“.
Boris H. Yopo: „The Rio Group:decline or consolidation of the Latin American
concertación policy?“, in: Journal of Interamerican Studies and World Affairs 33 (1991) 4,
27-44
„Group of Eight blames U.S. for OAS crisis“ (ACAN, Panama City, 14.11.1988) Foreign
Broadcast Information Service. Daily Report- Latin America, 15.11.1988, 6 f. (PrEx 7.10:
FBIS-LAT-88-220)
55
lage des wirksamen Funktionierens [effective exercise] einer repräsentativen
Demokratie voraus.“
Eine innen- bzw. gesellschaftspolitische Funktion der OAS, etwa im
Sinne einer kollektiven Verantwortung für eine demokratische Entwicklung
Amerikas, wurde hieraus aber nicht abgeleitet und war kein Bestandteil des
Gründungskonsenses und der Aufgabenzuweisung der Organisation in ihrer
Gründungs-Charta.
Wegen der nicht überbrückten Polarität zwischen dem eindeutig rechtsverbindlichen Interventionsverbot (als der raison d´etre des Interamerikanischen Systems!) und dem in der OAS-Charta zwar gleichwertig verankerten,
aber stets nur als Programmsatz interpretierten Demokratieprinzips mußte
sich die Organisation durchweg vorsichtig verhalten. Wenn ein Konsens
erreicht werden sollte, stellten die Mitgliedsstaaten in der Regeln das Prinzip der Nichteinmischung unter souveränen Staaten über jenes der repräsentativen Demokratie.
Einem politischen Quantensprung kam es deshalb gleich, daß die OAS zu
Beginn der 90er Jahre eine profilierte Rolle bei der regionalen Kooperation
zur Sicherung der Demokratie erhielt. Die bahnbrechende 21. Generalversammlung in Santiago de Chile verabschiedete eine Verpflichtung zur Demokratie („Santiago Commitment to Democracy and the Renewal of the
Inter-American System“), die begleitet wurde von einer operativen „Resolution 1080“, wonach die OAS im Falle eines Staatsstreichs automatisch
Stellung beziehen muß, auch wenn dabei keine automatischen Sanktionen
vorgesehen sind. Im Dezember 1992 wurde die Charta der Organisation um
einen Passus erweitert, der es erlaubt, durch Staatsstreich an die Macht
gekommene De facto-Regime von der Mitgliedschaft in der Staatenorganisation zu suspendieren.
Zum ersten Mal in der Geschichte der OAS wurden mit diesen, im einzelnen noch zu interpretierenden, Schlüsseldokumenten innere Verhältnisse
– die Gefährdung der Stabilität einer demokratischen Regierung – zum Anlaß für eine kollektive Aktion erhoben.
Die Rolle der OAS bei der Staatsstreichprävention soll hier im umfassenden Kontext der Wechselbeziehungen zwischen Multilateralismus und Demokratisierung untersucht werden. Die Wiederbelebung der totgesagten
OAS seit Beginn der 90er Jahre folgte der regionalen Redemokratisierungsentwicklung der 80er Jahre auf dem Fuße. Mit der Ausbildung
eines multilateralen „Defense-of-Democracy“195-Regimes fand die OAS eine
_______________
195
Diese griffige Alliteration verwendet Richard J. Bloo,field: „Making the Western
Hemisphere safe for democracy? The OAS defense-of-democracy regime“, in: Washington
Quarterly 17 (1994) 2, 157-169
56
Nische und erwarb neue Legitimität, die in eine raschen Folge von – hier
fallweise zu untersuchenden – Krisen (Haiti, Peru und Guatemala)
Bewährungsproben unterzogen wurde.
Folgende Fragen sind aufgeworfen: Wie abhängig sind beide Entwicklungen voneinander: Hängt eine erweiterte multilaterale Kooperation von
einer konsolidierten Demokratisierung ab? Und: Kann die Demokratisierung
überhaupt in nennenswerter Weise durch multilaterale Institutionen gestützt
werden? Von einer Erörterung dieser Zusammenhänge ist zunächst auf die
mühsame Entwicklung einer interamerikanischen Demokratiedoktrin einzugehen.
2.
Traditionen einer interamerikanischen Demokratiedoktrin
„Demokratie blieb in den amerikanischen Staatenbeziehungen gegenüber
dem klar rechtsverbindlichen Interventionsverbot bis mindestens zur Mitte
der 80er Jahre ein unverbindlicher Programmsatz. Auch wenn man anerkennt, daß sich die amerikanischen Staaten seit ihrer Unabhängigkeit programmatisch zur republikanischen Staatsform und zum demokratischen
politischen Ideal bekannt haben, so läßt sich keinesfalls eine progressive
Entwicklung einer kollektiven interamerikanischen Demokratiedoktrin erkennen, wie sie von Advokaten einer aktiven prodemokratischen Funktion
der OAS heute gelegentlich konstruiert wird. Trotz der großen Bedeutung
des Nichteinmischungsgrundsatzes für die Lateinamerikaner hat es andererseits nie an Stimmen gefehlt, die davor warnten, diesen zum Schutzschild
für alle diejenigen werden zu lassen, die Demokratie und Menschenrechte in
Sicherheit vor äußeren Eingriffen verletzen. Entsprechende Traditionsstränge, die hier knapp gemustert werden sollen, sind aber eher schwach.
Von besonderem Interesse sind hierbei die frühen, zugleich aber seltenen
Versuche, Demokratie als verbindliches Kriterium für die Legitimität amerikanischer Regierungen anzuwenden. In diesem Zusammenhang ist die sogen. Tobar-Doktrin zu nennen. Die Forderung, usurpatorischen, d.h. auf
nicht verfassungskonforme Weise an die Macht gekommene „de facto-Regierungen“ in Amerika künftig die diplomatische Anerkennung zu verweigern, erhob 1907 der ecuadorianische Diplomat und Politiker Carlos R.
Tobar. Sein Vorschlag diente allerdings weniger der ideologischen Verteidigung demokratischer Grundsätze, als der pragmatischen Verteidigung
einer – wie auch immer gearteten – bestehenden Verfassung, um potentielle
Putschisten abzuschrecken und den von permanenten pronunciamientos
erschütterten Unruheherd Zentralamerika zu stabilisieren. Als „indirekte
57
Intervention“ schlug Tobar vor, bloße de facto-Regierungen schlechthin
nicht anzuerkennen.196
Diese Tobar-Doktrin bildete die Grundlage für die unter der Schirmherrschaft der USA in Washington zwischen den fünf zentralamerikanischen
Staaten 1907 und 1923 geschlossenen Friedens- und Freundschaftsverträge.
Pointierter als der Vorschlag Tobars enthielten die Bestimmungen des Vertrages von 1907 demokratisch-ideologische Legitimitätsvorstellungen, deren
Artikel I lautete:
„The Governments of the High Contracting Parties shall not recognize any
other Government which may come into power in any of the five Republics
as a consequence of a coup d´etat, or of a revolution against the recognized
Government, so long as the freely elected representatives of the people
thereof, have not constitutionally reorganized the country.“197
Der Vertrag machte somit die Anerkennung nach einem Umsturz von einer demokratischen Legitimierung und der verfassungsmäßigen Reorganisation des Staates durch die gewählte Volksvertretung abhängig. Carl Schmitt
hat hierzu notiert: „Damit war die demokratische Erscheinungsform der
Legalität und der Legitimität zum völkerrechtlichen Standard erklärt.“198
Zwischen 1913 und 1931 übernahmen die Vereinigten Staaten diesen Ansatz als Wilson (bzw. Coolidge)-Doktrin. Die Tobar-Wilson-Doktrin wurde
jedoch in der gegebenen hegemonialen Situation als „interventionistischmanipulatives Instrument“199 von der Mehrheit der lateinamerikanischen
Staaten abgelehnt. Mexiko, das während seiner Revolutionswirren ein prominentes Ziel der manipulativen nordamerikanischen Anerkennungspraxis
geworden war, versuchte ihr den interventionistischen Stachel dadurch zu
ziehen, indem es 1930 durch seinen Außenminister Genaro Estrada das
Rechtsinstrument der Anerkennung gewissermaßen für abgeschafft erklärte.
_______________
196
197
198
199
Diese Auffassungen sind formuliert in dem offenen Brief, den Tobar 1907 aus Barcelona
an den bolivianischen Konsul in Brüssel richtete. Wiedergegeben bei Günter Kahle: „Die
Tobar-Doktrin“, in: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft
Lateinamerikas 9 (1972), 379-405, 403 (=Anhang)
„Treaty and conventions of the Central American Peace Conference [September 17,
1907]“, in: American Journal of International Law 2 (1908), Supplement = Official
Documents, 219-265, hier: „Additional Convention to the General Treaty“, 229f. (=Art. I).
Diese Anerkennungsklausel wurde im Vertrag von 1923 noch erweitert: „Conventions,
protocols and declarations signed at the Conference on Central American Affairs,
Washington, D.C., February 7, 1923“, in: AJIL 17 (1923), Suppl., 70-132, hier: „General
Treaty of Peace and Amity“, 118f. (=Art.II)
Carl Schmitt: Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum. Berlin
²1974, 282
Knud Krakau: „Anerkennungspolitik als Spiegel der interamerikanischen Beziehungen“,
in: Jahrbuch für Amerikastudien 16 (1971), 8-27, 16
58
Dieser im Völkerrecht und in der Staatenpraxis sehr wirksam gewordenen
„Estrada-Doktrin“ zufolge wollte Mexiko die entwürdigende und souveränitätsverletzende Praxis nicht fortführen, die in dem Urteil über Legitimität
oder Legalität fremder Regierungen enthalten sei, sondern es wollte lediglich über die Frage des diplomatischen Verkehrs entscheiden.200 Nach noch
heute gültiger mexikanischer Ansicht bestehen diplomatische Beziehungen
mit einem Staat, nicht mit der jeweiligen Regierung.201 Freilich wurde das
Problem der Anerkennung bzw. Nichtanerkennung damit nur verlagert auf
die Entscheidung, ob die diplomatischen Beziehungen mit dem betroffenen
Staat fortzusetzen seien.202 Auch wenn die Estrada-Doktrin „machtpolitisch
zu einer ohnmächtigen Geste geworden“203 war, bestätigte die unkritische
Begeisterung, mit der sie in Lateinamerika als Schutzdoktrin gegenüber den
USA aufgenommen worden war, die überaus starke Tendenz zur Nichteinmischung in innere Angelegenheiten von souveränen Nationalitäten.
Entsprechend mißlangen spätere Versuche, eine demokratisch-legitimistische Anerkennungsdoktrin durch die OAS gewissermaßen zu multilateralisieren. 1945 plädierte die guatemaltekische Delegation auf der Konferenz
von Chapultepec vergeblich für die Einführung des Prinzips der Nichtanerkennung von „antidemokratischen“ bzw. „totalitären“ Regimen, die in der
Zukunft in der Westlichen Hemisphäre errichtet werden könnten. Den möglichen Putschisten sollte ein politischer Boykott durch die übrigen amerikanischen Regierungen angedroht werden. Das seit seinem ersten verfassungsmäßigen Präsidentenwechsel, dem Amtsantritt Rómulo Betancourts im
Jahr 1959, demokratisch verfaßte Venezuela erklärte seinerzeit, es werde
künftig keine durch Staatsstreich an die Macht gekommene, sondern nur
demokratisch legitimierte und verfassungsgemäß gewählte Regierungen
anerkennen. Diese „Betancourt-Doktrin“ wurde in Lateinamerika, selbst wo
man ihre demokrat5isch-konstitutionalistische Zielsetzung bejahte, wegen
ihrer Unvereinbarkeit mit dem Nichtinterventionsprinzip verworfen. Nach
einer Welle von militärischen Coups204 wurden in den Jahren 1963/64 die
Regierungen Venezuelas und Costa Ricas erneut aktiv mit dem Ziel, ein
_______________
200
201
202
203
204
„Estrada-Doctrine of Recognition [September 27, 1930]“, in: American Journal of
International Law 25 (1931), Suppl., 203
Im Falle konkurriender Prätendenten für den Titel Regierung wird bei dieser neutralen
Anerkennungspraxis auf das Kriterium effektiver Herrschaft abgestellt.
Mexiko selbst wich gelegentlich von der Estrada-Doktrin ab, als es sich z.B. viele Jahre
lang weigerte, das Franco-Regime in Spanien anzuerkennen oder als es nach dem Putsch
Pinochets die diplomatischen Beziehungen zu Chile für mehrere Jahre suspendierte.
Schmitt, Nomos der Erde, 282
Z.B. Sturz der gewählten dominikanischen Regierung (September 1963), des
bolivianischen Präsidenten Paz Estenssoro( November 1964)
59
kollektives Anerkennungsregime im Sinne der venezolanischen BetancourtDoktrin in der OAS zu verankern, d.h. „[to make] the old institution of
recognition, rejuvenated in structure, […] a legal instrument of representative democracy in any member state of the OAS.“205 Solche Vorstöße der
prodemokratischen „Interventionsisten“ scheiterten regelmäßig an der
Mehrheit der souveränitätsbewußten lateinamerikanischen Regierungen (die
„Estrade-Partei“), die eine Relativierung des Interventionsverbots auf keinen
Fall zulassen wollte.
Das gleiche Schicksal widerfuhr auch der über solche Vorschläge einer
diskriminatorischen
Anerkennungspolitätk
noch
hinausreichenden
Rodríguez Larreta-Doktrin, die eine multilaterale Intervention in Fällen
friedensstörender Menschenrechtsverletzungen erlaubt hätte. Wenige Jahre
vor der Gründung der OAS, im November 1945, hatte der Außenminister
von Uruguay, Eduardo Rodríguez Larreta, in gleichlautenden Noten an die
amerikanischen Regierungen vorgeschlagen, gegen antidemokratische Regierungen im Wege der kollektiven Aktion vorzugehen.206 Er argumentierte,
die permanente Verletzung der Menschenrechte und der Grundsätze der
Demokratie stellte eine Friedensgefährdung dar, der entgegenzutreten nicht
nur das Rechts, sondern die Pflicht der amerikanischen Republiken aufgrund
der zwischen ihnen bestehenden Vereinbarungen sei. Solche kollektiven
Maßnahmen seien vom Interventionsverbot nicht berührt, da seit dem
Zweiten Weltkrieg der „Parallelismus zwischen Frieden und Demokratie“
den Charakter einer „absoluten Wahrheit“ habe.207 Nur fünf lateinamerikanische Staaten stimmten dem Plan einer kollektiven Demokratisierungspolitik
mit Vorbehalten zu.208 Ein Regierungsvertreter der Vereinigten Staaten hatte
noch zwei Tage vor der Note Uruguays erklärt: „We do not intend to impose
democracy.“209 Doch die kaum verhüllte anti-peronistische Stoßrichtung des
uruguayischen Vorschlages spielte der Argentinienpolitik der USA direkt in
die Hände, so daß die Vereinigten Staaten die Idee einer „kollektiven Ver_______________
205
206
207
208
209
Council: „Proposed agenda of the Meeting of Consultation of Ministers“, OEA/Ser. G/V
C-d-1206, 02.04.1964, 3. Vgl. den entsprechenden Vorschlag eines „Mechanism of
consultation on recognition of de facto government“, ebd., 5-6. Dazu Donald Marquand
Dozer: „Recognition in contemporary inter-American relations“, in: Journal of InterAmerican Studies 8 (1966) 2, 318-335, 332 ff.
„Inter-American solidarity: safeguarding the democratic ideal. Note from Uruguayan
foreign minister to secretary of state [James F. Byrnes]“, in: Department of State Bulletin
13 (25.11.1945) 335, 864-866
A.A.O., 864
Es waren Costa Rica, Guatemala, Kuba, Panama, Venezuela und ausgerechnet das
somozistische Nicaragua.
Ellis O. Briggs: Pan America, a post-war estimate“, in: Department of State Bulletin 13
(25.11.1945), 867-869, 869
60
antwortung“ für die demokratische Entwicklung Amerikas ebenso prompt
wie nachdrücklich begrüßten.210
3.
Polarität zwischen Interventionsverbot und Demokratieprinzip seit
Gründung der OAS
3.1 Repräsentative Demokratie nur ein Programmsatz
Bei der Reorganisation des Interamerikanischen Systems nach dem
Zweiten Weltkrieg waren die lateinamerikanischen Staaten in ihrer ganz
überwiegenden Mehrheit nicht bereit, ihren politischen Triumph über den
„Monroísmo“ zugunsten einer kollektiven Demokratisierungspolitik zu
opfern. Nachdem sie den USA in einer Folge von historischen Konferenzen
in den 30er Jahren die rechtliche Kodifikation eines allumfassenden Interventionsverbotes abgerungen hatte, wollten sie nicht zulassen, daß es im
Interesse einer pro-demokratischen Einflußnahme relativiert würde.
Das Nichtinterventionsregime sollte im Gegenteil effektiviert werden, indem nicht nur die einzelnen Mitgliedsstaaten davon gebunden, sondern auch
die Staatenorganisation der OAS darauf verpflichtet werden sollte. Die USA
als der dominierenden Macht oder einer ihr verbundenen Gruppe von lateinamerikanischen Staaten sollte die Möglichkeit beschnitten werden, die
„basic goal values“ des Interamerikanischen Systems einseitig definieren
und sie anderen Staaten politisch aufzwingen zu können. Entsprechend ist
auch das kollektive Sicherheitssystem des Río-Vertrages so konzipiert worden, daß es keine Basis für andere kollektive Aktionen bietet als für jene,
die sich gegen Aggressionen und Aggressionsdrohungen richten. Trotz der
vielen Erklärungen und Resolutionen, in denen das demokratische Ideal der
amerikanischen Staaten angesichts der faschistischen Gefahr im Zweiten
Weltkrieg beschworen worden war, war eine innen- Bzw. gesellschaftspolitische Funktion der OAS im Sachbereich Herrschaft im Grundkonsens nicht
eingeschlossen. Demokratie und Schutz der Menschenrechte waren deshalb,
dies ist zu unterstreichen, nicht Organisationsziele von Anfang an. Sie wurden es verstärkt erst zu Beginn der 90er Jahre, wie noch auszuführen ist.
Der Nachweis dieser These soll am Beispiel des regionalen Menschenrechtsschutzes geführt werden. So war es charakteristisch, daß von den
beiden vom Interamerikanischen Juristischen Komitee für die Gründungskonferenz der OAS 1948 entworfenen Prinzipienerklärungen nur die das
Interventionsverbot enthaltenden „fundamental rights and duties of states“,
_______________
210
[James Francis Byrnes:] „U.S. adherence to principle opposing oppressive regimes among
American republics“, in: Department of State Bulletin 13 (02.12.1945), 892
61
in die OAS-Charta Eingang fanden.211 Letztere wurden separat als die
„Amerikanische Erklärung der Menschenrechte und –pflichten verabschiedet, die nicht bindende Rechtsnorm, sondern lediglich Programm war. Die
Erwähnung der Menschenrechte in der OAS-Charta selbst fiel derart beiläufig und vage aus, daß Autoren in den 50er Jahren beklagte, daß „human
rights are now less protected than they were under general international
law.“212
Paradoxerweise entwickelte sich aus diesen unverbindlichen Deklarationen, beginnend im Jahr 1959 mit der Einrichtung einer Menschenrechtskommission, ein regionales Menschenrechtsschutzsystem, das heute als das
weltweit „zweitbeste“ (nach dem Menschenrechtsregime des Europarates)
gilt. Auf seine Darstellung wird hier verzichtet, da die Aufgabe von überwiegend juristischer Spezialliteratur umfassend geleistet worden ist.213 Eine
noch zu beantwortende, politikwissenschaftlich fruchtbare Fragestellung
bleibt dabei diejenige nach der „Regimedynamik“: Was erklärt, so ist zu
fragen, diese erfolgreichen Normierungs- und Institutionalisierungsprozesse
(Amerikanische Menschenrechtskonvention, Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte) ausgerechnet in einem regionalen Milieu, in dem
historisch und bis in die jüngste Vergangenheit schwerste Menschenrechtsverletzungen notorisch sind? Eine naheliegende Führungsrolle der USA als
„hegemonialer Stabilisator“ des Regimes taugt nicht zur Erklärung. Zwar ist
richtig, daß die frühe Gründung der Menschenrechtskommission im Jahre
1959 ganz wesentlich durch die Situation im Kuba seit dem Sturz des Diktator Batista und die Machtübernahme Castros bestimmt war. Die USA
waren aber nachweislich, bis die Administration Carter Menschenrechtsfragen spektakulär in den Vordergrund ihrer Lateinamerikapolitik stellte, dem
Thema Menschenrechte gegenüber eher indifferent. Zweifellos spielte das
„moral leadership“ eher machtressourcenschwacher Staaten eine Rolle in
dieser insgesamt ungeplanten Entwicklung. 214Juliane Kokott weist auf den
interessanten Zusammenhang hin, wonach man in Lateinamerika von einem
internationalen Überwachungssystem zur Einhaltung der Menschenrechte
durchaus auch eine Sicherung der nationalstaatlichen Souveränität erwartete,
_______________
211
212
213
214
Art. 3 (j) der Präambel und Art. 13 Satz 2 der Fassung von 1948
Ann Van Wynen Thomas; A. J. Thomas, Jr.: Non-intervention: the law and ist import in
the Americas, Dallas 1956, 390
Siehe die Übersichtsdarstellung von Thomas Buergenthal: „Menschenrechtsschutz im
interamerikanischen System“, in: Europäische Grundrechte-Zeitschrift 11 (1984) 6/8, 169189
David P. Forsythe: „Human rights, the United States and the Organization of American
States“, in: Human Rights Quarterly 13 (1991) 1, 66-98
62
um den Vereinigten Staaten das Thema Menschenrechtsverletzungen als
möglichen Interventionsanlaß zu entziehen.215
Dennoch sind vor dem Hintergrund des traditionell starken Spannungsverhältnisses zwischen internationalem Menschenrechtsschutz und Souveränitätsdenken die von der OAS später geschaffenen Gremien des interamerikanischen Menschenrechtsschutzes – unsere Argumentation stützend – als
„institutionelle Anomalie“ bezeichnet worden.216 Festzuhalten bleibt demnach, daß eine innen- und gesellschaftspolitische Funktion der OAS in ihrer
Formationsphase von der erdrückenden Mehrheit der lateinamerikanischen
Staatengruppe abgelehnt wurde, die im Gegenteil bestrebt war, das Interventionsverbot zu effektivieren.
Die im Rahmen des interamerikanischen Systems definierten und beschworenen Prinzipien des Konstitutionalismus, der Demokratie, und seit
dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch der Menschenrechte bleiben deshalb
lange Zeit lediglich Verbalismen. Wegen der nicht überbrückten Polarität
zwischen dem Prinzip der Nichtintervention als der raison d´etre des Interamerikanischen Systems und dem in der OAS-Charta gleichwertig verankerten Demokratieprinzip mußte die Organisation sich durchweg vorsichtig
verhalten. Wenn ein Konsens erreicht werden sollte, stellte sie in der Regeln
das Prinzip der Nichteinmischung unter souveränen Staaten über jenes der
repräsentativen Demokratie, zu dem Artikel 5 (d) der 1948 in Bogotá gefaßten OAS-Charta niederlegte:
„The solidarity of the American States and the high aims which are sought
through it require the political organization of those States on the basis of
the effective exercise of representative democracy“.
Das Demokratieprinzip wurde durchgehend opportunistisch benutzt. Die
auf der 9. Konferenz der Amerikanischen Staaten 1948 beschlossene Resolution XXXII erwähnte auf Betreiben der USA unter dem Oberbegriff der
Sicherung der Demokratie expressis verbis nur die kommunistische Gefahr,
nicht aber – wie von einer Minderheit der Unterzeichnerstaaten zunächst
gewollt – auch die durchgehend viel größere Gefahr von Rechtsdiktaturen.217 Dies war seinerzeit um so bemerkenswerter, als es den USA 1945 in
der Phase des zu Ende gehenden Weltkrieges und dann bis 1947 ganz wesentlich um die Verhinderung eines faschistischen „Brückenkopfes“ in dem
_______________
215
216
217
Kokott, Interamerikanisches System zum Schutz der Menschenrechte, 8
Bryce Wood: „Human rights and the inter-American system“, in: The future of the interAmerican system / Tom J. Farer (Hg.), New York 1979, 119-152, 120
Final Act, Ninth International Conference of American States, Bogotá 1948: „[Resolution]
XXXII: The preservation and defense of democracy in America“, in: The International
Conferences of American States. Second Supplement, 1942-1954: Treaties, conventions,
declarations, recommendations, and resolutions […], Washington, D.C. 1958, 270-271
63
lange Zeit mit den Achsenmächten sympathisierenden Argentinien gegangen
war. Die auf dem 4. Konsultationstreffen der Außenminister im Jahr 1951
angenommene Erklärung („Strengthening and Effective Exercise of
Democracy“) wurde wiederum aus souveränitätspolitischen Rücksichten
nicht konkretisiert. So führte die Interamerikanische Juristenkommission
einen entsprechenden Arbeitsauftrag der Konferenz nicht aus, da die genannte Resolution XXXII
„refers to matters of internal security and general political orientation of the
American republics without containing any specific problem or matter
requiring the preparation of a juridical report.“218
Im Jahr 1959 brachte der Rat der OAS das zweifellos bestehende Konkurrenzverhältnis von Nichtinterventionsnorm und Demokratieprinzip in ein
klares Unterordnungsverhältnis zu Lasten des letzteren, indem er anläßlich
der Behandlung eines Konfliktes zwischen Haiti und der Dominikanischen
Republik folgendes beschloß:
„CONSIDERING: That both the principle of representative democracy and
that of non-intervention are established in many inter-American instruments,
and that both are basic principles of harmonious relations among the
countries of America; and
That there exists some confusion of ideas as to the means of harmonizing the
effective execution and application of the basic principle of non-intervention
and that of the exercise of representative democracy,
RESOLVES:
1. To reaffirm the principles of representative democracy […]
2. To declare that the aforementioned principles do not in any way nor
under any concept authorize any Government or group of Governments
to violate inter-American commitments relative to the principle of nonintervention […]“219
Das in der OAS-Charta 1948 niedergelegte Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie hatte somit eine lediglich ideologische, nicht aber eine
rechtliche Bedeutung.
_______________
218
219
Inter-American Juridical Committee: „Strengthening and effective exercise of democracy:
report preparedin accordance with Resolution VII of the Fourth Meeting of Consultation of
Ministers of Foreign Affairs“, OEA/Ser.I/CIJ-42, … 1959, 8
Resolution IV, Consejo de la Organización de los Estados Americanos: „Acta de la sesión
extraordinaria del Consejo de la Organización de los Estados Americanos, actuando
provisionalmente como organo de consulta, celebrada el 8 de abril de 1950“, in: Actas del
Consejo, V.5: C-a. 53-64, OEA/Ser. G/II C-a-54, 886. Englische Übersetzung des
spanischen Textes entnommen aus: Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance,
Applications. Volume I: 1948-1959, Washington, D.C. ³1973, 140
64
Auf dem 5. Konsultationstreffen der OAS-Außenminister, das im August
1959 in Santiago de Chile stattfand, kam es dann erneut über das Thema
„Effektive Ausübung der repräsentativen Demokratie und Respektierung der
Menschenrechte“ zu Debatten. Dabei ging es letztlich darum, ob Diktatoren
vom Schlage Batistas, Trujillos, Somozas oder Stroessners weiterhin durch
den Nichteinmischungsgrundsatz abgeschirmt werden durften, oder ob kollektive Aktionen der OAS zur Durchsetzung der Demokratie gerechtfertigt
seien, wie sie insbesondere die junge Revolutionsregierung Kubas (!) und
die konstitutionelle Zivilregierung Venezuelas forderten.
Die Vereinigten Staaten, die damals ihr Interesse an regionaler Stabilität,
d.h. der Abwehr des scheinbar alles bedrohenden Kommunismus, besser
durch die Bundesgenossenschaft autoritärer Militär- bzw. Familiendiktaturen gewährleistet sahen als durch Regime, die auf eine in der Region vordringliche Wirtschafts- und Sozialreform ausgerichtet waren, machten sich
diesmal zum Fürsprecher der unbedingten Einhaltung des Nichteinmischungsprinzips. Daß eine beträchtliche Mehrheit der amerikanischen Staaten sich in der Grundsatzfrage „Strikte Nichteinmischung oder
Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten“ de facto zugunsten
der ersteren Option entschied und auf die letztere praktisch verzichtete,
sollte das feierliche Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie eskamotieren, das als „Erklärung von Santiago de Chile“ in die Schlußakte der Versammlung aufgenommen wurde.220 Diese Erklärung zum Demokratieprinzip
der OAS, wie sie am selben Ort 1991 mit der „Santiago-Verpflichtung“ und
der Resolution 1080 „Repräsentative Demokratie“ eine substanziellere Neuauflage erleben sollte, forderte freie Wahlen, Respektierung und gerichtlichen Schutz der Menschenrechte sowie die Stärkung der Demokratie durch
wirtschaftliche und soziale Maßnahmen und listete die Grundvoraussetzungen eines demokratischen Regimes auf, hatte aber wenig praktischen
Wert.221 Der vom 5. Konsultationstreffen in Auftrag gegebene Entwurf einer
„Konvention über die effektive Ausübung der repräsentativen Demokratie“
blieb ohne Ergebnis.222 Immerhin war sich das Außenministertreffen bei der
Erörterung der Spannungen in der karibischen Region sich des
Zusammenhanges zwischen Demokratie, Menschenrechtsschutz und
regionaler Stabilität sehr wohl bewußt, als es feststellte:
_______________
220
221
222
Ministers of Foreign Affairs, V Meeting of Consultation, Final Act: „[Resolution] I: The
Declaration of Santiago, Chile“, OEA/Ser.F/II.5, Doc. 89 rev. 2, 12.10.1959, 4-6
M. Margaret Ball: „Issue for the Americas: non-intervention v. human rights and the
preservation of democratic institutions“, in: International Organization 15 (1961) 1, 21-31,
21
„[Resolution] IX: Effective exercise of representative democracy“, a.a.O., 11
65
„It has been considered essential […] that such [human] rights be protected
by a juridical system, so that men will not be driven to the extreme expedient
of revolt against tyranny and oppression.“223
Eine neue Rolle der OAS als einer anti-diktatorischen Allianz folgte
daraus unmittelbar aber nicht, wie nachfolgend an dem Umgang der OAS
mit der Trujillo-Diktatur in der Dominikanischen Republik nachgewiesen
werden kann.
3.2 Die OAS als anti-diktatorische Allianz? Sanktionen gegen die
Dominikanische Republik (1960)
Da die Mehrheit der amerikanischen Staaten 1959 in Santiago an einem
unbedingten Nichteinmischungsgrundsatz festhielt, begab sich die OAS der
Möglichkeit, die Spannungen der Karibischen Region nachhaltig zu befrieden. Die zahlreichen Auseinandersetzungen in der Krisenregion, die sich
neben anderen Faktoren charakteristischerweise aus der ideologischen
Frontstellung zwischen „Demokraten“ und „Diktatoren“ speisten, konfrontierten den Rat der OAS mit dem grundlegenden Prinzipienstreit der Organisation : “Essentially what the Council had to do, if it was to look beyond the
immediate conflict, was to measure the doctrine of non-intervention against
the doctrine of democratic development.“224 Erwartungsgemäß erlangte
dabei das Nichteinmischungsgebot das relativ größere Gewicht: „In any
balance of principles of non-intervention and democracy the scales would be
tipped toward the former.“225 Zur Verteidigung, Erhaltung oder Wiederherstellung der Demokratie konnte die OAS nur dann in Aktion treten, wenn
gleichzeitig die Voraussetzungen der Verteidigung gegen eine Aggression
oder eine andere Friedensgefährung in Anwendung des Río-Vertrages gegeben waren.
Die typische karibische Konfliktkonstellation jener Zeit erfüllte potentiell
diese Voraussetzungen. Innerstaatliche Machtkämpfe entwickelten sich
nämlich leicht zu zwischenstaatlichen Konflikten, weil das Karussell von
erfolgreichen und mißlungenen Coups, der ausgiebige Gebrauch der politischen Verbannung in Verbindung mit der großzügigen lateinamerikanischen
Tradition des politischen Asyls zu einer großen Zahl sogenannter „Exilados“
führte, die überall in der karibischen Region am Sturz ihrer Heimatregierungen arbeiteten. Entgegen der Bürgerkriegskonvention von Havanna
(1928) und ihrem Zusatzprotokoll (1957) duldeten asylgewährende
_______________
223
224
225
„[Resolution] VIII: Human rights“, a.a.O., 10
Edgar S. Furniss, Jr.: „The inter_american system and recent Caribbean disputes“, in:
International Organization 4 (1950) 4, 585-597, 594
Ebd.
66
Regierungen, daß auf ihrem Territorium Exilgruppen Umsturzpläne schmiedeten, und nicht selten zettelten sie solche Konspirationen gegen Nachbarregierungen sogar an.
Eine Zielscheibe bildete dabei wiederholt das Regime des Generals
Rafael Leónidas Trujillo, der seit 1930 die Dominikanische Republik in
einen totalitären Polizeistaat und in einen wirtschaftlichen Privatbesitz seiner Großfamilie verwandelt hatte. Der dominikanische Caudillo sah sich
durch etliche Invasionsunternehmen von Exil-Dominikanern bedroht, die
von Kuba, Haiti und Venezuela ausgingen. Er suchte bei der OAS Schutz
und gab dadurch Anlaß, die völlig vergessene Interamerikanische Friedenskommission im Juli 1948 wiederzubeleben. Gleichzeitig verschärfte er
selbst mit aggressiven Willkürmaßnahmen die karibische Krise. So unternahm er Versuche, die konstitutionelle Regierung Venezuelas zu stürzen,
die die Aufmerksamkeit der OAS auf die Zustände der Dominikanischen
Republik gelenkt hatte. Sie gipfelten in einem Komplott zur Ermordung des
venezolanischen Präsidenten Rómulo Betancourt, der bei dem Attentat im
Juni 1960 knapp mit dem Leben davonkam.
Auf Antrag Venezuelas trat das 6. Konsultationstreffen der OAS-Außenminister in San José, Costa Rica zusammen. Zum ersten Mal fand ein solches Treffen in Anwendung des Río-Vertrages statt und zum ersten Mal
wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, kollektive Sanktionen nach
Art. 8 des Río-Vertrages zu beschließen.
Nachdem Nachforschungen der Interamerikanischen Friedenskommission
die Urheberschaft der dominikanischen Regierung für das Attentat auf den
Präsidenten Venezuelas erwiesen hatten, waren die von den OAS-Außenministern am 21. September 1960 beschlossenen Sanktionen der Abbruch der
diplomatischen Beziehungen mit der Dominikanischen Republik sowie eine
teilweise Unterbrechung der Handelsbeziehungen, beginnend mit der sofortigen Einstellung des Handels mit Waffen und Rüstungsmaterial jeder Art.226
Diese kollektiven Sanktionen der OAS stellten jedoch kein Handelsembargo
dar, da z.B. die Exporte der Dominikanischen Republik davon unberührt
blieben. Den Maßnahmen der OAS kam vor allem ein politischer Symbolwert zu.227
Bei der Behandlung der dominikanischen Situation waren die
Zielsetzungen der Vereinigten Staaten und der anderen OAS-Mitglieder
_______________
226
227
Ministers of Foreign Affairs, VI Meeting of Consultation, serving as Organ of Consultation
in application of the Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance: „EsolutionI“, in:
Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance, Applications, Volume II: 1960-1972,
Washington, D.C. ³1973, 8 f.
C Lloyd Brown-John: „Economic sanctions: the case of the O.A.S. and the Dominican
Republic, 1960-1962“, in: Caribbean Studies 15 (1975) 2, 73-105, 103 ff.
67
keineswegs deckungsgleich. Der nordamerikanische Außenminister Herter,
der auf dem Außenministertreffen 1959 in Santiago das Prinzip der Nichteinmischung mit der Begründung hochgehalten hatte, keinem Land sei die
Demokratie von außen aufzuzwingen, forderte nunmehr die Umformung der
OAS in eine „antidiktatorische Allianz“. Er schlug vor, anstelle von Strafmaßnahmen gemäß Art. 8 des Río-Vertrages die Durchführung freier Wahlen in der Dominikaischen Republik unter internationaler Aufsicht zu beschließen, wobei die OAS z.B. die Formierung von Parteien unterstützen
sollte.228 Wegen der Besorgnis der USA über das sich radikalisierende
Revolutionsregime Castros standen hinter diesem Vorschlag weniger prodemokratische Motive, als zwei politische Zwecküberlegungen, die Außenminister Herter seinem Präsidenten Eisenhower darlegte: Ein friedlicher
Machtwechsel diene der Abwendung einer „revolution which might well
produce a communist or Castro-type government in Santo Domingo“ – und
– „if we prove successful in this, a very useful precedent will have been set
for possible later action when the Cuban matter ist before us.“229
Für die lateinamerikanischen Staaten war der Vorschlag der USA, die inneren Verhältnisse der Dominikanischen Republik politisch neu zu ordnen,
so unannehmbar, das er gar nicht erst zur Abstimmung kam.
Die vom 6. Konsultationstreffen in San José 1960 tatsächlich beschlossenen Maßnahmen bildeten daher keine kollektive Aktion zur Durchsetzung
der repräsentativen Demokratie. Eine entsprechende Aufweichung des
Nichteinmischungsgrundsatzes stand für Lateinamerika nicht zur Debatte.
Als die USA darauf drängten, die Handelssanktionen auf Erdöl und dessen
Derivate sowie Lastkraftwagen und Ersatzteile auszudehnen, enthielten sich
bei der Abstimmung darüber am 4. Januar 1961 bereits sechs Staaten –
darunter Brasilien und Argentinien – der Stimme. Ihrer Ansicht nach stellte
die Dominikanische Republik nicht länger mehr eine Gefahr für den Frieden
und die Sicherheit Amerikas dar; die USA stützten ihre Forderung nach
einer Verschärfung der Sanktionen ausschließlich auf das Fortbestehen
interner Diktatur und verletzten somit den Nichteinmischungsgrundsatz.230
_______________
228
229
230
G. Pope Atkins; Larman C. Wilson: The United States and the Trujillo regime, New
Brunswick 1972, 116-119; Slater, OAS and United States foreign policy, 190 F.; Dreier,
Organization of American States and hemisphere crisis, 99 f.
Zitiert nach Stephen G. Rabe: Eisenhower and Latin America: the foreign policy of
anticommunism, Chapel Hill, 1988, 159
Siehe „Dissenting vote of Brazil“ zum „First Report of the Special Committee to carry out
the mandate received by the Council pursuant to Resolution I of the Sixth Meeting of
Consultation of Ministers of Foreign Affairs“, in: Inter-American Treaty of Reciprocal
Assistance, Applications II, 10-12, 13 f.
68
Es läßt sich einwenden, daß die OAS bei der Beachtung des Nichteinmischungsprinzips durchaus inkonsequent war.231 So billigten die lateinamerikanischen Staaten, von denen damals einige deutlich prodemokratisch
orientiert waren, stillschweigend, daß die USA nach der Ermordung
Trujillos im Mai 1961 das Regime dadurch ausschalteten, indem sie die
Familie Trujillo aus dem Land drängten, so daß kein Sippenregime nach
dem Vorbild der Somozas entstehen konnte. Gleichwohl hätte die OAS
gegen die Trujillo-Diktatur, die drei Jahrzehnte lang ein Schandfleck des
amerikanischen Kontinents gewesen war, nichts unternommen, da sie ein
insulares Phänomen ohne expansionistische Ideologie – wie man sie wenig
später Kuba vorwerfen sollte – gewesen war, wenn Trujillo nicht die Souveränität Venezuelas verletzt hätte. Nicht die Diktatur und die Menschenrechtsverletzungen Trujillos lösten die OAS-Sanktionen gegen die Dominikanische Republik aus, sondern Trujillos Fehler, sein despotisches Regime
gewissermaßen „exportieren“ zu wollen. Die OAS setzte daraufhin wohlgemerkt nur den Abwehrmechanismus des Río-Vertrages in einem Fall von
Intervention und indirekter Aggression gegen einen amerikanischen Staat in
Gang.
Für die politische Einordnung der ersten Sanktionen der OAS gegen einen Mitgliedsstaat ist deshalb entscheidend, daß dieser zugleich erste Einsatz der Organisation als „antidiktatorische Allianz“ gerade mit dem Nichteinmischungsgrundsatz gerechtfertigt wurde. Es sollte bis 1979 dauern, ehe
die erste, ausschließlich mit Menschenrechtsverletzungen begründete kollektive Brandmarkung eines Diktators – freilich unter Ausnahmebedingungen – möglich wurde.
3.3 Wandel der Basisideologie der OAS: „Ideologischer Pluralismus“
statt repräsentativen Demokratie?
Die von der OAS 1960/1962 beschlossenen Sanktionen gegen die
„rechte“ Abweichung vom Tugendpfad des „effective exercise of representative democracy“ in der Dominikanischen Republik wurden im Sinne der
USA zur Vorübung für das Vorgehen gegen „linke“ Abweichungen von der
interamerikanischen Orthodoxie. Die antikommunistischen Caracas-Beschlüsse von 1954 (Anlaß: Guatemala), die Suspendierung des Castro-Regimes von der OAS-Mitgliedschaft, die wirtschaftliche und politische Isolierung Kubas (1962/64) und die dominikanische Intervention von 1965
postulierten die Inkompatibilität zwischen den repräsentativ-demokratischen
_______________
231
Cabranes nennt die Sanktionen der Organisation gegen die Dominikanische Republik „its
first substantial departure from the doctrine of absolute non-intervention in the interAmerican system“, in: Michigan Law Review 65 (1966/67), 1147-1182, 1165, Fn. 35
69
Prinzipien des amerikanischen Regionalsystems und dem marxistisch-leninistischen System des „internationalen Kommunismus“. Da sich die OAS
mit Vorgängen interner Natur nicht befassen durfte, mußte eine Friedensgefährdung internationalen Charakters hergeleitet werden:
Ein radikaler Regimewandel in Lateinamerika war seit den Beschlüssen
von 1954 und den auf starken Druck der USA mit knappen Mehrheitsvoten
gefaßten Sanktionsbeschlüsse der OAS definitorisch nicht mehr denkbar als
Ergebnis autochthoner politisch-gesellschaftlicher Prozesse, sondern nur
noch als Ergebnis fremder „extra-kontinentaler“ Intervention. Die schiere
Existenz eines „extrahemisphärischen Prinzipen“ zugewandten Regimes galt
– unabhängig von seinem konkreten Verhalten – per se als friedensgefährdend und aggressiv.
Jedoch hatten die erwähnten Sanktionen den Nichtinterventionsschild zu
offenkundig durchbrochen. Die Intervention der USA in Santo Domingo
1965 markierte einen Wendepunkt, von dem an die Legitimationskapazität
der OAS für die Lateinamerika-Strategien der USA sich erschöpfte und
versagte. Dies schlug sich nicht zuletzt in der politisch-ideologischen Basis
der OAS nieder. In einer etwa zehnjährigen Diskussion von 1963 an, intensiviert nach 1965 bis 1973 wurde das – wenn auch nicht im rechtlichen
Sinne – „verbindliche“ Demokratie-Konzept ersetzt durch die Formel vom
„ideologischen Pluralismus“, welche die Generalversammlung, auf einen
breiten Konsens gestützt, 1973 einführte. Die entsprechende Resolution
sagte: „[…] plurality of ideologies is a presupposition of regional
solidarity“232. Dabei handelte es sich um eine von den USA mit ausgearbeitete Kompromißformulierung, die nicht so weit ging, eine offene Anerkennung des Marxismus auszusprechen, was den Boykott gegen Kuba illusorisch gemacht hätte. Sie ermöglichte aber den anderen OAS-Staaten die
Neugestaltung der Beziehungen zu Kuba. Wie an derer Stelle ausgeführt,
hob die Konferenz von San José 1975 die Sanktionen zwar nicht auf, stellte
aber jedem Mitglied die Normalisierung seiner Beziehungen zu Kuba anheim. Alle Beteiligten einschließlich der USA erlangten so ohne Gesichtsverlust ihre Flexibilität wieder.
Der Wandel der Basisideologie der OAS von „repräsentativer Demokratie“ zum „ideologischem Pluralismus“ in den 70er Jahren drückte somit das
Unbehagen Lateinamerikas an der Dominanz der USA und an deren oppor_______________
232
General Assembly, III Regular Session: „AG/RES. 128 (III/0-73): Principles governing
relations among the American States“, OEA/Ser. P/III-0.2, 15.04.1973, Vol. I, 137-138.
Ohne sachliche Unterscheidung waren in der vorangegangenen Disjussion des General
Committee am 10.04.1973 die Begriffe „solidaridad pluralista“, „pluralismo ideológico“,
„pluralidad ideológica“ u.ä. verwendet worden. Siehe OEA/Ser. P/AG/CG/ACTA 25/73, 9,
12, 27-29, 33 und ACTA 27/73, 3-4
70
tunistischem Gebrauch des Demokratiekonzepts aus, verhinderte aber nicht,
daß ab etwa Mitte der 70er Jahre die Probleme von Demokratie und Menschenrechten wieder verstärkt die OAS beschäftigten. Während 1960 die
Sanktionen gegen die Trujillo-Diktatur gerechtfertigt wurden als ein Mittel
„to end agression“, kam die OAS 1979 offen als „anti-diktatorische Allianz“
zum Einsatz.
3.4 Präzedenzfall Nicaragua (1979)
„Immediate and definitive replacement of the Somoza regime“: Das war
die beispiellose Forderung des 17. Konsultationstreffens der OAS-Außenminister im Juni 1979, die mit Menschenrechtsverletzungen und der Vorenthaltung der Demokratie durch die Diktatur Somozas begründet wurde. Zum
ersten Mal entzog die OAS ohne Rücksicht auf den allfälligen
Interventionsvorwurf dem Staatsoberhaupt eines Mitgliedsstaates die Legitimation. Dieser Präzedenzfall erklärt sich aus einer spezifischen Situation,
in welcher er den Höhepunkt eines Delegitimierungsprozesses des Regimes
darstellte. Für das Verständnis ist außerdem wichtig, daß die direkte und
indirekte Einmischung einer größeren Zahl amerikanischer Staaten in den
Bürgerkrieg Nicaraguas gängige Praxis war.
Somoza und seine Nationalgarde gerieten in den 70er Jahren zunehmend
in die Isolation. Die Diktatur Anastasio Somoza II. Debayles war unfähig,
den tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel des Landes politisch zu verarbeiten. Mittels massiver Repression hielt sie am status
quo fest. Das Sippenregime bereicherte sich schamlos auch in einer nationalen Notsituation wie der Erdbebenkatastrophe von 1972 und drang mit
mafiotischen Praktiken in bisher respektierte Domänen der nicht-somozistischen Unternehmerschaft ein. Der Mord an Pedro Joaquín Chamorro, der
Integrationsfigur der gemäßigten, „bürgerlichen“ Opposition, markierte im
Januar 1978 einen politischen Wendepunkt. Die Sandinistische Nationale
Befreiungsfront FSLN (Frente Sandinista de Liberación Nacional), bis dahin
eine unbedeutende, marxistisch orientierte Guerilla-Bewegung, stieg innerhalb weniger Monate zur beherrschenden Kraft im Oppositionslager auf.
Obwohl das Gewicht marxistisch-leninistischer Gruppen schwer abschätzbar
war, gewann der FSLN durch programmatische Mäßigung Sympathien im
In- und Ausland. Die spektakuläre Besetzung des Nationalpalastes durch
den FSLN im August 1978 und der anschließende sogenannte Septemberaufstand weiteten sich zum Bürgerkrieg aus, wobei Somozas Nationalgarde
durch die Bombardierung und Beschießung der aufständischen Städte den
Aufruhr der Bevölkerung vorerst noch blutig niederschlagen konnte.
Die zum Bürgerkrieg eskalierte Regimekrise rief mehrere amerikanische
Staaten auf den Plan. Die Carter-Regierung versuchte, ihre Menschen-
71
rechtspolitik mit einer ausdrücklichen Politik der Nichteinmischung gegenüber der Situation in Nicaragua zu verbinden. Zu dieser offensichtlich unvereinbaren Doppelstrategie zwang sie der Druck einer größeren, parteiübergreifenden Pro-Somoza-Lobby im US-Kongress, die die Ratifizierung
der Panamakanal-Verträge zu sabotieren drohte. Die Administration gab
zunächst Vermittlungsbemühungen außerhalb der OAS den Vorzug und
versuchte über den Weltwährungsfonds Druck auf Somoza auszuüben, diese
Vermittlung zu akzeptieren.
Offen mit dem FSLN sympathisierten die Regierungen Castro (Kuba),
Pérez (Venezuela), Carazo (Costa Rica) und Torrijos (Panama), die allesamt
an der Belieferung der Befreiungsfront mit Waffen beteiligt waren. Costa
Rica hatte nicht nur eine Schlüsselstellung bei diesem Waffentransfer via
Panama. Trotz seiner offiziellen Neutralität duldete es, daß die Sandinisten
von seinem Territorium aus militärisch operierten. Wilson kommt deshalb
zu der begründeten Feststellung, daß in entscheidender Weise Costa Rica –
nicht Kuba – zum Sieg des FSLN über Somoza beigetragen habe.233 Kubas
zweifellos wichtige Rolle bestand vor allem darin, gewissermaßen als Vorbedingung für internationale Unterstützung, die Vereinigung der drei konkurrierenden FSLN-Fraktionen zustandegebracht zu haben. Auch war Kuba
der größte einzelne Waffenlieferant der Befreiungsfront. Costa Ricas Rolle
bedarf einer kurzen Erklärung. Das mit dem Panamakanal verknüpfte strategische Interesse der USA an Stabilität in Zentralamerika ist Gemeingut. Als
Faktor der regionalen Instabilität weniger bekannt ist hingegen die tiefe
Rivalität zwischen dem demokratischen Costa Rica und dem diktatorischen
Nicaragua, personifiziert in der bitteren Fehde zwischen Präsident José
Figueres Ferrer und General Anastasio Somoza I. García und seinen beiden
Söhnen. Meist wird verkannt, daß die USA das politische System Costa
Ricas klar bevorzugten und enge Beziehungen zu Präsident Figueres unterhielten, welcher modernisierende Ideen mit sozialdemokratischer Tendenz
bei gleichzeitigem Antikommunismus vertrat. Zugleich unterstützten die
USAS trotz zeitweilig ernster Zerwürfnisse wirtschaftlich und militärisch die
somozistische Diktatur mit ihrer Feudalstruktur. Beide Regime erbrachten
trotz ihrer unterschiedlichen politischen Systeme vor dem weltpolitischen
Hintergrund des Kalten Krieges für die USA eine gleichartige Stabilisierungsleistung, obwohl in ihrer Rivalität eine der wesentlichen Ursachen für
die subregionale Instabilität lag.
In den schwelenden Konflikt zwischen Costa Rica und Nicaragura wurde
die OAS bereits 1948/49 und 1955 eingeschaltet. Als sich Costa Rica
_______________
233
Larman C. Wilson: The Nicaraguan insurrection and the delegitimization of Somoza:
intervention and the role of the OAS and US“, in: Terrorism, political violence and world
order / Henry Hyunwook Han (Hg.), Lanham 1984, 387-428, 412 ff.
72
1978/79 in „passiver Unterstützung“ dem FSLN als militärischer Aufmarschplatz zur Verfügung stellte, von dem aus er seine Offensiven gegen
Somozas Nationalgarde vortrug, setzte diese wiederum den Rebellen auf
costaricanisches Territorium nach. Costa Rica, das 1948 seine Armee abgeschafft hatte und nur über Polizeikräfte verfügte, wandte sich 1978 wegen
dieser Grenzverletzungen und der Invasionsdrohung Somozas (I´m not
ruling out the possibility of declaring war on Costa Rica“) erneut an die
OAS. Zeitgleich verlangte Venezuela am 2. September 1978 ein
Konsultationstreffen der OAS-Außenminister.234 Wegen der von
Washington eingeschlagenen Verzögerungstaktik konnte der Ständige Rat
der OAS erst am 18. September 1978 – nach der Niederschlagung des letzten Aufruhrs in Nicaragua (Estelí) – beschließen, eine solche Außenministerkonferenz für den 21. September 1978 einzuberufen. Die
entsprechende Resolution wurde mit 23 gegen eine Stimme (Paraguay)
angenommen. Gemäß Art. 59 der OAS-Charta konstituierten sich das Siebzehnte Konsultationstreffen der Außenminister. Bei seinen Beratungen wurden drei Gruppen sichtbar: Eine wurde von Venezuela und Costa Rica angeführt, die von der OAS eine scharfe Verurteilung der Regierung Nicaraguas
erwarteten. Nach ihrer Auffassung mußte die Gefahr eines sich durch Somozas Unberechenbarkeit regionalisierenden Konflikts so rasch wie möglich
durch dessen Sturz ausgeschaltet werden. Eine weitere Gruppe, voran die
USA, wollten durch internationale Vermittlung eine „Öffnung“ des SomozaRegimes erreichen. In einer dritten Gruppe formierten sich die autoritären
Regime Zentralamerikas und des Cono Sur, die zu verhindern suchten, daß
die OAS einen Präzedenzfall für wie auch immer geartete Eingriffe schuf,
der sich einmal gegen sie selbst würde kehren können. General Stroessners
Paraguay warnte:
„Intervention can never be justified on the basis of a supposed human rights
violation” [and] „to accept it would limit sovereignty. No cries of anxiety,
nor calls for a hypocritical humanitarianism could justify intervention under
any pretext. We do not consider ourselves, or any other State, competent to
arrogate to itself the right to judge, try, accuse, prosecute, or to act as
gendarmes or international policemen in order to audaciously and daringly
intrude ourselves, intimidating other states with offensive threats which
would break down the fundamental structures of the O.A.S.“235
_______________
234
235
Art 59 (heute Art. 60) der OAS-Charta: „The Meeting of Consultation of Ministers of
Foreign Affairs shall be held in order to consider problems of an urgent nature and of
common interest to the American States, and to serve as the Organ of Consultation.
Ministros de Relaciones Exteriores, XVII Reunión de Consulta: „Acta de la primera sesión
plenaria“, OEA/Ser.F/II.17, 12/78, 21.09.1978, 18-24. Übersetzung des spanischen
Originals: Christina Cerna: „Human rights in conflict with the principle of nonintervention: the case of Nicaraguan before the Seventeenth Meeting of Consultation of
Ministers of Foreign Affairs“, in: Comisión Interamericana de Drechos Humanos:
73
Die am 23. September 1978 von den Außenministern verabschiedete Resolution spiegelt den Gruppenkompromiß, dessen Formel „friendly
cooperation“ am wenigsten interventionsverdächtig klang. Die Resolution
stellte fest, „that […] Nicaragua has stated that it is willing in principle to
accept the friendly cooperation and conciliatory efforts that several member
States of the Organization may offer“. Zugleich wurde mit der Zustimmung
Nicaraguas beschlossen, einen Untersuchungsausschluß der Intermaerikanischen Menschenrechtskommission zu entsenden.236
Der im November 1979 vorgelegte Bericht der Menschrechtskommission
geißelte unmißverständlich die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und Massaker der Regierung Nicaraguas und ihrer
Nationalgarde.237 Von der Cater-Administration wurde er als „Schocker“
bezeichnet und für die nächste Entscheidung des 17. Konsultationstreffens
der OAS-Außenminister stellte er eine moralische Herausforderung dar.238
Der von den USA angeführten Vermittlungsmission, der die OAS-Außenminister mit ihrer Resolution vom 23. September 1978 stillschweigend
zugestimmt hatten, fehlte es an der notwendigen Neutralität, Repräsentativität und Glaubwürdigkeit, da sie vor allem den Zweck verfolgte, eine USfreundliche, „bürgerliche“ Reformregierung in Amt zu bringen, um die revolutionäre Machtübernahme des FSLN und damit ein „zweites Kuba“ zu
verhindern.239 Als Somoza es im Februar 1979 schließlich ablehnte, sich
einem international überwachten Plebiszit zu stellen, wie es von der Vermittlungsinitiative der USA vorgeschlagen worden war, reagierte Präsident
Carter entschlossen und kündigte die teilweise schon suspendierte Wirtschafts- und Militärhilfe für Nicaragua auf. Aus den genannten innenpolitischen Gründen war die US-Administration jedoch an einer kohärenten
Politik gehindert, reagierte verspätet auf die Kräfteverschiebung innerhalb
_______________
236
237
238
239
homenaje a la memoria de Carlos A. Dunshee de Abranches, [Washington, D.C. 1984), 93107, 95
Ministers of Foreign Affairs, XVII Meeting of Consultation: „Resolution I“,
OEA/Ser.F/II.17. Doc.19/78 rev.2, 23.09.1978
Cerna, Human rights in conflict, 97
Comisión Interamericana de Drechos Humanos: „Informe sobre la situación de los drechos
humanos en Nicaragua: resultado de la observación ‚in loco‘ practicada del 3 al 12 de
octubre de 1978“, OEA/Ser.L/V/II.45, Doc. 16 rev. 1, 17.11.1978
„Containment“ war die Leitlinie der Carterschen Nicaragua-Politik, so: Martha L. Cottam:
„The Carter administration’s policy toward Nicaragua: images, goals, and tactics“, in:
Political Science Quarterly 107 (1992) 1, 123-146. Die „International Commission of
Friendly Cooperationand Conciliation“ wurde gebildet von einem US-Sonderbotschafter
und den Botschaftern der Dominikanischen Republik und Guatemalas. Die Mission war
keine OAS-Vermittlung, als die sie z. B. bezeichnet wird von Shirley Christian: Nicaragua:
revolution in the family, New York 1985, 87
74
Nicaraguas und wurde schließlich von den Ereignissen überrollt. So erkannte die an der Idee der „Vermittlung“ festhaltende Carter-Regierung
nicht, daß die Regimesturz-Stratgie des FSLN mittlerweile von weiten Bevölkerungskreisen bis hin zu den Unternehmerorganisationen und der katholischen Kirchenhierarchie240 unterstützt wurde: „The Carter Administration […] was unable to accept this reality and pursued almost to the end the
untenable policy of attempting to reconcile the irreconciliable.“241
Vor dem Hintergrund des sich ausweitenden Bürgerkriegs im Frühjahr
1979 wurde die OAS verstärkt von einigen ihrer Mitgliedsstaaten als Resonanzboden genutzt, um die jeweils eigenen außenpolitischen Ziele zur Geltung zu bringen. Offensichtlich war dies bei den Vereinigten Staaten, die
erst auf die OAS setzten, als ihre Politik nach dem Scheitern der eigenen
Vermittlungsinitiativen „out of options“ war. Costa Rica und Nicaragua
brachten ihren Konflikt über gegenseitige Grenzverletzungen vor die
OAS.242 Auch eine Reihe anderer Staaten, wie z.B. Venezuela, Mexiko,
Panama und Kolumbien, wurde im multilateralen Rahmen der OAS aktiv,
wobei dieser Anti-Somoza-Block weiterhin mit verdeckten unilateralen
Aktionen auf den Sturz Somozas hinarbeitete. Den Kern dieses Blockes
bildete der Andenpakt. Eigentlich ein Instrument subregionaler Wirtschaftsintegration, diente er bei dieser Gelegenheit den fünf ausschließlich
demokratischen Mitgliedsstaaten als ein außenpolitisches Koordinationsgremium.243
Als sich militärisch das Blatt zugunsten der Sandinisten zu wenden begann, reagierte die Regierung Carter erratisch. Hatte sie im Februar 1979
noch mit harschen Sanktionen auf Somozas Weigerung, eine Volksabstimmung über sein Verbleiben entscheiden zu lassen, reagiert, so befürwortete
sie Mitte Mai 1979 einen Stützungskredit des Weltwährungsfonds für Nica_______________
240
241
242
243
Die Repräsentativität der Opposition gegen Somoza spiegelte sich in der neuformierten
„Breiten Oppositionsfront“, in der auch der FSLN vertreten war.
Wilson, Nicaraguan insurrection, 406
Der Ständige Rat richtete am 17. September 1978 eine Ad hoc-Beobachtungskommission
ein, der eine zivile Beobachtermission zur regelmäßigen Überwachung der gemeinsamen
Grenze zwischen Costa Rica und Nicaragua an die Stelle gestellt wurde. Da beide Staaten
sich als „Aggressionsopfer“ bezeichneten, wurden die Mechanismen des Río-Vertrages in
Gang gesetzt. Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance, Applications, Volume III,
Part Two, 1977-1981, Washington, D.C. 1982, 19-30
Der Ständige Rat richtete am 17. September 1978 eine Ad hoc- Beobachtungskommission
ein, der eine zivile Beobachtermission zur regelmäßigen Überwachung der gemeinsamen
Grenze zwischen Costa Rica und Nicaragua an die Seite gestellt wurde. Da beide Staaten
sich als „Agressionsopfer“ bezeichneten, wurden die Mechanismen des Río-Vertrages in
Gang gesetzt: Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance, Applications, Volume III,
Part Two, 1977-1981, Washington, D.C. 1982, 19-30
75
ragua in Höhe von 65,5 Mio. Dollar. Etwas später unterband sie jedoch die
vor allem über Israel weiterlaufenden Waffenlieferungen an Somoza. Mitte
Juni 1979 unternahm die Carter-Administration eine letzte Anstrengung,
ihre Nicaragua-Politik durch die OAS voranzubringen und verabschiedete
sich von ihrer offiziell propagierten „Nichteinmischung“.244 Das US-Außenministerium versuchte dabei immer noch, die OAS für eine „politische Lösung“ in Gestalt einer gemäßigten Übergangsregierung als Alternative zum
FSLN einzuspannen, während die Andenpaktstaaten bereits erklärt hatten,
daß sie den FSLN als kriegführende Partei völkerrechtlich anerkennen
wollten: „The decision to use the OAS was a sign that the department had
not fully grasped the implications of the Andean Pact statement […]; the
Andean countries were moving in the opposite direction from that of the
United States. To invite an OAS meeting was to invite an embarrassment at
best, a collision at worst.245“ US-Außenminister Cyrus Vance forderte am
21. Juni 1979 vor der Versammlung der OAS-Außenminister unter Hinweis
auf eine mögliche Ausdehnung des Konflikts in Nicaragua und die Verwicklung Kubas darin die Ablösung des Diktators Somoza durch eine
„Übergangsregierung der nationalen Versöhnung“ und die Entsendung einer
OAS-Friedenstruppe nach Nicaragua.246 Dieser Vorschlag stieß bei der
Mehrheit der OAS-Staaten und beim FSLN auf heftigen Widerspruch.
Entgegen den Bedenken des State Department hatte Präsident Carter,
nach Rücksprache mit Sicherheitsberater Brzezinski, persönlich den Hinweis auf Kuba („mounting evidence of involvement by Cuba“) und die Aufforderung „the member states of this Organization must consider on a[n)
urgent basis the establishment of a peace-keeping force“ in den Redetext
seines Außenministers geschrieben.247 Wegen der bekannten lateinamerikanischen Empfindlichkeiten wirkten diese Reizthemen zwangsläufig
kontraproduktiv im Bemühen der USA um eine „politische Lösung“ im
nicaraguanischen Bürgerkrieg. Ein Gegenvorschlag der von Venezuela
angeführten Andenpaktstaaten bildete, nachdem die USA ihren Vorschlag
_______________
244
245
246
247
Dies wurde u.a. bewirkt von der kaltblütigen Ermordung eines US-amerikanischen
Journalisten durch die Nationalgarde Somozas am 20. Juni. Die über alle Fernsehkanäle in
den USA ausgestrahlte Filmaufzeichnung der Hinrichtung wurde auch auf dem
Konsultativtreffen der OAS-Außenminister am 21.Juni vorgeführt.
Robert A, Pastor: Condemned to repetition: the United States and Nicaragua, with a new
epilogue, Princeton 1988, 141
Ministers of Foreign Affairs, XVII Meeting of Consultation: „Statement of the U.S.
representative, reconvened 17th Meeting of Foreign Ministers, June 21, 1979“,
OEA/Ser.F./II.17, Doc. 38/79, 21.06.1979
Anthony Lake: Somoza falling, Boston 1989, 224. Die US-Diplomaten milderten die stark
tönende Formulierung „peace-keeping force“ im entsprechenden Resolutionsentwurf der
USA zu „OAS presence“ ab
76
einer OAS-Friedenstruppe hatten fallenlassen, die Grundlage für die mit 17
gegen zwei Stimmen (Nicaragua und Paraguay) bei sechs Enthaltungen
angenommene Schlußresolution, die lautete:
„WHEREAS:
The people of Nicaragua are experiencing the horrors of a fierce armed
conflict […];
The inhumane conduct of the dictatorial regime governing the country, as
evidenced by the report of the Inter-American Commission of Human
Rights, is the fundamental cause of the dramatic situation faced by the
Nicaraguan people […];
THE SEVENTEENTH MEETING OF CONSULTATION OF MINISTERS
OF FOREIGN AFFAIRS DECLARES:
That the solution of the serious problem is exclusively within the
jurisdiction of the people of Nicaragua.
That in the view of the Seventeenth Meeting of Consultation of Ministers of
Foreign Affairs this solution should be arrived at on the basis of the
following:
1. Immediate and definitive replacement of the Somoza regime.
2. Establishment, within Nicaraguan territory, of a democratic
government, the composition of which should include the principal
groups representative of the Somoza regime´s opposition and should
reflect the free will of the people of Nicaragua.
3. Guarantee of the respect for human rights of all Nicaraguan without
exception.
4. The holding of free elections as soon as possible, that will lead to the
establishment of a truly democratic government […].
RESOLVES:
1. To urge the member states to take whatever steps within their reach to
facilitate an enduring and peaceful solution to the Nicaraguan problem
on the bases set forth above, while scrupulously respecting the
principle of nonintervention […].“248
(Hervorhebungen mit Kursivschrift durch d. Verf.)
Obgleich diese Resolution die konkreten Folgerungen dem Handeln der
einzelnen Mitgliedsregierungen anheimstellte, war sie präzedenzlos, da die
OAS zum ersten Mal die Ablösung des amtierenden Staatschefs eines Mitgliedslandes forderte. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission
stellte dies 1981 heraus:
_______________
248
Ministers of Foreign Affairs, XVII Meeting of Consultation: „Resolution II“,
OEA/Ser.F/II.17, Doc.40/79 rev. 2, 23.06.1979
77
„On June 23, 1979, the XVII Meeting of Consultation approved a resolution
which, for the first time in the history of the OAS and perhaps for the first
time in the history of any international organization, deprived an incumbent
government of a member state of the Organization of legitimacy, based on
the human rights violations by that government against its own
population.“249
Die Resolution vom 23. Juni 1979 ist als Kulminationspunkt eines
schrittweisen Delegitimierungsprozesses des Somoza-Regimes anzusehen.
Zum Zeitpunkt der Versammlung der OAS-Außenminister war das Ende der
Somoza-Diktatur absehbar, nachdem der „Frente“ bereits 20 Städte in Nicaragua militärisch erobert hatte. Die von der Resolution ausgehende Wirkung
bezeichnet Wilson deshalb als “Gnadenstoß“.250 In der Tat antwortete
Somoza auf die Frage, wann er sich zu seiner am 17. Juli 1979 erfolgten
Flucht aus Nicaragua entschieden habe: „from the moment the OAS made
that decision. Look, I´m a realist. What role do I play when I have the OAS
down my neck?“251 Wichtige Stationen der Delegitimierung der SomozaRegierung waren die Breite und Repräsentativität des vom FSLN
angeführten Volksaufstandes, der Bericht der Interamerikanischen
Menschenrechtskommission, und der sukzessive Abbruch der diplomatischen Beziehungen lateinamerikanischer Staaten mit Nicaragua.252 Während
der Versammlung der OAS-Außenminister am 21. Juni 1979 war ein gegenläufiger, legitimierender Prozeß zugunsten der Somoza-Gegner im
Gange: Ein Markstein dieser Entwicklung war es, daß die Außenminister
des Andenpaktes auf ihrem Treffen am 16. Juni in Caracas die Sandinisten
als kriegführende Partei anerkannten.253 Die am selben Tag in Costa Rica
gebildete Junta der nicaraguanischen Regierung für den nationalen Wiederaufbau wurde sofort von Panama und Grenada, Ende Juni von Brasilien und
Peru, und im Juli von Costa Rica als die legitime Regierung Nicaraguas
anerkannt.
Bedenken hinsichtlich des „interventionistischen“ Charakters der OASResolution vom 23. Juni 1979 wurden nicht nur vom Vertreter des Militärregimes in Paraguay und selbst redend von Nicaragua vorgebracht, wie auch
_______________
249
250
251
252
253
Inter-American Commission on Human Rights: „Report on the situation of human rights in
the Republic of Nicaragua“; OEA/Ser. L/V/II.53, Doc. 25, 30.06.1981, 2
Wilson, Nicararguan insurrection, 411
Karen DeYoung: „Somoza agrees to quit, leaves timing to U.S.“, Washington, Post,
07.07.1979, A1; A3
Costa Rica: November 1978; Mexico: Mai 1979; Ecuador and Panama: Juni 1979 (vor
dem Außenministertreffen der OAS).
Völkerrechtlich bedeutete dies eine Gleichstellung der von Somoza als „Terroristen“ und
„Guerilla“ bezeichneten sandinistischen Befreiungsfront mit der gegnerischen
Nationalgarde Somozas.
78
das ja keineswegs einstimmige Abstimmungsergebnis belegt. Immerhin
hatte Mexiko, ansonsten der unerschütterliche Sachwalter des Nichteinmischungsgrundsatzes, der von den Andenpaktstaaten vorgeschlagenen Resolution zugestimmt, weil es sie nicht als Einmischung, sondern „as an act of
hemispheric solidarity and political support to an internal process
approaching its culmination“ betrachtete.254 Eine Einmischung hätte es nach
mexikanischer Auffassung dargestellt, wenn die OAS Einfluß auf den Ausgang dieser inneren Entwicklung, so z.B. die Zusammensetzung der neuen
Regierung Nicaraguas (etwa nach den Vorstellungen der USA), genommen
hätte. Das Interventionsargument war deshalb auch nachrangig, weil die
Intervention auswärtiger Staaten bzw. Staatengruppierungen (Andenpakt) –
ganz überwiegend zugunsten der Sandinisten – bereits die Regel war: „In
fact, while paying lip-service to non-intervention, the practice was intervention by all.“255 Vor allem Costa Rica, Venezuela, Panama und Kuba waren
seit dem Beginn des Widerstandes gegen Somoza im Jahr 1977 aktiv in den
inneren Konflikt Nicaraguas verstrickt. Ihre Einmischung datiert mithin
lange vor der Delegitimierung Somozas durch die OAS als der zentralen
„regional licensing agency“ (Wilson), die im Bericht ihrer Menschenrechtskommission vom November 1978 Somoza als einen Diktator brandmarkte,
der seine eigene Bevölkerung bombardieren ließ. Auf geschlossene Ablehnung der lateinamerikanischen Staaten stieß hingegen jede Form der Einmischung der Vereinigten Staaten, obwohl sie zugleich die diffuse Erwartung
an die USA richteten, das von ihnen mitgeschaffene Problem Somoza zu
bereinigen: „They wanted Washington to make things right in Central
America, but not through an interventionist exercise of American power,
even under cover of the OAS.“256
Die Resolution des 17. Konsultationstreffens der Außenminister vom 23.
Juni 1979 war bahnbrechend, da zum erstenmal die Entfernung eines diktatorischen Regimes gefordert wurde, das sich Menschenrechtsverletzungen
hatte zuschulden kommen lassen. Die bis dahin unter den OAS-Mitgliedsstaaten vorherrschende Auffassung, wonach das Prinzip der Nichteinmischung völkerrechtlich zwingend, das Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten hingegen nur moralisch verpflichtend sei, wurde damit sozusagen auf den Kopf gestellt. Es zeigte sich, daß das Prinzip der Nichtintervention nicht eigentlich eine juristische „Doktrin“ war, sondern ein ganz und
gar politisches Prinzip, das nach Opportunität gedehnt, manipuliert oder gar
vernachlässigt werden konnte. Menschenrechtliche und demokratische
Normen transzendierten erstmalig das Nichtinterventionsprinzip und recht_______________
254
255
256
Cerna, Human rights in conflict, 100
Wilson, Nicaraguan insurrection
Lake, Somoza falling
79
fertigten zumindestens die Ausnahme von der Regel.257 Dieses Ergebnis
verdankte sich der beschriebenen Konstellation im besonderen Fall Nicaragua – dem bereits fortgeschrittenen Legitimationsverlust des Somoza-Regimes und der Absicht der zum Teil selbst massiv intervenierenden lateinamerikanischen Staaten, die USA von einer Intervention abzuhalten. Daß
die OAS wegen Meschenrechtsverletzungen erstmals kollektiv die
Abdankung eines Diktators forderte, kam au feiner Ad hoc-Basis zustande
und begründete deshalb nicht unmittelbar eine neue Praxis der Staatenorganisation.
Dies wird an späterer Stelle am Beispiel der Panama-Krise von 1989 zu
zeigen sein, bei der die traditionellen Vorbehalte gegenüber Einmischungen
in die Domaine réservée staatlicher Souveränität erneut Oberhand gewannen
und die kollektiven Handlungsmöglichkeiten der OAS beschränkten. Als
Präzedenzfall kommt der Resolution zur Brandmarkung Somozas jedoch
ohne Zweifel eine gewisse Fernwirkung auf die Demokratisierungsfunktion
der OAS zu, welche die Organisation seit Beginn der 90er Jahre stärker zur
Geltung bringen sollte.
3.5 Wiederentdeckung des Demokratieprinzips in den 1980er Jahren
Das im Dezember 1985 verabschiedete, im November 1988 in Kraft getretene Reformprotokoll von Cartagena de Indias zur Revision der OASCharta „marked a turning point“, so ein hochrangiger OAS-Beamter, „in the
role of the OAS is called upon to play in support of democracy“.258 Als
wichtigsten Aspekt dieser Revision der OAS-Charta verdeutlichte der Stellvertretende OAS-Generalsekretär McComie ranghohen Militärs aus 16
lateinamerikanischen Ländern,
„that wherever in the future you have elected governments changed other
than by elections or by an expression of the will of the people, that this
could be interpreted as a violation of the Charter of the OAS.“259
_______________
257
258
259
Juan Carlos Puig: „El principio de no intervención en el derecho internacional público
interamericano: influencia de las nuevas relaciones internacionales“, in: Anuario Jurídico
Interamericano 1979 (1980), 55-87, 87
Hugo de Zela: „The role of the Organization of American States in the promotion of
democracy in the Americas“, in: Unit for the Promotion of Democracy: elections and
electoral observations. Washington, D.C. 1993, 91-100, 91. Ebenfalls von einem
Wendepunkt spricht Francisco Villagrán de León: The OAS and democratic development.
Washington, D.C. ²1992, 9
„Amended OAS Charter stresses democracy“ (CANA, Bridgetown, 30.01.1986) Foreign
Broadcast Information Service. FBIS Daily Report – Latin America, 6 (31.01.1986) 21,
A1; A2 (PrEx 7.10: FBIS-LAM-86-021).
80
Villagrán de León zufolge spiegelte das Reformprotokoll von Cartagena
die regionale Demokratisierungswelle, die im Laufe der 80er Jahre in den
meisten lateinamerikanischen Ländern gewählte Zivilregierungen an die
brachte, „and opened the way for an important reassessment of the scope of
multilateral cooperation, which until then had been constrained by the
principles of nonintervention and selfdetermination.”260 Ihrer Tendenz nach
und im Lichte der weiteren Entwicklung ist diese Einschätzung gewiß nicht
falsch, doch ergibt im folgenden eine genauere Exegese des Reformprotokolls von Cartagena überwiegend Belege für das außerordentliche Beharrungsvermögen des Nichtinterventionsprinzips im interamerikanischen
System.
Tatsächlich nimmt die in Cartagena de Indias amendierte OAS-Charta
verstärkt Bezug auf das Demokratieprinzip – nicht aber ohne zugleich den
Grundsatz der Nichteinmischung erneut zu bekräftigen. Ein der Präambel
der Charta auf Argentiniens Initiative hin eingefügter Abschnitt verkündet
die Überzeugung, „that democracy is an indispensable condition for
stability, peace and development of the region“.261
Eine profiliertere Demokratisierungsfunktion der OAS, wie sie führende
Funktionäre der Organisation mit dem Ziel einer „task expansion“ daraus
schon ableiten wollten, widersprach aber den Vorstellungen maßgeblicher
Mitgliedsregierungen, allen voran Mexiko. Nicht anders ist folgender, in
Artikel 1 des ersten, die Zuständigkeit der OAS definierenden Kapitels der
revidierten Charta zur Neutralisierung beigegebener Absatz nicht zu verstehen, der lautet:
„The Organization of American States has no powers other than those
expressly conferred upon it by this Charter, none of whose provisions
authorizes it to intervene in matters that are within the internal jurisdiction
of the Member States.“262
Der zitierte Absatz wurde auf Betreiben Mexikos eingefügt, dessen
außenpolitischer Aktionsschwerpunkt traditionell in der Betonung des
Nichtinterventionsprinzips, der Verteidigung der nationalen Souveränität
und des Rechts auf Selbstbestimmung lag. Da der außenpolitische Fundus
Mexikos über effektive machtpolitische Mittel nicht verfügt, hat Mexiko
„völkerrechtliche Formen zur Verteidigung seiner nationalen Interessen bis
zur Perfektion entwickelt und versucht diesen Formen auf internationaler
Ebene zum Durchbruch zu verhelfen“, was dem Land „einen klar erkennba_______________
260
261
262
OAS and democratic development, 9
Protocol of Amendment
Protocol of Amendment, Art. 1, Abs. 2
81
ren Einfluß in vielen internationalen Organisationen verschafft“ hat.263 Auch
das Reformprotokoll von Cartagena de Indias bestätigt diesen Befund: Dieses Unternehmen der formaljuristischen Verfeinerung der Statuten der OAS
trägt nachweislich Mexikos legalistisch-defensive Handschrift. Das selbst
demokratisch nur unvollständig legitimierte Regime Mexikos fühlte sich in
besonderer Weise aufgerufen, als Gralshüter des Nichtinterventionsprinzips
dessen etwaiger Relativierung durch das Demokratieprinzip entgegenzuwirken.
Es ist deshalb festzuhalten, daß trotz dem erneuerten Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie der OAS mitnichten ein zur Durchsetzung und
Förderung der demokratischen Ordnung entsprechend erweitertes Handlungspotential eingeräumt werden sollte, zumal der Organisation mit dem
um einen neuen Abschnitt (b)ergänzte Artikel 2 ihrer Charta geradezu die
Quadratur des Kreises zur Aufgabe gemacht wird, nämlich „to promote and
consolidate representative democracy, with due respect for the principle of
nonintervention“.264
Um so nachdrücklicher werden die Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Mitgliedsstaaten in einem neuen Abschnitt (e) von Artikel 3
betont:
„Every State has the right to choose, without external interference, its
political, economic, and social system and to organize itself in the way best
suited to it, an has the duty to abstain from intervening in the affairs of
another State. Subject to the foregoing, the American States shall cooperate
fully among themselves, independently of the nature of their political,
economic, and social systems”.265
Diese ebenfalls von Mexiko lancierte Betonung des Nichtinterventionsprinzips fällt hier besonders kräftig aus, wenn man den zitierten Abschnitt
mit dem inhaltlich gleichartigen, sprachlich aber verhalteneren Artikel 16
der Charta vergleicht.266 Tatsächlich scheint der neu eingefügte Artikel 3 (e)
_______________
263
264
265
266
Wolf Grabendorff: „Mexikos Außenpolitik: Möglichkeiten und Grenzen einer mittleren
Macht der Dritten Welt“, in: Polarität und Interdependenz: Beiträge zu Fragen der
Internationalen Politik / Stiftung Wissenschaft und Politik (Hg.). Baden-Baden 1978, 433445, 444
Protocol of Amendment, Art. 2 (b). Die erste Hälfte des Zitats geht auf die argentinische,
die zweite (vom Verf. hervorgehobene) Hälfte hingegen auf die mexikanische Initiative
zurück. Siehe dazu Ricardo Macouzet Noriega: „México en la OEA: del distanciamento a
la cooperación“, in: Carta de Política Exterior Mexicana 6 (1986) 4, 17-28, 22
Protocol of Amendment, Art. 3 (e)
„Each State has the right to develop its cultural, political, and economic life freely and
naturally.“ Daran schließt die – im neuen Art. 3 (e) auffälligerweise weggelassene
Maßgabe an: „In this free development, the State shall respect the rights of the individual
and the principles of universal morality."
82
eine weitgehend überflüssige Verdoppelung von Artikel 16 darzustellen,
abgesehen davon, daß er zusätzlich eine Kooperationspflicht der amerikanischen Staaten untereinander – ungeachtet der jeweiligen politischen Regime
– stipuliert. Es demnach festzuhalten, daß diese Redundanz politisch gewollt
war, um entsprechend den Grundsatz der Nichteinmischung „doppelt“ zu
unterstreichen.
Der bei dieser Statutenänderung erneut aktualisierte Konflikt zwischen
Demokratie- und Nichtinterventionsprinzip kam in den Vorbehaltsklauseln
klar zum Ausdruck, welche die Vereinigten Staaten bei der Unterzeichnung
und Mexiko anläßlich der Ratifikation des Reformprotokolls von Cartagena
anbrachten.267 Die USA machten geltend, daß Artikel 3 (e) entsprechend
dem in Artikel 3 (d) niedergelegten Prinzip der repräsentativen Demokratie
zu interpretieren sei:
„Accordingly, it neither bars the promotion under the Charter and Rio
Treaty of democracy and security by the Organization an its member states,
nor requires the OAS or its member states to accept regimes that are
undemocratic or otherwise hostile to inter-American values, nor is it
intended in any way to change the fundamental character of the OAS as an
organization of American States.”
Im Gegensatz dazu wollte Mexiko festgehalten wissen, daß Artikel 3 (e)
“introduces political pluralism into the Charter as the guiding principle of
inter-American coexistence and stresses the inalienable right of every State
to choose, without external interference, the political, economic and social
organization best suited to it, establishes the obligation of the American
States to cooperate fully among themselves, independently of their political,
economic and social systems […]”
Mexiko zog sich damit letztlich au feine überwunden geglaubte Position
zurück, die verneint, daß Menschenrechte eine auch internationale Regelungsmaterie sind. Dies widersprach u.a. der Amerikanischen Menschenrechtskonvention, die in Artikel 23 ein Beteiligungsrecht an der Staatswillensbildung stipuliert.268
Der Hintergrund für Mexikos Ratifikationsvorbehalt, der zugleich den
ideellen Prinzipienkonflikt in der OAS-Charta realpolitisch spiegelte, war
folgender: Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hatte in den
Jahren 1985 und 1986 Individualbeschwerden entgegengenommen, in denen
Kandidaten der konservativen mexikanischen Oppositionspartei PAN Akte
_______________
267
268
Mexikos Ratifikation datiert auf den 11. Oktober 1988.
American Convention on Human Rights, „Pact of San José, Costa Rica“. Signed at the
Inter-American Specialized Conference on Human Rights, San José, Costa Rica,
November 7-22, 1969. Washington, D.C. 1970, OEA/Ser.A/16 (English) = Treaty series;
36
83
von Wahlbeeinflussung und –fälschung seitens der allein herrschenden
Staatspartei PRI beklagten. Die mexikanische Regierung bestritt die Zuständigkeit der Kommission als einem Organ der OAS. Sie argumentierte, daß
„[if a] State agreed to submit itself to international jurisdiction with respect
to the election of its political bodies, a State would cease to be
sovereign“.269 Dabei war die Beobachtung und Erörterung von Präsidentschaftswahlen in Mitgliedsstaaten seit den 60er Jahren nichts Neues, auch
wenn ausgeprägte Feldmissionen erst seit 1989 zum politischen Repertoire
der OAS gehören. Die Menschenrechtskommission wies in ihrer grundsätzlich gehaltenen Antwort auf Mexikos Einlassung auf die Rechtspflichten der
Staaten im interamerikanischen System hin:
„Hemispheric legal discourse has insisted, for its part, on the existence of a
direct relationship between the exercise of political rights thus defined and
the concept of representative democracy as a form of the organization of the
State, which at the same time presupposes the observance of other basic
human rights.“270
Auf diesen Zusammenhang, wonach nur die tatsächliche Ausübung der
repräsentativen Demokratie die Menschenrechte gewährleisten kann, hatte
die Kommission früher schon abgestellt.271 Schließlich leitete sie 1991 aus
den einschlägigen Vorgaben der OAS-Charta unmißverständlich ab, daß die
repräsentative Demokratie „is the form of State organization explicitly
espoused by the member states of the Organization of American States.“272
Den – von Mexiko in diesem Zusammenhang regelmäßig erhobenen – Einmischungsvorwurf wies die Kommission u.a. mit der Begründung zurück,
das Prinzip der Nichteinmischung sei konditioniert durch die Verpflichtung
der Mitgliedsstaaten der OAS, die Menschenrechte zu beachten:
„A proper interpretation of the principle of non-intervention, therefore, is
the protection of the right of States to non-intervention, provided that the
State conducts itself in such a way that the rights of the individual are
respected.“273
Die hier wiedergegebenen Stellungnahmen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission lassen sich jedoch angemessen nur würdigen, wenn
man berücksichtigt, daß die Kommission ein von den Interessen der Mit_______________
269
270
271
272
273
Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights, 1989-90, 103, §26
107, §41
Sie sprach von „The organic relation that exists between representative democracy and
human rights“: Annual report of the Inter-American Commission on Human Rights, 198586, OEA/Ser.L/V/II.68, Doc. 8 rev. 1, 26.09.1986, 91
Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights, 1990-91,
OEA/Ser.L/V/II.74, Doc. 12 rev. 1, 22.02.1991, 514 f.
Ebd., 516
84
gliedsstaaten unabhängiges Expertengremium und als einziges „autonomes
Organ“ der OAS „self-activating“ ist. Dies erlaubte es ihr, der Mutterorganisation an der Spitze des „demokratischen Fortschritts“ vorauszueilen. Wie
zu zeigen war, schlugen sich im Gegensatz dazu bei der Revision der OASCharta im Reformprotokoll von Cartagena de Indias die hergebrachten, an
prominenter Stelle von Mexiko formulierten Vorbehalte gegenüber Einmischungen in die „inneren“ Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten durch.
Auch wenn das Reformprotokoll von Cartagena eine wichtige Etappe bei
der politischen Entmottung der OAS darstellte, so war das anläßlich der
Statutenänderung 1985 erneuerte Bekenntnis der OAS zum Demokratieprinzip noch nicht der „Wendepunkt“, von dem aus die repräsentative Demokratie zu einem verbindlichen Leitprinzip der interamerikanischen Staatenbeziehungen hätte avancieren können. Vielmehr wurde das im Reformprotokoll deklaratorisch bekräftigte Demokratieprinzip zugunsten des immer
noch sakrosankten Nichteinmischungsgrundsatzes mit einer Reihe von
Kautelen versehen und damit letztlich neutralisiert.
Wie eng hierbei noch – im Vergleich zu den Beschlüssen der OAS ab
dem Juni 1991 – das Koordinatensystem gehalten wurde, in dem sich die
Demokratisierungsfunktion der OAS zu halten hatte, läßt sich im folgenden
sehr gut an den Handlungsrestriktionen der Panama-Mission der OAS im
Jahr 1989 verdeutlichen. Sie ist als Fallbeschreibung deshalb um so interessanter, als ihr Scheitern einen kollektiven Lerneffekt anschob und einen
Einstellungswandel der OAS-Mitgliedsstaaten gegenüber diktatorischen
Regimen in den eigenen Reihen voranbrachte.
3.6 Die gescheiterte Panama-Mission (1989): Kollektiver Lerneffekt
für den Umgang mit Diktatoren
Bekanntlich versuchte die Regierung der Vereinigten Staaten seit Beginn
des Jahres 1988 den panamaischen Oberbefehlshaber Manuel Antonio
Noriega zu isolieren und wenn möglich zu vertreiben, nachdem er den Präsidenten Eric Delvalle abgesetzt hatte, Panama aus der Kaserne heraus regierte und vor zwei Gerichten in Florida wegen der Beteiligung an
internationalen Drogengeschäften angeklagt war. Die von der ReaganAdministration im April 1988 angeordneten Wirtschaftssanktionen gegen
Panama verfingen ebensowenig wie Verhandlungen von Außenminister
Schultz über einen friedlichen „Abgang“ des einstigen Schützlings verschiedener US-Geheimdienste und wechselnder US-Regierungen, der nicht mehr
in das Bild einer Administration paßte, die der Droge den „Krieg“ erklärt
hatte.
Die lateinamerikanischen Staaten verhielten sich gegenüber dem De
facto-Machthaber Panamas ambivalent. Das 26 Nationen Lateinamerikas
85
und der Karibik umfassende Lateinamerikanische Wirtschaftssystem SELA
verurteilte fast einhellig die US-Sanktionen gegen Panama und erwog sogar
ein finanzielles Nothilfeprogramm für die von Noriega widerrechtlich eingesetzte Regierung Solís Palma. Dies war ein klares Signal an Washington,
daß die Regierungen der Region eine Einmischung der USA ablehnten.
Auch in der OAS überwog das Ressentiment gegen Eingriffe in innere Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates, zumal Panama „am isthmischen
Schnittpunkt der interamerikanischen Beziehungen“ und auf Grund seiner
140-jährigen Symbiose mit den USA seit jeher ein Zielpunkt von US-Interventionen gewesen war.274
Der Ständige Rat der OAS ließ gegen den vehementen Protest der USA
und Einwände von Costa Rica, Guatemala, Argentinien und Uruguay den
von der Marionetten-Regierung Solís Palma designierten Vertreter zu, während der vom – nach Meinung der USA der jure einzig legitimen – Präsidenten Delvalle ernannte bisherige OAS-Botschafter Panamas seinen Platz
räumen mußte.275 Eindeutig gegen die Diktatur Noriegas stellte sich allein
die demokratische Staatengemeinschaft der „Gruppe der Acht“, die im Februar 1988 Panama von der Aktiven Mitgliedschaft in der Achtergruppe
suspendierte.
Die Krise spitzte sich zu, als die Präsidentschaftswahlen vom 7. Mai
1989 auf Anweisung General Noreigas annulliert wurden, weil trotz offensichtlicher Manipulationen unter den Augen internationaler Beobachter ein
Wahlerfolg der Opposition nicht zu leugnen war. Mit gewalttätigen Übergriffen von „Bataillone der nationalen Würde“ genannte Schlägertrupps
gegen die offenkundig siegreichen Kandidaten des oppositionellen Parteienbündnisses ließ Noriega vollends die Maske fallen. Das bot der neuen BushAdministration bei ihrer ersten außenpolitischen Herausforderung eine Gelegenheit, von der bisherigen einseitigen und fruchtlosen Handhabung des
Konflikts mit Panama abzugehen, zu der sie dann mit der Invasion Panamas
und der Gefangennahme Noriegas zum Jahreswechsel 1989/90 zurückkehren sollte.
Von lateinamerikanischer Seite wurde die US-Regierung gedrängt, eine
Lösung des Konflikts mit Mitteln der regionalen Diplomatie zu suchen. Der
seinerzeit als informeller Sprecher Lateinamerikas geltende venezolanische
Staatspräsident Carlos Andrés Pérez rief zusammen mit anderen Staatschefs
Lateinamerikas im Mai 1989 zu einer scharfen internationalen Verurteilung
_______________
274
275
Friedrich von Krosigk: „Panama und die Grenzen US-amerikanischer Hegemonie:
Überlegungen zum Konzept der Gegenmacht“, in: Zeitschrift für Lateinamerika (1992) 43,
81-93, 81
Don Shannon: „OAS council approves Noriega ambassador despite U.S. protest“, Los
Angeles Times, 28.02.1988, I-6; I-8
86
des Noriega-Regimes auf und versuchte gleichzeitig die USA strikt auf ein
multilaterales Vorgehen in der OAS zu verpflichten: „The United States is a
part of the OAS, and it will intervene there“. Pérez bekräftigte: „What we
are interested in, is that the United States acts within the OAS.“276 Für die
USA war die multilaterale Option durchaus interessant, weil die Politischen
Kosten einer amerikanischen Militäraktion wegen des „Gringo-Faktors“ in
ganz Lateinamerika sehr hoch erschienen und die neue Bush-Administration
generell zu außenpolitischer Zurückhaltung und niedrigem Risiko tendierte.
Das Szenario vor dem von Venezuela beantragten Konsultativtreffen der
OAS-Außenminister am 17. Mai 1989277 glich dem Fall Nicaragua vor damals fast genau zehn Jahren, wo es auch Pérez gewesen war, der sich in
vorderster Linie für die kollektive Brandmarkung des Diktators Anastasio
Somoza eingesetzt hatte.278 Die USA hatten somit die Hoffnung, auf
diplomatischer Ebene abermals eine durchgehende Front zur effektvollen
Isolierung des Diktator aufbauen zu können. Wie aber gezeigt wurde, war
der OAS im Juni 1979 der seltene Akt von Geschlossenheit vergleichsweise
leicht gefallen, weil die militärische Niederlage Somozas in dem Volkskrieg
unter der Führung des Frente Sandino, den damals erst wenige diktatorischer
Neigungen verdächtigten, unmittelbar bevorstand. In Panama fehlte jedoch
der Druck der Waffen, ein von der Opposition initiierter Generalstreik
wurde nur halbherzig befolgt. Wegen der historisch bedingten Abhängigkeit
Panamas von den USA war zu erwarten, daß in der OAS das Nichteinmischungsprinzip anstelle des provozierenden Wahlbetruges und der Menschenrechtsverletzungen zum dominierenden Thema würde, weshalb Pérez
die Lateinamerikanischen Regierungen mahnte: „Sometimes nonintervention
becomes the most subtle form of intervention."279
Wie sehr im Panama-Konflikt die traditionellen Vorbehalte gegen eine
Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates im Vordergrund standen, ließ die erste Resolution der OAS-Außenminister erkennen. Der ursprüngliche Resolutionsentwurf, der vor allem auf Peru zurückging, dessen Präsident Alan García den Gewaltstreich Noriegas immerhin
als erster öffentlich kritisiert hatte, nannte den Usurpator überraschender_______________
276
277
278
279
Julia Preston: „Latin American nations condemn Panama and warn U.S. on intrusion“,
International Herald Tribune, 13./14.05.1989, 5
Permanent Council: „CP/RES. 522 (776/89): Convocation of the Twenty-first Meeting of
Consultation of Ministers“, OEA/Ser.G., CP/RES. 522 (776/89), 12.05.1989
Constantine C. Menges: „There’s solid precedent in seeking OAS consensus on isolating
Noriega“, Los Angeles Times, 17.05.1989, II-7; L. Ronald Scheman: „Nations of the
hemisphere find commitment to democracy tested“, ebd.
Julia Preston: „Venezuelan leader to press to denounce Noriega“, Washington Post,
13.05.1989, A10
87
weise nicht einmal beim Namen. Um so mehr betonte der Text stattdessen
das Prinzip der Nichtintervention, was als Kritik an dem freilich dosierten
Machtsignal von Präsident Bush zu verstehen war, der die in der Kanalzone
stationierten US-Truppen um eine Brigade verstärkt hatte. Der Resolutionsentwurf forderte die USA überdies auf, die Carter-Torrijos-Verträge aus
dem Jahr 1977 zu respektieren. Die von Außenminister Baker und dem
designierten Assistenzstaatssektretär für interamerikanische Beziehungen,
Bernard Aronson, geführte US-Delegation vermöchte jedoch nach stundenlanger Diskussion hinter verschlossenen Türen auch überzeugte Anwälte des
Nichtinterventionsprinzips wie Mexiko und Brasilien zu einer deutlicheren
Sprache gegenüber Noriega bewegen.
Die schließlich gefaßte Kompromißresolution schob Noriega die Verantwortung für die schwerwiegenden Vorfälle im Zusammenhang mit den
Wahlen sowie die „empörenden Mißbräuche gegen die Oppositionskandidaten und Bürger“ zu. Sie verlangte eine „demokratische Übertragung der
Macht in Panama“, forderte General Noriega aber nicht ausdrücklich zum
Rücktritt auf. Eine Dreierdelegation der OAS, zusammengesetzt aus den
Außenministern von Ecuador, Guatemala und Trinidad und Tobago, sollte
sich zusammen mit dem OAS-Generalsekretär nach Panama begeben, um
„dringend Einigungsformeln für eine nationale Verständigung zu fördern“
und die „schnellstmögliche Übergabe der Regierungsgewalt nach demokratischen Regeln unter voller Berücksichtigung des souveränen Willens des
panamaischen Volkes“ zu sichern.280 Die Entscheidung für die Entsendung
der Vermittlerdelegation wurde bei zwei Gegenstimmen (Panama und Nicaragura) sowie sieben Enthaltungen gebilligt.281
Das US-Staatsdepartement zeigte sich befriedigt, daß sich die OAS-Mitglieder mehrheitlich für eine deutliche Verurteilung des Noriega-Regimes
und für gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung einer demokratischen
Machtübertragung in Panama aussprechen. Die Tatsache, daß seit 1982
erstmals wieder ein Konsultativtreffen der Außenminister, zudem noch auf
Initiative Venezuelas zustande kann, war allein schon als politischer Erfolg
zu werden.282 Die US-Regierung mußte in Rechnung stellen, daß viele der
lateinamerikanischen Regierungen wegen ihrer Kooperation mit den USA
zur regionalen Lösung der Panama-Krise durch die OAS einen Sturm der
_______________
280
281
282
Ministers of Foreign Affairs, XXI Meeting of Consultation: „Resolution I: The serious
crisis in Panama in the international context“, OEA/Ser.F/II.21, Doc. 8/89 rev. 2,
17.05.1989
Antigua, Bahamas, Dominica, Grenada, Peru, Surinam und Uruguay
Im Unterschied zu 1982 trat das Treffen der Außenminister jedoch nicht als
Konsultativorgan unter den Bestimmungen des Río-Vertrages zusammen, sondern als
außerordentliches Treffen nach Art. 60 der OAS-Charta.
88
Entrüstung im Inneren heraufbeschworen. Am heftigsten wurde in Mexiko
die öffentliche Kontroverse zu den Vorgängen in Panama geführt. Das mexikanische Außenministerium hatte in einem Kommunique dem General, der
über eine „unehrenhafte Reputation“ verfüge, vorgeworfen, die Situation in
seinem Land zu verschärfen, indem er sein Eigeninteresse über jenes des
panamaischen Volkes stelle.283 Die mexikanische Regierung ging dann
sogar noch einem Schritt weiter, indem sie in der OAS wider Erwarten für
die Verurteilung Noriegas stimmte. Die links-nationalistische Opposition,
führende Intellektuelle und Kommentatoren lasteten Präsident Salinas de
Gortari und Außenminister Solana ein gefährliches Abrücken vom
Nichteinmischunsprinzip vor, durch das Mexiko nicht zu gewinnen, aber
viel zu verlieren habe.284 Die Präsidenten von Venezuela und Peru, Pérez
und García, sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, ihnen sei vor allem am
Wohlwollen der USA bei den Verhandlungen über die drückende Auslandsschuld ihrer Länder gelegen. Die panamaische Regierungszeitung „Crítica“
verdächtigte die von einer Finanzkrise in ihrer Existenz bedrohte OAS, sie
habe sich ihre Resolution abkaufen lassen gegen das Versprechen der Vereinigten Staaten, die 54 Mio. Dollar Beiträge zu zahlen, welche die USA der
Organisation schuldeten. Tatsächlich wurde im OAS-Apparat allgemein ein
solcher Schritt der US-Regierung erwartet. Dies hatte jedoch einen allenfalls
geringen oder keinen Einfluß auf die Haltung der Mitgliedsregierungen. Daß
ihnen bei der Panama-Krise innenpolitisch der Wind ins Gesicht blies, bewirkte im Gegenteil, daß sie bei ihrem konzertierten Vorgehen in der OAS
über die erste rhetorische Verurteilung Noriegas nicht hinausgingen.285
Insbesondere waren die meisten OAS-Mitgliedsstaaten nicht bereit, den
postulierten „transfer of power“ in Panama in irgendeiner Form zu
erzwingen.
Den Bemühungen der OAS um einen „nationalen Dialog“ in Panama
fehlte damit der Nachdruck. Zwischen dem 23. Mai und dem 21. August
1989 unternahm die OAS-Delegation insgesamt vier Erkundungsreisen nach
Panama, wobei ihr zunächst auf 15 Tage befristetes Mandat ein um andere
Mal verlängert werden mußte. Der von der Resolution der Außenminister
festgelegte Vermittlungsauftrag der Unterhändler war im Sinne von „Guten
Diensten“ zwar weit gefaßt, jedoch sind im Grund drei einschränkende
Maßgaben darin enthalten: Erstens räumte der Text der Resolution der Ma_______________
283
284
285
„Noninterventionist Mexico lambastes Gen. Noriega“, Washington Post, 16.05.1989, A16
Larry Rohter: „O.A.S. draws Latin fire for stand on Panama“, New York Times,
04.06.1989
Jorge G. Castañeda: „Noriega-bashing has had ist day: key OAS members show resistance
to U.S. goals“, Los Angeles Times, 11.06.1989, V-5. Der bekannte mexikanische
Politikwissenschaftler war einer der führenden Kritiker der Haltung seiner Regierung.
89
rionetten-Regierung Noriegas und der Opposition, die einen überwältigenden Wahlsieg beanspruchte, gleiche Positionen ein. Zwar hatten internationale Beobachter einen Sieg des Oppositionsbündnisses ADO-Civilista von
etwa 3:1 errechnet, doch sah sich die OAS mangels eines offiziellen Wahlresultates außerstande, die Fakten anzuerkennen. Dies verschaffte Noriega
einen Zeitgewinn bis Ende August 1989. Am 1. September 1989 endete laut
Verfassung das Mandat der amtierenden Regierung Solís Palma, deren Legitimität wegen der Ausbootung Präsident Delvalles durch Noriega im Februar 1988 bereits höchst fragwürdig war. Im Gegensatz zum Militärmachthaber, dem Zeit blieb, Schlupflöcher und einen wirksame Repressionsstrategie gegen seine wehrlosen Gegner in Panama zu finden, geriet die Opposition in Zugzwang, da sie das ohnehin schwache Feuer des Volksprotestes
immer wieder von neuem schüren mußte. Zweitens begrenzte es den Handlungsspielraum der Vermittlungsmission, daß die OAS die Verständigung
mit dem Usurpator suchte. Der Leiter der OAS-Delegation, Córdovez, erklärte deshalb, die OAS beteilige sich nicht an der Diskussion über den –
vor allem von den USA geforderten – Rücktritt des Generals. Auch wenn
die OAS-Unterhändler diskret die Möglichkeit eines ehrenvollen Abgangs
für Noriega, dem sich Venezuela und Spanien als Exilländer angeboten
hatten, sondierten, leistete diese grundsätzliche Position der OAS der Unnachgiebigkeit des Militärmachthabers Vorschub. Drittens ging es bei der
OAS-Mission offenkundig weniger darum, demokratischen Verhältnissen in
Panama zum Durchbruch zu verhelfen, als vielmehr die als „fremden Händel“ betrachtete panamaisch-amerikanische Dauerfehde seit 1987 zu entschärfen, um eine mögliche Intervention der Vereinigten Staaten abzuwenden. Córdovez vertrat – in wörtlicher Übereinstimmung mit der OAS-Resolution – die Auffassung, daß die Krise „interne und externe“ Gründe habe
und bot daher die Vermittlerdienste der OAS an, um direkte Verhandlungen
zwischen Panamas Regierung und den Vereinigten Staaten zustande zu
bringen.
Die Vermittlergruppe, die in Panama keinen Schritt weitergekommen
war, legte den am 20. Juli 1989 abermals zusammengetretenen Außenministern der 31 Mitgliedsstaaten ihren Bericht vor, woraufhin das Gremium
die Errichtung einer Übergangsregierung bis zum 1. September forderte, die
möglichst bald freie Wahlen abhalten sollte.286 Die Außenminister hatten
sich in der über 18stündigen Marathonsitzung nicht darauf einigen können,
Noriega zum Rücktritt aufzufordern. Unklar blieb auch, was laut dem Text
der Erklärung vom 20. Juli mit der „Machtübergabe am 1. September“ ge_______________
286
Ministers of Foreign Affairs, XXI Meeting of Consultation: „The serious crisis in Panama
in the international context: declaration by the president of the meeting of consultation“,
OEA/Ser.F/II.21, Doc. 45/89, 20.07.1989
90
meint war. Für die USA bekräftigte der OAS-Delegierte und stellvertretende
Außenminister Lawrence Eagleburger, die Formulierung impliziere, daß
Noriega nach dem Antritt der Übergangsregierung gehen müsse. Der panamaische Außenminister Jorge Ritter hob dagegen hervor, daß Noriega in der
Erklärung nicht namentlich erwähnt werde und sein Verbleib an der Spitze
der Streitkräfte ausschließlich eine innere Angelegenheit Panamas sei. Lediglich Präsident Solís Palma solle abgelöst werden. Der venezolanische
Außenminister verteidigte den Text, dem zur Überraschung der Gegner
Noriegas auch die Vereinigten Staaten zugestimmt hatte, mit dem Argument, die Lateinamerikaner suchten einen Ausweg, bei dem der General das
Gesicht wahren könne. Die panamaische Opposition verzeichnete mit großer
Bitterkeit, daß sich die OAS in der Erklärung vom 20. Juli mit dem eklatanten Wahlbetrug abfand.287
Am 23. August brach die OAS ihren erfolglosen Vermittlungsversuch in
Panama schließlich ab. In einer einstimmig gutgeheißenen Erklärung wurden die „Panamaer“ – und nicht etwa Noriega – aufgefordert, alle
Anstrengungen zu unternehmen, um bis zum 1. September, dem Datum des
fälligen Präsidentenwechsels, die Wiederherstellung der Demokratie zu
gewährleisten.288 Die USA, die erkennen mußten, daß die notorisch unentschlossene OAS den Stab über Panamas Machthaber nicht zu brechen bereit
war, wie sie es zehn Jahre zuvor im Falle Somozas getan hatte, reagierte
gereizt auf das Scheitern der regionalen Diplomatie. Daß die USA die nach
12stündiger Beratung mühsam erarbeitete Erklärung vom 23. August billigte, zeigte nur, daß ihnen an einer weiteren Befassung der Organisation mit
der Krise in Panama nicht mehr gelegen war. Die OAS-Vermittler machten
im Gegenzug das Säbelrasseln der USA, die, wie es hieß, „unpassenden“
Manöver der US-Truppen in der Kanalzone für die Ergebnislosigkeit ihrer
viermonatigen Verhandlungen mitverantwortlich.289
Am 31. August 1989 trat Panama in eine Phase der offenen Diktatur ein,
indem Noriega eine unbefristete „provisorische“ Regierungsjunta installierte
und Neuwahlen ad calendas graecas verschob, da es als unabdingbare Voraussetzung für ihre Durchführung das „Ende der amerikanischen Aggres_______________
287
288
289
„Panamas Opposition enttäuscht über die OAS“, Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe),
25.07.1989, Nr. 169, 2
Ministers of Foreiggn Affairs, XXI Meeting of Consultation: „Declaration by the President
of the Twenty-first Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs“,
OEA/Ser.F/II.21, Doc. 59/89, 23.08.1989
Ministers of Foreign Affairs, XXI Meeting of Consultation: „Report of the mission
appointed by the Twenty-first Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs“,
OEA/Ser.F/II.21, Doc. 56/89, 23.08.1989. Die Delegation äußerte zugleich Besorgnis über
„Verletzungen“ der Menschenrechte und politischen Rechte“, in Panama, wobei
Militärchef Noriega in diesem Zusammenhang ungenannt blieb.
91
sion“ festlegte. Seine Diktatur ließ trotz diplomatischer Isolierung und vertiefter Wirtschaftskrise keine sichtbaren Schwächezeichen erkennen.
Die OAS mußte eingestehen, das Ziel eines demokratischen Regierungswechsels in Panama verfehlt zu haben.290 Auch wenn sie letztlich an der
intransigenten Haltung Noriegas scheiterte, waren die immanenten Handlungsrestriktionen der konzertierten OAS-Diplomatie nicht zu übersehen.
Verschiedene Länder fürchteten, die OAS-Mission würde zu einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates geraten – ein
besonders von den autoritären Regimen auf dem Isthmus gefürchteter Präzedenzfall.291 Obwohl einige der demokratischen Regierungen in Südamerika Noriega keine Sympathie entgegenbrachten, fehlte damit der Organisation der politische Wille zu verpflichtenden Maßnahmen.
Das Fiasko der OAS-Mission stieß indessen ein Umdenken an. Der costaricanische Außenminister Rodrigo Madrigal Nieto zielte mit seiner harten
Kritik an der Unfähigkeit der OAS, eine klare Haltung einzunehmen, auf das
zentrale Dilemma der Organisation. Er erklärte, die OAS müsse ihre Situation grundlegend überprüfen und wählen, ob sie „mit ihren Prinzipien leben
oder mit ihren Vorurteilen sterben“ wolle. Das wichtigste „Vorurteil“ der
OAS bestand Madrigal zufolge darin, daß sie auf Gedeih und Verderb das
Prinzip der Nichtintervention über andere Grundsätze wie die Menschenrechte und die Achtung der freien Stimmabgabe setze. Die OAS wäre zu
einer kollektiven Verteidigung der Demokratie in Panama und damit auf
dem ganzen Kontinent verpflichtet gewesen. Mit dem Hinweis auf die vorgesehene Rolle der OAS bei den Wahlen in Nicaragua im Februar 1990
fragte der Außenminister Costa Ricas, mit welcher moralischen Autorität die
Organisation angesichts ihrer Impotenz in Panama in anderen Ländern eine
mehr als bloß dekorative Rolle spielen könne.292
Ein erstes Indiz für eine zukünftig entschiedenere Abgrenzung der OAS
von illegitimen De facto-Regimen in ihren Reihen fand sich im November
1989 in einem Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission
zur Situation in Panama, der feststellte: „The annulment of the elections of
_______________
290
291
292
John Felton: „OAS ministers admit failure in effort to oust Noriega“, in: Congressional
Quarterly Weekly Report 47 (26.08.1989) 34, 3223; „On Noriega‚ we have failed
miserably“, Newsweek 114 (04.09.1989), 10, 33
Liz Sly: OAS bid failed because Noriega didn’t want to give up power“, Chicago Tribune,
24.08.1989, I-16
„Die Impotenz der OAS gegenüber Panama“, Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe),
27./28.08.1989, Nr. 197, 2
92
May 7, 1989 […] [has] left the current provisional Government devoid of
constitutional legitimacy.“293
Nach Wochen der Spannungen und militärischer Eskalation, in deren
Verlauf sich Noriega am 15. Dezember zu einer Art Über-Staatschef
(„Oberster Führer der nationalen Befreiung“) ausriefen ließ und im Cäsarenwahn den „Kriegszustand“ seines Landes mit den Vereinigten Staaten
erklärte, ordnete Präsident Bush am 20. Dezember 1989 die Intervention in
Panama an. Diese Invasion im Rahmen der Operation „Gerechte Sache“ war
die bedeutendste amerikanische Militäraktoin zwischen Vietnam und dem
Golfkrieg. Die Zivilbevölkerung in Panama-Stadt entrichtete dabei einen
hohen Blutzoll. Bush präsentierte sich mit der Intervention der heimischen
Öffentlichkeit und dem Kongreß, besonders nach der Kritik am Beiseitestehen bei der offenbar konfusen Offizierserhebung gegen Noriega am 3. Oktober, als kombattanter Politiker. Wesentlich für unsren Zusammenhang ist
die zugleich exkulpierende und legitimierende Funktion der OAS für die
Rechtfertigung der Intervention. US-Außenminister Baker versuchte, die
Intervention mit der ausgebliebenen Solidarität der OAS zu begründen, die
diplomatisch und politisch – keine Sanktionen, kein direkter Druck auf das
Regime – versagt und Washington am Ende keine andere Wahl gelassen
habe:
„One of the biggest disappointments that I’ve seen […] [since] I’ve been in
this job was the inability of the [OAS] to move effectively on this problem
of Noriega and Panama. The Unites States worked very hard, diplomatically
and in both a bilateral and multilateral way – multilaterally through the OAS
– to try and take care of this problem. And I think if the OAS had been able
to generate a greater support for some of the things that the United States
suggested, political sanctions, economic Sanctions, […] may be we
wouldn’t find ourselves in this situation today.“294
Diese Kritik an der OAS war nicht frei von Zynismus. Es war nämlich die
Reagan-Administration gewesen, die bei ihrer gegen Nicaragua gerichteten
Politik und bei der Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen die Regionalorganisation nicht nur völlig ignoriert hatte, sondern sie auch durch den gewaltigen Beitragsrückstand an den Rand des Kollapses gebracht hatte.295
Die Bush-Administration, die Reagans unilaterale Sanktionen gegen Panama
fortsetzte, es aber schließlich doch der OAS übertrug, die „Machtübergabe“
_______________
293
294
295
Inter-American Commission on Human Rights: „Report on the situation of human rights in
Panama“, OEA/Ser. L/V/II.76, Doc. 16 rev. 2, 09.11.1989, 61; Paul Lewis: „O.A.S. team
calls Noriega’s rule illegitimate“, New York Times, 14.11.1989, A13
Zitiert nach Larman C. Wilson: „The OAS and promoting democracy and resolving
disputes: reactivation in the 1990s?“, in: Revista Interamericana de Bibliografía 39 (1989)
4, 477-499, 495
John M. Goshko: „OAS: a troubled forum on Panama“, Washington Post, 16.05.1989, A15
93
in Panama zu erwirken, durfte daher kaum erwarten, daß sich die solchermaßen geschwächte OAS zu einem entschiedeneren Vorgehen gegen
Noriegas Diktatur aufraffte.
Auf die indirekt legitimierende Rolle der OAS für die US-Intervention
weist Pastor hin:
„In the end, this multilateral path did not achieve Noriega´s departure, but
did provide the Bush administration with a patina of international legitimacy
that permitted it to take military action without irrevocably fracturing U.S.
relations with its democratic friends in the region.“296
Entsprechend signalisierte die Regierung Bush, um der Mißstimmung
über die unilaterale Intervention entgegenzuwirken, daß sie die multilaterale
Dimension der interamerikanischen Beziehungen nicht vernachlässigen
wollte. Dies belegen u.a. die durch das Gipfeltreffen zur Drogenbekämpfung
von Cartagena im Februar 1990 gemeinsam erarbeiteten Konzepte.
Der Ständige Rat der OAS rang in nächtlicher Sitzung 17 Stunden lang
um eine Reaktion auf die US-Intervention. In dem schließlich verabschiedeten Resolutionstext wurde das „tiefe Bedauern“ über das „militärische
Eingreifen“ geäußert. Während es im spanischen Original noch „deplorar
profundamente“ lautet, fiel diese Formulierung in der offiziellen englischen
Übersetzung mit „deeply regret“ – statt „deeply deplore“ – milder aus.297
Der Unterschied ist auf die Bemühungen der anglokaribischen Delegierten
zurückzuführen, die Kritik an den USA zu entschärfen.298 Die Entschließung, die mit 20 Stimmen bei sechs Enthaltungen299 gegen die Stimme der
USA zustande kam, wurden die „Invasionstruppen“ zum Rückzug aufgefordert, ohne daß hierfür eine Frist gesetzt wurde. Obwohl die Vereinigten
Staaten im Resolutionstext nicht erwähnt wurden, war dies seit dem Bestehen der OAS immerhin die erste formelle Kritik an der Politik der USA.
Dem panamaischen OAS-Delegierten, den die von den USA ins Amt gebrachte Regierung Guillermo Endara designiert hatte, wurde anfänglich das
_______________
296
297
298
299
Robert A. Pastor: „The Bush administration and Latin America: the pragmatic style and the
regionalist option“, in: Kenneth A. Oye; Robert J. Lieber; Donald Rothchild (Hg.): Eagle in
a new world: American grand strategy in the post-Cold War era, New York 1992, 361-387,
381 f.
Permanent Council: „CP/RES. 534 (800/89): Serious events in the Republic of Panama“,
OEA/Ser.G, CP/RES. 534 (800/89) corr. 1, 22.12.1989
Marcia Kunstel: „Midnight battle rages to soften Latin effort to critizise U.S. for Panama
invasion“, Atlanta Constitution, 22.12.1989, A11; John M. Goshko; Michael Isikoff: „OAS
votes to censure U.S. for intervention“, Washington Post, 23.12.1989, A7; A10
Der Stimme enthielten sich die enger mit den USA verbundenen zentralamerikanischen
Länder Costa Rica, El Salvador, Honduras, Guatemala, sowie der kleine Karibikstaat
Antigua und Barbuda.
94
Akkreditiv versagt – wie auch die Vereinten Nationen den von Endara ernannten UN-Vertreter zunächst nicht zu ihren Beratungen zuließen. Die
Verurteilung der Intervention durch die lateinamerikanischen Staatspräsidenten war deutlich abgestuft: Perus García sprach von einer “Beleidigung
ganz Lateinamerikas“, der Brasilianer Sarney von einem „Rückschritt in den
interamerikanischen Beziehungen“, und der venezolanische Präsident Pérez
äußerte, man habe durch eigene Entschlußlosigkeit die Intervention indirekt
gefördert.300
Zweifellos erlitt die OAS mit dem Ausgang der Panama-Krise unmittelbar einen weiteren schwerwiegenden Prestigeverlust, obwohl es bereits eine
deutliche Aufwertung der Regionalorganisation darstellte, daß sie als multilaterales Instrument für die Lösung der Krise in der Kanalrepublik überhaupt bemüht worden war. Unter dem Strich ist aber entscheidend, daß von
der gescheiterten Panama-Mission der OAS ein Umdenken hinsichtlich des
künftigen Umgangs mit Diktatoren ausging.
Wie zuvor schon der Außenminister Costa Ricas, identifizierte auch der
venezolanische Präsident Pérez die verabsolutierte Doktrin der Nichteinmischung als den zentralen Grund dafür, daß die OAS ideologisch-strukturell
unfähig war, Krisen dieser Art zu lösen:
„[…] Latin American mechanisms have been weakened by differences over
the principle of non-intervention. Its mechanisms have long clung to archaic
19th-centrury concepts that predate the UN, OAS conventions and
declarations […], thereby anchoring our countries´ decisions to inaction and
inefficiency and thereby proving them incapable of paving the way for a
solution to the crisis.“301
Weil die Nichtintervention zur passiven Intervention gegen die Demokratie geworden sei, so sagte Pérez in eine Rede vor der OAS, habe die
Panama-Krise mit der US-Intervention als dem unannehmbarsten aller Ergebnisse geendet. Im Wortsinn hieß es:302
„La no intervención, por omisón, era una intervención pasiva conta la
democracia y a favor del dictador. […] Sea como fuere, la crisis terminó con
_______________
300
301
302
„Verurteilungen der Intervention in Panama mit vorbehalten“, Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 22.12.1989, Nr. 297, 4
„President Pérez gives year-end speech“ (Caracas Venezolana de Televisión Canal 8,
30.12.1989) Foreign Broadcast Information Service. FBIS Daily Report – Latin America,
02.01.1990, 67 (PrEx 7.10: FBIS-LAT-90-001)
Consejo Permanente: „Acta de la sesión protocolar celebrada el 27 de abril de 1990. Con
motivo de la visita del Excelentísimo señor Carlos Andrés Pérez, Presidente de la
República de Venezuela“, OEA/Ser. G., CP/ACTA 814/90, 27.04.1990, 7-15, 9. Siehe
auch Carlos Andrés Pérez: „La necesidad de revitalizar la O.E.A.“, in: Política
Internacional (1990) 18, 1-18, 2
95
el más inaceptable delos resultados, como fue la acción armadaunilateral de
los Estados Unidos“.
Die Erfolglosigkeit der OAS-Vermittlungsbemühungen hatte zusammengefaßt seine Ursache darin, daß die OAS, eben weil sie dem Prinzip der
Nichteinmischung Priorität einräumte, nach der Annulierung der verlorenen
Wahl durch General Noriega einen Ausgleich mit dem Usurpator suchte.
Die erfolglos gebliebene OAS-Mission trug dazu bei, daß sich die USA zur
Militärintervention am Kanal entschlossen. Durch das Panama-Debakel kam
allerdings ein kollektiver Lernprozeß303 innerhalb der OAS in Gang, der
eine Relativierung des rigiden Nichteinmischungsgrundsatzes erlaubte und
dem Demokratieprinzip in den 90er Jahren zu größerem Recht verhalf.
4.
Das Defense-of-Democracy-Regime der OAS in den neunziger Jahren
4.1 Regimeentwicklung und –elemente
Seit Mitte der 80er Jahre, beginnend mit dem Reformprotokoll von
Cartagena, begann sich die OAS allmählich als ein Verband demokratischer
Staaten zu verstehen. Die Ablösung der in den 70er Jahren in Lateinamerika
weit verbreiteten Militärregime durch gewählte Zivilregierungen im Lauf
der 80er Jahre wirkte sich auf das kollektive Selbstverständnis der OAS aus.
1986 stellte die Generalversammlung der Organisation in Guatemala City
fest:
„For the first time in many decades, many member States held free elections,
with the result that democratic, representative and pluralist systems of
government have been established, and it is the aim of the Organization of
American States to promote and consolidate representative democracy while
respecting the principle of nonintervention.“304
Die Generalversammlung drängte
„the governments of the Americas whose societies have problems that call
for reconciliation and national unity to undertake or continue a genuine
dialogue […] and contribute decisevely [sic] to improving the human rights
situation and to strengthening the representative and pluralist democratic
system.“305
_______________
303
304
305
Zum Konzept des Lernens: George Modelski: „Is world politics evolutionary learning?“, in:
International Organization 44 (1990) 1, 1-24
General Assembly, XVI Regular Session: „AG/RES. 837 (XVI-0/86): Human rights and
democracy“, OEA/Ser.P/XVI.0.2, 17.12.1986, Vol. I, 69
Ebd.
96
Die regionalen Redemokratisierungsprozesse vertieften die „moralische
Interdependenz“ und erhoben die Demokratie zu einem wertvollen Gut, daß
es zu schützen gilt. Sie führten zu einer Nachfrage nach einschlägigen
Dienstleistungen der OAS, so vor allem im Bereich der Wahlbeobachtung.
Dies führte 1990 zur Einrichtung eines Büros zur „Förderung der Demokratie“ („Unit for the Promotion of Democracy“) im Generalsekretariat der
OAS. Die 20. Generalversammlung in Asunción gab der „Unit for
Democratic Development“, (wie sie anfänglich hieß) auf, ein Programm
auszuarbeiten,
„that can respond promptly and effectively to member states which, in the
full exercise of their sovereignty, request advice or assistance to preserve or
strengthen their political institutions and democratic procedures.“306
Ein Sonderorgan mit deinem derartigen Mandat im heiklen Sachbereich
„Herrschaft“ wäre fünf oder sechs Jahre zuvor in der OAS völlig undenkbar
gewesen! Es gibt gegenwärtig international auch nur wenig vergleichbare
Einrichtungen: Zu nennen wären das seit 1990 vom Europarat zur
Förderung der Demokratie in den postkommunistischen Staaten Europas
durchgeführte „Demosthenes-Progamm“ sowie das Büro für Demokratische
Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) in Warschau, das geschaffen
wurde durch die Pariser Charta für ein neues Europa, in der am 21. November 1990 neue Strukturen und Institutionen des KSZE-Prozesses vereinbart
wurden.307
Der „Unit for the Promotion of Democracy (UPD)“ wurde zwei Kompetenzbereiche zugesprochen: Unterstützungsleistungen bei der Organisation
und Beobachtung von Wahlen („assistance“) sowie die langfristig angelegte
Förderung demokratischer Institutionen z.B. durch die Fortbildung von
Mitgliedern administrativer und legislativer Körperschaften, die Entwicklung von politischen Bildungsprogrammen usw. („advisory services“)308 In
den ersten beiden Jahren ihres Bestehens war die UDP fast ausschließlich
damit befaßt, die Wahlbeobachtungsteams der OAS zu koordinieren. Eine
Aufstockung ihres Personals und ihrer Finanzmittel im Jahr 1992 erlaubt es
der UDP, sich seither verstärkt dem zweiten Bereich zuzuwenden.
Die 21. Vollversammlung der OAS, die im Juni 1991 in Santiago de
Chile stattfand, ging über eine papierne Beschwörung des Demokratieprinzips als dem ideellen Fundament der OAS, wie sie zuletzt 1985 in Reform_______________
306
307
308
General Assembly, XX regular Session: „AG/RES. 1063 (XX-0/90): Unit for Democratic
Development“, OEA/Ser. P/XX.0.2, 31.08.1990, Vol. I, 109-111, 110
Die „Electoral Unit“ der Vereinten Nationen hat dagegen kein Mandat zur Förderung von
Institutionen und beschränkt sich auf die Wahlbeobachtung.
Permanent Council: „CP/RES. 572 (882/91): Program of support for the promotion of
democracy“, OEA/Ser. G, CP/RES. 572 (882/91), 10.12.1991
97
protokoll von Cartagena erneuert worden war, einem deutlichen Schritt
hinaus. Sie begründete zur Sicherung der Demokratie in der Region eine
dauerhaft angelegte, institutionalisierte Kooperationsstruktur, die politikwissenschaftlich zusammen mit vergleichbaren Regelsystemen anderer Sachbereiche als „internationales Regime“ erfaßt wird.
Der Begriff „Regime“ ist dabei nicht zu verwechseln mit dem alltagssprachlichen bzw. politischen Wortgebrauch, der repressiv-diktatorische
Regierungsformen meint. Vielmehr kennzeichnet er die internationale Regelung von Konflikten und Problemen in einem sachlich begrenzten Bereich. Ein Beispiel für ein von der OAS im Politikfeld „Sicherheit“ generiertes Regime ist das „Nichtinterventionsregime“. Die mittlerweile
klassische Definition von Stephen Krasner lautet:
„Regimes can be defined as sets of implicit or explicit principles, norms,
rules, and decision-making procedures around which actors´ expectations
converge in a given area of international relations.“309
Ein internationales Regime besteht demnach neben einer Norm bzw. einem Bestand von Normen auch aus einem implementierten Regelsystem.
Beides charakterisiert das 1991 geschaffene Defense-of-Democracy-Regime
der OAS, wenngleich seine Struktur noch wenig komplex ist. Die repräsentative Demokratie, bisher bloß ein auffüllungsbedürftiger Progammsatz,
erhielt einen verpflichtenden Charakter, indem die 34 Mitgliedsstaaten der
OAS nicht nur
„[t]heir inescapable commitment to the defense and promotion of
representative democracy“310
erklärten, sondern das Demokratieprinzip als die „Clubnorm“ der Organisation zugleich mit der prozeduralen Maßgabe verbanden,
„to adopt efficacious, timely and expeditious procedures to ensure the
promotion and defense of representative democracy“.311
Zur Durchsetzung des Normbefehls „Repräsentative Demokratie“ wurde
ein Mechanismus installiert, der die Abweichung von der Norm – durch
Staatsstreiche und andere illegale Formen der Machtübernahme – künftig
_______________
309
310
311
Stephen D. Krasner: „Structural causes and regime consequences: regimes as intervening
variables“, in: Ders. (Hg.): International regimes. Ithaca 1983, 1-21, 2
Vgl. die Erklärung des KSZE-Treffens der Staats- und Regierungschefs in Paris vom 21.
November 1990: Charta von Paris für ein neues Europa“, in: Europa-Archiv: Dokumente
45 (1990) 24, D656-D664, in der es heißt: „Wir verpflichten uns die Demokratie als
einzige Regierungsform unserer Nationen aufzubauen und zu stärken“ (hier: D656).
General Assembly, XXI Regular Session: [AG/RES. 1079 (XXI-0/91:] „The Santiago
Commitment to democracy and the renewal of the inter-American system“, OEA/Ser.
P/XXI.0.2, 20.08.1991, Vol. I, I-III, hier: II, 3
98
durch folgendes Verfahren abschrecken soll: Die entsprechende operative
„Resolution 1080“
weist den OS-Generalsekretär für einen solchen Fall an, umgehend den
Ständigen Rat der OAS einzuberufen, der innerhalb von zehn Tagen zu
prüfen hat, ob einen Konferenz der Außenminister oder eine außerordentliche Generalversammlung stattfinden soll;
bestimmt, daß diese Versammlung, die spätestens zehn Tage nach einem
solchen Ereignis (bei einer entsprechenden Situationsinterpretation) zusammentreten muß, die Lage kollektiv analysieren soll und dann eine Verurteilung und eventuelle diplomatische und wirtschaftliche Sanktionen beschließen kann.312
In diesem Zusammenhang gilt es ein Mißverständnis auszuräumen, dem
selbst ein so wohlinformierter Regionalexperte wie Wolf Grabendorff aufsitzt: Er kolportiert einen „automatisch anzuwendenden“, abgestuften
„Sanktionskatalog“, der zeitliche Abstände vorsehe, die Raum für Verhandlungslösungen bieten sollen. Grabendorff zufolge ist sogar die Entsendung einer OAS-Friedensstreitmacht Teil des angeblich in Santiago de Chile
verabschiedeten „Maßnahmenkatalogs“.313
Das Gegenteil ist der Fall – ein Konsens für automatische Sanktionen
konnte gerade nicht erzielt werden! Die Beschlüsse der OAS, so könnten
Kritiker nämlich einwenden, kommen bei aller guten Absicht „ohne Biß“
daher. Im Falle eines Umsturzes in einem Mitgliedsstaat ist die OAS zu
nicht mehr verpflichtet als zu einer “bürokratischen“ Reaktion in Form einer
Krisen- oder Dringlichkeitssitzung – und tatsächlich war nichts weiter beabsichtigt.314 In diesem formalen Sinne hat die OAS in allen Fällen nicht regelkonformen Verhaltens (Haiti, Peru, Guatemala usw.) stets unverzüglich
reagiert, womit auch das Effektivitätskriterium eines „internationalen Regimes“ erfüllt ist. Die Santiago-Beschlüsse spiegeln einen momentanen
Kompromiß in der OAS wieder, der vorläufig nur ein sanktionsschwaches
Regime gestattet. Die Mitgliedsstaaten des Andenpakts unter der Führung
_______________
312
313
314
Es heißt: to look into the events collectivily and adopt any decisions appropriate.“ –
General Assembly, XXI Regular Session: „AG/RES. 1080 (XXI-0/91): representative
democracy“, OEA/Ser. P/XXI.0.2, 20.08.1991, Vol. I, 4-5. Dokumentiert in: US
Department of State Dispatch 2 (07.10.1991) 49, 750
Wolf Grabendorff: „Ansätze und Erfahrungen mit multilateralen Instrumenten der
Konfliktlösung und Friedenssicherung in Lateinamerika“, in: Winrich Kühne (Hg.):
Blauhelme in einer turbulenten Welt: Beiträge internationaler Experten, Baden-Baden
1993, 293-302, 299 f.
Dies betont auch der Präsident des Washingtoner Instituts „Inter-American Dialogue“,
Peter Hakim: „The OAS putting principles into practice“, in: Journal of Democracy 4
(1993) 3, 39-49, 40
99
Venezuelas hatten nämlich weiter gehen wollen. Sie hatten gefordert, daß
die OAS-Staaten automatisch die diplomatischen Beziehungen zu einer
verfassungswidrig an die Macht gekommenen Regierung abzubrechen hätte.
Die Opposition dagegen kam vor allem von seiten Mexikos, dessen Außenpolitik dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten
souveräner Staaten höchsten Stellenwert einräumt.
Die „Santiago-Verpflichtung“ und die sie operativ umsetzende „Resolution 1080“ sind gleichwohl in doppelter Hinsicht bahnbrechend:
Erstens muß die OAS bei einer Verletzung des demokratischen ordre
public in der Region Stellung beziehen.
Zweitens kann die OAS, anders als bisher die Vereinten Nationen, sich
nunmehr ohne Zustimmung der betroffenen Regierung mit einem ausschließlich internen Konflikt in einem Mitgliedsstaat befassen. Sie ist ermächtigt, dem Demokratiestandard zu seinem Recht verhelfen, losgelöst von
der Aufgabe der Wahrung von Frieden und Sicherheit.
Im Mai 1992 bekräftigte die OAS ihre neue Demokratisierungsfunktion
in der „Deklaration von Nassau“315 und verabschiedete im Dezember 1992
das „Protokoll von Washington“, mit dem ein neuer Artikel 9 in die OASCharta eingefügt wird, der es ermöglicht, eine durch Staatsstreich an die
Macht gekommene De facto-Regierung mit Zweidrittel-Mehrheit von der
OAS-Mitgliedschaft zu suspendieren.316 Es geht herbei nicht um einen De
iure-Ausschluß, der, wie die Erfahrung anderer internationaler Organisationen zeigt, „self-defeating“ sein kann, weil die politische Kommunikation mit
dem inkriminierten Sanktionsadressaten abbricht und auf ihn somit nicht
mehr eingewirkt werden kann. Der neue Passus in der OAS-Charta suspendiert das Stimmrecht und daas Teilnahmerecht z.B. an Versammlungen, was
natürlich einem De facto-Ausschluß nahekommt. Diese isolierende
Sanktionsmaßnahme darf laut dem „Protokoll von Washington“ aber erst
verhängt werden, wenn alle Bemühungen der OAS zur Wiederherstellung
der Demokratie im betroffenen Land fehlgeschlagen sind, und auch nach der
Suspendierung sind die diplomatischen Initiativen fortzusetzen. Das gegenwärtig noch ratifikationsbedürftige Protokoll wurde gegen die Stimme Mexikos bei einer Enthaltung (Trinidad und Tobago) angenommen. Obwohl
Mexiko starke Lobbyaktivitäten gegen die Suspendierungsklausel entfaltete,
blieb es diesmal isoliert.
_______________
315
316
General Assembly, XXII Regular Session: „AG/DEC. 1 (XXII-0/92): „Declaration of
Nassau“, OEA/Ser. P/XXII.0.2, 21.06.1992, Vol. I, 1-5
Protocol of Amendment to the Charter of the Organization of American States, „Protocoll
of Washington“, signed at Washington, D.C., United States of America, on December 14,
1992, at the Sixteenth Special Session of the General Assembly
100
Die Suspendierung eines Mitgliedsstaates war der OAS von der sogen.
Río-Gruppe bereist vorexerziert worden: Panama wurde 1987 ausgeschlossen, nachdem dort Präsident des Valle durch den Armeechef Noriega abgesetzt worden war. Die Gruppe erkannte später auch die Regierung von Präsident Endara nicht an, die nach der US-Invasion im Dezember 1989 an die
Macht gekommen war. Peru wurde nach dem „Selbstputsch“ von Präsident
Fujimori vom 5. April 1992 von der Teilnahme an diesem außenpolitischen
Konsultationsmechanismus lateinamerikanischer Staaten ausgeschlossen. Im
Juni 1992 beschlossen die vier Staatschefs des sich im Süden Lateinamerikas formierenden Gemeinsamen Marktes MERCOSUR, daß jedwede Unterbrechung der verfassungsmäßigen Ordnung in einem MERCOSUR-Staat
sofort dessen Suspendierung von der Mitgliedschaft zur Folge haben
werde.317
4.2 Erklärung der Regimedynamik: Konvergenz von Demokratie und
Multilateralismus
Bei der vorangegangenen Darstellung der Entwicklungsschritte und der
Elemente des Defense-of-Democracy-Regimes der OAS wurde darauf hingewiesen, daß es von einer Art Nachfragedruck befördert wurde, nämlich
dem Eigeninteresse der neuen gewählten Zivilregierungen, ihren teilweise
fragilen Bestand multilateral absichern zu lassen. Zweifellos stellte die politische Homogenität (eigentlich: Homologie) des amerikanischen Kontinents
(natürlich mit Ausnahme des petrifizierten Regimes in Kuba) eine wesentliche Bedingung für die regionale Kooperation für die Demokratie im Rahmen der OAS dar. Die Entstehungsbedingungen des Defense-of-DemocracyRegimes sind damit aber nicht befriedigend zu erklären. Die hier vertretene
These ist, daß die Regimedynamik in der Konvergenz und den Wechselbeziehungen von Demokratie und Multilateralismus zu suchen ist.
Die zweite Hälfte der 80er Jahre bildete die entscheidende „Brücke“
beim Übergang vom Unilateralismus der USA unter den Vorzeichen der
Blockkonfrontation zu einer Wiederbelebung des regionalen und globalen
Multilateralismus, wie er von der OAS bzw. dem System der Vereinten
Nationen repräsentiert wird. Ein subregionaler Multilateralismus auf Ad
hoc-Basis – namentlich die Contadora-Initiative und der Esquipulas-Friedensprozeß in Zentralamerika – überspannte die Kluft zwischen dem überholten US-Unilateralismus der Vergangenheit und einem künftig stärker
institutionalisierten Multilateralismus z.B. in Gestalt der OAS, die in den
_______________
317
„Bekräftigter Wille zur Marktintegration in Südamerika“, Neue Zürcher Zeitung
(Fernausgabe), 01.07.1992, Nr. 149, 11
101
80er Jahren aber noch nicht als handlungsfähig galt.318 Als der ideologische
Gegensatz des Ost-West-Konflikts an Bedeutung verlor, wuchs die Bereitschaft in der Region, multilaterale, von den Vereinten Nationen und der
OAS koordinierte Instrumente der Konfliktlösung erstmals oder neuerlich in
Anspruch zu nehmen. Ihre Feuerprobe bestanden beide Organisationen 1990
bei der Unterstützung der Präsidentschaftswahlen in Nicaragua.
Aber: Die neue Akzeptanz multilateraler Friedenssicherung in der Region
allein hätte keineswegs ausgereicht, der vielfach noch als impotent angesehenen OAS neue Legitimität zu verleihen. Vielmehr ist der Bedeutungszuwachs der OAS zu Beginn der 90er Jahre wesentlich der Tatsache geschuldet, daß sie als ein kooperatives Instrument im regionalen Demokratisierungsprozeß eine Nische zu besetzen vermöchte. Diese These soll im folgenden erläutert und begründet werden.
Wichtig ist zunächst der Befund, daß die OAS als die „breite“ multilaterale Regionalorganisation in den 90er Jahren jene Rolle replizierte, die 1987
der Esquipulas-Friedensplan gespielt hatte: Er hatte erstmals Multilateralismus (in einer subregionalen Ad hoc-Form) und Demokratisierung verknüpft.
Während der 80er Jahre befürchteten die jungen, demokratisch legitimierten Regierungen in ganz Lateinamerika, daß regionale Konflikte zur
Destabilisierung der neu errungenen Demokratie führen könnten, indem sie
die militärische Dimension der Politik gegenüber der zivilen förderten. Dies
galt besonders für Zentralamerika, wo der Friedensprozeß ohne einen gewissen Grad der Demokratisierung nicht angestoßen worden wäre, Die Präsidenten Oscar Arias aus der Vorzeigedemokratie Costa Ricas und Vinicio
Cerezo A. aus Guatemala, wo sich die „eingeschränkte Demokratie“ seit
1983 geöffnet hatte, trieben maßgeblich die sogen. Friedensplan von
Esquipulas voran, der wesentliche demokratische Reformen zum Inhalt
hatte.
Das im August 1987 unterzeichneten Esquipulas-II-Abkommen rückte
nämlich innenpolitische Aspekte – Demokratisierung und „nationale Versöhnung“ („gemeint ist die Wiedereingliederung der Guerilla in das politische Leben) – in den Vordergrund rückte. Die fünf zentralamerikanischen
Regierungen verpflichteten sich darin zur Demokratisierung und zu gleichzeitigen freien Direktwahlen eines Gemeinsamen Zentralamerikanischen
Parlaments auf der Basis eines einheitlichen Wahlkodex. Damit sollte „simultane demokratische Legitimität“ erzielt werden, ohne direkt an nationale
Machtpositionen – etwa der Sandinisten – zu rühren. Indem es sich diesen
Wahlen zum Zentralamerikanischen Parlament anschloß, verzichtete das
_______________
318
Robert B. Andersen: „Unilateralism and multilateralism in a transitional world: lessons of
the Arias Peace Plan“, in: Peace & Change 17 (1992) 4, 434-457, 436
102
sandinistische Nicaragua ohne Gesichtsverlust auf seinen volksdemokratischen Anspruch („democracia participatora“). Auf eine solche pragmatische
Weise wurde das liberal-repräsentative Demokratiemodell zum subregionalen Standard erhoben.319
Entsprechend explizit und detailliert war Punkt III („Demokratisierung“)
des Friedensplans:
„Die Regierungen verpflichten sich, einem echten demokratischen,
pluralistischen und auf Mitbestimmung gerichteten Prozeß Impulse zu verleihen, der die Förderung der sozialen Gerechtigkeit, die Achtung der Menschenrechte, der Souveränität, der territorialen Unversehrtheit der Staaten
und des Rechtes aller Nationen einschließt, ihr wirtschaftliches, politisches
und soziales System frei und ohne jegliche Einmischung von außen zu
bestimmen. Die Regierungen werden ferner nachprüfbare Maßnahmen treffen, die zur Schaffung und gegebenenfalls Vervollkommnung demokratischer, repräsentativer und pluralistischer Systeme beitragen […].“320
Ausdrücklich wurden die wichtigsten Oppositionsrechte, wie freie und
regelmäßige Wahlen, unabhängige Wahlbehörden, Meinungs-, Rede- und
Versammlungsfreiheit aufgeführt.321
Hinter einer derart eindeutigen Benennung von wesentlichen Requisiten
der Demokratie im Abkommen von Esquipulas fallen die einschlägigen
Dokumente der OAS später zurück. Man vergleiche nur den geschraubten
und mehrdeutigen Wortlaut der „Resolution 1080“, in der es heißt:
„[…] in the event of any occurences giving rise to the sudden or irregular
interruption of the democratic political institutional process or of the
legitimate exercise of power by the democratically elected government in
any of the Organization´s member states […]“.
Das Fehlen definitorischer Vorgaben macht einmal mehr den Kompromißcharakter dieser wichtigen OAS-Resolution deutlich. Dabei ist natürlich
zu berücksichtigen, daß ein Friedensabkommen zwischen fünf Präsidenten
weniger „interventionistisch“ wirkt als eine wie auch immer ausgestaltete
kollektive Reaktion der großen Regionalorganisation gegen einen von der
demokratischen Norm abgewichenen Mitgliedsstaat.
Während „Contadora“ und „Esquipulas“ seit Mitte der 80er Jahre Multilateralismus und Demokratie zusammenführten, wurde die OAS zum institutionellen Rahmen für eine umfassendere Verbindung dieser beiden Ele_______________
319
320
321
Günther Maihold: „Die Konstituierung des zentralamerikanischen Parlaments:
Friedensprozeß und subregionale Integration“
„Übereinkommen zur Schaffung eines tragfähigen und dauerhaften friedens in
Mittelamerika, unterzeichnet in Guatemala-Stadt am 7. August 1987“, in: Europa-Archiv:
Dokumente 42 (1987) 18, d499-D504, D501
Ebd.
103
mente in den 90er Jahren. Der Esquipulas-Friedensprozeß war der Ausgangspunkt fü rden Rekurs auf einen formalen Multilateralismus, indem er
seine Implementation durch die Vereinten Nationen und die OAS sichern
ließ. Beide Organisationen erlangten dabei durch Aufgaben wie Verifikation, Demobilisierung und Wahlbeobachtung eine umfassende Rolle bei der
Beendigung des Bürgerkrieges in Nicaragua, während die zweite Phase der
Befriedung Zentralamerikas – die 1992 abgeschlossenen Friedensvereinbarungen für El Salvador – eine exklusive Domäne der Vereinten Nationen
blieb. Gleichwohl ging vom Friedensprozeß in Zentralamerika ein ungemein
wichtiger Impuls auch für die Reaktivierung der OAS aus.
Möglich wurde dies durch eine erste, wenngleich noch überaus zaghafte
Relativierung der bisher sakrosankten Doktrin der Staatensouveränität und
des ehernen Prinzips der Nichteinmischung. Die massive Präsenz ausländischer Beobachter 1990 in Nicaragua – ONUVEN322, OAS, Carter-Gruppe
u.a. – zur Überwachung des Ablaufs der Wahlen in einem souveränen Staat
war ein Novum in der Geschichte der Vereinten Nationen.323 Auch für den
interamerikanischen Multilateralismus bildeten die auf „Esquipulas II“ zurückgehenden Wahlen in Nicaragua im Jahr 1990 einen Wendepunkt in
dem, was Robert Pastor „crossing the sovereign divide“ nennt:
„[…] Nicaraguans redefined the boundaries of political sovereignty and
developed a new model for the entire hemisphere that offers the promise of
making democracy sturdier and possibly permanent. The idea that a defiantly
nationalistic regime that fought the „northern colossus“ to a stalemate
should then open its gates to Americans to judge an election is certainly
ironic. But that was the essence of the Nicaraguan formula: to invite the
international community to help make democracy within a sovereign
state.“324
Zwar war die Wahlbeobachtung für die OAS grundsätzlich nicht Neues,
hatte sie doch zwischen 1962 und 1989 in über 15 Mitgliedsstaaten Beobachter entsandt. Mehr als moralische Unterstützung und symbolische Präsenz gerade einmal am Wahltag selbst hatten sie aber nicht leisten können.
Dagegen war der Fall Nicaragua präzedenzlos, wie der Charakter der Wahlbeobachtung als explizite Demokratisierungshilfe, die ungewöhnlich große
_______________
322
323
324
Misión de Observación de las Naciones Unidas para la Verificación de las Elecciones en
Nicaragua
Im UN-Kontext wurde die internationale Wahlbeobachtung ausschließlich im
Zusammenhang mit der Entkolonialisierung eingesetzt – so noch 1989 bei der
Überwachung der ersten freien Wahlen in Namibia. Mit den Aktivitäten in Nicaragua
bildete sich ein neues Muster der Wahlbeobachtung zur Lösung innerstaatlicher Konflikte
heraus.
Robert A. Pastor: Whirlpool: U.S. foreign policy toward Latin America and the Caribbean,
Princeton 1992, 247. Hervorhebung im Original.
104
Personalstärke der Beobachtermissionen und ihre Anwesenheit während der
ganzen Dauer des Wahlprozesses (Einschreibung, Wahlkampf, Stimmenabgabe und verrechnung) zeigen.
Nachdem die OAS in Nicaragua Verdienste beim friedlichen Übergang
der Macht von einem Revolutionsregime auf die Opposition erworben hatte,
konnte sie ihre Wahlbeobachtungsaktivitäten (z.B. in den Ländern Haiti, El
Salvador, Surinam und Paraguay) erheblich ausweiten.325 Wie die Vereinten
Nationen hatte die OAS ihre Verfahren der Wahlhilfe und -beobachtung
bereits standardisiert. Zwischen UNO und OAS ist jedoch ein markanter
Unterschied beim politischen Spielraum auszumachen. Die Wahlbeobachtungsaktivitäten der OAS als ihrer neuen Demokratisierungsfunktion sind
weitaus unumstrittener als im Fall der Weltorganisation. Dort spiegeln zwei
konträre Resolutionen der jährlichen Generalversammlung eine widerstreitende Fraktionsbildung in dieser Frage wieder. Eine konservative, abwehrende Position, die von fast allen Staaten der sogen. Dritten Welt getragen
wird, drückt sich aus im Titel der Entschließung „Achtung der Grundsätze
der nationalen Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten im Hinblick auf Wahlprozess“.326 Eine von den
westlichen Industriestaaten und den osteuropäischen Reformstaaten (einschließlich der Mehrheit der GUS-Länder) vertrete Gegenposition betont
dagegen die „Verstärkung der Wirksamkeit des Grundsatzes regelmäßiger
und unverfälschter Wahlen“.327 Ungleich stärker als die OAS müssen sich
die Vereinten Nationen deshalb abwartend verhalten in einer schwierigen
Lage zwischen grundsätzlichem Festhalten am Prinzip der nationalen Souveränität und wachsender Akzeptanz des Anliegens, daß dieses Prinzip
zugunsten der Durchsetzung internationaler Menschenrechts- und demokratischer Standards relativiert werden müßte.328 Ist für die Vereinten Nationen
die Wahlbeobachtung noch immer eine wohl zu begründende Ausnahmeak_______________
325
326
327
328
Jennifer McCoy; Larry Garber; Robert Pastor: „Pollwatching and peacemaking“, in:
Journal of Democracy 2 (1991) 4, 102-114, 106. Zu weiteren Missionen in Panama, Peru
und Venezuela siehe: General Assembly, XXIII Regular Session: „Report of the Secretary
General on compliance with the resolution ‚Human rights and democracy – electoral
monitoring‘“, OEA/Ser. P, AG/Doc. 2950/93, 20.05.1993
Am Anfang einer Serie von Resolutionen steht: United Nations. General Assembly Res.
44/147: „Respect for the principles of national sovereignty and non-interference of States
in their electoral processes“, 15.12.1989, in: General assembly Official Records (GAOR),
44th session, Supplement No. 49 (A/44/49), New York 1990, 225-226
Als Ergebnis einer Initiative der USA: United Nations. General Assembly Res. 45/150:
„Enhancing the effectiveness of the principle of periodic and genuine elections“,
18.12.1990, in: GAOR, 45th Session, Suppl. No. 49 A (A/45/49), 254-255
Stefan Mair: „Internationale Präsenz und nationale Souveränität. Wahlbeobachtung: ein
expandierendes Betätigungsfeld der Staatengemeinschaft“, in: Vereinte Nationen 43 (1994)
4, 133-140
105
tivität, so ist sie für die OAS eher schon Routine. Die OAS, in ihrer Mitgliedschaft während der 70er Jahre selbst von nichtdemokratischen Regimen
dominiert, wird deshalb von der OAU als der Staatenorganisation des noch
weitgehend patrimoniellen und diktatorialen Afrika durchaus als Vorbild
gesehen.329
4.3 Strukturelle Regimebegrenzung: Gegensatz von „Nichtinterventionisten“ und „Aktivisten“
Das entscheidende strukturelle Hindernis für die Wirksamkeit und die
Entwicklung des von der OAS geschaffenen Defense-of-Democracy-Regimes stellt immer noch das Nichteinmischungsprinzip dar. Es wäre ein
Mißverständnis anzunehmen, daß durch jüngste Funktionen der OAS auf
dem Gebiet der Staatsstreichprävention sich das Gebot der Nichteinmischung (Art. 18 OAS-Charta) überlebt habe.330 „Resolution 1080“ als
Umsetzung der „Santiago-Verpflichtung“ konditioniert lediglich Artikel 18,
hebt ihn aber wohlgemerkt nicht auf. Vielmehr bricht damit der Widerspruch zwischen Nichtinterventions- und Demokratieprinzip, der latent
blieb, solange letzteres über ein Lippenbekenntnis nicht hinausging, offen
auf und erfordert z. B. eine aktualisierte Nichtinterventionskasuistik der
OAS, wie sie gegenwärtig von der Interamerikanischen Juristischen Kommission erarbeitet wird. Für die weitere Regimeentwicklung entscheidend
wird deshalb das Kräfteverhältnis zwischen den „Nichtinterventionisten“
und den „Aktivisten“ unter den OAS-Mitgliedsstaaten sein.
Infolge eines Gestaltwandels der Interventionsproblematik spürt eine
Reihe von Mitgliedsstaaten der OAS heute mehr denn je äußeren Druck auf
ihre sogen. Inneren Angelegenheiten. Als die internationalen Beziehungen
durch die Blockkonfrontation noch bipolar geprägt waren, ging in Amerika
eine strategisch motivierte Interventionsdrohung von der Hegemonialmacht
USA aus und betraf im Wesentlichen die kleinen Staaten der Karibik und
Zentralamerikas. Ein Land, das zum Opfer einer offenen oder verdeckten
Intervention der Vereinigten Staaten geworden war, durfte sich wenigstens
der Moralischen Solidarität der meisten anderen OAS-Mitgliedsstaaten
gewiß sein. Dies hat sich geändert. Nach dem Ende des Ost-WestGegensatzes haben sich im Trend der zunehmenden Transnationalisierung
der internationalen Beziehungen die Anlässe und die möglichen Adressaten
_______________
329
330
Larry Garber: „The OAU and elections“, in: Journal of Democracy 4 (1993) 3, 55-59, 58 f.
Bertrand de la Grange: „L’Organisation des Etats américains a défendu une conception
étroite de la souveraineté de ses membres“, Le Monde, 21.06.1993, 4
106
externer Eimischung vervielfacht.331 Von Interdependenzproblemen wie
Umweltzerstörung, Drogenhandel, Migration oder Menschenrechten sieht
sich ein immer größerer Teil der Staatenwelt selbst betroffen, so daß mittlerweile schon ein freilich höchst kontroverses „devoir d’ingérence“ diskutiert wird. Bloomfield umschreibt plastisch die gewandelte Interventionsproblematik:
„No longer can it be assumed, that intervention will be presented in the
guise of David versus Goliath, rather, it may be the good guys versus the bad
guys, with those resisting outside pressure wearing the black hats.“332
So sehen sich insbesondere einige Lateinamerikanische Regierungen einer internationalen Kritik ausgesetzt, weil sie massiven Umweltzerstörungen
oder dem Drogenhandel nicht wirksam Einhalt gebieten. Das macht sie
gegenüber Präzedenzfällen mistrauisch, in denen – wie hier beim Thema
Demokratie – internationale Organisationen mit kollektiven Handlungsmöglichkeiten ausgestattet werden könnten. In der OAS wenden sich infolgedessen wichtige oder gar tonangebende Staaten wie Mexiko, Brasilien
und Kolumbien gegen ein solches „interventionistisches“ Rollenbild der
Organisation.
Mexiko ist zweifellos führend in diesem „Lager der Nichtinterventionisten“ (Bloomfield). Für seine Haltung hat es zum einen als leidgeprüfter
Nachbar der Vereinigten Staaten gute geschichtliche Gründe, seitdem es
1848 die Hälfte seines Staatsgebietes an die USA hatte abtreten müssen und
in diesem Jahrhundert Ziel etlicher militärischer Eingriffe seitens seines
überlegenen nördlichen Nachbarn gewesen war. Zum anderen reagiert Mexiko auch nach seiner wirtschaftlichen „apertura“, in deren Folge es sich mit
den USA und Kanada zum trilateralen Freihandelspakt NAFTA verband,
unverändert mit einer geradezu allergischen Abwehrhaltung auf politische
Einmischungsversuche von außen.333
Zur OAS stand Mexiko entsprechend immer in einem Doppelverhältnis.
Es ist gleichzeitig ein Eckpfeiler und einer der vehementesten Kritiker gewesen. Mexiko nutzte einerseits die OAS, um den Einfluß der USA auf La_______________
331
332
333
Der Begriff der transnationalen Politik beschreibt – im Unterschied zur
zwischenstaatlichen internationalen Politik – die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges
beobachtbare Erosion nationalstaatlicher Souveränität durch gesellschaftliche,
ökonomische, technologische und ökologische Wirkkräfte, die staatliche Grenzen
überschreiten und sich dem Zugriff nationalstaatlicher Politik ganz oder teilweise
entziehen.
Richard J. Bloomfield: Making the Western Hemisphere safe for democracy? The OAS
defense-of-democracy regime“, in: Washington Quarterly 17 (1994) 2, 157-169, 162
Tim Golden: „U.S. and Mexico wrestling over limits of intervention“, New York Times,
01.12.1993, A3
107
teinamerika mit multilateralen, d.h. mit völkerrechtlichen Mitteln zu begrenzen. Vorstehend konnte gezeigt werden, in welchem Maße es Mexiko 1985
gelungen war, der Reform der OAS-Charta seinen Stempel aufzuprägen.
Andererseits bekämpfte Mexiko die von ihm wesentlich eher und schärfer
als von den meisten anderen lateinamerikanischen Staaten wahrgenommene
Instrumentierung der OAS für die Politik der USA und kritisierte darüber
hinaus den Mangel an wirtschafts- und entwicklungspolitischen Instrumenten der OAS.334
„Effektiv“ ist die OAS als internationale Organisation nach mexikanischen Verständnis dann, wenn sie durch ein striktes Nichteinmischungsprinzip auf die Rolle eines regionalen Forums (einer „Arena“ in der Terminologie Clive Archers) beschränkt bleibt. Mexiko wünscht sich die OAS als eine
Art „Commonwealth“ des amerikanischen Doppelkontinents, dem eine
gemeinsame, überwiegend iberische kulturelle Prägung eine Art Clubcharakter verleiht. Die in der 80er Jahren politisch lahmgelegte OAS war paradoxerweise geeignet, diese defensive Strategie Mexikos zu flankieren, was
dem Land eine Wiederannäherung an die multilaterale Regionalorganisation
erlaubte.335
Mit einer weitergehenden Reaktivierung der OAS tut sich Mexiko infolgedessen schwer. So mußte es hinnehmen, von der Interamerikanischen
Menschenrechtskommision wegen des Wahlbetruges der Staatspartei PRI
angeprangert zu werden.336
Während die OAS in den vergangenen Jahren auf dem Feld der
internationalen Wahlbeobachtung Meriten sammelte, stellte dies für Mexiko, das bis vor kurzem als einziges Mitgliedsland der OAS keine offiziellen Wahlbeobachter zuließ, eine unannehmbare Einmischung in seine inneren Angelegenheiten dar.
Es kam deshalb nicht unerwartet, daß der mexikanische Außenminister
Fernando Solana 1991 alle Entwürfe der Resolution 1080 verwarf, weil sie
ihm auf einen Sanktionsautomatismus hinzudeuten schienen. Eine Überraschung war es vielmehr, daß er die Resolution nach stundenlanger Überredung durch alle anderen OAS-Delegierten schließlich doch mitverabschiedete. Bei der Änderung der OAS-Charta im „Protokoll von Washington“
_______________
334
335
336
Olga Pellicer de Brody: „México en la OEA“, in: Foro Internacional 6 (1965/66) 2/3, 288302
Ricardo Macouzet Noriega: „México en la OEA: del distanciamiento a la cooperación“, in:
Carta de Política Exterior Mexicana 6 (1986) 4, 17-28
„Report No. 8/91, case 10.180, Mexico, 22 February 1991“, in: Annual Report of the InterAmerican Commission on Human Rights 1990-1991, OEA/Ser. L/V/II.79 rev. 1, Doc. 12,
22.02.1991, 237-250; Larry Rohter: „O.A.S. cautions Mexicans on election fraud“, New
York Times, 04.06.1990, A17
108
von 1992 fiel Mexiko jedoch in den gewohnten Habit zurück und stimmte
als einziger Mitgliedsstaat gegen die Suspendierungsklausel des neuen Artikel 9. Es erkannte darin „supranationale“ Machtbefugnisse, mithin die Voraussetzungen für eine Akteursrolle der Organisation, die es strikt ablehnt.337
Die für die rigide Position der Nichteinmischung typischen Einlassungen der
mexikanischen Regierung lohnen ein längeres Zitat:
„[I]f such penalties are added […] they could even serve as a pretext for
violating or jeopardizing other objectives that are equally valuable and
essential to the harmonious and peaceful existence of the inter-American
system itself. […] [T]he incorporation of texts such as those hitherto
proposed […] introduce the possibility of recourse to a punitive measure
[…] and thereby set at risk the equilibrium of principles on which the OAS
has hitherto been based, and, on the other hand, on the pretext of supporting
democracy in the hemisphere, they seek to broaden the sphere of action of
the Secretary General to include intervention in internal matters that have
hitherto been regarded as within the exclusive purview of the member states.
]…] [The Government of Mexico] considers that each national process has a
dynamic of its own, and that excessive external force, however good the
intentions with which it is brought to bear, could project the Organization
into an undesirable era of interventionism.“338
Die Außenpolitik Brasiliens ist wie diejenige Mexikos deutlich defensiv
ausgerichtet, wobei sich Brasilien ohne die direkte Nachbarschaft der USA
ein höheres Profil erlauben konnte. Brasilien, das die Hälfte der Fläche
Südamerikas einnimmt, über 50 Prozent der Bevölkerung des Subkontinents
beheimatet und die neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt bildet, ist traditionell ein Land mit Aufstiegsambitionen, die früher teilweise die Extremform
des Großmachtstrebens annahmen. Hierbei wird es von der Sorge vor externer Strangulation umgetrieben („Don’t fence me in“ – so ironisiert Bloomfield Brasiliens Haltung). Abgeflaut ist die Befürchtung, der Erzrivale Argentinien könne mit den spanischsprachigen Nachbarn eine antibrasilianische Koalition schmieden, seitdem sich die 1979 eingeleitete détente zu
einer engen Zusammenarbeit verdichtete, die am 1. Januar 1995 in der Bildung des gemeinsamen Marktes MERCOSUR gipfelt. Höchst virulent ist
hingegen die Furcht, der Club der Großmächte und Industrieländer wolle
das aufstrebende Schwellenland Brasilien beim Vorankommen in der internationalen Rangordung hemmen. Der massive internationale Druck auf die
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337
338
„Solana rejects OAS Charter reform proposal“ (NOTIMEX, Mexico City, 14.12.1992)
Foreign Broadcast Information Service, FBIS Daily Report – Latin America, 16.12.1992,
18 (PrEx 7.10: FBIS-LAT-92-242)
Permanent Council, Special Committee on Amendments to the Charter: „Declaration of
Mexico on the proposed amendments to the OAS Charter, presented at the committee’s
meeting on October 6, 1992“, OEA/Ser. G, CE/CARTA-26/92, 06.10.1992, 280.
Unterstreichungen im Original.
109
brasilianische Regierung in der zweiten Hälfte der 80er Jahre in Fragen der
Umwelt und der indianischen Ureinwohner Amazoniens wurde entsprechend als ein Versuch arrivierter Mächte gesehen, Brasilien in der
internationalen Stratifizierung in untergeordneter Position festzuhalten.
Das mit einem professionellen und weltweit vertretenen diplomatischen
Apparat (das „Itamaraty“) operierende Brasilien hält deshalb gegen den
Trend der Transnationalisierung der internationalen Beziehungen weiterhin
fest an der zentralen Bedeutung des Nationalstaates und des Souveränitätsprinzips. Anläßlich der Beratungen der OAS über eine kollektive Staatsstreichprävention stellte sich Brasilien eindeutig gegen jeden Versuch, das
Nichteinmischungsgebot durchlässiger zu gestalten:
“The idea that the defense of the people’s sovereignty could be served by the
international limitation of the state’s sovereignty would be a misperception
[…]. An absence of full respect for the people’s will within a state cannot be
offset by a display of will within a state or other peoples. Self-determination
is, by definition, always the self and never of the other […]. It is within
these parameters that the Brazilian Government supports the effort to adapt
the OAS Charter […].”339
Dieses Zitat belegt das konservative Verständnis des Rechtes auf Selbstbestimmung, das Brasilien hier als ein exogenes Recht begreift, welches das
Volk vor Einmischung von Außen schützt, nicht als ein endogenes, das die
Rechte des Volkes gegenüber seiner eigenen Regierung wahrt. Brasilien
wendet sich damit gegen aktuelle Bestrebungen, das Konzept der Demokratie völkerrechtlich dadurch zu sichern, indem das Recht auf Selbstbestimmung auch als ein internes, aus der Volkssouveränität abgeleitetes Recht
definiert wird.
Gleichwohl agiert Brasilien im Gegensatz zu Mexiko flexibel. Bereits in
seiner Umweltaußenpolitik hatte es sich trotz eines anfänglichen Konfliktkurses der Einsicht nicht verschlossen, daß für die Zukunft neue ökologische
Ordnungsmuster unabwendbar sind. Auf dem UN-Umweltipfel in Río im
Jahr 1992 übernahm es dann sogar eine Schlichter- und Koordinierungsfunktion zwischen den Industrieländern des Nordens und den Entwicklungsund Schwellenländern des Südens. Ganz ähnlich bildete es in der OAS eine
Brücke zwischen den „Nichtinterventionisten“ und den „Aktivisten“. Es war
zweifellos eine beachtliche Integrationsleistung der brasilianischen Diplomatie, daß die kontroverse Suspendierungsvorkehrung im „Protokoll von
Washington“ schließlich bei einer Enthaltung (Trinidad undnTobago) mit 31
gegen eine Stimme (Mexiko) nahezu einmütig verabschiedet wurde.
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339
General Assembly, XVI Special Session: „Observations of the member state governments
on the report of the Special Committee on Amendments to the Charter: Brazil“, OEA/Ser.
G, AG/Doc. 7 (XVI-E/92) add. 1, 24.11.1992, 1
110
Brasiliens Einsatz bei dieser Statutenänderung rührt nicht zuletzt daher,
daß es bestrebt war, das Demokratieregime im Rahmen der OAS im Sinne
seiner eigenen Vorstellungen zu prägen. Da Brasilien bei den Beratungen
über die Suspendierungsklausel des neuen Artikel 9 der OAS-Charta erkennen mußte, „that most of the member states are inclined to support an
extremly rigorous procedure for applying the suspension measure“, zielte es
u.a. darauf ab, mit einem Konsenserfordernis (bzw. „Konsens minus eins“
gegen die Stimme des Sanktionsadressaten) die Schwelle für die Suspendierung so hoch wie möglich zu legen und damit gewissermaßen ein Vetorecht
einzubauen:
“Brazil supports the concept that the suspension measure can only be
applied in cases in which the OAS member states have no marked
differences of opinion on the matter.”340
Auch versucht Brasilien zu verhindern, daß internationale Organisationen
in den Händen von Großmächten zu einem hegemonialen Instrument werden. Als es 1992 erstmals darum ging, den Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen mit dem Haiti-Problem (dazu weiter unten) zu befassen, sprach
sich das seinerzeit gewählte, nichtständige Ratsmitglied Brasilien dagegen
aus. Nach seiner Auffassung, die von der Volksrepublik China und den
meisten der nichtständigen Mitglieder geteilt wurde, stellte die Lage in Haiti
keine Bedrohung von Frieden und Sicherheit gemäß Kapitel VII der Charta
der Vereinten Nationen dar. Brasilien suchte damit Weiterungen der Jurisdiktion des Sicherheitsrates vorzubeugen, damit sie nicht auf Fragen von
Menschenrechten, Demokratie und Umwelt ausgreife. Wenn es denn schon
unvermeidlich erscheint, zieht die Regionalmacht Brasilien die multilaterale
Behandlung dieser nicht zuletzt im interamterikanischen Kontext sensitiven
Themen im Rahmen der OAS vor, wo es mehr Einfluß auf den Entscheidungsprozeß auszuüben in der Lage ist.
Brasilien trägt, sich gewissermaßen ins Unvermeidliche schickend, das
Defense-of-Democracy-Regime OAS im Prinzip mit, wie seine führende
Rolle bei der Ergänzung der OAS-Charta 1992 belegt. Es wird aber bei der
Implementierung der „Santiago-Verpflichtung“ in Zukunft eher als Bremser
fungieren. Im Unterschied zu Mexiko tendiert das beweglichere Brasilien
insgesamt jedoch mehr in Richtung einer zentristischen Position, was von
der vergleichsweise komplexeren außenpolitischen Interessenlage Brasiliens
herrührt. Da es mit neun der elf südamerikanischen Länder eine gemeinsame
Grenze hat, ist ihm die Stabilität der Nachbarn letztlich wichtiger als ihre
jeweilige Regierungsform. So verwundert es nicht, daß Brasilien sich im
Verein mit Kolumbien bemühte, den die OAS-Außenminister seit dem Präsidentenputsch vom April 1992 beschäftigenden Fall Peru sofort von der
_______________
340
Ebd., 5
111
Tagesordnung zu streichen, als Präsident Fujimori mit den Wahlen zu einer
Konstituante eine eher fragwürdige Konzession gemacht hatte. Für die Zukunft ist deshalb damit zu rechnen, daß Brasilien sich gegen Versuche stellen wird, die OAS mit eigenständiger Durchsetzungsmacht, z.B. in Form
automatischer Sanktionen, auszustatten.
Kolumbien wird ebenfalls zur Gruppe der „Nichtinterventionisten“ gerechnet. Das Land genoß als das neben Venezuela einzige südamerikanische
Land, das seit 1958 ununterbrochen von Zivilisten regiert wird, lange Zeit
international ein hohes Ansehen. In der Person von zwei ehemaligen Präsidenten gilt Kolumbien fast schon als Sachwalter der interamterikanischen
Kooperationsidee: Albert Lleras Camargo war von 1948 bis 1954 der erste,
César Gaviria ist seit September 1994 der amtierende OAS-Generalsekretär.
Das Bild trübt sich allerdings ein durch die bald zweihundertjährige (zum
Teil auch nichtpolitische) Gewalttradition des Landes. Auch nach den Modernisierungsmaßnahmen César Gavirias befindet sich ein morsch zu nennender Staat noch immer in einer mehrfachen Belagerungssituation: Er lebt
mit politischer Gewalt, endemischer Korruption, hoher gewöhnlicher Kriminalität, terroristischer Drogenmafia und er steht nicht zuletzt im militärischen Patt mit einer Guerilla. Deshalb gibt er den Streit- und Sicherheitskräften weiten Aktionsraum. Massiver Druck der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, also von einem Gremium der OAS, zwang 1995 die
Regierung Samper, Menschenrechtsverbrechen durch die Staatsmacht
zugeben. Als Hauptursprungsland von Kokain hat sich Kolumbien bei der
Drogenbekämpfung in den letzten Jahren au feine enge Kooperation mit den
USA eingelassen. Das Souveränitätsempfinden der kolumbianischen Öffentlichkeit und der Regierung wurde dabei vielfach provoziert, so etwa
1991 durch eine angebliche „Seeblockade“ der USA zur Unterbindung der
Schmuggelrouten. Außerdem muß die Regierung fürchten, sie könnte vergleichbar dem von den Vereinten Nationen in El Salvador vermittelten Frieden dereinst zu weitgehenden Konzessionen gegenüber der Guerilla genötigt
werden. In der Folge sich Kolumbien sich äußeren Pressionen möglichst zu
entziehen und bemühte sich zunächst zusammen mit Mexiko und Brasilien,
1991 das Demokratiethema von der Tagesordnung der OAS-Vollversammlung in Santiago zu halten, und als dies nicht gelang, den Text der
„Santiago-Verpflichtung“ zugunsten des Nichtinterventionsprinzips zu verwässern.341 Kolumbien darf deswegen als ein Protagonist des
Nichtinterventionslagers gelten, wenngleich es dabei mit einem niedrigeren
Profil als Mexiko und Brasilien agiert.
_______________
341
Bloomfield, Making the Western Hemisphere, 163 f.
112
Diesem Lager der „Nichtinterventionsisten“ gegenüber steht eine Gruppierung von „aktivistischen“ Staaten, die vor allem von Argentinien, Venezuela, Kanada, Chile und den Vereinigten Staaten gebildet wird, zu der aber
auch einige kleinere Länder wie Costa Rica und Panama zu rechnen sind.
Diese Staaten befürworten im Grundsatz ein durchsetzungsfähiges interamerikanisches Demokratieregime, lassen sich aber in der Praxis immer wieder
von außenpolitischen Rücksichten leiten und wollen deshalb schroffe Kollektivmaßnahmen vermeiden.
Argentinien, das von 1976 bis 1983 eine brutale Militärdiktatur erlitten
hat, ist der eifrigste Promotor eines starken Demokratieregimes der OAS.
Von ihm ging der Vorstoß zur Reform des Artikels 9 („Protokoll von
Washington“) aus. Nach dem Putschversuch in Venezuela und angesichts
der andauernden Militärherrschaft in Haiti forderte der argentinische Außenminister im Februar 1992 explizit eine „stärkere Einmischung“ der OAS
in Form einer Suspendierung der Mitgliedschaft einer illegitimen De factoRegierung.342 Die Vorreiterrolle Argentiniens ist stark an die Person seines
machtbewußten Präsidenten Carlos Sául Menem gebunden, der seit 1989
eine scharfe Kehrtwende der argentinischen Politik – in Gestalt der neoliberalen Wirtschaftsdoktrin und des Schulterschlusses mit den USA – herbeiführte. Sicherlich kompensiert Menems Außenpolitik mit ihrer demokratieorientierten „moralischen“ Führungsrolle in der OAS den rapiden Verlust
internationalen Gewichts, den Argentinien seit den 50er Jahren hinnehmen
mußte, und schönt zugleich den anrüchigen Ausgleich mit dem Militärs
(„Schlußpunktgesetz“), den seine Regierung Menem um des inneren Friedens willen gesucht hat.
Venezuelas prodemokratische Außenpolitik in der Region hat, was hier
mehrfach angesprochen wurde, eine längere Tradition. Im Sinne der
Betancourt-Doktrin brach es nach dem „Selbstputsch“ des peruanischen
Präsidenten seine diplomatischen Beziehungen mit der Regierung in Lima
ab – von den anderen OAS-Staaten schloß sich lediglich Panama diesem
Vorgehen an. Venezuelas „interventionistische“ Avantgarderolle, die sein
Vertreter bei der OAS sogar als „militant“343 deklarierte, war jedoch stark an
die persönlichen Überzeugungen des damaligen Präsidenten Carlos Andrés
Pérez geknüpft, zu denen der im Dezember 1993 gewählte Präsident Rafael
_______________
342
343
„Di Tella urges ‚greater intrusion‘ by OAS“ (Noticias Argentinas, Buenos Aires,
04.02.1992) Foreign Broadcast Information Service. FBIS Daily Report – Latin America,
05.02.1992, 14 (PrEx 7.10: FBIS-LAT-92-024)
„Statement of Ambassador Guido Grooscors […]“, in: General Assembly, XVI Special
Session: „Report of the Special Committee on Amendments to the Charter: Comments by
the Venezuelan delegation […]“, OEA/Ser. P, AG/Doc. 6 (XVI-E/92) add. 2, 23.11.1992,
hier: 6
113
Caldera auf Abstand ging. Caldera selbst drohte dem oppositionellen Parlament nach peruanischem Muster mit einem „Fujimorazo“, d.h. der Entmachtung, und hob Grundrechte per Dekret auf.
Chile ist ein weiterer wichtiger Bannerträger des Demokratiethemas in
der OAS. Seit dem März 1990 war es für die beiden demokatischn Regierungen Alqyn und Frei vorrangig, das Ansehen Chiles in der internationalen
Gemeinschaft wiederherzustellen. Bis 1973 hatte Chile aufgrund einer fast
ununterbrochenen demokratischen und rechtsstaatlichen Tradition in einer
instabilen Umwelt einen besonderen regionalen Einfluß ausgeübt. Während
der sechzehnjährigen Pinochet-Diktatur war es dagegen – nicht zuletzt in
der OAS – in die außenpolitische Isolierung geraten und z.B. aus dem Andenpakt geschieden, als Nachzügler der Redemokratisierung kehrte es nach
Paraguay (wo die Diktatur Stroessners im Februar 1989 endete) in die stark
angewachsene regionale Gemeinschaft der repräsentativen Regierungen
zurück und konnte damit nur noch „einen Platz unter vielen „ einnehmen.
Um so mehr forcierte die neue chilenische Diplomatie multilaterale Initiativen in der OAS zur gegenseitigen Unterstützung der Demokratien und betonte das Thema Menschenrechte, um die verlorene internationale Reputation rasch wiederzuerlangen.344
Aber auch Chile ordnet seinen Enthusiasmus für das abstrakte Gut Demokratie, wenn nötig, einem profanen außenpolitischen Interressenkalkül
unter. So unterstützte es in der Krise um Peru zwar die Resolutionen der
OAS, die Fujimoris Präsidialdiktatur verurteilten, war aber zugleich bestrebt, dem Regime die Rückkehr in die Gunst der OAS offenzuhalten, da es
mit Peru gerade einen alten Territorialkonflikt bereinigt hatte.
Zu ähnlicher Rücksichtnahme und Interessenabwägung ist hingegen Kanada, das der Organisation erst 1990 beigetreten ist, bisher kaum genötigt
gewesen. Noch ist der in der OAS von Kanada vorgetragene Menschenrechts- und Demokratiedealismus, der stark von verschiedenen kanadischen
Nichtregierungsorganisationen beeinflußt ist, recht unbeschwert von profanen Eigeninteressen in Lateinamerika – was sich durch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA möglicherweise ändern kann. Kanada
tritt für wirksame diplomatische und wirtschaftliche Sanktionsinstrumente
ein und legte hierzu 1992 einen differenzierten Maßnahmenkatalog und
Stufenplan vor. Die neue Führungsrolle Kanadas in der OAS wird an anderer Stelle dieser Arbeit noch umfassend gewürdigt. Anders als Kanada befinden sich die Vereinigten Staaten seit ehedem im Konflikt zwischen politischen Idealen und nationalen Eigeninteressen, auch wenn deren Deckungs_______________
344
Manfred Wilhelmy: „Demokratie und Außenpolitik in Chile“, in: Demokratie und
Außenpolitik in Lateinamerika / dieter Nohlen; Mario Fernández; Alberto van Klaveren
(Hg.), Opladen 1991, 93-111, 96 f.
114
gleichheit ideologisch stets postuliert worden ist. So war die US-Regierung
beispielsweise geneigt, notfalls eine kaum kaschierte Diktatur in Peru in
Kauf zu nehmen, als das Land durch eine Quarantäne der OAS tiefer ins
Chaos zu stoßen. Die Bemühungen der OAS und der UN um die Wiederherstellung der Demokratie in Haiti wurde entscheidend durch die uneindeutige
Haltung der Vereinigten Staaten geschwächt, denen der gestürzte legitime
Präsident Aristide politisch nicht geheuer war.
Trotzdem werden die USA geradezu mit einem „demokratischen Interventionismus“ identifiziert. Sie sind ein Land, dessen politische Tradition
und Kultur es anfällig für demokratische Kreuzzüge macht, sei es in der
liberalen Variante des „Wilsonismus“ oder in der des Reaganismus.345 Von
jeher will sich Washington in der Westlichen Hemisphäre in einer politisch
und wirtschaftlich befreundeten Umwelt bewegen. Die sich seit Anfang der
90er Jahre entwickelnde Funktion der OAS zur Sicherung der Demokratie
hat es deshalb beifällig begrüßt, zumal sie sich in die große Perspektive
„von der Eindämmung zur Erweiterung“ („from containment to
enlargement“) fügt, die Sicherheitsberater Lake im Herbst 1993 als Teil
einer außenpolitischen „Clinton-Doktrin“ skizziert hat. Diese Strategie zielt
auf die Entstehung und Absicherung immer neuer marktwirtschaftlich orientierter Demokratien seit der Niederlage des Kommunismus („a strattegy of
American efforts to enlarge the community of market democracies“).346
Ein entsprechender Führungsanspruch der USA – als „hegemonic
stabilizer“ würde jedoch den Keim zur Selbstzerstörung des Defense-ofDemocracy-Regimes der OAS legen: Aus historisch begründeter Vorsicht
mißtrauen die lateinamerikanischen Staaten einer solchen Anmaßung. Wiederkehrende Versuche von US-Regierungen, „Demokratie zu exportieren“,
waren zudem im Ergebnis „usually negligible, often counterproductive, and
only occasionally positive“, wie Lowenthal knapp bilanziert.347
In den folgenden Fallstudien zur Anwendung der „Resolution 1080“ wird
der heterogenen Interessenlage der meisten lateinamerikanischen Staaten
und ihren Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Defense-of-DemocracyRegimes noch im Detail nachzugehen sein.
Dabei wird nachzuweisen werden, daß die OAS in ihrer neuerworbenen
Rolle als Garant der Demokratie keine eigenständige Akteursqualität erhielt,
_______________
345
346
347
Siehe die ideologiekritische Studie von Thomas Carothers: In the name of democracy: U.S.
policy toward Latin America in the Reagan years, Berkeley 1991
Anthony Lake: „A strategy of enlargement and the developing world“, in: U.S. Department
of State Dispatch 4 (25.10.1993) 43, 748-751, 748
Abraham F. Lowenthal: „The United States and Latin American democracy: learning from
history“, in: Ders. (Hg.): Exporting democracy: the United States and Latin America,
Baltimore 1991, 383-405, 383
115
sondern fallweise mit „geliehener“ Ordnungsmacht operieren muß und deshalb unmittelbar vom divergierenden und stets wechselhaften politischen
Willen der Mitgliedsstaaten abhängig bleibt. Die um so wichtigere Rolle
prominenter „impulsores“ reduzierte sich durch den unrühmlichen Abgang
des Venezolaners Perez auf den Argentinier Menem. Die
Regimeentwicklung bleibt durch die zuletzt auf der 23. Generalversammlung der OAS in Mangua im Juni 1993 erneut zutage getretene Spaltung der
Mitgliedschaft in „Nichtinterventionisten“ und „Aktivisten“ strukturell begrenzt.348
5.
Testfälle für das Defense-of-Democracy-Regime seit 1991
Schon kurz nach der „Verpflichtung von Santiago“ hatte sich die neue
interamerikanische Demokratiedoktrin zu bewähren: Im September 1991
putschte das Militär in Haiti gegen Präsident Aristide. Im Februar 1992
scheiterte ein (erster) Putschversuch in Venezuela – ein Ereignis, das wegen
der außergewöhnlichen demokratischen Kontinuität dieses Landes besonders schockierte. Im April 1992 bediente sich Perus Präsident Fujimori des
Militärs, um durch einen „Selbstputsch“ Parlament und Justiz auszuschalten.
Einen solchen „kalten“ Staatsstreich kopierte der guatemaltekische Präsident
Serrano im Mai 1993. Diese Ereignisse, auf die die OAS sehr unterschiedlich reagierte, prägten auch die weitere Diskussion zum Thema Demokratie.
5.1 Erfolglose Sanktionen gegen das Militärregime in Haiti (19911994)
Nicht einmal vier Monate nach seiner Installierung wurde das Defenseof-Democracy-Regime der OAS einem ersten Test ausgesetzt in einer Krise,
die sich über drei Jahre hinziehen sollte. Jean-Bertrand Aristide, der im
Dezember 1990 mit haushoher Mehrheit gewählte erste demokratische
Präsident Haitis und das Idol der armen Massen, wurde durch einen blutigen
Putsch am 29. September 1991 von Armeechef Raoul Cédras in Exil gezwungen. Das Militärregime begann das Land mit einem Ausmaß an Gewalt
zu terrorisieren, das an die Zeiten der Duvalier-Diktaztur erinnerte.
Unter dem Mandat der „Resolution 1080“ reagierte die Außenministerkonferenz der OAS unverzüglich. Bereits drei Tage nach dem Coup forderte
sie die Militärjunta einstimmig und energisch zur Rückgabe der Macht an
den gestürzten Präsidenten auf. Sie empfahl den Mitgliedsstaaten jedwede
wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit mit Haiti abzubrechen und
_______________
348
„OAS sidesteps ‚effectiveness‘ issue“, in: Latin American Weekly Report (24.06.1993) 24,
282-283
116
die Junta diplomatisch zu isolieren. Der Aufruf schloß sogar eine versteckte
Drohung mit Intervention („weitere Maßnahmen“) ein.349 Ebenso umgehend
reiste eine OAS-Delegation unter der Führung des Generalsekretär Baena
Soares – zu ihr zählten auch mehrere Außenminister – nach Port-au-Prince,
um Cédras mit Hinweis auf politische Isolation, Nichtanerkennung und
wirtschaftliche Sanktionen zum Nachgeben zu bewegen. Die Gespräche der
OAS wurden von einigen Truppenteilen mit Drohgebärden begleitet und
blieben ergebnislos. Deshlab beschlossen die OAS-Außenminister nach
einer ersten solchen Empfehlung, am 8. Oktober 1991 strikte Sanktionen,
indem an die Mitgliedsstaaten die Aufforderung erging, Haitis Vermögenswerte zu sperren und das Land mit einem Handelsembargo zu belegen, von
dem nur humanitäre Hilfe auszunehmen war.
Auf Anregung von Aristide, den die erfolgreichen OAS- und UN-Missionen zur Sicherung der freien Wahlen im Dezember 1990 stark beeindruckt
hatten, bot die OAS die Entsendung eines zivilen Expeditionskorps („OEADEMOC“) an, um als Puffer zwischen den feindlichen Fraktionen die Wiederherstellung der demokratischen Institutionen zu erleichtern.350
Daß die OAS in der haitischen Krisendiplomatie die Initiative sofort an
sich ziehen konnte, ist auf zwei Gründe zurückzuführen:
Erstens waren die USA bereit, Ordnungsmachtfunktionen an die OAS zurückzuverlagern. Präsident Bush wollte keine direkte militärische Intervention wie in Panama betreiben und erwog ein Eingreifen allenfalls im Rahmen einer kollektiven OAS-Aktion:
„I am disinclined to use American force […]. We´ve got a big history of
American force in this hemisphere, and so we´re got to be very careful about
that. But I will see how others feel at the O.A.S. There might be some talk
over there about a multinational force of some sort, so we´ll have to wait and
see.“351
Vom venezolanischen Präsidenten Pérez ließen ich die USA in eine
OAS-Koalition hineinziehen, obwohl sie an einer Wiedereinsetzung
Aristides nicht dringend interessiert waren. Washington sah in Oberschicht
und Armee natürliche Verbündete, während es an der regierungfähigkeit und
den demokratischen Tugenden des so erratischen wie charismatischen Armenpriesters zweifelte, der einen aus der kreolischen Volkskirche kommenden Antiamerikanismus pflegte.
_______________
349
350
351
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „MRE/RES. 1/91: Support to the
democratic government of Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 1/91 corr. 1, 03.10.1991
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „MRE/RES. 2/91: Support for
democracy in Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 2/91, 08.10.1991
117
Zweitens hatte die OAS mit den Santiago-Beschlüssen die Fessel des unbedingten Nichtinterventionismus so weit gelockert, daß sie mit unverzüglichen Sanktionen ihre Entschlossenheit zur kollektiven Verteidigung demokratischer Regierungen demonstrieren konnte, während der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen im Fall Haiti zunächst zu einem Eiertanz gezwungen
war. Das Gremium konnte sich nur au feine moralischen Unterstützung in
Form einer völkerrechtlich unverbindlichen Erklärung des Ratspräsidenten
einigen, in der die Bemühungen der OAS unterstützt wurden und die Wiedereinsetzung der „legitimen Regierung“ gefordert wurde. Eine von Frankreich eingebrachte verbindliche UN-Resolution, die den Putsch formell
verurteilt hätte, wurde durch die von China (Vetomacht) und Indien angeführten blockfreien Ratsmitglieder blockiert. Diese Länder der Dritten Welt
fürchteten einen „Präzedenzfall“ für eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten.352
In der OAS kam es hingegen schon zu einem Streit über eine mögliche
multinationale Militärintervention, auch wenn Vorschläge in dieser Richtung Fensterreden waren. Argentiniens Außenminister di Tella forderte die
Organisation auf, durch eine Änderung ihrer Statuten die Bildung einer
Eingreiftruppe zu ermöglichen. Der venezolanische Präsident Pérez unterstrich die Bereitschaft seines Landes, in einer multinationalen Truppe Soldaten nach Haiti zu entsenden. Diese Vorschläge stießen in der lateinamerikanischen Staatengruppe auf keine Begeisterung. Anfang Dezember 1991
verwarfen die lateinamerikanischen Staatschefs auf dem Gipfel der RíoGruppe in Cartagena mit großer Mehrheit den Vorschlag des argentinischen
Präsidenten Menem, eine Militärblockade gegen Haiti zu verhängen. Statt
dessen wurde in einer gemeinsamen Erklärung der dreizehn Staatschefs die
Europäische Gemeinschaft aufgefordert, sich dem Wirtschaftsembargo der
OAS anzuschließen.
Dem OAS-Vermittler Ramírez Ocaqmpo, einem ehemaligen Außenminister Kolumbiens, gelang es nicht, einen Vertreter der haitischen Militärs
an den Verhandlungstisch zu bewegen. Er handelte am 23. Februar 1992
den „Kompromiß von Washington“ (Washington Protocol) zwischen
Aristide und der Parlamentsführung in Port-au-Prince aus. Dieses Vermittlungspapier sah vor, daß der moderate Kommunistenführer Théodore Premierminister einer Übergangsregierung werden sollte, um dann die – zeitlich
nicht festgelegte – Rückkehr Aristides in die Wege zu leiten. Der De factoMachthaber Cédras sollte Armeechef bleiben, die Putschisten begnadigt
werden. Mit 250 zivilen Beobachtern wollte die OAS über die Einhaltung
_______________
352
Anthony Clark Arend: „The United Nations and the New World Order“, in: Georgetown
Law Journal 81 (1993) 3, 491-533, 500 ff.
118
des Abkommens wachen, das aber von der Junta sogleich desavouiert wurde
und toter Buchstabe blieb.353
Die OAS mußte, wollte sie ihre Glaubwürdigkeit bewahren, den Druck
gegen Haiti verstärken.354 Allerdings war auf der XXII. Generalversammlung in Nassau (Bahamas) nicht mehr von einem militärischen Eingreifen
die Rede. Die von den USA uns anderen OAS-Mitgliedern angestrebte diplomatische Isolierung scheiterte vor allem an Widerstand Mexikos, welches
die ehrwürdige Estrade-Doktrin zur Anerkennung souveräner Staaten ins
Feld führte. So blieb es bei wirtschaftlichen Maßnahmen. Eine Spezialkommission des Ständigen Rates zur Verifizierung des Embargos sollte von
OAS-Mitgliedern, die ein Unterlaufen, des Embargos duldeten,
„Erklärungen“ verlangen. Zusätzlich wurden die Mitgliedsländer aufgefordert, allen Schiffen, die das Embargo gebrochen hatten, den Zugang zu ihren
Häfen zu sperren und den Anhängern des Regimes Visa zu verweigern und
ihre Konten zu sperren.355
In der zweiten Jahreshälfte 1992 mußte die OAS erkennen, daß sich ihre
Mittel erschöpften. Folgende Gründe werden hier gesehen:
Im Gegensatz zur OAS und den ebenfalls diplomatisch involvierten Ländern Frankreich und Kanada unterstützte Washington, wo nun einmal der
Schlüssel für karibische Krisen liegt, den legitimen Machanspruch des Exilpräsidenten entgegen den ersten Erklärungen nicht rückhaltlos. Statt dessen
verstärkten die USA den Druck auf Aristide, Konzessionen an die Junta und
die mit ihr liierten zivilen Kräfte zu machen. Dies lockerte zugleich den
Druck auf die De facto-Machthaber, ein Arrangement mit Aristide suchen zu
müssen. Sie hatten eine feine Witterung für die ambivalente Haltung der
US-Regierung gegenüber Aristide. In einem geschickten Schachzug präsentierten sie Anfang Juni 1992 als neuen Premierminister den Wirtschaftsfachmann Marc Bazin, der als langjähriger Weltbank-Funktionär über gute
Verbindungen in Washington verfügte. Tatsächlich begannen die USA offen
mit der Option eines „dritten Weges“ – einer Rückkehr Haitis zur Normalität auch ohne Aristide – zu liebäugeln. Dies unterminierte die Position der
OAS, die anders als bei ihrem Umgang mit dem panamaischen Diktator
_______________
353
354
355
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „Support of the Secretary General to
the Ad Hoc Meeting of Ministers of Foreign Affairs on Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/Doc.
4/92, 14.05.1992
Permanent Council: „Declaration of the Permanent Council on the situation in Haiti“,
OEA/Ser. G, CP/Doc. 2248/92, 01.04.1992
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „MRE/RES. 3/92: Restoration of
democracy in Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 3/92, 17.05. 1992; Howard M. French:
„Americas approve forceful steps to restore ousted Haitian leader“, New York Times,
18.05.1992, A1; A8
119
Noriega und seinen zivilen Marionettenregierungen diesmal den „de factos“
verwehrte, sich international auch nur den Anschein von Autorität einer De
iure-Regierung zuzulegen.
Die Administration Bush gab überdies ein psychologisch verheerendes
Signal, indem sie gegen den Willen der OAS vom US-Handelsembargo die
in amerikanischem Besitz befindliche Offshore-Lohnveredelungsindustrie in
Haiti ausnahm. Diese euphemistisch als „Feinabstimmung“ der Sanktionen
bezeichnete Maßnahme wurde offiziell mit humanitären Gründen gerechtfertigt, ging aber Berichten zufolge auf die Intervention interessierter Wirtschaftskreise zurück.356 Der gelockerte wirtschaftliche Druck ermunterte die
Junta, den Widerstand gegen eine Rückkehr Aristides fortzusetzen. Das
OAS-Embargo wurde aber ohnehin bis zur Wirkungslosigkeit hintergangen
– und dies vor allem von OAS-Mitgliedsstaaten selbst, für die die Sanktionen lediglich einen Empfehlungscharakter hatten.357 Die OAS-Charta biete
nämlich keinerlei Handhabe, die kollektive Befolgung von Sanktionen zu
erzwingen, schon gar nicht für Konflikte und Interventionen unterhalb der
Gewaltschwelle.358 Die Druckwirkung des OAS-Embargos verpuffte nicht
zuletzt auch deshalb, weil es von Staaten außerhalb der Region nicht anerkannt wurde. So fühlte sich die Europäische Gemeinschaft daran kollektiv
nicht gebunden.
Das löchrige Embargo verfehlte darüber hinaus seinen Zweck, weil es die
soziale Lage der Bevölkerung des Armenhauses der Karibik abgrundtief
verschlechterte, während es die schmale feudalistische Oberschicht und die
von ihr ausgehaltenen Militärs kaum traf. Den Militärs erschloß der umfangreichen Drogenschmuggel sichere Einnahmequellen, so daß ein „trickle up“
des Embargos ausblieb.
Die anfänglich federführende OAS richtete nunmehr ihre Hoffnung auf
eine Kooperation mit den Vereinten Nationen, die in der Haiti-Krise bis
dahin ein niedriges Profil hatten.359 Am 13. Dezember 1992 erging das
formelle Ersuchen, dem regionalen Handelsembargo mit einem Beschluß
des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta (insbesondere Art. 41)
_______________
356
357
358
359
Al Kamen; John M. Goshko: „U.S. plans to ease embargo on Haiti: OAS chief expresses
caution“, Washington Post, 05.02.1992, A1; A26
„OAS admits embargo has failed in Haiti“, Boston Globe, 28.08.1992, 2
Domingo E. Acevedo: „The Haitian crisis and the OAS response: a test of effectveness in
protecting democracy“, in: Enforcing restraint: collective intervention in internal conflicts /
Lori Fisler Damrosch (Hg.), New York 1993, 119-155, 135 f.
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „Notes of the Secretary General of
the Organisation and of the Secretary-General of the United Nations on cooperation
between the two organizations in regard to Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/INF. 15/92,
22.07.1992; Permanent Council: „CP/RES. 594 (923/92), 10.11.1992
120
weltweit Verbindlichkeit zu verleihen.360 Dies sollte nicht als Kapitulation
der Regionalorganisation verstanden werden: Der OAS-Generalsekretär
unterstrich, daß der Sicherheitsrat nicht anstelle, sondern in Ergänzung der
OAS tätig werden solle. Ein solches paralleles Krisenmanagement beider
internationaler Organisationen, deren Verhältnis während des Ost-WestKonfliktes von machtpolitischer Rivalität geprägt gewesen war, hatte sich
bereits seit 1989, bei der engen Zusammenarbeit zur Beendigung des Konfliktes in Nicaragua, bewährt, wirft aber nach wie vor völkerrechtliche Abgrenzungsprobleme auf.361
Vor den UN hatte die Militärjunta nur wenig mehr Respekt als vor der
OAS. Als einzig wirklich greifbaren Erfolg erreichte der im Dezember 1992
von den Generalsekretären von UN und OAS zum Haiti-Sonderemissär
ernannte frühere argentinische Außenminister Dante Caputo im Januar 1993
eine Einigung mit den Machthabern in Port-au-Prince über die Entsendung
eines größeren Kontingents von Menschenrechtsbeobachtern. Die gemeinsame „OAS/UN International Civilian Mission (MICIVIH)“, die ein Novum
in der Zusammenarbeit beider Organisationen darstellte, sollte 400 Beobachter umfassen, was eine erhebliche Steigerung bedeutete, da die OAS im
September 1992 nur 17, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkte Beobachter („OAS-DEMOC“) hatte entsenden können. Die Militärjunta ließ
jedoch im Mai 1993 weitere Verhandlungen scheitern und verlegte sich auf
eine endlose Hinhaltepolitik.
Auf Antrag der USA, wo die neue Clinton-Administration das HaitiProblem von der Vorgängerregierung Bush geerbt hatte, beschloß die OASAußenministerkonferenz daraufhin am 6. Juni 1993 ein Ölembargo und die
Einstellung aller zivilen Flugverbindungen mit Haiti.362 Der UN-Sicherheitsrat zog am 23. Juni mit einem Erdöl- und Waffenembargo nach und verfügte
die Einfrierung der Finanzmittel des karibischen Staates im Ausland. Von
einer Seeblockade sah das UN-Führungsgremium zunächst ab. Dagegen
hatte sich insbesondere Brasilien gewehrt, das souveränitätspolitische Bedenken geltend machte.363
Mit Rücksicht auf die in der UN-Charta verankerten Souveränitätsrechte
von Staaten begründete der Sicherheitsrat seine Entscheidung deshalb formell nicht direkt mit der Sorge um die Menschenrechte und die Bemühung
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360
361
362
363
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „MRE/RES. 4/92: reinstatement of
democracy in Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 4/92 corr. 1, 13.12.1992
Yves Daudet: „L’ONU rt l’OEA en Haïti et le droit international“, in: Annuaire Français de
Droit International 38 (1992), 89-111
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Haiti): „MRE/RES. 5/93: Support for the
Haitian people“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 5/93 corr. 1, 06.06.1993
„Haiti: Brazil doesn’t help“, International Herald Tribune, 19./20.06.1993, 4
121
um eine Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in Haiti. Vielmehr
berief er sich auf das in Kapitel VII der UN-Charta, das bei einer Gefährdung des internationalen Friedens zu Zwangsmaßnahmen gegen einen Staat
ermächtigt. Als Gefährdung des Friedens interpretierte der Rat die seit dem
Putsch zum Massenexodus angeschwollene Flucht von haitischen Boat
people in Richtung USA. Der UN-Sicherheitsrat folgte dabei seinem seit
Anfang der 90er Jahre erkennbaren erweiterten Begriff der Friedensbedrohung, den er auch in bezug auf die Unterdrückung von Minderheiten im
Irak, die Auslieferung der Lockerbie-Attentäter durch Libyen und im Fall
von Somalia angewandt hatte. Dies erschien China und bestimmten blockfreien Staaten als ein Kontinuitätsbeginn, der abgewendet werden mußte,
und sie veranlaßten zu Beginn der Haiti-Krise den als „schizophren“ erscheinenden Rückwärtsschwenk des Sicherheitsrates zu einer restriktiv
ausgelegten Zuständigkeit.364 Mit seiner Resolution 841 (1993) zeigte der
Rat aber neuerlich Bereitschaft, auf einen „inneren Friedensbruch“ in einem
souveränen Mitgliedsstaat zu reagieren.
Der Druck von UN, OAS und der als „Freunde des Generalsekretärs“
firmierenden Haiti-Kontaktgruppe (Frankreich, Kanada, Venezuela und die
Vereinigten Staaten) zeigte diesmal bessere Wirkung. Unter amerikanischer
und UN-Vermittlung einigten sich am 3. Juli 1993 die beiden Hauptkontrahenten Aristide und Cédras auf einen Plan zu Rückkehr des demokratisch
gewählten Präsidenten, der dem im Februar 1992 von der OAS ausgehandelten, aber seinerzeit fehlgeschlagenen „Kompromiß von Washington“
nachgebildet war. Kernstück des nach dem Tagungsort Governors Island
„New York) benannte Vertrages war ein Machtwechsel in Schritten unter
den Auspizien von UN und OAS. Die Vereinbarung sah vor, daß Aristide
einen Premierminister nominierte, dessen Ernennung vom Parlament in
Port-au-Prince bestätigt werden mußte. Unmittelbar nach der Bestätigung
sollten die von OAS und vom Sicherheitsrat verhängten Sanktionen suspendiert werden, Haiti bedeutende Wirtschaftshilfe erhalten und von UN-Beratern bei der Reform („Professionalisierung“) der Armee und bei der Bildung
neuer Polizeikräfte unter ziviler Hoheit unterstützt werden. Der Präsident
mußte laut dem Plan eine Amnestie erlassen, von der die Putschisten von
1991 profitieren sollten. Cédras würde seine „Option auf eine vorgezogene
Pensionierung“ ausüben und einem von Aristide zu ernennenden Oberbefehlshaber Platz machen, welcher für die Zusammensetzung des neuen Generalstabs zuständig sein sollte. Erst danach, am 30. Oktober, 25 Monate
_______________
364
Arend, United Nations, 497
122
nach seiner Vertreibung, sollte der Präsident wieder seinen Platz in Haiti
einnehmen.365
Ein Sprecher der Clinton-Regierung nannte das Abkommen von
Governors Island einen Beweis dafür, „that pro-democracy policies can be
forged through the United Nations, in cooperation with governments in the
region“. Er sagte weiter: “This shows that multilateralism can work“. USAußenminister Christopher nannte das Abkommen „a good example of the
emerging era of multilateral diplomacy.“
Das Abkommen wurde voreilig bejubelt, denn gerade seine Lücken und
Fallstricke programmierten einen Fehlschlag des multilateral assistierten
Demokratisierungsplanes:
„The Governors Island Accord was a profoundly flawed an inconclusive
document. The agreement continued no mechanisms for enforcement, no
penalties for noncompliance, and dangerous concessions to Haitian military
leaders.“366
Daß Cédras nicht unmittelbar weichen mußte, sondern mit nichts weiter
als der Erklärung, daß er immerhin seinen Rücktritt (nicht aber ausdrücklich
seine Expatriierung!) in Erwägung ziehen werde, bis zu der für den 30.
Oktober 1993 vorgesehenen Wiedereinsetzung des entmachteten Präsidenten im Amt bleiben konnte, verschaffte der Militärführung die Zeit für neue
Fait accomplis. Ein schwerwiegender Fehler war es, daß UN und OAS dem
Abkommen gemäß ihre Sanktionen “unmittelbar“ nach der Bestätigung von
Aristides neuem Premierminister Robert Malval, aber noch Monate vor der
Rückkehr Aristides aussetzten und jenes Mittel aus der Hand gaben, das
zusammen mit massivem Druck der USA die Militärs erst zu Verhandlungen
bewegt hatte. Die mögliche Wiederverhängung des Embargos war eben
nicht das „Damoklesschwert“, das der US-Sonderbotschafter für Haiti,
Lawrence Pezzullo, erkennen wollte, so lange nicht bestimmt wurde, wann
das Maß an Verzögerung oder Mißachtung des Demokratieplans voll war.
Einzig ein UN-Papier bezeichnete als einen Verstoß gegen den „Geist“ des
Abkommens
„numerous violations of the human rights and fundamental freedoms set
forth in the international instruments to which Haiti is a party and in the
Constitution of Haiti“,367
_______________
365
366
367
„Agreement of Governors Island, signed by the Constitutional President of Haiti, His
Excellency Jean-Bertrand Aristide, and by general Raoul Cedras, on July 3, 1993“,
OEA/Ser. F/V.1, MRE/INF. 38/93, 07.07.1993
Kate Doyle: „Hollow diplomacy in Haiti“, in: World Policy Journal 11 (1994) 1, 50-58, 53
United Nations, General Assembly / security Council: „Support of the Secretary-General:
The situation of democracy and human rights in Haiti“, A/47/875; S/26063, 12.07.1993, 4
(Ziffer 11)
123
ohne zu quantifizieren, so merkt Doyle bitter an, wie viele Menschen
terrorisiert und getötet werden mußten, damit die Sanktionen reaktiviert
würden.368 Tatsächlich verführte der in wesentlichen Punkten vage Plan die
Militärführung, die internationale Entschlossenheit auf die Probe zu stellen.
Offensichtlich war die Signatur von Cédras von vornherein nichts wert
geweswen. Vor allem die USA überschätzten bei den Verhandlungen die
Lauterkeit des haitischen Militärs, das sie als Stabilitätsgaranten zu reformieren hofften, so wie sie die tiefsitzende Furcht der Oligarchie Haitis vor
einer grundlegenden Machtverschiebung unterschätzten. Die Offiziere, von
ihnen unterhaltene paramilitärische Terrorbanden und zivile NeoDuvalieristen wollten keinen Kompromiß, da sie befürchteten, daß nach
einer Wiedereinsetzung Aristides dessen Volksbewegung Lavalas („reinigende Flut“) die bisherigen Herrschaftsstrukturen wegfegen könnte. Der
Terror gegen die in Basisgruppen orgaisierten Anhänger Aristides und gegen die breite Bevölkerung eskalierte, während die Vorbereitungen zur
Entsendung der UNO-„Blaumützen“, die zu einer friedensstiftenden Übergangsordnung beitragen sollten, äußerst schleppend vorangingen. Cédras
unterbrach schließlich die vereinbarte Zug-um-Zug-Übergabe der Macht mit
Nachforderungen zum Abkommen.
Den Militärmachthabern, die mit hohem Einsatz spielten, kam die weltpolitische Lage zu Hilfe. Die Clinton-Administration stand wegen der demütigenden Verluste der US-Truppen in Mogadiscio innenpolitisch unter
Druck einer antiinterventionistischen Stimmung. Nach während des Marineschiff „Harlan County“, das etwa 200 amerikanische und kanadische Militärinstruktoren und Techniker als Vorhat der UN-Mission (UNMIH) beförderte, Kurs auf Haiti nahm, diskutierte US-Verteidigungsminister Aspin mit
Außenminister Christopher die Unwägbarkeiten eines „zweiten Somalia“.
Bei einer derartigen Verunsicherung der Weltmacht USA genügte dann eine
Handvoll bewaffneter Provokateure im Hafen von Port-au-Prince, um die
„Harlan County“ unverrichteterdinge zurückzubeordern. Ohne die Vereinten Nationen und die OAS zu konsultieren und zu informieren, schreckte
Washington fatalerweise davor zurück, die Landung der internationalen
Überwachermission durch die Entsendung weiterer Soldaten zu erzwingen,
die den Widerstand des Militär und des von ihnen losgelassenen Mobs vermutlich sinnlos gemacht hätte. Die Vereinten Nationen, deren militärischer
Arm hier wie auch in Somalia amerikanische Soldaten waren, waren blamiert. Während die demokratiefeindlichen Kräfte in Haiti ihren leicht
errungenen Sieg kaum fassen konnten, mußten die zur schutzlosen Zielscheibe gewordenen UN/OAS-Menschenrechtsbeobachter von ihren Orga_______________
368
Doyle, Hollow diplomacy, 54
124
nisationen überstürzt abgezogen werden. Kurz darauf wurde der Justizminister der machtlosen Regierung Malval auf offener Straße ermordet.
Das Scheitern der multilateralen Haiti-Operation im Somalia-Schatten
wirft grundsätzlich Fragen auf:
„In the end, it was the U.S. disengagement from a military mission the
administration had wished on the U.N. that precipitated collapse. Haiti as
well as Somalia poses hard questions about whether a U.N. operation can
afford to accept the participation of U.S. troops, given the current state of
U.S: public and congressional opinion.“369
Die starke Abhängigkeit multilateraler Krisendiplomatie von der Innenpolitik des maßgeblichen Einzelakteurs USA wird sogleich zu erörtern sein.
Als der vertraglich vereinbarte Tag für die Rückkehr Aristides, der 30.
Oktober, ergebnislos verstrichen war, wurde zwar das Erdöl- und Waffenembargo der UN neu verhängt, weitere Anläufe zur Lösung der Krise blieben aber vorerst aus. Danach kochte das Thema Haiti in der internationalen
Politik monatelang auf kleiner Flamme. Die Regierung Clinton schien überzeugt, daß eine Lösung gegen Cédras und die Militärs nicht möglich war,
während ihr Engagement für die Sache des Exilpräsidenten zunehmend
schwächer wurde. Doch sie blieb in einer störungsanfälligen Allianz an den
unbequemen Aristide gekettet, zu dem sie keine überzeugende Alternative
fand.
Die innenpolitische Sorge vor einer Flüchtlingswelle gehörte zu den
wichtigsten Motiven in Washington, die internationalen Anstrengungen um
eine Behebung der Haiti-Krise nicht ganz im Sande verlaufen zu lassen. Wie
schon unter der Administration Bush wurden haitische Bootsflüchtlinge,
deren Zahl dramatisch anschwoll (im Vergleich zur illegalen Immigration
aus Mexiko aber ein Rinnsal blieb), auf hoher See aufgegriffen und mehrheitlich ohne reguläres Asylverfahren in ihre Heimat deportiert und damit
den Militärs ausgeliefert. Clinton geriet wegen dieser Praxis der Zwangsrückführung haitischer Flüchtlinge, die er im Wahlkampf gegen Bush noch
selbst kritisiert hatte, unter Beschuß des überparteilichen Zusammenschlusses schwarzer Kongreßabgeordneter („Black caucus“). Seine als führungsschwach kritisierte Außenpolitik begann zudem im Vorfeld der
Erneuerungswahlen für den Kongreß im November 1994 sein innenpolitisches Durchsetzungsvermögen zu tangieren. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung entschloß sich die Clinton-Administration zu einer Neuformulierung ihrer Haiti-Politik und wurde zusammen mit Frankreich, Kanada
und Venezuela aktiver.
_______________
369
Ian Martin: „Haiti: managed multilateralism“, in: Foreign Policy (1994) 95, 72-89, 88
125
Auf Betrieben der USA verhängte der UN-Sicherheitsrat über das bisherige Treibstoff- und Waffenembargo hinaus ein fast vollständiges Handelsembargo – worauf die Junta nur mit einer provokativen Geste antwortete
und vom Rumpfparlament in Port-au-Prince einen Marionetten-Präsidenten
vereidigen ließ. Auf ihrer 24. Generalversammlung im brasilianischen
Belém setzte die OAS ebenfalls in erster Linie auf die Wirkung verschärfter
internationaler Sanktionen gegen Haiti, schloß aber eine bewaffnete Intervention nicht aus. Dabei setzten sich die USA, Kanada, Argentinien und
einige andere Länder mit ihrer Auffassung durch, wonach die Möglichkeit
einer Militärintervention – als Drohung und weiterer Einschüchterungsversuch – offengehalten werden sollte. Diese Option wurde in der schließlich
verabschiedeten Resolution zwar nicht erwähnt, aber auch nicht explizit
ausgeschlossen, wie dies einige Mitgliedsstaaten (Mexiko, Brasilien, Bolivien, Uruguay und Peru) gefordert hatten, die die Verpflichtung zu einer
„friedlichen Lösung“ hatten hineinschreiben wollen.370 Gleichwohl war die
Stimmung in der OAS eindeutig gegen militärisch abgestützte Maßnahmen.371
Auch die Clinton-Administration steuerte einen schwankenden Kurs, indem sie wiederholt ein militärisches Eingreifen androhte, zu dem sie sich
sehr lange nicht entschließen konnte. Sie vermied es deshalb, der vagen
Warnung mit spezifischen Bedingungen einen ultimativen Charakter zu
geben, obwohl eine Militärintervention angesichts der an die mutwilligen
Provokationen Noriegas erinnernden Renitenz der haitischen Militärs zunehmend unausweichlich erschien. Nach dem Scheitern der Sanktionspolitik
und mangels anderer Alternativen mußte Clinton, der unter dem Druck der
Flüchtlingskrise unter Entscheidungszwang geriet, die militärische Option
ernsthafter ins Auge fassen. Hinzu kam, daß Haitis Putschistenregime weiter
mit dem Feuer spielte und am 11. Juli 1994 die etwa 120 internationalen
Beobachter von UN und OAS ultimativ aus dem Land jagte. Mit dieser
Provokation schalteten die Militärs zugleich das internationale Alarmsystem
aus, um ungestört die Reste der demokratischen Gegenkultur in Haiti beseitigen zu können.
Wegen der ablehnenden Haltung regionaler Schwergewichte wie Mexiko
und Brasilien war für die USA die Zustimmung zu einer von ihnen geführten
militärischen Invasion in Haiti von den anderen 14 Sicherheitsratsmitgliedern leichter zu erreichen als von der durch das Medium des Konsens agierenden Organisation der 34 amerikanischen Staaten. Am 31. Juli 1994 ver_______________
370
371
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting on Haiti: „MRE/RES. 6/94: Call for the
return to democracy in Haiti“, OEA/Ser. F/V.1, MRE/RES. 6/94, 09.06.1994
Howard M. French: „Latin Americans reject use of force to unseat Haiti military“,
International Herald Tribune, 14./15.05.1994, 3
126
abschiedete der UN-Sicherheitsrat mit zwölf Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen (China und Brasilien) die von den USA lancierte, aber tagelang
heftig umstrittene Entschließung 940. Sie autorisierte, ohne ein zeitliches
Ultimatum zu setzen, den „Einsatz aller notwendigen Mittel“ zur Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse auf Haiti. Die Resolution ließ (nach
dem Muster der Ermächtigung zur Operation „Dessert Storm“ gegen den
Irak und wie Ende 1992 in Somalia) den USA freie Hand für eine von ihnen
zu tragende militärische Blitzaktion zur Vertreibung der Generäle, versicherte sie aber andererseits einer multilateralen Nachfolgeoperation unter
der Flagge der Vereinten Nationen.
Brasilien bekundete schwerwiegende Bedenken und übte praktisch im
Namen der Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten Stimmenthaltung.
Allein Argentinien stimmte im Sicherheitsrat für die Resolution. Venezuela
initierte zusammen mit weiteren Staaten der Region einen aussichtslosen
„letzten Dialog“ mit den Machthabern in Port-au-Prince, um eine „lateinamerikanische Lösung für ein lateinamerikanisches Problem“ zu finden.372
Ein wenig beachteter Aspekt der vom UN-Sicherheitsrat auf Antrag der
Vereinigten Staaten verabschiedeten Resolution 940 war übrigens eine Abkehr von der Monroe-Doktrin, laut der sich die USA ein militärisches Eingreifen in der westlichen Hemisphäre vorbehielten, wo immer sie ihre regionalen Interessen gefährdet sahen. Erstmals in der Geschichte amerikanischer
Lateinamerika-Politik ersuchte die Regierung in Washington vor einer
Intervention in der als „amerikanischer Hinterhof“ bezeichneten Region um
die Zustimmung der Vereinten Nationen. Während Präsident Bush 1989
noch ohne ein Mandat des Sicherheitsrates die Invasion Panamas anordnete,
scheint Präsident Clinton damit das von früheren Präsidenten machtbewußt
praktizierte regionalpolitische Vorrecht zugunsten einer multilateralen Flankierung der amerikanischen Außenpolitik aufgegeben zu haben.
Trotz der Ermächtigung durch die Vereinten Nationen zögerte Präsident
Clinton noch geraume Zeit, bevor er am 19. September 1994 15 Tausend
amerikanische Soldaten nach Haiti in Marsch setzte. Eine gewaltsame Konfrontation mit der siebentausend Mann starken Streitmacht Haitis (eigentlich
kaum mehr als eine schlecht gerüstete Soldateska ohne klare Hierarchie,
deren Hauptzweck es war, die eigene Bevölkerung zu terrorisieren) konnte
vermieden werden, weil es dem früheren Präsidenten Carter durch Verhandlungen in letzter Minute gelang, die Militärführung zum unblutigen
Rückzug zu bewegen. Diese gewissermaßen „ausgehandelte“ Intervention
der USA, deren Mandat am 31. März 1995 auf die Vereinten Nationen
überging, war entgegen allen anfänglichen Befürchtungen relativ erfolg_______________
372
„Wave of opposition in Latin America to US-led invasion of Haiti“, in: Latin American
Weekly Report (11.08.1994) 30, 349
127
reich. Der durch die Intervention ins Amt zurückgebrachte Aristide verzichtete auf eine zweite Amtszeit und mutierte zum Versöhnungspolitiker,
weshalb ihn militante Mitstreiter zu verdächtigen begannen, er sei eine Marionette der USA. Größere Gewaltausbrüche konnten bisher vermieden
werden. Die internationale Aufbauhilfe für Haiti lief an, auch wenn die
verelendete Bevölkerung ihre Wirkungen noch kaum spürt. Der Aufbau
eines Justizsystems und einer armeeunabhängigen Zivilpolizei durch amerikanische, kanadische und französische Instruktoren machte erkennbar Fortschritte. Die drastisch auf 1500 Mann verkleinerte Armee stellt kaum noch
eine wirkliche Bedrohung für den insgesamt höchst fragilen Demokratisierungsprozeß dar. Es ist aber fraglich, ob das im Februar 1996 mit der Amtsübernahme eines neuen haitischen Präsidenten – dessen Wahl für den Dezember 1995 vorgesehen ist – zu Ende gehende UN-Mandat ausreicht, um
die Verhältnisse in Haiti genügend zu stabilisieren. Ein Entgleisen des Demokratisierungsexperiments, über dem immer noch der Somalia-Schatten
liegt, ist wegen der langen Gewalttradition in dem innerlich zerrissenen
Haitis nach wie vor nicht auszuschließen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die OAS in der ersten Bewährungsprobe ihres Defense-of-Democracy-Regimes umgehend und scharf
reagierte. Anders als noch 1989 gegenüber Panamas Diktator Noriega
machte im Oktober 1991 dem Putschistenregime in Haiti unmißverständlich
klar, daß sie nicht gewillt war, den Sturz einer gewählten Regierung zu akzeptieren. Gleichwohl wurde während der dreijährigen Haiti-Krise deutlich,
daß die Staatenorganisation keine Mittel besaß, den Widerstand der obstinaten Militärs zu brechen und daß die multilaterale Haiti-Diplomatie der
OAS, und später auch der Vereinten Nationen, in großem Maße abhängig
blieb von den USA als dem maßgeblichen Einzelakteur. Daß dessen teilweise erratische außenpolitische Entscheidungen vor allem unter innenpolitischen Gesichtspunkten gefällt werden, hat, worauf noch einzugehen sein
wird, erhebliche Rückwirkungen auf den Einsatz und die Effektivität multilateraler Instrumente im Rahmen der OAS.
5.2 „Weiche“ Reaktion auf den Präsidentenputsch in Peru (1992)
Das demokratische Lateinamerika schreckte erneut auf , als sich am 5.
April 1992 Perus Präsident Alberto Fujimori mit Unterstützung des Militärs
diktatorische Vollmachten gab. Er verfügte die Auflösung des Parlaments
(Congreso) und suspendierte die Verfassung, soweit sie den Zielen seiner
„Notstandsregierung für den nationalen Wiederaufbau“ im Wege stand. Er
kündigte an, Politik und Staatsapparat – hier vor allem die Justiz – zu säubern und zu modernisieren, sowie das Land vom Terrorismus und Drogenhandel zu befreien. Fujimori strebte eine Staatsreform unter Umgehung
128
rechtsstaatlicher Mittel an: Die peruanische Verfassung von 1979 sollte
revidiert und einem Plebiszit unterworfen werden.373
Für Fujimoris Vorgehen kennt die politische Terminologie Lateinamerikas die Bezeichnung „Selbstputsch“ (autogolpe), der als gewissermaßen
„institutioneller“ Staatsstreich von der Spitze der Staatsmacht selbst ausgeht.
Fujimori hatte für die demokratischen Institutionen stets offene Verachtung gezeigt. Vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden Legitimationskrise
des peruanischen politischen Systems und seiner Führungsschicht war der
japanischstämmige Agrarwissenschaftler und „Nicht-Politiker“ Fujimori
gerade als Antityp zum hispanischen politischen Establishment im Juni 1990
in das Präsidentenamt gewählt worden. Fujimori steht seither für das Phänomen der Ablehnung der etablierten Parteien und der Wahl von Außenseitern, für das man in Lateinamerika bereits den Begriff der „Fujimorización“
der Politik geprägt hat. In Peru mit seinen existenzbedrohenden Problemen
– edemische Armut, Guerilla-Terror Korruption und Rauschgifthandel –
wurde Fujimori zum ersehnten „“deus ex machina“, dessen neoliberale wirtschaftliche Roßkur („Fuji-Schock“) die Bevölkerung trotz der fortschreitenden Pauperisierung hinnahm.
Seine Popularität verführte den sich als Volkstribum gebenden Fujimori,
der sich ohne Hausmacht in einer der etablierten Parteien einem Parlament
gegenübersah, das ihn fast geschlossen nach Kräften zu blockieren versuchte, mit dem Schwert den gordischen Knoten zu durchhauen: Er begnügte sich in diesem Dauerkonflikt, der als „angeborene“ Schwäche vieler
Präsidentialsysteme in Lateinamerika gelten kann, nicht mehr damit, per
Dekret an der störenden Legislative vorbeizuregieren, sondern entmachtete
sie in einem kalten Staatsstreich im Bund mit dem Militär. Durch Vetternwirtschaft und Bestechlichkeit waren die Volksvertreter, aber auch die von
Fujimori ebenfalls in die Wüste geschickten Richter, derart in Verruf geraten, daß die Stimmung für Fujimoris Präsidialdiktatur im eigenen Land
günstig war, obwohl die gesamte politische und geistige Elite Perus protestierte.
Die Stimmung des Auslands einzuschätzen, fiel Fujimori schwerer. Offenbar hatte er sich für seinen Versuch, nach chilenischem Vorbild unter
autoritörer Führung das Land zu einem wirtschaftlichen Aufstieg zu leiten,
eine internationale Duldung bis zum Ende seiner Amtszeit 1995 erhofft – so
wie sie vor ihm General Pinochet genossen hatte.
Die demokratisch legitimierten Regierungen in der amerikanischen Staatengemeinschaft, die in der OAS gegenüber dem Putschistenregime auf
_______________
373
[Alberto Fujimori:] „Medidas buscan transformar el Estado para lograr pacificación y
desarrollo“, El Peruano, 06.04.1992, A2
129
Haiti eine breite Ablehnungsfront bildeten, waren jedoch durch die FebruarRevolte in dem bis dahin als stabil geltenden Venezuela alarmiert. Der Coup
Fujimoris, dessen Präsidentschaft immerhin aus demokratischen Wahlen
hervorgegangen war, nährte zusätzlich die Befürchtung, die lateinamerikanischen Demokratien würden einen weiteren Bodenverlust erleiden.
Der Ständige Rat der OAS warnte deshalb vor einer gefährlichen Entwicklung und forderte die unverzügliche Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung und die Achtung der Menschenrechte in Peru. Zur
Beratung über weitere Schritte berief er gemäß Resolution 1080 („Repräsentative Demokratie“) eine Sondersitzung der Außenminister nach
Washington ein. Es war dies das dritte Mal in kurzer Folge, daß die im Jahr
1990 eingerichteten institutionellen Mechanismen der OAS zur Staatsstreichprävention ausgelöst werden mußten.
Die am 13. April 1992 zusammengekommenen Außenminister der OAS
forderten den peruanischen Präsidenten auf, die mit der Entmachtung von
Parlament und Justiz verletzte Verfassung wieder in Kraft zu setzen. In der
ohne Gegenstimme angenommenen Resolution sprach die OAS ihr „starkes
Bedauern“ über die Vorgänge in Peru aus, verhängte aber keine Sanktionen.
Der Generalsekretär der Organisation, Baena Soares, sowie der
uruguayische Außenminister Gros Espiell sollten nach Lima entsandt werden, um Fujimori zuzureden, damit er die demokratische Verfassungsordnung wiederherstelle. Außerdem wurde eine Delegation der Interamerikanischen Menschenrechtskommission beauftragt, in Peru die Entwicklung zu
beobachten und der OAS Bericht zu erstatten.374
Der peruanische Außenminister Blacker Miller stimmte nicht gegen die
Resolution, die er als „recht ausgewogen“ bezeichnete, sondern enthielt sich
der Stimme. Er nannte die Aufhebung der Verfassung eine „vorübergehende“ Maßnahme. Offenbar um das Verständnis der USA werbend, kündigte er außerordentliche Anstrengungen der peruanischen „Notstandsregierung“ gegen den Drogenschmuggel an. Der amerikanische Außenminister
Baker ermahnte jedoch Fujimori mit den Worten: „You cannot destroy
democracy in order to save it.“ Er stellte Peru vor die Wahl zwischen einem
internationalen Scherbengericht und internationaler Hilfe. Wenn Peru die
verfassungsmäßige Demokratie wiederherstelle, könne dem Land geholfen
werden. Wenn jedoch Peru „pursues the lonely and unacceptable path of
authotarianism, our solidarity, cooperation and help will be impossible.“375
_______________
374
375
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Peru): „MRE/RES. 1/92: Support for the
restoration of democracy in Peru“, OEA/Ser. F/V.2, MRE/RES. 1/92, 13.04.1992
Norman Kampster: „OAS denounces Fujimor’s power grab“, Los Angeles Times,
14.04.1992, A6
130
Die OAS-Mitglieder bekundeten insgesamt Verständnis für die gravierenden Probleme Perus, weshalb die Resolution milde ausfiel. Einer Delegation von Gegnern Fujimoris wurde es verwehrt, den Sitz Perus in der OAS
einzunehmen. Dem von den peruanischen Parlamentariern gewählten Gegenpräsidenten San Román wurde die internationale Anerkennung versagt.
Der Hauptgesprächs- und Verhandlungspartner der OAS blieb De factoPräsident Fujimori. Die Vertreter einer harten Linie gegenüber Peru, besonders Venezuela, Argentinien und Costa Rica, die hinter Fujimoris Aktion
einen verkappten Militärputsch erblickten, von dem eine Ansteckungsgefahr
für die Region auszugehen drohte, blieben deutlich in der Minderheit. Auch
die Initiative Panamas, im Vorfeld der OAS-Außenministerversammlung,
die „Betancourt-Doktrin“376 auf Peru anzuwenden, war nur insofern erfolgreich, als das Regime des Putschpräsidenten Fujimori von der aktiven Mitgliedschaft in der informellen Río-Gruppe suspendiert wurde, während kollektive diplomatische Sanktionen seitens der OAS ausblieben. Lediglich
Venezuela und Panama brachen ihre zwischenstaatlichen Beziehungen mit
Peru ab.
Das offenbar keineswegs unpopuläre Experiment Fujimoris mit der Präsidialdiktatur machte eine geschlossene und einschneidende Gegenreaktion
der OAS von vornherein wenig wahrscheinlich. Die milde Behandlung Perus durch die OAS hatte weitere Gründe. Für Fujimori zahlte sich seine
pragmatische Außenpolitik zur Zufriedenheit vor allem der Nachbarn Bolivien und Ecuador aus. Ein wichtiges Interesse der benachbarten Länder
bestand darin, Peru keinen Anlaß zu geben, sich den handelspolitischen
Verpflichtungen des 1989 wiederbelebten Andenpaktes zu entziehen. Die
Nachbarstaaten Perus hatten verlauten lassen, daß sie Sanktionen nicht zustimmen könnten. Für Kolumbien war die am 13. April 1992 verabschiedete
Resolution, an der neben den USA, Kanda, Argentinien und Brasilien selbst
maßgeblich mitgewirkt hatte, das Äußerste, was im Konsenswege zu erreichen war. Nur die USA kündigten an, bei der Überprüfung ihrer Peru-Politik etwas weiter gehen zu wollen.
Die Vereinigten Staaten hatten nach dem unerwarteten Coup Fujimoris
ihre Wirtschafts- und Militärhilfe für Peru gesperrt. Diese Entscheidung war
der Administration Busch offensichtlich nicht leicht gefallen, da sie
Fujimoris neoliberale Stabilisierungs- und Strukturanpassungspolitik sehr
schätzte. Es hatte fast 24 Stunden gedauert, bis die USA den kalten Staatsstreich Fujimoris eindeutig verurteilten. Anzunehmen ist, daß hinter den
Kulissen um die Frage gerungen worden war, ob der Marktwirtschaft oder
_______________
376
Es handelt sich um die in der venezolanischen Außenpolitik seit langem verankerte
Tradition, wonach die diplomatischen Beziehungen abgebrochen werden, wenn ein Staat
die demokratischen Normen verletzt.
131
der Demokratie der Vorrang gehöre. Den Gegensatz dieser beiden mutmaßlichen Lager, die am „Modellfall Peru“ die Richtigkeit ihrer Doktrinen zu
beweisen suchten, konnte sich Fujimori letztlich zunutze machen, wie zu
zeigen sein wird.377 Fürs erste besaßen die USA jedoch gute bilaterale
Pressionsmöglichkeiten, die dazu beitragen konnten, Fujimori auf den Pfad
der demokratischen Tugend zurückzulenken. Fujimori hatte offenbar nicht
damit gerechnet, daß die Vereinigten Staaten Ihre bilaterale Wirtschaftsund Militärhilfe tatsächlich auf Eis legen würden und daß andere Staaten der
„Unterstützungsgruppe“ für Peru im Rahmen der internationalen Finanzinstitutionen – Japan, Deutschland und Spanien – dem Beispiel der USA folgen könnten. Auch die Interamerikanische Entwicklungsbank setzte die
Auszahlung bereits zugesagter Kredite aus. Die eher symbolischen Sanktionen der OAS und der Río-Gruppe konnte die Regierung in Lima verschmerzen, nicht jedoch den Verlust der internationalen Kreditwürdigkeit, die sie
seit 1990 unter immensen Opfern der Bevölkerung wiederhergestellt hatte.
Der peruanische Finanzsektor wurde an die Zeiten von Fujimoris linkspopulistischem Vorgänger Alan García erinnert. Dieser hatte mit einer Konfrontationspolitik die internationalen Kreditgeber gegen sich aufgebracht
und den wirtschaftlichen Ruin des Landes mitverschuldet. Zudem begann
die Armee die außenpolitische Isolierung des Landes zu spüren – die gefährdete Militärhilfe der USA für den „Drogenkrieg“ machte die Militärführung nervös.
Die OAS-Sondierungsmission versuchte, während zweier aufeinanderfolgender Besuche, in Lima den innenpolitischen Dialog in Gang zu bringen.
Von vornherein war rätselhaft, wie diese Vermittlung funktionieren sollte.
Fujimori, der vor dem Coup nie das Vernehmen mit der von ihm für nutzlos
erachteten Legislative gesucht hatte, bestand darauf, die Bedingungen für
den „nationalen Dialog“ zu diktieren. Die Oppositionsparteien, die schon
vor der Auflösung des Parlaments den legitimen Präsidenten blockiert hatte,
wo sie nur konnten, verneinten erst recht jede Möglichkeit des Kompromisses, nachdem sich Fujimori diktatoriale Vollmachten angemaßt hatte. OASGeneralsekretär Baena Soares und Uruguays Außenminister Gros Espiell,
die vom 21. Bis 23. April 1992 Gespräche mit Fujimori, den Spitzen des
aufgelösten Kongresses und der politischen Partien sowie Vertretern von
Menschenrechts- und Juristenorganisationen führten, reisten unverrichteter
Dinge ab.
Nur scheinbar Bewegung gab es während der zweiten, erweiterten Sondierungsmission der OAS Anfang Mai. Fujimori kündigte im rahmen eines
einjährigen Normalisierungszeitplans, eine Verfassungsreform an, die einem
_______________
377
„Peru – ein Modellfall?“, Neue Zürcher Zeitung, 09.04.1992, FA Nr. 83, 5
132
Volksreferendum unterworfen werden sollte. Nach Fujimoris Vorstellungen
sollte mit der neuen Verfassung in Peru eine „perfektionierte“ repräsentative
Demokratie mit partizipativen Elementen, namentlich Volksbefragungen
entstehen. Wie jeder Caudillo verstand auch Fujimori sich als geborenen
Interpreten des wahren Volkswillens und sprach von „democracia real y
auténtica“.378 Der OAS-Emissär Héctor Gros Espiell durchschaute die Absicht Fujimoris, in einem Plebiszit den Coup nachträglich legitimieren zu
lassen: „[…] the envisaged direct popular vote should not be designed to
ratify the events of April 5.“379 Mit seinem ergänzenden Vorschlag einer
Verfassunggebenden Versammlung stieß Gros Espiell bei dem Außenminister Perus und Kabinettschef von Fujimoris „Notstandsregierung“, Oscar
de la Puente, jedoch auf Granit, der apodiktisch erklärte: „the term
´constituent assembly´ is not in the Government´s vocabulary.“380
Unterdessen geriet Fujimori an zwei Fronten in Bedrängnis: An der inneren Front signalisierte eine massiv zunehmende Kapitalflucht die Nervosität
der Wirtschaftskreise. Der „Leuchtende Pfad“ führte fast täglich mit Bombenanschlägen in der Hauptstadt Lima vor, daß er einer Diktatur ebenso
trotzen konnte wie einer konstitutionellen Regierung. Auf Grund des hartnäckigen Drängens seines im Ausland angesehenen Wirtschafts- und Finanzministers Carlos Blona Behr, der den absehbaren Flurschaden für sein wirtschaftliches Stabilisierungsprogramm abzuwenden versuchte, gab Fujimori
seine sture Haltung in letzter Minute auf und unterbreitete der OAS einen
Kompromißvorschlag, um wenigstens die Lage an der äußeren Front zu
beruhigen.
Es war daher keine demokratische Rückbesinnung, die Fujimori veranlaßte, überraschend nach Nassau auf den Bahamas zu fliegen und bei den
dort anläßlich der 22. Jahresversammlung der OAS tagenden
Außenministern am 18. Mai 1992 persönlich vorzusprechen. Fujimori legte
ihnen einen beschleunigten Normalisierungszeitplan vor, der das Zugeständnis einer gewählten Verfassunggebenden Versammlung erhielt. Sie
sollte noch im Jahr 1992 zusammentreten, um die peruanische Verfassung
von 1979 zu überarbeiten und zu „modernisieren“. Für den damit verbundenen Wahlgang bat Fujimori das OAS-Generalsekretariat um Wahlhilfe,
einschließlich der Wahlbeobachtung.381 Die Volkswahl der Konstituante
_______________
378
379
380
381
„La OEA concede un margen de confianza a Alberto Fujimori“, El País (Edición
internacional), 25.05.1992, 2
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Peru): Report of the mission to Peru“,
OEA/Ser. F/V.2, MRE/doc. 2/92, 17.05.1992, 12
Report of the mission to Peru, 8
Lee Hockstader: „Peruvian president takes case to OAS“, Washington Post, 18.05.1992,
A12
133
bedeutete eine Konzession an die OAS und an die Opposition, deren Gegenpräsident San Román ein ähnliches Prozedere gefordert hatte. Zuvor
hatte Fuimori darauf beharrt, die neue peruanische Verfassung durch ein von
ihm bestelltes Expertengremium ausarbeiten und in einem Plebiszit absegnen zu lassen. Die von Fujimori nunmehr vorgesehene Konstituante sollte
vorübergehend auch legislative Aufgaben übernehmen. Ihre Mitglieder
sollten für das später zu wählende Parlament nicht mehr kandidieren dürfen,
so daß sie ihre Privilegien nicht in der neuen Verfassung festschreiben
konnten. Stutzig machen mußte bei Fujimoris Vorschlag die Formel, wonach es darum gehe, zur „Institutionalität“ des Landes zurückzukehren. Von
„Konstitutionalität“ war hingegen nicht die Rede. An der Lauterkeit von
Fujimoris Absichten ließ ebenfalls zweifeln, daß er nur wenige Tage vor
seinem Auftritt vor der OAS die Delegation der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, die die Menschenrechtssituation in Peru prüfen
sollte, vor verschlossenen Türen hatte stehen lassen.
Die Reaktion der Außenminister und anderen Delegierten auf Fujimoris
überraschenden Auftritt war kühl. Von der Außenministerin des OAS-Neumitgliedes Kanada, Barbara J. McDougall, mußte sich der Verfassungsbrecher schulmeistern lassen, wobei sie jedoch nach dem Geschmack einiger
lateinamerikanischer Diplomaten zu wenig Einfühlung in die peruanische
Krisensituation zeigte. Allgemein war man aber befremdet von den Tiraden
gegen das Parteiensystem Perus, welche die Hälfte von Fujimoris Redezeit
ausmachten.382
Fujimoris Kotau vor der OAS blieb dennoch nicht ohne Wirkung. In einer moderaten Resolution begnügten sich die Außenminister mit
Ermahnungen, die „uneingeschränkte Rückkehr“ des Landes zu einer verfassungsmäßigen Ordnung zu beschleunigen.383 Während die Renitenz des
Militärregimes in Port-au-Prince den Außenministern in Nassau keine Wahl
ließ, parallel zu den Beratungen über Peru das Embargo gegen Haiti zu
verschärfen, gelang es dem pragmatisch-beweglichen Fujimori, die OAS
geschickt „einzubinden“. Indem er der Organisation „irgend etwas“ anbot,
half er ihr aus der politisch unbequemen Verlegenheit, doch noch über
Zwangsmittel gegen Peru entscheiden zu müssen.
Unmittelbar nach dem Besuch einer weiteren OAS-Delegation in Lima
kündigte Fujimori für Anfang Juni 1992 allgemeine Wahlen zu dem geplanten „Congreso Constituyente Democrático“ an, der bis 1995 als Parla_______________
382
383
[Alberto Fujimori:] „La democracia no puede vivir sin los partidos pero éstos pueden matar
la democracia: Fujimori“, El Día (México, D.F.), 19.05.1992; Lee Hockstader: „Fujimori
offers OAS Peru plan“, Washington Post, 19.05.1992
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Peru)
134
mentsersatz mit verfassunggebenden Vollmachten fungieren sollte. Im
Rahmen ihrer Einbindungsstrategie bat Perus Regierung die OAS um technische Hilfe bei dieser Wahl. Aus Rücksicht auf die internationale Stimmung verzichtete Fujimori auf sein ebenfalls geplantes, vorn der Opposition
heftig bekämpftes Plebiszit, mit dem er sich ursprünglich im Juli seinen
Verfassungsbruch hatte legitimieren lassen wollen. Der hinsichtlich Zusammensetzung, Wahl und Aufgaben der Konstituante wenig präzise gehaltenen
Ankündigung folgte ein Verwirrspiel mit dem konkreten Wahldatum, das
schließlich auf den 22. November 1992 festgesetzt wurde. Von der OAS
wurde ein weiterer Versuch Fujimoris, die Macht in seinen Händen zu konzentrieren, ohne Widerspruch hingenommen, als er gegen den Protest der
Opposition die ebenfalls im November 1992 fälligen Kommunalwahlen sine
die verschob.384 Nur halbherzig verfolgte Perus selbsternanntes Notstandsregime den ihm durch die OAS-Resolution vom 18. Mai 1992 auferlegten
Dialog mit den Parteien, deren Machtstellung Fujimori ja gerade brechen
wollte. Entsprechend ziel- und ergebnislos verliefen die unter den Auspizien
der OAS geführten Dialogrunden.385 Ende August 1992 dekretierte Fujimori
ein Wahlgesetz, das eine Reihe von Einzelbestimmungen enthielt, welche
die absolute Souveränität und Autonomie der Konstituante beschnitten. So
sollte sie in ihrer Funktion als Ersatzparlament einerseits die Regierung
kontrollieren, andererseits aber bereits vollzogene „Notstandsdekrete“ der
Regierung nicht annullieren dürfen.386 Als Resultat des einseitigen „nationalen Dialogs“ zur Vorbereitung des Wahlgesetzes boykottierten die kaltgestellte politische Elite und ihre früher tonangebenden Parteien die Wahl zum
„Verfassunggebenden Demokratischen Kongreß“ am 22. November 1992.
Der Boykott bescherte Fujimori das gewünschte Akklamationsorgan, in
welchem neben der mit absoluter Mehrheit ausgestatteten Regierungsallianz
„Nueva Mayoría / Cambio 90“ nur unbedeutende Splittergruppen mit unerfahrenen Neupolitikern vertreten waren.
Die formale Gewalttrennung und damit eine Art demokratischer Legalität
wurde durch die Wahl im November 1992 zweifellos wiederhergestellt.
Gleichwohl hatte Fujimori nur eine demokratische Scheinlegitimität
errungen. Der Konstituante fehlte nämlich nach dem Boykott der etablierten
_______________
384
385
386
Eduardo Ferrero Costa: Peru’s presidential coup“, in: Journal of Democracy 4 (1993) 1,
28-40, 37
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Peru): „Note of Peruvian political party
leaders addressed to the Secretary General of the Organization on June 18, 1992“,
OEA/Ser. F/V.2, MRE/INF. 7/92, 24.06.1992
„Bekanntgabe von Fujimoris Wahlgesetz“, Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe),
26.08.1992, Nr. 196, 4
135
Parteien das nach gängiger Staatsrechtslehre unbedingt erforderliche Merkmal der Repräsentativität.
Trotzdem verlieh die OAS dieser bereits im Ansatz fragwürdigen Wahl
allein
durch
die
Entsendung
von
210
Beobachtern
das
Unbedenklichkeitszertifikat und richtete ihr Augenmerk lediglich auf den
korrekten Verlauf des Urnenganges: „Perhaps influenced by officials in
United States President George Bush´s administration who favored Peru´s
return to international good graxes, or by representatives of other Latin
American nations who feared intensive international analysis of their own
elections, or by top OAS leaders who believed a Fujimori government was
Peru´s best option, the OAS´s focus was on the absence of fraud on election
day.“387 Die internationale Re-Legitimierung von Fujimoris Regime wurde
demnach von maßgeblichen OAS-Mitgliedsregierungen gewünscht, und war
möglich, sobald das Regime Fujimoris sich wenigstens ein demokratisches
Feigenblatt anlegte. Unter dem Primat des nicht zuletzt in Peru geführten
„Drogenkrieges“ war vor allem die Administration Bush bereit, einen Verlust an – ohnehin eher formaler – Demokratie in Lateinamerika in Kauf zu
nehmen, solange nur die Bekämpfung des Drogenhandels gewährleistet war
und die peruanische Regierung überdies ihr wirtschaftliches Stabilitäts- und
Öffnungsprogramm fortführte. Die Nachfolgeregierung Clinton behielt
ungeachtet ihrer Demokratie- und Menschenrechtsrhetorik diesen Kurs
gegenüber Fujimori unverändert bei.388
Entsprechend schloß die Ad hoc-Außenministerkonferenz zu Peru ihre
Beratungen formell am 14. Dezember 1992 ab, als die Eröffnungssitzung
des neuen Kongresses in Peru in Sicht war. Der peruanische Publizist
Gorriti stellte dazu bitter fest: „[…] the Organization of American States
virtually legitimized Alberto Fujimori´s dictatorship.“389 Die OAS sprach
tatsächlich den autokratischen „Fujimorismus“, zu dem die Mitgliedsstaaten
offensichtlich keine Alternative sahen, vom Verdacht der Diktatur frei. Sie
sah lediglich Verbesserungsmöglichkeiten, was in der Schlußresolution zum
Ausdruck kam, die Peru aufforderte, dem Ständigen Rat der OAS über die
Fortschritte bei der Redemokratisierung zu berichten.390 Auch die im Ver_______________
387
388
389
390
Cynthia McClintock: „Peru’s Fujimori: a caudillo derails democracy“, in: Current History
92 (1993) 572, 112-119, 119
„Peru policy under review: White House takes soft stance on democracy, human rights“,
in: Washington Report on the Hemisphere 13 (04.06.1993) 13, 5
Gustavo Gorriti: „America’s dance with a dictator“, New York Times, 27.12.1992, sec. 4,
11
Ministers of Foreign Affairs, Ad Hoc Meeting (Peru): „MRE/RES. 3/92: Restoration of
democracy in Peru“, OEA/Ser.F/V.2, MRE/RES. 3/92 corr. 1, 14.12.1992
136
gleich zur OAS noch zögernde Río-Gruppe nahm Anfang April 1993 Peru
wieder als vollberechtigtes Mitglied auf.
Mit einem solchermaßen aufpolierten internationalen Image konnte Fujimori seine Projekte auf dem Weg zur „authentischen Demokratie“ verwirklichen. Die neue Verfassung, die Fujimori sich am 1. November 1993 in
einer Volksabstimmung billigen ließ, ermöglicht die bisher ausgeschlossene
unmittelbare Wiederwahl des Präsidenten für eine zweite Amtsperiode nach
nordamerikanischem Muster – in Lateinamerika, wo die Caudillos sozusagen in ihren Stiefeln starben und in diesen Präsidentialsystemen checks and
balances nach Art der US-Verfassung fehlen, war dies bis dahin ein ausgesprochenes Tabu. Die Verfassung sieht außerdem – in einem Land mit oligarchischer Tradition zwangsläufig pseudodemokratische – Volksreferenden
vor. Auch sie sind den lateinamerikanischen Verfassungsdenken generell
fremd. Ebenfalls neu eingeführt wurde die Todesstrafe für „Terrorismusverbrechen“, woraufhin Peru eigentlich die Amerikanische Menschenrechtskonvention von San José aus dem Jahr 1969 hätte kündigen müssen.
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die ambivalente Reaktion der
amerikanischen Staatengemeinschaft auf Fujimoris autoritäres Experiment
deutlich macht, daß Peru als ein Sonderfall gesehen und dementsprechend
behandelt wurde. Es wurde berücksichtigt, daß Fujimori sich auf einen Massenanhang stützen konnte. Und obwohl das bonapartistisch anmutende Personalregiment Fujimoirs sich in eine starke Abhängigkeit vom Militär begeben hatte, wurde es einer „harten“ Militärdiktatur allemal vorgezogen. Fujimoris improvisierte Hinhaltetaktik gegenüber der OAS war deshalb erfolgreich. Es gelang ihm, den interamerikansichen bzw. internationalen Druck
zu mildern, ohne seine innere Machtposition aufgeben zu müssen. Aus diesen Gründen entging das vom demokratischen Pfad abgewichene Peru anders als Haiti und das nachfolgend zu behandelnde Guatemala der regionalen Isolation.
5.3 Erfolgreiche Beilegung der politischen Krise in Guatemala (1993)
Mit Unterstützung der Streitkräfte setzte am 25. Mai 1993 der Präsident
Guatemalas, Jorge Serrano Elías, die Verfassung außer Kraft, löste das
Parlament auf, und kündigte an, er werde die Spitzen des Obersten Gerichtshofs, des Verfassungsgerichts und der Justizbehörden auswechseln.
Das Oberste Wahlgericht forderte er auf, eine Verfassunggebende Versammlung innerhalb von 60 Tagen einzuberufen, damit der guatemaltekische Staat durch eine Verfassungsrevision „modernisiert“ werden könne.391
_______________
391
„Pronunciamiento de Jorge Serrano“, in: La crisis político-constitucional de Guatemala: del
golpe de Estado de Jorge Serrano a la Presidencia constitucional de Ramiro de León Carpio
137
Die Gründe des irrational erscheinenden Couops blieben weitgehend im
Dunkeln. Um so auffälliger ist, daß Serrano der dreizehn Monate zuvor
erfolgte „autogolpe“ des peruanischen Präsidenten Fujimori als Vorbild
diente. Als „Selbstputsch“ bezeichnet man in Lateinamerika, wie bereits
erwähnt, das Umstoßen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Exekutivgewalt selbst, mit Duldung oder aktiver Unterstützung durch das Militär.
Eine weitere Parallele zum peruansichen „Fujigolpe“ war es, daß auch
Serrano vorgab, Guatemala mit Diktaturmethoden zu einer “echten“ Demokratie führen zu wollen. Serrano erklärte die von ihm angekündigte Wahl
einer Konstituante ganz ähnlich wie Fujimori zuvor als den Versuch zur
Ersetzung einer „formalen Fassadendemokratie“ durch einen „reale Demokratie“, in der die Machthaber das Volk repräsentierten und eine wirkliche
Kontrolle existiere. Serrano hatte mit seiner Charakterisierung des oligarchischen politischen Systems des sozial und ethnisch tief zerrissenen Landes
sogar recht – „nur wird die Demokratie mit dem Niederreissen der Fassade
nicht echter.“392
Mit seinem Staatsstreich unterliefen Serrano zwei schwerwiegende Rechenfehler. Der erste bestand darin, daß er offensichtlich hoffte, mit der
Auflösung des allgemein als korrupt und handlungsunfähig geltenden
Congreso de la República die breite Unterstützung der Guatemalteken für
seinen Coup gewinnen zu können. Der zweite war, daß Serrano erwartete,
die amerikanische und internationale Staatengemeinschaft werde auf seinen
Staatsstreich ähnlich reagieren wie auf Fujimoris „autogolpe“, wo die OAS
sich mit einem „Fahrplan“ zur schrittweisen Rückkehr zu demokratischen
Verhältnissen zufrieden gegeben hatte: „That is, Serrano expected the international community to demand only that he sketch a process for restoring
democratic rule – not necessarily immediately and not precluding his own
continuing role – thus still allowing him to reshape the political landscape to
his liking.“393
Die erste Fehlkalkulation zeigte, daß Serrano den Widerstand der zivilen
Gesellschaft unterschätzt hatte, in der demokratische Werte mehr als von
ihm erwartet Wurzeln geschlagen hatten. Das von Serrano für aufgelöst
erklärte Verfassungsgericht bezeichnete im Gegenangriff die Putschdekrete
des Präsidenten als verfassungswidrig und hinfällig. Dieses Verdikt fand ein
_______________
392
393
/ Instituto Centroamericano de Estudios Políticos, Ciudad de Guatemala 1993 (Panorama
centroamericano: temas y documentos de debate; 3/93 = 45), 33-40. Dort auch die Dekrete
zur Aufhebung der politischen Freiheiten: Normas temporales de gobierno“, 41-44
„Kein Platz für den Rechtsstaat in Guatemala“, Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe),
28.05.1993, Nr. 120, 5
Francisco Villagrán de León: „Thwarting the Guatemalan coup“, in: Journal of Democracy
4 (1993) 4, 117-124, 119
138
lautes Echo in einer breiten Front der Ablehnung in der guatemaltekischen
Zivilgesellschaft. Das in der Krisensituation entstandene Bündnis “Instancia
Nocional de Consenso“ vermochte Gewerkschaften, Partien, Bauernvereinigungen und weitere Berufsverbände gegen den Staatsstreich zu mobilisieren.
Die zweite Fehlrechnung Serranos auf eine „weiche“ internationale Reaktion ging ebenfalls nicht auf. Mit der wachsenden inneren Isolierung Präsident Serranos drohte Guatemala zugleich ein Rückfall in die internaltionale Isolation, unter der es während der langen Militärdiktatur bis 1986 litt,
und ein Verlust der wiedergewonnenen Kreditwürdigkeit. Daß die Vereinigten Staaten und die Europäische Gemeinschaft sofort ihre Finanzhilfen
für Guatemala einfroren, gab ein deutliches Signal in dieser Richtung. Die
Präsidenten der zentralamerikanischen Nachbarstaaten und die Río-Gruppe
forderten Guatemala ebenso nachdrücklich auf, zur verfassungsmäßigen
Ordnung zurückzukehren.394
Auch der Ständige Rat der OAS reagierte umgehend und beschloß, Generalsekretär Baena Soares an der Spitze einer Erkundungsmission nach Guatemala zu sende, und die Mechanismen gemäß dem Mandat der „Resolution
1080“ in Gang zu setzen.395 Begleitet von den Außenministern von Barbados, Nicaragua und Uruguay bereiste Baena Soares bereits wenige Tage
nach dem Putsch, vom 29. Bis 31. Mai 1993, das Land und erkundete in
Gesprächen mit Vertretern der politischen und gesellschaftlichen Kräfte die
Situation, um dem für den 3. Juni anberaumten Ad hoc-Außenministertreffen in Washington Bericht zu erstatten, und Vorschläge für eventuelle
Sanktionen gegen die guatemaltekische Regierung zu unterbreiten. Derart in
die Enge getrieben, reagierte Präsident Serrano mit dem Vorschlag, die von
ihm bereits am Tag des Staatsstreichs angekündigte Konstituante in einer
Volkswahl bestimmen zu lassen. Auch damit folgte er dem Vorbild Fujimori, denn dies entsprach exakt jener (einzigen) Konzession des peruanischen Präsidenten auf den Druck der OAS hin. Baena war offensichtlich
sehr überzeugend. Den konservativen Unternehmer-Dachverband CACIF,
dem er die Folgen von internationalen Sanktionen ausmalte, bestärkte er in
der Ablehnung des Coups. Ihm gelang es auch, jenen Teilen des Militäars,
die Serrano unterstützten, deutlich zu machen, daß sie mit internationaler
Isolierung zu rechnen hätten. Nach der Unterredung mit dem OAS-Generalsekretär versicherte der Verteidigungsminister José García , der den Putsch
_______________
394
395
„Declaración de los gobiernos de Costa Rica, El Salvador, Honduras, Nicaragua y Panamá,
25 de mayo 1993“; „Declaración de la Secretaría pro tempore del Grupo de Río, 26 de
mayo 1993“, in: Crisis político-constitucional, 144; 177
Consejo Permanente: „CP/RES. 605 (945/93): Resolución sobre la situación en
Guatemala“, OEA/Ser. G, CP/RES. 605 (945/93) corr. 1, 25.05.1993
139
nach anfänglichem Zögern unterstützt hatte, die Armee werde die Rückkehr
zur verfassungsmäßigen Ordnung im Land garantieren. Das Militär, das
dadurch irritiert war, daß Serrano keine zivilen Verbündeten fand, entmachtete ihn eine Woche nach seinem „Selbstputsch“ und zwang ihn ins
Exil.
In dem anschließenden Machtvakuum sah es danach aus, als ob das Militär die Macht wieder offen übernehmen wollte, die es für fast vier Jahrzehnte mit oder ohne zivile Regierung ausgeübt hatte. Offensichtlich war die
Armee darüber aber gespalten, so daß sich mit der Unterstützung von Verteidigungsminister García, der seit dem Sturz Serranos faktisch herrschte,
der bisherige Vizepräsident Espina zum Staatschef erklärte. Da dieser jedoch zusammen mit Serrano verfassungsbrüchig geworden war, bestritt die
Opposition Espinas´ formal durch die Verfassung abgestützten Machtanspruch, und forderte vehement die Neuwahl eines Staatspräsidenten.
Die am 3. Juni 1993 zusammengetretenen Außenminister der OAS verurteilten unterdessen den Staatsstreich Serranos und forderten angesichts der
unklaren Machtverhältnisse die guatemaltekischen Behörden zur vollen
Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung auf.396 Das Militär ließ
den Vizepräsidenten daraufhin fallen und gab den Weg frei für die vom
Verfassungsgericht ultimativ geforderte Wahl eines neuen Präsidenten.
Während sich der OAS-Generalsekretär und der Außenminister Ecuadors
vom 5. bis 8. Juni erneut zu Gesprächen in Guatemala aufhielten, setzte das
Parlament Ramiro de León Carpio bis zum Auslaufen von Serranos Amtszeit im Januar 1996 als neuen Staatschef ein. Die glückliche Beilegung der
politischen Krise Guatemalas drückte sich auch in der Person de Leóns aus,
der in seiner bisherigen, mutigen Tätigkeit als Staatsanwalt für Menschenrechte (Procurador de los Derechos Humanos) den Respekt breiter Bevölkerungskreise erworben hatte und als unbestritten integer galt.
Der neue Präsident erwies bereits wenige Tage später der 23. Generalversammlung der OAS in Managua seine Reverenz, indem er vor der Versammlung eine Art Regierungserklärung abgab. Die OAS feierte ihre Aktivitäten als Erfolg.397
_______________
396
397
Ministros de Relaciones Exteriores, Reunión ad hoc (Guatemala): „MRE/RES. 1/93:
Restablecimiento democrático de Guatemala“, OEA/Ser. F/V.3, MRE/RES. 1/93,
03.06.1993; Pamela Constable: „OAS neighbors remain wary as Guatemala crisis lingers“,
Boston Globe, 04.06.1993, 2
Ministros de Relaciones Exteriores, Reunión ad hoc (Guatemala): „Acta de la segunda
sesión“, OEA/Ser. F/V.3, MRE/ACTA 2/93, textual
140
6.
Bilanz und Ausblick: Das Defense-of-Democracy-Regime der OAS
als Baustein einer “internationalen demokratischen Ordnung“?
Aus den untersuchten drei Testfällen für das internationale Demokratieregime der OAS lassen sich bereits erste Schlußfolgerungen ziehen:
Erstens kann festgestellt werden, daß von OAS-„Resolution 1080“ geschaffene Mechanismus ohne Ausnahme ausgelöst wurde und somit
„funktioniert“. In allen drei Fällen eines Umsturzes bezog die OAS umgehend Stellung. Sie ächtete die undemokratischen De facto-Regime und
beeinflußte damit die allgemeine internationale Reaktion – z.B. der Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft – über den regionalen
Rahmen hinaus. Damit wird allen potentiellen Usurpatoren deutlich signalisiert, daß die Regionalorganisation den Sturz einer gewählten Regierung
nicht stillschweigend hinnimmt.
Zweitens zeigt sich, daß der von der OAS ausgeübte internationale Druck
durchaus Wirkung entfaltet. Zumindest in den Fällen Peru und Guatemala
schreckte die Drohung mit internationaler Isolierung. Nur die haitische Junta
ließ sich davon nicht beeindrucken und versuchte die von der OAS angeführte Verweigerung einer internationalen Anerkennung durch den traditionellen Einsatz von Gewalt nach innen zu überspielen. Vermutlich fruchteten
Sanktionen gegen Haiti auch deshalb nicht, weil das Land seit zwei Jahrhunderten wegen seiner wirtschaftlichen Hoffnungslosigkeit und seiner
kulturellen Isolierung ohnehin unter einer Art „Embargo“ stand.
Der Fall Haiti macht klar, daß der OAS generell wenig nachhaltige Mittel
zu Gebote stehen, um ihrem Mechanismus zur Verteidigung der repräsentativen Demokratie in der Region Durchschlagskraft zu verleihen. Der Politikwissenschaftler und Botschafter Chiles bei der OAS, Heraldo Muñoz,
weist auf diesen Mangel hin:
„One important lesson from Haiti will be that we need to improve the
efficiency of our instruments and actions on behalf of democracy, while still
respecting international law.“398
Hier genau liegt das Problem, denn, so konnte gezeigt werden, im
Defense-of-Democracy-Regime der OAS ist in keiner Weise eine Art Automatismus z.B. in Form eines Sanktionskataloges vorgesehen. Vielmehr
besteht Konsens nur für einen Gradualismus, der die OAS-Außenminister
bei jeder Krise aufs neue improvisieren läßt.
Schon gar nicht werden militärische Zwangsmittel ins Auge gefaßt. Gegen eine „Militarisierung“ der OAS gibt es in der Mitgliedschaft eine fast
geschlossene Front der Ablehnung. Diejenigen Länder, die während der
_______________
398
Heraldo Muñoz: „Haiti and beyond“, Miami Herald, 01.03.1992, 6C
141
Krise um Haiti Truppenkontingente für eine multinationale Mission zur
Sicherung einer Übergangsordnung in Aussicht stellten, taten dies unter der
Voraussetzung eines friedlich ausgehandelten Machtverzichts des Militärs.
Lediglich Argentinien, das im Zweiten Golfkrieg immerhin einige Fregatten
zur Unterstützung der USA in den Persischen Golf entsandt hatte, bekundete
(wie ernsthaft auch immer) Bereitschaft, den legitimen Präsidenten notfalls
mit einer multinationalen Streitmacht in die Inselrepublik zurückbringen zu
wollen. Derartiges hat aber seit der Erfahrung mit einer “Interamerikanischen Friedensstreitmacht“ im Jahr 1965 in Lateinamerika nicht einmal den
Hauch einer Realisierungschance.
Unspezifische Sanktionen, wie sie erfolglos mit dem Handels- und Ölembargo gegen Haiti verhängt wurden, bewirkten bisher auch in anderen Fällen
erfahrungsgemäß wenig. Der Diktator Panamas, General Noriega, konnte
sich trotz der bilateralen Sanktionen der USA an der Macht halten. Richtig
ist zwar der Einwand, daß ein bitterarmes und von agrarischer Subsistenzwirtschaft geprägtes Land wie Haiti möglicherweise stärker gegen
wirtschaftlichen Druck von außen imprägniert ist, als entwickeltere Länder
Lateinamerikas, wo eine bereite Mittelklasse – ohne die Ausweichmöglichkeiten einer schmalen Oberschicht wie in Haiti – getroffen würde und gegen
die Putschisten mobilisiert werden könnte. Aber man stelle sich vor, einer
der beiden im Februar und November 1992 versuchte Putsche in Venezuela
wäre erfolgreich gewesen – Sanktionen gegen dieses Land, aus dem der Rest
der westlichen Hemisphäre einen großen Teil seines Erdöls bezieht, wären
absurd gewesen. Wirksamer scheinen hingegen selektivere und subtilere
Sanktionen zu sein. Der Finanzierungsboykott gegen Peru, dem sich Finanzinstitutionen wie die Interamerikanische Entwicklungsbank auf
Empfehlung der OAS „freiwillig“ oder auch unter dem Einfluß der Vereinigten Staaten angeschlossen, ließ Präsident Alberto Fujimori um den Erfolg
des peruanischen Wirtschaftsprogramms und der Strukturanpassung fürchten und nötigte ihm tatsächlich Konzessionen ab.
Ebenfalls begrenzt sind die Möglichkeiten diplomatischer Isolierung.
Wie bereits dargestellt, hat die OAS im Dezember 1992 auf einer außerordentlichen Vollversammlung in Washington eine Satzungsänderung verabschiedet, die es nach der Ratifizierung dieses „Protokolls von Washington“
erlauben soll, undemokratische Regierungen von der Mitgliedschaft in der
OAS zu suspendieren. Aber auch diese Satzungsänderung enthält keinen
Automatismus. Mit anderen Worten: Regierungen, die den Pfad der Demokratie verlassen, können suspendiert werden, aber nicht jede dieser Regierungen muß suspendiert werden. Diese Regelung birgt natürlich die Gefahr
der politischen Willkür – je nach wirtschaftlicher und politischer Bedeutung
des Landes kann dies Isolierungsmaßnahme verhängt werden oder auch
nicht.
142
Die „weiche“ Reaktion der OAS im Fall Peru erhärtet diesen Verdacht.
Die Ad hoc-Außenministerkonferenz zu Peru erklärte ihre Aufgabe nach
den Wahlen zu einer Konstituante im November 1992 für abgeschlossen,
obwohl diese Wahlen in Peru selbst umstritten waren, weil sich die größten
Parteien aus Protest gegen den „autogolpe“ Fujimoris nicht an ihnen beteiligten. Der OAS-Generalsekretär vertrat den Standpunkt, in Peru gebe es
zwar Verbesserungsmöglichkeiten des politischen Systems, aber keine Diktatur. Während das randständige, kleine Haiti mit empfindlichen Sanktionen
belegt wurde, welche die Bevölkerungsmehrheit noch tiefer ins Elend
stürzten, kam die Regierung des südamerikanischen Flächenstaates Peru
ungeschoren davon, zumal sich die Lage anderen Regierungen angesichts
der militärischen Folgen der Guerillaarmee des „Leuchtenden Pfades“ als
eine „Wahl zwischen Pest und Cholera“ darstellte.399 Damit setzte sich die
OAS dem Verdacht aus, mit zweierlei Maß zu messen.
Die erfolgreichen Aktivitäten der OAS in Guatemala – dort wurde die
Wende unbestreitbar nach dem Zusammentreffen des OAS-Generalsekretärs
Bena Soares mit Verteidigungsminister García eingeleitet – wurden durch
einen einhellige und massive internationale Reaktion (durch die USA, die
Europäische Gemeinschaft, die Río-Gruppe und die andren zentralamerikanischen Präsidenten) erleichtert, vor allem aber durch einen breite Mobilisierung der internen Opposition gegen den Staatsstreich in Guatemala selbst.
Die internationale Ächtung des De facto-Regimes konnte diese zivile Allianz aus Parteien, Presse, Gewerkschaften und sogar konservativen Unternehmerverbänden stärken. In Haiti war dagegen die Opposition gegen das
Militär zu machtlos und schlecht organisiert, in Peru selbst fand der Selbstputsch von Präsident Fujimori eine recht bereite Unterstützung in der Bevölkerung. Daraus ergibt sich folgendes Bild: Nur wenn es starke interne
Opposition gegen den Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung gibt, kann
internationaler und regionaler Druck etwas ausrichten.
Weiterhin ist das Problem zu erkennen, daß das Defense-of-DemocracyRegime der OAS einen reaktiven Charakter trägt. Dies hat seine Entsprechung im Sachbereich „Sicherheit“, wo traditionell die notorisch konfliktscheue OAS immer erst tätig wurde, wenn ein Konflikt zu einer internationalen Krise ausgewachsen war. Bisher wurden kaum konkrete Überlegungen
angestellt, wie das Demokratieregime „proaktiver“ gestaltet werden könnte.
Denkbar wäre es z.B., die 1990 eingerichtete „Unit for the Promotion of
Democracy“ analog dem Mandat der Interamerikanischen Menschenrechtskommission mit Überwachungs- und Berichtskompetenzen (Fact-finding,
Monitoring) auszustatten. Vermutlich wäre aus souveränitätspolitischen
_______________
399
Kurtenbach, Regionale Kooperation, 257
143
Rücksichten die dafür notwendige institutionelle Unabhängigkeit der „Unit“
vorerst nicht realisierbar. Zweifellos hätten sich Länder wie Brasilien und
Venezuela, die mit den Korruptionsvorwürfen und Impeachmentverfahren
gegen die jeweiligen Präsidenten Fernando Collor de Mello und Carlos
Andres Pérez im Jahr 1993 schwere politische Krisen durchliefen, gegen
einen Begutachtung ihrer internen Situation durch ein OAS-Organ gewehrt.
So wird das Defense-of-Democracy-Regime der OAS vor allem ein Krisenmechanismus bleiben.
Immerhin haben sich die OAS-Regierungen im Juni 1993 in der „Erklärung von Managua“ grundsätzlich verpflichtet, den Ursachen demokratischer Instabilität stärker an die Wurzel zu gehen und vorzubeugen. Dabei
spielt der Kampf gegen die extreme Armut der Bevölkerungsmehrheit in der
Region eine entscheidende Rolle. Das wurde von der OAS bereits 1992 in
einer von Mexiko eingebrachten Resolution anerkannt.400
Eine entscheidende Determinante für die Effektivität des multilateralen
Defense-of-Democracy-Regimes der OAS ist seine Unterstützung durch
maßgebliche Einzelakteure. Hier kommt es – so richtig „multilateral“ ist das
noch immer asymmetrisch strukturierte interamerikanische System eben
doch nicht – vor allem auf die Vereinigten Staaten an. Wie gezeigt werden
konnte, war die multilaterale Haiti-Diplomatie der OAS, später auch der
UN, in hohem Maße abhängig von der schwankenden Haiti-Politik der
USA. Die Bush-Regierung verlagerte zwar Ordnungsmachtfunktionen an die
OAS zurück, unterstützte aber wegen ihrer zwiespältigen Haltung gegenüber
dem Exilpräsidenten, der ihr eher unheimlich als verteidigenswert erschien,
nur halbherzig die multilateralen Bemühungen. Es wurde vor allem nicht das
bilaterale Druckpotential bei den Sanktionen gegen das von den USA hochgradig abhängige Haiti ausgeschöpft. Angeblich aus humanitären Rücksichten, vermutlich aber doch wegen des Drängens amerikanischer Geschäftsinteressen, nahm Präsident Bush Teile der Verarbeitungsindustrie in den wirtschaftlichen Freizonen auf Haiti vom Embargo aus und schadete der Glaubwürdigkeit der OAS. Aus Sorge, einen unkontrollierbaren Massenexodus
aus dem verelendeten und terrorisierten Inselstaat in Gang zu setzen, zögerte
auch die nachfolgende Clinton-Administration lange, die Embargoschraube
stärker anzuziehen. Erst als Präsident Clinton wegen seiner Flüchtlingspolitik innenpolitisch unter den vor allem des „Black Caucus“ geriet, aktivierte
er – viel zu spät – seine Haiti-Diplomatie.
Daß außenpolitische Entscheidungen der USA vorrangig unter innenpolitischen Gesichtspunkten gefällt werden, hat enorme Rückwirkungen auf
_______________
400
Diese Verknüpfung der Frage der Demokratie mit dem Armutsthema besitzt natürlich auch
ein exkulpierendes Element – die Resolution wurde daher nicht zufällig von Mexico
lanciert.
144
den Einsatz und die Effektivität multilateraler Instrumente, wie Joseph
Tulchin treffend darlegt:
„The worst effect of domestic political pressure on the policy process is that
it undermines the government´s will to allow multilateral agencies to
operate. The international organizations, especially the United Nations and
the OAS, are maddeningly slow and painfully democratic in their operations.
The more intense the crisis, the more insistent the domestic forces, the less
tolerance there is in Washington to allow the United Nations or the OAS to
act with calm and independence. The key to future solutions will be for the
multilateral agencies to act before the U.S. domestic forces become involved
and begin to lay down the conditions for resolving the crisis.“401
Dieses Monitum könnte spätestens dann relevant werden, wenn mit einer
politischen „transición“ in Kuba der große Testfall für die OAS eintritt. Die
Ernsthaftigkeit des Eintretens der lateinamerikanischen Staaten für Demokratie und Menschenrechte bei einem gleichzeitig stark verwurzelten Respekt für die Souveränität wird am Beispiel Kuba stärker als in jedem anderen Fall gemessen werden. Dann aber könnte es sich tatsächlich erweisen,
daß der Raum für multilateral assistierte Verhandlungslösungen nach dem
erfolgreichen Modell Nicaraguas ausgesprochen eng ist, weil die US-Regierung sich nicht vom innenpolitischen Druck exilkubanischer Hardliner freimachen können und wie bisher in einer angesichts der neuen weltpolitischen
Realitäten anomalen Perzeption aus den Zeiten des Kalten Krieges verharren. Welchen Einfluß die konservative „Kubanisch-amerikanische Nationalstiftung“ von Jorge Mas Canosa auszuspielen in der Lage ist, zeigte sich, als
es ihr durch Lobbyarbeit gelang, die von der neuen Clinton-Administration
designierten Kandidaten für das Amt des Assistenzstaatssekretärs für Interamerikanische Angelegenheiten und für den Posten des OAS-Botschafters
zu blockieren.
Bleibt Kuba, wovon auszugehen ist, der zentrale Prüfstein für den Einsatz
multilateraler Instrumente und für die Effektivität jeder regionalen Friedensund Demokratiesicherung, so werden die Erfahren mit der Haiti-Krise skeptische Fragen auf.
Dennoch gilt es die demokratiesichernde Funktion der OAS grundsätzlich
zu würdigen. Sie könnte nämlich zum Baustein einer neuen „internationalen
demokratischen Ordnung“ werden. Einige Autoren sehen die demokratische
Regierung bereits zur universell bindenden Norm der Legitimität werden.402
_______________
401
402
Joseph S. Tulchin: „The formulation of U.S. foreign policy in the Caribbean“, in: Annals of
the American Academy of Political and Social Science (1994) 533, 177-187, 186
Thomas M. Franck: „The emerging right to democratic governance“, in: American Journal
of International Law 86 (1992) 1, 46-91; Ders.: The power of legitimacy among nations,
145
Demokratie wäre mithin ein Rechtsanspruch, der aus den inneren Aspekten
des Rechtes auf Selbstbestimmung abgeleitet wird, das in der klassischen
Sichtweise bekanntlich ein rein externes Recht darstellte. Der amerikanische
Völkerrechtler Franck vertritt prominent diese These, wonach sich Demokratie zu einem internationalen Rechtsanspruch („democratic entitlement“)
entwickelte. Er stellt seit etwa 1990 den Durchbruch vom bloßen Ideal
(„moral prescription“) zu einem völkerrechtlichen Konzept („international
legal obligation“) fest:
„Undeniably, a new legal entitlement is being crated, based in part on
costum and in part on the collective interpretation of treaties.“403
Die neue Funktion der OAS bei der regionalen Demokratiesicherung
ordnet sich ein in diese normenschaffende Entwicklung, welche Franck
folgendermaßen charakterisiert:
„The capacity of the international community to extend legitimacy to
national governments […] depends not only on its capacity to monitor an
election or to recognize the credentials of a regime´s delegate to the UN
General Assembly, but also on the extent to which such international activity
has evolved from the ad hoc to the normative: that is, the degree to which
the process of legitimation itself has become legitimate.“404
An einer solchen Durchsetzung des Demokratiekonzepts als Legitimitätsprinzip in den internationalen Beziehungen und in der Völkerrechtsordnung
hat die OAS zweifellos maßgeblichen Anteil. Diese Entwicklung impliziert,
daß internationalen Organisationen mehr und mehr die Aufgabe zuwächst,
auf Demokratisierungsprozesse z.B. mit Wahlbeobachtung, Menschenrechtskontrolle oder notfalls auch mit Sanktionen bei nicht regelkonformen
Verhalten ihrer Mitglieder einzuwirken.
Dies ist in der Tat neu. Lediglich der 1949 gegründete Straßburger Europarat, dessen tragendes Prinzip die Rechtsstaatlichkeit ist, kannte seit jeher
ein Legitimitätsprinzip als Vorbedingung der Mitgliedschaft und ihrer Fortsetzung. Hingegen wiesen die Abkommen, die der NATO und der Europäischen Gemeinschaft zugrundeliegen, keine Demokratisierungsverpflichtung
auf, auch wenn anerkannt werden muß, daß die EG durch ihre feste Haltung
die Redemokratisierung Spaniens, Portugals und Griechenlands Mitte der
70er Jahre erleichtert und durch die rasche Aufnahme in die Gemeinschaft
konsolidiert hat.
_______________
403
404
New York 1990; Morton H. Halperin; Kristen Lomasney: „Toward a global ‚guarantee
clause‘, in: Journal of Democracy 4 (1993) 3, 60-69
Franck, Emerging right, 47. Das Defense-of-Democracy-Regime der OAS hat natürlich
nicht die Qualität eines völkerrechtlichen Kollektivvertrages, sondern gründet nur auf
Entschließungen der Generalversammlung der OAS.
Ebd., 51
146
Erst nach den „Revolutionen“ des epochalen Jahres 1989 erlebte der Demokratiebegriff als völkerrechtliches Konzept einen Durchbruch. IN dieser
Hinsicht bedeutsame Dokumente wurden im Rahmen der KSZE verabschiedet. Das Dokument über die Menschliche Dimension der KSZE auf dem
Kopenhagener Treffen der Konferenz vom 29. Juni 1990 und die erwähnte
„Charta von Paris für ein neues Europa“ vom 21. November 1990 definieren
detailliert die Kernbestandteile der demokratischen Ordnung. Das am 3.
Oktober 1991 verabschiedete Dokument des Moskauer Treffens über die
Menschliche Dimension der KSZE betont, „daß Fragen der Menschenrechte, Grundfreiheiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein internationales Anliegen sind“. Im Bereich der Menschlichen Dimension
eingegangene Verpflichtungen seien „ein unmittelbares und berechtigtes
Anliegen aller Teilnehmerstaaten und eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des betroffenen Staates“. Die KSZE knüpft damit an die Tradition des bereits erwähnten Europarates an, der die Regeln der Demokratie
und der Rechtsstaatlichkeit hochhält, festigt und durch die Aufnahme von 11
osteuropäischen Transformationsstaaten (nunmehr 34 Mitgliedsstaaten)
auszubauen sucht.
Auffällig ist, daß auf der Ebene der Vereinten Nationen keine derart weitreichenden Schritte getan wurden. Der Grund liegt natürlich auf der Hand.
Der Weltorganisation geht das engere Solidaritätsgefüge ab, wie es beispielsweise der OAS als einer Regionalorganisation und neuerdings als
einem homogenen Verband demokratischer Staaten zu eigen ist, während
die heterogenen Vereinten Nationen Demokratien, Militärdiktaturen, Feudalmonarchien, Theokratien usw. zu ihrer Mitgliedschaft zählen.405
Die OAS befindet sich seit den bahnbrechenden Beschlüssen der 21.
Generalversammlung von Santiago im Jahr 1991 mit der hier beschriebenen
Entwicklung gleichauf oder steht sogar an ihrer Spitze. Bloomfield zufolge
darf die westliche Hemisphäre als die Region gelten, „that has advanced
farthest in the creation of a multilateral prodemocracy regime“.406 Daß die
OAS die Demokratiesicherung zu ihrer „raision d´être“ gemacht hat, ist
wegen des enormen Beharrungsvermögens des Prinzips der Nichteinmischung ein um so bemerkenswerterer politischer Quantensprung. Der
Vorstoß der OAS in diesen neuen Aufgabenbereich verleiht ihr selbst in den
90er Jahren die zuvor verlorengegangene Kohärenz und Legitimität.
_______________
405
406
Regionalismus allein verbürgt keine Solidarität, wie die Liga der Arabischen Staaten zeigt.
Bloomfield, Making the Western Hemisphere, 157
147
VI. RÜCKGEWINN VON AUFGABEN IN DEN SACHBEREICHEN
„SICHERHEIT“ UND „WOHLFAHRT“
1.
Regionale Wirtschaftskooperation
Obwohl der Vorstellung von „low politics“ zufolge der wenig politisierte
Sachbereich „Wohlfahrt“ internationaler Problembearbeitung und sogar
internationaler Integration eigentlich am zugänglichsten sein müßte, gelang
es der OAS seit dem Ableben der Allianz für den Fortschritt nicht, ihre
Kompetenzen in Fragen von Wirtschaft und Entwicklung über die recht
engen Grenzen hinaus zu erweitern, die von den Vereinigten Staaten akzeptiert wurden. Die Themen blieben beschränkt. Daß die USA die OAS als
Forum für den politischen Dialog zurückwiesen, zeigte eindrücklich die
regionale Machtstruktur auch in diesem Bereich.
Nach mehr als einem Jahrzehnt hat unterdessen nicht nur die lateinamerikanische Schuldenkrise vorläufig an Brisanz verloren, sondern die Szenerie
insgesamt hat sich radikal verwandelt: Ein wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel der lateinamerikanischen Staatengruppe (mit Ausnahme Kubas)
führte zu einem bisher ungekannten Grundkonsens marktwirtschaftlicher
Ordnungsvorstellungen – parallel zur Demokratie als der neuen Unité de
doctrine im politischen Bereich. Die lateinamerikanischen Staaten erkannten
während der sogenannten „verlorenen Dekade“ der 80er Jahre das Scheitern
der seit den 30er Jahren vorherrschenden, nach innen gerichteten Importsubstitutionspolitik. Ihr Blick richtete sich neidvoll auf die Erfolge der exportorientierten südostasiatischen Schwellenländer. Bekanntlich haben seither
die durch Wahlen legitimierten Regierungen der Region unter immensen
gesellschaftlichen Opfern den Abbau der alten, von zivilen und militärischen
Vorgängern zementierten protektionistischen und staatsinterventionistischen
Wirtschaftsstrukturen in Angriff genommen. Sie erklärten die Öffnung des
Marktes, ausgeglichene Budgets, Privatisierung der Staatsbetriebe und die
Reduzierung staatlicher Eingriffe zu ihren Maximen. Die lateinamerikanische Staatengruppe steht einer partnerschaftlich ausgerichteten Kooperation
mit den USA, mit denen der Subkontinent immer noch fast die Hälfte der
Warenexporte abwickelt und die als weitaus wichtigster Investor auftreten,
heute vorurteilsfreier als in früheren Jahren gegenüber.
Für die USA formulierte im Gegenzug Präsident Bush im Juni 1990 mit
der „Enterprise for the Americas Initiative“ den Plan eines kontinentumspannenden Freihandelsraumes. Der Freihandelspakt mit Mexiko werde nur
der Auftakt für die panamerikanische Initiative sein. Was immer auch die
tragenden Motive von Bushs Amerika-Initiative waren, so ist doch bemerkenswert, wie von Krosigk hervorhebt,
148
„daß erstmals in der Geschichte interamerikanischer Beziehungen von seiten
der USA ein hemisphärisches Kooperationskonzept vorgelegt wurde, das
nicht als vom Primat sicherheitspolitischer Erwägungen bestimmt erscheint."407
Daß dieses Konzept einstweilen nicht mehr als eine vage Verheißung
blieb, wurde in Lateinamerika zunächst ni der Weise positiv umgedeutet,
daß damit Raum für eine eigene aktive Rolle bei der Zielbestimmung und
Implementierung bleibe.408 Auch die OAS begrüßte die Initiative und suchte
eine Rolle bei ihrer Umsetzung.409 Atkins sieht tatsächlich eine mögliche
Funktion der OAS bei der Neuordnung der interamerikanischen Handelsbeziehungen, allerdings im Verbund mit anderen Institutionen:
„The likely form of hemispheric governance, if it occurs at all, is the
reconstitution of existing OAS agencies in turn coordinated with the IDB
and other inter-American bodies.“410
Hier ist jedoch Skepsis angezeigt. Obwohl Fragen der Wirtschaft und des
Handels nunmehr hohe Priorität im interamerikanischen Verhältnis haben,
ist eine maßgebliche Rolle der OAS auf wirtschaftlichem und sozialem
Gebiet daraus nicht abzuleiten. An ihre frühere operative Rolle, die sie mit
den regelmäßigen „country reviews“ des Interamerikanischen Komitees der
Allianz für den Fortschritt (CIAP)411 ausübte, wird die OAS aus mehreren
Gründen nicht mehr anknüpfen können:
Die regionalen Wirtschaftsbeziehungen werden heute über bilaterale Regierungskontakte, durch ein multiples Institutionengeflecht (Interamerikansiche Entwicklungsbank, Weltbank, Weltwährungsfonds, GATT/WTO)
oder im Rahmen neuer subregionaler Integrationsanläufe (NAFTA, Gemeinsamer Südmarkt MERCOSUR, „Gruppe der Drei“ u.a.m.) organisiert und
gestaltet. Damit scheint es eigentlich ausgeschlossen, daß die OAS zu einem
weiteren Integrationsorgan wird. Dafür fehlen ihr die technische Kapazität
_______________
407
408
409
410
411
Friedrich von Krosigk: „Interamerikanische Beziehungen im Zeichen turbulenter
Interdependenz“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (1992) 28, 23-28, 27
Peter Hakim: „President Bush’s southern strategy: The Enterprise for the Americas
Initiative“, in: Washington Quarterly 15 (1992) 2, 93-106
General Assembly, XXI Regular Session: „AG/RES. 1109 (XXI-0/91),: Support to the
Enterprise for the Americas Initiative“, OEA/Ser. P/XXI.O.2, 20.08.1991, Vol. I, 72-73;
„OAS very interested in Americas Initiative“ (EFE, Madrid, 22.04.1991) Foreign
Broadcast Information Service. FBIS Daily Report – Latin America, 24.04.1991, 3 (PrEx
7.10: FBIS-LAT-91-079)
G. Pope Atkins: „Institutional arrangements for hemispheric free trade“, in: Annals of the
American Academy of Political and Social Science (1993) 526, 183-194, 194
José Luís Restrepo: „The Alliance and institutional development in Latin America“, in: L.
Ronald Scheman (Hg.): The Alliance for Progress: a retrospective, New York 1988, 149156
149
und auch der organisatorische Zuschnitt. So wird der im Rahmen der Amerika-Initiative von Präsident Bush Anfang 1992 geschaffene Multilaterale
Investitionsfonds nicht von der OAS, sondern von der Interamerikanischen
Entwicklungsbank verwaltet.
Zur Förderung des Fortschritts auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene
arbeitet die Organisation gegenwärtig noch mit den zwei funktionalen
Hauptorganen, die ihre besten Tage zu Zeiten der Allianz für den Fortschritt
gesehen haben. Es sind dies, wie bereits angeführt, der Interamerikanischen
Wirtschafts- und Sozialrat (CIES) und der Interamerikanische Rat für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (CIECC). Im Juni 1993 wurde im „Protokoll von Managua“ beschlossen, die OAS-Charta dahingehend zu ändern,
daß CIES und CIECC zu einem einzigen Lenkungs- und Konsultationsorgan, dem Interamerikansichen rat für Integrale Entwicklung (CIDI) fusionieren. Der Rat, der wenigstens einmal im Jahr auf Ministerebene tagen muß,
kann, wenn er es anstrebt, ein Mandat über die Technische Zusammenarbeit
hinaus wahrnehmen. Es lautet:
„to promote cooperation among the American States [to achieve] integral
development and […] eliminate extreme poverty in accordance with the
standards or the Charter“412
Daß der Gesichtspunkt der Armutsbekämpfung hervorgehoben wird, gibt
CIDI überdies ein allgemeines soziales Mandat, das in der neuen sozialpolitischen Orientierung der Interamerikanischen Entwicklungsbank seine Entsprechung hat und auf die brennenden Probleme von Massenarmut und
Massenarbeitslosigkeit in Lateinamerika verweist.
Von dieser institutionellen Straffung, die wegen des üblichen langwierigen Ratifikationsverfahrens noch nicht wirksam ist, erhofft man sich Synergieeffekte für die von der OAS administrierten Programme der Technischen
Zusammenarbeit. In diesem Bereich ist die OAS seit 1952 aktiv, aber erst in
den frühen 60er Jahren erhielt sie mit der Allianz für den Fortschritt hierfür
erweiterte Budgets und aufgaben. Die Bedeutung der entwicklungspolitischen Programme der OAS blieb aber vergleichsweise bescheiden. Anspruchsvolle Zielsetzungen – beim Wissenschafts- und Technologieprogramm seit 1968 war es die technologische „self-reliance“ Lateinamerikas –
kontrastierten mit einem Spektrum unzureichend koordinierter Einzelaktivitäten.413 Hinzu kann, daß die lateinamerikanischen Regierungen
_______________
412
413
Protocol of Amendment to the Charter of the Organization of American States, „Protocol
of Managua“ [signed at Managua, Nicaragua, on June 10, 1993, at the Nineteenth Special
Session of the General Assembly]
Zum „Programa Regional Desarrollo Científicio y Tecnológica“ (PRFYT) Ernst B. Haas:
„Technological self-reliance for Latin America: the OAS contribution“, in: International
Organization 34 (1980) 4, 541-570
150
handelspolitischen Zielen traditionell den Vorrang gegenüber entwicklungspolitischen Maßnahmen einräumten. Für sie verloren die entwicklungspolitischen Aktivitäten der OAS414 in der schuldenfinanzierten Wachstumsstrategien der 70er Jahre vollends an Wichtigkeit. Der damalige OASGeneralsekretär stellte 1980 fest:
„While the OAS provides a key forum in which the American nations are
wrestling with regional solutions to the new development agenda, it is
obvious that the OAS is not designed to serve as a massive technical
assistance or donor agency.“415
Mit ihren klein dimensionierten Projekten scheint die OAS interessanterweise eine Nische zu besetzen, die von anderen Geber- oder Durchführungsorganisationen vernachlässigt wird. Vor allem Kleinststaaten, namentlich diejenigen der Karibik, äußern daher immer wieder die Sorge, die OAS
könne wegen des Vorstoßes in neue Aufgabenbereiche (z.B. Demokratiesicherung) ihre entwicklungspolitischen Aktivitäten zurück- oder sogar einstellen.
Insgesamt sollte die Dienstleistungsfunktion der OAS als einer Mehrzweckorganisation nicht unterschätzt werden. Sie umfaßt nicht nur entwicklungspolitische Aufgaben. Von der Standardisierung der Statistik über
die Förderung des Museums- und Bibliothekswesens bis hin zur Erhaltung
der Kultur und Folklore indigener Völker reichen die Aktivitäten der OAS
und des um sie herum lagernden Kranzes von Sonderorganisationen mit
größtenteils langer Tradition im Panamerikanismus.
Daß die OAS eine „full-scale agency“ ist, wird deutlich im Vergleich mit
der 1963 gegründeten Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU), die
sich erst seit Anfang der 80er Jahre (z.B. mit dem „Lagos Plan of Action“
ihres ersten Wirtschaftsgipfeltreffens) von einer institutionalisierten Konferenz der Staatschefs in Richtung einer differenzierten Organisation mit
Dienstleistungsfunktionen zu entwickeln begann.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der OAS-Sonderversammlung von
Managua im Juni 1993war es, daß der bei zahlreichen US-lateinamerikanischen Handelskonflikten in steriler Konfrontation steckengebliebene
Sonderausschluß für Konsultation und Verhandlungen (CECON) in einem
Sonderausschluß für Handel (CEC) umgewandelt wurde.416
_______________
414
415
416
Earl Roueche: „Development and technical cooperation: a regional organization’s
experience – OAS“, in: Robert S. Jordan (Hg.): Multinational cooperation: economic,
social., and scientific development, New York 1972, 192-222
Alejandro Orfila: The Americas in the 1980's: an agenda for the decade ahead, Lanham
1980, 50
General Assembly, XIX Special Session: „Establishment of the Special Committee for
Trade (CEC)“, OEA/Ser. P, AD/Doc. 2984/93 rev. 1, 11.06.1993. Zur Entwicklung von
151
Der neue Handelsausschluß der OAS füllt tatsächlich eine Lücke, da es in
der Region bisher kein multilaterales Forum für Handelsfragen gab. ER soll
Liberalisierung und Ausweitung des Handels fördern. Anstelle der undankbaren Verhandlungsfunktion, an der CECON strukturell gescheitert war,
stehen bei CEC Meinungstausch und Dienstleistungen (Analysen, Aufbau
einer Datenbank usw. zu Handelsfragen) im Vordergrund, zumal Prozeduren für die Schlichtung von Handelskonflikten in den bestehenden Freihandelsvereinbarungen ohnehin meist vorgesehen sind.
Der OAS-Sonderausschuß für Handel ist Ausdruck des erneuerten (hin
und wieder auch schon ernüchterten) interamerikanischen Kooperationsgeistes.
Aus den dargelegten Gründen wird die OAS im Sachbereich „Wohlfahrt“
nicht mehr an ihre Akteursrolle im Rahmen der Allianz für den Fortschritt
anknüpfen können.417 Die OAS wird als politisches Forum mit
Dienstleistungselementen ihren Platz in einem multiplen Institutionengeflecht behaupten müssen. Partiell wird sie Issue-bezogene Aufgaben in
diesem Sachbereich zugewiesen bekommen. Ein gutes Beispiel für das
„Management von Interdependenz“ (Ernst B. Haas) in den Nord-Süd-Beziehungen des Kontinents ist die nachfolgend zu behandelnde neue Rolle
der OAS in der Umweltdiplomatie. Wie im Sachbereich Herrschaft erweist
sich aber auch hier – gewissermaßen leitmotivisch – das Souveränitätsproblem als die größte Handlungsrestriktion der OAS.
2.
Interamerikanische Umweltdiplomatie
In einer Politikfeld-bezogenen Analyse der OAS-Funktionen im Sachbereich „Wohlfahrt“ sind nicht nur Fragen der Ökonomie, sondern auch solche
der Ökologie anzusprechen, wobei diese Zuordnung nicht zwingend ist. Da
Umweltprobleme nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes als wichtiger
internationaler Konfliktstoff auch und gerade der Sicherheitspolitik identifiziert werden, wäre ihre Behandlung ebenso unter dem Globalaspekt „Sicherheit“ denkbar. Immerhin hat neben anderen nichtmilitärischen Risiken
der Faktor „Umwelt“ inzwischen Eingang in die US-amerikanische Militär_______________
417
CECON: Martha Lynch: Las relaciones entre América Latina y el Caribe y los Estados
Unidos vistas a través de la Comisión Especial de Consulta y Negociación de la OEA
(CECON), [o.O.] 1993 (= BID-CEPAL documentos de trabajo sobre comercio en el
hemisferio occidental; DT-CHO-26)
Für eine Akteursorientierung sprach seinerzeit etwa die Überprüfung der Konformität mit
interamerikanischen Standards in Form der „country reviews“, in die auch die US-Politik
einbezogen wurde.
152
doktrin der Nationalen Sicherheit gefunden.418 Es ist daran zu erinnern, daß
mit den lateinamerikanischen Vorstellung von „Kollektiver ökonomischer
Sicherheit“ in der OAS bereits in den 70er Jahren um eine weiter gefaßte
Sicherheitskonzeption politisch gerungen wurde.
Wissenschaftlich ist der analytische Nutzen einer solchen funktional entgrenzten Sicherheitsdefinition allerdings zweifelhaft. Nach herkömmlicher
Auffassung ist Voraussetzung für einen sicherheitspolitisch relevanten Konflikt, daß die Gefahr internationaler Gewaltanwendung besteht – was bei
einigen wenigen Kategorien von umweltbezogenen Konflikten tatsächlich
zutreffen mag. Für unsere Untersuchung soll die Funktion der OAS bei der
kooperativen Bearbeitung ökologischer Probleme unter dem Aspekt „Wohlfahrt“ behandelt werden. Umweltschäden betreffen – wenngleich indirekt,
aber doch nachhaltig – wirtschaftliche Wohlfahrtswerte und die Lebenschancen weiter Bevölkerungskreise.
Es ist an sich nicht überraschend, daß die OAS als eine multifunktionale
Organisation auch übe rein Mandat in der regionalen Umweltdiplomatie
verfügt. Es wurde ihr im Juni 1991 auf der insgesamt wegweisenden XXI.
Generalversammlung in Santiago de Chile („Santiago Commitment to
Democracy and the Renewal of the Inter-American System“) zugesprochen.
Das dort verabschiedete Aktionsprogramm ergänzte entsprechend die Zielstellung der OAS mit der Absicht:
„To use the OAS as a forum for a rational, constructive hemisphere-wide
debate, free of recrimination, aimed at developing a specific regional
approach in order to contribute to implementation of the proposals of global
scope that environmental protection requires.“419
Frappierend ist jedoch, wie spät im Vergleich zu den Vereinten Nationen
die Agenda der OAS um umweltbezogene Aufgaben erweitert wurde. Bereits 20 Jahre vor der OAS waren die Vereinten Nationen in eine Führungsund Koordinierungsfunktion zur Festlegung einer globalen Umweltpolitik
hineingewachsen. Die UN-Umweltschutzkonferenz in Stockholm im Jahr
1972 markierte einen international einsetzenden Bewußtseinswandel, der
vor allem von den kooperativen Institutionen der Industrieländer (EG,
OECD) rasch rezipiert wurde. Die vielbeachtete und als „Erdgipfel“ titulierte UN-Konferenz über „Umwelt und Entwicklung“ (UNCED), die im
Juni 1992 in Rio de Janeiro abgehalten wurde, hat die zentrale Stellung der
Vereinten Nationen bei globalen Umweltverhandlungen erneut bestätigt.
Eine vergleichbare Rolle konnte die OAS bisher nicht spielen. Zwar kennt
_______________
418
419
Der internationale Drogenschmuggel und Massenfluchtbewegungen (wie im Falle Haitis)
werden ebenfalls als neue Sicherheitsrisiken gesehen.
General Assembly, XXI Regular Session: „Inter-American Program of Action for
Environmental Protection“, OEA/Ser. P, AG/Doc. 2769/91 rev. 1, 08.06.1991
153
sie eine lange Tradition der rechnischen Zusammenarbeit, was die geregelte
Nutzung natürlicher Ressourcen anbelangt. Zahlreiche OAS-Projekte zur
grenzüberschreitenden Gewinnung von Hydroenergie aus den südamerikansichen Flußsystemen sind ein Beispiel dafür. Aber viel mehr als eine Konvention zum Naturschutz im engeren Sinne aus dem Jahr 1940 hat das interamerikanische System bis zum Ende der 80er Jahre nicht hervorgebracht.
Zwei Gründe lassen sich dafür nennen:
(1) Zunächst kann eine Indifferenz der OAS-Mitgliedsstaaten unterstellt
werden. Die lateinamerikanischen Militärregierungen waren während
der 70er Jahre auf ihre geopolitisch inspirierten Doktrinen der Nationalen Sicherheit fixiert. Im Zusammenhang damit trieben einige
Länder ihre interne Expansion voran. So bereitete damals Brasilien
mit der ungehemmten „Erschließung“ des peripheren Amazonasgebietes den Boden für heutige Umweltschäden. Für die in den 80er
Jahren zurückkehrenden Zivilregierungen waren ökologische Themen wiederum ein Luxus, rangen sie doch in der „verlorenen Dekade“ von drückender Wirtschafts- und Verschuldungskrise um die
Wiedergewinnung wirtschaftlichen Wachstums.
(2) Ein zweiter Grund für diese Verspätung der OAS gegenüber den umweltbezogenen Aktivitäten der Vereinten Nationen ist darin zu sehen, daß das Souveränitätsproblem im asymmetrischen Kontext der
interamerikanischen Beziehungen besonders sperrig ist. Einige lateinamerikanische Staaten vertraten bereits in der Diskussion um die
Neue Weltwirtschaftsordnung vehement das Verständnis der völligen
Souveränität über natürliche Ressourcen auf ihrem nationalen Territorium. An der Spitze der Souveränitätsfront stand stets Brasilien,
das auf dieser Prärogative bis heute grundsätzlich besteht, freilich
nicht, ohne mit dieser Haltung im eigenen Land Kritik hervorzurufen. Brasilien argwöhnt wie andere Schwellen- und Entwicklungsländer auch, daß ihm mit der Klassifizierung seiner Ressourcen als
„globale Gemeingüter“ in nationale Entwicklungsstrategien hineingeredet werden solle.
Gleichwohl kam es zwischen 1989 und 1991 recht unerwartet zu einer
hektischen Abfolge regionaler Manifestationen zum Thema „Umwelt“. Zu
nennen sind u.a.
- der Umweltpolitische Aktionsplan für Lateinamerika und die Karibik420;
_______________
420
VI Ministerial Meeting on the Environment in Latin America and the Caribbean (Brasilia,
30./31.03.1989): Action Plan for the Environment in Latin America and the Caribbean,
154
- der Bericht „Unsere eigene Agenda“421; sowie
- die Tlatelolco-Plattform.422
Wie kam es nach der langen Abwesenheit einer Umweltagenda zu dieser
plötzlichen Konjunktur? Am wenigsten war es wohl die Einsicht der lateinamerikanischen Eliten in den wachsenden Problemdruck. Zwar sind die
wachsende Wasserverschmutzung, Tropenwaldvernichtung, Bodenerosion
und Luftverpestung in urbanen Agglomerationen wie Mexiko City und Santiago unübersehbar. Dennoch vernachlässigen die meisten lateinamerikanischen Regierungen die Umweltproblematik einstweilen noch, weil sie ein
Wachstum „um jeden Preis“ benötigen, um die aufgestauten sozialen Probleme reduzieren und dadurch die politische Stabilität sicherer machen zu
können. Hier soll vielmehr die These vertreten werden, daß diese regionalen
Konzertierungsbemühungen ganz wesentlich von außen, durch die globalen
Umweltverhandlungen, initiert und induziert wurden.
Die 1992 bevorstehende UNCED in Río nötigte die lateinamerikanischen
Regierungen, eine gemeinsame Verhandlungsposition festzulegen. So
verpflichteten sich die Präsidenten der Río-Gruppe im Oktober 1990 „[to]
maintain constant coordination in multilateral fora on the environment in
order to harmonize our positions and assure them more efficiency.“ Zwei
Optionen einer konzertierten lateinamerikanischen Haltung zu den Konferenzthemen von UNCED boten sich an:
Die erste Möglichkeit bestand in einer kollektiven Verweigerung. IN der
entwicklungspolitischen Debatte hat bekanntlich 1990 der sogen. „NyerereBericht“ der Südkommission (als Antwort des Südens auf die Arbeit von
Brundtland) der Dritten Welt empfohlen, die „Umweltwaffe“ einzusetzen,
um die Industrieländer bei den Verhandlungen über globalen Umweltschutz
zu einer Umverteilung finanzieller und technologischer Ressourcen
zugunsten des Südens zu zwingen. Vor dem Hintergrund neuer Interdependenzen besitzt Lateinamerika eine solche „Macht der Schwachen“, die sich
aus der Fähigkeit ergibt, Unordnung zu exportieren. Verschuldung, Migra-
_______________
421
422
dokumentiert in: Heraldo Muñoz (Hg.): Environment and diplomacy in the Americas,
Boulder 1992, 51-81
Latin American and Caribbean Commission on Development and Environment: InterAmerican Development Bank; United Nations Development Program: Our Own Agenda,
UNDP/IDB/ECLAC, s/1. Auszugsweise wiedergegeben in: Muñoz, Environment, 82-113
Economic Commission for Latin America and the Caribbean (ECLAC), Plenary Sessions
at Ministerial Level: The Tlatelolco Platform, Conference Room Document MIN/5/Rev. 1,
07.03.1991, ebenfalls in Muñoz, Environment, 118-127
155
tion, Drogen und eben auch Umwelt werden als Quellen dieser „Chaosmacht“ identifiziert.423
Lateinamerika entschied sich statt dieser konfliktiven oder gar obstruktiven Verhandlungsstrategie für die andere Option, nämlich eine konziliatorische Strategie des „Mitspielens“. Das international als Umweltsünder par
excellence verschriene Brasilien tat dies sogar in profilierter Weise, nämlich
als Gastgeber der UN-Konferenz in einer Art Vermittlerrolle.424 Dies wurde
ihm von führenden Industrieländern mit beachtlichen finanziellen Zusagen
gelohnt, mit denen die umweltverträgliche Bewirtschaftung seines amazonischen Landesteils erleichtert werden soll.
Die lateinamerikanische Staatengruppe erkannte mithin, daß neue ökologische Ordnungsmuster im internationalen System und im regionalen Zusammenhang nicht zu verhindern waren und versuchte daher, sie im Sinne
der nationalen Entwicklungsinteressen mitzugestalten, indem man die Finanzierung von Umweltprogrammen, Erleichterungen der Schuldenlast und
Zugang zu technologischem Know-how aushandelte. Auch ergab sich die
Chance, Themen zu verknüpfen. So wird die für lateinamerikanische Regierungen dringliche Armutsbekämpfung auch von den Industriestaaten als
zentrale Voraussetzung für den Umwelterhalt anerkannt. Hatten wichtige
lateinamerikanischen Staaten also zunächst versucht, sich einer Bedeutungszunahme multilateraler Organisationen in internationalen und regionalen
Umweltfragen entgegenzustemmen, weil man von supranationalen Regelungen oder gar Verboten nur Nachteile erwartete, so sorgte man zu Beginn der
90er Jahre dafür, daß sie wenigstens auf einer “low profile“-Ebene haltmachte.
Im weltpolitischen Aktionsprogramm der OAS von 1991, das wie beschrieben einem regionalen Schub bei der konzertierten Behandlung der
Umweltproblematik mitentsprang, hat sich diese Strategie der Vorwärtsverteidigung ebenfalls niedergeschlagen. Das Prinzip der nationalen Souveränität über natürliche Ressourcen wurde explizit bekräftigt.425 Damit sichern
sich die lateinamerikanischen Staaten gegen unerwünschte Eingriffe in ihre
nationale Entwicklungspolitik und verhindern vorerst, daß die Bäume eines
sich unter dem Dach der OAS entwickelnden Umweltregimes, für das sich
vor allem das OAS-Neumitglied Kanada stark macht, in den Himmel wachsen.
_______________
423
424
425
Joseph S. Nye: Bound to lead: the changing nature of American power, New York 1990,
198
Martina Müller: „Ökologie als Waffe? Umweltaußenpolitik in Brasilien“, in:
Lateinamerika am Ende des 20. Jahrhunderts / Detlef Junker; Dieter Nohlen; Hartmut
Sangmeister (Hg.), München 1994, 212-234, 222 ff.
Inter-American Program of Action for Environmental Protection, Kapitel II, Abs. (a)
156
Auch der den globalen Nord-Süd-Konflikt über Umweltfragen wiederspiegelnde interamerikanische Divergenz schließt für die OAS eine umweltdiplomatische Akteursrolle einstweilen aus: Die Forderung lateinamerikanischer Staaten nach einem entsprechenden Technologietransfer wehrten die
USA bisher mit dem Argument ab, dieser könne allein Sache des privaten
Sektors sein und sei nur möglich unter der Voraussetzung, daß die lateinamerikanischen Staaten die Patentschutzrechte von multinational operierenden US-Firmen respektierten. Im Gegenzug halten lateinamerikanische
Staaten den USA einen „grünen“ Handelsprotektionismus vor.426 Die aus
der Verknüpfung von Handels- mit Umweltfragen herrührenden bilateralen
Konflikte wurden vor allem im GATT ausgetragen, während die OAS mehr
als Forum einer allgemeinen Diskussion genutzt wurde. Der beim Ständigen
Rat der OAS eingerichtete Umweltausschluß widmete dem strittigen Zusammenhang im April 1992 eine Konferenz mit dem Titel „Trade“, the
Environment, and Sustainable Development“.
Die USA haben unterdessen einem zentralen Konfliktstoff die Spitze genommen: Die „Enterprise for the Americas Initiative“ von Präsident Bush
bezog programmatisch einen Schuldenerlaß im Tausch gegen umweltpolitische Zugeständnisse ein („debt for nature swaps“). Dies dokumentiert nicht
zuletzt, wie weit Umweltfragen bereits auf der wirtschaftlichen Agenda der
interamerikanischen Kooperation vorgerückt sind. Auch von Kleinstaaten
gehen diesbezügliche Impulse aus. Die zentralamerikanischen Staaten gründeten am 12. Oktober 1994 in Managua eine „Allianz für die nachhaltige
Entwicklung Zentralamerikas“, deren ambitiöser Aktionsplan den Isthmus in
eine ökologische Modellregion verwandeln soll, aber wohl chancenlos ist,
solange das Thema einer grundbedürfnisorientierten Agrarreform tabu
bleibt. Man darf dahinter den Versuch von ausgepowerten Ländern vermuten, die früher vom Verkauf geostrategischer Positionen lebten und heute in
Vergessenheit zu geraten drohen, mit dem Umweltthema Transferzahlungen
anzuziehen.
Ob nun die OAS das ihr 1991 verliehene umweltpolitische Mandat mit
Substanz zu füllen vermag, ist wenige Jahre danach noch nicht zu beurteilen.427 Aus den soeben dargelegten Argumenten ergibt sich, daß die OAS
ein höheres Profil in der Umweltdiplomatie so bald nicht erlangen wird. Ihr
diesbezüglicher Rückstand gegenüber den Vereinten Nationen bleibt. Das
schließt aber keineswegs aus, daß die Funktionserweiterung der OAS und
_______________
426
427
James Brooke: „America: environmental dictator?“, New York Times, 03.05.1992, F7;
Roger D. Stone: „The road from Rio“, in: Hemisfile 3 (1992) 5, 8-9
Permanent Council: „Report of the Committee on the Environment in connection with the
Inter-American Program of Action for Environmental Protection“, OEA/Ser. G, CP/Doc.
2390/93 rev. 1, 01.06.1993
157
ihre Rolle als Diskussionsforum und technischer Dienstleister auf dem Gebiet der regionalen Umweltpolitik von Dauer sein wird. Zwar sind Umweltfragen bei der asymmetrischen Struktur des Interamerikanischen Systems
sehr konfliktträchtig. Anders als etwa bei den homogeneren kooperativen
Institutionen der reichen Industriestaaten, die ebenfalls von deutlichen Differenzen in Umweltfragen geprägt sind, verläuft die Konfliktachse in der
OAS entlang der Nord-Süd-Richtung. Trotz der daraus resultierenden Verteilungskonflikte werden die amerikanischen Staaten aber allein wegen des
wachsenden Problemdrucks eine institutionalisierte Kooperation den längerfristig fruchtlosen Null- oder Negativsummenspielen vorziehen. Die bisherige Entwicklung bestätigt dies.
3.
Ansätze eines multilateralen Drogenkontrollregimes
Die Bekämpfung des internationalen Rauschgifthandels ist seit Mitte der
80er Jahre eines der Gebiete, auf denen die OAS eine durchaus wichtige
Rolle spielen konnte. Obwohl der Drogenkomplex wegen seines inter- bzw.
transnationalen Charakters für eine multilaterale Bearbeitung geradezu prädestiniert zu sein scheint, gelang es der OAS nur allmählich, hier eine zusätzliche und neue funktionelle Aufgabe im Sachbereich Sicherheit zu akquirieren. Der Grund dafür ist in der bereits erwähnten, dem interamerikanischen System inhärenten Spannung zwischen einer Hegemonial- und einer
Kooperationsebene zu suchen. Die folgende Erörterung von Entstehungsbedingungen und Zukunftsaussichten eines multilateralen Drogenkontrollregimes unter dem Dach der OAS soll dies exemplarisch belegen.
Die US-Administrationen Reagan und Bush erhoben das Drogenproblem
zur wichtigsten Bedrohung ihrer sozialen, ökonomischen und militärischen
Sicherheit. Nicht ohne Grund wurde daher von einer neuen nationalen Sicherheitsdoktrin nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes gesprochen, die
auf der Basis der Drogenbekämpfung die Einmischung in interne Angelegenheiten der lateinamerikanischen Länder gestatte.428
Dieses neue Sicherheitskonzept folgte den Grundannahmen der „realistischen“ Denkschule der internationalen Politik. Danach hatten in einem anarchisch organisierten internationalen System des „Hilf dir selbst“ die Vereinigten Staaten nicht nur das Recht, sondern aufgrund ihrer Hegemonialstellung sogar die Pflicht, den untergeordneten lateinamerikansichen Staaten ein
Bilateral organisiertes Antidrogen-Regime zu „oktroieren“. Die „Koopera_______________
428
Waltraud Queiser Morales: „The war on drugs: a new US national security doctrine?“, in:
Third World Quarterly 11 (1989) 3, 147-169, 151
158
tion“ der schwächeren Staaten mußte mit diplomatischen oder wirtschaftlichen Pressionen notfalls erzwungen werden, da beim Scheitern des schon
1972 von Präsident Nixon erklärten „Krieges gegen das Rauschgift“ („war
on drugs“) das nationale Sicherheitsinteresse der USA und in letzter Konsequenz die Stabilität des internationalen Systems beeinträchtigt worden wäre.
Die bei der Bekämpfung des Narkotika-Schmuggels gezogene Analogie
zu einem regelrechten „Krieg“ implizierte eine erweiterte Rolle des Militärs
und der Nachrichtendienste in den USA selbst, vor allem aber in den
lateinamerikanischen Ländern, in denen es eine „Narko-Guerilla“ zu bekämpfen galt. Bei der Reagan-Administration erweckte sogar den Anschein,
als habe sie die konkrete Bekämpfung des „narcotráfico“ dem Primat der
Subversionsbekämpfung untergeordnet.429
Diese der „realistischen“ Denkschule verpflichtete Strategie steuerte jedoch auf einen Schiffbruch hin. So war nämlich ihre übersimplifizierende
Prämisse vom Nationalstaat als dem zentralen Handlungsträger untauglich,
weil sie übersah, daß im internationalen Drogengeschäft zahlreiche subbzw. transnationale Akteure operieren. Eine solche staatszentrierte Strategie
ignorierte die relative Unabhängigkeit der Marktkräfte in einem globalisierten Drogengewerbe. Sie verkannte auch die inneren Restriktionen von
schwachen Staaten, die durch kriminelle Gruppen mit enormen Finanzpotential („Drogenmafia“) infiltriert sind, und denen – wie im Falle Perus und
Kolumbiens –die Kontrolle eines Teiles ihres Territoriums von einer
Guerilla streitig gemacht wird. Eine effektive Drogenbekämpfungspolitik
war von ihnen schlechterdings nicht zu erwarten.430 Ganz gleich wie
drängend oder abstrafend auch immer die Vereinigten Staaten sich verhielten, würden solche Staaten eher den Weg des geringsten Widerstandes gehen, indem sie Finanzhilfen einstrichen, um dann bei vorgeblicher Konformität mit dem Antidrogen-Regime doch einen modus vivendi mit den Kokabauern und den „Drogenkartellen“ suchen (sogen free rider-Problem).
Ebenso täuschte die „realistische“ Überschätzung militärischer Machtressourcen, die bei polizeilichen Aufgaben gegenüber klandestin operierenden
Individuen und Gruppen wenig auszurichten vermag. Der Drogenkrieg war
ungleich komplizierter als etwa die Zurückweisung eines Aggressorstaates
wie dem Irak. Das Drogenproblem ist beispielhaft ein sogen. „intermestic
issue“, als eine Herausforderung mit einer internationalen wie einer inneren
(„domestic“) Komponente. Die untaugliche „Militarisierung“ der Drogen_______________
429
430
Bruce Bullington; Alan A. Block: „A Trojan horse: anti-communism and the war on
drugs“, in: Contemporary Crises 14 (1990) 1, 39-55
Bruce M. Bagley; Juan Gabriel Tokatlian: „Droga y dogma: la diplomacia de la droga de
Estados Unidos y América Latina en la decada de los ochenta“, in: Pensamiento
Iberoamericano (1991) 19, 235-255, 240
159
bekämpfung schwächte ohnehin fragile Zivilregierungen und machte sie
(z.B. in Peru) vom Militär als regimestabilisierender Kraft abhängig.
Das vom machtpolitischen Realismus inspirierte, im wesentlichen von
den USA bilateral verordnete Regime nationaler Sicherheit zur Drogenbekämpfung war ungeeignet, eine langfristige und stabile Kooperation zu
stiften. Unter einem „Regime“ wird hier eine kooperative Institution verstanden, die durch informelle und formelle, rechtliche und nicht verrechtlichte Strukturen (Prinzipien, Normen, Regeln, Entscheidungsverfahren)
gekennzeichnet werden und Konflikte zwischen konkurrierenden Nationalstaaten auf einem Politikfeld bearbeiten.431 Sie kann deshalb von einem
Hegemon nicht im Alleingang gebildet werden, sondern entsteht durch die
freiwillige Einordnung der schwächeren Staaten aufgrund ihrer eigenen
Interessenkalkulation.
Aus lateinamerikanischer Sicht fehlte es dem einseitig auf nationale und
strategische Sicherheitsinteressen der USA zugeschnittenen Drogenregime
an Legitimität, Glaubwürdigkeit und Sympathie. Der Legitimität entbehrte
es, weil es mehr im Wege eines unilateralen Oktroi als der kooperativen
Aushandlung zustande kam. Zweitens mangelte es ihm an Glaubwürdigkeit,
da die Strategie des Drogenkrieges auf die Angebotsseite konzentrierte, d.h.
der Bekämpfung in den Produzentenländern. Den Vorrang gab, hingegen
die Nachfrageseite vernachlässigte, also die Verhinderung des Konsums,
Vorbeugungsmaß nahmen und eine Gesundheitspolitik in den USA selbst.
Einige lateinamerikanische Staaten, die sich zum Sündenbock gemacht
sahen, beklagten im Gegenzug den unersättlichen Bedarf des mit Abstand
größten Rauschgiftkonsumenten der Welt: den Vereinigten Staaten. Drittens
entbehrte das Hegemonialregime der Symmetrie, da es die Kosten und Lasten höchst ungleich verteilte.
Sichtbar wurde hier abermals der alte Nord-Süd-Konflikt de Hemisphäre:
Die Nordamerikaner versprachen sich von energischen Polizei- und Militäreinsätzen in den Erzeugerländern entscheidende Vorteile; die Lateinamerikaner interessierte Wirtschaftshilfe als Prämie für eine Regimeteilnahme.
In der Tat waren die Kosten des „Drogenkrieges“ für die betroffenen
Länder außerordentlich hoch. Wie schon bei den counter insurgency-Programmen der 60er Jahre entstand die manifeste Gefahr, daß eine Militarisierung der Gesellschaft gefördert wird, die die Militärmacht auf Kosten der
zivilen Gesellschaft stärkt. Darüber hinaus warf die direkte Teilnahme nordamerikanischer Streitkräfte die Frage der Bewahrung nationaler Souveränität in der Verfolgung der Drogenmafia auf und stellte die Legitimation der
_______________
431
Stephen D. Krasner: „Structural causes and regime consequences: regimes as intervening
variables“, in: Ders. (Hg.): International regimes, Ithaca 1983, 1-21, 2
160
jeweiligen nationalen Regierungen in Frage. Unklare Marinemissionen der
USA zur Unterbindung der Schmuggelrouten, die Kolumbien wiederholt
eine Seeblockade fürchten ließen, sowie der Anspruch der USA auf eine
exterritoriale Rechtsanwendung, bei denen nicht einmal mehr der Anschein
eines gemeinsamen Vorgehens gewahrt blieb, provozierten das Nationalgefühl und den Souveränitätswillen von Bevölkerung und Eliten der lateinamerikanischen Länder.
Bei derartigen Konflikten gewann die OAS als Mittlerinstanz eine neue
Bedeutung, in deren Rahmen z.B. Kolumbien und die USA im Jahr 1988
eine Verständigungslösung erreichten.432
Die Vereinigten Staaten „entdeckten“ die OAS, um ihrem Ziel einer –
von
vornherein
freilich
aussichtslosen
–
multinationalen
Drogenbekämpfungseinheit näher zu kommen. Der US-Kongreß forderte im
„Omnibus Drug Act“ von 1988 die Exekutive auf:
„[…] to make every effort to initiate diplomatic discussions through the
Organization of American States aimed at achieving agreement to establish
and operate a Western Hemisphere anti-narcotics force;
and sensitive to the legitimate concerns of other member nations of the
Organization of American States, the United States stands ready to provide
[…] ressources to support the establishment and operation of such an
narcotics force, but believes that the personnel for such a force should be
provided by those nations facing the most serious threat from drug
trafficking organizations.“433
Es war auch im internationalen Verbund der OAS, daß die USA erstmals
offiziell eine Mitverantwortung für das Drogenproblem anerkannten. Der
Titel des im April 1986 verabschiedeten Aktionsprogrammes von Río
nannte “Angebot“ und „Nachfrage“ als die beiden Seiten der einen Medaille.434 Das seinem Inhalt nach wenig konkrete OAS-Programm bildete
immerhin den Aktionsrahmen für die Interamerikanische Kommission zur
_______________
432
433
434
Permanent Council: „CP/RES. 493 (724/88): Cooperation in the fight against narcotics
trafficking“, OEA/Ser. G, CP/RES. 493 (724/88), 15.01.1988; David Johnson: „O.A.S.
adopts rule to battle trafficking in drugs“, New York Times, 17.01.1988, sec. 1, 10
„Section 401 [of] Public Law 100-690 („Anti-Drug Abuse Act of 1988“)“, in: United
States Code, 1988 Edition, Volume 9, Washington 1989, Title 22, § 2291. Siehe auch
Richard Sandza: „The drug wars: a multinational force?“, in: Newsweek 111 (18.04.1988)
16, 35
Specialized Inter-American Conference on Drug Trafficking: „Inter-American Program of
Action of Rio de Janeiro against the illicit use and production of narcotic drugs and
psychotropic substances and traffic therein“ (CEIN/Doc. 22/86 rev. 3), enthalten in:
OEA/Ser. P/XVI.0.2, 17.12.1986, Vol. I, Appendix, 29-34
161
Kontrolle des Drogenmißbrauchs (CICAD), die 1987 ihre Arbeit aufnahm.435
Auf eine verstärkt um Kooperation werbende Strategie mußte die BushRegierung nach der für Lateinamerika schockierenden US-Invasion in Panama vom Dezember 1989 umschalten, mit der zum einen das strategische
Sicherheitsinteresse am Panamakanal zum Ausdruck kam, und zum anderen
mit dem Diktator Noriega ein führender Kopf des internationalen Drogenhandels gefaßte wurde. Auf dem „Andengipfel“ von Cartagena (Kolumbien)
im Februar1990 einigten sich die USA als das Land mit dem höchsten Kokainkonsum zum ersten Mal mit den beiden wichtigsten Kokaproduenten,
Peru und Bolivien, und dem größten Kokainfabrikanten, Kolumbien, auf ein
gemeinsames Vorgehen bei der Drogenbekämpfung. Die wegweisende „Erklärung von Cartagena“436 war die Basis eines umfassenden Langzeitprogramms, in welchem Wirtschaftshilfe und Drogenbekämpfung eng miteinander verknüpft werden sollten. Die Kooperation der Andenstaaten bei
repressiven Maßnahmen und gleichzeitiger alternativer Entwicklung der
Koka-Anbaugebiete durch Erntesubstitutionen sollte mit Wirtschaftshilfe
aus den USA abgegolten werden, und nicht mehr wie vordem im engen
bilateralen Rahmen mit Pressionen erzwungen werden. Eine solche enge
Verbindung von Wirtschaftshilfe und Drogenbekämpfung war von Lateinamerika seit langem gefordert worden.
Auf einem erweiterten „Drogengipfel“ im Jahr 1992 in San Antonio, zu
dem Ecuador, Mexiko und Venezuela stießen, gelang es den Andenländern
erneut, den USA wichtige Konzessionen abzuringen. Unterstützt von der
Regierung Kolumbiens hatte US-Präsident Bush verstärkter Repression, d.h.
regioal abgestimmten Polizei- und Militäraktionen das Wort geredet. Peru
und Bolivien stemmten sich gegen einen Einsatz von US-Soldaten in ihren
Ländern und lehnten auch die Idee multilateraler Militäreinheiten ab. In
ihrem Sinne wurde ein Kompromiß gefunden, wonach Programme zur Wirtschaftshilfe und zur Durchsetzung des Rechts sowie zur alternativen Entwicklung der Kokaregionen gegenüber reinen Repressionsmaßnahmen Vorrang haben sollten. Nach dem Verhandlungserfolg sprach Boliviens Präsident Paz Zamora von „multilateraler Bruderhilfe“, welche eine gefürchtete
_______________
435
436
Alberto Quiroga G.: „La OEA y el control de drogas“, in: Américas 39 (1987) 3, 55;
I[rving] G. Tragen: „Co-operation of countries within the Organization of American States
to combat drug problems“, in: Bulletin on Narcotics 39 (1987) 1, 57-60
Dokumentiert in: Permanent Council: „Declaration of Cartagena signed by the Presidents
of Bolivia, Colombia, Peru and the United States of America on February 15, 1990“,
OEA/Ser. G, CP/INF. 2965/90, 20.02.1990
162
„multilaterale Sturmtruppe“ ersetze, ohne die Souveränität der einzelnen
Länder zu verletzen.437
Parallel zu den minilateralen „Drogengipfeln“ kam auch die multilaterale
Koordination der regionalen Drogenbekämpfung durch die OAS voran. Die
Interamerikanische Kommission zur Kontrolle des Drogenmißbrauchs
(Comisión Interamericana para el Control del Abuso de Drogas, CICAD)
verstand es, den von ihrem Statut als „technisch unabhängige“ Agentur her
gegebenen Gestaltungsspielraum zu nutzen. Selbstverständlich war dies
nicht, denn gemessen an dem volltönend mit „Alliance of the Americas
against Drug Traffic“ betitelten OAS-Ministertreffen war die Ausstattung
von CICAD höchst bescheiden.438
Zu den Aufgaben von CICAD gehörte es, den Drogenkomplex politisch
zu evaluieren, wobei die Kommission wohlgemerkt keine übernationalen
Exekutivbefugnisse besitzt. Technisch hat sie den OAS-Staaten mit Informationen und Expertise zu dienen, wozu neben der Unterhaltung einer Datenbank (mit Unterstützung Japans) Aufklärungskampagnen und regionale
Trainingszentren für nationales Strafverfolgungs- und Justizpersonal gehören. CICAD entwickelt außerdem modellhafte Regularien, wie jene zur
wirksamen Kontrolle des Marktes von chemischen Hilfsstoffen für die Drogenherstellung (chemical precursors), die bereits von zwölf Staaten in ihre
nationale Gesetzgebung übernommen wurde. Solche zur Sanktionierung von
Geldwäscherei und zur Schließung der Lücken bei der gegenseitigen
Rechtshilfe sind in Vorbereitung. CICAD hat sich damit den Ruf professioneller Kompetenz erworben.439 Die Arbeit dieser regionalen Drogenkontrollkommission unterstreicht einmal mehr den Dienstleistungscharakter
der OAS.
Nicht nur dadurch haben sich die Voraussetzungen für die Ausbildung
eines
umfassenden
multilateralen
Regimes
der
regionalen
Drogenbekämpfung unter dem Dach der OAS seit Anfang der 90er Jahre
entscheidend gebessert. Eine Reihe weiterer günstiger Faktoren sind hier zu
nennen:
_______________
437
438
439
„Amerikanische Allianz gegen Kokain und Heroin“, Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe),
01./02.03.1992, Nr. 50, 3; 4
Meeting of Ministers in the Illicit Use and Production of Narcotic Drugs and Psychotropic
Substances and Traffic Therein – Alliance of the Americas against Drug Traffic:
„Declaration and Program of Ixtapa“, OEA/Ser. K/XXVIII.2.1, RM/NARCO/Doc. 29/90
rev. 1, 20.04.1990
Abraham F. Lowenthal: „The Organization of American States and control of dangerous
drugs“, in: Drug policy in the Americas / Peter H. Smith (Hg.), Boulder 1992, 305-313,
311
163
(1)
(2)
Die lateinamerikanischen Länder dürfte es bei ihren Souveränitätssorgen kooperationsgeneigter stimmen, daß die Clinton-Administration die militärische Dimension der Kongreßmehrheit stark reduziert. Regierung und Kongreßmehrheit versprechen sich offensichtlich von Hubschrauberattacken auf Kokapflanzungen und Kokainlabors nicht mehr allzuviel. Militärische Repressionsversuche
haben in den Andenländern Kosten verursacht, die in keinem Verhältnis zu der ursprünglich erhofften Wirkung ihres Einsatzes standen: Korruption, Macht- und Mittelmißbrauch und vermehrte Verletzungen der Menschenrechte. Solche Maßnahmen waren auch insofern ineffizient, als Störungen des Drogennachschubes nur zu
seiner räumlichen Verlagerung geführt haben und gewissermaßen
als Prämie auf das erhöhte Risiko gleichzeitig die üppigen Profite
der „Drogenbarone“ eskalierten. Die graduelle Abwendung
Clintons von der Rhetorik des „Drogenkrieges“ ist der Sache schon
deshalb dienlicher, weil dieses zweifelhafte Schlagwort nur naive
Erwartungen einer totalen „Lösung“ befördert hatte. Obwohl seine
Regierung keine kohärente Drogenpolitik entwickelt hat, erkennt
Clinton – was auch sein Vorgänger Bush im Prinzip bereits getan
hatte – verstärkt den internationalen Charakter des Drogenproblems
und damit die Notwendigkeit multilateral koordinierten Vorgehens
an.440
Die Kooperationsbereitschaft der lateinamerikanischen Regierungen steigt mit ihrer rasch wachsenden Betroffenheit und
Verwundbarkeit. Nicht zuletzt als Repressionsfolge haben sich
Produktion und Schmuggel von Rauschgift epidemieartig über die
ganze Region diversifiziert, während sie sich in den 80er Jahren
noch vornehmlich auf die Andenländer konzentrierten. Die
traditionelle Klassifikation in Produzenten-, Transit- und Konsumentenländer trifft nicht mehr länger zu. Heute gibt es zwischen
dem Río de la Plata und dem Río Grande fast kein Land mehr, das
nicht Schauplatz des Narkobusiness geworden ist. Dies spiegelt
sich wieder in der Erweiterung von CICAD: War sie ursprünglich
gemäß ihrer Satzung auf elf Staatenvertreter beschränkt gewesen,
so wurde ihre Mitgliederzahl bis 1993 auf 24 erhöht. An die
existenzbedrohende Dimension des Drogenproblems wurden die
Staaten der Region schließlich durch den überbordenden Drogenterrorismus („narcoviolencia“) in Kolumbien gemahnt.
_______________
440
Raphael F. Perl: „Clinton’s foreign drug policy“, in: Journal of InterAmerican Studies and
World Affairs 35 (1993/94) 4, 143-152
164
(3)
Ein multilaterales Drogenkontrollregime im Rahmen der OAS bietet den lateinamerikanischen Ländern, die während der Reaganund Bush-Jahre das „Gesetz des Handelns“ ganz den USA überlassen hatten, den Vorteil, dessen Spielregeln nunmehr mitbestimmen
zu können. Die USA können deshalb anders als bei einer unilateral
aufgenötigten bilateralen „Kooperation“ mit höherer Regimekonformität rechnen. Ein Vertrauensvorschuß für die OAS selbst dürfte
den Vereinigten Staaten heute leichter als früher fallen, da der neue
OAS-Generalsekretär César Gaviria vor seiner Amtsübernahme im
August 1994 als Präsident Kolumbiens sich bei der Drogenbekämpfung am engsten auf eine Zusammenarbeit mit den USA eingelassen hatte.
Freilich sind auch Probleme zu erkennen, die die Kooperation im Rahmen der OAS nächstens erschweren werden und eine weitere Regimeevolution hemmen könnten. Sie ergeben sich daraus, daß das Arsenal der Mittel
zur Drogenbekämpfung vorläufig erschöpft zu sein scheint. Das betrifft auch
die wohl wegen ihrer einfachen Grundidee ursprünglich als Wundermittel
angesehenen Substitutionsprogramme zur Umstellung der Kokapflanzungen
auf andere landwirtschaftliche Produkte. Sie waren gerade unter
Kooperationsaspekten von den Andenstaaten begrüßt worden, nicht zuletzt
weil sie wegen der damit verbundenen Wirtschaftshilfe lukrativ zu sein
versprachen. Projekte der alternativen Entwicklung schlugen u.a. deshalb
fehl, weil es keine marktfähigen Erntesubstitutionen gibt, die der Landbevölkerung mehr einbringen könnten als der Kokastrauch. Die sogen. „Andenstratgie“ ist damit offenkundig an allen Fronten gescheitert. Aufgrund
zunehmender innerer Konflikte hat sich die Regierung Sánchez in Bolivien
gegenüber einer Tausendschaft protestierender Koka-Bauern („Marsch für
Leben, Koka und nationale Souveränität“) sogar verpflichtet, auf internationaler Ebene eine Entkriminalisierung des Kokablattes einzuleiten.
Spannungen mit den USA, die sich auf das abschüssige Terrain einer „Legalisierung“ (mit der einige europäische Staaten bereits lokal experimentieren) nicht vorwagen können oder wollen, sind damit vorgezeichnet.
Trotz der seit Beginn der 90er Jahre insgesamt eher günstigen
Bedingungen für die weitere Entwicklung eines multilateralen, interamerikanischen Drogenkontrollregimes wird die Regimeeffizienz sich in Zukunft
angesichts der schieren Größe und Komplexität des Drogenproblems nur mit
der Mikrometerschraube messen lassen. Eine auch institutionelle Stagnation
mit der Praxis des „muddling through“ ist nicht auszuschließen.
Als Fazit läßt sich somit sagen, daß der festgestellte breite Funktionsverlust der OAS im Sachbereich „Sicherheit“ durch neue Aufgabenstellungen
partiell ausgeglichen wird, die sich auf unkonventionelle Sicherheitsgefährdungen beziehen.
165
VII. Verbreiterung des OAS-Multilateralismus
1.
Diffusion der traditionellen Polarität zwischen Lateinamerika und
den USA
Die durch die OAS hervorgebrachten „policies“ in den drei Sachbereichen Sicherheit, Wohlfahrt und Herrschaft sind hier bisher als Ergebnis des
Ringens der lateinamerikanischen Staatengruppe und der USA um Ziel- und
Funktionsbestimmung der Organisation machtstrukturell interpretiert worden. Es ging m.a.W. um die politikfeldspezifische Macht- und Gegenmachtbildung im stark asymmetrischen Interamerikanischen System.
Jüngere und jüngste Entwicklungen, die über den – einer straffen Argumentation zuliebe unvermeidlich schematisch gezeichneten – Antagonismus
zwischen „Lateinamerika“ und en USA hinaus zu einer zunehmenden Heterogenität und einer Verbreiterung des hemisphärischen Multilateralismus
geführt haben, geben Anlaß, die Dimension „Mitgliedschaft“ und die multistaatlichen Entscheidungsprozesse („politics“) in der OAS genauer in das
Blickfeld der Untersuchung zu rücken. Dabei zeigt sich, daß die OAS „multilateraler“ geworden ist.
Den einschneidendsten Wandel in der OAS hat wohl der Beitritt von einem Dutzend anglophoner Kleinstaaten der Karibik bewirkt. Damit hat sich
die Zusammensetzung der Mitgliedsstaaten hinsichtlich Größe, Bevölkerung
und Status in der regionalen Hierarchie enorm aufgefächert. Vom Unterschied der Sprache abgesehen, sind die anglophonen karibischen Staaten
von den hispanoamerikanischen Ländern in Tradition und politischer Kultur
sehr verschieden. Traditionell auf das schwierige Verhältnis zu dem „Koloß
im Norden“ fixiert, sehen sich die hispanoamerikanischen Staaten nunmehr
mit einem Asymmetrieproblem eigener Art konfrontiert. Obwohl die karibischen Klein- oder Kleinststaaten zusammen genommen an das politische
oder ökonomische Gewicht eines durchschnittlichen südamerikanischen
Staates kaum heranreichen, sind sie einzeln im Besitz gleichen Stimmrechts.
Das Mißtrauen gilt daher dem Stimmenpotential der nicht selten als ein
taktischer Blick agierenden anglophen Karibik, die heute in hohem Maße
über Tun und Lassen der Regionalorganisation mitentscheidet.
Einen für die weitere Politik- und Programmentwicklung der OAS außerordentlich bedeutsamen Wandel stellt auch die Vollmitgliedschaft Kanadas
seit 1990 dar. Mit ihr diffundierte die traditionelle Polarisierung zwischen
USA und den anderen Mitgliedsstaaten weiter. Als Mittelmacht und „Handelsstaat“ bildet Kanada die Brücke zwischen den anglophonen und hispanischen Staaten und ist im Vergleich zum „Machtstaat“ USA damit durchaus
166
als ein „Machtzentrum aus eigenem Recht“ anzusehen.441 Kanadas Bedeutung für die Formulierung der Politikinhalte im Rahmen der OAS ist darin
zu sehen, daß es Werte wie Demokratie, multikulturelle Toleranz, sozialstaatliche Tradition und eine generelle „new-world adaptability“, denen es
innerstaatlich verpflichtet ist, auf die internationale Ebene des regionalen
Multilateralismus projiziert und damit die Agenda der OAS akzentuiert und
erweitert, was hier in einer ersten Bilanz der kanadischen Mitgliedschaft
gezeigt werden soll. Zur Revitalisierung der OAS am Beginn der 90er Jahre
hat Kanada wichtige Impulse gegeben.
2.
Anglokaribik: Neue Heterogenität im OAS-Multilateralismus
Die Ländergruppierung der englischsprachigen Karibik stellt – rechnet
man das sich ihr häufig anschließende Surinam hinzu – mittlerweile dreizehn von 34 aktiven Mitgliedsstaaten in der OAS. Der Beitritt des ersten
dieser Klein- und Kleinststaaten, Trinidad und Tobago, dem im selben Jahr
1967 noch Barbados folgte, nennt Wilson einen Wendepunkt, der die Entstehung einer “Blockformation“ innerhalb der OAS markiere.442 Offensichtlich ist, daß mit der Erweiterung der OAS um die anglokaribischen Kleinstaaten und dem Beitritt Kanadas 1990 die hispanoamerikanische Prägung
der Regionalorganisation verlorengegangen ist. Zu fragen ist jedoch, ob sich
mit der Eingliederung einer ganzen Gruppe von Stimmberechtigten tatsächlich ein geschlossener „bloque caribeno anglófono“ in der OAS gebildet hat.
Zunächst interessieren die Beitrittsmotive der aus der Konkursmasse der
kurzlebigen Westindischen Föderation (1958-1962) hervorgegangenen
unabhängigen Kleinstaaten der englischsprachigen Karibik.
Trotz ihrer mangelnden historischen und kulturellen Verbindungen mit
Lateinamerika drohte den ehemaligen britischen Besitzungen durch die
ökonomische und militärische Hegemonie der Vereinigten Staaten im großkaribischen Raum die „Hispanisierung“. Mit der Hinwendung der britischen
Patronatsmacht zu Europa und ihrem 1961 noch erfolglos versuchten, dann
aber 1972 vollzogenen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
erwartete die Commonwealth-Karibik den Verlust ihres wichtigsten Marktes
und der Handelspräferenzen. Mit ihrer Unabhängigkeit waren sie „free to
_______________
441
442
Viron P. Vaky: „The Organization of American States and multilateralism in the
Americas“, in: Ders.; Heraldo Muñoz: The future of the Organization of American States,
New York 1993, 1-65, 33
Larman C. Wilson: „The Caribbean states and international organizations: the United
Nations, Organization of American States, and Inter-American Development Bank“, in:
The restless Caribbean: changing patterns of international relations / richard Millet; W.
Marvin Will (Hg.), New Yoek 1979, 266-283, 273
167
beg anywhere“. Engere Beziehungen zu Kanada, die 1966 auf der „Ottawa
Conference of Canada and the West Indies“ geknüpft wurden, boten keinen
vollen Ausgleich. Die karibische Freihandelsvereinigung CARIFTA (1968)
und die aus ihr 1973 hervorgegangene Karibische Gemeinschaft
CARICOM, waren als Ansätze subregionaler Integration noch zu jung. Aus
geopolitischen Rücksichten schied das revolutionäre kubanische Entwicklungsmodell als Alternative aus. So waren es vor allem die USA, von denen
Marktzugang und Finanzhilfen erwartet werden konnten. Die Entscheidung,
der OAS beizutreten, folgte dem historischem Muster der Region – „its
record of dependence led the now sovereign states to turn to a nearer, richer
and more relevant ´Big-Brother´, given that Britain was a declining
power.“443 In dem von Großbritannien hinterlassenen Machtvakuum war
demnach ein Wechsel des „Kolonialherren“ unausweichlich. Um jedoch von
der wirtschaftlichen Übermacht der ^Vereinigten Staate nicht erdrückt zu
werden, suchten die karibischen Mini- und Mikrostaaten ihre Interessen
weniger durch bilaterale Arrangements, als vielmehr durch den Beitritt zu
einer multilateralen regionalen Organisation zu sichern. Deshalb wandelt
Buchanan die These von Connell-Smith ab, wonach die OAS ein Instrument
Lateinamerikas zur Einhegung der Macht der USA ist: „Whereas in the
OAS, the Latin Americans perceived it as a way of controlling military
intervention, now in a sense Commonwealth Caribbean nations are
attempting to use the multilateral forum of the OAS to protect themselves
from the economic power of the U.S.“444
In einer Fallstudie, die zugleich eine der seltenen Arbeiten zum außenpolitischen Entscheidungsprozeß von Entwicklungsländern darstellt, hat Ince
den OAS-Beitritt des „Vorreiters“ Trinidad und Tobago näher untersucht.
Sie bestätigt, daß dem unter den Bedingungen einer Einparteienherrschaft
vom dominanten Premierminister Eric Williams verfügten Beitritt die beschriebenen wirtschaftlichen Motive zugrunde lagen.445 Die OAS wurde
mithin als ein internationaler Rahmen für die von dieser Ländergruppe im
ersten Jahrzehnt ihrer Unabhängigkeit verfolgte Entwicklungsstrategie der
„industrialization by invitation“ nach dem Vorbild Puerto Ricos gesehen.
_______________
443
444
445
Neville Linton: „The OAS and the English-speaking Caribbean“, in: Bulletin of Eastern
Caribbean Affairs 3 (1977-78) ¾, 19-24, 22
Basil Victor Buchanan: Commonwealth Caribbean countries and the Organization of
American States, Washington, D.C., American University, Ph.D. thesis, 1976, 11
Basil A. Ince: „Leadership and foreign policy: decision-making in a small state: Trinidad
and Tobago’s decision to enter the OAS“, in: Issues in Caribbean international relations /
Basil A. Ince; Anthony T. Bryan; Herb Addo; Ramesh Ramsaran (Hg.), New York 1983,
265-295; Buchanan, Commonwealth Caribbean, 52 ff., 62-64, 70 ff.
168
Für einen OAS-Beitritt hatten die karibischen Inselstaaten nicht nur ein
längerfristiges, sondern auch ein unmittelbares ökonomisches Motiv. Die
OAS war die Schleuse zur Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB).
Allein Mitglieder der OAS hatten damals das Recht zur Kreditaufnahme bei
der regionalen Entwicklungsbank. Diese Klausel entfiel später, so daß der
Bank auch Guyana (1976) und die Bahamas (1977) angehören konnten, die
noch nicht Mitglieder der OAS waren. Spielte zum Zeitpunkt des Beitritts
der ersten anglophonen Karibikstaaten der Zugang zu den Mitteln der Allianz für den Fortschritt noch eine große Rolle, so ist es heute der überproportional hohe Nutzen, den die Kleinstaaten aus den OAS-Entwicklungsprojekten der technischen Zusammenarbeit ziehen.
2.1 Muster von Konflikt und Kooperation
Die „new kids on the block“ trafen bei ihren hispanoamerikansichen
Nachbarn auf Mißtrauen. Die britischen Karibikkolonien waren als potentielle Mitglieder der OAS nicht einmal eingeplant, obwohl die Gründungsmitglieder der OAS 1948 in Bogotá erklärt hatten: „ it is a just aspiration of
the American republics that colonialism and the occupation of American
territories by extra-continental countries should be brought to an end“.446
Als die unabhängig gewordenen ehemaligen englischen Kolonien TrinidadTobago, Barbados und Jamaika in die OAS aufgenommen werden wollten,
wurde „entdeckt“, daß die Charta von 1948, der alle amerikanischen Staaten
durch die Ratifizierung beitreten konnten, keine besondere Aufnahmeprozedur vorsah. Die I. Außerordentliche Interamerikanische Konferenz regelte
deshalb Ende 1964 die Beitrittsfrage mit der „Akte von Washington“
übergangsweise, bis durch das „Protokoll von Buenos Aires“ die Charta in
Artikel 8 ergänzt wurde. Artikel 8 verwehrte allen Staaten den Beitritt, deren
Territorium vor 1964 ganz oder Teilweise Gegenstand eines akuten
Territorialstreits eines OAS-Mitgliedes mit einer außerkontinentalen Macht
war. Betroffen waren von hispanoamerikanischen Territorialforderungen
Britisch-Honduras und Britisch-Guyana, die auf dem südamerikanischen
Festland liegen, sowie die Falkland-Inseln. Guatemala forderte, bis
Präsident Serrano 1991 die Souveränität Belizes anerkannte, das gesamte
Territorium der früheren britischen Kolonie. Venezuela beansprucht mit der
Essequibo-Region mehr als die Hälfte des Staatsgebietes von Guyana. Der
Ausschluß Kubas und die Ausgrenzung der beiden festländischen
englischsprachigen Kleinstaaten durch die OAS machte den beitrittswilligen
_______________
446
Zitiert nach Val T. McComie: „The Commonwealth Caribbean States and the Organization
of American States“, in: Anthony T. Bryan (Hg.): The Organization of American States
and the Commonwealth Caribbean: perspectives on security, crisis and reform, St.
Augustine 1986, 34-51, 46
169
Regierungen der Inselkaribik deutlich, daß nicht alle Länder gleichermaßen
willkommen waren. Denn keinem der lateinamerikanischen Staaten war es
zuvor wegen anhängiger Gebietsstreitigkeiten verwehrt worden, der OAS
beizutreten. Die Staaten der Commonwealth-Karibik mußten zudem
irritieren, daß die OAS, die beansprucht, in Konflikten zwischen
amerikanischen Staaten zu vermitteln, jeweils eine Konfliktpartei ausgrenzte, statt zur friedlichen Lösung beizutragen.
Die Altmitglieder sahen durch die OAS-Neulinge die traditionelle Zusammensetzung der OAS und die „balance of voting“ gestört. Als nach dem
Beitritt von Trinidad und Tobago (1967), Barbados (1967) und Jamaika
(1969) abzusehen war, daß weitere Mikrostaaten folgen würden, schlug
Argentinien sogar vor, mehreren karibischen Kleinstaaten nur eine gemeinsame Stimme zuzugestehen. As aber stand nach den Grundsätzen der Vereinten Nationen im Gegensatz zum Kardinalprinzip der Gleichbehandlung
von Mitgliedsstaaten, das auch die OAS zu einem regionalen Universalismus verpflichtete.447
Die hispanoamerikanischen Staaten, die ihre Unabhängigkeit erkämpft
hatten, bezweifelten auch, ob die karibischen Kleinstaaten wirklich unabhängig geworden waren, da sie durch die Klammer des Commonwealth und
des Sterling-Blockes ihre Bindung an die koloniale Metropole aufrecht
erhielten und in den 70er Jahren die Beziehungen zu Europa durch ihre EGAssoziierung im Rahmen der AKP-Staaten verstärkten. Das verstieß gegen
den ungeschriebenen Grundsatz „ninguna alianza dentro de la alianza“,
zumal die karibischen Neumitglieder der OAS sich dem Beitritt zum kollektiven interamerikanischen Sicherheitssystem entzogen. Einzig Trinidad und
Tobago und die Bahamas ratifizierten den Río-Vertrag. Ein weiterer Anlaß
des Mißtrauens war es, daß die karibischen Staaten sich mit der Karibischen
Gemeinschaft CARICOM ein eigenes außenpolitisches Koordinationsgremium schufen.
Die anglophone Karibik als „britischen Block“ und als fünfte Kolonne
einer aggressiven „potencia extrahemisférica“ zu denunzieren, wie das die
lateinamerikanischen Länder auf dem Tiefpunkt der gegenseitigen Beziehungen im Jahr 1982 taten, war abwegig.448 Während des Krieges im Südatlantik stand zwar Hispanoamerika durchweg auf argentinischer Seite, wohingegen die anglophone Karibik mit der Ausnahme Grenadas die Gewaltanwendung Argentiniens und die Besetzung des strittigen Territoriums als
_______________
447
448
Leslie Manigat: „The Caribbean between global horizons and Latin American
perspectives“, in: The Caribbean and world politics: cross currents and cleavages / Jorge
Heine; Leslie Manigat (Hg.), New York 1988, 344-356, 350
Roland Ely: „Repercusiones del conflicto anglo-argentino en la Cuenca del Caribe“, in:
Mundo Nuevo 6 (1983) 19/22, 74-132, 92 ff.
170
Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker verurteilte. Die Haltung der anglokaribischen Staaten war jedoch weniger der Solidarität mit
dem Commonwealth-Mutterland geschuldet, sondern vielmehr der Sorge,
Guatemala und Venezuela könnten das Beispiel Argentiniens nachahmen
und ihre territorialen Ansprüche ebenfalls im Waffengang durchsetzen. Der
im Juni 1982 vom guatemaltekischen Militärmachthaber Ríos Montt bekräftigte Gebietsanspruch auf Belize gab dazu Anlaß. Auf dem CARICOMGipfeltreffen von Ocho Rios im November 1982 erwogen die Teilnehmerstaaten ernsthaft den Austritt aus der OAS und aus dem Lateinamerikanischen Wirtschaftssystem SELA. In den Augen der Lateinamerikaner machten sich die „anglófonos“ auch durch die von den ostkaribischen Staaten
ausgegangene Einladung der USA zur Grenadainvasion verdächtig, immer
noch als Halbkolonien dem angelsächsischen Imperialismus zu dienen.449
Richtig daran ist, daß die karibischen Staaten niemals die historisch tiefsitzende Phobie der Lateinamerikaner gegen Einmischungen des Hegemons
USA teilten und daher in ihrer Außenpolitik von diesem psychopolitischen
Komplex nicht befangen sind. Auf Grund ihrer Bindungen an das Commonwealth und Europa waren die anders als die Lateinamerikaner auch
nicht so sehr auf das interamerikanische Verhältnis zu den USA fixiert. In
diesem Sinne wurde ein karibischer Diplomat mit den gewiß überheblichen
Worten zitiert: „We offer them [the Latin Americans] the opportunity of a
window to the rest of the world“.450
Der Höhepunkt anglokaribisch-hispanoamerikanischer Polarisierung im
Jahr 1982 erneuerte all jene sterotypen Muster gegenseitiger Wahrnehmung,
die aus den unterschiedlichen kolonialgeschichtlichen Erfahrungstraditionen, politischen und ethnokulturellen Verschiedenheiten herrührten.451 Die
soziokulturelle Grenze, die anfänglich dazu beitrug, daß den karibischen
Inselstaaten mit größter Skepsis begegnet wurde, tat sich 1982 zur politischen Kluft auf. Damals ließ sich ein Unterschied diplomatischer Stile und
Traditionen beobachten, der die OAS bis heute prägt:
„The Caribbeans, inheritors of a British parliamentary system of debate and
a concept of majority rule with minority rights, say that they have run head
_______________
449
450
451
Daß die OAS-Generalversammlung 1972 den britischen Antrag auf Beobachterstatus
ablehnte, während sie ihn gleichzeitig Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und
Israel einräumte, illustriert, wie stark Großbritannien noch als eine der beiden territorialen
Interventionsmächte in Lateinamerika gesehen wird.
Barbara Crossette: „In the O.A.S., cultural rift“, New York Times, 16.04.1982, A11
Andrés Serbin: „Conflictos, percepciones y divisiones entre América Latina y el Caribe
anglófono“, in: Economía y Ciencias Sociales 26 (1987), 35-56, 53 f.
171
on into a Latin clubbishness and a political style in which decisions are
agreed to beforehand and then rubberstamped with public theatricality.“452
Gleichwohl liegt den Beziehungen zwischen Anglokaribik und Hispanoamerika ein komplexes „Muster von Kooperation und Konflikt“
zugrunde.453 So entdeckten die Karibikstaaten als kleine, insulare Entwicklungsländer mit hoher Außenabhängigkeit seit den 70er Jahren ihre „tercermundistische“ Interessenübereinstimmung mit den Ländern Lateinamerikas.
Sie kooperierten mit ihnen deshalb nicht nur im Rahmen der OAS, sondern
schlossen sich darüber hinaus einigen lateinamerikanischen Integrationsagenturen an (z.B. SELA). Die als „Estranjeros a la familia
latinoamericana“454 empfangenen englischsprachigen Karibikstaaten traten
schon früh recht geschlossen auf.
Es lassen sich in der Folgezeit weitere Beispiele für die Kohäsion der
anglophonen Karibikstaaten anführen, die bei den hispanoamerikanischen
OAS-Mitgliedern die Befürchtung verstärkte, von einem karibischen Block,
wenn nicht majorisiert, so doch blockiert werden zu können.
Erstmals zeigte sich das 1977 auf der VII. Generalversammlung der OAS
in St. George’s, Grenada. Den damals nur fünf Stimmen der Aglokaribik
war es zu verdanken, daß gegen die autoritären Regime Lateinamerikas ein
von der Carter-Administration eingebrachter Resolutionsentwurf zu Menschenrechtsfragen knapp durchkam, dessen Diktum lautete: „there are no
circumstances which justify torture, summary conviction, or prolonged
detention without trial, contrary to law.“455 Der US-Vertreter bei der OAS
hob die Rolle seiner karibischen Mitstreiter gebührlich hervor:
„The Caribbean […] really came through with great colors on this whole
issue. The entire time we were there they were a tremendous source of
strength when the infighting began and we got down to the nitty-gritty.“456
Die lateinamerikanischen Verdächtigung, sie handelten als Klientelstaaten der USA, scheuten die karibischen Staaten demnach nicht. Daß die In_______________
452
453
454
455
456
Crossette, In the O.A.S., A11
Anthony T. Bryan: „Commonwealth Caribbean-Latin American relations: emerging
patterns of cooperation and conflict“, in: Basil A. Ince (Hg.): Contemporary international
relations of the Caribbean, St. Augustine 1979, 56-78
Knowlson W. Gift: „Ex-colonias británicas en el Caribe: orígines de su participación
institucional en organos latinoamericanos“, in: Nueva Sociedad (1977) 28, 23-37, 36
General Assembly, VII regular session, St. George’s, Grenada 1977: „AG/RES. 315 (VII0/77): Promotion of human rights“, OEA/Ser. P/VII-0.2, 27.12.1977, Vol. I, 78-79
U.S. Congress, House, Committee on International Relations, Subcommittee on
International Organizations: Human rights issues at the seventh regular session of the
Organization of American States General Assembly, Hearing, 95th Congress, 1st sess.,
13.09.1977, 3
172
teramerikanische Menschenrechtskommission zu Ende der 70er und Anfang
der 80er Jahre einen bemerkenswerten Aktivismus entfalten konnte, welcher
auffällig von der allgemeinen Lethargie der OAS abstach, und der 1980
fünf autoritär regierte Staaten sogar mit dem Austritt aus der OAS drohen
ließ, verdankt sie nicht zuletzt der Abschirmung durch den karibischen
Stimmenblock.457 Gleichzeitig leisteten die akribischen Staaten der Sache
der Menschenrechte einen Bärendienst, indem sie auf derselben Versammlung mit ihren Stimmen einen wegen Verletzung der Menschenrechte an
Kuba gerichteten, von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission
ausgearbeiteten Resolutionsentwurf scheitern ließen. Die Befürworter des
Beschlusses (darunter die USA) erlitten erstmals bei einer gegen das CastroRegime gerichteten Resolution der OAS eine Niederlage. Gegen die Verurteilung Kubas traten neben Jamaika, dessen Vertreter die Initiative wegen
Kubas Abwesenheit besonders scharf kritisiert, geschlossen die Phalanx
englischsprachiger Länder der Karibik auf. Schon im Oktober 1972 hatten
die karibischen Commonwealth-Länder auf einer Konferenz in Port of Spain
erklärt, daß sie sich nicht an die OAS-Sanktionen gegen Kuba gebunden
fühlten und nahmen in einer gemeinsamen Aktion diplomatische
Beziehungen zu Kuba auf. Damit zeichnete sich eine Auflösung der Front
gegen Kuba ab. Dabei waren die Beziehungen der Inselkaribik zu Kuba nur
selten von herzlichem Charakter, wie im Falle Jamaikas und Guyanas unter
den jeweiligen Regierungen Manlay bzw. Burnham. Die Ländergruppierung
versucht von jeher normale Kontakte mit ihrem kubanischen Nachbarn zu
pflegen, ohne dabei die USA übermäßig zu reizen.
Das karibische Abstimmungsverhalten kennzeichnete einen wesentlichen
Wandel, der vor allem für die USA den immer breiteren Multilateralismus
der OAS zusätzlich unberechenbar werden ließ. Es war nämlich „additional
evidence that the OAS lineup has changed from one of alliances to one of
issues.“458 Denn nicht als ein unverrückbar „monolithischer“, sondern als ein
„taktischer“ Block traten die karibischen Staaten in jenen Fällen geschlossen
auf, in denen sie ihre Eigeninteressen besonders berührt sahen. So verhinderten die anglokaribischen Staaten mit ihrer Sperriminorität – damals neun
von 29 Stimmen – eine allzu einseitige Parteinahme für Argentinien im
Südatlantikkonflikt. Ein Erfolg ihrer Geschlossenheit war auch die Streichung des Guayana und Belize diskriminierenden Artikels 8 der OAS_______________
457
458
Hans-Jürgen Bartsch: „Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes im
Jahr 1980“, in: Neue Juristische Wochenschrift 34 (1981) 10, 488-496, 493; „OAS
confronting crisis of credibility“, in: Washington Report on the Hemisphere 13
(09.07.1993) 16, 1; 6; 7
Karen DeYoung: „Human-rights motion passes, underlines divisions in OAS“, Washington
Post, 23.06.1977, A20
173
Charta im Reformprotokoll von Cartagena de Indias (1985). Sie erreichten,
daß beide Staaten nach Ablauf eine rÜbergangsfrist auch ohne die Beilegung der Territorialdispute im Januar 1991 9in die OAS aufgenommen
werden konnten. Mit ihrer Hartnäckigkeit hatten sie früher schon erwirkt,
daß Guyana 1972 Beobachter bei der OAS und 1976 Mitglied der Interamerikanischen Entwicklungsbank wurde.
Das Vorgehen der anglophonen karibischen OAS-Mitglieder bestätigt
den aus der Kleinstaatenforschung bekannten Befund, daß internationalistische Strategien Kleinstaaten erkennbare Vorteile versprechen. Internationale
Organisationen ersetzen einen nur marginal ausgebauten diplomatischen
Apparat und relativieren die eigene politische Bedeutungslosigkeit. Sie
dienen der außenpolitischen Behauptung und Aufwertung des Kleinstaates.
Jedoch mindert es den Einfluß der Anglokaribik in der OAS, daß trotz
des numerischen Stimmenpotentials vor allem Kleinststaaten wegen der
ungenügenden personellen und finanziellen Kapazität ihrer OAS-Missionen
an einer effektiven Mitwirkung gehindert sind.459 Offensichtlich soll die
außenpolitische Abstimmung im Rahmen der CARICOM dieses Defizit
ausgleichen: Anläßlich der jüngsten Abfolge von Revisionen der OASCharta gab die Ländergruppe ihre Stellungnahme regelmäßig gemeinsam ab,
wobei sie in den entsprechenden Dokumenten der OAS unter der Bezeichnung „CARICOM-Staaten“ firmierte.
Die Rolle der englischsprachigen Karibik in der OAS ist demnach ein
Beispiel dafür, wie es Klein- und Kleinststaaten durch die Mitgliedschaft in
Staatenvereinigungen wie der OAS immerhin gelingen kann, ihre Interessen
zu schützen und – in naturgemäß begrenzter Weise – Einfluß auszuüben.
Linton resümiert:
„In sum then the Commonwealth Caribbean States have contributed to the
process of change in the OAS and have been reformist rather than passive
members of the regional agency – from this perspective therefore their
contribution has been out of proportion to their size and status.“460
Allein numerisch ist es den anglokaribischen Staaten möglich, den Wandel der OAS voranzubringen, da sie das wegen des Erfordernisses der ZweiDrittel-Mehrheit traditionell zähe Ratifikationsverfahren für Amendierungen
der OAS-Charta entscheidend beschleunigen können.
Feste Allianzen, die bis in die 60er Jahre hinein es den USA erlaubt haben, die OAS weitgehend zu dominieren, sind nicht mehr zu erkennen.
Vielmehr lassen Gruppierungen und Umgruppierungen je nach politischer
_______________
459
460
Daß Kleinstaatlichkeit nicht per se ein Hindernis für diplomatische Effizienz sein muß,
zeigt das Beispiel des Stadtstaates Singapur.
Linton, OAS and English-speaking Caribbean, 26
174
Tagesordnung das multistaatliche Entscheidungsverfahren zunehmend unkalkulierbarer werden seitdem sich die Mitgliederzahl der OAS vor allem
durch das Hinzukommen der anglokaribischen Staatengruppe verdoppelt
hat.
2.2 Weitere intraregionale Beziehungsmuster
Das jüngste Seilziehen um die Nachfolge des brasilianischen Generalsekretärs Joao Baena Soares, dessen Ablösung im Sommer 1994 nach zwei
fünfjährigen Amtsperioden fällig wurde, erlaubte einen guten Einblick in
das „inner working“ und die intraregionalen Beziehungsmuster innerhalb
der OAS.
Der Posten ist weitgehend einen Domäne der südamerikanischen Flächenstaaten geblieben, nachdem die USA mit Rücksicht auf die lateinamerikanischen Empfindlichkeiten bisher nie Anspruch auf das Amt erhoben
haben. Deshalb lag in den 50er und 60er Jahren die Schwierigkeit darin, daß
die von der OAS benötigte Führung – die „hegemoniale Stabilität“ – von
den USA kommen mußte, zugleich aber nie sichtbar sein durfte. Dem im
Februar 1968 zum OAS-Generalsekretär gewählten ehemaligen Präsidenten
Ecuadors, Galo Plaza, wäre die offenkundige Unterstützung Washingtons
für seine Kandidatur beinahe zum „Todeskuß“ geworden, bevor er sich im
fünften Wahlgang durchsetzte.461 Der intrigenreichen Wahlvorgang 1967/68
ließ bereits drei oder vier Gruppen erkennen, die die Besetzung des Amtes
rein regionalen Interessen unterordneten: die Andengruppe, die großen, die
zentralamerikanischen und die karibischen Länder.
Als Bewerber aus Zentralamerika versuchte 1993 der Außenminister
Costa Ricas seine Kandidatur für die Nachfolge Baenas dadurch zu fördern,
daß er ein der Europäischen Politischen Zusammenarbeit nachempfundenes
und von der Río-Gruppe angewandtes „Rotationsprinzip“ zur gleichmäßigen
geographischen Repräsentation in die OAS einführen wollte. Damit stellte
Niehaus der Karbik, auf deren Stimmen er baute, die spätere Anwartschaft
auf das Spitzenamt in der Organisation in Aussicht.
Das Stimmenpaket von CARICOM hatte bereits 1979 eine wichtige Rolle
gespielt. Damals konnte der amtierende argentinische Generalsekretär
Alejandro Orfila seine fraglich gewordene Wiederwahl nur dadurch retten,
daß er seinen guatemaltekischen Stellvertreter überging und als Kandidaten
für das Amt des Stellvertretenden Generalsekretärs den angesehenen Diplomaten Valerie T. McComie aus Barbados neu ins Gespann nahm, um die
karibischen Stimmen auf sich zu ziehen. McComies nicht unbegründete
Aussicht, dem im Jahr 1983 politisch resignierten und wegen eines Skandals
_______________
461
George W. Grayson: „SOS for the OAS“, in: Reporter (30.05.1968), 31-33, 32
175
zurückgetretenen Orfila selbst nachfolgen zu können, zerschlugen sich wegen der hispanoamerikanischen Verstimmung über die anglokaribische
Haltung während des Falklandkrieges. 1989 wurde den Christopher Thomas
aus Trinidad und Tobago Stellvertretender Generalsekretär und nutzte diese
Position, um den karibischen Nachholbedarf bei der Ämterpatronage im
OAS-Verwaltungsstab zu befriedigen.
Ein Vorschlag neueren Datums, die Kür geeigneter Kandidaten einer
Kommission aus Notabeln zu übertragen, ist wenig realistisch, da die USA
und andere große Mitgliedsstaaten nicht ohne Not Einflußchancen aus der
Hand geben werden.462 Viele lateinamerikanische Länder verfügen außerdem über ein Potential ambitionierter Ex-Präsidenten, die – zu jung für das
Altenteil – neue politische Aufgaben vor allem in internationalen Organisationen suchen. Mit Niehaus trat freilich ein durch eigene Leistung kaum
ausgewiesener Außenminister an, da er sich als Vertreter der Kleinstaaten
präsentierte. Die Unterstützung der meisten größeren Staaten hatte er nicht
und die USA mißtrauten ihm sogar.463 Die Vereinigten Staaten favorisierten
wegen seiner politischen Statur und seiner Berechenbarkeit den aus seinem
Amt scheidenden Präsidenten Kolumbiens, César Gaviria. Gaviria erklärte
seine Bewerbung erst im Februar 1994. Der durch seinen Frühstart verschlissene Niehaus verlor an Unterstützung auch im Heimatland, als der
neue Präsident Costa Ricas, José María Figueres, den nobelpreiswürdigen
Ex-Präsidenten Oscar Arias die Möglichkeit einer Bewerbung ventilieren
ließ. In der Wahl am 27. März 1994 setzte sich Gaviria schließlich mit 20
gegen 14 Stimmen sofort im ersten Wahlgang durch.
Der unterlegene Außenminister Costa Ricas sprach in einer undiplomatisch aggressiven Stellungnahme von einer „imperialistischen Haltung“ der
großen OAS-Staaten (von denen nur Chile und Ecuador für ihn votierten).
Vor allem die USA hätten die Regierungen kleinerer Länder unter Druck
gesetzt, gegen ihn zu stimmen. Niehaus hatte zweifellos damit recht, daß die
Clinton-Administration, deren Lateinamerikapolitik so recht keine Konturen
fand, hier hinter den Kulissen massiv Einfluß ausgeübt haben mußte.
An den Realitäten der OAS vorbei geht aber der vom Verlierer konstruierte Gegensatz von „Klein-„ und „Großstaaten“. Einen derartigen
Interessengegensatz bzw. entsprechende Interessenidentitäten wird man
schwerlich identifizieren können. Die beiden „bloques“ der Kleinen
(Zentralamerika und CARICOM), mit deren Unterstützung Niehaus gerech_______________
462
463
Peter Hakim: „For a strong OAS, choose leader wisely“, Christian Science Monitor,
29.04.1993, 18
Während der Falklandkrise hatte Niehaus vorgeschlagen, den Sitz der OAS von
Washington nach San José zu verlegen.
176
net hatte, entzweite ausgerechnet eine neue Marktordnung der Europäischen
Union, die seit 1993 Mengenquoten für Bananenimporte vorsieht. Als eines
der Bananenexportländer der sogen. Dollarzone bekämpft Costa Rica diese
protektionistische Regelung. Das bewog wohl einige karibische AKP-Staaten denen die EU im Rahmen des IV. Abkommens von Lomé Handelspräferenzen gewährt, von Niehaus abzurücken. Ein weiteres kam hinzu: Obwohl
sich die beiden – trotz geographischer Nachbarschaft fremden – Subregionen dem Wirtschaftsblock NAFTA gegenüber mit dem Ziel einer gemeinsamen Verhandlungsstrategie kooperieren müsse, droht die neu aufgebrochene Belize-Frage das Verhältnis von Karibischer Gemeinschaft und Zentralamerika auch innerhalb der OAS zu belasten.
Diese über eine Ämterkonkurrenz hinausreichenden Probleme machen
die intraregionalen Konstellationen recht gut sichtbar. Zweifellos werden die
fünf zentralamerikanischen Staaten, die krisen- und bürgerkriegsbedingt
noch kaum die Möglichkeit hatten, eine subregionale Identität auszubilden,
in absehbarer Zukunft dem Weg der anglophonen Karibik folgen und sich
als ein taktischer Block in der OAS formieren, um ihre „bargaining power“
zu erhöhen.
3.
Politische Steuerung im OAS-Multilateralismus
Gemessen an der Vielfalt von anglo- und frankophonen, arabischen und
islamischen Ländern, die in der afrikanischen Regionalorganisation OAU
zusammengeschlossen sind, ist die Heterogenität der OAS schwächer ausgeprägt. Dennoch gibt es mehrere erkennbare Machtzentren und Gruppierungen, so die Vereinigten Staaten, Kanada, die anglophone Karibik, die
Río-Gruppe (Südamerika samt Mexiko) und die kleineren hispanischen
Staaten Zentralamerikas und der Karibik. Diese Aufzählung beinhaltet
selbstredend keine trennscharfe Fragmentierung; dazu gibt es zu viele
Überlappungen und innere Differenzen: Der Río-Gruppe, die sich selbst als
„interlocutor“ versteht, von anderen hingegen als politischer Machtblock
wahrgenommen wird, fehlt es an einem Kondensationskern bzw. an Führung. Mexikos Interessen liegen nicht selten quer zu denen der Länder des
Cono Sur. Brasilien ist wegen seines Gewichts und seiner Größe dem Subkontinent traditionell etwas abgewandt. Venezuelea hat nach dem Abgang
seines Präsidenten Carlos Andrés Pérez, dessen außenpolitische Ambitionen
sich nicht zuletzt auf eine Wiederbelebung der OAS richteten, erheblich an
Einfluß und Initiativkraft eingebüßt.
Das multistaatliche Entscheidungsverfahren in der OAS ist infolge der
beschriebenen Gruppierungen und Umgruppierungen zunehmend unübersichtlich und weniger vorhersagbar geworden. Ablesen läßt sich das auch an
177
der Tendenz, Themen nicht allzu rasch einer Mehrheitsentscheidung auszusetzen, sondern sie bis zu einer gewissen Kompromißfähigkeit zu verhandeln. Anhand des Demokratieregimes der OAS ließ sich zeigen, daß die ihm
zugrundeliegende Programmentscheidung für die repräsentative Demokratie
dadurch ermöglicht wurde, daß man vorerst nur schwache Mittel für seine
Implementierung wählte und damit die Souveränitätsbedenken etlicher Mitgliedsstaaten beschwichtigte. An diesem konsensoriertierten Vorgehen, das
letztlich eine höhere Folgebereitschaft der Mitgliedsstaaten und eine evolutionäre Politikentwicklung in der OAS sicherstellen soll, wird sich die typische „can do“-Mentalität der Vereinigten Staaten stoßen und den Eindruck
notorischer Unentschlossenheit der OAS bestätigt finden. Sicher ist, daß die
OAS nach wie vor in außerordentlich hohem Maße von Anforderungen und
Unterstützungsleistungen der USA abhängig ist, sei es in der Form von
Beitragsgzahlungen oder bei der Verleihung von Ordnungsmachtfunktionen
(wie anfänglich in der Haiti-Krise). Unter den Bedingungen einer wesentlich
verbreiterten und heterogenen Mitgliedschaft der OAS erscheint heute jedoch der Rückgriff auf eine “hegemoniale Stabilisierung“ durch einen Staat
(sprich: die USA) oder eine Koalition von Staaten als unrealistisch und für
die meisten amerikanischen Staaten unakzeptabel. Abgesehen von den Legitimationsproblemen wären anders als noch in den beiden ersten Jahrzehnten nach der Gründung der OAS die USA heute auch gewiß nicht mehr zu
den bedeutenden Vorleistungen bereit, die ein „hegemonic stabilizer“ zu
erbringen hat.
Das Problem der „großen Zahl“ bei der multilateralen Entscheidungsfindung, das nach verbreiteter Vorstellung nur Kleinstnenner- und Nicht-Entscheidungen (viele strittige Fragen werden in internationalen Organisationen
bekanntlich in Ausschüssen begraben!) zuläßt, darf nicht überschätzt werden. Was vordergründig als mechanisches Problem der schwerfälligen
Breite des OAS-Multilateralismus erscheint, ist auf eminent politische Interessenkonflikte zurückzuführen. So war die vorerst sanktionsschwache Ausgestaltung des Demokratieregimes dem momentanen Kräfteverhältnis von
„Interventionisten“ und „Nichtinterventionisten“ angemessen.
Trotz der formal egalitären Verfahren der Entscheidungsfindung sind es
vor allem „minilaterale“ Untergruppen von Staaten, die in einem breiten
Multilateralismus Entscheidungen vorbereiten und vorantreiben.464
In diesem Sinne erwartet Viron P. Vaky je nach politischer Tagesordnung
sich ad hoc formierenden und in der Zusammensetzung wechselnden
„steering caucuses“ in der OAS wesentliche politische Steuerungs_______________
464
Dies belegt an Beispielen globaler Regime der Nachkriegsordnung Miles Kahler:
„Multilateralism with small and large numbers“, in: Multilateralism matters: the theory and
praxis of an institutional form / John Gerard Ruggie (Hg.), New York 1993, 295-326
178
leistungen.465 Er weist auch darauf hin, daß jenen Mitgliedsstaaten ein
Bonus bei den erzielten Kooperationsgewinnen entsteht, die qualifizierte
Vertreter entsenden und sich auf die von der traditionellen bilateralen
Diplomatie sehr verschiedene „Kunst“ multilateraler Aushandlungsprozesse
beherrschen. Darauf versteht sich in besonderem Maße das Neumitglied
Kanada. Wie nachfolgend entwickelt wird, füllt Kanada im Sinne von
„entrepreneurial leadership“ das infolge des relativen Hegemonieverlusts
der USA entstandene Führungsvakuum in der OAS und ist damit seit Beginn der 90er Jahre ein wesentlicher Faktor der Revitalisierung der OAS.
4.
Kanada als Katalysator des Wandels der OAS
Kanadas Beitritt zur Organisation Amerikanischer Staaten Anfang 1990
lohnt eine gründliche Untersuchung, da Kanada, das der Selbstdefinition
nach ein Musterknabe der internationalen Kooperation ist und traditionell
den Ruf eines intermediären „helpful fixer“466 genießt, sich für alle
Beobachter vollkommen unerwartet einer weithin noch abgeschriebenen
Regionalorganisation angeschlossen hat. Es sind deshalb die Faktoren herauszuarbeiten, die zu diesem Beitritt geführt haben, um anschließend zu
erörtern, welche Rolle die zweite Industriemacht auf dem Doppelkontinent
in den ersten Jahren ihrer Vollmitgliedschaft in der OAS bisher gespielt hat
und weiterhin spielen kann. Ottawas Außenpolitik beansprucht auch im
Hinblick auf die OAS: „Canada can make a difference“.467
Fachwissenschaftliche und publizistische Stellungnahmen zum Beitritt
haben über Kandas mögliche Aufgaben in der OAS räsonniert. McKenna
führt allein vier auf: “(1) image-shaper or OAS champion, (2) issueénergizer´, (3) bridge-builder or intermediary, and (4) catalyst for
change.“468 Tatsächlich wird zu zeigen sein, daß Kanada vor allem eine
maßgebliche Beschleunigerfunktion bei der Fokussierung des Rollenbildes
der Organisation zukommt.
_______________
465
466
467
468
Vaky, Organization of American States and multilateralism, 34
Akira Ichikawa: The „helpful fixer“: Canada’s persistent international image, Toront 1979
(Behind the headlines; 37/3)
Canada. [Department of] External Affairs and International Trade: Canada’s first year in
the Organization of American States: implementing the strategy for Latin America, Ottawa,
January 1991, 12 (Hervorhebung im Original)
Peter McKenna: „Canada and the OAS: opportunities and constraints“, in: The Round
Table 327 (1993), 323-339, 329
179
4.1 Kanada und die OAS bis 1989
Im Gesamtrahmen kanadischer Außenpolitik hat der OAS-Beitritt natürlich nicht die säkulare Bedeutung, die Kanadas Beteiligung an dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA zukommt. Beide Vorgänge
markieren jedoch gleichermaßen den allmählichen Prozeß einer “Kontinentalisierung“ der kanadischen Außenpolitik.469 Ebenso wie der Freihandelspakt kontinentalen Ausmaßes stellt auch die formale Integration Kanadas in
das interamerikanische System eine Hinwendung zum Kontinentalismus im
Sinne eines starken Bezuges auf die Vereinigten Staaten dar. Damit akzeptiert Kanada regionalistische Tendenzen in der sich nach dem Ende der OstWest-Konfrontation neu formierenden internationalen Topographie. Nachdem Kanada im nordatlantischen Zusammenhang seine traditionelle Ausgleichsfunktion zwischen Ost und West verloren hat, bewirkte zweifellos
auch die tiefgreifende Wirtschaftskrise eine Rückbesinnung auf den Kontinentalismus. Trudeaus globalitische „Politik der dritten Option“, die das
Ziel einer vertraglichen Marktbindung an Westeuropa und die Lenkung
weiterer Handelsströme nach Asien verfolgte, unterlag der normativen Kraft
des Faktischen.
Das wirtschaftlich und politisch asymmetrische Beziehungsmuster mit
den USA erwies sich als letztlich unaufhebbar – für Kanada in Nordamerika
wie für Lateinamerika auf dem südlichen Halbkontinent. Die späte Anerkenntnis der realen Außenhandelsverflechtung und -abhängigkeit im Verhältnis zu den USA modifizierte auch die multilateralen Aktivitäten
Ottawas: Die bisherige latente Konfrontationsrolle gegenüber den USA
wandelte sich zu einer Beobachterrolle, ohne daß eine Wende zu einem
eindimensionalen Bilateralismus stattgefunden hat. Nicht zuletzt der OASBeitritt kann als ein Beleg für die unverminderte internationale Präsenz
Kanadas auch unter der (im Oktober 1993 abgelösten) Mulroney-Regierung
gelten.
Der Schritt Kanadas war insofern eine volte-face, als fast alle
Regierungen in Ottawa vier Jahrzehnte lang immer wieder die Gründe dafür
dargelegt haben, weshalb ein Beitritt zur OAS mehr Nachteile als Vorteile
mit sich brächte.470 Diese Gründe resümierte der Diplomat Richard V.
Gorham für seine Regierung 1988 in einer Rede vor der OAS:
„These reasons reflect at times financial and budgetary priorities, at times
concerns about undertaking additional security responsibilities by adhering
_______________
469
470
Ulrich Fanger: „Kanadas Außenpolitik der 80er Jahre: Kontinentalismus und
Internationalismus“, in: Außenpolitik 39 (1988) 1, 89-104
Donat Pharand: „Canada and the OAS: the vacant chair revisited“, in: Revue Générale du
Droit 17 (1986) 3, 429-454
180
to the Rio Treaty, at times concern that full membership might subject us to
pressures from one side or another or restrict our ability for independent
actin and at times concerns that our bilateral relations with individual Latin
American or Caribbean countries, or with the United States, might suffer
because of positions that we, as newcomers in the Organization, might take
in an effort to make it more effective, as many of our friends in the OAS
have suggested we would. The simple fact is that there has never been a
national consensus in Canada in favor of joining. For all of these reasons,
successive governments in Canada have concluded we should not seek
membership.“471
Das zentrale Bedenken lief stets darauf hinaus, daß Kanada zwischen
Baum und Borke geraten könnte: „Canada, as a member of OAS, would find
itself in an awkward position on many issues, having to take sides with, or
against, the United States“.472 Die Frage der OAS-Mitgliedschaft war
vermutlich das am längsten ungelöste Einzelproblem kanadischer Außenpolitik überhaupt, bis im Jahr 1989 ein später Schlußstrich unter Kanadas
attent6istische Haltung gegenüber dem Beitritt gezogen wurde, die der heutige liberale Premierminister Jean Chrétien Anfang der 80er Jahre auf die
treffende Formel „a definite maybe“ gebracht hatte.
Eigentlich bestand auch im Jahr 1989 für eine Entscheidung weder ein
unmittelbarer Anlaß noch eine Notwendigkeit. Dem Beitritt ging keine öffentliche oder parlamentarische Debatte voraus, zumal die Regierung
Mulroney die „OAS-Frage“ in ihrer ersten Amtsperiode (1984-1988) so gut
wie nicht angesprochen hatte. Deshalb erschien es vordergründig als eine
überraschende Kehrtwende, als Premierminister Brian Mulroney am 27.
Oktober 1989 auf dem kontinentalen Präsidententreffen in Sank José aus
Anlaß der 100-Jahr-Feiern der costaricanischen Demokratie den Beitritt
seines Landes zur amerikanischen Staatenorganisation ankündigte. Ungewöhnlich rasch wurde die formelle Ratifikation der OAS-Charta vollzogen,
so daß Kanada der OAS seit dem 8. Januar 1990 als 33. Mitgliedsland angehört. Mulroney sagte während des Gipfels, seine Regierung sei sich bewußt, daß der OAS Verbesserung dringend not tun würde, und Kanada
wolle als Vollbürger Amerikas an einer Perfektionierung der Organisation
mitwirken.
Die Frage einer Mitgliedschaft Kanadas in den Vorläuferorganisationen
der OAS datiert noch vor den Ersten Weltkrieg, obwohl Kanada zum Eintritt
_______________
471
472
Consejo Permanente: Acta de sesión ordinaria celebrada el 7 de septiembre de 1988“,
OEA/Ser. G, CP/ACTA 750/88, 07.09.1988, hier: [Richard V. Gorham:] „Exposición del
Observador Permanente del Canadá sobre las relaciones de su país con la Organización de
los Estados Americanos“, 3-12, 11
John D. Harbron: Canada and the Organization of American States, Washington, D.C.
1963, 22
181
in die Union Amerikanischer Republiken eigentlich nicht qualifiziert war, da
es weder eine Republik noch von Großbritannien vollkommen unabhängig
war.473 Als während der Interamerikanischen Konferenz von Montevideo
1933 einige lateinamerikanische Staaten, darunter Mexiko, den Wunsch
signalisierten, Kanada möge sich der Panamerikanischen Union anschließen,
erschien ein kanadischer Beitritt unter dem Gesichtspunkt formaler Souveränität bereits weniger problematisch. Mit dem Westminster-Statut von 1931
hatte das nordamerikanische Dominion das Recht zu selbständiger Außenpolitik errungen. Dennoch verschloß sich Kanada dem Angebot. Erst im
Rahmen der intensivierten kontinentalen Verteidigungszusammenarbeit
während des Zweiten Weltkrieges ventilierte Kanada vorsichtig sein
Interesse, 1942 an dem interamerikanischen Konsultationstreffen in Río
teilnehmen zu wollen. Dem stand aber das überkommene Mißtrauen der
USA und ihres Präsidenten Roosevelt entgegen, Kanada sei womöglich ein
strategisches Vehikel für das Einflußstreben des britischen Empire in der
Westlichen Hemisphäre.474
Bei der Gründung der OAS im Jahr 1948 wurde immerhin die Nomenklatur mit Rücksicht auf Kanada geändert. Die Bezeichnung „Organisation
Amerikanischer Staaten“ ersetzte den bisherigen Namen „Union der Amerikanischen Republiken“, um den Beitritt anderer Staaten, vor allem Kanadas,
zu ermöglichen, die nicht unter den staatsrechtlichen Begriff der „Republik“
fielen.475 Während der 50er Jahre war es jedoch für Kanada als Gründungsmitglied der Vereinten Nationen ausgeschlossen, der Regionalorganisation
OAS beizutreten. In dieser Phase des kanadischen Internationalismus galt,
daß die ihrem Charakter nach partikulare und in kanadischer Sicht zudem
von den USA beherrschte Organisation der puristischen Idee des Universalismus widersprach, deren prominenter Fürsprecher ja gerade der kanadische Außenminister und spätere Premier Lester B. Pearson war. Holmes
resümiert die kanadischen Motive: „On Canada´s part, the persistent
difficulty lay in our weariness of neutralism before the war and of
regionalism after the war.“476 Es bedurfte erst eines funktionalen,
arbeitsteiligen Regionalismus, wie z.B. der Contadora-Initiative, um das
_______________
473
474
475
476
Douglas G. Anglin: United States opposition to Canadian membership in the Pan
American Union: a Canadian view“, in: International Organization 15 (1961) 1, 1-20, 2
John W. Holmes: „Canada and Pan America“, in: Journal of Inter-American Studies 10
(1968) 2, 173-184, 179
Connell-Smith, Inter-American System, 198
Holmes, Canada and Pan America, 179. Mit „Neutralismus“ kennzeichnet der Autor die
isolationistische Grundhaltung der Vereinigten Staaten in der Zwischenkriegszeit.
182
„Canadian
prejudice against regionalism“ abzubauen.477 Der erste
„antikommunistische“ Einsatz des interamerikanischen Systems im Jahr
1954 in Guatemala tat ein übriges, um Kanadas damalige Abneigung gegen
die OAS zu vertiefen, a er das Nichtinterventionsprinzip der OAS ebenso
desavouierte wie die Rolle der Universalorganisation der Vereinten Nationen als Friedenshüter. Die interamerikanische Maxime „try the OAS first“
entpuppte sich als ein Mittel der unilateralen Einflußnahme der USA im
Kalten Krieg. In den 50er und 60er Jahren, die als das „goldene Zeitalter“
der OAS gelten, war Kanada demzufolge in keiner nennenswerten Weise am
interamerikanischen System beteiligt.
In den beiden letzten Jahren der an sich anglo- bzw. europhilen
Diefenbaker-Regierung (1957-62) kam es erstmals zu einer lebhafteren
Debatte über die OAS-Mitgliedschaft. Außerdem begannen die USA, welche die finanzielle Bürde der OAS mit der einzigen anderen Industriemacht
auf dem Doppelkontinent teilen wollten, Kanada zum Beitritt zu ermuntern.
Die Debatte klang jedoch ab, als Kuba, zu dem Kanada beste Beziehungen
pflegte, 1962 aus der OAS ausgeschlossen wurde und sie verstummte
schließlich infolge der Intervention der Dominikanischen Republik 1965 für
etliche Jahre.
Erst im Rahmen der internationalen Profilierung Kanadas unter der
Trudeau-Exekutive wurde die „OAS-Frage“ erneut geprüft. 1970 veröffentlichte das Außenministerium in Ottawa eine Art Strategiepapier mit dem
Titel „Foreign Policy for Canadians“. Kanadas Interesse an verstärkten
Beziehungen mit Lateinamerika wurde darin bekräftigt, es wurde aber auch
gefragt, ob gerade die OAS zu diesem Ziel den besten Weg darstelle. Die
Frage wurde auf die Alternative zugespitzt, der OAS beizutreten oder
„drawing closer to the Inter-American System and some of its organizations
without actually becoming a member of the OAS.“478 Obgleich das Weißbuch die Zukunftsperspektiven der OAS wohl aufgrund der damals gerade
erfolgten und noch zu erwartenden Beitritte karibischer Staaten insgesamt
recht optimistisch einschätzte, wiederholte es die hergebrachten Bedenken
Kanadas gegenüber der Regionalorganisation, so die Implikationen einer
Ratifikation des Río-Paktes, indem Kanada z.B. nach Artikel 8 mit Zweidrittel-Mehrheit auf kollektive Maßnahmen – wie zuletzt die „Quarantäne“
Kubas – hätte verpflichtet werden können. Das Regierungspapier kam hinsichtlich der angestrebten intensiveren Beziehungen mit Lateinamerika zu
folgendem Schluß:
_______________
477
478
John Holmes: „The new agenda for Canadian internationalism“, in: Canada and the New
Internationalism / John Holmes; John Kirton (Hg.), Toronto 1988, 12-23, 14
[Canada. Department of External Affairs:] Foreign policy for Canadian. [Bd. 4:} Latin
America, Ottawa, Ont. 1970, 20
183
„It may be that, at a certain point in time, a Canadian Government will
conclude that Canada could best foster this purpose [of developing closer
relations with Latin America] by joining the OAS. In the meantime, Canada
should draw closer to individual Latin American countries and to selected
inter-American institutions, thus preparing for whatever role it may in future
be called upon to play in the western hemisphere and gaining the experience
which is indispensable in a complex milieu which few Canadians yet know
very intimately.“479
Die kunstfertige kanadische Diplomatie schuf also aus der schlichten Alternative, der OAS entweder beizutreten oder aber ihr fernzubleiben, eine
dritte Möglichkeit, die von beidem etwas enthielt. Die Regierung Trudeau
entschied sich dafür, den Status eines Beobachtermitgliedes der OAS zu
wählen und Mitglied einzelner interamerikanischer Agenturen zu werden.
Der Status eines Ständigen Beobachters (Permanent Observer) bei der OAS
wurde Kanada zusammen mit Guyana, Israel und Spanien am 2. Februar
1972 verliehen. 1971 wurde Kanada Mitglied der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO), 1972 trat es dem Inter-American Institute of
Agricultural Cooperation und der Interamerikanischen Entwicklungsbank
(IDB) bei.
Die Vollmitgliedschaft in der regionalen Entwicklungsbank war das
sicherste Indiz für Kanadas Hinwendung zum interamerikanischen System: „
Because the membership of the IDB is almost identical to that of the OAS,
this multilateral link provided an important testing-ground for gauging the
degree of Canada´s diplomatic influence regionally with the states of Latin
America.“480 Daß Kanada zuerst die Mitgliedschaft in der IDB anstrebte,
unterstrich zugleich den Vorrang seiner wirtschaftlichen Interessen in der
karibischen Einflußzone.
Weshalb startete Kanada sein interamerikanisches Engagement ausgerechnet in einer Phase von Erosionserscheinungen und eines Bedeutungsverfalls der OAS? Der erste Schritt zur Mitgliedschaft in der zunehmend polarisierten OAS paßte in Trudeaus Suche nach einer „Third Option“ kanadischer Außenpolitik. Ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung war die
Organisation zum Schauplatz massiver Unzufriedenheitsbekundungen Lateinamerikas geworden – und hatte damit für Kanada das Stigma verloren,
durchgängig von den USA dominiert zu sein. Diese Polarisierungstendenz
bestärkte Trudeau, der in den 70er Jahren die These von einem relativen
Niedergang der US-Hegemonie vorwegzunehmen schien, noch bevor sie in
der akademischen Debatte der 80er Jahre zur Mode wurde, in der Hoffnung,
_______________
479
480
Ebd., 24 (Hervorhebung im Original)
James John Guy: „Canada joins the OAS: a new dynamic in the inter-American system“,
in: Revista Interamericana de Bibliografía 39 (1989) 1, 500-511, 502 f.
184
kanadischer und lateinamerikanischer Nationalismus könnten zum beiderseitigen Nutzen konvergiere. Zugleich erlaubte es der gewählte Beobachterstatur Kanada, dabei den Hauptkontroversen in der OAS zu entgehen. Man
konnte wohl den Stoßseufzer der Erleichterung im Außenministerium in
Ottawa förmlich hören, als man während der Falkland/Malwinen-Krise still
im Hintergrund bleiben konnte und nicht als OAS-Mitglied, bildlich gesprochen, zwischen Hammer und Amboß geriet. Der Vorsitzende der „Canadian
Association of Latin America and the Caribbean“ drückte eine von vielen
kanadischen Entscheidungsträgern geteilte Überzeugung aus, als er feststellte: „I believe Canada does enjoy the best of both worlds. It is an
observer. It is there. It is participatory behind the scenes to the extent that it
wants to be“.481
Das Ziel intensivierter Beziehungen mit Lateinamerika wurde in den 70er
Jahren weitgehend erreicht, ohne daß die geweckte Aufmerksamkeit der
kanadischen Öffentlichkeit an den Vorgängen in Lateinamerika (Sturz
Allendes 1973, Sieg der Sandinisten 1979) mit einem Interesse an der
OAÄS selbst einherging. Während der 70er Jahre wurde Kanada, u.a. von
US-Präsident Carter, mehrfach angetragen, ihr als Vollmitglied beizutreten.
Die Beitrittsfrage wurde vom kanadischen Unterhaus in den Jahren 1981
und 1982 im Zuge einer generellen Bestandsaufnahme der Beziehungen
Kanadas zu Lateinamerika und der Karibik erneut geprüft. Der eingesetzte
Unterausschuß empfahl mehrheitlich die Vollmitgliedschaft in der OAS,
obwohl keiner der angehörten Experten sich dafür ausgesprochen hatte und
sein in sich widersprüchlicher Abschlußbericht feststellte:
„In general the Organization of American States is not now a particularly
effective instrument for the promotion of Canadian foreign policy
purposes.“482
In Kontrast zu der mit dem Regierungsantritt von Trudeau verbundenen
Zäsur änderte sich durch den Wechsel zur Regierung Mulroney an der Haltung der OAS gegenüber zunächst einmal nichts. Während der ersten Amtsperiode der konservativen Mulroney-Exekutive (1984-88) rangierte, abgesehen von der zentralamerikanischen Subregion, Lateinamerika auf der
_______________
481
482
Hugh Roach, bei einer Parlamentsanhörung: Canada. House of Commons. Standing
Committee on External Affairs and National Defence. Subcommittee on Canada’s
Relations with Latin America and the Caribbean. 32 Parl., 1st sess., Minutes of Proceedings
and Evidence, 15.07.1981, Issue No. 11, 11:23
Canada. House of Commons, Standing Committee on External Affairs and National
Defence, Sub-committee on Canada’s Relations with Latin America and the Caribbean:
Final report to the House of Commons – Canada’s relations with Latin America and the
Caribbean. 32nd Parl., 1st sess., 28.10.1982, Minutes of Proceedings and Evidence, Issue
No. 78, 78:19. Beitrittsempfehlung 78:22 und abweichende Voten 78:27 ff.
185
außenpolitischen Prioritätenliste der neuen Regierung recht weit unten. Die
außenpolitische Energie wurde vollkommen von dem 1988 abgeschlossenen
bilateralen Freihandelsabkommen mit den USA und von der anstehenden
Neubestimmung der Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungshilfepolitik
absorbiert. Die OAS geriet darüber in Vergessenheit und fiel schließlich
sogar in Ungnade. Der Ende 1987 zum Ständigen Botschafter bei der OAS
ernannte Richard V. Gorham versah das Amt nicht länger am Sitz der OAS
in Washington, D.C., sondern nunmehr von Ottawa aus. Dieser mit den
Haushaltskürzungen von 1986/87 begründete Schritt muß zugleich als ein
deutliches Signal an die Adresse der OAS gewertet werden. Wie zur
Beschwichtigung erhielt Gorham den präzedenzlosen, aber sogleich nach
seiner Ablösung 1990 wieder abgeschafften Rang eines „Roving
Ambassador to Latin America“.
Die Mulroney-Regierung ging damit bis hart an die Grenze einer Kündigung des Beobachterstatus, um ihre Verdrossenheit zu demonstrieren. Die
kanadische Kritik an der OAS äußerte Gorham in seiner bereits zitierten
Ansprache vor dem Ständigen Rat der OAS im September 1988. Der
Botschafter bemängelte unverblümt die „very low priority being given to the
Organization by its own members. And we cannot but wonder to what extent
the member nations fully believe in and support the Organization which they
so often urge us to join.“483
4.2 Kanadas OAS-Beitritt 1990
Es bleibt daher die Frage zu klären, weshalb nur dreizehn Monate später
die kanadische Regierung ohne jeden innenpolitischen oder internationalen
Druck den auf den ersten Blick überraschend erscheinenden Schritt zur
Vollmitgliedschaft in der OAS unternahm.
Eine Einordnung des OAS-Beitrittes in die Leitprinzipien der kanadischen Außenpolitik ist bereist skizziert worden. Wichtig ist noch festzustellen, daß der Beitritt Kanadas und sein damit erhobener Anspruch auf Mitbestimmung im interamerikanischen System eines jener multilateralen Gegengewichte ist, die sich Kanada zusätzlich zu der von einem Machtungleichgewicht geprägten Sonderbeziehung zu den Vereinigten Staaten schaffen
muß. Ein wichtiges Mittel zu dem Zweck, im bilateralen Verhältnis das
Übergewicht Washingtons abzumildern, war stets die Betonung multilateraler Foren, wie die Vereinten Nationen, das Commonwealth, die NATO,
die OECD, die „großen Sieben“ der führenden Wirtschaftsmächte, die
KSZE und die internationale Frankophonie. Kanada, das zuweilen als der
„größte Kleinstaate der Welt“ apostrophiert wird, schafft sich in Staatenver_______________
483
Gorham, Exposición, 11 f.
186
einigungen wie der OAS ein gewisses multilaterales Gleichgewicht oder
verleiht damit der wachsenden Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten
wenigstens einen angenehmeren Anstrich.
Der Schritt Kanadas zur Vollmitgliedschaft in der OAS ist bei näherer
Betrachtung keineswegs die abrupte, voraussetzungslose Entscheidung gewesen, als die sie Ende 1989 vordergründig erscheinen mochte. Vielmehr ist
der Beitritt, und das soll hier nachgewiesen werden, der Kulminationspunkte
einer zwei Jahrzehnte dauernden, langsamen und schrittweisen Eingliederung Kanadas in das interamerikanische System. Die eigentliche Zäsur ist im
Jahr 1970 auszumachen, als von der Regierung Pierre Trudeau im Rahmen
des Strategiepapiers „Foreign Policy for Canadians“ die Lateinamerikapolitik neu vermessen und ausgerichtet wurde. Darin wurde anvisiert, daß
Kanada sein Verhältnis zum Subkontinent durchaus im bestehenden Rahmen
eines „selektiven Bilateralismus“484 konsolidieren und intensivieren solle,
indem es sich auf die Ländergruppe der Karibik und auf die erdölexportierenden regionalen Vormächte Mexiko und Venezuela sowie auf Brasilien,
dem damals größten einzelnen Markt für Kanadas Warenausfuhr, konzentrierte. Um durch den traditionellen Bilateralismus nicht auch auf selektive
Handlungsmöglichkeiten eingeengt zu werden, sollte Kanada den Vorstellungen Trudeaus zufolge darüber hinaus die multilateralen Bindungen durch
die Beobachtermitgliedschaft in der OAS als einem „ersten Schritt“ zur
Vollmitgliedschaft ausprägen.
Als Premier Trudeau während seiner vielbeachteten Lateinamerikareise
1976 vor einem venezolanlischen Publikum erklärte, Kanada sei „very much
a participant in the inter-American system“485, so war dies kaum übertrieben.
Von 1949 bis 1971, also bis zum Erwerb des offiziellen Beobachterstatus,
hatte Kanada Vertreter zu über 120 interamerikanischen Zusammenkünften
entsandt, wobei es aber konsequent Diskussionen über Sicherheits- und
Verteidigungsfragen auswich.486 Seit 1972 agierte Kanada dann als ein
„acive observer“, indem es eigens einen Botschafter bei der OAS akkreditierte und entsprechend eine Ständige Vertretung einrichtete. Komplettiert
wurde das Engagement Kanadas durch seine Mitwirkung in verschiedenen
Sonderorganisationen der OAS und vor allem durch seine Vollmitgliedschaft in der Interamerikanischen Entwicklungsbank seit 1972. Kanada kam
_______________
484
485
486
Robert Jackson: „Canadians foreign policy and the Western Hemisphere“, in: Governance
in the Western Hemisphere / Viron P. Vaky (Hg.), New York 1983, 119-134, 127
Zitiert nach D. R. Murray: „The bilateral road: Canada and Latin America in the 1980s“,
in: International Journal 37 (1981/82) 1, 108-131, 110
Stephen J. Randall: „Canada and Latin America: the evolution of institutional ties“, in: A
dynamic partnership: Canada’s changing role in the Americas / Jerry Haar; Edgar J.
Dosman (Hg.), New Brunswick, NJ 1993, 27-43, 30
187
dabei entgegen, daß der Beobachterstatur auf Grund der einladenden, weil
kaum formalisierten Bestimmungen der OAS mit der Ausnahme des Konsultativtreffens der Außenminister die Teilnahme an allen Sitzungen der
Räte der OAS erlaubt.
Der Impetus der Lateinamerikapolitik Trudeaus, der sich auch aus der
frankokanadischen „Latinité“, der kulturellen und linguistischen Affinität
der Provinz Quebec zu Lateinamerika, speiste, ging zwar vorübergehend
verloren. Dennoch rückte Kanada in der Dekade der 80er Jahre politisch
näher an Lateinamerika heran. Ausschlaggebend waren hierfür die auch auf
das kanadische Bankensystem durchschlagende Verschuldungskrise des
Subkontinents und vor allem die zentralamerikanische Krise seit 1981.
Nicht zuletzt aufgrund des innenpolitischen Drucks von seiten der Solidaritätslobby sah sich die Regierung Trudeau veranlaßt, nach anfänglichem
Zaudern der Politik der Reagan-Administration in dieser Krisenregion entgegenzuwirken.487 Kanada steuerte dabei einen unabhängigen Kurs, der ihm
internationale Geltung in der Region verschaffte. Beispielsweise steigerte es
nach dem US-Embargo gegen Nicaragua sogar noch seinen Handel mit
diesem Land. Genauso hatte Kanada seit den 60er Jahren trotz der Wirtschaftsblockade seine Handelsbeziehungen zu Kuba stetig ausgebaut und im
Verein mit Mexiko damit ein Minimum an kubanischer Einbindung in die
Westliche Hemisphäre erhalten.488 Der am Ost-West-Gegensatz ausgerichteten Machtpolitik der Vereinigten Staaten und ihrer indirekten Teilnahme an
den regionalen Bürgerkriegen setzte Kanada, ähnlich den europäischen
Staaten, eine nichtmilitärische Politik mit Außenhandelscharakter entgegen,
die potentielle Verbündete der Sowjetunion abwerben sollte. Kanada agierte
hier international als typischer Handelsstaat mit einem klaren „bias to
business“.489 Da es die Krisenursachen in den Faktoren Armut und soziale
Ungerechtigkeit, mithin in der Nord-Süd-Dimension und nicht im sowjetischen Revolutionsexport verortete, verstärkte Kanada ohne politische Konditionen seine Entwicklungshilfeleistungen an alle Länder Zentralamerikas
und der Karibik.
An diesem Kurs änderte sich auch nach der Wahl des Konservativen
Brian Mulroney (1984) nichts, obwohl er explizit mit dem Ziel angetreten
war, im Rahmen einer bilateralen Kontinentalismus (Freihandelsabkommen
_______________
487
488
489
Victor Huard: „Quiet diplomacy or quiet acquiescence? Canadian foreign policy in Central
America since 1945“, in: Canadian Journal of Latin American and Caribbean Studies 13
(1988) 20, 103-136
Maurice Dupras: „Canada and the OAS“, in: International Perspectives (January –
February 1984), 15- 17
Richard Rosecrance: The rise of the trading state: commerce and conquest in the modern
world, New York 1986
188
mit den USA 1988) den Schulterschluß mit den USA zu suchen .Sein
Außenminister Joe Clark unterstützte bei der Friedenssuche in Zentralamerika nachdrücklich den mit dem Contadora-Prozeß und (nach dem August
1987) mit dem Arias-Friedensplan sich manifestierenden lateinamerikanischen „Ad hoc-Multilateralismus“. Wichtig war dabei die Affinität zu Costa
Ricas diplomatischen Initiativen, die vollkommen den alten internationalistischen Idealen Kanadas entsprachen. Der kanadische Außenminister kam
über seinen argentinischen Amtskollegen und persönlichen Freud Dante
Caputo überdies in einen intensiven Dialog mit der lateinamerikanischen
Río-Gruppe, die im Oktober 1989 in der „Erklärung von Ica“ Kanada aufforderte, durch einen Beitritt der OAS zu einer „größeren politischen Bedeutung“ zu verhelfen.490
Der lateinamerikanische Multilateralismus m Gefolge der zentralamerikanischen Krise muß, obwohl er die OAS unterlief, als der entscheidende
Schubfaktor des Beitritts Kanadas zur OAS gesehen werden.491 Das Zusammenwirken mit diesen informellen oder formellen multilateralen Foren
außerhalb der OAS ließ Kanada spüren, daß der ursprünglich so komfortalble OAS-Beobachterstatus nunmehr zu eng geschneidert war. Er beschränkte Kanadas Profilierungsmöglichkeiten auf nachrangige, eher technische Aspekte und reduzierte seine politisch-diplomatischen Kontakte auf
eine niedrige Ebene, indem es bei den OAS-Generalversammlungen nur als
Beobachter, nicht aber durch seinen Premier- oder Außenminister vertreten
war.
Darüber hinaus sind eine Reihe von OAS-internen Faktoren zu nennen,
die den kanadischen Beitritt unmittelbar angestoßen haben, weil sie Kanada
eine günstigere Prognose für die Zukunft der Regionalorganisation vermittelten. Noch im Herbst 1988 – es sei an die zitierte Rede Forhams vor der
OAS erinnert – bedrohte eine schwere Finanzkrise die schiere Existenz der
Organisation und sie schien selbst von ihren Mitgliedern aufgegeben worden
zu sein, da außer Trinidad und Tobago bis dahin kein weiterer Staat das
Reformprotokoll von Cartagena de Indias ratifiziert hatte. Als Mulroney ein
Jahr später den Beitritt ankündigte, war zwar kein dramatischer Wandel zu
erkennen, dennoch zeigten sich Tendenzen zum Besseren: Die Río-Gruppe
hatte in der „Erklärung von Uruguay“ erneut zur Stärkung der OAS aufgerufen, das Protokoll von Cartagena zur Revision der OAS-Satzung war in
Kraft getreten, und einige Mitgliedsländer begannen ihre Beitragsrückstände
_______________
490
491
Mecanismo Permanente de Consulta y Concertación Pol´tica, Tercera Cumbre Presidencial
[Ica, Perú, 11 y 12 de octubre de 1989]: „Declaración de Ica“, in: Integración
Latinoamericana 15 (1990) 153, 64-69, 67
Brian J. R. Stevenson: „Entering the inter-American system: Canada and the OAS in the
1990s“, Kingston, Ont. [1991?], Typoskript, 42 f.
189
auszugleichen. Die reformiere OAS-Charta brachte Kanada darüber hinaus
in Zugzwang, da sie zum Dezember 1990 Belize und Guyana den lange
verwehrten Beitritt ermöglichte und Kanada mit der Ausnahme Kubas dann
als das einzige Land in der Westlichen Hemisphäre zurückgeblieben wäre,
das nicht der OAS angehörte.
Die kanadische Regierung führte ebenfalls die gewachsene Interdependenz zwischen Nord und Süd in der Westlichen Hemisphäre an, so die
Schuldenkrise und die transnationale Drogen- und Umweltproblematik. Die
damit einhergehende Aufwertung multilateraler Problembearbeitung hat die
Entscheidung für einen Beitritt somit grundsätzlich gefördert.
Innenpolitische Gründe dürften für Mulroneys Entscheidung hingegen
kaum eine Rolle gespielt haben. Die kanadische Öffentlichkeit war in dieser
Frage skeptisch oder bestenfalls indifferent. In der Presse wurden die altbekannten Argumente für oder gegen den OAS-Beitritt wiederholt. Die Haltung der einflußreichen humanitären und kirchlichen Organisationen, die
sich mit Lateinamerika befassen, war ambivalent. Sie sahen die OAS nach
wie vor als einen Büttel der Vereinigten Staaten. Die Regierung warb deshalb um ihre Zustimmung mit der Ankündigung, zusätzlich bestimmten
OAS-Agenturen und Sonderorganisationen beitreten zu wollen, die für das
Engagement dieser Gruppen Ansatzpunkte boten, so der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, der „Inter-American Commission on
Women“ und dem „Inter-American Indian Institute“.
Schließlich war noch wichtig, daß Kanada wie die meisten karibischen
Staaten zuvor schon Mitglied der OAS werden konnte, ohne in die kollektive Pflicht des Sicherheitspaktes von Río genommen und damit der Gefahr
unerwünschter Verwicklungen ausgesetzt zu werden, wie z.B. im Falkland/Malwinen-Konflikt. Die Frage, ob Kanada rechtlich oder zumindest
doch moralisch verpflichtet sein würde, sich diesem Beistandsvertrag und
damit einer weiteren Militärallianz neben NATO und NORAD
anzuschließen, lag jahrzehntelang als ein bedeutendes Hindernis auf dem
Weg Kanadas in die OAS. Eine solche Bindung an den Río-Pakt wäre der
kanadischen Öffentlichkeit nicht zu vermitteln gewesen und kam für
Mulroney deshalb auch nicht in Frage. Er stellte 1989 in Sank José abschließend klar, der Río-Vertrag sei „inconsistent with our tradition and
objectives“.492
_______________
492
„Canada to join the OAS: Mulroney pledges new relationship“, Globe and Mail,
28.10.1989, A1
190
4.3 Kanada als „issue-energizer“ der OAS
Die Integration Kanadas als Protagonist im multilateralen interamerikanischen System war, wie gezeigt wurde, eine graduelle Entwicklung, die 1970
eingeleitet wurde und knapp zwei Jahrzehnte später im Beitritt Kanadas zur
OAS resultierte. Der konservative Premier Mulroney führte damit das vom
Liberalen Trudeau begonnene profilierte Auftreten Kanadas in internationalen Gremien fort. Der verspätete OAS-Beitritt war mithin keine Zäsur,
sondern der Schlußpunkt seiner graduellen Integration in diese Staatenorganisation. Durch das Ende des Kalten Krieges und durch die Redemokratisierung in Lateinamerika war für Kanada zudem der Schritt vom Beobachterzum Vollmitglied der OAS risikoloser geworden.
Die Erwartungen an Kanadas Beitritt innerhalb der OAS waren und sind
hochgesteckt. Allgemein wird Kanada eine Ausgleichsrolle zwischen den
USA und Lateinamerika zugeschrieben. Dabei muß Kanada beweisen, daß
es eine dezidiert unabhängige Außenpolitik verfolgt, gleichzeitig aber darauf
achten, daß ihm eine solche in Washington nicht verübelt wird:
„Membership in the OAS forced Canadian officials to face their country´s
foreign policy limitations head-on.“493 Noch während der Gipfelfeierlichkeiten in San José kündigte der Präsident Nicaraguas, Daniel Ortega, den 19
Monate zuvor zwischen Regierung und Contra geschlossenen Waffenstillstand von Sapoá auf und brachte damit die angesetzten Wahlen in Gefahr.
Die US-Invasion in Panama war der erste eigentliche Test für Kanadas unabhängiges Agieren in der OAS. Während der neue Botschafter Jean-Paul
Hubert am ersten Tag der OAS-Mitgliedschaft Kanadas zusammen mit der
OAS-Mehrheit eine Resolution verabschiedete, die die illegale Durchsuchung von Nicaraguas Botschaft in Panama City durch amerikanische
Solden kritisierte, rechtfertigte Mulroney die amerikanische Intervention.
Gewissermaßen zur Kompensation befürwortete Außenminister Clark die
Rückkehr Kubas in die OAS, da „some of the current problems in Latin
America could become more manageable if Cuba were brought back into
the family of hemispheric nations“.494 Dennoch zeigte die Mulroney-Regierung keine Neigung, für Kuba als Türöffner bei der OAS aktiv zu werden.
Ein Parlamentsausschuß hatte der Regierung im Februar 1990 hinsichtlich
Kanadas künftiger Rolle in der OAS empfohlen, „[that] as one tangible
contribution to getting the country in the hemispheric swim, Canada should
work steadily towards the readmission of Cuba to active membership in the
_______________
493
494
Jonathan Lemco: Canada and the crisis in Central America. New York 1991, 48 f.
Canada. Department of External Affairs: „Notes for a speech by the Secretary of State for
External Affairs, the Right Honourable Joe Clark, to the University of Calgary on Canadian
policy to Latin America, February 1990“
191
OAS.“495 Die Regierung antwortete im Juli 1990, die formale Initiative
hierzu müsse aus dem Kreis derjenigen Staaten kommen, die an der Entscheidung beteiligt gewesen seien, Kuba 1962 von der aktiven Mitgliedschaft auszuschließen. Dies ist gänzlich unverändert auch die Position der
liberalen Nachfolgeregierung zur Reintegration Kubas als Vollmitglied der
OAS: „We favor it but we are not prepared to take the leas.“496 Gleichwohl
betont Kanada bei jeder sich bietenden Gelegenheit sein Interesse daran, die
nach dem Ende des Kalten Krieges als anachronistisch betrachtete fortdauernde Isolierung Kubas zu beenden. Von Ottawas, das konstant auf eine
Verbesserung der Menschenrechtssituation in Havanna drängt, wird eine
multilaterale Einbindung Kubas als weitaus zweckmäßiger angesehen. So
stellte Außenministerin McDougall fest: „We look forward to the time when
the vision of the founders for the OAS for a universal hemispheric forum
can be realized and Cuba will retake its place in the organization as full
member of the hemispheric family.“497 Insgesamt erwies sich also, daß Kanada mit der gewohnten Vorsicht ans Werk ging. Die Mulroney-Regierung
wollte offensichtlich das Binnenverhältnis zu den USA nicht dadurch belasten, daß sie sich in der Kubafrage zu weit vorwagte. Auch der kanadische
OAS-Beitritt fügte sich ja, dies soll noch einmal unterstrichen werden, in
das außenpolitische Programm des Kontinentalismus ein, das zugleich eine
engere Anlehnung Ottawas an Washington beinhaltete. Dabei findet Kanadas „continental embrace“ unter Mulroney durchaus seine Entsprechung in
der jüngsten Konvergenz wichtiger lateinamerikanischer Staaten im Verhältnis zu den USA.498 Von kritischen Kommentatoren in Lateinamerika und
in Kanada selbst wurde Kanadas vorsichtiger Start in der OAS daher erwartungsgemäß als enttäuschend gewertet.499 Es ist absehbar, daß der neue
liberale Premier Jean Chrétien, der im Wahlkampf Mulroneys „WashingtonHörigkeit“ aufs Korn genommen hatte, sich auch in der OAS etwas mehr
Ellbogenfreiheit gegenüber den Vereinigten Staaten sichern, diese aber in
verhältnismäßig „ungefährlichen“ Bereichen demonstrieren, wird. Ein erstes
_______________
495
496
497
498
499
Zitiert nach Richard V. Gorham: „Canada and Cuba: four and a half decades of cordial
relations“, in: Cuba’s ties to a changing world / Donna Rich Kaplowitz (Hg.), Boulder
1993, 215-221, 220
Brian Jackson, Ständiger Vertreter Kanadas bei der OAS: „The OAS is moving in the right
direction“, in: Washington Report on the Hemisphere 14 (26.01.1994) 5, 2
Canada. [Department of] External Affairs and International Trade: „Notes for a speech by
the Honourable Barbara McDougall, Secretary of State for External Affairs, for the meeting
of the OAS General Assembly, Santiago, Chile, June 3, 1991“ /Statement 91/30), 1
Larry Rohter: „Latin America finds harmony in convergence“, New York Times, 21.11.
1993, sec. 4:5
James Rochlin: „The evolution of Canada as an actor in inter-American affairs“, in:
Millenium 19 (1990) 2, 229-248
192
Beispiel und von einigem symbolischem Wert war die im Juni 1994 angekündigte Wiederaufnahme der offiziellen Entwicklungshilfe Kanadas für
Kuba.
Für eine grundsätzliche Kontinuität der kontinentalen Harmonie spricht
vorerst jedoch, daß der von der Clinton-Administration propagierte
„assertive multilateralism“ sich in vollem Einklang mit Kanadas außenpolitischen Prinzipien befindet, wenngleich er nach kanadischem Geschmack,
z.B. im Fall der windungsreichen Haiti-Politik der USA, nicht „zupackend“
genug war und Kanada den Exilpräsidenten Aristide von vornherein entschlossener unterstützt hatte. 1991 war eine führende Rolle in der OAS beim
Bemühen um eine Lösung der Haiti-Krise für Ottawa im Gegensatz zur
Kuba-Frage politisch wie wirtschaftlich wenig kostenträchtig. Washington
war sehr damit einverstanden, die OAS mit der Krisensituation zu befassen
und lateinamerikanische Regierungen hatten die kanadische hierbei diskret
um ihr Engagement gebeten. Auch versprach das entschiedene Eintreten für
Aristide sich innenpolitisch auszuzahlen, stellt doch die haitische Diaspora
(vor allem in Montreal) ein nicht unbeachtliches Wählersegment dar.
Zweifellos wird Québécois Chrétien nach dem Vorbild seines Mentors
Trudeau Lateinamerika einen hohen Stellenwert in der Außenpolitik beimessen. Das ideologisch der „Latinité“ verpflichtete Quebec hat vor allen
kanadischen Provinzen auch bei handfesten Aspekten wie Handel und Investitionen die engsten Kontakte zum Subkontinent.
Der Mulroney-Regierung war vorgehalten worden, ihre Entscheidung für
den OAS-Beitritt sei nur die symbolische Ersatzhandlung für eine ansonsten
fehlende, umfassend konzipierte Politik gegenüber Lateinamerika gewesen.500 Es hieß, der OAS-Beitritt sei nicht mehr als „a post-free trade
initiative to show that Canada could still act independently“. Fügte Kanada
der Fülle seiner multilateralen Verpflichtungen bloß einen weitere Mitgliedschaft hinzu, um sich abermals als „the world´s greatest joiner“ zu präsentieren?501 Ein solches Urteil ist nicht angemessen. Dosman stellt hierzu fest:
„[…] there is not yet a coherent policy – more a set of partial policies or
building blocks.“502
_______________
500
501
502
Canada.House of Commons. Standing Committee on External Affairs and International
Trade: Examination of the ramifications of Canada joining the Organization of American
States […]. Appearing: The Right Honourable Joe Clark, Secretary of State for External
Affairs. 34th Parl., 2nd Sess., Minutes of Proceedings and Evidence, 08.11.1989, Issue No.
25, 25:22, 25:24; 25:28
David MacKenzie: „‚The world’s greatest joiner‘: Canada and the Organization of
American States“, in: British Journal of Canadian Studies 6 (1991) 1, 203-220, 217
Edgar J. Dosman: „Canada and Latin America: the new look“, in: International Journal 47
(1992) 3, 529-554, 529
193
Die Versatzstücke dieser Politik lassen sich in dem breitgefächerten Bündel von Initiativen erkennen, das Kanada in die OAS einbrachte.503
McKennen erkennt bei dem „new kid on the OAS block“ eine „behind-thescenes, consensus-building, pragmatic style of OAS interaction“.504 Es ist
dabei zu berücksichtigen, daß Kanadas Engagement auf der multilateralen
Szene traditionell zu solider Unauffälligkeit tendiert. Seine multilaterale
Diplomatie verzichtet auf spektakuläre Vorstöße mit lauten Fanfaren. Sie ist
doppelt charakterisiert „by its consensus ´safety in numbers´ orientation and
by its emphasis on detailed and persistent diplomatic work.“505
Trotz dieser vorsichtigen Politik des niedrigen Profils ist Kanada zweifellos in das von den Vereinigten Staaten in den 80er Jahren hinterlassene
Führungsvakuum gestoßen. Die kanadische Initiativ- und Katalysatorrolle in
der OAS seit 1990 läßt sich der Terminologie von Oran Young folgend als
„entrepreneurial leadership“ charakterisieren, die anders als eine etwa den
USA zuzuordnende „structural leadership“ ohne das Element der politischen
und wirtschaftlichen Dominanz operiert.506
Tatsächlich verharrte Kanada nicht in der Mentalität eines „Ständigen
Beobachters“, sondern stützte sich geradezu auf das Thema der Demokratieförderung als dem kanadischen „flagship issue“ in der OAS. Dosman zufolge war Kanada als Außenseiter ohne historischen Ballast prädestiniert,
dieses von den USA und wichtigen lateinamerikanischen Staaten zur gegenseitigen Diskreditierung mißbrauchte Thema „democratic development“
glaubwürdig aufzugreifen: „If Canada wanted visibility, it could not have
chosen a better subject.“507 Kanada konnte vor allem im Bündnis mit den
durch langjährige Militärdiktaturen traumatisierten Länder des Cono Sur die
Einrichtung eines „Büros für die Förderung der Demokratie“ (Unit for the
Promotion of Democracy) erreiche, dessen gegenwärtiger Exekutivdirektor
nicht zufällig ein Kanadier (John W. Graham) ist.
Als „issue-energizer“ wandte sich Kanada besonders Problemen regionaler Sicherheit in einem umfassender definierten Verständnis zu. So soll
ein „Committee on Cooperative Security“, für das Kanada sich stark macht,
_______________
503
504
505
506
507
Canada. Department of External Affairs: Canada’s first year in the Organization of
American States: implementing the strategy for Latin America, Ottawa, January 1991, 4-9
McKenna, Canada and the OAS, 327
Andrew F. Cooper: „Nultilateral leadership: the changing dynamics of Canadian foreign
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policy in a changing world order, Toronto 1992
Oran R. Young: „Political leadership and regime formation: on the development of
institutions in international society“, in: International Organization 45 (1991) 3, 281-308,
293 ff.
Dosman, Canada and Latin America, 543
194
der Prävention neuartiger, nicht traditioneller Sicherheitsrisiken (wie z.B.:
Drogen-, Migrations- und Umweltprobleme) dienen und en Interamerikanischen Verteidigungsrat als Relikt des Kalten Krieges längerfristig ersetzen.
Kanada schlug vor, diesem die Subsidien zu kürzen und die freiwerdenden
Mittel der Inter-American Commission of Women und dem Inter-American
Children´s Institute zuzuschlagen. Obwohl Premier Mulroney einen Militäreinsatz gegenüber dem Putschregime in Port-au-Prince nicht völlig ausschließen mochte, wird eine kollektive Rolle der OAS bei militärisch gestützten Friedensoperationen von Kanada offensichtlich nicht gewünscht:
„[I]nternational peacekeeping and truce monitoring activity should be left to
the U.N.“508
Bei den ersten Vorstößen Kanadas in der OAS zeigte sich gelegentlich
seine mangelnde Vertrautheit mit den Verhältnissen in Lateinamerika, das
für Kanada historisch eine Terra incognita war. So lancierte Außenministerin McDougall 1991 auf der Generalversammlung in Santiago de Chile eine
Abrüstungsresolution, obwohl die Region im Weltmaßstab die am wenigsten
hochgerüstete ist, auch wenn die Jahrzehnte der Militärherrschaft einen
gegenteiligen Eindruck erzeugt haben. Kanada projiziert eigene Anliegen,
wie 1992 mit einer Resolution zur Hochseefischerei, auf die Tagesordnung
der OAS, ohne daß diese Themen für die Region derzeit vordringlich sind.
Mit dem nachlassenden Neuigkeitswert der OAS-Mitgliedschaft Kanadas
dürften solche bisher auto0matisch wohlwollend aufgenommenen Initiativen
zukünftig mehr Zurückhaltung begegnen.
Die gemeinsame Zielrichtung aller kanadischen Initiativen war es, das
politische Profil der OAS zu schärfen, so beispielsweise durch die Einrichtung eines „Office of Political Affairs“, um dem OAS-Generalsekretär für
seine Initiativfunktionen nach Artikel 115 der reformierten OAS-Charta zu
rüsten, oder auch durch regelmäßige Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs. Die jährliche Generalversammlung soll nach kanadischem Willen hingegen künftig nur noch alle zwei Jahre tagen.509
Der von Mulroney eingeläutete „Neubeginn in unseren Beziehungen zu
Lateinamerika“, wie er in San José den OAS-Beitritt nannte, bedeutete keine
Verstärkung der aufgewandten Ressourcen. Der Beitritt änderte nichts
daran, daß Kanadas diplomatische Repräsentanz in Lateinamerika spärlich
ist. Die daraus resultierenden Informationslücken hilft jedoch gerade die
OAS mit den potenzierten, multilateralen Kontaktmöglichkeiten zu
_______________
508
509
Richard Gorham: „Canada and the OAS: a commentary“, in: Canada and Latin America,
164-168, 167
Permanent Council: „Note of the Ambassador Permanent Representative of Canada
appending a paper summarizing Canada’s views relative to the strengthening of the OAS“,
OEA/Ser. G, CP/INF. 2996/90, 07.05.1990
195
überbrücken. Während einige lateinamerikanische OAS-Partner erwartet
haben mochten, mit dem Beitritt Kanadas als einem potenten Industrieland
der „Siebenergruppe“ würden reichlich Mittel in die Leeren Kassen der
OAS fließen, gab sich Außenminister Clark eingedenk des immensen
Budgetdefizits im eigenen Land zugeknöpft: „I made it clear that the
immediate impact of Canada´s presence would result from the contribution
of our political talents rather that changes in the level of aid.“510 Vorläufig
unbeantwortet blieb die Frage: „should Canada seek to expand, maintain or
reduce the developmental role of the OAS during the longer term?“511 Kanada besteht auf einem Nullwachstum des OAS-Haushalts und beschränkt
sich auf seine Beitragszahlung von rund 6,3 Mio. Dollar, wozu 1,8 Mio.
extrabudgetäre Mittel für die Entwicklungsaufgaben der OAS kommen.
Zusammen mit den USA fordert Kanada auch, die teuren Länderbüros der
OAS abzuschaffen, die von den Mitgliedsstaaten vor allem zu personellen
Patronagezwecken genutzt werden. Eine selektive Großzügigkeit zeigt Kanada lediglich bei Zuwendungen für zivile Friedens- und Wahlbeobachtungsmissionen der OAS.
Auch wenn Kanada versucht6, seine OAS-Mitgliedschaft kostenneutral
zu gestalten, verdeutlicht diese erste Bilanz, daß es seine attentistische „Beobachtermentalität“ gegenüber der OAS endgültig abgelegt hat. Mit seinen
Initiativen versucht Kanada vor allem, der OAS ein schärferes politisches
Profil zu geben. Das rührt an latente Gegensätze in der Regionalorganisation, wie im folgenden zu zeigen ist.
4.4 Kanada und die künftige Rollenbestimmung der OAS
Obwohl von Kanadas Mitgliedschaft in der OAS „helpful fixations“ und
Stabilisierungsleistungen erwartet werden dürften, akzentuiert seine Position
auch Konfliktlinien in der OAS. Daß die „Gringos from the Far North“ bei
ihrer Selbstbehauptung stets Wert auf die Verschiedenheit von dem nahe
und übergroßen Nachbarn USA legen, ließ sie in Lateinamerika seit jeher
als „natürliche“ Verbündete gelten.
Diese Sichtweise variiert jedoch: Versprachen sich anfänglich vor allem
aufstrebende Regionalmächte wie Brasilien, Mexiko und Venezuela von
einer kanadischen OAS-Mitgliedschaft „a sort of extra weight or buffer
against what they perceive as possible undeu American pressure“, so erwar_______________
510
511
Canada. House of Commons, 25:22
David Pollock, bei einer Expertenanhörung: Canada. House of Commons. Standing
Committee on Extermal Affairs and International Trade: Examination of the ramifications
of Canada joining the Organization of American States. 14th Parl., 2nd sess., Minutes of
Proceedings and Evidence, 09.11.1989, Issue No. 26, 26:23
196
teten im Laufe der Jahre „the Costa Ricas and the Panamas […] some sort of
buffer not against the United States but against the Brazils and the Mexicos.“512 Die Anglokaribik erwartete in Kanada auf einen starken
Bundesgenossen, was wiederum das lateinamerikanische Unbehagen an
einem unangemessenen Gewicht des Commonwealth in der OAS nährte.513
Wendet man das Problem positiv, so ergäbe sich nunmehr für Kanada die
Aufgabe eines Brückenbauers zwischen den subregionalen ´Blöcken´. Die
Reaktion der Vereinigten Staaten auf Kanadas OAS-Beitritt war trotz des
„sense of alignment“ zwischen der konservativen Regierung Mulroney und
den republikanischen Administrationen Reagan und Bush erstaunlich kühl.
Washington erklärte im Oktober 1989 zum bevorstehenden OAS-Beitritt
Kanadas in einer Stellungnahme von Zwei Zeilen, es erwarte von Kanada
"neue Ideen" für die OAS.
Tatsächlich aktualisierten Kanadas „neue Ideen“ latente Konflikte in einem Bereich, der für eine internationale Organisation zentral ist: Es geht um
die Definition des Rollenbildes (das „role image“ nach Archer). Für Kanada
ist es im Gegensatz zu vielen anderen Staaten selbstverständlich, einer internationalen Organisation in wesentlichen Bereichen eine eigenständige „Akteursrolle“ zuzuschreiben. Unabhängig davon, ob Kanada sich selbst als
Mittelmacht bzw. als „principal power“514 versteht, sieht es sich von jeher
auf verbindliches Völkerrecht, regelgeleiteten Konfliktaustrag, Interessenausgleich und damit auf „starke“ internationale Organisationen angewiesen.
Kanada trägt daher u.a. mit seinem Menschenrechtsaktivismus und seinem Enthusiasmus für die Demokratisierungsfunktion der OAS ein im Sinne
dezidierter Handlungsbefugnisse „interventionistisches“ Rollenbild als
„Akteur“ an. Es gerät damit jedoch in Gegensatz zu Mexiko, das auf Grund
seiner langen geschichtlichen Erfahrung mit Einmischungen der Vereinigten
Staaten zwar Kanadas unabhängige Politik gegenüber den USA schätzt, aber
ein entgegengesetztes Verständnis von einer „effektiven“ internationalen
Organisation hat. Die eigentliche Potenz der OAS besteht für Mexiko darin,
daß sie durch ein striktes Nichteinmischungsprinzip auf die Rolle eines
regionalen Forums („Arena“ nach Archer) beschränkt bleibt. Mexiko
_______________
512
513
514
Richard V. Gorham, Department of External Affairs, Assistant Under-Secretary, Bureau of
Latin America and Caribbean Affairs, bei einer Anhörung: Canada. House of Commons,
Standing Committee on External Affairs and National Defence, Sub-committee on
Canada’s Relations with Latin America and the Caribbean, 32nd Parl., 1st sess., Minutes of
Proceedings and Evidence, 09.06.1991, Issue No. 2, 2:60
Kinda Hossie: „Expectations high for Canadian role in OAS“, Globe and Mail, 26.10.1989,
A1; A7
David B. Dewitt; John J. Kirton: Canada as a principal power: a study in foreign policy and
international relations, Toronto 1983
197
wünscht sich die OAS als eine Art „Commonwealth“, dem eine gemeinsame, überwiegend „spanische“ kulturelle Prägung den Zusammenhalt verleiht. Die in den 80er Jahren politisch lahmgelegte OAS war paradoxerweise
geeignet, diese definsive Strategie Mexikos abzusichern, und erlaubte dem
Land eine Wiederannäherung an die OAS.515 Mexiko tat sich mit der u.a.
von Kanada vorangetriebenen Reaktivierung der Staatenorganisation deshalb schwer. Es mußte sich beispielsweise gefallen lassen, von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission wegen des Wahlbetruges der
Staatspartei angeprangert zu werden.516 Während die OAS in den vergangenen Jahren auf dem Feld der internationale Wahlbeobachtung Meriten sammelte, stellte dies für Mexiko, das bis vor kurzem als einziges Mitgliedsland
der OAS keine offiziellen Wahlbeobachter zuließ, eine unannehmbare Einmischung in innere Angelegenheiten dar. Kanada überfordert möglicherweise nicht nur das besonders im Jahr 1994 von den Schockwellen einer
gravierenden Modernisierungskrise geschüttelte Mexiko, sondern z.B. auch
das um seine staatliche Existenz ringende, autoritär regierte Peru.
Kanadas Vorstellungen von relativ selbständigen Ordnungsmacht- und
Gestaltungsfunktionen internationaler Organisationen könnten darüber hinaus auch und vor allem n der OAS leicht zu Differenzen mit den Vereinigten
Staaten führen, agiert ihnen doch bereist der UN-Generalsekretär zu
aktivistisch.
Insgesamt kann Kanadas Beitrag zur jüngsten Revitalisierung der OAS
sehr hoch veranschlagt werden. Kanada als Exponent eines im Sinne des
„entrepreneurial leadership“ (Young) aktiven Multilateralismus agiert dabei
nicht als Deus ex machina, sondern beackert – wie bereits dargelegt wurde –
einen vom lateinamerikanischen Multilateralismus bereiteten Boden. Kanadas Initiativen in der OAS kommt eine wichtige katalytische Funktion zu,
wenn es zukünftig darum geht, das Rollenbild der Organisation zu klären
und zu gewichten.
VIII. PERSPEKTIVEN DER OAS IN DEN 1990ER JARHREN
Der amerikanische Kontinent verfügt mit der OAS als der ältesten Regionalorganisation der Welt über ein einzigartiges multilaterales Kommunikationssystem und eine funktionale Mehrzweckorganisation in den Sachbereichen „Sicherheit“, „Wohlfahrt“ und „Herrschaft“.
_______________
515
516
Ricardo Macouzet Noriega: „México en la OEA: del distanciamiento a la cooperación“, in:
Carta de Política Exterior Mexicana 6 (1986) 4, 17-28
Larry Rohter: „O.A.S. cautions Mexicans on election fraud“, New York Times,
04.06.1990, A17
198
Unsere Analyse ergab eine Verschiebung des funktionalen Schwerpunkts
der OAS. Vereinfachend zusammengefaßt stellten sich bis in die 70er Jahre
hinein die klassischen Probleme der „high politics“, nämlich Konflikte um
Fragen der kollektiven bzw. geopolitischen Sicherheit. Dabei führte die
einseitige Handhabung der OAS durch die Vereinigten Staaten, die bei der
Wahrnehmung ihrer Sicherheitsprärogative die Hegemonialebene stark
betonten, zu nachhaltigen Delegitimierungseffekten für die LateinamerikaPolitik der USA und der OAS als Instanz multilateraler Problembearbeitung.517 Die lateinamerikanische Staatengruppe, die die USA auf den
Kooperationsaspekt des interamerikanischen Systems festlegen wollte,
versuchte die OAS stärker zu einem Resonanzboden für ihre politischen
Vorstellungen umzugestalten. Sie traten an die OAS – wie auch die Mehrheit der Entwicklungsländer an die Vereinten Nationen – mit Wohlfahrtsansprüchen heran. Außer der noch traditionell vom Ost-West-Gegensatz motivierten Allianz für den Fortschritt verfolgten die USA aber keine erweiterte
Strategie substantieller Legitimationsbeschaffung durch eine Kooperation in
Wirtschafts- und Entwicklungsfragen, die einen „spill over“-Effekt für die
OAS als politischen Zusammenschluß hätte mit sich bringen können. Der
Quid pro quo-Gründungskompromiß der OAS verlor an legitimierender
Kraft.
Die OAS durchlief in den 70er und 80er Jahren eine sich zunehmend
dramatisch entwickelnde Legitimitäts-, Struktur- und Finanzkrise, die zu
Ende der 80er Jahre ihr institutionelles Überleben fraglich erscheinen ließ.
Ein schwerer Schlag war der Falkland/Malwinen-Krieg, der den formell
immer noch bestehenden Río-Pakt zu einem toten Buchstaben machte. Der
konfrontative Unilateralismus der Reagan-Administration und die negative
Instrumentalisierung der OAS durch Zahlungsverweigerung und selektive
Inanspruchnahme schien dem regionalen Multilateralismus vollends die
Grundlage zu entziehen.
Von einer “generellen Krise des Multilateralismus“ im Regionalsystem
konnte aber, das hat die vorliegende Arbeit nachzuweisen versucht, keine
Rede sein. Während der 80er Jahren prägte in Lateinamerika ein konzertartiger Ad hoc-Multilateralismus auf „enger“ Basis und in Abkoppelung vom
traditionellen interamerikanischen System die Szene. Er führte wider Erwarten nicht zur Ersetzung des „breiten“ Multilateralismus der OAS, sondern gerade zu seiner Revitalisierung in den 90er Jahren. Zum einen war die
_______________
517
Zum Zusammenhang zwischen Legitimationsfunktionen und Legitimität internationaler
Organisationen siehe Inis L. Claude: „Collective legitimization as a political function of the
United Nations [1966]“, in: Leland M. Goodrich; David A. Kay (Hg.): International
organization: politics and process, Madison 1973, 209-221; Jerome Slater, Limits of
legitimization in international organizations, 48 ff.
199
"Substitutionskapazität“ homogener Spezialorganisationen zu gering, zum
anderen aber vermittelte die von den exklusiv lateinamerikanischen Miniund Multilateralismen (von der Contadora-Initiative bis hin zur Río-Gruppe)
ausgehende, innovative Verknüpfung von regionaler Friedenssuche mit dem
Redemokratisierungsprozeß auch der OAS eine Überlebensmöglichkeit.
Obwohl die Verteidigung der repräsentativen Demokratie schon immer
Bestandteil der Resolutionsliturgie der OAS gewesen war, erhielt sie erst
seit 1990 zur Konsolidierung des fragilen Redemokratisierungsprozesses
Aufgaben im Bereich von „governance“ zugewiesen. Das mit den bahnbrechenden Beschlüssen von Santiago im Juni 1990 installierte „Defense-ofDemocracy“-Regime der OAS verhalf der moribund geglaubten Organisation recht unvermittelt zu neuer Kohärenz und Legitimität, die auch in die
anderen Funktionsbereiche abstrahlen, wo sich die OAS neuerdings mit
aktuellen Interdependenzproblemen (Umweltfragen, Drogenschmuggel)
befaßt, abstrahlt.
Die Bäume der OAS im Bereich der Staatsstreichprävention und Demokratiesicherung werden sicherlich nicht in den Himmel wachsen, weil es
wegen der hergebrachten souveränitätspolitischen Bedenken vieler Mitgliedsstaaten sanktionsschwach ausgestaltet ist und nur wenige Regierungen
das Gewicht der OAS im Sinne einer Akteursqualität vergrößern möchte.
Hier könnte die OAS, die eine Funktion des Willens der Mitgliedsstaaten
ist, erneut als „ineffektiv“ erscheinen und in den altbekannten Zirkel von
Erwartungsüberspannung und –enttäuschung geraten.
Das Demokratieregime der OAS dürfte nämlich die entscheidenden Bewährungsproben noch vor sich haben: Nicht zuletzt wegen der immensen
sozialen Probleme bricht den zugleich mit den Strukturproblemen des Präsidentialismus kämpfenden lateinamerikanischen Demokratien der Boden
weg. Eine weitere Herausforderung in nicht allzu ferner Zukunft könnte von
einer „transición“ in Kuba möglicherweise in Form eines Staatszusammenbruchs, ausgehen. Gerade hier wird sich zeigen, ob die durch das Hinzukommen neuer und maßgeblicher Mitgliedsstaaten – die Rolle Kanadas
wurde hier ausführlich erörtert – die weniger asymmetrisch, dafür aber
„multilateraler“ strukturierte OAS einen Aktionsraum außerhalb der von den
USA gesetzten Parametern erhält.
Die Dominanz der USA erscheint abgeschwächt. Das Bekenntnis der
Clinton-Administration zu einem „zupackenden Multilateralismus“ und die
bisher ungekannte Unité de doctrine von Demokratie und Martwirtschaftsmodell in der westlichen Hemisphäre schaffen jedoch zumindest günstige
Voraussetzungen für einen Intensivierung der regionalen Kontakte und
damit auch für einen Bedeutungszuwachs der OAS.
200
IX. DANKSAGUNG
Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Professor Dieter Oberndörfer für
Förderung und Freiheit bei der Bearbeitung dieses Themas. Noch während
der Anfertigung dieser Dissertationsschrift hat er meine Beschäftigung mit
Fragen der Migration und Integration angeregt und mir als Direktor des
Arnold-Bergstraesser-Instituts für kulturwissenschaftliche Forschung in
Freiburg beste Arbeitsmöglichkeiten geschaffen.
Professor Larman C. Wilson von der American University in Washington
verdanke ich wertvolle Hinweise.
Die dreimonatige Recherche bei der OAS im Jahr 1993 hat der Deutsche
Akademische Austauschdienst über das Auslandsamt der Universität
Freiburg mit einem Reisestipendium unterstützt.
Sehr viel schulde ich auch der Bibliothekarin der OAS (später tätig bei
der Botschaft Brasiliens in den USA), Lucília G. Harrington – nicht zuletzt
für Ihre Freundschaft.
Uwe Berndt
201
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