Kolumbien-aktuell 1.Wirtschaft: Die Kunst zu budgetieren 2.Frieden und bewaffneter Konflikt: Die 120 Tage der Verhandlungen in Santa Fe de Ralito oder das Gleichnis eines Lastwagens, der ohne Bremsen eine Bergstrasse hinunter fährt 3.Menschenrechte: Sicherheit für wen? 4.Soziale Bewegungen: Vorankommen im Kampf der Massen Leitungsequipe: Alejandro Angulo S.J., CINEP Gabriel Izquierdo S.J., Instituto PENSAR - Red Colombiana de Universidades por la Paz Rafael Marroquin, CEPECS; Carlos Salgado, PLANETA PAZ Camilo Castellanos, ILSA Redaktion: Reina Lucia Valencia, Leitung Jorge Carvajal, Diana Rodriguez, David Martinez, Clemencia Rueda, Teofilo Vasquez Administration: ILSA, Calle 38 No. 16-45, Bogota, Tel. 288 04 16 / 288 36 78, e-mail: [email protected] Internet: www.actualidadcolombiana.org Übersetzung ins Deutsche und Versand in Europa: No.Arbeitsgruppe 395 27. Oktober Postfach 2004 7004, CH-6000 Luzern 7 / Schweiz, e-mail: [email protected]; Schweiz-Kolumbien, Internet: www.kolumbien-aktuell.ch 1.Wirtschaft: Die Kunst zu budgetieren Von Jairo Bautista, Kongressberater Für niemanden ist es eine Überraschung, dass das Budget die politischen Prioritäten der Interessengruppen einer Gesellschaft spiegelt. Dies ist die Essenz des Budgets, mindestens in den selbsternannten westlichen Demokratien, von denen Kolumbien integraler Bestandteil ist. Problematisch wird es dann, wenn das Budget nur noch die Interessen der grossen wirtschaftlich und politisch Mächtigen einer Gesellschaft wiederspiegelt und den Rest in einem Akt der Tyrannei und Antidemokratie, der einer Diktatur in nichts hinten ansteht, ausschliesst. In Kolumbien leben wir in einer neuartigen Diktatur: einer Staatshaushaltsdiktatur. Die kürzliche Annahme des Budgets für 2005 ist der glaubwürdige Beweis dafür, dass die demokratischen Institutionen rein gar nichts mit den Institutionen zu tun haben, welche die staatlichen Finanzen verwalten. Es wurde ein Budget angenommen, welches in seiner Höhe und in Beziehung zu unseren wirtschaftlichen Realitäten übertrieben ist und damit die Abhängigkeit der öffentlichen Verschuldung erhöht. Zudem wird ein schöner Teil für den Schuldendienst und für die Armee aufgewendet. Ein solches Budget zeigt offensichtlich die Interessen der Mächtigen: eine nationale und internationale Finanzklasse, welche 35% der öffentlichen Mittel durch einen übertriebenen Schuldendienst absorbiert, aber auch durch die von ihnen vermittelten sogenannten sozialen Mitteln profitiert; eine mächtige Klasse von Politikern, Industriellen und Viehzüchtern, welche von der kurzsichtigen Idee umnebelt ist, dass das Sicherheitsproblem die FARC sei und dass alle Gelder, die in diesen Krieg gesteckt werden, ihnen direkt zugute kommen würden. Und schliesslich noch die verbindenden Interessen: Die politische Klasse mit Uribe an der Spitze braucht verzweifelt Mittel, um die Wiederwahl zu sichern. Die Wiederwahl hat Uribe mindestens im Parlament bereits auf völlig sicher, doch wird sie schlussendlich an den Urnen entschieden. Für diese Wiederwahl-Kampagne werden enorme Summen benötigt, um so viel Populismus an so vielen Gemeinschaftsräten wie möglich zu machen, wobei konjunkturelle Lösungen für strukturelle Probleme wie etwas das Fehlen von öffentlichen Dienstleistungen oder der Armut präsentiert werden. Die Politiker wissen ganz genau, dass ein Teil der Stimmen durch die Philosophie von Schnaps und Zirkus gewonnen werden, dass andere Stimmen aber durch Meinungsmache geholt werden, wozu für kleine Erfolge der Regierung eine übertriebene Publizität gemacht wird. Daher reflektieren die vom Parlament illegal gutgeheissenen 93,5 Billionen Pesos die Tendenz der dominanten Mächte des Landes, lösen aber das Problem der Ausgrenzung, der fehlenden minimalen sozialen Dienstleistungen und noch viel weniger die kritische Wirtschaftssituation nicht. Im Gegenteil, um die Abenteuer dieser Herren des Landes zu bezahlen, braucht es wiederum eine Steuerreform, die antitechnischste und übereilteste aller von dieser Regierung bisher präsentierten Reformen. Durch diese Steuerreform sollen 1,7 Billionen Pesos durch die Erhebung von Mehrwertsteuern auf den Grundkonsumgütern eingetrieben werden. Oder anders gesagt: Man erhebt von den Ärmsten Steuern, damit die Reichen sich an der Macht halten können. Zusätzlich zu neuen Steuern werden noch die wenigen verbleibenden staatlichen Unternehmen verscherbelt, in die viel investiert wurde und die grosse Gewinne abwerfen wie z.B. im Fall von ISA, einem Energieunternehmen, welches ein enormes Entwicklungspotential in Kolumbien und den Andenländern aufweist. Dies alles um die Budget-Ästhetik zufrieden zu stellen und zu beweisen, dass die Kunst zu budgetieren in Kolumbien grenzenlos ist und gar auf magische Weise fertig gebracht wird, ein grosses Defizit in einen erklecklichen Gewinn umzuwandeln. Darin kopiert Uribe seinen Alliierten Bush, welchem es gelungen ist, die us-amerikanische Haushaltspolitik zugunsten seiner Günstlinge umzuwandeln. 2. Frieden und bewaffneter Konflikt: Die 120 Tage der Verhandlungen in Santafe de Ralito oder das Gleichnis eines Lastwagens, der ohne Bremsen eine Bergstrasse hinunter fährt Von Luis Eduardo Celis Eröffnung Am 1. Juli 2004 wurde in Santafe de Ralito in der Gemeinde Tierralta, Departement Cordoba, einem Gebiet, welches als Wiege und Epizentrum der zweiten Generation des Paramilitarismus bezeichnet werden kann, formell der Verhandlungstisch zwischen der Regierung von Präsident Uribe und den Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens AUC eröffnet. Der Eröffnung dieses Verhandlungstisches ging die Diskussion über den Zusammenzug der AUC, den rechtlichen Rahmen und die Logik des Verhandlungsprozesses voraus. Der Versuch, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, scheiterte zweimal, erstmals mit der Ablehnung des Projektes für einen Alternativen Strafvollzug im August 2003 und das zweite Mal durch die Ablehnung des Projektes über Wahrheit und Wiedergutmachung im Mai 2004. Bei den Verhandlungen wurde zwischen einer Unterwerfung unter die Justiz, was zeitweise bei der Verhandlungsequipe der Regierung vorherrschend schien, und einer Verhandlung über eine breitere Agenda von Themen, welche von den AUC eingebracht worden waren - ähnlich der Verhandlungen mit der Guerilla und von beiden Seiten behandelt und abgestimmt werden sollten, hin und her gependelt. Doch das Misstrauen und die Zweifel in Bezug auf diesen Verhandlungsprozess mit den AUC zeigten sich bereits bei der Eröffnung. So hatte es wenig Beteiligung der internationalen Gemeinschaft, während gegen 2000 nationale Personen eingeladen wurden. Kongressbesuch Auf Initiative der Parlamentarierinnen Rocío Arias und Eleonora Pineda, wohnten die Führer der beiden wichtigsten Fraktionen der AUC, Salvatore Mancuso und Ernesto Báez einer Kongressdebatte bei. Mancuso befehligt den Nordblock und Báez den Zentralblock der AUC. Die beiden paramilitärischen Chefs sprachen vor der Plenarversammlung des Kongresses und legten ihre Forderungen dar: Keinen Tag Gefängnis, substantielle Verteidigung ihrer Wirtschaft, Bildung von politischen Bewegungen und die Forderung nach Dank und Anerkennung durch die kolumbianische Gesellschaft für die von ihnen geleisteten Dienste zur Verteidigung der Institutionen. Gegenüber dieser Medienshow erhoben sich Stimmen des Protestes. Die bedeutendste im Kongress war, als Iván Cepeda aufstand und in absoluter Stille das Foto seines Vaters Manuel Cepeda Vargas, Senator der Unión Patriótica UP, hochhielt, welcher von den AUC im Juli 1997 ermordet worden war. Dies war eine umfassende Antwort an die Chefs der AUC, welche sich mit kategorischen und herausfordernden Reden an den versammelten Kongress richteten. Die beiden Chefs der AUC sind zwei der wichtigsten Führer einer Kraft, welche mit Grausamkeit und Masslosigkeit Gewalt gegen Tausende und Abertausende von Kolumbianerinnen und Kolumbianer ausüben, in systematischer Verletzung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Doch es gab zahlreiche Reaktionen gegen den Auftritt von Mancuso und Báez im Kongress. Bedeutsam waren beispielsweise die Reaktionen der uribistischen Parlamentarier Rafael Pardo und Ginna Parody, welche den Auftritt scharf kritisierten, da sie die AUC dafür nicht für würdig erachteten. Der Auftritt im Kongress zeigte erneut die weitgehenden Ansprüche der AUC eine legale politische Kraft zu sein - auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene sind sie heute schon als bedeutsame politische Kraft präsent - und mit den Eliten zu brechen, welche das Vorgehen der AUC genutzt haben und heute den Frankenstein, den sie mitgeholfen haben zu schaffen, nicht mehr kennen möchten. Dies aber bleibt der Trumpf im Ärmel der Chefs der AUC, den sie von Zeit zu Zeit als Druckmittel erwähnen. Schöner Dicker und weiss gewaschener Narco Die Präsenz von Drogenhändlern, Narcos, oder besser noch der drogenhändlerische Charakter der AUC ist zum Alltag geworden. Von den USA wird die Auslieferung von 18 vollständig identifizierten Führungsleuten der AUC verlangt. Es ist bekannt, dass die Expansion und Konsolidierung einer 20'000 Mann umfassenden Armee nur durch die enge Verbindung mit dem Drogenhandel möglich war. Dieser Schatten von Zweifel und Gewissheiten wird durch Figuren wie Francisco Zuluaga, bekannter als schöner Dicker, verkörpert, dessen Auslieferung von den USA verlangt wird und der zu den Paramilitärs der letzten Minute gehört, welche in den Verhandlungen ihre Möglichkeit sehen, sich zu legalisieren und dem Damoklesschwert zu entkommen, das über ihnen schwebt und Auslieferung in die USA heisst. Woche für Woche ändern die Themen der Verhandlungen, dies wegen konjunktureller Ereignisse, die Auswirkungen auf den Verhandlungsverlauf haben. Sei dies, weil die Regierung der Auslieferung eines vermeintlichen Drogenhändlers in die USA zustimmt, welcher sich angeblich in der Einfindungszone in Santafe de Ralito befindet oder irgendein Drogenhändler festgenommen wird, dessen Auslieferung die USA verlangen, der aber seinen Eintritt in die Einfindungszone mit der Regierung am Aushandeln ist. Die schönen Dicken schwirren herum und haben eine Debatte entfacht über die Gleichung Der gesamte Paramilitarismus bedeutet Drogenhandel, auch wenn nicht alle Drogenhändler Paramilitärs sind, welche uns einige Analytiker in den Themen Drogen und Drogenhandel oft in Erinnerung rufen. Drogenhandel und Auslieferung sind zwei grosse Variablen, welche wie ein grosses Gewicht über den Verhandlungen schweben. Wie mit ihnen umzugehen ist, ist völlig unklar. Zweifellos müssen sie aber in einer Perspektive zur Überwindung des Paramilitarismus mit berücksichtigt werden. Fredy Arias Fredy Arias war eine Führungsperson der Kankuamos-Indigenas, welche die Sierra Nevada von Santa Marta bewohnen, einem der hervorragendsten Ökosysteme Kolumbiens. Fredy Arias wurde in der ersten Augustwoche dieses Jahres in Valledupar ermordet, als er von einer Anklage gegen die Gewalt von Paramilitärs und Guerilla gegen die indigenen Gemeinschaften zurück kehrte. Arias ist nach der Statistik von Menschenrechtsorganisationen eines von 1200 Opfern der AUC seit dem 29. November 2002, als die AUC die Einstellung der Feindseligkeiten bekannt gaben. Die staatliche Ombudsstelle veröffentlichte einen Bericht über 342 Fälle von Verletzungen des Waffenstillstandes. Dieser Bericht deckt aber nur einen Teil Kolumbiens ab, nämlich 10 von insgesamt 28 Departementen, in denen die Paramilitärs aktiv sind. Die Klagen der Gemeinschaften, von offiziellen Institutionen, selbst vom Büro des Friedensbeauftragten der Regierung, des Vizepräsidenten und der UNO stimmen darin überein, dass die Verletzungen weiter gehen, zum Alltag gehören, dass jedoch die Folgen gleich null sind, also keinerlei Auswirkungen auf die wirkliche Durchsetzung des Waffenstillstandes haben. Organisation Amerikanischer Staaten OAS: Die Überprüfung ist unmöglich Die OAS liess über ihren scheidenden Generalsekretär, César Gaviria, und den Koordinator der Kolumbienmission, Sergio Caramago, verlauten, dass ihre Überprüfungsrolle in Bezug auf die Einhaltung des Waffenstillstandes und die Einstellung der Feindseligkeiten technisch unmöglich ist. Sie antworteten damit auf die Hinweise der kolumbianischen Regierung, die OAS hätte die AUC nicht in den Senkel zu stellen und die von Präsident Uribe als Vorbedingung für jedwelchen Dialog mit den bewaffneten Gruppen gesetzten Bedingungen - Waffenstillstand und Einstellung der Feindseligkeiten - durchzusetzen vermocht. Dieses Ereignis machte zehn Monate nach der Aufnahme der Arbeit durch die OAS deutlich, wie prekäre die Kapazität der OAS gegenüber der enormen Herausforderung zur Überwachung von derart komplexen Verpflichtungen ist. Die OAS ist die einzige internationale Organisation, welche sich an diesem komplexen Prozess beteiligt. Krieg zwischen den Paramilitärs Martín Llanos, Chef des Bloque-Centauros, welcher in den Departementen Meta und Casanare präsent ist, wurde von den eigenen Leuten umgebracht, dies unter ähnlichen Umständen wie Carlos Castaño im April 2004 ermordet wurde. Es gibt andauernde Gerüchte über interne Eliminierungen, sei dies wegen Verschleierung von Information, wegen der Kontrolle über interne Dissidenzen und Disziplinlosigkeit oder wie in den Fällen von Castaño und Arroyave wegen abweichenden Positionen in Bezug auf den Verhandlungsprozess. Das Klima in Santafe de Ralito ist nicht nur wegen der hohen tropischen Temperaturen drückend, sondern auch, weil die dort befindlichen Kriegsherren einander misstrauen. Das Misstrauen ist die am meisten zirkulierende Währung und es ist klar, dass dies nicht nur wegen der sizilianischen Herkunft einiger der Protagonisten ist, sondern dass dies zum Kern und zur Verfassung der AUC gehört, die ein Zusammenschluss sind, wo das Mafiöse und die Eigeninteressen überwiegen. Die Medien decken auf Am ersten Septemberwochenende publizierten die wichtigsten Tages- und Wochenzeitungen einen Informationsblock, welche die öffentliche Meinung aufschreckte: Die AUC sind stärker denn je; sie setzen den Drogenhandel fort; sie haben gute und beständige Verbindungen mit den politischen Kreisen; sie verfügen weiterhin über ihre Finanzen, nicht nur aus der Koka- und Drogenproduktion und der Erpressung, sondern auch durch die Aneignung von Geldern des Gesundheitsbereichs und von öffentlichen Bauten in jenen Gebieten, in denen sie Herrscher und Gebieter sind. Sie können tun und lassen, was sie wollen. Dies führte soweit, dass an einem von der US-Botschaft in Cartagena einberufenen Treffen zur Analyse der Kriegsdynamik ein schöner Teil der sehr repräsentativen und einflussreichen Teilnehmenden, u.a. Unternehmer, Medienmacher und Politiker, übereinstimmend ihre Stimme erhoben, um vor dem Überborden des Paramilitarismus zu warnen. Die Massenmedien basierten ihre Information auf der Grundlage der Äusserungen des Treffens von Cartagena und machten sich damit zu einer Überprüfungsinstanz eines Prozesses, der keinerlei Kontrolle kennt. Dies geht soweit, dass gar gesagt wird: Die Zeitschrift Semana macht eine grössere Überprüfung als die OAS. Damit wird Bezug auf einen Bericht von Semana genommen, welche eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielt. Und die internationale Gemeinschaft? Die USA bleiben wachsam, sie haben ihre Auslieferungsbegehren gestellt und erwarten eine gute Rendite in ihrem Kampf gegen den Drogenhandel. Die Europäische Union bringt sich etwas mehr ein, allerdings mit Reserven, Vorbehalten und Forderungen. Die OAS hat keinen Kopf mehr für Kolumbien und ist nach dem Rücktritt des kürzlich eingesetzten neuen Generalsekretärs mit sich selbst beschäftigt, und die UNO hält sich in vorsichtiger Distanz. Der Lenker mit dem grossen Herz und dem sicheren Puls Die Administration von Präsident Uribe, die sich selber als grosses Herz mit sicherem Puls bezeichnet, hat eine Haltung, die - gelinde ausgedrückt - verwirrt. Sie versucht ein Verhandlungsmodell anzuwenden, welches keine offene Agenda ist, wie es die AUC möchten, aber auch keine Unterwerfung unter die Justiz. Es fehle die Strategie, meinen die einen, es gebe keine Klarheit, sagen die anderen. Und einige karikieren das Vorgehen der Regierung in der Person des Friedensbeauftragten Luis Carlos Restrepo als dasjenige eines Lastwagenlenkers, der ohne Bremsen eine Bergstrasse hinunter fährt, jedoch die feste Überzeugung hat, sein Fahrzeug gut ans Ziel bringen zu können, egal welche Kurven und Hindernisse es hat. So wird die Arbeit eines Friedensbeauftragten wahrgenommen, der ohne rechtlichen Rahmen, ohne Waffenstillstand und ohne Einstellung der Feindseligkeiten, ohne Zusammenzug der Paramilitärs, ohne Klarheiten über den Drogenhandel und die Auslieferung, weiterhin daran festhält, dass die Verhandlungen vorankommen, ohne Rücksicht wie und mit wem. In diesem Prozess stehen die Möglichkeiten der Stärkung oder der Schwächung des sozialen Rechtsstaates auf dem Spiel, wie auch der Bedingungen für die Ausübung der Politik ohne Waffen, der Aufmerksamkeit gegenüber den Hundertausenden von Menschen und Gemeinschaften, welche durch die Verbrechen der Paramilitärs betroffen worden sind. Wir hoffen, dass in den 120 kommenden Tagen der Lenker des Lastwagens gut fährt, vor allem mit Bremsen und vor allem die Fahrgäste gut behandelt, die letztlich jene sind, die nicht irgendein Schicksal und noch viel weniger verunfallen oder in noch grössere Abgründe stürzen wollen, als sie die Un-Regierung bereits gestürzt hat. 3.Menschenrechte: Sicherheit für wen? Zwischen der demokratischen Sicherheit und der Sicherheit der Frauen. Von Sonia Mesa, Brújula Comunicaciones Mit Zeugenaussagen von kolumbianischen Frauen, welche inmitten des bewaffneten Konfliktes leben und verschiedene Formen von Menschenrechtsverletzungen erleiden, präsentierte der Arbeitstisch Frauen und bewaffneter Konflikt am 21. Oktober 04 den 4. Bericht über soziopolitische Gewalt gegen Frauen, Jugendliche und Mädchen in Kolumbien. Sie verschleppten eine Frau und zwangen sie, zwei Monate für sie zu kochen, um so das Leben ihres Sohnes zu verschonen. Zeugenaussage einer indigenen Frau aus dem Caquetá Die Veröffentlichung dieses Berichtes erfolgte im Rahmen der Kampagne Es gibt kein Recht, nichts rechtfertigt die Gewalt gegen Frauen. Der Bericht zeigt die verschiedenen Formen der von den Paramilitärs, der Armee und der Guerilla gegen Frauen, Jugendliche und Mädchen in städtischen und ländlichen Teilen im ganzen Land verübten Gewalt auf. Die Gewalt des bewaffneten Konfliktes, welcher die gesamte Gemeinschaft betrifft, hat auf Männer und Frauen unterschiedliche Auswirkungen, denn die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, welche älter als der bewaffnete Konflikt sind, bleiben während eines solchen bestehen oder werden oft noch intensiviert. Ein Beispiel dafür ist die übergrosse Verantwortung, welcher sich Frauen gegenüber sehen, wenn sie aufgrund des Konfliktes vertrieben werden und die Leitung des Haushalte unter Bedingungen grösserer Verletzbarkeit übernehmen müssen und dabei weniger Möglichkeiten haben, ihre Stimme vernehmen zu lassen, um ihre Rechte einzufordern und ihr Überleben als Familie sicher zu stellen. Zudem gibt es im Kontext von bewaffneten Konflikten andere Formen von Gewalt, die gegen die Frauen gerichtet sind, weil sie Frauen sind; z.B. die sexuelle Gewalt, die Kontrolle der Sexualität, der Emotionen und des Verhaltens der Frauen, die Schwierigkeiten der Partizipation von Frauen, ausgelöst u.a. durch Verfolgung und Ermordung von Führungsfrauen von Organisationen. Alle diese Verbrechen bleiben straffrei oder werden nicht angeklagt, da Garantien für die Kläger fehlen. Der Bericht bringt die Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Frauen, Jugendlichen und Mädchen ans Licht, welche im Rahmen des internen bewaffneten Konfliktes verübt werden. Die Leitfrage des Berichtes ist: Was bedeutet Sicherheit für die kolumbianischen Frauen, welche die Folgen des bewaffneten Konfliktes erleiden und wie werden sie im Kontext der Politik der Verteidigung und der demokratischen Sicherheit der jetzigen Regierung davon betroffen? Um auf diese Frage zu antworten, wirft der Bericht einen Blick auf die Situation der Frauen, welche in verschiedenen Kontexten leben: Rückkehrsiedlungen, belagerte Regionen und Rehabilitationszonen. Der Bericht behandelt die Situation von willkürlich verhafteten Frauen, der Frauen in den Armenvierteln von Medellin und der indigenen Frauen. Und er wirft einen Blick auf die Folgen der sexuellen Gewalt gegen Frauen, auf die Notwendigkeit von Schutz- und Sicherheitsmassnahmen für die Frauenorganisationen. Die Sicherheit geht über das Militärische hinaus, wenn sie aus der Sicht der Menschenrechte verstanden wird Der Bericht zeigt klar, dass diese Politik, weit davon entfernt die Zivilbevölkerung - die Bürgerinnen und Bürger, in dessen Namen sie entworfen wurde - vor der Härte des bewaffneten Konfliktes zu schützen, vielmehr dazu beiträgt, die Sicherheitssituation durch die zunehmende Militarisierung des zivilen Lebens und durch den starken Druck der verschiedenen bewaffneten Akteure - die Armee miteingeschlossen - die Zivilbevölkerung in den Konflikt hineinzuziehen, noch zu verschlimmern. Für die Frauen, Jugendlichen und Mädchen bedeutet diese Situation unter der sozialen Kontrolle der bewaffneten Akteure zu leben, was verheerende Auswirkungen auf ihr Leben hat. Der Aufruf der Frauen Die kolumbianischen Frauen, welche auf diesen Seiten ihre Zeugenaussagen machen, bestätigen auf Tausend verschiedene Arten, dass die Politik der demokratischen Sicherheit ihr Leben in eine Hölle verwandelt hat und dass es keine wirkliche Sicherheit gibt, wenn diese nicht die täglichen und realen Bedürfnisse der Frauen, Jugendlichen und Mädchen dieses Landes und deren Recht auf ein würdiges Leben, das Recht zu träumen und Ziele zu haben, das Recht, an die Zukunft ihrer Töchter und Söhne zu denken, mit ein schliesst. Der Bericht betont, dass es keine Sicherheit für die Frauen gibt, wenn es nicht eine absolute Verpflichtung der Behörden gibt, der Straflosigkeit der Gewalt gegen Frauen, miteingeschlossen der sexuellen Gewalt, ein Ende zu bereiten. Der Bericht anerkennt das Recht der Frauen auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, damit die Straflosigkeit nicht die Anklage der Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Frauen, Jugendlichen und Mädchen zum Schweigen bringt. Weitere Informationen unter: www.mujeryconflictoarmado.org 4. Soziale Bewegungen: Vorankommen im Kampf der Massen Von Carlos Rodríguez, Präsident der Einheitsgewerkschaft CUT Die historischen Lehren, welche wir aus dem Jahr 2003 ziehen, erlauben uns, den zivilen und demokratischen Charakter unserer Aktionen zu unterstreichen. In der Geschichte der kolumbianischen Gewerkschaftsbewegung finden sich keine Vergleiche mit ähnlichen Zeiten sozialer Agitation wie sie das Jahr 2003 bedeutete. Es wurden 21 nationale Kundgebungen gegen die Regierungspolitik durchgeführt, 6500 Seminare gehalten, 700 TV- und 1600 Radio-Programme erstellt und ausgestrahlt und 24 Mio. Flugblätter verteilt. Diese Zahlen zeigen den unbestreitbar hohen Grad an Autorität in diesem sozialen Kampf. In diesem Jahr haben wir neun ausserordentliche Kundgebungen begleitet, die Mobilisierungen von Gewerkschaften nicht mit gezählt, die Zeugnis geben vom konsequenten gewerkschaftspolitischen Kampf und der Mobilisierungskraft der Einheitsgewerkschaft CUT, von der Glaubwürdigkeit ihrer Führung und ihrer unbestreitbaren politischen Initiative, welche die nationalen Grenzen übersteigt und beispielhaft für Lateinamerika ist. Das Vorankommen im Kampf der Massen ist in erster Linie auf die politische Kohärenz der aktuellen Führung der CUT zurück zu führen. In zweiter Linie ist dafür die wirkliche Verpflichtung gegenüber den von der CUT-Zentrale ausgegebenen Orientierung durch die Mitgliedgewerkschaften verantwortlich. Auch die asoziale Regierungspolitik, welche die verwundbarsten Schichten am meisten trifft, hat dazu geführt, dass die Gewerkschaften und die sozialen Kreise verstehen, dass die heutige Stunde verlangt, die Meinungen zu bündeln, um der neoliberalen Politik entgegen zu treten, welche Tag für Tag die KolumbianerInnen mehr verarmen lässt. Andrerseits hat die Aggression der Regierung und Unternehmer gegen die Gewerkschaften, welche in der Aufkündigung von Gesamtarbeitsverträgen und der Ermordung von 15 Gewerkschaftsführern, zwei Beratern und 30 Gewerkschaftsmitgliedern zum Ausdruck kommt, dazu geführt, dass die Gewerkschaften weltweit ihre Solidarität mit den kolumbianischen Gewerkschaften auszudrücken begannen und sich dem SOS-Aufruf gegen die Ausrottung der kolumbianischen Gewerkschaftsbewegung anschlossen. 44 Führungsleute der CIOLS/ORIT, zwei von CMT/CLAT und einer der französischen CGT, welche keinem Verband angehört, zeigen für sich allein die grosse internationale Präsenz und das reelle Engagement für die kolumbianische Gewerkschaftsbewegung wie auch die Bereitschaft, diese Unterstützung fortzusetzen, auf. Die 60 Zeugenaussagen, welche in der öffentlichen Anhörung von 60 verschiedenen Gewerkschaften vorgetragen wurden, zeigten den tatsächlichen Zustand sowohl der Verletzung von Kollektivverträgen wie auch der vielfältigen und konstanten Verletzungen der Menschenrechte. Die internationale Präsenz heben wir auch hervor, da sie mit ein Grund für das Vorankommen des Kampfes der Massen ist, da die internationale Solidarität diesen Kampf fördert. Die Instanz, welche die breiten und verschiedenen politischen und sozialen Meinungen zu bündeln vermochte, war die Grosse Demokratische Koalition, die an dieser Stelle die gerechte Würdigung erhalten soll. Diese Koalition ist ein exemplarisches Szenarium und ist zu einem Leitstern des sozialen Kampfes geworden. Die Mitglieder der Grossen Demokratischen Koalition haben verstanden, dass die heutige Stunde uns aufruft, unseren Willen zu vereinen, Divergenzen niederzulegen, denn der sektiererische Geist ist der eigentliche Ausdruck einer gleichschalterischen und hegemonialen Ideologie, welche zutiefst allergisch gegen die Vielfältigkeit und damit auch gegen den Austausch und das Teilen ist. Das Sektierertum sieht den Anderen als Rivalen oder als Etwas, das man für seine eigenen Ziele einsetzen kann; es möchte die gesamte Macht für sich selber haben, da man allein die Wahrheit hat. Prinzipiell sind die Anderen - im besten Fall - vom Feind manipuliert. Der sektiererische Geist ist der Ausdruck des Todes inmitten des Lebens. Daher kann die Perspektive der Einigung der demokratischen Kräfte nicht als eine taktische Frage betrachtet werden. Die politischen Organisationen, welche sich auf der Basis des hegemonialen Appetits von Parteien bilden, sind von Vorneherein zu Zerfall, zu unumgänglichen internen Auseinandersetzungen und letztendlich zur Sterilität verdammt. Der Aufbau einer Koalition, welche fähig ist, alle Demokraten zu vereinen, egal woher sie kommen, ist vor allem ein historischer Entwurf eines neuen einheitlichen Geistes, welcher den Anderen anerkennt und auf der Solidarität und der gemeinsamen Verantwortung beruht. Es ist die Ausübung einer neuen Form von Pluralismus, welcher auf einem Projekt von sozialer Gerechtigkeit und Freiheit basiert, wo auch die Unbedeutendsten eine Existenzmöglichkeit und die Möglichkeit sich auszudrücken haben und an der politischen Entscheidungsfindung mitbeteiligt sind. Es ist die Vorwegnahme einer alternativen Institutionalität. Ein weiteres wichtiges Element bei der Potenzierung der gewerkschaftlichen Aktionen in einer Perspektive der Verbindung mit dem sozialen Kampf, ist das Nationale Einheitskommando. Dieses hat ein nicht bestreitbares historisches Verdienst im sozialen Kampf und seine wertvollen Erfahrungen müssen genutzt werden, um zum Aktionsplan der CUT im Rahmen des Strategieplans und in Umsetzung der fünf Schwerpunkte der Grossen Demokratischen Koalition beizutragen. Der Enthusiasmus, welcher heute in der Gewerkschaftsbewegung und in den verschiedensten sozialen und politischen Bewegungen spürbar ist, ist das Produkt des seit 2003 eingeschlagen Weges des sozialen Kampfes, welcher 2004 noch verstärkt wurde. Dies führt uns dazu, die fünf Themenschwerpunkte als unsere Aktionslinie zu bekräftigen, damit das Jahr 2005 zu einem Jahr wird, in welchem die Mobilisierung erneut im Zentrum unseres Handelns steht. So wie wir die Mobilisierungen quantitativ erfasst haben, so müssen wir heute die Geschichte der kolumbianischen Gewerkschaftsbewegung qualitativ wertschätzen, welche noch nie eine derart massive und vielfältige Präsenz erreichte, wie sie in den beiden letzten Manifestationen vom 16. September und 12. Oktober 2004 zum Ausdruck kam. Damit soll ausgedrückt werden, dass alle gewerkschaftlichen und politischen Meinungen ihren unbezahlbaren Beitrag dazu geleistet haben, den brutalen Angriff aufzuhalten, dem heute die Gewerkschaftsbewegung und die Opposition gegen die Regierung ausgesetzt sind. Die gemeinsame Arbeit hat zu fassbaren Erfolgen, zur Abschwächung rückschrittlicher Politiken und zur Vorbereitung neuer Auseinandersetzungen geführt. Mit diesem Ziel entwickeln wir auch unsere fünf Programmschwerpunkte weiter: Kampf gegen die Wiederwahl von Uribe; gegen das bilaterale Freihandelsabkommen mit den USA; gegen die Gesetzesagenda und für die bürgerlichen Freiheiten, für humanitäre Abkommen und die politische Verhandlungslösung des bewaffneten Konfliktes. Wir sind an der Vorbereitung von 20 politischen und sozialen Treffen in einigen Departementshauptstädten, welche in der Zeit vom 24. bis 30. Januar 2005 stattfinden werden, sowie einem nationalen Treffen am 10. Februar 2005 in Bogotá im Coliseo El Champín. Diese Treffen haben einschliessenden und repräsentativen Charakter und reflektieren eine bedeutende Präsenz sozialer Kreise, damit sie zu politischen Ereignissen werden und die Arbeit motivieren. Wir werden das Wahlthema als einen Vorschlag zur Einheit behandeln und nicht als einen Faktor der Trennung, was eine grosse Gelassenheit und Mässigung verlangt, damit die dafür zuständige Kommission den gemeinsamen Nenner finden kann, der von uns in diesem Moment gefordert wird. Die positive Bilanz, welche wir heute präsentieren bezieht sich auf die letzten beiden Jahre und soll dazu dienen, die Arbeit voranzutreiben, die einheitliche Arbeit weiter zu entwickeln, die CUT zu stärken und sowohl aus dem Nationalen Einheitskommando wie aus der Grossen Demokratischen Koalition Räume für Alternativen und Hoffnungen zu machen.