Galaktischer "Raketenantrieb" erklärt ungewöhnliche

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Galaktischer "Raketenantrieb" erklärt ungewöhnliche Sternbewegungen in Galaxien
20.März.2015 11:07
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bP_.A
19.03.2015 10:00
Galaktischer "Raketenantrieb" erklärt
ungewöhnliche Sternbewegungen in
Galaxien
Dr. Markus Pössel Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Astronomie
<
Momentaufnahmen der
Simulation der
Verschmelzung: Links
Galaxien vor der
Verschmelzung, rechts
gegen ...
Bild: B. Moster / MPIA
Eine Entdeckung der MPIA-Doktorandin Athanasia Tsatsi hat das
astronomische Verständnis von Galaxienzusammenstößen verändert.
Sie erklärt bislang nicht recht verstandene Sternbewegungen in den
elliptischen Galaxien, die bei solchen Kollisionen entstehen: Regionen,
in denen die Sterne gerade anders herum ums galaktische Zentrum
umlaufen als im Rest der Galaxie. Bisherige Erklärungsversuche hatten
eine spezielle relative Orientierung ("retrograd") der kollidierenden
Galaxien vorausgesetzt. Tsatsi entdeckte eine weitere Möglichkeit,
solche "gegenläufigen Zentralregionen" zu erzeugen: Der Massenverlust
der beteiligten Galaxien wirkt dabei ähnlich wie eine Art riesiger
Raketenantrieb.
In sogenannten elliptischen Galaxien kann es ungewöhnliche
Sternbewegungen geben: Während die Sterne in den äußeren Regionen
sämtlich in eine Richtung rotieren, kann die gemeinsame
Umlaufrichtung der Sterne in der Zentralregion eine ganz andere sein.
Elliptische Galaxien entstehen durch die Kollision und Verschmelzung
von zwei (oder mehr) Scheibengalaxien (zu dieser Art gehört auch
unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße). Bisherige Erklärungsversuche
hatten angenommen, dass gegenläufige Zentralregionen entstehen,
wenn eine der Vorläufergalaxien eine schwerkraftstarke Zentralregion
besitzt, deren Umlaufsinn relativ zur Umlaufbahn der Vorläufergalaxien
umeinander gerade die richtige Ausrichtung besitzt. Dieses
Erklärungsmodell sagt allerdings eine geringere Anzahl an
gegenläufigen Zentralregionen voraus, als tatsächlich beobachtet
werden.
Das war die Ausgangssituation, als Athanasia Tsatsi ihre Forschung als
Doktorandin am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg
begann und dazu Computersimulationen von
Galaxienzusammenstößen auswertete. Tsatsis Ziel war eigentlich,
herauszufinden, wie die entstehenden Galaxien durch verschiedene
Arten astronomischer Beobachtungsinstrumente aussehen würden.
https://idw-online.de/de/news627667
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Stattdessen machte sie beim Blick durch solch ein „virtuelles
Beobachtungsinstrument“ eine unerwartete Entdeckung: Die Galaxie,
die bei der simulierten Verschmelzung entstand, wies eine gegenläufige
Zentralregion auf. Aber die Vorläufergalaxien wiesen nicht die spezielle
Orientierung auf, die dem herkömmlichen Erklärungsversuch zufolge
Voraussetzung für die Entstehung der Gegenläufigkeit sein sollte!
Das Ergebnis der simulierten Verschmelzung passte zu dem, was aus
Beobachtungen bereits über solche gegenläufigen Zentralregionen
bekannt war. Die resultierende elliptische Galaxie war mit 130 Milliarden
Sonnenmassen eine der massereicheren Vertreterinnen ihrer Gattung;
gerade bei massereichen elliptischen Galaxien sind gegenläufige
Zentralregionen besonders häufig. Die Gegenläufigkeit bleibt in der
Simulation für rund 2 Milliarden Jahre nach der Verschmelzung
nachweisbar; langfristig genug, dass man erwarten kann, bei
tatsächlichen Beobachtungen vieler Galaxien Beispiele dafür zu finden.
Nicht zuletzt handelt es sich in der Simulation bei den Gegenläufern um
ältere Sterne, die bereits lange vor der Verschmelzung entstanden
waren; auch das entspricht den tatsächlichen Beobachtungen.
Tsatsis Entdeckung betrifft zunächst einmal einen Einzelfall. Aber das
genügt für den Nachweis, dass gegenrotierende Zentralregionen auf
diese Weise entstehen können. Als nächstes müssen die Astronomen
herausfinden, wie häufig Entstehungsprozesse dieser Art sind – indem
sie Galaxienverschmelzungen mit den unterschiedlichsten
Anfangsbedingungen untersuchen. Wenn solche systematischen Tests
zeigen, dass der Mestschersky-Mechanismus für die Entstehung
gegenläufiger Zentralregionen häufig genug in Erscheinung tritt, könnte
dies die Beobachtete Häufigkeit des Phänomens erklären. Aber bereits
jetzt hat die Entdeckung von Tsatsi den Blickwinkel der Astronomen auf
gegenläufige Zentralregionen und galaktische Verschmelzungen
verändert: Spezielle Konfigurationen der Drehsinne und der
gegenseitigen Umlaufbahn verschmelzender Galaxien sind nicht die
einzige Möglichkeit, Gegenläufigkeit zu erzeugen. „Galaktische
Raketenantriebe“ leisten ebenso gute Dienste.
Kontakt
Athanasia Tsatsi (Erstautorin)
Max-Planck-Institut für Astronomie
Telefon: (+49|0) 6221 528-328
E-Mail: [email protected]
Glenn Van de Ven (Koautor)
Max-Planck-Institut für Astronomie
Telefon: (+49|0) 6221 528-275
E-Mail: [email protected]
Andrea Macciò (Koautor)
Max-Planck-Institut für Astronomie
Telefon: (+49|0) 6221 528-416
E-Mail: [email protected]
Markus Pössel (Öffentlichkeitsarbeit)
Max-Planck-Institut für Astronomie
Telefon: (+49|0) 6221 528-261
https://idw-online.de/de/news627667
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Galaktischer "Raketenantrieb" erklärt ungewöhnliche Sternbewegungen in Galaxien
20.März.2015 11:07
E-Mail: [email protected]
Hintergrundinformationen
Die beteiligten Wissenschaftler sind Athanasia Tsatsi, Andrea Macciò
und Glenn van de Venn (sämtlich am Max-Planck-Institut für
Astronomie) sowie Benjamin Moster (zu der Zeit, als er die Simulationen
durchführte, Doktorand am MPIA, inzwischen Postdoktorand an der
Universität Cambridge).
Die hier beschriebenen Ergebnisse sind zur Veröffentlichung bei der
Fachzeitschrift Astrophysical Journal Letters akzeptiert als Tsatsi et al.,
"A New Channel for the Formation of Kinematically Decoupled Cores in
Early-type galaxies."
ADS-Datenbankeintrag der Veröffentlichung:
http://esoads.eso.org/abs/2015arXiv150200634T
Tsatsi ist Doktorandin an der International Max Planck Research School
“Astronomy and Cosmic Physics” in Heidelberg (in Kooperation mit der
Universität Heidelberg) und Marie Curie Fellow im DAGAL European
Initial Training Network, das sich mit Struktur und Evolution von
Galaxien befasst.
Fragen und Antworten
Was ist neu / wichtig an den hier beschriebenen Ergebnissen?
Tsatsis Entdeckung könnte ein bereits länger bekanntes Problem lösen:
Warum gibt es soviel mehr gegenläufige Zentralregionen in elliptischen
Galaxien als aufgrund der landläufigen Erklärungsansätze zu erwarten?
Der "galaktische Raketenantrieb" zeigt eine neue
Entstehungsmöglichkeit auf. Ob das ausreicht, um die beobachtete
Häufigkeit der Gegenläufigkeiten zu erklären, müssen jetzt
systematische Studien von Verschmelzungssimulationen zeigen.
Was hat es mit den ungewöhnlichen Sternbewegungen in elliptischen
Galaxien auf sich, und warum waren sie bisher schwer zu erklären?
Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße bieten einem äußeren
Beobachter einen organisierten Tanz: alle Sterne laufen auf großen
Zeitskalen in derselben Richtung ums galaktische Zentrum um (unsere
Sonne benötigt rund 250 Millionen Jahre, um einen Umlauf zu
vollenden). Bei einer anderen Sorte von Galaxien, sogenannten
elliptischen Galaxien, können die Bewegungsmuster deutlich komplexer
sein. Wie der Name sagt, haben diese Galaxien die Form von
Ellipsoiden (grob gesprochen: abgeflachten Kugeln). In einer Reihe
solcher Galaxien gibt es allerdings ein zweifaches Umlaufmuster:
Während die Sterne in den äußeren Regionen in eine Richtung rotieren,
kann die gemeinsame Umlaufrichtung der Sterne in der Zentralregion
eine ganz andere sein. Dann hat man es mit einer "gegenläufigen
Zentralregion" oder, allgemeiner, mit einer "kinematisch entkoppelten
Zentralregion" zu tun, deren Sternbewegungen offenbar ganz
unabhängig von dem sind, was im Rest der Galaxie passiert.
Zur Erklärung solcher entkoppelten Zentralregionen verweisen
https://idw-online.de/de/news627667
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Astrophysiker auf die Entstehungsgeschichte der betreffenden
Galaxien. Dem heutigen Verständnis nach sind elliptische Galaxien das
Ergebnis der Verschmelzung von zwei oder mehr größeren
Vorläufergalaxien (vgl. Abbildung 1). Das liefert eine eingängige
Erklärungsmöglichkeit: Stellen Sie sich vor, die Zentralregion einer der
Vorläufergalaxien werde durch die Schwerkraft der darin versammelten
Masse besonders gut zusammengehalten. Stellen Sie sich weiterhin
vor, der Umlaufsinn der Sterne in jener Vorläufergalaxie sei gerade
gegenläufig zu dem Umlaufsinn, mit dem die beiden Vorläufergalaxien
sich vor der Verschmelzung umkreisen ("retrograde Verschmelzung",
siehe Abb. 2). Unter solchen Bedingungen scheint plausibel, dass die
stabile Zentralregion nach der Verschmelzung die Zentralregion der
neuen elliptischen Galaxie wird, und dass die Sterne darin in genau der
gleichen Richtung umlaufen wie vorher. Die umgebenden Sterne
dagegen werden in der Gegenrichtung rotieren, dem Drehsinn folgend,
in dem die Vorläufergalaxien vor der Verschmelzung umeinander
kreisten.
Dieser Zusammenhang ist plausibel, kann allerdings nur einen Teil der
gegenläufigen Zentralregionen erklären. Insgesamt weist mehr als die
Hälfte der massereichsten elliptischen Galaxien kinematisch
entkoppelte Zentralregionen auf. Das ist deutlich mehr als das
geschilderte Szenario erklären kann. Schließlich würde man erwarten,
dass die Galaxie mit der enger gebundenen Zentralregion nur in der
Hälfte der Fälle entgegen der Umlaufrichtung des Galaxienpaares rotiert
– und nicht bei allen der Verschmelzungen, die sich anschließen, dürfte
sich eine gegenläufige Zentralregion ergeben.
Wie kam es zu Tsatsis Entdeckung eines neuen Entstehungsprozesses
für gegenläufige Zentralregionen?
Tsatsi sah sich Computersimulationen von Galaxienverschmelzungen
an. Diese Simulationen zeigen die Entstehung einer elliptischen Galaxie
durch die Verschmelzung zweier Spiralgalaxien, und Tsatsis Aufgabe
bestand darin, das Erscheinungsbild der resultierenden Galaxie für
astronomische Beobachter zu rekonstruieren: Was würden solche
Beobachter auf ihren Kameraaufnahmen und bei ihren
spektroskopischen Messungen sehen können? Solche Brückenschläge
sind der Schlüssel dazu, die Vorhersagen aus den Simulationen mit
tatsächlichen Beobachtungen zu vergleichen.
Die Simulationen, die Tsatsi als Ausgangspunkt nach, waren von
Benjamin Moster während seiner Zeit als Doktorand am MPIA in der
Arbeitsgruppe von Andrea Macciò erstellt worden (inzwischen ist
Moster an der Universität Cambridge). Sie basieren auf der von Volker
Springel und Kollegen entwickelten kosmologischen SimulationsSoftware GADGET, die Galaxien als Ansammlung einer Vielzahl von
Teilchen modelliert; einige davon stehen für die Sterne der Galaxie,
andere für deren Gas und Dunkle Materie. Der GADGET-Code ist dafür
gemacht, parallel auf einer Vielzahl von Prozessoren zu laufen. So
werden große und doch detaillierte Simulationen möglich.
Die wichtigste Beobachtungstechnik in Tsatsis Rekonstruktionsarbeit
war die sogenannte Integralfeld-Spektroskopie. Bei dieser Art von
Beobachtung nehmen Astronomen gleichzeitig Spektren einer Vielzahl
verschiedener Regionen einer Galaxie auf, mit anderen Worten: Sie
https://idw-online.de/de/news627667
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spalten das Licht vieler verschiedener Regionen des Bildes, das uns die
Galaxie am Nachthimmel bietet, in fein aufgeteilte Regenbogenfarben
auf. Bewegt sich ein Stern auf den Beobachter zu oder von ihm weg,
wird sein Licht hin zu kürzeren bzw. längeren Wellenlängen verschoben
(Dopplerverschiebung, konkret: Blauverschiebung bzw.
Rotverschiebung). Solche Verschiebungen lassen sich im Spektrum des
Sterns nachweisen. Durch solche Messungen kann die IntegralfeldSpektroskopie nachweisen, in welchen Teilen der Galaxie sich die
Sterne im Mittel auf uns zu bzw. von uns wegbewegen. Auf der
Grundlage solcher Beobachtungen können Astronomen die
Sternbewegung in einer Galaxie rekonstruieren und daraus wiederum
Rückschlüsse auf die Massenverteilung in der Galaxie ziehen.
Als Tsatsi die Integralfeld-spektroskopischen Messungen für eine ganz
bestimmte der Simulationen rekonstruierte, fiel ihr ein ungewöhnlicher
Umstand auf. Die von ihr rekonstruierte Karte der Sternbewegungen
innerhalb der Galaxie zeigte, dass sich die Sterne in der Zentralregion
anders bewegten als die anderen Sterne der Galaxie (vgl. Abbildung 3).
Mit anderen Worten: die betreffende Galaxie hatte einen gegenläufigen
Kern. Allerdings war dies eine Verschmelzung gewesen, bei der die
Vorläufergalaxien jede für sich den gleichen Drehsinn hatten, mit dem
sie vor der Verschmelzung umeinander umliefe – nach herkömmlicher
Interpretation demnach eine Sorte von Verschmelzung ("prograd"), bei
der gar kein gegenläufiger Kern hätte entstehen dürfen (vgl. Abbildung
2)! Als Tsatsi die Simulation daraufhin genauer ansah, konnte sie
beobachten, was all ihren Vorgängern entgangen war: Beim Umlauf der
Zentralregionen der beiden Galaxien umeinander kommt ein Moment, in
dem sich die Umlaufrichtung umkehrt. Die Umkehr findet statt, während
die beiden Galaxien gerade signifikante Mengen an Masse verlieren –
bei derartigen Verschmelzungen ist es üblich, dass die Galaxien
aufgrund ihrer gegenseitigen Schwerkraftwirkung Sterne insbesondere
aus ihren äußeren Regionen verlieren (vgl. Abbildung 4).
Was ist der Mestschersky-Mechanismus?
Bei ihrer Literaturrecherche fand Tsatsi einen Präzedenzfall für das
Phänomen, das sie an den verschmelzenden Galaxien beobachtet
hatte. Was dort geschieht, hängt eng mit dem Spezialfall eines
Problems zusammen, das der russische Mathematiker Iwan
Wsevolodowitsch Mestschersky (manchmal geschrieben
„Meshchersky“) untersucht hatte: Punktteilchen, deren Masse sich mit
der Zeit verändert und die sich unter ihrem wechselseitigen
Schwerkrafteinfluss bewegen. Durch die Massenänderung kommen
dabei zusätzliche Kräfte ins Spiel, die auch Mestschersky-Kräfte
genannt werden. Das bekannteste Beispiel für solche Kräfte tritt beim
Raketenantrieb auf – die Rakete stößt aus ihrer Düse heiße Gase aus;
dadurch wirkt auf die Rakete eine Kraft in Gegenrichtung und die
Rakete wird beschleunigt (vgl. Abbildung 3). Das liefert die Erklärung
dafür, dass selbst bei Galaxienverschmelzungen mit einheitlicher
Drehrichtung (prograde Verschmelzung) gegenläufige Zentralregionen
entstehen können: der Massenverlust der beiden Galaxien hat dieselbe
Wirkung wie ein gigantischer Raketenantrieb und kann stark genug
sein, um die Umlaufrichtung der Sterne umzukehren, die sich am Ende
in der Zentralregion der neu entstandenen Galaxie wiederfinden. Diese
Art der Erzeugung gegenläufiger Zentralregionen nennt Tsatsi den
Mestschersky-Mechanismus.
https://idw-online.de/de/news627667
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Weitere Informationen:
http://www.mpia.de/news/wissenschaft/2015-04-galaktischerraketenantrieb - Webversion der Pressemitteilung mit zusätzlichen
Abbildungen und Download-Bereich
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter,
Wissenschaftler, jedermann
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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