SMZ 7-8/2011 - Schweizer Musikzeitung

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Revue Musicale Suisse
N°7/8 / Juillet/août 2011
neuerscheinungen • Nouvelles publications
Bücher / livres
Helvetischer Holzboden
Mit der überarbeiteten Fassung seiner
Dissertation Wo man singt, da lass
dich nieder? Die Zweite Wiener Schule in der Schweiz. Zur Rezeption in der
zeitgenössischen musikalischen Presse
trägt Norbert Graf wesentlich zu einem
der spannendsten Kapitel in der Rezeptionsgeschichte der Musik des 20. Jahrhunderts bei. Selten zuvor hatte eine
neuartige Tonsprache so viele Kontroversen und negative Schlagworte auf
den Plan gerufen wie diejenige des Wiener Schönberg-Kreises. Blieben auch im
benachbarten Deutschland aufgekommene Ausdrücke wie «entartete Musik»
oder «Kulturbolschewist» in der inländischen Fachpresse aus, waren doch
ablehnende, von Unverständnis zeugende Kritiken von Anfang an treue Begleiter der schweizerischen Aufführungen
avantgardistischer Werke.
Der Autor verfolgt deren Rezeption
von Schönbergs Streichsextett Verklärte Nacht op. 4, das 1913 in der
Zürcher Tonhalle die früheste Präsenz
der Wiener Schule in der Schweiz markierte, über die Uraufführung von
Alban Bergs Lulu 1937 am Stadtthea-
ter Zürich, bis zur szenischen Uraufführung von Schönbergs Moses und
Aron am 31. Fest der Internationalen
Gesellschaft für Neue Musik (IGNM)
1957 in Zürich und macht im Anhang
mit den entsprechenden Quellentexten bekannt. Die gehässige Lulu-Kritik
des Schoeck-Biografen Hans Corrodi,
die 1937 im Völkischen Beobachter
erschien und Berg unterstellte, seine
Zwölftonmusik führe «ins Reich des
musikalischen Kommunismus», ist in
Auszügen nachzulesen, während bedeutende Texte, unter anderem von
Hermann Scherchen und Paul Stefan
über Schönbergs Pierrot lunaire oder
von Willi Schuh (I.G.N.M. Zwölftonmusik), vollständig wiedergegeben
werden.
Der Durchbruch der als zu radikal
empfundenen modernen Musik erfolgte
in der Schweiz später als im Ausland.
Wie sehr deren Vermittlung das Verdienst einzelner Personen war oder aber
auf die Initiative der Ortsgruppen der
IGNM zurückging, zeigt Norbert Graf
einleitend am Beispiel von Werner Reinhart und Hermann Scherchen (Winterthur), von Ernest Ansermet (Genf) und
von Paul Sacher (Basel). Im Kapitel
«Kunst für das Volk – Kunst aus dem
Volk» finden sich interessante Exkurse
über Hanns Eisler, den musikalischen
Klassenkampf oder das «Rote Wien». In
der Liste der Konzerte und Veranstaltungen werden aus Platzgründen nur die
Kompositionen der Zweiten Wiener
Schule genannt, so aufschlussreich es
auch wäre, deren Einbettung in die jeweiligen Programme zu erfahren.
Norbert Graf, Die Zweite Wiener Schule in der
Schweiz, Meinungen – Positionen – Debatten,
(= Schweizer Beiträge zur Musikforschung,
Band 16), 296 Seiten, brosch., Fr. 77.30, Bärenreiter, K­ assel 2010, ISBN 3-7618-2125-1
Walter Labhart
Sonnyboy
Eines ist sicher: Daniel Hope ist im Konzert fraglos ein «charming Sonnyboy»,
der das Publikum rasch für sich, mehr
noch: für die Musik einnimmt. Meist
belässt er es auch nicht bei nur einem
Solowerk, sondern nimmt es an einem
Abend gleich mit mehreren Partituren
auf: Bach, Mozart, Beethoven (freilich:
nur eine der beiden Romanzen). Ein
Marathon-Mann auf seinem Instrument, ein Solist, den es munter von
Podium zu Podium zieht – ein Mensch
und Künstler, der auch etwas zu erzählen hat. Mit seinem ersten Musikbuch,
Faksimile / facsimilé
Aussagekräftige Kostbarkeit
Sie war die letzte grosse Handschrift
Beethovens, die sich noch in Privatbesitz befand – und noch dazu von einem
der Hauptwerke. Als im Jahre 2007 das
Bonner Beethoven-Haus an die Öffentlichkeit trat, um mit einer ebenso breit
angelegten wie phantasievoll gestalteten Spendenaktion die für den Ankauf
benötigten Mittel einzuwerben, sass
daher der Geldbeutel überall erfreulich
locker. Doch erst die konzertierte Hilfe
von öffentlicher Hand und zahlreichen
Stiftungen, vermögender wie einfach
nur engagierter Privatpersonen, nicht
zuletzt auch von namhaften Künstlern,
machte den Coup perfekt – für einige
Millionen Euro (die genaue Summe ist
nicht bekannt) wechselte die autografe Partitur der Diabelli-Variationen
op. 120 den Besitzer.
Das Beethoven-Haus nahm die damit
verbundene ideelle (letztlich aber auch
folgerichtige) Verpflichtung gegenüber
der Öffentlichkeit in vorbildlicher Weise ernst: Das nicht immer besonders
«schöne», sondern wegen der dichten
Spuren kompositorischer Arbeit (sowohl
konzeptionell wie im Detail) interessante und aussagekräftige Manuskript lässt
es quasi von jedermann im Internet
kostenfrei betrachten (im Digitalen Ar-
chiv der Gedenk- und Forschungsstätte).
Warum wurde dann aber zusätzlich
noch ein Farb-Faksimile des Autografs
aufgelegt? Die Antwort darauf ist ebenso einfach wie leicht antiquiert (und
damit schon wieder auf ihre Art modern): Man hat mit der sauber produzierten Druckausgabe nicht nur ein
repräsentatives Geschenk an wirkliche
Liebhaber parat, sondern auch ein Studienobjekt im Originalformat. Genial
und einfach: In einem zweiten Band
finden sich ein Faksimile der Originalausgabe (zum Vergleichen) und die einführenden Kommentare – von William
Kinderman über die Entstehung sowie
von Bernhard R. Appel und Michael Ladenburger über das Manuskript selbst –
mit weiteren Faksimiles, Abbildungen
und Notenbeispielen. Wer dann noch
mehr erfahren will, dem steht wiederum im Download-Bereich des Digitalen
Archivs eine (lesens­werte!) umfassendere Beschreibung der direkt erfahrbaren
kompositorischen Schwerst­arbeit zur
Verfügung.
Schade, dass die beiden Bände «nur»
in einen bordeauxfarbenen Karton eingebunden sind; der Schuber ist vom
Material her noch schlichter.
Ludwig van Beethoven, 33 Veränderungen C-Dur
über einen Walzer von Anton Diabelli für Klavier
op. 120, Faksimile des Autografs und eines
­Widmungsexemplars der Originalausgabe (mit
Kommentaren), Verlag des Beethoven-Hauses,
Bonn 2010, € 148.00, Vertrieb: Carus-Verlag,
CV 47.319, oder Henle-Verlag, HN 3223
Michael Kube
Wann darf ich klatschen?, hat er
­einem jungen, neugierigen Publikum
die Angst genommen: vor Frack und
Fliege, vor Applaus, Pausensekt und
anderen ungeschriebenen, manchmal
etwas merkwürdigen Regeln im Konzertsaal.
Nach der erfolgreichen Pflicht folgt
nun mit einem zweiten Buch die Kür,
bei der geschmunzelt werden darf, die
bisweilen aber auch nachdenklich
stimmt. Denn nicht alles an den «Pannen & Katastrophen» (so der Untertitel)
ist so harmlos, wie es zunächst scheint,
handelt es sich doch mitunter wahrlich
um «letzte Katastrophen», von denen
berichtet wird. Da wirkt dann das Motto Toi, toi, toi! schon ein wenig makaber. Auf der anderen Seite lebt das Buch
von einer wunderbar seriösen Sprache
und gelegentlichen, in die Tiefe führenden Reflexionen – hier dürfte vor allem
Wolfgang Knauer, Hopes Mitarbeiter,
langjähriger Klavierbegleiter und ehemaliger Kultur-Chef des Norddeutschen
Rundfunks, Hand angelegt haben. Diese schöne Art des Schreibens ist es dann
auch, die den Kenner mit dem Inhalt
versöhnt. Denn eigentlich handelt es
sich doch nur um eine weitere Sammlung landläufiger Musikeranekdoten
und -geschichtchen, zu denen Hope ein
paar eigene, neue beisteuert.
Daniel Hope, Toi, toi, toi! Pannen & Kata­
strophen in der Musik, 192 S., Fr. 27.50,
­Rowohlt, Reinbek 2011, ISBN 3-498-03013-1
Michael Kube
Klavier / piano
Musikalischer Fährmann
Der 1954 in Dublin geborene und nun
in «Wattawis» lebende Musiker John
Wolf Brennan hat sich über Jahre damit
beschäftigt, Parallelen zwischen älteren
und neueren keltischen Kulturen zu
entdecken. – Sie wissen nicht, wo Wattawis liegt? Ich komme Ihrer Neugier
entgegen und verrate Ihnen, dass dies
der alte, keltische Name von Weggis bei
Luzern ist und «Ort der Fährleute» bedeutet.
Als gleichsam musikalischer Fährmann bringt Brennan in seiner Reihe
Sonic Roots – Wurzelklänge die Musik
verschiedener keltischer Stammgebiete zusammen. Dabei rücken in seinen
Klavierstücken Airs, Jigs, Hornpipes
und andere Volkstänze aus Irland,
Schottland, Wales und Cornwall in
erstaunliche Nähe zu Weisen aus Helvetien wie Schottisch, Walzer, Chüe­
reiheli, Jüzzli. So heisst denn eine erste Gruppe von drei Miniaturen Auf
Walserpfaden: Läntahütte, Murmelitanz und Zerfreila; und im Stück M.i.P.
(Moving in Pulse) glaube ich neben dem
Alphorn-Fa auch Kuhglocken zu hören.
Wie Brennan in weiteren Stücken traditionelle Melodien verschiedener Herkunft integriert, daraus aber etwas
Neues, ganz Eigenes macht, erinnert
Schweizer Musikzeitung
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neuerscheinungen • Nouvelles publications
mich an Bartók, der sich ja ebenfalls
intensiv der Erforschung von Volkmusik gewidmet hat.
sche Ebene mit der ternären Spielweise,
den Synkopen, Akzenten und vorgezogenen Noten. Was mich ein wenig irritiert, sind die Illustrationen auf den
Titelseiten und die Abziehkleber als
Belohnung, die als Zielgruppe eher
Kinder im Vor- und Grundschulalter
ansprechen dürften.
Die Stücke sind sehr differenziert
notiert und mit Fingersätzen versehen.
Auch wenn die Akkordsymbole fehlen,
sollte es möglich sein, einige Nummern
mit wenig Aufwand durch das Beiziehen
von Bass und Perkussion zu einem Trio
zu erweitern! Wer weiss, vielleicht liegt
ja auch mal ein kleines Solo drin …
Mike Cornick, Clever Cat goes Solo, Einfache
­Klavierstücke für den frühen Klavierunterricht,
UE 21484, € 11.95, Universal Edition, Wien
2010, ISMN M-008-08098-2
Brennans Musik hat etwas Vitales,
Urtümliches, Schnörkelloses. Zu eigenwilliger Melodik gesellt sich eine herbe
Harmonik, unterstützt von knorrigen
Polyrhythmen. Schade, dass den sehr
differenziert notierten Stücken, die ja
laut Autor zur Bereicherung der Unterrichtsliteratur dienen sollen, keine
Fingersätze beigefügt sind. Im Vorwort
wird angekündigt, dass noch weitere
Bände für andere Instrumente und Ensembles folgen werden. Ich bin sicher,
dass «gwundrige» Lehrende und Lernende (wo ist der Unterschied?) darin einige «Wurzeln» finden, die, wer weiss,
noch hübsche Blüten treiben!
John Wolf Brennan, Sonic Roots – Wurzelklänge I, 24 leichte bis mittelschwere Stück für
Klavier inspiriert von keltischen Volkstänzen,
PAN 2000, ca. Fr. 33.90, Pan-Verlag, Basel u.
Kassel 2010, ISMN M-5021-6000-5
Bremsen los!
Welcher Schüler träumt nicht davon,
einmal die Bremsen zu lösen und loszufahren, abzuheben und über den
Wolken zu segeln, vielleicht gar einen
Looping zu wagen? In dieser Frage sind
bereits einige Titel aus Mike Cornicks
Veröffentlichungen Clever Cat goes
Solo und Clever Cat goes on Safari zusammengestellt. Da gibt es den Blues,
den Swing Reggae, die Ballade, den
Slow Waltz.
Die sehr anregenden und stimmungsvollen Stücke erlauben es dem
Schüler, der der Aufbauarbeit einer
Klavierschule entwachsen ist, erste Bekanntschaft mit Blues, Swing und Latin-Feeling zu machen. Cornick ist es
gelungen, trotz der bewussten Begrenzung der technischen Anforderungen,
das Grundgefühl der einzelnen Stile
einzubringen. Die Stücke sind ganz
vom Schüler her gedacht. Sie bewegen
sich im erstgenannten Band oft in
wechselnden Fünffingerlagen, sind somit gut überschaubar und geben «Griffsicherheit». Dadurch ist die Aufmerksamkeit frei für die jeweilige rhythmi-
id., Clever Cat goes on Safari, Leichte bis mittelschwere Klavierstücke, UE 21525, € 12.50,
ISMN M-008-08161-3
«I ha si welle mälche …»
... und das hat Seraina Janett auch getan. Dem alten Schweizer Kinderlied
Döt äna am Bärgli do staht e wissi
Geiss hat sie nämlich fünf vergnügliche
Variationen für Klavier zu sechs Händen abgewonnen. Entstanden ist diese
Komposition für ein Jecklin Musiktreffen zum Thema Schweiz. Die Variationen sind so angelegt, dass sie auch für
Schülerinnen und Schüler mit geringen Notenkenntnissen spielbar sind
und grossenteils nach Gehör und durch
Nachahmen erlernt werden können.
Die Musik liegt gut in der Hand und die
harmonisch sehr einfachen, formelhaften Begleitmuster lassen sich gut einprägen.
Trotzdem ist dieses heitere Werk
keineswegs simpel und in jeder Hinsicht lehrreich. Der rhythmisch reiche
Satz verlangt von den Spielenden, gut
aufeinander zu hören und sich immer
wieder auf neue Bewegungen einzustellen. Neben verschiedenen Taktarten
und Tempi kommen vielfältige rhythmische Grundmuster wie punktierte
Noten, Triolen, ternäre Rhythmen
(Swing) und Synkopen vor. Da aber jede
Variation in sich eine ostinate Rhythmik hat, gibt es jeweils genug Zeit, sich
einzufinden. Die ohne festen Takt notierte Variation V führt uns wohl ins
Traumland der weissen Geiss (Ganztonleiter) und lädt dazu ein, frei und improvisierend zu spielen, was bedeutet,
dass die drei Spielenden fein aufeinander reagieren müssen.
Dieses sehr gelungene Werk fördert
das lustvolle Miteinander, die Geschicklichkeit des Einzelnen und das Auf­
einander-Hören am Instrument. Das
«schläkt e kei Geiss ewäg»!
Seraina Janett, Döt äna am Bärgli, Variationen
über ein Schweizer Volkslied für Klavier zu sechs
Händen, Fr. 19.00, Gilgenreiner Verlag,
Winterthur 2010, ISMN M-700268-09-1
Stefan Furter
Flöte / flûte
Lohnende Erstveröffentlichung
Der Flötist und Komponist Johann Joachim Quantz (1679–1773), bekannt
durch sein Grundlagenwerk Versuch
einer Anweisung, die Flöte traversière
zu spielen, hat gegen 300 Solokonzerte
und zahlreiche Kammermusikwerke
geschaffen. Bedeutsam für seine kompositorische Entwicklung war vor allem
die Auseinandersetzung mit den Werken Antonio Vivaldis. Als Quantz an
den Hof des Flöte spielenden Königs
Friedrich des Grossen kam, hielt er an
dem sogenannten «vermischten Geschmack» fest, der die italienische Verzierungskunst, französische Rhythmik
und den «gearbeiteten Stil» der deutschen Kontrapunktik verschmilzt.
Durch grossen Einfallsreichtum füllte
Quantz immer wieder diese starren
Formen klangvoll und lebendig aus,
was sich auch im vorliegenden Flötenkonzert e-Moll ausdrückt. In den schnellen Ecksätzen, Allegro und Presto, erinnern die virtuosen Sechzehntel-Passagen, die oft sequenziert werden, an
die Flötenkonzerte seines grossen Vorbilds Vivaldi. Das nur von den Violinen
begleitete Grave nähert sich in Gestik
und Melodik schon dem empfindsamen
Stil von Carl Philipp Emanuel Bach.
Bei der vorliegenden Ausgabe handelt es sich um einen Erstdruck; Klavierauszug und Partitur sind käuflich,
die Stimmen beim Verlag leihweise erhältlich. Auch wenn bereits viele Flötenkonzerte von Quantz veröffentlicht
sind, stellt das e-Moll-Konzert eine interessante und bereichernde Entdeckung für das Repertoire dar.
Johann Joachim Quantz, Konzert e-Moll für
­Flöte, Streicher und Basso continuo, Erst­druck,
hg. von Klaus Burmeister; Klavierauszug,
FH 3355, € 18.80; Partitur, FH 8012, € 25.80;
Friedrich Hofmeister Verlag, Leipzig 2010
Neu entdeckte Ballade
Die von Frank Martin (1890–1974) für
den Internationalen Musikwettbewerb
in Genf im Jahr 1939 komponierte Ballade pour Flûte et Piano hat ihren festen
Platz im modernen Repertoire der Flötisten gefunden. Im Frühjahr 2008 fand
die Witwe Maria Martin ein Manuskript
mit dem Titel Deuxième Ballade pour
Flûte et Piano ou Flûte, Orchestre à cordes, Piano et Batterie. Dabei handelt es
sich um eine Bearbeitung der Ballade
für Saxofon, Streichorchester, Klavier
und Schlagzeug, die Frank Martin 1938
für Sigurd Rascher komponiert hatte,
die erste einer ganzen Serie von Balladen
für verschiedene Instrumente, geschrieben zwischen 1938 und 1972.
Zum Charakter der Saxofon-Ballade
sagte er, es sei ein Stück, «in dem der
Ausdruck mehr im Mittelpunkt steht als
irgendein anderes formales Element, ein
Stück, das mehr von den Romantikern
als den Klassikern inspiriert ist, kurz
gesagt, eine Ballade, die in einem lyrisch
erzählenden Stil auf die besonderen
Akzente dieses Instrumentes eingehen
kann». Auch in dieser Ballade verwendete Martin seine ganz persönliche Tonsprache, in der er Rhythmus, expressive
Melodik und eine im tonalen Rahmen
verharrende Harmonik verband. Es ist
wahrscheinlich, dass das Arrangement
der zweiten Ballade für Flöte erst im Jahr
1939 gemacht wurde. Über weite Teile
transponierte Martin die Saxofonstimme um eine Oktave nach oben. Ferner
gibt es im Mittelteil Passagen in der rechten Hand des Klaviers, die in der Urfassung nur vom Klavier gespielt werden,
in der Bearbeitung jedoch von der Flöte.
Auch diese Ballade umfasst eine ausladende Flötenkadenz, in welcher einige musikalische Gedanken aufgegriffen
und verarbeitet werden. Das Werk wirkt
trotz seiner Länge von fast einer Viertelstunde durch den Wechsel von langsamen expressiven und virtuosen Teilen immer interessant und abwechslungsreich. Es stellt eine wirkliche
Entdeckung für das Flötenrepertoire
dar und ist es wert, auch Eingang in die
Konzertprogramme zu finden.
Frank Martin, Deuxième Ballade pour Flûte et
­Piano, UE 34699, € 23.95, Universal Edition,
Wien 2010, ISMN M-008-08165-1
Claudia Weissbarth
Chor / chœur
Letztes Oratorium
Jephtha ist Händels letztes Oratorium.
Es entstand bei sich verschlimmerndem
Augenleiden des Komponisten. Die Erstaufführung fand im Covent Garden im
Februar 1752 statt und war die letzte
von ihm geleitete Aufführung vor seiner vollständigen Erblindung. Inhaltlich handelt das Oratorium vom Befreiungskrieg der Israeliten gegen die damaligen Herrscher, die Ammoniter. Es
werden Versprechungen gemacht, die
schicksalhafte Wendungen nach sich
ziehen. Jephthas Tochter soll als Dank
für den errungenen Sieg den Göttern
geopfert werden. Die Geschichte beruht
auf dem Kapitel 11 des Buches der Richter. Händel gelingt in diesem Oratorium die Verschmelzung von biblischem
Stoff und dem Geist der Antike in perfekter Form. Mit grosser Intensität werden die Schicksale von Jephtha und
Iphis gezeichnet. Eine zentrale Bedeutung kommt dem Chor How Dark, Oh
Lord am Ende des zweiten Teiles zu. Er
gilt als Höhepunkt des Oratoriums. Als
Solisten sind drei Soprane, Alt, Tenor
und Bass gefordert.
Der neu herausgegebene Klavierauszug umfasst 285 Seiten. Dirigierpartitur
und orchestrales Aufführungsmaterial
sind beim gleichen Verlag erhältlich.
Georg Friedrich Händel, Jephtha, Oratorium in
drei Akten HWV 70, Klavierauszug nach dem
­Urtext der Hallischen Händel-Ausgabe von
­Martin Focke, BA 4014-90, Fr. 47.90, Bären­
reiter, Kassel 2010, ISMN M-006-52156-2
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Revue Musicale Suisse
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neuerscheinungen • Nouvelles publications
Herausforderung für Soprane
Der Motette Wir warten dein, o Gottessohn liegt ein glaubensstarker Text
von Friedrich Hiller zugrunde. Neithard Bethke (* 1942) hat die vier Strophen in verschiedenen Besetzungen
komponiert, wobei die Melodie als
Cantus firmus in allen Registern einmal erscheint. Die Sätze bleiben im
tonalen Bereich; die Melodie entspricht dem Lied Was Gott tut, das ist
wohlgetan des Gesangbuches der katholischen Kirche. Der Schwierigkeitsgrad ist mittel bis hoch. Das betrifft
vor allem die Sopranstimmen, welche
im fünfstimmigen Satz aufgeteilt sind,
allerdings nicht über das zweigestrichene a'' hinausgehen. Die Aufführungsdauer beträgt sechs Minuten.
Die Partita eignet sich ausgezeichnet
für den gottesdienstlichen Gebrauch
zu allen liturgischen Zeiten des Kirchenjahres.
Neithard Bethke, Wir warten dein, o Gottessohn,
Partita für 4–5 stimmigen Chor a cappella,
EM 1006, € 9.00, Edition Merseburger, Kassel
2010, ISMN M-2007-3245-0
Josef Estermann
Kontrabass / contrebasse
Drei neue Schulen
Seit geraumer Zeit werden Kinder ab
Schul- und Vorschulalter mit gutem
Erfolg über den Kontrabassunterricht
zum aktiven Instrumentalspiel hingeführt. An geeignetem Unterrichtsmaterial fehlt es hingegen nach wie vor;
diverse Schulen fanden keine Fortsetzung über die ersten Stufen hinaus. Aus
dem deutschsprachigen Raum liegen
nun drei neue Ausgaben zur Besprechung vor.
Markus Meier bezieht im ersten
Band von Bass mit Bär und Biene ausschliesslich die leeren Saiten ein, verbunden mit metrischer und rhythmischer Schulung. Der Text, die gut dosierten und ausserordentlich ansprechenden Illustrationen des Autors mit
Meister Bär und der Kontrabass lernenden Biene, die Grösse der Pentagramme
und das musikalische Material lassen
darauf schliessen, dass die Zielgruppe
Grundschulkinder angesprochen ist. In
dichter Weise werden Bogenhaltung,
Saitenwechsel, Bogenaufteilung bis angebundene Punktierungen und Dynamik erarbeitet. Eine gleich zu Beginn
eingeführte Notenuhr veranschaulicht
die Dauer der Notenwerte und Pausen
und stärkt so das metrische Verständnis. Dabei wird in rascher Folge von 4/4
zu 5/4 und 6/4, von ganzen Noten bis zu
Sechzehnteln und Triolen gewechselt.
Diese Beweglichkeit kommt dem durch
Konvention noch nicht eingeschränkten Musikverständnis der Kinder entgegen. Eine solche metrisch-rhythmische Schulung legt eine gute Basis für
das weitere Instrumentalspiel, setzt
jedoch methodisch wirksam gestalte-
ten Unterricht und auch entsprechende
Fähigkeiten der Kinder voraus. Leider
fehlt der Zugang zur Rhythmik über
die motivische Gestalt. Als musikali-
sches Material dienen vor allem Begleitstimmen zu Liedern, die mit Text unterlegt sind. Diese entstammen dem
traditionellen mitteleuropäischen
Liedgut bis hin zu Gospelmelodien und
Satin Doll. Die Schüler werden eingeladen, ihre Leistung jeweils selbst einzuschätzen.
Der zweite Band beginnt mit dem
physiologisch wie auch vom musikalischen Verstehen her erleichternden
Einstieg über die erste Lage. Sehr günstig auch der Anfang mit dem Auflegen
der ganzen Hand. Die schrittweise Erweiterung des Tonraumes in die Tiefe
ist anfänglich geschickt aufgebaut, setzt
jedoch auf die Dauer eine ausreichend
kräftige Hand voraus. Einzelne Spielstücke sind mit komplexer Rhythmik, Bogenaufteilung und vielen Saitenwechseln musikalisch reichhaltig, deshalb
möglicherweise für einige Schüler allzu
anspruchsvoll. Integriert werden einzelne Grundlagen zur Musiktheorie. Die
Sekunde wird als erstes Intervall eingeführt und ausführlich geübt, zudem
werden die Funktionen der Vorzeichen
oder der Begriff enharmonische Verwechslung erläutert. Es bleibt beim
additiven Verständnis von Skalen über
Sekunden; für ein anschaulicheres Verständnis wäre die Einführung des Stufendenkens wohl günstiger. Die am
Schluss des Bandes modellhaft angewendete Transposition einer Melodie
über alle vier Saiten ist dafür ein geeigneter Ausgangspunkt. Gänzlich an der
Altersstufe vorbei gehen leider viele Begriffe in den eingestreuten Notenrätseln
(«grafisch», «Pazifist») sowie die auf CD
oder über Internet abrufbaren Aufnahmen der Lieder. Eine vibratoreiche Frauenstimme und wenig anregende Klavierbegleitungen entsprechen weder dem
einfachen Liedgut noch einem zeitgemässen Musikverständnis. Die kurzen
Texte zu musikgeschichtlichen Themen
und Komponisten sind hingegen stufengerecht verfasst und tragen zum guten
Gesamteindruck bei.
Thomas Schlink setzt in Kontrabass!
Eine Schule für Kinder und Jugendliche ebenfalls ganz auf die Sprache und
auf Lieder, nahezu alle Spielstücke und
Etüden sind mit Text unterlegt, sei es
mit originalem Liedtext, sei es mit
phantasievollen bis gelegentlich etwas
belehrend wirkenden Sprüchen («Alle
Elefanten sind auch Musikanten», «Auf
eins spiel ich ’nen Abstrich, das ist ganz
praktisch»). Öfter werden Duos mit
­einer Stimme für die Lehrperson eingestreut. Der Notensatz ist vergleichsweise klein, besonders für die gelegentlichen Schreibaufgaben für die jungen
Bassisten und Bassistinnen. Die kurzen
Spielstücke stehen meist im 4/4-, ab und
zu im 3/4-Takt, haben meist volltaktige
Strukturen und schränken so die musikalische Vielfalt etwas ein. Ausgeglichen wird dies durch stilistische Vielfalt und den Vorteil, dass sie auch spieltechnisch für eine weite Bandbreite von
Lernenden gut zu erreichen sind. Gut
gelungen sind die gelegentlich eingestreuten spielerischen Stücke mit ungewohnten Spielweisen und zeitgenössischem Umgang mit dem musikalischen Material sowie die spieltechnischen Übungen. Zu automatisierende
Bewegungsabläufe sind musikalisch
geschickt verpackt.
Für das Erlernen der Spieltechnik
problematisch erscheint der Aufbau im
vordersten Teil, der wie bei den meisten
Schulen über die linke Hand und das
sich erweiternde Tonhöhenmaterial
definiert wird. Nach der Einführung
der leeren Saiten wird zuerst ausschliesslich der erste Finger in der ersten Lage eingeführt über alle vier Saiten. Ohne das Gefühl der ganzen Hand
und der Funktion der übrigen Finger
kann dies erfahrungsgemäss zu verkrampfter Handhaltung führen. Erst
später wird der zweite und mit dem
vierten Finger zusammen dann die ganze Hand aufgesetzt. Diese gut gemeinte
Systematik widerspricht dem ganzheitlicheren Zugang, der sich auf der
Grundschulstufe eher bewähren dürfte.
Auch diese Schule streut theoretische
Zugänge ein, sei es in Bezug auf die
Notennamen und Notation, sei es in
geschickter Einführung muskalischer
Grundbegriffe, angefangen bei «Motiv»
und «Auftakt», bis hin zu diversen gängigen Spielanweisungen, und bietet so
zusammen mit den humorvollen und
informativen Illustrationen (Dorothe
Lindenberg) weitere Lernfelder an.
Gleich mit vier Bänden präsentiert
Gerd Reinke seine Kontrabassschule
Enjoy the double bass, welche bis zur
Daumenlage führt. Sie steht ganz in der
Tradition der Schulen des frühen
20. Jahrhunderts und hat wohl nicht
den Anspruch, Kinder oder Jugendliche
anzusprechen. Schon das Notenbild
lässt erahnen, dass es hier um das Einüben von Fingertechnik der linken
Hand, Bogentechnik und rhythmischen
Mustern geht. Die oft langen Übungen
bestehen vorwiegend aus repetitiven
Sequenzen und Tonketten und streben
hin zur Spielpraxis, die den Bassisten
in professionellen Orchestern erwartet.
Dort erst dürfte dann auch die Musik
stattfinden, auch wenn der Autor versucht, sie durch einige Bearbeitungen
und je eine Mitspiel-CD pro Band in die
Schule einfliessen zu lassen. Bassspielen
ist für den Autor ein Kraftsport, darauf
weisen gelegentliche Anleitungen für
das Muskeltraining hin. Anregungen,
wie die Kraft durch günstige Spielhaltung und Bewegungsökonomie erreicht
werden könnte, fehlen gänzlich. Auch
wenn die Bände einige Etüden für spieltechnische Automatismen anbieten,
vermögen sie die Ansprüche an eine
zeitgemässe und polyvalente Kontrabassschule nicht zu erfüllen.
Markus Meier, Bass mit Bär und Biene, Kontrabassschule für Beginner; Band 1: Leere Saiten;
Band 2: 1. Lage; CD und Klaviernoten zum
­Herunterladen, je Fr. 36.00, Gilgenreiner Verlag,
Winterthur 2009/10
Thomas Schlink, Kontrabass!, Eine Schule für
Kinder und Jugendliche, mit Klaviersätzen von
Thomas Blomenkamp, Heft 1, EB 8813, € 17.00,
Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2010
Gerd Reinke, Enjoy the double bass, Kontrabassschule (mit Klavierbegleitung), Bände 1–4,
BB 2313–2316, je mit CD, je € 17.95/14.95,
Boosey & Hawkes/Bote & Bock, Berlin 2010
Andreas Cincera
Weitere Titel / autres titres
Elisabeth Danuser, Claudia Pachlatko, Jürg
Lanfranconi, Groove Pack Basics, Impulse für
Musik und Bewegung, 58 S., ill., DVD mit
Handlungsanleitungen und Playbacks,
Fr. 30.00, Academia Verlag, Sankt Augustin
2011, ISBN 3-89665-541-7
Ursula Benzing, Oper ohne Worte?, Versuch
einer Bestimmung von Standort und Selbstverständnis des heutigen Musiktheaters,
384 S., € 37.00, Merseburger Verlag, Kassel
2011, ISBN 3-87537-33-0-1
Johannes Forner, Ludwig van Beethoven –
Die Klaviersonaten, Betrachtungen zu Werk
und Gestalt, 180 S., ca. 140 Abb. u. Notenbsp.,
€ 24.80, Verlag Klaus-Jürgen Kamprad, Altenburg 2011, ISBN 3-930550-83-8
Agnes Schöchli, Lola das kleine Cello, 28 S.,
€ 16.80, Wagner Verlag, Gelnhausen 2010,
ISBN 3-86683-756-0
Karneval der Tiere, Werke von Saint-Saëns
und Tschaikowsky in Bearbeitungen für Klavier
vierhändig, (Repertoire für Kinder, alle
­Stufen), L’Arrangement, Basel,
www.larrangement.info
Rolf Grillo, Rhythmusspiele der Welt,
­Musikalische Spielmodelle für die Rhythmus­
arbeit in Gruppen, 200 S., mit DVD und CD,
€ 57.70, Helbling, Esslingen 2011,
ISBN 3-86227-059-0
Notger Ignaz Franz von Beecke, Sonate a 3,
für drei Claviere, hg. von der Cembaloklasse
der Folkwang Universität Essen und Christian
Rieger, Erstausgabe, Partitur, EW 849, € 19.80,
Edition Walhall, Magdeburg 2011
Peter-Lukas Graf, Study with Style, 30 Aus­
gewählte Etüden für Flöte, hg. von Susanne
Gärtner und Claudia Weissbarth, ED 20945,
€ 18.99, Schott, Mainz 2011
Herunterladen