Christoph Ehrenfellner (*1975) Der Composer in Residence der LOISIARTE 2017, Christoph Ehrenfellner, geboren in Salzburg, lebt und arbeitet als Komponist, Geiger und Dirigent in Wien. Detaillierte biographische Daten sind den Biographien der Mitwirkenden zu entnehmen. An dieser Stelle drucken wir Auszüge aus den Vorworten des Komponisten zu den gespielten Werken ab. Christoph Ehrenfellner © Robert Herbst Zum Streichquartett op. 24, La Ballade de la Tsvetaeva: Wer im 21.Jahrhundert eine „Ballade“ schreibt, blickt unweigerlich sowohl auf die ursprünglich spanischfranzösische Gattung der mittelalterlichen „Tanz- und Liebesliedchen“, als auch auf die frei-poetische Erzählform tragischer und verblüffender Elemente der Romantik eines Liszt oder Chopin. Beides sind wesentliche formale Grundzüge meines Streichquartett-Satzes, der außerdem seine wienerische Faktur schwerlich verleugnen kann, obschon er Tanz- und Liebeslied dem alten russischen Volksgut entnimmt – und das aus gutem Grund: Ballade de la Tsvetaeva ist im Auftrag der Seiji Ozawa International Musicians Academy geschrieben und verdankt seinen Initialimpuls der franko-russischen Geigerin Alexandra Soumm. Die Liebe zur Poesie, zu den Dichtern alter und neuer Generationen inspiriert unsere freundschaftliche Verbindung, dass ich mich thematisch an ihrer Lieblingsdichterin Marina Zwetajewa (1892-1941) orientiert habe. [...] Die einzigartige Mischung, welche die „Zwetajewa-Geschichte“ geschrieben hat, wurde zur emotionalen Vorlage von La Ballade. Sie erzählt die Geschichte eines Menschen voll unbändiger Fantasie und jugendlicher Träume, eines Getriebenen und Gefangenen des ureigenen Schicksals. Der Satz aus dem Gedicht Ohne Titel, „All will continue..., as if I´d never been“, steht wie eine unsichtbare Überschrift zwischen den Zeilen, indem er die unfassbare Diskrepanz Zwetajewa´scher Lebenserfahrung treffend umkreist. Der Untertitel von La Ballade kündigt weiters an: Vozle ryetshki, vozle mostar..., (Am Flüsschen bei der Brücke). Das berühmte russische Volksliedchen ergänzt meinen eigenen musikalischen Themenkomplex um jenes Erdreich, aus welchem die Worte der Dichterin genommen sind. [...] Zum Streichtrio op. 22, Variations on Impossibility: Das Streichtrio Variations on Impossibility trägt den bezeichnenden Untertitel: A Musical Rubik Cube. Der Rubik-Würfel gibt in diesem Fall einen entscheidenden Hinweis auf die wesentliche innere Beschaffenheit des Stücks: ein schwieriges Thema, sozusagen eine vertrackte Ausgangssituation wird exponiert, auf ihre Möglichkeiten und Unmöglichkeiten hin abgeklopft, und verlangt endlich nach einer Lösung. [...] Das Konzept vom Exponieren eines Themas und von dessen schicksalhaftem Weg zu einer Lösung kennen wir seit Joseph Haydn. Nicht zufällig hat dieses Grundkonzept die auch heute noch vorherrschenden „klassischen“ Kammermusik-Gattungen hervorgebracht, mit großem Abstand die meisten und populärsten Werke produziert, 10 und den Stil über Jahrhunderte geprägt. [...] In den Variations on Impossibility habe ich mich dieser Frage gestellt, und als Eingangshypothese für mich formuliert, dass der Prozess des Entwickelns, des Etwas nach allen Seiten Drehens, in alle Richtungen Versuchens (Variation!), dass dieser Prozess eine Sprache verlangt, die sowohl auf der Ebene des logos als auch auf jener des eros ihre Ausdrucksformen hat. No na! wird der Musikfreund nun sagen, aber diese Hypothese hat Konsequenzen für eine Komposition: Eine Sprache, welche die Emotion als ihren Spiegel anzusprechen weiß, kreist zwangsläufig im weiteren Sinne um das Thema Schönheit, indem sie sinnlich verlockt und etwas anzurühren vermag. Eine Sprache aber, welcher die ratio zu folgen im Stande ist, impliziert unweigerlich die Kategorien des Erzählens, die Phänomene Thema und Richtung (und mit ihr die Achse Zeit). Beide Qualitäten, sowohl jene des Erzählens als auch jene der Schönheit, fanden frühe Krönung bei den klassischen Meistern. Wenn sich ein Komponist heute nun entschließt, zu exponieren, „thematisch“ zu arbeiten, das heißt, überhaupt mit erkennbaren Themen zu hantieren, so bekennt er sich zu den oben genannten, guten Gründen dieser Tradition: Die Darstellbarkeit menschlichen Seelenlebens und Seelenstrebens durch die gezielt injizierte Begegnung der beiden Antagonisten: Natur und Vernunft. [...] Zur Suite zu Kafkas Verwandlung für Klarinette, Violine und Klavier, op. 32b: Für das Junge Theater am Theater Nordhausen/Thüringen entstand 2016 ein Kammermusik-Melodram zu einer adaptierten Fassung von Kafkas berühmter Novelle Die Verwandlung. Dabei trägt ein Trio aus Klarinette, Geige und Klavier die Aktion von drei Schauspielern und einem Erzähler. Die Suite op. 32b ist ein Exzerpt daraus, für den konzertanten Gebrauch hergestellt, wobei die Reihung der Szenen aus dramatischen Erwägungen heraus gegenüber dem Melodram verändert wurde. Die Quintessenz der Erzählung aber - der sich in seinem ungewohnten Lebensraum verändernde Außenseiter Käfer, seine Verwandlung und sein Ende – findet in der Musik programmatisch Eingang. Das Käfer-Thema, ein kratziger Halbton-Schritt, der sich stockend voran tastet, trifft im Verlauf der Suite auf allerhand Absonderliches, das in seiner Verzerrung Kafkas Stummfilm-Ästhetik abgelauscht ist: trampelhafte Invasion, Käferglück, brutale Verfolgung, ein grotesk aufgeblasener Trauermarsch auf dem Hunding-Thema aus Wagners Walküre, und endlich die Musik auf die jungen Frauenkörper, der oft diskutierte, zweifelhaft-leichtfüßige Kafka-Schluss auf ein abgründiges Drama. [...] Informationen und Gedanken des Komponisten zur Uraufführung für gemischten Chor und Solovioline sind dem Interview mit Christian Altenburger und Christoph Ehrenfellner zu entnehmen. www.christophehrenfellner.at 11