ERLKÖNIG 1 "Erlkönig" nach dem Gemälde von Moritz von Schwind

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ERLKÖNIG
1
Johann Wolfgang von Goethe
(1781)
"Erlkönig" nach dem Gemälde von Moritz von Schwind 2(1804-1871)
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron' und Schweif? –
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. –
"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand;
Meine Mutter hat manch gülden Gewand."
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? –
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind!
In dürren Blättern säuselt der Wind. –
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1)
"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein."
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? –
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau;
Es scheinen die alten Weiden so grau. –
"Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt." –
Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! –
Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.
Erläuterungen, Entstehung, Hintergrund, Interpretationshinweis
Die naturmagische, "numinose" (numinos: schaudernd machend, aber zugleich anziehend und faszinierend sein)
Ballade "Erlkönig" entstand 1781. Sie wurde von der angesehenen Weimarer Schauspielerin Corona Schröter
vertont und leitete als Lied am 22. Juli 1782 im Park von (Weimar-) Tiefurt die Uraufführung von Goethes Singspiel
"Die Fischerin" ein. Der Titel "Erlkönig" bzw. "Erlenkönig" beruht auf einer fremden Fehlübersetzung des
volkstümlichen Stoffes aus dem Dänischen und müsste eigentlich "Elfenkönig" heißen. Später vertonten u. a. Max
Eberwein und Carl Loewe den "Erlkönig" sowie - am bekanntesten - Franz Schubert (1815 / 1821).
Die Herkunft des Stoffes aus dem nordischen Sagen- und Märchenschatz verbietet es, das Unheimlich-Dämonische
des Geschehens durch rationale Erklärungsversuche seiner Wirkung zu berauben: Auch der vernünftig denkende
Vater scheiterte schließlich mit seinen Sacherklärungen, sodass auch ihn das Grauen packte.
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Bildquelle: http://www.wdr3.de/programm/sendungen/wdr3vesper/vesper538.html
Verzeihung bitte, Johann Wolfgang!
Du weißt: Karneval ist eine Zeit, in der gilt fast alles als erlaubt, was heiter stimmt.
Sogar Trauriges spielerisch zu karikieren, ist Ausdruck karnevalistischen Frohsinns.
Hartmut Werner verdanke ich den launigen Einfall,
Deine ehrwürdig-klassische Ballade Erlkönig lautmalerisch zu verfremden.
Ich wollte das Rezept seines Vortrags herausfinden; hier mein Resultat:
Nimm also den Text Deiner Ballade und betrachte ihn Zeichen für Zeichen.
Finde dabei bestätigt, dass Du in den 8 Strophen 10 verschiedene Satzzeichen
verwendest, die klassisch vorgetragen nur als Pausen oder gar nicht hörbar sind.
Überzeuge Dich, dass Du deren zusammen stattliche 69 eingefügt hast.
Nun schau, wie wir versuchen, die verschiedenen Satzzeichen
durch unterschiedliche Laute hörbar zu machen.
Die Lautbilder sollen die geometrische Form der Satzzeichen akustisch abbilden.
Dazu stelle sie Dir alle bildlich vor Augen - und siehe da:
Alle Satzzeichen sind geometrisch aus drei verschiedenen Elementen aufgebaut:
1. aus vertikalen Linienelementen (z.B. Komma, Apostroph oder Rufzeichen):
Die mögen mit einem scharfen „ß“ anklingen,
2. aus punkthaften Elementen (z.B. der Punkt selbst und der Doppelpunkt):
Die mögen mit explosivem „pf“ beginnend hörbar werden und
3. mit einem horizontalen Linienelement (so z.B. der Gedankenstrich):
Dies Element möge mit einem rauen „chr“ am Anfang hörbar werden.
Auf diese Anfangskonsonanten lass immer einen Vokal folgen:
Der soll die Höhe des Zeichens auf der Schreiblinie wiedergeben,
also: „i“ für oben, „a“ für mittig und „u“ für unten.
Wie alle Lautbilder mit Konsonanten beginnen,
sollen sie auch – außer beim Gedankenstrich – mit einem Konsonanten enden,
der Einfachheit halber alle gleich mit einem „t“.
Dann wende diese Regeln zur Verlautung der stummen Zeichen an
und sieh mal, wie sie klingen:
. (Punkt)
pfut
: (Doppelpunkt)
pfat-pfut
; (Semikolon)
pfat-ßut
, (Komma)
ßut
„ (Anführungsz.)
ßut-ßut
! (Ausrufez.)
ßiat-pfut
‘ (Apostroph)
ßit
“ (Ausführungsz.)
ßit-ßit
? (Fragez.)
ßßßiat-pfut
– (Gedankenstrich)
chraaa
Zum Schluss ersetze alle 69 unhörbaren Satzzeichen in Deiner Ballade durch ihre
Lautbilder und erlebe, wie anders als von Dir gedacht sie nun erklingt.
Peter J. Reichard
« ERLKÖNIG »
Ballade mit hörbarer Interpunktion
nach Johann Wolfgang Goethe
mit Lautbildern versehen und eingerückt von Peter J. Reichard
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind ? ßßßiat-pfut
Es ist der Vater mit seinem Kind ; pfat-ßut
Er hat den Knaben wohl in dem Arm , ßut
Er fasst ihn sicher , ßut er hält ihn warm . pfut
Mein Sohn , ßut was birgst du so bang dein Gesicht ? – ßßßiat-pfut chraaa
Siehst Vater du den Erlkönig nicht ? ßßßiat-pfut
Den Erlkönig mit Kron‘ ßit und Schweif ? – ßßßiat-pfut chraaa
Mein Sohn , ßut es ist ein Nebelstreif . – pfut chraa
„ ßut-ßut Du liebes Kind , ßut komm, ßut geh mit mir ! ßiat-pfut
Gar schöne Spiele spiel‘ ßit ich mit dir ; pfat-ßut
Manch bunte Blumen sind an dem Strand ;pfat-ßut
Meine Mutter hat manch gülden Gewand . “ pfut ßit-ßit
Mein Vater , ßut mein Vater , ßut und hörest du nicht , ßut
Was Erlkönig mir leise verspricht ? – ßßßiat-pfut chraaa
Sei ruhig , ßut bleibe ruhig, ßut mein Kind ; pfat-ßut
In dürren Blättern säuselt der Wind . – pfut chraaa
„ ßut-ßut Willst , ßut feiner Knabe , ßut du mit mir gehn ? ßßßiat-pfut
Meine Töchter sollen dich warten schön ; pfat-ßut
Meine Töchter führen den nächtlichem Reihn , ßut
Und wiegen und tanzen und singen dich ein .“ pfut ßit-ßit
Mein Vater , ßut mein Vater , ßut und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter an finsterem Ort ? – ßßßiat-pfut chraaa
Mein Sohn , ßut mein Sohn , ßut ich seh es genau : pfat-pfut
Es scheinen die alten Weiden so grau . – pfut chraa
„ ßut-ßut Ich liebe dich , ßut mich reizt deine schöne Gestalt ; pfat-ßut
Und bist du nicht willig , ßut so brauch‘ ßit ich Gewalt . “ pfut ßit-ßit
Mein Vater , ßut mein Vater , ßut jetzt fasst er mich an ! ßiat-pfut
Erlkönig hat mir ein Leids getan ! – ßiat-pfut chraaa
Dem Vater grauset‘ ßit -s , ßut er reitet geschwind , ßut
Er hält in den Armen das ächzende Kind , ßut
Erreicht den Hof mit Müh und Not ; pfat-ßut
In seinen Armen das Kind war tot . pfut
Zum Anhören des
Textes anklicken: 
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http://p-j-r.de/mp3/erlkoenig-interpunktiert.mp3
Mehr als ein Scherz:
Ein kunstvolles Spiel mit Sprache – eine Sprachkomposition
Ein Nachwort von Karl Rüdiger 3
Der «Erlkönig mit hörbarer Interpunktion» ist ein lesens- und hörenswerter “Event”.
Der Einfall, Satzzeichen hörbar zu machen, ist eine wundervolle Idee.
Das ist verwandt mit dem musikalischen Verfahren der “Variation”,
also einem durchaus künstlerischen Vorgang,
bei dem der “Komponist” hier mit dem Material Sprache variierend umgeht.
Das Ergebnis wirkt auf mich daher auch weniger als heitere Verfremdung,
sondern erinnert – insbesondere im akustischen Vortrag –
an eine Veränderung von Sprache,
wie sie die Dadaisten – und da besonders Kurt Schwitters – betrieben haben.
Die Ernsthaftigkeit des Vortrags,
mit der die akustische Interpunktion vom Vortragenden in den Gesamtzusammenhang
als Teil desselben in diesen einbezogen wird,
unterstreicht die gewollte Verfremdung zu etwas Neuem in ganz besonderer Weise.
Bravo!
Diese Erlkönig-Komposition und dabei insbesondere deren Vortrag,
habe ich nicht als Karnevalsscherz wahrgenommen,
sondern als einen durchaus ernsthaften – und gelungenen – Versuch,
mit Sprache zu spielen.
Übrigens ist dieser Umgang mit Sprache als Kompositionsmaterial
eine hochinteressante Sache, die im musikalischen Bereich
die Komponisten des sogenannten Musikalischen Futurismus
in vielfältiger Weise beschäftigt hat.
Ich selbst habe einmal mit einigen Kollegen beim Komponisten Wolfgang Hufschmidt
an der Volkwang-Musikhochschulein Essen-Werden einen Fortbildungskurs absolviert,
bei dem das Komponieren mit Sprachelementen Gegenstand der Tagung war.
Wir haben damals hochinteressante und verblüffende Ergebnisse komponiert !
So holt mich die Vergangenheit wieder einmal ein – wie schön!
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Karl Rüdiger, geboren 1932, ist Musiker und Musikpädagoge und war bis zu seiner Pensionierung auch
Fachdezernent für Musik in der Schulaufsicht für Gymnasien
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