[WEISSE FLECKEN] Unsere Zeitung füllt journalistische Lücken aus der NS-Zeit Eine Zeitung von 80 Jugendlichen aus Deutschland und Polen Herausgeber ist STEP 21 – die Jugendinitiative für Toleranz und Verantwortung | www.step21.de Erinnern für die Zukunft Wie lange noch Scholl? Nach der Hinrichtung von Hans und Sophie 1943 erlebt die Familie Scholl, was Sippenhaft bedeutet. Die Ulmer Lokalzeitung beteiligt sich an der Hetze. Mehr dazu auf Seite 14 von Horst Köhler Seit zehn Jahren gedenken wir am 27. Januar in besonderer Weise der Opfer des Nationalsozialismus. Doch nicht nur mit Blick auf diesen Tag sollten wir uns immer Bundespräsident wieder fragen: Horst Köhler Was heißt ErSchirmherr STEP 21 innern heute? Wie kann es gelingen, gerade junge Menschen zur Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust zu bewegen? Wie halten wir Erinnerung wach, damit daraus Orientierung für Gegenwart und Zukunft erwächst? Das Projekt [Weiße Flecken] der Initiative STEP 21 ist ein überzeugender Beitrag für die Suche nach tragenden Formen des Erinnerns: Jugendliche aus Deutschland und Polen untersuchen die Berichterstattung in ihren Heimatzeitungen während des Nationalsozialismus. Dabei stellen sie fest, dass Vieles totgeschwiegen wurde, und so lernen sie am konkreten Beispiel, wie sehr die Medien unter den Bedingungen von Diktatur und Besatzung instrumentalisiert waren. Dass Pressefreiheit ein hohes, für die Demokratie unverzichtbares Gut ist, wird allen bewusst, die sich mit „gelenkten Medien“ auseinandersetzen. Aber dabei sind die Jugendlichen während ihrer Projektarbeit nicht stehen geblieben: Sie haben die „weißen Flecken“, die sie in den Zeitungen gefunden haben, gefüllt, haben recherchiert, mit Zeitzeugen gesprochen und eigene Artikel geschrieben. Die daraus entstandene Zeitung bringt nicht nur deutsche und polnische Geschichte(n) zusammen. Die Arbeit an diesem Projekt hat auch junge Menschen aus Deutschland und Polen einander näher gebracht. Das ist eine Form der gemeinsamen Beschäftigung mit Geschichte, die in die Zukunft weist. Ich wünsche dieser Zeitung viele interessierte Leserinnen und Leser! Am Anfang war ein weißer Fleck … von Sonja Lahnstein Im Projektleitfaden von STEP 21 steht als erster Punkt „Leitfaden durchstöbern“. Im letzten Satz heißt es „Einverständnis von Zeitzeugen für Artikel und Fotos einhoSonja Lahnstein len.“ Dazwischen Initiatorin STEP 21 liegen für die meist unerfahrenen Jungredakteure acht Monate intensiver Arbeit. Fortsetzung auf Seite 3 Januar 2006 „Völlig idiotisch und wertlos“ Als die vierjährige Irma in eine norddeutsche Psychiatrie eingewiesen wird, denkt die Familie, es würde ihr dort besser gehen … Mehr dazu auf Seite 10 Ein aufgenähtes „P“ Wer die Regeln bricht, kommt ins Lager. Über Arbeits- und Lebensbedingungen polnischer Zwangsarbeiter. Mehr dazu auf Seite 8 Synagoge in Flammen Achtung, weiße Flecken! In der Reichspogromnacht steht die Dresdner Sempersynagoge in Flammen. Die Berichte der großen Dresdner Tageszeitungen sind Paradebeispiele antisemitischer Propaganda. Mehr dazu auf Seite 26 Mit Rückspiegel nach vorne schauen Für einen Blick in die Zukunft, der das Vergangene nicht ignoriert Von Ann-Christin Heinig und Tobija Saßnik Kann man ein Auto ohne Rückspiegel fahren? Kann man in der Bundesrepublik Deutschland leben, ohne auf die NS-Geschichte zurückzuschauen? Ist der Rückblick der Mühe überhaupt wert? Muss man wissen, warum Dresden heute eine neue Synagoge hat? Muss man wissen, warum vor 70 Jahren ein 13-jähriges Mädchen in einer Hamburger Heilanstalt spurlos verschwand? Muss man wissen, wovon ein alter Kleiderbügel in Pforzheim im Stillen zeugt? Angenommen, all diese Geschichten blieben unerzählt … In den Zeitungen des „Dritten Reichs“ gab es viele weiße Flecken. Ereignisse wurden totgeschwiegen, verfälscht und propagandistisch ausgelegt. Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda sorgte dafür, dass die Presse stets ein Instrument der nationalsozialistischen Ideologie blieb. Dadurch konnte man das Volk desinformieren, manipulieren, blenden. Diese journalistischen Lücken versuchen wir nun zu füllen. Was ist damals in unseren Heimatorten geschehen? Wo finden wir noch Spuren? Wir, 15 Teams aus Polen und Deutschland, haben uns mit diesen Fragen beschäftigt und fassen unsere Ergebnisse in der vorliegenden Zeitung zusammen. Was sind die Aufgaben der Presse? Und wie steht es heute um die Pressefreiheit? Das Projekt [Weiße Flecken] brachte uns dazu, die Funktion von Medien allgemein zu hinterfragen. Was muss Presse heute eigentlich leisten? Ergänzend zu den drei Eckpfeilern des Staates wird die Presse als „vierte Gewalt“ bezeichnet. Tatsächlich erfüllt sie eine wichtige Kontrollfunktion in der modernen Gesellschaft. Die Medien sollen dem Einzelnen durch ein vielseitiges Informationsangebot politische Beteiligung ermöglichen. Doch wie verhält es sich heute mit der Pressefreiheit? Und erfüllt die Von staatlicher Seite haben die Eingriffe in journalistische Arbeit in den vergangenen Jahren zugenommen. Mit einer vermeintlichen Bedrohung der öffentlichen Sicherheit werden Durchsuchungen von Redaktions- und Privaträumen gerechtfertigt. Journalisten werden eingeschüchtert und bespitzelt, so etwa bei den vor rechte und Schutz der Privatsphäre dürfen dabei aber nicht in Vergessenheit geraten. Zugleich muss verhindert werden, dass Behörden die Arbeit der Presse behindern. Letztendlich liegt die Verantwortung immer auch bei den Lesern. Die Presse kann ein Spektrum an Meinungen vorgeben. Aber es ist an den Lesern, skeptisch zu bleiben, zu vergleichen und gegebenenfalls weiter nachzuforschen. Nur so kann man einen eigenen Standpunkt einnehmen. Das erfordert aber natürlich, den richtigen Umgang mit Medien gelernt zu haben. Die aktuelle Situation zu verstehen heißt, zu wissen, was sie bedingt. Man muss Ursachen und Hintergründe kennen, wenn man einen Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellen möchte. Nur das erlaubt einen Blick in die Zukunft. Freiheit heißt auch Verantwortung Christian und Helge im Archiv der Lüneburger Ratsbücherei. Die Recherche historischer Lokalzeitungen gehörte für alle [Weiße Flecken]-Teams zum Projekt. Foto: Bente Stachowske Presse vorbehaltlos ihren Zweck der öffentlichen Aufklärung? Oft wird der Gedanke der Aufklärung zugunsten boulevardesker Berichterstattung und Sensationshascherei ein Stück weit aufgegeben, um höhere Auflagen zu erreichen. An vielen Stellen müssen sich Journalisten ökonomischen Gesichtspunkten beugen. Und auch die zunehmende Pressekonzentration bringt Einschränkungen der Meinungsvielfalt mit sich. [Weiße Flecken] macht ein solches geschichtsbewusstes Denken in der kurzem aufgedeckten Fällen um die Spanne zwischen Erinnerung und VorÜberwachung von Journalisten durch wärtsblicken möglich. Die Beschäftiden Bundesnachrichtendienst (BND) gung mit den in Vergessenheit geratein den 1990er Jahren oder in der nen Einzelschicksalen aus der Zeit des Affäre um das Magazin Cicero im „Dritten Reichs“ eröffnet Perspektiven Herbst 2005. Die jüngsten Aktivitä- auf die Gesellschaft, in der wir heute ten staatlicher Organe lassen die Un- leben. Sie betrifft auch uns. abhängigkeitsgarantie der Presse als Der Verantwortung, die sich für uns fragwürdig erscheinen. aus der deutschen Geschichte ergibt, Freiheit heißt auch Verantwortung. können wir uns nicht entziehen. Man Berichterstattung sollte immer dem muss in den Rückspiegel schauen, um öffentlichen Interesse dienen. Grund- die Spur wechseln zu können. DAS PROJEKT | DEUTSCH-POLNISCHE SICHTWEISEN 2 [WEISSE FLECKEN] STEP 21 Das Projekt [Weiße Flecken] Die Idee Auf Initiative von STEP 21 recherchieren 15 jugendliche Teams aus Deutschland und Polen die historische Wahrheit hinter den Falschmeldungen ihrer Lokalzeitungen. Die Verbrechen in der NS-Zeit wurden in der gelenkten Presse verschwiegen oder manipuliert: Von Krakau bis Lüneburg, zwischen Dresden und Ulm war die Presselandschaft voller weißer Flecken. Mit den Erinnerungen der letzten lebenden Zeitzeugen füllen die Jugendlichen journalistische Lücken aus der NS-Zeit und halten das Gedenken an Unrecht, Verfolgung und Leid lebendig. Der Schirmherr von STEP 21, Bundespräsident Horst Köhler, und Paten aus den Bereichen Medien, Wissenschaft, Film und Musik ermöglichen, das Engagement der Jugendlichen in die Öffentlichkeit zu tragen. Hauptförderer des Projekts ist der Fonds „Erinnerung und Zukunft“. Weitere Unterstützer sind BILD hilft e.V. „Ein Herz für Kinder“, die ZEIT Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und das Deutsch-Polnische Jugendwerk. DIE ZEIT, Jugendpresse Deutschland e.V. und Groothuis, Loh- fert, Consorten, Hamburg, sind Kooperationspartner für das Projekt [Weiße Flecken]. Der Verlauf März 2005 STEP 21 ruft über ihr Lehrer- und Jugendnetzwerk, in der Presse und im Internet zur Teilnahme am Projekt [Weiße Flecken] auf. Gesucht werden Jugendteams in Deutschland und Polen mit Interesse an Journalismus und lokaler Geschichte. Juni – September 2005 In ihrer Freizeit sammeln die Teams Material zu ihrer lokalen Geschichte. Sie recherchieren in Archiven und Dokumentationsstätten, interviewen Experten und befragen Zeitzeugen nach ihren persönlichen Erinnerungen. In Newsmeldungen berichten sie über ihre Fortschritte (www.step21.de/weisseflecken). Erste Artikelentwürfe entstehen. April– Mai 2005 Mehr als 40 Bewerbungen gehen bei STEP 21 ein. Voraussetzung für eine Teilnahme: Fünf Jugendliche bilden ein Team, das ein selbst gewähltes Projektthema recherchiert und journalistisch aufbereitet. Mai 2005 15 Teams werden eingeladen, am Projekt teilzunehmen. Jedes Team bekommt einen Leitfaden mit Arbeitshilfen, Literatur- und Linktipps. Die Jugendlichen nehmen ihre Arbeit auf. Das STEP 21-Team berät von Hamburg aus und vermittelt erfahrene Coaches. nen. In Workshops arbeiten sie gemeinsam mit Journalisten und Historikern an ihrer Zeitungsseite. Besprochen wird der Umgang mit historischen Quellen. Ganz zentral ist die journalistische Aufbereitung des gesammelten Materials. Oktober–November 2005 Die Teams stellen ihre Projektseiten fertig. Sie recherchieren letzte Informationen, kürzen ihre Artikel und tragen das Bildmaterial zusammen. Auch im STEP 21-Büro wird intensiv gearbeitet: Beiträge von Paten und Unterstützern des Projekts treffen ein, so zum Beispiel von den Historikern Norbert Frei und Jerzy Jarowiecki. 12. –13. November 2005 Auf einem kleinen Redaktionstreffen schreiben vier jugendliche Redakteure den Leitartikel, Kommentare und einen Erfahrungsbericht zum Projekt für die [Weiße Flecken]-Zeitung. 9.–11. September 2005 Redaktionskonferenz: Je zwei Vertreter aller 15 Teams reisen nach Hamburg und lernen sich persönlich ken- Dezember 2005 Redaktionsschluss! Endredaktion und Layout der [Weiße Flecken]-Zeitung sind in vollem Gange. Allerletzte Korrekturen, Überschriften, Satz der Zeitungsseiten: Übersetzer, Layouter und Schlussredakteure haben alle Hände voll zu tun! Die Jugendlichen helfen beim Einholen der Bildrechte. 9. Januar 2006 Am 9. Januar 2006 geht die [Weiße Flecken]-Zeitung in Druck. 23. Januar 2006 Feierliche Abschlussveranstaltung in Berlin. Nach acht Monaten intensiver Projektarbeit stellen die 80 jungen Redakteure ihre Zeitung der Öffentlichkeit vor: STEP 21-Schirmherr, Bundespräsident Horst Köhler, ist der erste Leser der Zeitung. Moderiert von Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur DIE ZEIT, diskutieren die Jugendlichen mit dem Bundespräsidenten. Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur nehmen an der Veranstaltung teil und würdigen das Engagement der Jugendlichen. Die [Weiße Flecken]-Zeitung wird in hoher Auflage Schulen und Jugendeinrichtungen in ganz Deutschland zur Verfügung gestellt. Redaktionskonferenz in Hamburg: Milena und Asiye vom Team Pforzheim arbeiten zusammen mit Coach Sarah (Mitte) an ihrem Leitartikel. 11. 9. 2005. Foto: Frederik Röh Meine Sicht von Helge Sören Stein Frei von Barrieren Die [Weiße Flecken]-Teams aus Deutschland und Polen Meine Sicht von Katarzyna Król Bereit sein, zu verzeihen „In Deutschland Mit der NS-Vergangenheit wurde herrscht Ordnung“ ich in Deutschland kaum konfrontiert. Mir scheint, als wäre das Thema für oder „Ordnung die jungen Generationen beider Länmuss sein“. Das der doch eher abgeschlossen. ist gerade das In der polnischen Schule wird das einzige Vorurteil, das mir einfällt – Thema sehr gründlich behandelt. In eigentlich gibt es „Wissen über die Gesellschaft“, ähnin Polen nur we- lich dem deutschen Fach Sozialkunde, besprechen wir unter anderem unnige Vorurteile Katarzyna Król über Deutschland. terschiedliche totalitäre RegierungsDieses jedoch kann ich bestätigen – systeme. Außerdem besprechen wir im Geschichtsunterricht den Zweiten natürlich finde ich es positiv und denke, dass es in jedem Land Ordnung Weltkrieg sehr genau: Immerhin hatte der Zweite Weltkrieg so einen großen geben sollte. Auf meinen Reisen nach Deutsch- Einfluss auf die Weltgeschichte, dass er das ganze Jahrhundert dominiert land wurde ich immer sehr freundlich hat. Die Europäer müssen ihre Verempfangen. Die Reaktionen auf mein Herkunftsland und meine Mutterspra- gangenheit gut verstehen, damit sie sich in der Gegenwart zurechtfinden che sind positiv. Ein 40-jähriger Mann schwärmte mir gegenüber letztens, können. dass Polen ein schönes Land sei – und 1966 erschien der berühmte Brief Krakau eine wunderschöne Stadt. An- der polnischen Bischöfe an die deutdere verbinden mit Polen unberührte schen Bischöfe. Darin die bekannten Natur, nette, zuverlässige Menschen Worte: „Wir verzeihen und bitten um und gutes Essen … Verzeihung“. Diese Worte haben das Fundament zur deutsch-polnischen Versöhnung gelegt. Sie bedeuten, dass man immer bereit sein soll, einander zu verzeihen. Wir sollen einander ständig verzeihen, weil Irren menschlich ist. Derzeit stellt man sich die Frage, wie unsere künftigen Beziehungen aussehen werden. Es ist schwer, etwas zu „prophezeien“. Eins könnte man meiner Ansicht nach jedoch feststellen. Sowohl in Deutschland als auch in Polen kam es in den letzten Wochen zu einem Regierungswechsel: Das birgt Hoffnung für eine bessere Zukunft. Für diese Zukunft wünsche ich mir viel Verständnis, Einfühlungsvermögen und einen noch stärkeren Willen zur gemeinsamen Zusammenarbeit auf beiden Seiten. Wir stehen uns sowohl geographisch als auch kulturell sehr nah, und wir können aus unseren bisherigen Erfahrungen wichtige Schlussfolgerungen ziehen. Mit unserer Zusammenarbeit verbinden sich für beide Länder große Chancen. „Pass auf dich meiner Gewohnheit aus Deutschland auf, und lass dich und entgegen meiner Erwartungshalnicht von Frem- tung wirkte es während meiner Besuden ansprechen!“ che in Polen nicht so, als wäre es dort Das rieten mir ähnlich. Die blutige sechsjährige BeFreunde und Ver- satzungszeit der Deutschen wird nicht wandte vor mei- als das zentrale Thema der polnischen nem ersten Be- Geschichte gesehen, sondern als eines such in Polen, die von mehreren. zum Teil abstruse So sah ich bei meinem Besuch in Helge Sören Stein Vorurteile gegen Danzig mehr Werbung für eine Ausunseren Nachbarstaat östlich der Oder stellung über die Solidarnosc als haben. Die Klischees, die sich um den Mahnmale, Ruinen oder andere Eringrößten europäischen Ex-Ostblockstaat nerungen an die NS-Zeit. ranken, stellten sich für mich jedoch als Meinem Gefühl nach findet die ErMythen heraus: Keine Diebe, die von innerung an die NS-Zeit vor allem in hinten die Rucksäcke aufschlitzen. Kei- Jugendprojekten, Austauschprogramne Schwarzmärkte, auf denen man eine men und Kulturforen statt. Die deutRolex für zwei Euro bekommt. sche Boulevardpresse beschäftigt sich Nicht nur bezüglich der Schwarz- lieber mit der angeblichen Bedrohung märkte deckten sich meine Erfahrun- „deutscher“ Arbeitsplätze durch Polen als mit anderen Aspekten des Zusamgen nicht mit den Erwartungen. So hatte ich auch erwartet, mit der NS- menwachsens beider Länder. Projekte Zeit konfrontiert zu werden, was nicht wie [Weiße Flecken], die Jugendlichen geschah. Die meisten geschichtsbe- die Möglichkeit geben, in einen Diazogenen Gespräche, die ich auf mei- log über die gemeinsame Vergangenner Recherchefahrt der Jungen Pres- heit zu treten, tragen einen nicht unse Niedersachsen im Frühling 2005 erheblichen Teil dazu bei, dass die junmit Polen geführt habe, drehten sich – ge Generation heute als eine der ersanders als ich es von Besuchern in ten Nachkriegsgenerationen frei von Deutschland gewöhnt bin – um die so- politischen Barrieren miteinander reden kann. zialistische Vergangenheit Polens, um Und das sollte sie auch tun. Polen die Solidarnosc Revolution, nicht aber und Deutschland sind nicht wie Feuer um die NS-Besatzung. Als Deutscher setzt man sich sehr und Wasser. Darum braucht es einen Dialog, in dem frei von Nationalismus, intensiv mit der NS-Vergangenheit Schuldzuweisungen und Vorurteilen auseinander; im Geschichtsunterricht gemeinsam an einem vereinten Europa werden die Jahre zwischen 1933 und 1945 mehrfach thematisiert. Entgegen gearbeitet wird. UNSERE SEITE DREI STEP 21 Mut und andere Proben Von Giovanni di Lorenzo Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Sie haben sich mit einer Zeit befasst, die einen Tiefpunkt und Ausnahmezustand der Zivilisation markiert, menschlich wie politisch. Dabei konnten Sie eine Giovanni di Lorenzo Vorstellung davon bekommen, wie viel Mut, Anstand und Kraft der Einzelne unter dem Naziregime haben musste, um auch nur einen kleinen Akt der Verweigerung zu wagen. Heute leben wir in einem freien Land. Doch glaube niemand, dass Journalisten jetzt immer großen Mut bewiesen! Aber es gibt sie, die Mutigen, die uns Mut machen. Mutig war der ZDF- Chefredakteur Nikolaus Brender, der sich nicht einschüchtern ließ durch die testosterongesteuerten Parolen des Bundeskanzlers in der „Elefantenrunde“ am Abend der Bundestagswahl 2005. Mutig war die Journalistin Giuliana Sgrena im Irak, die auf unverfälschter Berichterstattung aus eigener Anschauung bestand und dafür mit Geiselhaft und Todesangst bezahlte – die aber auch Verantwortungsgefühl zeigte und seit ihrer Freilassung nicht mehr in den Irak gereist ist, damit sie selbst, ihre Freunde und ihr Land nicht noch einmal in die Bredouille geraten. (Welch ein Unterschied zum deutschen Entführungsopfer Susanne Osthoff!) Ich bewundere aber auch die vielen, denen es gelingt, mit einer Geschichte Mut zu beweisen, ohne dass es den meisten auffallen würde. Wenn sie nämlich auf die Schwarzweiß-Darstellung eines Ereignisses oder ei- ner Person verzichten, zugunsten einer wahrhaftigen Schilderung, obwohl das klischeehafte Bild bei den Auftraggebern und Lesern vielleicht besser ankommen würde. Solche Kollegen zeigen Mut, Vorurteile zu widerlegen – auch die eigenen. Und sie widerstehen der Versuchung, sich selbst wichtiger zu nehmen als den Gegenstand ihrer Berichterstattung. Ich wünsche mir, dass einige von Ihnen durch die Erfahrung mit STEP 21 Lust bekommen haben, den Beruf des Journalisten zu ergreifen, der immer noch einer der schönsten ist. Und vielleicht erinnern Sie sich hin und wieder daran, dass Sie einmal mutig sein wollten. [WEISSE FLECKEN] 3 Inhalt Mit Rückspiegel nach vorne schauen Leitartikel von Ann-Christin Heinig und Tobija Saßnik ............... 1 Erinnern für die Zukunft von Bundespräsident Horst Köhler........................................... 1 Am Anfang war ein weißer Fleck … von Sonja Lahnstein............................................................... 1 Idee und Verlauf des Projekts [Weiße Flecken] mit Landkarte von Deutschland und Polen ............................... 2 Deutsch-polnische Sichtweisen von Katarzyna Król / Helge Sören Stein ..................................... 2 Unsere Seite Drei Mut und andere Proben von Giovanni di Lorenzo ......................................................... 3 Ein Zeichen für die Zukunft von Franka Kühn (Fonds „Erinnerung und Zukunft“) ................. 3 Hintergrund Journalismus im Dritten Reich von Norbert Frei .................................................................... 4 Presse im besetzten Polen 1939 –1945 von Jerzy Jarowiecki............................................................... 4 Die [Weiße Flecken]-Teams und ihre Themen Am Anfang war ein weißer Fleck … Fortsetzung von Seite 1 Für sie selbst war es, wie sie sagen, ein Abenteuer: Für einen kurzen Augenblick Journalist zu sein. Aufzudecken, was in ihrer Heimatgegend während der NS-Zeit geschah und wie es in der damaligen gelenkten Presse verschleiert wurde. Als kritische Leser haben sie historische Lokalzeitungen untersucht. Als Forscher und Reporter haben sie Quellen zusammengetragen und ausgewertet. Eine Reise ins Unbekannte. Auch für mich war es ein Abenteuer zu sehen, wie sich die Zeitung langsam füllte. Wie sich die Geschichten entwickelten. Wie die Menschen, um die es ging, ein Gesicht bekamen. Wie leidenschaftlich und beharrlich, berührt und Impressum [Weiße Flecken] Unsere Zeitung füllt journalistische Lücken aus der NS-Zeit Herausgeber STEP 21 – Jugend fordert! gGmbH V. i. S. d. P Sonja Lahnstein Projektleitung Helga Stieff Textredaktion 80 Jugendredakteure Redaktion Rahmentexte Kirsten Pörschke Endredaktion Kirsten Pörschke, Tim Schmalfeldt, Johanna Drescher, Helga Stieff, Agata Frank, Peer Junker Fotoredaktion Peer Junker, Tim Schmalfeldt Übersetzungen Agnieszka Grzybkowska, Imke Hansen Gestaltung und Herstellung Kathleen Bernsdorf, Beate Mössner Reproduktion frische grafik, Hamburg Druck v. Stern’sche Druckerei Lüneburg Kontakt zur Redaktion Tel 0 40.37 85 96-12 Fax 0 40.37 85 96-13 [email protected] Postanschrift STEP 21 die Jugendinitiative für Toleranz und Verantwortung – Jugend fordert! gGmbH Stubbenhuk 3 20459 Hamburg Auflage 30.000 Titelbild: „Heimabend“ der Hitlerjugend. Gemeinsame Lektüre von NS-Zeitungen. Vermutlich August 1937. Foto: Wolff & Tritschler / Ullsteinbild pragmatisch die Teams immer tiefer ins Projekt eingestiegen sind. Wie sehr sie um ihre Beiträge kämpften. Den Blick in die Zukunft gerichtet, erinnern die jungen Journalisten an lokale Vergangenheit im „Dritten Reich“: Pogrome, Widerständler, das Arbeitslager vor der Haustür. Die Erinnerungen der Zeitzeugen, die Bilder und Fakten über geschehenes Unrecht im nächsten Umfeld rücken das Vergangene eindringlich in die Gegenwart der jungen Autoren. Ihre Verantwortung liegt darin, die Geschichte zu kennen, sie zu verstehen und als Erfahrung für ihre Gegenwart und Zukunft zu nutzen – nicht, sich ihrer zu schämen oder persönlich schuldig zu fühlen. Die Jugendlichen beweisen mit [Weiße Flecken], dass sie diese Aufgabe und Chance annehmen. Zusammen mit jungen Menschen engagiert sich STEP 21 für Toleranz, Zivilcourage und Verantwortung. Meine feste Überzeugung ist, dass Jugendliche nicht die passiven, ziellosen Egoisten sind, als die sie manch bequemer Analyst gesellschaftlicher Probleme gerne beschreibt. Bei STEP 21 ist dies eindrucksvoll bewiesen: Tausendfach haben junge Menschen gezeigt, wie mit Ideen, Engagement und Spaß eindrucksvolle Projekte entstehen. Die Deutschen haben besonderen Grund, sich immer wieder mit ihrer Geschichte zu beschäftigen und daraus für die Zukunft zu lernen. Wer könnte uns dabei besser helfen als die Jugendlichen, die hinter der [Weiße Flecken]-Zeitung stecken. Sie wissen, dass Pressefreiheit auch heutzutage nicht selbstverständlich ist, sondern immer aufs Neue erstritten und verteidigt werden muss. Und sie wissen, wie unentbehrlich verantwortlicher Journalismus für eine demokratische Öffentlichkeit ist. Ich danke allen, die dieses Projekt möglich gemacht haben, vor allem dem Fonds „Erinnerung und Zukunft“ und den Jugendlichen. Ich wünsche der Zeitung viele neugierige, aufmerksame und kritische Leser. „Arisierung“ Pforzheim............................................................ 7 Zwangsarbeit Lubin (pol./dt.) .................................................. 8 / 9 Euthanasie Lüneburg.............................................................. 10 / 11 Pfadfinderbewegung und Untergrundpresse Krakau (pol./dt.) ........ 12 / 13 Familie Scholl Ulm ................................................................ 14 / 15 Die „Rote Kapelle“ Potsdam .................................................... 16 /17 Das Schicksal der Clara Rosenthal Jena..................................... 18 Das Schicksal des Josef W. Ulm ............................................... 19 Partisanen Cie˛żkowice (pol./dt.) .............................................. 20 / 21 Lager Rollwald Seligenstadt .................................................... 22/23 Hitlerjugend Soest ................................................................. 24 Zwangsarbeit Bad Zwischenahn............................................... 25 Zerstörung der Semper-Synagoge Dresden ................................. 26 / 27 Vermischtes Die [Weiße Flecken]-Paten ....................................................... 4/15/23 Die [Weiße Flecken]-Coaches ................................................... 11/28 Förderer und Kooperationspartner .............................................. 15 In die Geschichte eingetaucht von Sina Zimmermann ........................................................... 27 Guten Tag, Herr Nachbar von Markus Deggerich ............................................................ 28 Dank an Zeitzeugen und Unterstützer.......................................... 28 Ein Zeichen für die Zukunft Von Franka Kühn Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ wurde vor fünf Jahren gegründet. Die Stifter – die Bundesrepublik und die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft – waren sich darüber einig, dass sich mit Geld nicht die schweren Schicksale derer „wiedergutmachen“ lassen, die im Zweiten Weltkrieg unter den Nationalsozialisten Zwangsarbeit leisten mussten. Insgesamt wurden etwa zwölf Millionen Menschen aus ganz Europa nach Deutschland deportiert und dort zur Arbeit gezwungen. Sie erhielten nach dem Krieg keine Entschädigung. In Deutschland galt Zwangsarbeit noch bis Ende der achtziger Jahre als „kriegsbedingte Maßnahme“, nicht aber als anerkanntes nationalsozialistisches Unrecht. Auch hinter dem „Eisernen Vorhang“, in Osteuropa, interessierte das Schicksal der „Ostarbeiter“ kaum. Vor allem in der Sowjetunion wurden die zur Arbeit nach Deutschland Deportierten, die nach dem Krieg wieder nach Hause kamen, oft als „Vaterlandsverräter“ beschimpft. Nicht wenige wurden für Jahre zu weiterer Zwangsarbeit in den GULAGS verurteilt. Eine breite Debatte über die ver- Enteignung der Tietz AG Oberhausen......................................... 5 Hitler-Attentäter Georg Elser Aalen............................................ 6 gessenen Opfer begann erst mit der politischen Wende nach 1989. Politiker, deutsche Unternehmer und einzelne Personen setzen sich für eine Entschädigung der Opfer ein. 1999 erklärte der frühere Bundespräsident Johannes Rau: „Ich weiß, dass für viele gar nicht das Geld entscheidend ist. Sie wollen, dass ihr Leid als Leid anerkannt und das Unrecht, das ihnen angetan worden ist, Unrecht genannt wird.“ Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ hat ihre Aufgabe inzwischen weitgehend abgeschlossen: 1,6 Millionen Menschen aus über 100 Ländern erhielten Leistungen zwischen 2.500 und 7.500 Euro, je nach Schwere ihres Schicksals. Mit der Gründung der Stiftung wurde auch ein Zeichen für die Zukunft gesetzt. Dafür wurde der Fonds „Erinnerung und Zukunft“ eingerichtet. Seine dauerhafte Aufgabe ist es, Brücken nach Osteuropa zu bauen. Gefördert werden internationale Projekte zur Stärkung von Demokratie, Menschenrechten, Völkerverständigung und bürgerschaftlichem Engagement. Dafür stehen jährlich rund sieben Millionen Euro zur Verfügung. Der Fonds „Erinnerung und Zukunft“ Nach Abschluss der Auszahlungen humanitärer Leistungen durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ an ehemalige Zwangsarbeiter und andere NSOpfer bleibt der Fonds „Erinnerung und Zukunft“ als Förderstiftung auf Dauer tätig. Sein gesetzlicher Auftrag besteht darin, Projekte zu fördern, die der Völkerverständigung, den Interessen von Überlebenden des nationalsozialistischen Regimes, dem Jugendaustausch, der sozialen Gerechtigkeit, der Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Systeme und Gewaltherrschaft sowie der internationalen Zusammenarbeit auf humanitärem Gebiet dienen. Seit Aufnahme der Fördertätigkeit im April 2002 unterstützt der Fonds vornehmlich internationale Bildungsprojekte, humanitäre Initiativen und Stipendienprogramme. 358 Millionen Euro des Stiftungsvermögens sind in Form einer Kapitalstiftung für den Fonds „Erinnerung und Zukunft“ bestimmt. Aus den Erträgen von jährlich rund sieben Millionen Euro fördert der Fonds vorrangig internationale Programme und Projekte, die Brücken nach Mittel- und Osteuropa, Israel und in die USA bauen. Seit Bestehen des Fonds wurden über 600 Projekte mit einem Fördervolumen von über 24 Millionen Euro unterstützt. Der Fonds fördert Initiativen, die sich für eine friedliche und demokratische Zukunft einsetzen. Viele der Projekte beziehen junge Menschen ein, die diese Zukunft maßgeblich mitgestalten wollen. Das Projekt [Weiße Flecken] wird von einer solchen Initiative, von STEP 21, engagiert durchgeführt. Junge polnische und deutsche Redakteure lernten unter Anleitung von erfahrenen Journalisten historische Dokumente zu interpretieren, sich über verschiedene Erfahrungen und Sichtweisen des Nachbarlandes auszutauschen. Gemeinsam gingen sie den Folgen der Unterdrückung der Pressefreiheit und der politischen Manipulation von Medien nach. Aus den journalistischen Forschungsreisen der Jugendlichen ist eine eindrucksvolle Zeitung entstanden, die hoffentlich zahlreiche und aufmerksame Leser findet. Fonds „Erinnerung und Zukunft“ Markgrafenstr. 12–14 10969 Berlin Telefon +49.30.25 92 97 80 Telefax +49.30.25 92 97 42 E-Mail [email protected] www.zukunftsfonds.de HINTERGRUND | NS-PRESSEPOLITIK 4 [WEISSE FLECKEN] STEP 21 Mit „Papierkugeln“ zum Sieg? – Journalismus im Dritten Reich Von Norbert Frei Während seiner 12-jährigen Herrschaft beansprucht das NS-Regime die totale Kontrolle der öffentlichen Meinung. Raum für unangepasste Berichterstattung gibt es kaum. Doch das Ziel eines perfekten Kommunikationssystems erreichen die Nationalsozialisten nicht. „Was durch Papierkugeln zu gewinnen ist, braucht dereinst nicht durch stählerne gewonnen zu werden.“ (Adolf Hitler 1922). Schon während der Weimarer Republik ist Hitlers NSDAP im Kern eine Propagandabewegung. Mit gnadenlosen Kampagnen führt Joseph Goebbels vor, dass man Ereignisse mittels Medien machen kann. Wo NS-Aktivisten auf „bürgerliche Blätter“ keinen Einfluss gewinnen können, geben sie selbst Zeitungen heraus, um ihre braune Botschaft ans Volk zu bringen. Nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 nimmt die propagandistische und medienpolitische Aktivität der NSDAP bis dahin unerreichte Ausmaße und neue institutionelle Formen an. Goebbels übernimmt im März das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Ziel der Nationalsozialisten ist die Monopolisierung und totalitäre Beherrschung der öffentlichen Kommunikation. Die Wege dahin sind vielfältig: Zensur und Repression, ökonomische Konzentration und strukturelle Modernisierung, aber auch die Ermunterung karrierebewusster Parteigänger, journalistisch tätig zu werden. Linke Publizistik wird ausgeschaltet, „bürgerliche“ kommt an die Kandare Gegenüber der linken Publizistik bedeutet NS-Medienpolitik im wesentlichen Ausschaltung. Kommunistische und sozialdemokratische Zeitungen werden pauschal verboten. Überall im Reich schicken NS-Funktionäre ih- Joseph Goebbels während einer Rede als Gauleiter in Berlin, vermutlich 1931. Im März 1933 übernimmt Goebbels das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Foto: akg-images re SA aus, die die häufig gut ausgestat- in großen Teilen der deutschen Gesellteten Druck- und Verlagshäuser beset- schaft zu beobachten ist. zen. Es wird randaliert und beschlagnahmt, aufgelöst und verschleudert. Die Redakteure – wenn sie nicht be- „ … wie Sie das am reits nach dem Reichstagsbrand untergetaucht oder geflohen sind – kommen zweckmäßigsten dem in Schutzhaft. Nach Monaten, manch- Volk klar machen …“ mal auch Jahren in Konzentrationslagern ist eine Rückkehr in den Beruf für sie so gut wie unmöglich. Zügig zimmern die NationalsozialisWeniger dramatisch entwickelt sich ten Strukturen und Gesetze für eine die Situation der so genannten bürger- systematische Personalkontrolle. Das lichen Journalisten. Die neuen Macht- Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 haber wissen, dass sie sich dem Bür- reglementiert die Zulassung zu den vorgertum gegenüber ein so rabiates Vor- her völlig freien Presseberufen. Schriftgehen wie gegenüber der Linken nicht leiter kann nur noch werden, wer nacherlauben können. Irgendjemand muss weislich deutscher Reichsangehöriger, schließlich die Zeitungen machen. Au- „arischer“ Abstammung und nicht jüßerdem ist die deutsche Gesellschaft disch verheiratet ist. Journalisten steanfangs noch nicht hinreichend nati- hen nun ganz in der Pflicht des Staates. onalsozialistisch durchdrungen – und Spezielle Berufsgerichte tragen zu ihrer genau daran soll die bürgerliche Pres- politischen Einschüchterung bei. se mitwirken. Wichtigstes und effektivstes InstruAus NS-Sicht macht sich die Taktik ment der Vorzensur ist die Reichspresbezahlt: Die Verleger- und Journalis- sekonferenz in Berlin. Täglich kurz tenverbände fügen sich in ihre „Gleich- nach Mittag erfahren Journalisten hier, schaltung“. Zum Teil irritiert und einge- ob und wie bestimmte Themen in den schüchtert angesichts der brutalen Zer- Zeitungen behandelt werden sollen. schlagung der linken Presse, zum Teil „Selbstverständlich sollen Sie hier Informationen bekommen“, so Goebbels angetan vom neuen Regime, entsteht so jene charakteristische Mischung am 15. März 1933, im Hochmut seiner aus Selbstanpassung und erzwungener neuen Macht als Minister, zu den versammelten Journalisten, „aber auch Umstellung, die im Frühsommer 1933 Instruktionen. Sie sollen nicht nur wissen, was geschieht, sondern auch wissen, wie die Regierung darüber denkt und wie Sie das am zweckmäßigsten dem Volk klar machen können.“ Wenngleich nicht im Kommandoton formuliert, handelt es sich bei den Presseanweisungen um Befehle – das ist allen Beteiligten klar. Je nach Bedarf werden die Journalisten gescholten oder demonstrativ gelobt: Ein Zickzackkurs zwischen Zuckerbrot und Peitsche. DNB = „Darf nichts bringen“ Weil die meisten deutschen Zeitungen keinen Korrespondenten in Berlin besitzen, spielen die Nachrichtenagenturen bei der inhaltlichen Steuerung der Presse eine entscheidende Rolle. Die Meldungen des staatlichen Deutschen Nachrichtenbüros (DNB) geben die Richtung vor – im Volksmund steht das Kürzel bald für „Darf Nichts Bringen“. Zur Lenkung und Kontrolle der Provinzzeitungen lässt Goebbels seit Sommer 1933 außerdem Landesstellen seines Ministeriums einrichten, die später zu Reichspropagandaämtern aufgeblasen werden. Trotz Goebbels’ unablässigem Kampf für eine vollständige Zentralisierung und Monopolisierung der Presselenkung bleibt diese Stückwerk. Organisatorische Schwierigkeiten, machtpolitische Rivalitäten und strukturell bedingte Probleme häufen sich; Pannen und Widersprüche – bei 80.000 bis 100.000 Anweisungen, die im Laufe der Jahre ausgegeben werden, kein Wunder – führen dazu, dass die indoktrinatorische Wirksamkeit der Massenmedien auch weiterhin Grenzen findet. sich – trotz des Siegeszuges des Radios – um die Massenwirkung seiner Propaganda. Deshalb bemüht er sich um ein lebhafteres Erscheinungsbild der Zeitungen. All seine Versuche, der Gleichförmigkeit der Presse entgegenzuwirken, scheitern jedoch am unaufgebbaren Anspruch auf totalitäre Kontrolle der öffentlichen Kommunikation. Auch wenn von unterschiedlichen Zeitungen durchaus ein unterschiedliches Maß an Anpassung verlangt wird: Welcher Journalist sollte sich durch die vagen Versprechungen Goebbels’, auch kritische Beiträge zuzulassen, ermutigt fühlen, bewusst ein Risiko einzugehen? Wirtschaftlich begründete Stilllegungen lichten in den letzten Kriegsjahren die deutsche Presselandschaft weiter. Von den am Ende verbliebenen rund 1.000 Zeitungstiteln hält die NSDAP einen Marktanteil von über 80 Prozent und verfügt damit über den größten Pressekonzern der Welt. Prof. Dr. Norbert Frei [Weiße Flecken]-Pate Lehrstuhlinhaber für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zeitungskrise Norbert Frei / Johannes Schmitz: Schon bald ist von einer Zeitungskrise die Rede. Die Zeitungen werden zunehmend eintöniger. Die Gesamtauflage sinkt und sinkt. Goebbels sorgt Journalismus im Dritten Reich 3. überarb. Auflage; Beck, 1999 „Das ganze System der Nachrichtenverbreitung muss zerschmettert werden …“ NS-Pressepolitik im besetzten Polen 1939 bis 1945 Von Jerzy Jarowiecki 1939, nach der Besetzung Polens durch die nationalsozialistischen Truppen, betrieb das Reichspropagandaministerium aktiv die Liquidierung des polnischen Informationssystems. Die Führer des „Dritten Reichs“ teilten Polen in das Gebiet, das dem Deutschen Reich angeschlossen wurde und das so genannte Generalgouvernement (Karte auf Seite 28). In den eingegliederten Gebieten wurde bereits im September 1939 die Produktion und Verbreitung polnischer Presse „bis auf Widerruf“ verboten. An ihrer Stelle begann man, deutschsprachige Presse herauszugeben. Dabei nutzte man die Infrastruktur des polnischen Vorkriegsverlagswesens und die Zeitungen nationaler Minderheiten. Ein System der Presseverwaltung entstand, das den gleichen Prinzipien folgte wie das des „Dritten Reichs“, und das sich an den Bedürfnissen nationalsozialistischer Politik orientierte. Zum Hauptorgan des Gauleiters Arthur Greiser wurde der Ostdeutsche Beobachter. In der ersten Ausgabe verkündete Greiser, der Ostdeutsche Beobachter sei ein „publizistischer Kämpfer im Osten des Dritten Reiches, eine mächtige Bastion des Deutschtums und Träger der Idee von der Schaffung eines neuen Bezirks Wartheland“. Einen ähnlichen Charakter sollte die deutsche Tageszeitung in Lodz haben. Sie sollte nicht nur informieren, sondern „den Deutschen im Wartheland als heimatliche Zeitung dienen und die Rolle einer Festung des Nationalsozialismus im alten deutschen Kulturgebiet spielen“. Im Generalgouvernement, das am 12. Oktober 1939 als kolonialer Anbau des „Dritten Reichs“ mit dem Status eines so genannten Nebenlandes geschaffen wurde, liquidierte man ebenfalls die bisherigen polnischen Presse- und Verlagsinstitutionen sowie das Radio. Presse im Dienst der deutschen Besatzer Der zum Generalgouverneur berufene Hans Frank formulierte auf einer Konferenz am 31. Oktober 1939 in Lodz die Grundlagen seiner Politik: „Den Polen dürfen nur solche Bildungsmöglichkeiten bleiben, die ihnen die Hoffnungslosigkeit ihres völkischen Schicksals zeigen. Es kommen daher höchstens schlechte Filme oder solche, die die Größe und Stärke des Deutschen Reiches vor Augen führen, in Frage. Es wird notwendig, dass große Lautsprecheranlagen einen gewissen Nachrichtendienst für Polen vermitteln.“ Auf der gleichen Konferenz befahl Goebbels, das gesamte polnische Informationssystem zu liquidieren. Frank notierte dazu: „Reichsminister Dr. Goebbels führte aus, dass das gesamte Nachrichtenvermittlungwesen der Polen zerschlagen werden müsse. Die Polen dürften keine Rundfunkapparate und nur reine Nachrichtenzeitungen, keinesfalls eine Meinungspresse behalten. Grundsätzlich dürften sie auch keine Theater, Kinos und Kabaretts bekommen, damit ihnen nicht immer wieder vor Augen geführt werden würde, was ihnen verloren gegangen sei.“ Geleitet wurde die Propagandaarbeit im Generalgouvernement von der Abteilung für Volksbildung und Propaganda. Wollte man die Presse zunächst zur öffentlichen Bekanntmachung von Anordnungen der deutschen Machthaber nutzen und die polnische Bevölkerung nur mit den nötigsten Informationen versorgen, ging man Anfang 1940 dazu über, die Presse bewusst als Lenkungsorgan im Dienste der Deutschen einzusetzen. Diese Aufgabe sollte der im Dezember 1939 von Hans Frank gegründete Pressekonzern „Zeitungsverlag Krakau-Warschau GmbH“ erfüllen. In den Jahren 1939 bis 1945 gab der Verlag mehr als 50 Titel heraus, die von den polnischen Adressaten „Hetzblätter“ genannt wurden. Unter ihnen acht Tageszeitungen, vier Monatsschriften – von Wissenschaftlern quasi-kulturelle Zeitschriften genannt – sowie mehr als 30 Titel so genannter berufsbezogener Zeitschriften, die in unterschiedlichen Abständen erschienen. Hetzpublizistik Die Hetzpublizistik bemühte sich, die polnische Gesellschaft davon zu überzeugen, dass das Resultat der Septemberniederlage nicht rückgängig zu ma- chen sei. Dass es notwendig sei, sich der Realität zu fügen und sämtliche Unabhängigkeitsbestrebungen aufzugeben. Gleichzeitig machte die Presse England und die übrigen westlichen Alliierten für die Situation Polens verantwortlich. Eine ganze Serie von Artikeln versuchte, das aggressive Verhalten der Deutschen rein zu waschen und warf Polen vor, an seinem Unglück selbst Schuld zu sein. Man versuchte, der polnischen Gesellschaft das Fehlen von Regierungsfähigkeit und politischer Selbstständigkeit einzureden. Der Goniec Krakowski schrieb aggressiv, „die Enstehung Polens in Versailles war ein Verbrechen gegenüber der ganzen Welt.“ Man lobte die „Zucht und Ordnung“, die „Klugheit“ der deutschen Verwaltung und versuchte, die Leser davon zu überzeugen, dass ein erheblicher Teil der Polen den Besatzern wohlwollend gegenüber steht und sie als Wächter der Ordnung anerkennt. Nach Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges wendete sich die Pressepolitik gegen die UdSSR und rief die Polen zum Kampf gegen die „Barbarei des Ostens“ auf. Auch antisemitische Propaganda wurde verbreitet: ein Zerrbild von Juden als Bolschewisten, Plutokraten und Finanzmagnaten. Die Bevölkerung Polens war gegenüber der deutschen polnischsprachigen Presse negativ eingestellt. Trotz wiederholter Boykottaufrufe aus der Widerstandsbewegung wurden die Zeitungen aber in verschiedenen Milieus gelesen. Gleichzeitig verlangte das polnische Volk jedoch nach konspirativer Presse, die der polnische Widerstand an Stelle der von den Besatzern liquidierten veröffentlichte. Zwischen 1939 und 1945 gab es im besetzten Polen nahezu 2.000 Untergrundzeitungen. Verschiedene politische, militärische und kulturelle Gruppen sowie konspirierende Jugendliche gaben sie heraus. Diese Presse informierte zuverlässig über die militärische und politische Situation. Außerdem kämpfte sie gegen die Nazipropaganda an. Die deutschen Besatzer bemühten sich, die Untergrundpresse zu zerschlagen, indem sie nicht nur Redakteure und Herausgeber, sondern auch Verbreiter und Leser zu Gefängnis- und Todesstrafen verurteilten. Prof. Dr. Jerzy Jarowiecki [Weiße Flecken]-Pate Literaturwissenschaftler und Historiker an der Pädagogischen Akademie Krakau. STEP 21 ENTEIGNUNG DER TIETZ AG | OBERHAUSEN [WEISSE FLECKEN] 5 Boykott und Enteignung in Oberhausen: Das Kaufhaus Tietz „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ – unter dieser Parole begann am 1. April 1933 ein Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte. Deutsche Juden sollten aus dem Wirtschaftsleben vertrieben werden, letztlich auch aus dem Land. Aber schon vorher haben Nationalsozialisten Geschäfte von Juden überfallen. So Anfang März die Oberhausener Filiale der Kaufhauskette Leonhard Tietz. Oberhausen, 8. März 1933: Eine Gruppe SA-Männer stürmt in das Kaufhaus Tietz in der Langemarckstraße 19–21. Die Männer marschieren durch die Verkaufsräume in die Büros, wo sie sich breitbeinig vor dem Filialleiter aufbauen und ihn unmissverständlich auffordern, das Geschäft auf der Stelle zu schließen. An die Schaufensterscheiben kleben die SA-Männer großformatige Plakate: „Deutsche kauft bei Deutschen“. Zwar darf das Kaufhaus zwei Tage später wieder geöffnet werden. Jedoch nur vorläufig. Der 8. März 1933 ist der Anfang des gewaltsamen Endes des Familienunternehmens Tietz. Denn schon am 1. April startet ein landesweiter Boykott aller jüdischen Geschäftsleute, geplant von der SA und anderen nationalsozialistischen Organisationen. Niemand soll mehr bei Juden einkaufen. Die Unternehmer müssen um ihre Existenz, ihre Gesundheit und ihr Leben bangen. die Dresdener Bank und die Deutsche Bank verkaufen. Die neuen Eigentümer geben dem Unternehmen am 11. Juli 1933 den Namen: „Westdeutsche Kaufhof AG“. Erst am 30. Juli 1933 lesen die Oberhausener davon in ihrer Zeitung. Eine Annonce in der Ruhrwacht verkündet die Umbenennung. Darin heißt es, die Besitzverhältnisse und die Führung der Tietz AG hätten sich grundlegend geändert. Dahinter und hinter den so genannten „Maßnahmen“ zur Hinter der Umbenennung „Angleichung der Betriebsführung an verbirgt sich die die Grundsätze nationaler Wirtschaftsführung“ steht jedoch die Geschichte gewaltsame Enteignung einer gewaltsamen Enteignung und der Entlassung der 1.500 jüdischen Angestellten. Doch dieses Mal ist die Familie Tietz gewarnt und verlässt um den 25. März 1936 wird in den Werbeanzeigen der 1933 herum Deutschland. Während sie Kaufhof AG auch der Zusatz „vormals bei Freunden in Amsterdam unterge- Leonhard Tietz AG“ gestrichen. Damit bracht ist, treten am 3. April die jüdi- verschwindet der letzte Hinweis auf die schen Aufsichtsratsmitglieder der 1928 von Alfred Leonhard Tietz in der Tietz AG zurück. Kurz darauf muss Oberhausener Langemarckstraße eröffsie ihre Aktien an die Commerzbank, nete Filiale. Noch ein paar Wochen nach der Enteignung dürfen Werbeanzeigen unter dem alten Namen Tietz geschaltet werden. Ruhrwacht, 31. 7. 1933 Über diese Annonce erfahren die Oberhausener vom „Besitzerwechsel“ der Leonhard Tietz AG. Ruhrwacht, 30. 7. 1933 Kommentar Für eine sichtbare Erinnerung Sommerschlussverkauf beim Kaufhof in Oberhausen, o. J. Bis zum Sommer 1933 stand in großen Lettern Tietz auf dem Hausdach. Foto: Stadt Oberhausen Die Leonhard Tietz AG Sein erstes kleines Textilgeschäft eröffnete Leonhard Tietz 1889 in Stralsund. Es folgten weitere Läden, später auch in Holland und Belgien. Tietz baute ein Filialsystem auf. Die erste Rolltreppe Deutschlands machte sein Kölner Haupthaus zum Konsumparadies. Tietz bot seinen Kunden – ungewohnt zu jener Zeit – Festpreise, Barzahlung und eine Umtauschgarantie an. In den Genuss dieser neuen Kaufqualität kamen auch die Oberhausener, wo Alfred Leonhard Tietz, Sohn des 1914 verstorbenen Firmengründers, 1928 eine Filiale in der Langemarckstraße eröffnete. 1933 enteigneten die Nationalsozialisten die jüdische Warenhauskette. „ “ Da kauft kein Deutscher ein Seit unseren Recherchen zur Enteignung des Kaufhauses Tietz in Oberhausen sehen wir im heutigen BertBrecht-Haus mehr als nur den Standort für die Volkshochschule und die Stadtbücherei. Das Gebäude hat als eins von fünf Warenhäusern der ehemaligen Leonhard Tietz AG den Zweiten Weltkrieg überstanden – 35 andere wurden zerstört. Heute erklärt die unscheinbare Gedenktafel die tragische Geschichte des Hauses nur wenig und wird zudem oft übersehen. Einerseits ist nachvollziehbar, dass dieses Gebäude, in dem von 1926 bis zu ihrer Auflösung 1934 so- wie von 1949 bis 1967 die Ruhrwacht gedruckt wurde, seit 1984 den Namen Bert Brecht trägt. Andererseits wäre es wünschenswert, dem Haus als Ort der Erinnerung an die frühere traurige Zeit den Namen des Mannes zu geben, der 1933 von den Nationalsozialisten enteignet wurde, weil er Jude war: Leonhard Tietz. Da in Oberhausen überlegt wird, die Langemarckstraße, an der das Kaufhaus Tietz stand, umzubenennen, können wir uns den Namen „Leonhard-Tietz-Staße“ gut vorstellen: Dieser Name könnte auf die damalige Situation hinweisen und diesen weißen Fleck in der Oberhausener Geschichte überschreiben. Team Die Aufklärerinnen aus Oberhausen Eine ehemalige Verkäuferin erinnert sich an den Boykott jüdischer Warenhäuser 1933 S: Frau Müller *, Sie sind heute 89 Jahre alt. 1930 haben Sie Ihre Lehre als Verkäuferin in der Oberhausener Filiale des Kaufhaus Tietz begonnen und zehn Jahre dort gearbeitet. Frau M.: Ja, am 31. März 1930 habe ich die Schule verlassen und sofort am 1. April die Lehre begonnen. Damals war ich gerade 14 Jahre alt. Da ich mir die Abteilung aussuchen konnte, habe ich in der Handarbeitsabteilung angefangen und gelegentlich noch in der Unterwäscheabteilung gearbeitet. 1933 hatten Sie Ihre Lehre beendet und wurden als Verkäuferin übernommen. Bemerkten Sie Veränderungen im Kaufhaus? (stockt) Ja, das war eine komische Zeit. Wir bekamen mit, dass eine jüdische Verkäuferin aus unserer Abteilung in eine andere Filiale wechselte. In unserer Abteilung hatten wir nach meiner Lehre zu viel Personal. Es tat uns leid, dass sie gehen musste, denn wir haben gut zusammengearbeitet. Es gab eine gute Kameradschaft unter uns, im Geschäft haben wir aber nicht darüber geredet und auch nicht arisch, also nicht-jüdisch, waren. Alle darüber nachgedacht, weil wir viel ar- mussten dann in der Partei sein. Wir beiten mussten. Wir einfachen Verkäufe- haben nichts von Entlassungen mitberinnen haben zwar mit unseren Vorge- kommen, wir haben gedacht, sie hasetzten gesprochen, doch es war alles ben sich selbst eine andere Arbeitsdistanziert. Die Zeiten waren damals stelle gesucht. anders als heute. Die meisten unserer 1935 hat meine Schwester im KaufVorgesetzten waren Juden, und alle wa- hof angefangen, eingestellt wurde sie ren freundlich zu uns. von Herrn Coeppicus, dem neuen GeHaben noch mehr Angestellte das schäftsführer, der vorher Abteilungsleiter der Herrenkonfektion war. Kaufhaus verlassen? Ja, alle jüdischen Vorgesetzten waren Können Sie sich noch an den Boykott weg, die meisten bis zum Jahresen- gegen das Kaufhaus im März 1933 erde, die allerletzten Anfang 1934. Mich innern? hatte zum Beispiel der jüdische Perso- SA-Männer standen einige Tage vor nalleiter Herr Dr. Fleck eingestellt. An- dem Eingang und sprachen Passanten fang 1933 haben wir in der Berufs- an: „Das ist ein jüdisches Geschäft. Da schule von unserem Lehrer erfahren, kauft kein Deutscher ein“. Sie forderdass ein anderes Kaufhaus in Ober- ten die Leute auf, weg zu gehen. Und hausen mit dem Kaufhaus Tietz kon- tatsächlich kamen anfangs weniger kurrieren würde. Der Besitzer sei ein Kunden, und der Verkauf ließ nach. Christ, Herr Magis. Wir, und damit Wir haben in der ersten Etage gearbeimeinte er das Kaufhaus Tietz, wären tet und nicht viel von dem Boykott mitdann weg. Später wurde das Kaufhaus bekommen. Es war einfach keine schöne Zeit. Tietz tatsächlich zum Kaufhof. Nach und nach gab es neue Abteilungsleiter und Geschäftsführer, die * Name von der Redaktion geändert Jil Flesch (16), Tanja Schulting (15), Sabrina Hartmann (16), Carina Schulzke (16) und Jana Cremer-Joppien (15) (v. l.) Wir sind Carina, Jana, Sabrina, Tanja und Jil. Wir gehen in die zehnte Klasse der Oberhausener Gesamtschule Weierheide. Um die Hintergründe herauszufinden, die 1933 zur Enteignung des Kaufhauses Tietz geführt haben, haben wir Zeitzeugen über die örtliche Presse gesucht und verschiedene Personen befragt, die sich bei uns gemeldet haben. Außerdem haben wir in den regionalen Medien, im Stadtarchiv und in der Geschichtswerkstatt etwas über die Umstände dieser Zeit erfahren. Wir haben einen anderen Einblick in die Geschichte unserer Stadt bekommen und gelernt, im Team zu arbeiten, Quellentexte zu lesen und Texte zu verfassen. 6 [WEISSE FLECKEN] HITLER-ATTENTÄTER GEORG ELSER | AALEN Allein gegen Hitler – Wie der Königsbronner Georg Elser sich gegen den Krieg stemmte Am 8. November 1939 versuchte der Schreiner Georg Elser aus Königsbronn, Adolf Hitler durch ein Attentat im Münchener Bürgerbräukeller zu töten. Doch das Attentat misslang. Der 36-jährige Widerständler wurde ins Konzentrationslager Dachau gebracht und dort kurz vor Kriegsende ermordet. Doch auch 60 Jahre nach seinem Tod ist Elser nicht vergessen. Niemand wusste, wer genau Georg Elser war. Die Königsbronner be- schreiben ihn als sehr verschlossen. Wilhelm Schwenk, ein früherer Arbeitskollege des Widerständlers, erzählt: „Als er mit mir im Steinbruch gearbeitet hat, hat er nicht viel mit uns geredet.“ Auch sonst zeigte Elser seine Ablehnung des Hitler-Regimes im Stillen. Er verweigerte den Hitlergruß. Liefen im Radio Reden des „Führers“, verließ er den Raum. Vom stillen Widerstand zum mutigen Attentat – Georg Elser wollte Hitler töten Der Bürgerbräukeller in München am 10. 11. 1939. Polizisten begutachten den Tatort. Foto: Ullsteinbild Doch Elsers Widerstand sollte sich nicht mehr lange auf eine stille Ablehnung des NS-Regimes beschränken. Bereits während seiner Wanderzeit als Schreiner wurde er politisch geprägt, bekam viel von dem mit, was im Land geschah. Bald trat er dem „Roten Frontkämpferbund“ bei, der Kampforganisation der Kommunistischen Partei Deutschlands. Elser war der Mei- nung, dass Arbeiter im „Dritten Reich“ benachteiligt werden. Auch die Einschränkung des freien Denkens und der Religionsfreiheit waren Gründe für Elsers Wut auf das Regime. Als Elser bei seiner Arbeit in einer Armaturenfabrik eine „Sonderabteilung für Rüstungsfragen“ kennen lernte, erkannte er die drohende Kriegsgefahr und fasste den Entschluss zum Attentat auf Hitler. Im November 1938 begann er die Planung. Elser handelte nicht im Auftrag der Briten – auch wenn die Nationalsozialisten dies nach seiner Tat glauben machen wollten und für ihre Propaganda nutzen. Er fühlte sich imstande und hatte letztendlich auch die Kraft, das Attentat alleine zu verüben. Heutzutage sind sich die meisten Menschen in Königsbronn einig: Georg Elser ist ein Held, nicht nur ein sonderbarer Einzelgänger. Der kleine Schreiner versuchte, gegen eine unmenschliche Diktatur anzukämpfen. Ein Kampf Davids gegen Goliath. Leider ging der Kampf mit einem Sieg für Goliath zu Ende. „Das heuchlerische England als Mordhelfer“ Nazipresse stellte den Hitler-Attentäter Elser als Marionette des britischen Geheimdienstes dar Heute steht fest: Georg Elser hat den Anschlag im Bürgerbräukeller alleine verübt. Daran glaubte im „Dritten Reich“ jedoch weder die Nazi-Presse noch die englischsprachige Presse. Gegenseitige Beschuldigungen waren an der Tagesordnung. Geprägt durch die journalistische Propaganda der NS-Zeit, wollte bis weit in die sechziger Jahre hinein kaum jemand an die Einzeltäterschaft Elsers glauben. Um das Volk zu verbünden, verbreitete die NS-Presse die Theorie, der Attentäter sei eine Marionette des britischen Geheimdienstes. So wurde bereits zwei Tage nach dem Attentat in der Kocher- und Nationalzeitung, dem amtlichen NSDAP-Blatt des Kreises Aalen, berichtet: „Einzelheiten deuten auf England hin.“ Weniger zurückhaltend sprach dieselbe Zeitung schon am nächsten Tag vom „heuchlerischen England als Mordhelfer“. 13 Tage später versicherte sie: „England war der Auftraggeber“. Auch nach der Verhaftung Georg Elsers und langen Verhören durch die Gestapo, in denen Elser hartnäckig auf Der Völkische Beobachter vom 22. 11. 1939 macht Georg Elser zum „Werkzeug“ des britischen Geheimdienstes. Gedenkstätte Deutscher Widerstand Kommentar Jeder kann Widerstand leisten Widerstandskämpfer im „Dritten Reich“ sind einige bekannt. Ob Stauffenberg, die Geschwister Scholl oder auch Dietrich Bonhoeffer. Aber kaum jemand kennt Johann Georg Elser. Dabei war der Schreiner aus dem Schwäbischen einer der ersten, der den Diktator – unter Einsatz seines eigenen Lebens – stoppen wollte. Zwar wurde in den vergangenen zehn Jahren viel getan, um an den Menschen Elser zu erinnern. So gibt es in Königsbronn die „Georg-Elser-Schule“ und eine Gedenkstätte. Straßen wurden nach ihm benannt und eine Briefmarke mit seinem Portrait gedruckt. Doch dies alles geschah erst über ein halbes Jahrhundert nach dem Attentat im November 1939. Ein Grund dafür, dass Georg Elser früher relativ wenig Beachtung geschenkt wurde, sind die Zweifel an seinen Motiven für den Anschlag. Viele Menschen hielten es für ausgeschlossen, dass es für den einfachen „Provinzler“ ersichtlich war, in was für eine Katastrophe Hitler die ganze Welt führen würde. Sie waren der Meinung, dass das Attentat zwar richtig war, Elser jedoch selbst ganz andere, vermeintlich nichtige Gründe für seinen Anschlag hatte. Eine andere Sichtweise ist, dass Elser durch das „Raster der Geschichte“ fiel, weil sich nach dem Krieg kaum eine Gesellschaftsgruppe mit ihm identifizieren konnte. Er war Einzeltäter und weder kirchlich, noch akademisch oder politisch sonderlich engagiert. Zwar war er Mitglied im „Roten Frontkämpferbund“, doch die Kommunisten feierten ihn nach dem Attentat nicht als Antifaschisten. Der „Attentäter aus dem Volk“ ist beim Volk als Vorbild praktisch durchgefallen. Vielleicht war es das schlechte Gewissen vieler Menschen, die selber keinen Widerstand leisteten, das eine Würdigung Georg Elsers verhinderte. Denn Elsers Tat ist ein Symbol dafür, dass es für jeden Einzelnen möglich gewesen wäre, Widerstand zu leisten. Auch heute noch steht sein Attentat dafür, dass auch der „kleine Mann“ im Volk nicht einfach nur den Massen hinterher rennen muss. deshalb die Vermutungen der englischsprachigen Presse, dass das Attentat von den Nationalsozialisten selbst inszeniert worden sei, um die Stärke des Führers zu demonstrieren. Ein spät anerkannter Held Team Schwäpo-Jure aus Aalen Caroline Schaal (17), Corinna Grabatin (18), Evelyn Seidl (16), Bianca Krauß (14), Dorle Butz (20) und Jonas Miller (20) (hinten v. l.). Larissa Hübener (16) und Jonathan Brandt (17) (vorne) Unser [Weiße Flecken]-Team traf bei einer unserer Redaktionssitzungen für die Jugendseite der Schwäbischen Post Aalen zusammen. Zum Team gehören Jonas, Dorle, Caroline, Corinna, Larissa, Jonathan, Evelyn und Bianca. Wir haben uns entschieden, über Georg Elser zu schreiben, weil er in der Nähe von Aalen aufgewachsen ist und selbst die Bewohner seines Heimatortes Königsbronn bis seiner Einzeltäterschaft beharrte, hielt man an dieser Theorie fest. Die Befragungen dauerten ganze 14 Tage, dann gab man schließlich auf. Erst am 22. November 1939 wurde die Öffentlichkeit darüber informiert, dass der Täter gefasst wurde. Trotzdem wurde weiter behauptet, der britische Geheimdienst sei Urheber des Attentats gewesen. So hieß es in einer Titelschlagzeile der Kocher- und Nationalzeitung vom 24. November 1939: „London will es nicht zugeben.“ An dieser Theorie festzuhalten, brachte Hitler gleich mehrere Vorteile, denn eine Einzeltat hätte möglicherweise andere Gegner Hitlers ermutigt, selbst tätig zu werden. So konnten die Nationalsozialisten den Anschlag nutzen, um das Volk hinter seinem Führer zu versammeln und England als Sündenbock darzustellen. Die nationalsozialistische Presse beteuerte zudem, dass Italien, Japan und die USA das Attentat aufs Tiefste verurteilten. Hitler konnte auf diesem Weg seinen Ruf als unbesiegbarer Diktator stärken. Nicht weit her geholt waren STEP 21 heute nicht die ganze Wahrheit über den Widerständler kennen. Um so viel wie möglich über Elser herauszufinden, teilten wir uns in Gruppen auf und begannen mit den Recherchen. So versuchten wir herauszubekommen, wer dieser Mann wirklich war, was die NS-Presse über ihn schrieb, wie bekannt Elser heute bei den Menschen ist und was die Bewohner seines Heimatortes über ihn wissen. Inzwischen versucht Königsbronn, seinem bekanntesten Einwohner ein rühmendes Denkmal zu setzen. Doch nicht jeder war von Anfang an hundertprozentig von der Tat Elsers überzeugt, besonders die Bewohner der Gemeinde Königsbronn, die die Folgen des Attentats hautnah miterlebten, schwiegen oft zu diesem Thema. „Für die Königsbronner war die Zeit direkt nach dem Attentat furchtbar. Die SS hat alle befragt. Wenn die Antworten den SSMännern nicht gefielen, gab es Schläge. Viele saßen auch im Gefängnis“, erzählt Wilhelm Schwenk (85), der damals mit Elser zusammenarbeitete. „Trotzdem rede ich inzwischen über die Tat und denke, es wäre uns viel erspart geblieben, wenn das Attentat geklappt hätte.“ Marlene Weber (47) aus Königsbronn: „Meine Großmutter hat mir damals erzählt, dass man nicht über Elser reden soll. Ich finde seine Tat heute aber sehr gut. Ich bin begeistert, dass sein Vorgehen inzwischen so anerkannt ist.“ Auch die aufgeklärtere Jugend beschäftigt sich inzwischen mit dem Thema Elser. „Es ist schade, dass es damals nicht geklappt hat“, erzählt Daniel Truppel (18). „Für mich ist Elser ein Held. Ich glaube nicht an das Märchen von Elser als Spion. Er war ein Einzelgänger. Leider wird in den Schulen viel zu wenig von ihm erzählt. Elser hat ganz alleine gegen Hitler gekämpft!“ Inzwischen wurde in Königsbronn der Schulkomplex in „Georg-ElserSchule“ umbenannt. Auch eine Gedenkstätte wurde errichtet, in der man sich über das Leben Elsers informieren kann. Außerdem wird seit 2001 alle zwei Jahre der „Georg-Elser-Preis“ an Menschen mit Zivilcourage verliehen. Georg Elser wird immer ein Held im Kampf gegen den Nationalsozialismus bleiben. Auch heute noch zeigt er den Menschen, dass man nicht mit der Herde mitlaufen muss, sondern auch alleine gegen den Strom schwimmen kann. Lebenslauf Georg Elser 4. Januar 1903: Geboren in Hermaringen / Württemberg 5 Geschwister 1919 –1925: Ausbildung und Anstellung als Schreiner (Königsbronn), anschließend verschiedene Anstellungen und Arbeitslosigkeit, verschiedene Wohnorte 1928/1929: Eintritt in den „Roten Frontkämpferbund“ in Konstanz September 1930: Geburt seines Sohnes Manfred Ab 1938 Systematische Vorbereitung auf das Attentat Elser beschafft sich Sprengstoff bei Arbeiten in einer Sonderabteilung für Rüstungsfragen und im Königsbronner Steinbruch 8. November 1939: Attentat im Münchener Bürgerbräukeller und Festnahme in Konstanz 9. April 1945: Ermordung nach 5-jähriger Haft im KZ Dachau „ARISIERUNG“ STEP 21 | PFORZHEIM Was Kleiderbügel erzählen können „Arisierung“ Der Begriff Arisierung gehört zum Wortschatz der Nationalsozialisten und bezieht sich auf die NS-Ideologie einer angeblichen „arischen Herrenrasse“. Hinter der Arisierung steht die wirtschaftliche Ausgrenzung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung. Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten begannen die Diskriminierungen und Ausplünderungen. Durch den so genannten „Arierparagraphen“ wurden Beamte und Angestellte jüdischen Glaubens bis 1934 weitgehend aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Aus dem Wirtschaftsleben wurde die jüdische Bevölkerung schrittweise verdrängt. Nach dem groß angelegten Geschäftsboykott am 1. April 1933 wurden vor allem kleinere und mittlere Geschäfte und Betriebe zerstört. Vom 1. Januar 1938 an war Juden das Betreiben von Geschäften und Handwerk untersagt, Firmen und Banken wurden enteignet, „jüdischer Besitz“ beschlagnahmt. Die Arisierung war aus Sicht des NS-Regimes notwendig, da Ende 1937 der Staatsbankrott drohte, der Kreditspielraum ausgereizt und die Aufrüstung für den geplanten Krieg nicht mehr finanzierbar war. Nach der Reichspogromnacht im November 1938 verschärfte sich das Tempo der Arisierung. Der wachsende Druck zwang jüdische Bürger, ihre Geschäfte zu dem festgelegten Minimalwert zu verkaufen. Vielen, auch ehemals wohlhabenden Familien, blieb nicht mal mehr das Geld zur Flucht. Im Zweiten Weltkrieg dehnten die Nationalsozialisten die Arisierung auf fast alle von ihnen besetzten Länder aus. Die stille „Arisierung“ eines kleinen Bekleidungsgeschäftes in Pforzheim Übrig geblieben sind nur zwei Kleiderbügel, die bis vor wenigen Jahren noch auf der Stange desselben Damenbekleidungsgeschäfts in Pforzheim hingen. Ein an der Pforzheimer Geschichte interessierter Lehrer hat sie sich kurz vor der Aufgabe des Modehauses von dort erbeten. Auf den ersten Blick sind sie kaum zu unterscheiden: geschwungene Holzbögen, von denen der cremefarbene Lack abblättert. Auf dem einen steht Kurt Erber, der Name des Geschäfts, auf dem anderen Krüger & Wolff. Die beiden Bügel sind der einzig verbliebene Hinweis auf die tragische Geschichte, die sich 1938 um das kleine Modehaus und in ähnlicher Weise viele weitere Male in Deutschland abspielte. Die Angst hat alle Müdigkeit verdrängt Auch die Pforzheimer Juden bezahlten die Aufrüstung der Nazi-Diktatur In der Reichspogromnacht wurden auch in Pforzheim Juden verfolgt. Die Täter und ihre Nachfahren wollen nicht daran erinnert werden. Die Finger des jungen Mannes zittern, als er versucht, den Fernsprecher auf dem kleinen Beistelltisch neben seinem Bett zu bedienen. Es ist tief in der Nacht, vielleicht zwei Uhr, nur die Tür seines Schlafzimmers trennt ihn von dem Schrecken, der in der elterlichen Wohnung im zweiten Stock des Hauses Bertholdstraße 4 in Pforzheim Einzug gehalten hat. Ein Trupp pöbelnder betrunkener Männer, halbe Kinder noch, hat ihn und seine Familie aus dem Schlaf gerissen und grölend Zutritt zur Wohnung verlangt, gar gedroht, die gläserne Eingangstür einzuschlagen, sollten die Eltern nicht öffnen. Diese gaben, völlig verwirrt von dem nächtlichen Überfall, schließlich nach. Sofort drängte sich die Gruppe in den kleinen Flur, ohne Vorwarnung begannen sie, auf den Vater des jungen Mannes einzuschlagen. Dieser steht wie gelähmt vor Angst hinter der Tür seines Zimmers, in das ihn seine Mutter rasch hineingedrängt hat. Er kann kaum denken, weiß nur, dass sein Vater Hilfe braucht, und das so schnell wie möglich. Mit letzter Beherrschung wählt er die Nummer der nahen Polizeidienststelle, seine Hand krampft sich um den Hörer, als er dem wachhabenden Polizisten das Geschehen schildert. Dessen Antwort klingt tröstlich: „Keine Aufregung“, sagt er dem jungen Mann, „wir kommen gleich“. Doch es wird niemand kommen. Jahre später bezeichnet der junge Mann sein damaliges Verhalten als naiv. Der Schutz des Staates, der für uns alle eine Selbstverständlichkeit ist, wurde seiner Familie wie so vielen anderen Menschen in dieser Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 verwehrt. Schlimmer noch, die Überfälle, die für die Öffentlichkeit als spontaner Volkszorn dargestellt wurden, waren von der Obrigkeit systematisch und bis ins Detail geplant. Die Nacht, die für viele Menschen in Deutschland furchtbares Leid mit sich brachte, sollte als „Reichspogromnacht“ in die Geschichte eingehen, unzählige mussten leiden, aus dem einzigen Grund, weil sie Juden waren. Auf den Schutz des Staates warteten sie vergeblich zielle Situation ermöglichte es vielen Pforzheimer Juden, die die Zeichen der Zeit früh genug erkannt hatten, Deutschland rechtzeitig zu verlassen. Die Inhaber der meisten Pforzheimer Läden nahmen die Chance wahr, sich und ihre Familie in Sicherheit zu bringen. Gerhard Brändle, ein engagierter Lehrer und Heimatforscher, veröffentlichte 1990 in seinem Buch „Jüdische Gotteshäuser in Pforzheim“ Briefe und Erinnerungen emigrierter jüdischer Pforzheimer, die er sich von diesen erbeten hatte. Die Briefe erreichten ihn aus fernen Ländern wie Indien, Brasilien, Nordamerika und Kanada. Zensierte Erinnerungen Sucht man in den öffentlichen Adressbüchern der damaligen Zeit nach dem Laden in der Leopoldstraße (da- ber. 1941 ist der Name Günzburger dann völlig aus dem Adressbuch verschwunden. Der Brief seines Schwiegersohnes Werner Weyl gibt uns Auskunft über sein Schicksal: „Die Eltern von Frau M. Weyl, O. und E. Günzburger, wurden am 22. Oktober 1940 ins Lager Gurs/ Südfrankreich deportiert, die Mutter wurde gerettet, der Vater starb 1942 in Lyon/ Frankreich.“ Wie die Übernahme seines GeschäfDie Kleiderbügel von Krüger & Wolff und Kurt Erber tes vonstatten gegangen mals: Westliche Karl-Friedrich-Stra- ist, kann man sich denken. Trotzdem spricht die Pforzheimer Zeitung noch ße), so findet man in den Jahren 1933 und 1934 die Eintragungen des Privat- am 27. Juni 1998 von dem von Kurt mannes Otto Günzburger und sei- Erber 1938 gegründeten „traditionsnes Geschäfts für Damenkonfektion: reichen“ Unternehmen. Otto Günzburger und sein Schicksal wurden vergesKrüger & Wolff. Fünf Jahre später lebte Günzburger noch immer in dem Haus, sen. Nur seine Kleiderbügel hat man behalten, die Kleiderbügel eines deutdas Bekleidungsgeschäft gehörte nun aber plötzlich dem Kaufmann Kurt Er- schen Juden. ich als die einzige jüdische Angestellte wurde herausgeholt, umgeben von Hunderten von Leuten, die Polizei im Vordergrund.“ Anschließend musste Frau Peritz die Schuhe säubern und wieder in das Geschäft hineinwerfen. Eile war geboten, da einige vorüber- Überlebende erinnern sich – die Namen der Täter wurden geschwärzt Neben vielen anderen traumatischen Erlebnissen schildern sie den Prozess der Arisierung in Pforzheim, die Zer1933 lebten in unserer Stadt Pforzheim 830 namentlich bekannte jüdische Bür- störungen und Plünderungen der Geger. Davon wurden 190 in Konzentra- schäfte in der Reichspogromnacht. tionslagern ermordet, das Schicksal Eleonore Peritz war Kassiererin im von 29 ist bis heute nicht aufgeklärt. großen Schuhwarenhaus „Speier AG“ Die anderen 611 konnten emigrie- am Leopoldplatz, sie war selbst eine ren und überlebten – eine verhältnis- Betroffene des Pogroms am 10. Nomäßig große Zahl. Pforzheim war da- vember 1938. Die fünf großen Schaufenster des Ladens, in dem sie arbeimals eine reiche Stadt, sie lebte von tete, wurden in jener Nacht zerstört: der Herstellung und dem Vertrieb von Schmuck und Uhren. Ihre gute finan- „Die Schuhe lagen alle auf der Straße, Kommentar Von den vier in Pforzheim existierenden Zeitungen überlebten nur die [WEISSE FLECKEN] 7 Wegen Abreise nach Palästina geschlossen, Pforzheim 1933. Foto: Sebastian Winkler gehende Passanten sich an der auf der Straße verstreuten Ware bedienten. Auch der Bericht von Erna Schlorch zeigt, welchen Demütigungen die Pforzheimer Juden hilflos ausgesetzt waren: „Die Geschäfte wurden den Juden schließlich weggenommen und mein Vater wurde gezwungen, in einem Holzschuppen zu arbeiten. Jeden Morgen ging er an seinem eigenen Geschäft vorbei, das nun von einem SSMann übernommen worden war. Wie muss er sich gefühlt haben?“ Franz Mayer aus den USA berichtet: „Mein Großvater Eugen Rothschild war der Inhaber der Firma Maier Adler am Güterbahnhof. Das ganze Bureau wurde in der Nacht vom 8. zum 9. November zerstört. Ich selbst sah die Schäden am folgenden Tag. Die Möbel, Schreibmaschinen, Fenster, Fernhörer waren total zerstört. Das Geschäft wurde Teil der … (geschwärzt), eine Zwangsübernahme, nachdem mein Großvater für alle Schäden bezahlen musste.“ Das geschehene Unrecht erschüttert in jedem Brief aufs Neue. Um so seltsamer mutet es an, dass in Gerhard Brändles Buch die Namen derjenigen, die als „Arisierer“ in den Briefen der Betroffenen oder ihrer Nachfahren namentlich erwähnt werden, geschwärzt wurden. Dies habe er tun müssen, so der Autor auf unsere Anfrage, da ihm mit Klagen gedroht worden sei. Team Los Waswarlos aus Pforzheim Pforzheimer Rundschau und der Pforzheimer Anzeiger die ersten Jahre der Hitlerdiktatur. Die Rundschau erschien bis 1943, der Anzeiger in sei- Regionale Nachrichten der Pforzheimer Rundschau vom 10. November 1938. Rechts oben wurde ein Artikel ausgeschnitten, dessen Inhalt nicht mehr zu rekonstruieren ist. ner linientreuen Funktion als „Parteiamtliches Organ der NSDAP für den Amtsbezirk Pforzheim“ bis 1945. Dass solche Blätter viele weiße Flecken hinterlassen haben, sollte uns also nicht wundern. Seltsam ist jedoch, dass in den verbliebenen Exemplaren der Zeitungen, die im Pforzheimer Stadtarchiv einzusehen sind, immer wieder Artikel fehlen, die nachträglich herausgeschnitten wurden. Um ihren Inhalt und Verbleib ranken sich viele Gerüchte. Dazu passt, dass Namen, die Hinweise auf „Arisierer“ geben könnten, vom Autor des Buches „Jüdische Gotteshäuser in Pforzheim“ geschwärzt werden mussten. Es ist kaum zu glauben, dass die Erinnerungen jüdischer Menschen, die in unserer Stadt so viel Schreckliches und Menschenunwürdiges erlebt haben, zensiert werden mussten. Es ist nicht immer leicht, sachlich zu bleiben, wenn man eigentlich einfach nur wütend ist, über die Tatsache, dass die Täter von damals sich auch heute noch hinter schwarzen Flecken verbergen können. Lehrer Jürgen Schlichting und Cihan Akyildiz (17) (hinten v. l. ); Loredana Miculita Bleiziffer (18), Marion Maysenhölder (18), Asiye Aydin (21), Lehrerin Gabriele Busche und Evindar Simsek (17) (mittlere Reihe); Sara Adirbelli (19) und Milena Nestor (19) (vorne) Los Waswarlos – was für ein komischer Name. Und doch passend. Wir haben in Pforzheim Recherchen zum Thema „Arisierung in Pforzheim von 1933 – 1939“ angestellt. Kennen gelernt haben wir uns in der Geschichtswerkstatt des FritzErler-Gymnasiums Pforzheim. Unser Team besteht aus, Asiye, Milena, Sara, Cihan, Evindar, Loredana, Marion und unserer Lehrern Gabriele Busche und Jürgen Schlichting. 8 [WEISSE FLECKEN] ROBOTY PRZYMUSOWE | LUBIN „Lampersdorf 8 – Zaborów 4“ Pani Katarzyna ma 81 lat. Mimo podeszłego wieku doskonale pamięta lata swej młodości, które spędziła na robotach przymusowych. Ucieszyła się z mojej wizyty i chętnie odpowiadała na zadawane pytania. Gdy wybuchła wojna pani Katarzyna miała 15 lat. Mieszkała w miejscowości Pokrowce pod Lwowem (wtedy należącym do Polski, dziś na Ukrainie, 80 km od granicy polskiej) w powiecie Żydaczów, z rodzicami i czterema siostrami. Pamięta, że wszyscy bardzo bali się wojny. „Wiedziałam, że nie wolno mi sie˛ sprzeciwić“ Któregoś dnia do sołtysa przyszedł nakaz urzędowy mówiący o tym, ile osób ze wsi ma być przymusowo wywiezionych do pracy. Piętnastoletnia wówczas dziewczyna została zabrana jako najstarsza z sióstr. Jechała pociągiem osobowym: „Najpierw dotarłam do Przemyśla, gdzie przebadano nas, sprawdzano ogólny stan zdrowia, zdolność do pracy oraz obecność chorób zakaźnych, co miało Pani Katarzyna Jach była pracownikiem przymusowym, na zdje˛ ciu pierwsza od prawej. 1943 r., z albumu pani Katarzyny Jach wykluczyć zarażenie innych ludzi, a następnie do Wrocławia. Tu na postoju kazano wszystkim rozebrać się i oddać ubrania do wyczyszczenia. Kolejnym etapem była Ścinawa“. Docelowym miejscem podróży okazała się być wieś Zaborów (niemiecka nazwa – Lampersdorf). Tu właśnie miała pracować przymusowo. Jak się później okazało, do jej obowiązków należały wszystkie czynności, które wykonuje się w gospodarstwie rolnym, m.in.: dojenie krów, pomoc przy żniwach i wykopkach ziemniaków. Po pewnym czasie została również opiekunką wnuka kobiety, u której pracowała. „Na początku Niemka traktowała mnie jak zwykłą siłę roboczą. Zmieniła stosunek do mnie po śmierci jej męża i dzieci. Może tak po prostu, po ludzku, poczuła się samotna? I ona na tej wojnie coś wreszcie straciła …“ – opowiada pani Jach. Od tej pory pani Katarzyna nie mogła narzekać. Miała swój pokój na poddaszu domu. Zawsze dostawała do pracy kromkę chleba i do podziału dzbanek kawy. Zimą musiała skubać pierze z kaczek, więcej czasu poświęcała na pomoc w domu, gotowała posiłki, sprzątała, prała, prasowała. Nigdy nie sprzeciwiała się, dlatego unikała kar. „Byłam świadoma tego, że jeśli naruszę reguły ustalone przez gospodynię zostanę przeniesiona do obozu pracy, jak moja sąsiadka“ – wzdycha pani Katarzyna. Dniem wolnym od pracy była niedziela, a raz w miesiącu, po wcześniejszym uzyskaniu zgody, pani Jach mogła pojechać nawet do kościoła we Wrocławiu. Także po wojnie brak wolności W Zaborowie pracowali ludzie różnych narodowości – Polacy, Włosi i Francuzi. W „swoim“ gospodarstwie była jedyną Polką, przez co często czuła się STEP 21 bardzo samotna. Niespodziewanie dla niej nastał koniec wojny. Pani Jach nie mogła uwierzyć, że to koniec poniewierki. I niestety miała rację. W maju 1945 roku uciekła przed wojskami rosyjskimi wraz z Niemką, u której pracowała. Dlaczego bała się „wyzwolicieli“? Słyszała o nich, że biją, gwałcą, często mordują bez powodu oraz, że sieją spustoszenie w miejscach, do których docierają. Miały więc teraz wspólnego wroga. Jedynym ratunkiem stała się ucieczka pod francuską granicę. Gdy dotarły na miejsce, okazało się, że było już tam zbyt wielu ludzi, panowała bieda, a obcokrajowcom kazano wracać. Powrotny transport dowiózł dziewczynę na teren opanowany przez sowietów. Tu zmuszono ją do pracy przy sypaniu okopów i dostarczaniu żołnierzom jedzenia. W końcu zdecydowała się wrócić w miejsce gdzie wcześniej pracowała. Pociągiem dojechała do Legnicy, a dalej pieszo do Zaborowa. W ten sposób historia zatoczyła koło. Pani Katarzyna zamieszkała wraz z przyszłą rodziną w domu oddalonym o około 100 metrów od gospodarstwa, w którym pracowała. Dziś pani Katarzyna opowiada o tamtych wydarzeniach z pewnym dystansem. Jednak spytana o przeżycia wewnętrzne z czasu wysiedlenia nie powstrzymała emocji i z jej brązowych oczu popłynęły łzy. „Mobilizacja pozaniemieckiej siły roboczej“ W poszukiwaniu śladów polskich robotników przymusowych w prasie z 1940 roku Sprawa polskich robotników przymusowych została nagłośniona dopiero kilka lat temu, przy okazji sprawy wypłat odszkodowań za prace przymusowe w III Rzeszy. Nawet bezpośrednio po zakończeniu II Wojny Światowej był to temat tabu w Polsce. Sami robotnicy niechętnie poruszali ten problem, zapewne także ze strachu przed szykanami a także ponowną deportacją – pracowali przecież na rzecz i korzyść okupanta. W prasie oficjalnej z 1940 roku wydawanej w okolicach Lubina nie ma wzmianki o istnieniu polskich robotników przymusowych. Po kilku godzinach spędzonych w archiwum, znaleźlismy niewielki fragment mówiący o tym, że potrzebni są robotnicy. Jednak nie była określona liczba ani narodowość poszukiwanych do pracy osób, nie można więc jednoznacznie stwierdzić, że chodziło o Polaków. Informacja ta pochodzi z gazety Steinauer Kreis u. Stadtblatt z 24 maja 1940 r. Dziennik ten ukazywał się na terenie Ścinawy w latach 1906 –1940. Głównym zadaniem tej gazety było odwrócenie uwagi czytelnika od okrucieństw wojny. Pojawiające się w niej artykuły, na temat sytuacji gospodarczej Niemiec, nie miały nic wspólnego z prawdą i całkowicie pomijały problem braku siły roboczej. W Steinauer Kreis u. Stadt- ów na roboty rolne do Niemiec?“, w blatt można było znaleźć nie mające po- którym przedstawiony jest mechanizm i organizacja wywózek polskich robotkrycia w rzeczywistości informacje na ników na teren Rzeszy. temat malejącej potęgi Anglików oraz zarzucanych Churchillowi błędów. W W tekście zamieszczone są inforkażdym numerze znajdowały się wieści macje dotyczące wieku werbowanych z nieopodal leżącego Wrocławia, po- na roboty przymusowe mężczyzn i rady dla gospodyń domowych, drobne kobiet, którzy mieli być pomiędzy ogłoszenia i rubryka ze sportem. szesnastym a sześćdziesiątym rokiem Rzeczywistą sytuację polskich życia, a także opis barbarzyńskich robotników przymusowych przedsta- metod werbowania ludzi do pracy: wiała prasa wydawana na emigracji „Niemcy obiecywali, że ci, którzy wyjaoraz podziemna. W numerze 14 gaze- dą, będą mogli ze swych oszczędności posyłać swoim rodzinom w Polsce ty podziemia polskiego Walka, z dnia 12 lipca 1940 roku, znajdujemy frag- po 100 zł miesięcznie. Mimo tych ment: „Udało nam się zdobyć garść wszystkich obietnic niemieckich mało było amatorów na wyjazd. Na skutek autentycznych danych … wywieziono ‚dobrowolnie‘ do Niemiec 15240 osób. takiego niepowodzenia swej propagandy Transportów rolnych bylo 33, fach- Niemcy nałożyli na każde miasto i wieś owych 9. W celu zwerbowania ‚ochot- obowiązek dostarczania pewnej ilości ników‘ urzędy urządzały odczyty robotników, grożąc w razie biernego obiecując im złote góry i dobrą zapłatę, oporu zastosowaniem siły. Mimo tych a w rezultacie naszywano wywiezio- gróźb bardzo niewiele osób zgłosiło się nym na ramionach literę ‚P‘ (Polen), (…). Władze niemieckie zastosowały co było wystarczającym powodem do wówczas metody barbarzyńskie. Poprzesladowań i nie sprzedawania im częły mianowicie wyłapywać ludzi, tak jak błąkające się psy, zatrzymując żywności.“ Podobne informacje znaleźlismy w wychodzących z kościoła, przypadkoGłosie Polskim – wydawanej we Fran- wych przechodniów, lub wyciagając cji gazecie polskojęzycznej. W nume- ludzi z łóżek. Zorganizowali następnie prawdziwe ekspedycje na wsie, wyłarze z 11 kwietnia 1940 roku można znaleźć krótki artykuł pt: „Jak sie od- pując o ile mogli młodych chłopców i bywa ‚dobrowolna‘ rekrutacja Polak- ludzi, którzy kryli się po lasach.“ Głos Polski z 11 kwietnia 1940 r. pisze o wywózkach Polaków na roboty przymusowe; na stronie obok Steinauer Kreis u. Stadtblatt z 24 maja 1940 pisze o „mobilizacji pozaniemieckiej siły roboczej“, Archiwum Biblioteki Uniwersytetu Wrocławskiego Artykuł ten kończy trafny i przejmujący komentarz: „Trudno jest sobie wyobrazić rozpacz rodzin, których członków porywają i wywożą do Niemiec“. Informacje, które znaleźć można w polskiej prasie podziemnej i emigracyjnej są potwierdzeniem, że polscy robotnicy przymusowi „nie istnieli“ – ale tylko w prasie podległej propagandzie nazistowskiej, w prasie podziemnej i emigracyjnej, znaleźliśmy dowody na ich istnienie. Najlepszym jednak źródłem prawdy o tym czasie, są ludzie, którzy przeżyli wywózkę, trudy przymusowej pracy i dziś chcą sie podzielić z nami swoimi historiami. Grupa z Lubina Naszyta litera „P“ Roboty przymusowe na terenie Lubina i w okolicach W 1940 roku gospodarka Rzeszy Niemieckiej zacz˛eła odczuwać niedobór liczby pracowników, głównie w rolnictwie i przemyśle zbrojeniowym. Niwelacja tego deficytu miała polegać na dostarczeniu Rzeszy taniej siły roboczej z okupowanych terenów, w tym z Polski. Dorota Garbowska (18) , Mariusz Konaniec (23), Krzysztof Jasiński (19), Magdalena Maziej (19) i Łukasz Pleszka (19) (od lewej) Grupa z Lubina liczy 5 osób. W jej skład wchodzą: Magdalena Maziej, Łukasz Pleszka, Dorota Garbowska, Mariusz Konaniec oraz Krzysztof Jasiński. Do projektu przystąpiliśmy przez przypadek, lecz cieszymy się, że zdecydowaliśmy się na to by spróbować podołać temu zadaniu. Tak naprawdę prawie się wcześniej nie znaliśmy, lecz praca nad projek- tem bardzo nas do siebie zbliżyła. Dorota i Magda zajęły się robieniem wywiadów oraz gromadzeniem informacji do reportaży. Chłopcy natomiast uzupełniali grupę w sprawach komputerowych, nagrywali płyty, robili slajdy oraz zdjęcia. Nad końcowym efektem pracowała jednak cała grupa. Temat, który realizujemy to „Robotnicy przymusowi z terenu Lubina i okolic“. Niemcy rozpoczęli agitację za dobrowolnymi wyjazdami ludności polskiej do pracy. Gdy zabrakło ludzi zgłaszających się dobrowolnie, zaczęto stosować bardziej drastyczne metody w celu ich znalezienia. Polegały one m. in. na wysyłaniu nakazów urzędowych do poszczególnych osób pod groźbą wysłania ich rodzin do obozów koncentracyjnych, zagrabienia mienia, a nawet kary śmierci. Według Ministerstwa Pracy Rzeszy liczba Polaków wywiezionych na roboty przymusowe to 2 miliony osób. Polscy robotnicy przymusowi mieli obowiązek noszenia na ubraniu, w widocznym miejscu, literę „P“. Miało to pozwolić odróżnić ich od ludności miejskiej. Zakazano im utrzymywania kontaktów towarzyskich z obcokrajowcami, a Niemców karano aresztem za okazywanie sympatii robotnikom przymusowym. Polacy mieli zakaz chodzenia do kościołów, kontaktowania się między sobą, utrzymywania kontaktów z rodzinami, czy korzystania ze środków transportu publicznego. Byli to ludzie całkowicie ubezwłasnowolnieni. Powszechnie uważano ich za niewykwalifikowaną, tanią siłę roboczą, przydzielaną do prostych, ale jednocześnie ciężkich robót. Warunkiem przetrwania na zesłaniu było całkowite podporządkowanie się Niemcom i wywiązywanie się ze wszystkich powierzonych obowiązków. W okresie II wojny światowej na terenach Lubina i w okolicach utworzonych zostało kilka miejsc pracy przymusowej. Były to: firma Wilhelma Schrottke-Fahrzeugwerke, mydlarnia w Ścinawie, fabryka amunicji w Osieku. Pracownicy przymusowi zatrudnieni byli także przy budowie dróg, w leśnictwie, budownictwie, produkcji bulionów, cukierni, piekarni, roszarni. W obozach tych pracowali zarówno zwykli robotnicy, którzy zamieszkiwali teren Lubina i okolic, jak i przymusowi robotnicy. Najwyższy stan zatrudnienia obcokrajowców odnotowano w sierpniu 1944 r. Na opisywanym obszarze, powstała mozaika, którą tworzyło ponad 20 języków. ZWANGSARBEIT | LUBIN STEP 21 „Lampersdorf 8 – Zaborów 4“ Katarzyna Jach ist heute 81 Jahre alt. Trotz ihres hohen Alters erinnert sie sich sehr gut an die Jahre ihrer Jugend, in denen sie Zwangsarbeit leisten musste. Sie freut sich über meinen Besuch und beantwortet die Fragen gern. Als der Krieg ausbrach, war Katarzyna Jach 15 Jahre alt. Sie wohnte in Pokrowce bei Lemberg (damals gehörte es zu Polen, heute zur Ukraine, 80 Kilometer von der polnischen Grenze) im Landkreis Żydaczów, mit ihren Eltern und ihren vier Schwestern. Sie erinnert sich, dass alle große Angst vor dem Krieg hatten. Eines Tages erreichte den Dorfvorsteher ein Befehl der Verwaltung, der besagte, wie viele Dorfbewohner zur Zwangsarbeit deportiert werden sollten. Katarzyna wurde als älteste Schwester ausgewählt. Sie fuhr mit einem Personenzug. „Zuerst kam ich nach Przemyśl, wo wir untersucht wurden. Man prüfte den allgemeinen Gesundheitszustand, die Arbeitsfähigkeit und das Vorhandensein von infektiösen Krankheiten, um Ansteckung zu vermeiden. Dann ging es weiter nach Breslau. Hier mussten wir uns ausziehen und unsere Kleider zur Reinigung abgeben. Die nächste Etappe war Ścinawa.“ „Ich wusste, dass ich mich nicht widersetzen darf“ Es stellte sich heraus, dass das Dorf Zaborów (Lampersdorf) Ziel der Reise war. Hier sollte Katarzyna Zwangsarbeit leisten. Zu ihren Aufgaben zählten alle Tätigkeiten, die in einer Landwirtschaft anfallen: Kühe melken, bei der Ernte und beim Hacken von Kartoffeln helfen. Nach einer gewissen Zeit lin, dadurch fühlte sie sich oft sehr einsam. Das Kriegsende kam für sie überraschend. Sie konnte nicht glauben, dass die harte Zeit vorbei sein sollte – und hatte Recht damit. Im Mai 1945 floh sie zusammen mit ihrer deutschen Hausherrin vor den russischen Truppen. Warum sie sich vor den „Befreiern“ fürchtete? Sie hörte, dass die Soldaten schlagen, vergewaltigen, oft ohne Grund töten und Verwüstung hinter sich zurück lassen. Katarzyna Jach, 2005 begann sie, auch auf die Enkelin ihrer Hausherrin aufzupassen. „Anfangs behandelte mich die Deutsche wie eine gewöhnliche Arbeitskraft. Nach dem Tod ihres Mannes und ihrer Kinder änderte sie ihre Haltung mir gegenüber. Vielleicht fühlte sie sich einfach einsam, was nur menschlich ist. Sie hatte in diesem Krieg schließlich etwas verloren,“ erzählt Katarzyna Jach. Von diesem Zeitpunkt an konnte die junge Polin nicht klagen. Sie hatte ihr Zimmer im Dachgeschoss. Sie bekam zur Arbeit eine Scheibe Brot und einen halben Krug Kaffee. Im Winter verbrachte sie viel Zeit im Haus, musste Enten rupfen und Essen kochen. Sie putzte, wusch und bügelte. Sie widersetzte sich nie, so bekam sie auch keine Strafen. „Mir war bewusst, dass ich wie meine Nachbarin ins Arbeitslager geschickt werde, wenn ich die Regeln der Hausherrin breche“, seufzt Katarzyna Jach. Sonntags hatte sie frei, und einmal im Monat durfte sie nach vorheriger Absprache sogar zur Kirche nach Breslau fahren. In Zaborów arbeiteten Leute unterschiedlicher Herkunft: Polen, Italiener und Franzosen. Auf „ihrem“ Bauernhof war Katarzyna Jach die einzige Po- Nach dem Krieg kein Frieden Plötzlich hatten Katarzyna und die Deutsche einen gemeinsamen Feind. Ihre einzige Rettung war die Flucht über die französische Grenze. Dort angekommen, stellte sich heraus, dass schon viele andere Menschen das gleiche Ziel gehabt hatten. Es herrschte Armut, und Ausländern wurde geheißen, umzukehren. Der Rücktransport führte die Frauen ins sowjetisch besetzte Polen, wo die Frauen dazu gezwungen wurden, Gräben zu graben und die Soldaten mit Essen zu versorgen. Katarzyna Jach entschied sich, an ihren ehemaligen Arbeitsort zurück zu kehren. Mit dem Zug fuhr sie bis Legnica, dann ging sie zu Fuß bis Zaborów. So schloss sich der Kreis ihrer Geschichte. Sie wohnte mit ihrer zukünftigen Familie in einem Haus, nur knapp einhundert Meter von dem Bauernhof entfernt, auf dem sie Zwangsarbeit geleistet hatte. Heute redet Katarzyna Jach über diese Geschehnisse mit einer gewissen Distanz. Über ihre Erinnerungen an die Zeit der Vertreibung befragt, kann sie ihre Emotionen jedoch nicht kontrollieren, und aus ihren braunen Augen fließen Tränen. „Mobilisierung außerdeutscher Arbeitskräfte“ Auf der Suche nach polnischen Zwangsarbeitern in der Presse von 1940 Zur Sprache kam das Schicksal polnischer Zwangsarbeiter im „Dritten Reich“ erst vor einigen Jahren, anlässlich der Entschädigungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter. Direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs war Zwangsarbeit in Polen ein Tabuthema. Die Arbeiter selbst sprachen das Problem nicht gerne an, sicher auch aus Angst vor Schikanen oder einer erneuten Deportation – hatten sie doch für den ehemaligen Besatzer gearbeitet. In der offiziellen Presse von 1940 in der Umgebung von Lubin wird die Existenz polnischer Zwangsarbeiter nicht erwähnt. Nach einigen Stunden im Archiv fanden wir einen kleinen Ausschnitt, in dem es hieß, dass Arbeiter gebraucht würden. Es gab aber Hauptaufgabe dieser offiziellen Zeitung war es, die Aufmerksamkeit des Lesers von den Grausamkeiten des Krieges abzulenken. Sie beinhaltete Artikel über die wirtschaftliche Situation Deutschlands. Die jedoch haben mit der Wahrheit nichts zu tun und lassen das Problem der fehlenden Arbeitskräfte komplett aus. Im Steinauer Kreis u. Stadtblatt konnte man Informationen über die schwindende Macht der Engländer und Churchills angebliche Fehler finden, die keineswegs der Realität entsprachen. In jeder Ausgabe fanden sich Nachrichten aus dem nahen Breslau, Ratschläge für Hausfrauen, Kleinanzeigen und eine Sportrubrik. Die reale Situation der polnischen Zwangsarbeiter ist lediglich in der in nach Deutschland. Es gab 33 Transporte mit Landarbeitern und neun mit Facharbeitern. Um „Freiwillige“ zu werben, organisierten die Ämter Vorträge, in denen ein guter Lohn und das Blaue vom Himmel versprochen wurde. Im Endeffekt wurden die Verschleppten mit einem auf der Kleidung aufgenähten „P“ gekennzeichnet. Träger des „P“s waren Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt, beispielsweise weigerten sich Verkäufer, ihnen Lebensmittel zu verkaufen.“ Ähnliche Informationen fanden wir im Głos Polski – einer in Frankreich herausgegebenen polnischsprachigen Zeitung. In der Ausgabe vom 11. April 1940 findet man einen kurzen Artikel mit dem Titel: „Wie die ‚freiwillige‘ Rekrutierung von Polen zur Landarbeit [WEISSE FLECKEN] 9 Ein aufgenähtes „P“ Zwangsarbeit in Lubin und Umgebung 1940 wurde in der Wirtschaft des „Dritten Reichs“ ein Mangel an Arbeitskräften spürbar, vor allem in der Landwirtschaft und der Rüstungsindustrie. Um dieses Defizit auszugleichen, sollten billige Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten, darunter aus Polen, ins Reich geholt werden. Die Deutschen begannen, unter der polnischen Bevölkerung für Arbeit in Deutschland zu werben. Wenn sich nicht genügend Menschen freiwillig meldeten, wurden drastischere Methoden angewandt, um Arbeitskräfte zu finden. So wurden an bestimmte Leute amtliche Verfügungen versand, mit der Androhung, ihre Familien in ein Konzentrationslager zu schicken, ihr Eigentum zu konfiszieren oder sie sogar mit dem Tod zu bestrafen. Nach Angaben des Reichsarbeitsministeriums wurden zwei Millionen Polen zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert. Die polnischen Zwangsarbeiter waren verpflichtet, an ihrer Kleidung sichtbar den Buchstaben „P“ zu tragen. Das ermöglichte, sie von der städtischen Bevölkerung zu unterscheiden. Es war ihnen verboten, freundschaftliche Kontakte mit der Bevölkerung zu pflegen. Deutsche wurden für Sympathiebekundungen gegenüber Zwangsarbeitern mit Arrest bestraft. Die Zwangsarbeiter durften nicht zur Kirche gehen, keinen Kontakt untereinander oder mit ihren Familien pflegen und keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Sie waren vollkommen entrechtet. Allgemein wurden sie als unqualifizierte, billige Arbeitskräfte angesehen. Ihnen wurden einfache aber zugleich körperlich schwere Arbeiten zugewiesen. Zum Überleben war es notwendig, sich den Deutschen vollständig unterzuordnen und alle auferlegten Pflichten zu erfüllen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden im Lubiner Raum in mehreren Betrieben Zwangsarbeiter beschäftigt: in der Firma Wilhelm Schrottke-Fahrzeugwerke, der Seifenfabrik in Ścinawa und in der Munitionsfabrik in Osiek. Außerdem wurden sie im Straßenbau, im Bauwesen, im Forstwesen, in der Produktion von Fertigbrühe, in Konditoreien, Bäckereien und Röstereien eingesetzt. Die höchste Zahl ausländischer Zwangsbeschäftigter wurde im August 1944 notiert. In dem Gebiet entstand ein Mosaik aus über 20 Sprachen. Steinauer Kreis u. Stadtblatt vom 24.5.1940 über „die Mobilisierung außerdeutscher Arbeitskräfte“. Auf der gegenüberliegenden Seite: Glos Polski (Die polnische Stimme) vom 11.4.1940. Unter der Schlagzeile „Wie verläuft die „freiwillige“ Rekrutierung von Polen für Arbeiten in der deutschen Landwirtschaft“ berichtet die Untergrundzeitung über die Verschleppung polnischer Zwangsarbeiter barbarischen Methoden der Rekrutierung: „Die Deutschen versprachen, dass die, die fahren, ihren Familien in Polen Ersparnisse in Höhe von etwa 100 Zloty schicken können. Trotz der ganzen deutschen Versprechen gab es wenige Freiwillige. Als Konsequenz des Misserfolgs ihrer Propaganda verpflichteten die Deutschen jede Stadt und jeden Ort, eine bestimmte Anzahl an Arbeitern zu stellen und drohten im Falle passiven Widerstands mit Gewalt. Trotz der Drohung meldeten sich sehr wenige (…) Die deutschen Machthaber wendeten währenddessen barbarische Methoden an. Sie begannen, Menschen wie herrenlose Hunde zu fangen, Leute, die aus der Kirche kamen oder zufällige Passanten, und sie zerrten Menschen aus ihren Betten. Sie organisier- ten später richtige Expeditionen aufs Land und fingen so viele junge Männer und in den Wäldern Versteckte, wie sie konnten.“ Der Artikel endet mit dem treffenden und ergreifenden Kommentar: „Es ist schwer, sich die Verzweiflung der Familien vorzustellen, deren Mitglieder entführt und nach Deutschland deportiert wurden.“ Während Zwangsarbeiter in der offiziellen Presse einfach nicht existierten, findet man in der polnischen Untergrund- und Exilpresse durchaus Berichte und Informationen. Die beste Quelle der Wahrheit über diese Zeit sind aber die Menschen, die die Deportation und die Zwangsarbeit überlebt haben und heute ihre Geschichten mit uns teilen wollen. Die Lubiner Dorota Garbowska (18), Mariusz Konaniec (23), Krzysztof Jasiński (19), Magdalena Maziej (19) und Łukasz Pleszka (19) (v. l.) Steinauer Kreis u. Stadtblatt vom 24. 5. 1940. Die Titelseite zeigt das Wappen der Stadt Lubin (links), Archiv der Bibliothek der Universität Wroclaw keine Angaben über Anzahl oder Nationalität der gesuchten Arbeitskräfte, man kann also nicht daraus schließen, dass es hier um Polen geht. Die Information kommt aus der Zeitung Steinauer Kreis u. Stadtblatt vom 24. Mai 1940. Diese Tageszeitung erschien im Gebiet Ścinawa von 1906 bis 1940. der Emigration oder im Untergrund veröffentlichten Presse nachzulesen. In der polnischen Untergrundzeitung Walka (Kampf) vom 12. Juli 1940 finden wir einen Abschnitt: „Es gelang uns, eine Handvoll authentischer Angaben zu bekommen (…) man transportierte 15.240 Personen „freiwillig“ nach Deutschland aussieht“. Darin ist der Mechanismus und die Organisation der Transporte polnischer Arbeiter ins Reichsgebiet beschrieben. Der Text enthält Informationen über das Alter der zur Zwangsarbeit deportierten Männer und Frauen (zwischen 16 und 60 Jahren) und über die Unser Lubiner Team besteht aus fünf Personen, dazu gehören Magdalena, Łukasz, Dorota, Mariusz und Krzysztof. An das Projekt gerieten wir durch Zufall. Wir freuen uns, dass wir uns entschieden haben, diese Herausforderung anzunehmen. Vorher kannten wir uns kaum, aber die Projektarbeit hat uns sehr zusammenge- schweißt. Unser Thema ist „Zwangsarbeiter aus Lubin und Umgebung“. Dorota und Magda führten Interviews und sammelten Informationen für die Reportage. Die Jungs ergänzten die Gruppe in Sachen Computer. Sie brannten CDs, machten Dias und Fotos. Das Endergebnis haben wir zusammen erarbeitet. EUTHANASIE | LÜNEBURG 10 [WEISSE FLECKEN] STEP 21 Die Ungedruckten In Lüneburg ermordeten Nazi-Ärzte Kinder – alle wussten es, doch die öffentliche Stimme schwieg In Lüneburg ermordeten Nazi-Ärzte Kinder. Viele Bürger wussten davon – und schwiegen. Die Zeitung erwähnte die Opfer mit keinem Wort. Wer sehen wollte, konnte sehen: „Todesbusse“, wie die Bevölkerung sie nannte, fuhren durch die Stadt. Plötzliche Tode von körperlich gesunden Kindern, deren sterbliche Überreste ihren Eltern nur noch eingeäschert übergeben wurden, sorgten für Gerüchte auf den Straßen. Krankenhauspersonal stürzte sich aus Scham oder Verzweiflung in den Freitod. Das alles blieb nicht unbemerkt. Das alles waren Hinweise darauf, dass etwas nicht stimmen konnte in unserer kleinen Stadt. In Lüneburg, wo ab dem Jahr 1934 unter dem harmlosen Wort Euthanasie Verbrechen begangen wurden. Wenn sich diese Vorfälle mehrten und Wissen darüber bestand, warum verlor die Presse Lüneburgs hierüber kein einziges Wort? Die Antwort ist wohl die gleiche wie bei den anderen weißen Flecken jener Zeit: Die NS-Führung wollte es verschweigen. Doch obwohl das Krankenhaus am Stadtrand lag, blieben die Schreie der rücksichtslos Ermordeten nicht vor der Öffentlichkeit verborgen. Sei es wegen der grausamen Art und Weise, auf die geistig Behinderte in den Anstalten ermordet wurden, so dass das Personal, getrieben vom schlechten Gewissen, den SchweigeSchwur gebrochen hat. Sei es wegen der Todesbusse, in denen die Insassen über ein geschlossenes Abgassystem erstickt wurden, und die auf öffentlichen Straßen fuhren. Oder aber es waren Eltern, Geschwister und andere Verwandte, die den plötzlichen Tod ihrer Verwandten für mehr als nur einen merkwürdigen Zufall hielten. In manchen Fällen kam das Schicksal der Opfer der NS-Euthanasie erst viel später ans Licht. Antje Kosemund, unsere Zeitzeugin aus Hamburg, wurde erst in den achtziger Jahren stutzig, als sie eines Tages die Sterbeurkunde ihrer Schwester Irma in der Hand hielt, und das Sterbedatum und die Ausstellung der Urkunde ein Jahr auseinander lagen. Todesanzeigen für gefallene Soldaten – keine für Euthanasie-Opfer Viele wussten Bescheid, aber das öffentliche Wissen fand keinen Niederschlag im veröffentlichten Wissen. Diese Opfer sind die Ungedruckten. In den damaligen Lüneburgschen Anzeigen befindet sich nach eigenen Recherchen und Aussagen der Geschichtswerkstatt keinerlei Hinweis auf das mörderische Vorgehen der Ärzte in Lüneburg. Stattdessen berichtete die Lokalzeitung – unter dem Einfluss des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda – Bewohner des Wichern-Hauses in Rotenburg (Wümme), vermutlich 1937/38. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind auch diese Patienten später Opfer der NS-Euthanasie geworden. Foto: Rotenburger Werke über gescheiterte Fliegerangriffe der Engländer, gewonnene Seeschlachten und vordringende deutsche Streitkräfte: Jubelmeldungen statt düstere Wahrheiten. Im typischen Nazijargon beschäftigte man sich damit, wie wichtig eine gesunde und starke Jugend für die „Volksgemeinschaft“ ist. Menschen, die die Hilfe der Gesellschaft gebraucht hätten, haben gestört. So findet man Todesanzeigen für gefallene Soldaten – aber keine für die Opfer der Euthanasie. Man erfährt, wo die Lebensmittelkarten abzuholen waren, nicht aber, was hinter den Mauern des Krankenhauses geschah. Was ist die Geschichte der Ungedruckten? Das heutige Landeskrankenhaus in Lüneburg wurde als Landes- Heil- und Pflegeanstalt 1901 gegründet. Die Anstalt wurde damals aufgrund ihrer besonderen Architektur in höchsten Tönen gelobt. Angelegt war sie als Stadt in der Stadt. Eine Art Reservat für Heil- und Pflegebedürftige. Eine Idylle. Ursprünglich sollten die Patienten mit dem Ziel behandelt werden, eines Tages wieder als arbeitende Bürger in die Gesellschaft integriert zu werden. Die jüngsten Opfer waren drei Jahre alt Haus 23 der Kinderfachabteilung der Landes-, Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Hier bekamen schon dreijährige Kinder Todesspritzen oder Opiate, durch die sie abmagerten und starben. Foto: Bildungs- und Gedenkstätte „NS-Psychiatrie in Lüneburg“ Begleitet vom Erscheinen einiger rassistischer Broschüren und Bücher mit Titeln wie „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ (von dem Philosophen Karl Binding und dem Mediziner Alfred Koche), ordnete rektor der Psychiatrischen Anstalt Königslutter ernannt. Vier Jahre später gab Baumert zu, bis Kriegsende für vorsätzliche Tötungen von tatsächlich oder vermeintlich psychisch kranken Kindern verantwortlich gewesen zu sein – und sie in weitem Umfang veranlasst zu haben. Das daraus resultierende Gerichtsverfahren wurde jedoch eingestellt. Das Gericht bescheinigte Baumert Vernehmungsunfähigkeit aufgrund von Herzproblemen – allerdings war er zu diesem Zeitpunkt sehr wohl imstande, immerhin ein weiteres Jahr halbtags zu arbeiten. 1966 stellte das Oberlandesgericht Celle die Ermittlungen gegen ihn ein – „wegen schlechten körperlichen und seelischen Zustandes“. Auch nach dem Krieg versäumte man es lange, die Menschen über das Geschehene aufzuklären. In der Bildungs- und Gedenkstätte im heutigen Landeskrankenhaus wird das dunkle Kapitel zwar seit 2004 durch eine gut recherchierte Ausstellung endlich thematisiert, dennoch weiß heutzutage im geschichtsverdrossenen Lüneburg immer noch ein Großteil der 70.000 Einwohner nicht, was damals hinter den Klinikmauern in ihrer direkten Nachbarschaft vor sich ging. die NS-Führung 1934 die Zwangssterilisation von psychisch kranken Männern, Frauen und Kindern an. Allein in Lüneburg wurden unter der Aufsicht von Direktor Bräuner zwischen 1934 und 1945 insgesamt 347 Männer und Frauen sterilisiert. Die jüngsten Opfer waren gerade mal drei Jahre alt, die ältesten weit über 50. Dr. Bräuner, seit 1935 Direktor der Anstalt, richtete 1941 entgegen seines Hippokratischen Eides eine „Kinderfachabteilung“ ein, in der unter Auf- Mit Aufklärungsarbeit gegen sicht des extra dafür eingestellten Dr. das Vergessen Willi Baumert – engagiertes Mitglied der NSDAP und der Waffen-SS – bis 1945 über 300 Kinder gezielt getötet wurden. Antje Kosemund gehört zu denjenigen, Das Fachpersonal musste einen die gegen das Unwissen über NS-EuEid schwören, über die Vorgänge zu thanasie ankämpfen und gegen das schweigen. Oft wussten Mitarbei- Vergessen und das Umschreiben der ter bis zum ersten Arbeitstag nicht, Geschichte vorgehen. Dafür arbeitet welch tödliche Aufgabe sie erwarte- die Hamburgerin seit knapp 25 Jahte. Ingeborg W., zuständige Schwes- ren als Zeitzeugin mit Jugendgrupter für die Knabenstation, nahm sich pen zusammen. Sie spricht aus, was am 1. September 1942 in Haus 25 das einige unter Verschluss halten wollen. Leben. In diesem Haus war sie maß- Und sie versucht, die wahre Geschichgeblich an der Tötung von Kindern be- te ihrer Schwester Irma ans Tagesteiligt. Dora V. von der Mädchenstati- licht zu bringen. Die Geschichte von on sagte nach dem Freitod ihrer Kol- Irma, die von den Nazis in eine Psychlegin, dies sei „die Folge der Belastung iatrie deportiert wurde, steht stellvergewesen, welche unsere Tätigkeit mit tretend für viele Euthanasie-Opfer im sich brachte“. „Dritten Reich“. Obwohl viele von den Morden an diesen Kindern wussten, mithalfen oder Augenzeugen waren, gab es daDie Täter blieben unbestraft mals nur eine vergleichsweise kleine Opposition, und selbst heute versuchen Menschen die Täter zu schützen Baumert wurde für die Verbrechen an den Menschen, wie viele NS-Verbre- oder zu rechtfertigen – und versorgen cher nach dem Krieg, nicht verurteilt. Hinterbliebene nur spärlich mit InforAls Psychiater machte er eine stei- mationen. „Weiße Flecken“ können le Karriere und wurde 1958 zum Di- sehr hartnäckig sein. Das [Weiße Flecken]-Team aus Lüneburg Tobija Saßnik (17), Helge Stein (17), Christian Meyn (17) (hinten v. l.). Jan Henryk Wiebe (17), Magdalena Blender (16) und Sarah Schumann (16) (vorne) Wir kennen uns: Aus unserer Schulzeit auf dem Gymnasium Johanneum und von der gemeinsamen Zusammenarbeit bei der Jugendseite der Landeszeitung Lüneburg. Unser Projekt: Wir haben uns mit dem Thema Euthanasie in Lüneburg befasst, um die weißen Flecken der damaligen Presse aufzudecken. Wir konnten feststellen, dass die Pres- se Lüneburgs die Verbrechen, die im heutigen Landeskrankenhaus begangen wurden, mit keinem einzigen Wort erwähnt hat. Zwar befand sich die Anstalt mitten in Lüneburg, aber durch die dicken Mauern konnte niemand die Schreie der Opfer hören. Wir haben uns vorgenommen, Licht in dieses Dunkel zu werfen und den Ungehörten eine Stimme zu geben. Die Lüneburgschen Anzeigen propagieren den Aufbau und Erhalt einer „gesunden Jugend“. Hier in der Ausgabe vom 7.1.1935 EUTHANASIE | LÜNEBURG STEP 21 „Ihr Tod fiel nicht weiter auf“ Haltlose Diagnosen brachten die 4-jährige Irma in die Psychiatrie. Antje Kosemund über die Deportation ihrer Schwester Team Lüneburg: Frau Kosemund, an welcher Krankheit litt ihre Schwester? Antje Kosemund: Das wissen wir bis heute nicht. Die Gutachten von 1933 und später widersprechen sich zum Teil und sind medizinisch nicht haltbar. Oft scheint es, als hätten diese Ärzte und Psychologen Irma nie gesehen, oder ihre Aussagen stützen sich nur auf nationalsozialistisches Gedankengut. Es könnte sein, dass sie ein autistisches Kind war, jedoch nur mit einer sehr leichten Behinderung und nicht wie in einem der ersten Gutachten behauptet: „völlig idiotisch und wertlos“. Wie kam es zur Einweisung? Nach Anzeige einer Nachbarin wegen meiner Schwester Irma, die Defizite in ihrer Entwicklung zeigte, besuchte uns eine Familienfürsorgerin, die eine psychiatrische Untersuchung veranlasste. Mein Vater wurde im Mai 1933 wegen seiner antifaschistischen Tätigkeit durch die Gestapo verhaftet. Während der Haftzeit verlor er durch Berufsverbot seine Anstellung. Als Familie mit neun Kindern ohne Einkommen ging es uns die nächsten Jahre sehr schlecht. Als Irma in die Psychiatrie Hamburg-Alsterdorf eingewie- Antje Kosemund, geboren 1928, ist Vorstandsmitglied in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten. Foto: Privat sen wurde, dachten meine Eltern, es würde ihr dort besser gehen. Niemand dachte, dass es den Plan gab, Menschen umzubringen. Vor allem konnte man nicht annehmen, dass sich Ärzte, Pfleger, Krankenschwestern und Psychologen an den Krankenmorden beteiligen würden. Wie ging es dann weiter? So unglaublich und traurig es klingen mag: Bei uns Kindern wurde Irma relativ schnell wegen der vielen Geschwister und der schwierigen Verhältnisse vergessen. Im Januar 1945 erhielten wir die Nachricht, dass Irma eines natürlichen Todes gestorben sei. Wir nahmen ihren Tod hin, denn kurz vor Kriegsende kamen täglich Meldungen von gefallenen oder gestorbenen Verwandten und Freunden. Erst in den achtziger Jahren hielt ich eines Tages Irmas Sterbeurkunde in der Hand und wurde stutzig, weil das Sterbedatum und die Ausstellung der Urkunde ein Jahr auseinander lagen. Wie verliefen Ihre Recherchen? In den Alsterdorfer Anstalten erhielt ich sofort die wenigen dort vorhandenen Krankenakten und man lud mich zu einem ausführlichen Gespräch ein. Ich erfuhr, dass Irma am 16. August 1943 zusammen mit 227 anderen Frauen und Mädchen in die Psychiatrie in Wien deportiert wurde. Der heutige Leiter der Anstalt, Professor Gabriel, gab mir bei meiner ersten Anfrage 1983 nur zwei Krankenblätter meiner Schwester. Die anderen seien im Laufe des Krieges verloren gegangen. Auf die Frage, wo das Grab meiner Schwester sei, sagte er, dass laut geltender Friedhofsverordnung das Grab aufgelassen und neu belegt sei. [WEISSE FLECKEN] 11 Das stellte sich jedoch später als Lüge heraus. Inwiefern waren die Krankenblätter verwertbar? Die Krankenblätter enthielten nur sehr wenige Informationen, deren Inhalt jedoch schockierend war. Innerhalb von acht Wochen verlor meine damals 13-jährige Schwester zwölf Kilo und wog nur noch 28 Kilo. Wörtlich heißt es, sie „hat eine große Fensterscheibe eingeschlagen, ohne sich zu verletzen – Zwangsjacke“. Einen Tag später schlug sie wieder eine Fensterscheibe ein, diesmal kam sie in ein Gitterbett, das auch oben verschlossen war. Die Kinder ahnten, dass ihnen Schlimmes bevorstand. Irma hat sich bis zuletzt gewehrt. Wie ging es weiter? Irma ist mit zwölf anderen Mädchen in die Kinderfachabteilung gekommen. Sie war mit 13 Jahren die Älteste, das Jüngste war gerade drei Jahre alt. An ihnen führte man – auch nach damaligem Gesetz verboten – medizinische Versuche durch. Nach dreieinhalb Monaten lebte von ihnen keines mehr. Soweit sie nicht an Unterernährung, Kälte und Luminalspritzen gestorben waren, bekam sie eine Spritze, die den Tod herbeiführte. Euthanasie Euthanasie setzt sich aus den griechischen Wörtern „eu“ und „thanatos“ zusammen und heißt übersetzt „guter Tod“. Zur NS-Zeit steht dieser Begriff nicht wie in der griechisch-römischen Antike für einen schönen, schmerzlosen und leichten Tod ohne Einwirkung eines Außenstehenden. In den Euthanasie-Programmen des „Dritten Reichs“ geht es um die organisierte „Tötung lebensunwerten Lebens“. Teils industriell, teils zu angeblich wissenschaftlichen Zwecken werden Menschen getötet, die nicht dem nationalsozialistischen Idealbild des nordischen Herrenmenschen entsprechen: psychisch kranke Menschen, so genannte Asoziale, Alkoholiker und lernschwache oder auffällige Kinder. Auch physisch Kranke fallen der Euthanasie zum Opfer. All diese Menschen gelten als lebensunwert und werden auf Befehl Hitlers zur Vernichtung freigegeben. Die Zahl der Opfer kann nur geschätzt werden. Etwa 350.000 Erwachsene und Kinder werden zwischen 1933 und 1945 im Zuge der NS-Euthanasie ermordet. Eine der typischen Sterbeurkunden, die den Familien der Opfer zugeschickt wurden. Oft ohne Eintrag der Todesursache – oder mit einer erfundenen. Foto: Bildungs- und Gedenkstätte „NS-Psychiatrie in Lüneburg“ + + + [Weiße Flecken]-Coaches + + + + [Weiße Flecken]-Coaches + + + + [Weiße Flecken]-Coaches + + + + [Weiße Flecken]-Coaches + + + Markus Deggerich Journalist „Ich bin dabei, damit aus den weißen keine blinden Flecken werden!“ Ronnie Koch Sandra Schramm Magnus Koch Olaf Mischer Online-Redakteur Studentin Historiker Historiker/Dokumentationsredakteur „Ich unterstütze [Weiße Flecken], weil „Anhand der eigenen Geschichte kann „Regionale Recherchen machen Ge- „Im Journalismus sind die spannendsschichte(n) lebendig und verbinden sie ten Geschichten immer die, die noch es ein wichtiges Thema behandelt, man eine Menge spannender Dinge niemand erzählt hat. Die Teilnehmer mit unserem eigenen Leben. So wird lernen: neugierig nachfragen, Leute und weil die Auseinandersetzung mit ihre Bedeutung für die eigene Identi- von [Weiße Flecken] machen sich auf treffen und zum Erzählen bringen, gut Geschichte Spaß macht.“ die Suche nach solchen Geschichten. schreiben und formulieren. Geschich- tät, Werte und Normen deutlich. Die persönliche Meinung ist besser zu hin- Es wäre schade, wenn sie niemand te hat immer mit unserer Gegenwart zu tun – das zu zeigen, ist die Aufgabe terfragen und die Ziele des eigenen po- mehr erzählen würde.“ für alle, die sich mit historischen The- litischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Engagements werden klarer.“ men befassen.“ Allen ehrenamtlichen Coaches einen herzlichen Dank für ihren sehr engagierten und kompetenten Einsatz! Sarah Benecke Studentin „Ich unterstütze [Weiße Flecken], weil es toll ist! Ich finde es für die Zukunft wichtig, dass man sich mit der Vergangenheit beschäftigt und sie aufarbeitet.“ Kathleen Bernsdorf und Beate Mössner Lars Kämpgen Markus Oddey Corina Brucker Gestaltung/Printproduktion Abiturient Lehramtsreferendar Studentin „Medienkompetenz und Medienkritik „Das Projekt [Weiße Flecken] bringt „Ich finde das Projekt [Weiße Flecken] „Wir unterstützen [Weiße Flecken], sind in unserer heutigen Zeit der Mas- Licht ins Dunkle: durch die ‚Schatz- cool, weil es zeigt, dass sich Jugend- weil es ein sehr interessantes Projekt liche im Gegensatz zur üblichen Mei- ist, das sich mit unserer Vergangenseninformation von elementarer Be- suche‘ in Archiven, das Gespräch mit nung sehr wohl für die deutsche Ver- heit auseinandersetzt und es ermögdeutung. Und das lernt man am besten Zeitzeugen, Spaß am Schreiben und licht, bisher verborgene Geschichten aus der eigenen Geschichte und der den Austausch in internationalen Ar- gangenheit interessieren.“ zu veröffentlichen.“ beitsgruppen.“ Beschäftigung mit ihr.“ RUCH HARCERSKI R PRASA PODZIEMNA | KRAKAU 12 [WEISSE FLECKEN] Przysie˛ga trzech me˛żczyzn Ruch oporu polskich harcerzy Jak opowiada nam Józef Drożdż, ugrupowania harcerzy w Bielsku i Białej, miastach położonych około 100 kilometrów od Krakowa, już w 1937 r. przeczuwały, że wojna między Polską a Niemcami jest nie do uniknięcia. W Bielsku i Białej powstają nowe niemieckie organizacje i ugrupowania. Partia Młodoniemiecka w Polsce organizuje demonstracje i przemarsze, na których śpiewane są faszystowskie pieśni i skandowane hasła nacjonalsocjalistów. Organizacja ta, pod względem zarówno ideologicznym, jak i organizacyjnym, przypomina NSDAP. Od sierpnia 1939 r. w Bielsku rozpoznać można pierwsze przygotowania do wojny: magazynowana jest żywność, młodych ludzi rekrutuje się do wojska. W dniu 22 sierpnia 1939 r. Józef Drożdż otrzymuje zlecenie kierowania tajną grupą konspiratorów. Od tego momentu obydwa miasta – Bielsko i Biała – mają wspólnego komendanta harcerstwa. Pierwsze przygotowania do podziemnego ruchu oporu zostały poczynione. Harcerze roznosili poczte˛ i prase˛ podziemna˛. Na zdje˛ciu Zawiszacy podczas Powstania Warszawskiego, 1944 r. W nocy z 31 sierpnia na 1 września 1939 r., o wpół do piątej rano, harcerze dowiedują się o napaści Niemiec na Polskę. Zaczęła się wojna. Zaczęto rozdawać broń, bardzo kiepską, z czasów I Wojny Światowej. W reakcji na gwałtowny opór Polaków Niemcy zabili wielu polskich mieszkańców miasta. Harcerze z Bielska i Białej uciekają do Krakowa, gdzie otrzymują polecenie, by wraz z harcerzami krakowskimi zadbać o zachowanie porządku na dworcu głównym. Pomagają ludności przy ewakuacji, rozdzielają żywność i kierują ruchem na przepełnionych ulicach w pobliżu dworca. Po pobycie w Krakowie harcerze uciekają do Bruchowic niedaleko Lwowa. Po upływie dwóch miesięcy Józef Drożdż i inni harcerze wracają. Od teraz działać mogą już tylko w podziemiu. W różnych domach chowają polskie książki, by zachować polską kulturę. Legalne przynależenie do harcerstwa w tym czasie nie jest już możliwe. Nacjonalsocjaliści likwidują główne kwatery harcerstwa. Jest 19 listopada 1939 r., w mieszkaniu przy ulicy Głowackiego w Bielsku trzech mężczyzn – Józef Drożdż, Edward Zajączek i Zbigniew Czernelecki – składa przysięgę. Każdy z nich jest odpowiedzialny za utworzenie dalszych podziemnych grup oporu oraz rozpowszechnianie ich idei i wiadomości. W ruchu oporu biorą udział również kobiety. Na przykład Jadwiga Chmiel, która jest sanitariuszką i jako jedyna posiada radio, przez które członkowie podziemia uzyskują informacje dla swych gazetek podziemnych. Miejscem spotkań jest mieszkanie rodziny Orawskich, gdzie Józef Drożdż odbiera gazetki i przekazuje dalej łącznikom. Jako łącznik zna tylko dwie osoby: tę, od której mógł się czegoś dowiedzieć, albo od której mógł coś otrzymać, oraz tę, której się przekazuje dalej wiadomości lub rzeczy. Przy pomocy takiego systemu miano uniknąć problemów. „Kto mniej wie, jest bezpieczniejszy …“, opowiada Józef Drożdż. Dopiero wiele lat po wojnie nawiązał kontakty z ludźmi, którzy działali jako łącznicy. Poszczególne akcje harcerzy w czasie wojny i okupacji są dzisiaj trudne do zrekonstruowania. Brakuje materiałów. Wielu harcerzy zabrało swe historie ze sobą do grobu. Nie opowiedzieli ich ze względu na bezpieczeństwo swoich krewnych lub przyjaciół. Ich działalność jest białą plamą w historii polskiego ruchu oporu. STEP 21 Józef Drożdż – życiorys Józef Drożdż urodził sie˛ 22. 1. 1918 r. w powiecie bielskim. Jako mały chłopiec wsta˛pił do zwia˛zku harcerstwa i w wieku 15 lat dowodził własna˛ grupa˛. Kiedy w dniu 3 września 1939 r. żołnierze Wehrmachtu wkroczyli do Bielska, dwudziestojednoletni harcerz został dowódca˛ grupy oporu. Jego zadanie polegało przede wszystkim na kolportażu nielegalnej prasy w okre˛gu bielskim. Rok później grupa została rozbita przez hitlerowców, niemal wszystkich konspiratorów aresztowano. Również Józef Drożdż został aresztowany przez gestapo w dniu 18 grudnia 1940 r. i przewieziony do pobliskiego obozu koncentracyjnego w Oświe˛cimiu, gdzie otrzymał numer wie˛źnia 7602. Naste˛pnie przewożony był do różnych obozów koncentracyjnych i obozów pracy. W sumie przebywał w ośmiu obozach: w Oświe˛cimiu (1940 –1941), Bytomiu (luty 1941), Zabrzu (lipiec 1941), w wie˛zieniu w Brzegu (1941–1944), Sosnowcu (1944), Mysłowicach (styczeń 1945) oraz w obozie koncentracyjnym w Mauthausen-Gusen 2 (1945), w którym pozostał do momentu wyzwolenia przez aliantów 5 maja 1945. Dwa miesia˛ce później wrócił do Bielska. W tajemnicy Polska prasa podziemna wypełnia luki informacyjne W czasach okupacji niemieckiej w Polsce istniały dwa rodzaje prasy: oficjalna i podziemna, drukowana i kolportowana nielegalnie. Pod kontrolą gubernatora generalnego Hansa Franka na okupowanych terenach Polski ukazywał się Goniec Krakowski, oficjalna gazeta będąca tubą propagandy nacjonalsocjalistycznej. Poza nią w całym Generalnym Gubernatorstwie ukazywało się około 50 oficjalnych gazet w języku niemieckim i polskim. Aby informować społeczeństwo polskie o realnej sytuacji oraz przebiegu wojny, polski ruch oporu drukował nielegalne biuletyny informacyjne. Jako źródło wiadomości służyły przede wszystkim zagraniczne radiostacje aliantów. Do podziemnych gazetek lewicy politycznej w Krakowie należały Dziennik Polski oraz Tygodnik Polski. Od roku 1942 publikowano tu regularnie komunikaty o sytuacji żydowskich oraz polskich więźniów obozów koncentracyjnych. W listopadzie 1942 r. Dziennik Polski ogłosił Grupa z Krakowa likwidację getta krakowskiego, w kwietniu 1943 r. zamieścił informację, o tym, że w ciągu minionych dwóch lat w tzw. „fabrykach śmierci“ czyli komorach gazowych, obok ludzi innych narodowości, w tym głównie Polaków, zamordowano 900 000 Żydów. Porównywaliśmy prasę podziemną z legalnie wydawanym Gońcem Krakowskim. W Gońcu Krakowskim nie wspomina się o tak ważnych wydarzeniach, jak np. o powstaniu w dniu 27 kwietnia 1940 r., obozu koncentracyjnego w Oświęcimiu, transporcie pierwszych więźniów 14 czerwca 1940 r., pierwszej selekcji do komory gazowej w dniu 4 maja 1942, czy też o Nielegalne gazety przekazypowstaniu w obozie koncentracyjnym wane sa˛ w tajemnicy 7 października 1944. W przeciwieństwie do tego gazeta Polska Żyje obszernie informowała o tych zbrodniach. Nielegalne gazetki kolportowali prze- Członkowie ruchu oporu ryzykowali w podziemiu życiem, by przeciwdziałać de wszystkim harcerze, którzy krótko przed wybuchem wojny utworzyli taj- „białym plamom“ w oficjalnej prasie. ne zgrupowania. Ich akcje podziemne okazały się niezwykle skuteczne. W Krakowie ukazywała się podziemGeneralne Gubernatorstwo na gazeta pt. Polska Żyje, również kolportowana przez harcerzy. Na stronie Generalnie Gubernatorstwo terenów tytułowej umieszczono odezwę do czyokupowanych Polski ustanowione telników, by przeczytaną gazetę podać zostało przez Rzesze˛ Niemiecka˛ 26 dalej i także ustnie przekazywać dalej października 1939 r. Ta jednostka adprzeczytane wiadomości. ministracyjna obejmowała te cze˛ści Polski, które nie zostały przyła˛czone bezpośrednio do Rzeszy. Generalne Gubernatorstwo dzieliło sie˛ na cztery dystrykty, krakowski, warszawski, radomski i lubelski. Stolica˛ był Kraków. Od sierpnia 1941 r. jako pia˛ty dystrykt doła˛czyła Galicja Wschodnia. (Mapa na stronie 28) Polska Żyje z 6.7.1940 r., gazeta polskiego podziemia pisze, że kapitulacja Francji to cie˛żki cios dla całego świata w walce przeciwko Niemcom, Biblioteka Jagiellońska Kraków; na stronie obok zdje˛cie niemieckoje˛zycznej gazety Extrablatt der Krakauer und Warschauer Zeitung z 14.6.1940 r. Komentarz Bez wpływu Maria Mrówca (23), Kasia Lorenc (21), Karolina Drapała (21) (rza˛d górny od lewej); Ania Fryda (21), Adrian Golis (20) i Kasia Król (20) (rza˛d dolny od lewej) Nasza drużyna to sześcioro krakowskich studentów germanistyki. Nazywamy się Kasia, Maria, Ania, Kasia, Karolina i Adrian. Mamy różne hobby, a tym, co nas łączy, jest upodobanie do języka i kultury niemieckiej oraz zainteresowanie stosunkami polsko-niemieckimi. Praca dziennikarska dla większości z nas jest czymś nowym, więc tym bardziej cieszyliśmy się na ten projekt. Długo poszukiwaliśmy odpowiedniego tematu, aż w końcu zdecydowaliśmy się na zaprezentowanie prasy podziemnej i jej kolportażu przez ruch harcerski. Możliwość przeprowadzenia wywiadów ze świadkami tamtych czasów była dla nas wielkim zaszczytem. W tym miejscu chcielibyśmy serdecznie podziękować świadkom tamtych czasów za to, że poświęcili nam swój czas oraz za ich zaangażowanie. Czym jest wojna? Mimo wszelkich wysiłków z mojej strony nie udałoby mi się zdefiniować tego pojęcia we właściwy sposób, bo w tym przypadku nie ma właściwej lub fałszywej definicji. Dla każdego człowieka wojna oznacza coś innego. Zazwyczaj uzależnione jest to od naszego doświadczenia życiowego. Jakoś nie czuję się uprawniona, aby pisać o wojnie. Urodziłam się i żyję w czasach pokoju i wojna ma dla mnie inne znaczenie niż dla ludzi, którzy ją przeżyli. Myślę jednak, że wojna zawsze oznacza pewien rozpad cywilizacji ludzkiej. Jeżeli dochodzi do wojny, oznacza to dla ludzi, że nie są już w stanie prowadzić ze sobą dialogu i jedyne rozwiązanie widzą w zastosowaniu przemocy! Obydwie strony nie są w stanie porozumieć się na na- Katarzyna Król jprostszej płaszczyźnie międzyludzkiej, i to jest tragiczne. Świadkowie tamtych czasów, z którymi rozmawialiśmy w ramach projektu [Weiße Flecken], byli przeważnie w naszym wieku, kiedy wybuchła II Wojna Światowa i tak samo jak my, ci młodzi ludzie mieli niewielki wpływ na to, co działo się na świecie. Żyjący w dzisiejszych czasach młody człowiek z pewnością zastanawia się nad tym, co by było, gdyby urodził się o 60 czy 70 lat wcześniej. Czy przetrwałby to ogromne cierpienie, które przynosi ze sobą wojna? Trzeba być świadomym tego, że mamy niewielki wpływ na nasze życie, nie możemy decydować o tym, w jakim kraju i w jakich czasach się rodzimy. O naszym człowieczeństwie nie świadczy to, co o sobie samych mniemamy. Tyl- ko konkretna sytuacja życiowa może nam pokazać, jak „ludzcy“ jesteśmy. O naszym człowieczeństwie zaświadcza to, jak postępujemy w wyjątkowo trudnych sytuacjach. Tutaj istotna jest miłość bliźniego. Pokazał ją nam wielki męczennik Oświęcimia, Św. Maksymilian Kolbe, który dobrowolnie dał się ukarać i zabić, by ocalić życie człowieka będącego ojcem rodziny. To powinno nam, ludziom współczesnym, służyć jako przykład. Nasze pokolenie – tak jak my w projekcie [Weiße Flecken] – ma wyjątkową możliwość poznania osobiście ludzi, którzy przeżyli Oświęcim. Możemy się wiele od nich nauczyć i przede wszystkim powinniśmy z tego, co oni nam opowiadają, wyciągnąć właściwe wnioski na przyszłość. STEP 21 PFADFINDERBEWEGUNG UND UNTERGRUNDPRESSE | KRAKAU Der Schwur dreier Männer Der Widerstand polnischer Pfadfinder Wie Józef Drozdz uns berichtet, spüren die Pfadfinder-Gruppierungen in Bielitz und Biala, ca. 100 Kilometer von Krakau entfernt, schon 1937, dass der Krieg zwischen Deutschland und Polen nicht zu verhindern ist. In Bielitz und Biala entstehen immer mehr deutsche Organisationen und Vereine. Die Jungdeutsche Partei für Polen organisiert Demonstrationen und Märsche, auf denen faschistische Lieder gesungen und nationalistische Parolen skandiert werden. Die Organisation steht ideologisch und organisatorisch der NSDAP sehr nah. Ab August 1939 kann man in der Stadt Bielitz die ersten Vorbereitungen für den Krieg erkennen: Lebensmittel werden gesammelt und Jugendliche für die Armee rekrutiert. Am 22. August 1939 wird Józef Drozdz beauftragt, eine geheime Gruppe von Konspirateuren zu leiten. Seitdem haben die zwei Städte Bielitz und Biala einen gemeinsamen Pfadfinderführer. Die ersten Vorbereitungen für den Widerstand im Untergrund sind getroffen. In der Nacht vom 31. August auf den 1. September 1939, morgens um halb fünf, erfahren die Pfadfinder vom deutschen Angriff auf Polen. Der Krieg hat begonnen. Es werden Waffen ausgeteilt, sehr schlechte Waffen aus dem Ersten Weltkrieg. Als Reaktion auf den heftigen Widerstand bringen die Deutschen viele der polnischen Bewohner um. Die Pfadfinder aus Bielitz und Biala fliehen nach Krakau, wo sie damit beauftragt werden, mit den Krakauer Pfadfindern am Hauptbahnhof für Ordnung zu sorgen. Sie helfen der Bevölkerung bei der Evakuierung, teilen Essen aus und regeln den Verkehr in den überfüllten Straßen in der Nähe des Bahnhofs. Nach dem Aufenthalt in Krakau fliehen sie weiter nach Bruchowice in der Nähe von Lemberg. Nach zwei Monaten kehren Józef Drozdz und andere Pfadfinder nach Bielitz zurück. Ab jetzt können sie nur noch im Untergrund aktiv werden. Sie verstecken polnische Bücher in verschiedenen Häusern, um die polnische Kultur zu bewahren. Die legale Ausübung des Pfadfindertums ist nicht mehr möglich. Die Hauptquartiere werden von den Nationalsozialisten liquidiert. Es ist der 19. November 1939. In einer Wohnung an der Glowackiego in Bielitz leisten sich drei Männer einen Schwur: Józef Drozdz, Edward Zajaczek und Zbiegniew Czernelecki. Jeder von ihnen ist verantwortlich, weitere Untergrundgruppen zu bilden und ihre Ideen und Nachrichten zu verbreiten. Auch Frauen sind dabei. So Jadwiga Chmiel, die sich um Sanitätshilfe kümmert und als einzige ein Radio besitzt, über das die Widerständler an Informationen für die Untergrundblätter kommen. Treffpunkt ist die Wohnung der Familie Orawski, wo Józef Drozdz die Zeitungen abholt, die er dann an Mittelsmänner weitergibt. Als Mittelsmann kennt man nur zwei Personen: diejenige, von der man etwas erfährt oder bekommt und diejenige, der man es weitersagt oder -gibt. Mit diesem System sollen Probleme vermieden werden. „Wer weniger weiß, ist sicherer“, erzählt Józef Drozdz. Erst viele Jahre nach dem Krieg nimmt er mit den Leuten Kontakt auf, die als Mittelsmänner tätig waren. Die einzelnen Aktionen der Pfadfinder in der Kriegs- und Besatzungszeit sind heute schwer zu rekonstruieren. Es fehlt an Material. Viele der Pfadfinder haben ihre Geschichten mit ins Grab genommen, da sie sich zum Schutz ihrer Angehörigen und Freunde nicht mitgeteilt haben. Ihr Wirken ist ein „weißer Fleck“ in der Geschichte des polnischen Widerstands. Unter der Hand Untergrundzeitungen trotzen der NS-Propaganda in der offiziellen Presse offizielle Presse: Extrablatt der Krakauer und Warschauer Zeitung vom 14.6.1940. Auf der gegenüberliegenden Seite: Untergrundpresse Polska Zyje (Polen lebt) vom 6.7.1940: Der „Blitzkrieg“ gegen Frankreich war ein schwerer Schlag für die ganze Welt im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Archiv der Jagiellonia Bibliothek in Krakau In der Okkupationszeit gibt es in Polen zwei Arten von Presse: die offizielle und die Untergrundpresse, die illegal gedruckt und verteilt wird. Unter der Kontrolle des Generalgouverneurs Hans Frank erscheint in den besetzten polnischen Gebieten der Krakauer Bote (Goniec Krakowski), die offizielle Zeitung, die Teil der nationalsozialistischen Propaganda ist. Daneben gibt es im gesamten Generalgouvernement ca. 50 weitere offizielle Zeitungen in deutscher und polnischer Sprache. Generalgouvernement Das „Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete“ wurde vom Deutschen Reich am 26. Oktober 1939 eingerichtet. Diese Verwaltungseinheit umfasste diejenigen Teile Polens, die nicht unmittelbar ins Reichsgebiet eingegliedert wurden. Das Generalgouvernement war in die Distrikte Krakau, Warschau, Radom und Lubin unterteilt. Hauptstadt war Krakau. Ab August 1941 kam Ostgalizien als fünfter Distrikt hinzu. (Karte auf Seite 28) Um die polnische Bevölkerung über die reale Situation und über den Kriegsverlauf zu informieren, druckt der polnische Widerstand illegale Informationsbulletins. Als Nachrichtenquelle dient hauptsächlich der ausländische alliierte Rundfunk. Zu den Untergrundblättern der politischen Linken in Krakau zählen das Polnische Tagesblatt (Dziennik Polski) und die Polnische Wochenzeitung (Tygodnik Polski). Ab 1942 werden hier regelmäßig Meldungen veröffentlicht, die sich mit der Situation von jüdischen und polnischen Häftlingen in Konzentrationslagern beschäftigen. Im November 1942 gibt das Polnische Tagesblatt die Räumung des Krakauer Ghettos bekannt. Im April 1943 berichtet das Polnische Tagesblatt, dass in den Mordfabriken, d. h. in den Gaskammern, während der letzten beiden Jahre neben Menschen anderer Nationalitäten hauptsächlich Polen und über 900.000 Juden ermordet wurden. Verbreitet werden die illegalen Zeitungen vor allem von Pfadfindern, die kurz vor dem Krieg geheime Gruppierungen gebildet haben. Ihre Untergrundaktionen haben große Wirkung. In Krakau erscheint die Untergrundzeitung Polen lebt (Polska Zyje), die [WEISSE FLECKEN] 13 Lebenslauf Józef Drozdz Józef Drozdz wurde am 22.1.1918 im Kreis Bielitz (Bielsko) geboren. Als kleiner Junge trat er den Pfadfindern bei und leitete schon mit 15 Jahren eine eigene Gruppe. Als die Wehrmacht am 3.9.1939 in Bielsko einbrach und es besetzte, wurde der 21-jährige Pfadfinder Leiter einer geheimen Gruppierung. Seine Aufgabe war es vor allem, illegale Presse im Kreis Bielitz zu verbreiten. Ein Jahr später wurde die Gruppe von den Nazis zerschlagen und fast alle Konspirateure wurden verhaftet. Auch Drozdz wurde am 18.12.1940 von der Gestapo verhaftet und in das in der Nähe liegende KZ Auschwitz gebracht, wo er die Häftlingsnummer 7602 bekam. Danach wurde Drozdz in verschiedene Konzentrations- Zeitzeuge Józef Drozdz und Arbeitslager verschleppt. Er war insgesamt in acht Lagern: Auschwitz (1940 –1941), Bytom (Februar 1941), Zabrze (Juli 1941), Brzeg-Zuchthaus (1941–1944), Sosnowiec (1944), Mysłowice (Januar 1945), KZ Mauthausen-Gusen2 (1945), wo er bis zu der Befreiung von den Aliierten am 5.5.1945 blieb. Zwei Monate später kehrte er wieder nach Bielsko zurück. Kommentar Kein Einfluss Was ist der Krieg? Trotz aller meiner Bemühungen würde ich es nicht schaffen, den Begriff richtig zu definieren. Denn es gibt keine richtige oder falsche Definition. Für jeden Menschen bedeutet Krieg etwas anderes. Meistens ist das von unseren Lebenserfahrungen abhängig. Irgendwie fühle ich mich auch nicht dazu berechtigt, über den Krieg zu schreiben. Da ich in den Friedenszeiten geboren bin und lebe, hat der Krieg eine andere Bedeutung für mich, als für die Menschen, die ihn überlebt haben. Ich meine jedoch, dass der Krieg immer einen gewissen Verfall der menschlichen Zivilisation bedeutet. Wenn es zu einem Krieg kommt, dann bedeutet es für die Menschen, dass sie nicht mehr im Stande sind, einen Dialog miteinander zu führen; dass sie den Ausweg aus einer bestimmten Situation nur in Gewalt sehen! Die beiden Seiten können sich auf der einfachsten menschlichen Ebene nicht verständigen, es ist tragisch. Die Zeitzeugen, mit denen wir im Rahmen des Projekts [Weiße Flecken] gesprochen haben, waren meistens in unserem Alter, als der Zweite Weltkrieg begann. Und genauso wie wir, hatten die jungen Menschen kaum Einfluss darauf, was auf der Welt geschah. Der Jugendliche von Katarzyna Król von heute macht sich sicherlich Gedanken darüber, was gewesen wäre, wenn er 60, 70 Jahre früher geboren wäre. Hätte er dieses große Leiden überstanden, das der Krieg mit sich bringt? Man muss sich dessen bewusst sein, dass wir auf unser Leben ganz wenig Einfluss haben, wir können nicht darüber entscheiden, in welchem Land, in welcher Zeit wir geboren werden. Von unserer Menschlichkeit zeugt nicht das, was wir von uns behaupten. Nur eine bestimmte Lebenslage kann beweisen, ob wir in der Lage sind, menschlich zu handeln. Von unserer Menschlichkeit zeugt die Tatsache, wie wir uns in einer Extremsituation zurecht finden. Hier zählt die Menschenliebe. Sie hat uns der große Auschwitz-Märtyrer, der heilige Maksymilian Kolbe gezeigt, der sich in Auschwitz für das Leben eines Familienvaters hat bestrafen und umbringen lassen. Das sollte für den heutigen Menschen ein Vorbild sein. Unsere Generation hat – wie wir mit dem Projekt [Weiße Flecken] – die einzigartige Möglichkeit, Auschwitz-Überlebende persönlich kennen zu lernen. Wir können von ihnen viel lernen, und vor allem sollten wir aus dem, was sie sagen, richtige Schlussfolgerungen für unsere Zukunft ziehen. Team Krakau auch von den Pfadfindern verteilt wird. Auf der Titelseite befindet sich der Aufruf an alle Leser, die gelesene Zeitung weiter zu geben und die enthaltenen Informationen auch mündlich weiter zu verbreiten. Die illegalen Zeitungen werden unter der Hand weitergereicht Wir haben die Untergrundpresse mit dem legal gedruckten Krakauer Boten (Goniec Krakowski) verglichen. Im Krakauer Boten werden wichtige Ereignisse, etwa die Entstehung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. April 1940, die Ankunft der ersten Häftlinge am 14. Juni 1940, die erste Selektion für die Gaskammer am 4. Mai 1942 oder der Aufstand im KZ-Lager am 7. Oktober 1944 nicht erwähnt. Dagegen wird in Polen lebt ausführlich über diese Verbrechen informiert. Damals riskierten Widerstandskämpfer im Untergrund ihr Leben, um den „weißen Flecken“ in der offiziellen Presse etwas entgegen zu setzen. Maria Mrówca (23), Kasia Lorenc (21) und Karolina Drapała (21) (hinten v. l.); Ania Fryda (21), Adrian Golis (20) und Kasia Król (20) (vorne v. l.) Unser Team besteht aus sechs Krakauer Germanistikstudenten. Wir haben verschiedene Hobbys, was uns aber verbindet, ist die Vorliebe für deutsche Sprache und Kultur und unser Interesse an deutsch-polnischen Beziehungen. Journalistische Arbeit ist für die meisten von uns etwas Neues, umso mehr haben wir uns auf dieses Projekt gefreut. Wir suchten lange ein passendes Thema und entschieden uns schließlich, die Untergrundpresse und deren Verbreitung durch die Pfadfinderbewegung zu beleuchten. Die Interviews mit Zeitzeugen waren für uns eine Ehre. An dieser Stelle möchten wir uns bei unseren Zeitzeugen für ihre Zeit und ihr Engagement herzlich bedanken. Team Krakau hat die Artikel auf Deutsch geschrieben FAMILIE SCHOLL | ULM 14 [WEISSE FLECKEN] STEP 21 Wie lange noch Scholl? – eine unberechtigte Frage Familie Scholl Eltern: schmuggelt. Sie teilen das Essen mit den Mithäftlingen. Diese Großzügigkeit passt eindeutig nicht in das Bild, das die Nazis von der Familie zu vermitteln versuchen. „Wie lange noch Scholl ? – eine berechtigte Frage“: So titelt die NSDAP-Kreisleitung am 8. Oktober 1943 im Ulmer Sturm / Tagblatt. Der Artikel, der unter anderem von der Hinrichtung der Geschwister Hans und Sophie Scholl handelt, beschimpft den Vater Robert Scholl als „moralisch längst verurteilt“ und „zersetzendes Vorbild für die Familie“. „Der Artikel sollte sicher die Leute abschrecken, mit uns Kontakt aufzunehmen und verbreiten, dass wir in Ulm unmöglich tragbar sind“, sagt Elisabeth Hartnagel, Schwester von Hans und Sophie, über den Zweck des Artikels. „Die Volksgemeinschaft weiß, in welchem Ausmaß er und einzelne seiner Familienmitglieder sich gegen das Wohl des deutschen Volkes vergangen haben“, hetzt die Kreisleitung gegen Robert Scholl. Und sie droht unmissverständlich der ganzen Familie: „Wir sind mit den Juden fertig geworden, wir werden auch mit den Scholls fertig“. Der von den Nazis häufig verwendete Leitspruch „Für den Verräter haftet die Sippe“ findet für die Scholls beispielhafte Anwendung: Die Geschichte ihrer gesellschaftlichen Brandmarkung beginnt mit der Hinrichtungsmeldung der Geschwister Hans und Sophie vom 27. Februar 1943 im Ulmer Sturm/Tagblatt. Die kleine Notiz verschweigt jedoch Details über die Gründe der Hinrichtung. Die Ulmer Bevölkerung ist zutiefst schockiert. Bis zur Veröffentlichung des Artikels hatte man die Geschwister Scholl für vorbildliche junge Nationalsozialisten gehalten. Sechs Monate Schutzhaft für die ganze Familie Noch am selben Tag wird die Familie – mit Ausnahme des jüngsten Sohnes Werner, der sich an der Front befindet – in Schutzhaft genommen. Elisabeth Hartnagel erinnert sich: „Wir haben gefragt, warum wir verhaftet werden. Der Gestapo-Beamte erwiderte, dass wir in Schutzhaft kämen. Als wir fragten, vor wem sie uns schützen wollen, hat er gelacht und gesagt: Vielleicht vor der Ulmer Bevölkerung.“ Die Scholls wissen, dass dies ein fadenscheiniger Vorwand ist. Sechs Mo- Die Nazis finden einen Grund, Robert Scholl zu verurteilen – wegen Rundfunkverbrechen Meldung über die Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl am 22. 2. 1943. Ulmer Sturm / Tagblatt vom 27. 2. 1943. Stadtarchiv Ulm nate bleibt die Familie inhaftiert, nur Tochter Elisabeth wird vorzeitig entlassen. Von diesem Zeitpunkt an ist die 22-Jährige jedoch vom alltäglichen Leben in Ulm ausgeschlossen. Sie ist auf sich allein gestellt. Ehemalige Schulfreundinnen weichen ihr aus, Geschäftsleute wollen ihre Bestellungen nicht entgegennehmen. Eines Tages öffnet Elisabeth die Wohnungstür. Vor ihr steht eine Frau, die sagt: „Ich wollt’ bloß mal jemanden aus der Familie von Geköpften sehen.“ Laut Inge Aicher-Scholl ist dies eines der erschreckendsten Erlebnisse, mit denen ihre Schwester Elisabeth konfrontiert wurde. Nur wenige helfen ihr und der Familie, unter ihnen der Wehrmachtsoffizier Fritz Hartnagel, Rechtsanwalt Dr. Witzigmann und der Gestapo-Beamte Anton Rechtsteiner. Rechtsteiner veranlasst im Gefäng- nis Frauengraben mehrere Treffen der Familie, die er beaufsichtigt. Häufig diskutiert er mit den Scholls über Politik und das Handeln von Hans und Sophie. Er sagt zu Elisabeth Scholl: „Wissen Sie, vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben ...“ Seinen Vorgesetzten meldet er nichts von den Gesprächen. Getarnt als Akten bekommen die Scholls Lebensmittel ins Gefängnis ge- Robert Scholl (*1891 † 1973) Geschwister: Inge Aicher-Scholl (*1917 † 1998) Hans Scholl (*1918 † 22. 02. 1943) Nach drei Monaten finden die Nazis einen Grund, Robert Scholl endgültig Elisabeth Hartnagel (geb. Scholl) festzuhalten. Man wirft ihm „Rundfunk(*1920) verbrechen“ vor. Alexander Schmo(heiratete 1945 Fritz Hartnagel) rell, ein wichtiges Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, soll bei eiSophie Scholl nem Verhör angegeben haben, mit der (*1921 † 22. 02. 1943) Familie den „Feindsender“ Radio Beromünster gehört zu haben. „Wir haben Werner Scholl das nie geglaubt“, so Elisabeth Hartna(*1922 verschollen seit 1944) gel bezüglich der vermeintlichen Belastungsaussage. Robert Scholl und sein Rechtsanwalt Witzigmann verlangen, Schmorell als Zeugen zu laden. Aber ihre Bitte wird abgelehnt; Schmorell wird im Juli 1943 hingerichtet. Im Juni 1944 zieht der Rest der Familie in den Schwarzwald nach EwatLaut Elisabeth Hartnagel tritt an Schmorells Stelle die ehemalige Se- tingen. Inge Aicher-Scholl begründet kretärin Scholls als Zeugin auf. Ma- dies als Flucht vor der Gestapo. Elisabeth Hartnagel ist jedoch überzeugt: ria Müller* hatte bereits im August 1942 in einem Prozess wegen „Heim- „Dies war kein Versteck vor der Gestatücke“ gegen Robert Scholl ausgesagt. po, sondern wir hatten in Ulm einfach keine Wohnung mehr. Die Partei sagte: Damals bezeugte sie die Äußerung Scholls, Hitler sei die größte Gottesgei- Wir wollen die Scholls nicht in Ulm.“ Im November 1944 stößt der Vater ßel der Menschheit. Mutter Magdalene Scholl und Toch- zu ihnen. Nach Kriegsende kehrt die ter Inge werden freigesprochen. Ro- Familie nach Ulm zurück. Robert bert Scholl wird zu einer 18-monati- Scholl wird noch im selben Jahr das gen Haftstrafe verurteilt. Er sitzt noch Amt des Oberbürgermeisters übertragen, das er aber aufgrund seiner prinim Frauengraben in Haft und wartet zipiellen, demokratischen Toleranz auf seine Überführung nach Kislau bei Bruchsal – gleichermaßen Zucht- auch gegenüber ehemaligen Nazis schon 1948 abgeben muss. haus, Gefängnis und KZ – als im Ulmer Sturm/Tagblatt der Artikel „Wie lange noch Scholl ?“ erscheint. * Name von der Redaktion geändert Team Mementote Scelerum aus Ulm Arkadiusz Blaszczyk (18), Sarah Manz (17) und Teresa Krätschmer (17) (v. l.) Mementote Scelerum!!! … aber wer verbirgt sich hinter diesem Namen? Mementote Scelerum – das sind Sarah, Teresa und Arkadiusz. Wir sind drei 17–18-jährige, politisch und geschichtlich interessierte Jugendliche aus Ulm. Dort besuchen wir den zwölften Jahrgang des AnnaEssinger-Gymnasiums. Durch unseren Lehrer, Heinz Mohn, haben wir von dem Projekt [Weiße Flecken] erfahren. Für uns war dieses Projekt von Anfang an etwas Besonderes: eine Möglichkeit, die Öffentlichkeit über die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuklären, aber auch unser Augenmerk für manipu- Magdalene Scholl (geb. Müller, *1881 † 1958) lative Texte zu schärfen. Wir gaben uns frei nach dem Motto „Unser Name ist Programm“ den Namen „Mementote Scelerum“ (lat. Gedenkt der Verbrechen). Mit Hilfe des Historikers Dr. Silvester Lechner einigten wir uns auf das Thema „Scholl“: eine der wohl berühmtesten Ulmer Familien, deren Namen man vor allem mit den Geschwistern Hans und Sophie als Gründungsmitglieder der „Weißen Rose“ verbindet. Es folgten Recherchen, Gruppentreffen, Interviews und intensive Schreibarbeit, die schließlich in diese Zeitungsseite mündeten. Ulmer Sturm / Tagblatt vom 8.10.1943. Stadtarchiv Ulm FAMILIE SCHOLL | ULM STEP 21 [WEISSE FLECKEN] 15 Kommentar Wählen ist Bürgerpflicht. Meinungsbildung auch! Warum Scholl? Hunderte von Büchern, Zeitungsartikeln, Fernsehsendungen und sogar einen Kinofilm gibt es schon zu diesem Thema. Ein riesengroßer Materialberg. Warum also kauen wir es schon wieder durch? Nein, nicht nur, weil die Familie Scholl im Vergleich zu den Geschwistern Hans und Sophie wenig behandelt wird. Sondern weil diese Familie eine Insel der Menschlichkeit und freien Persönlichkeitsentfaltung in einem Meer von Mitläufern war. Robert Scholl, überzeugter Demokrat, war von Anfang an gegen Hitler und die Politik des NS-Regimes. Schon zur Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 sagte Scholl: „Das bedeutet Krieg!“ Seine Kinder ließ Robert Scholl ihre eigenen politischen Wege gehen. So leisteten Hans und Sophie gewaltfreien Widerstand gegen das NS-Regime. Während ihrer Studienzeit gründeten sie in München die „Weiße Rose“ und mussten für ihre Ideale mit dem Leben bezahlen. Für die Bewohner Ulms war das, wie wir durch Zeitzeugen erfuhren, nicht nachvollziehbar, hatten Hans und Sophie in ihrer Kindheit doch der Hitlerjugend beziehungsweise dem Bund Deutscher Mädel angehört. Wie kam es zur Entscheidung für den Widerstand? Hans und Sophie Scholl hatten nachgedacht und sich zu dem System, das sie beherrschte, ihre eigene Meinung gebildet. Wahrscheinlich stimmt uns jeder zu, dass das Hinterfragen politischer Gegebenheiten und der Gesellschaft wichtig für das Überleben eines demokratischen Staates ist. Wir fragen uns also: Setzen wir uns heute genug mit den Beschlüssen aus Berlin auseinander? Immerhin beeinflussen sie unser aller Leben. Wir wollten erfahren, ob die Generation, die die Unterdrückung durch das NS-Regime persönlich miterlebt hat, aus ihren Erfahrungen Konsequenzen gezogen hat, ob sie kritisch gegenüber Regierungsentscheidungen ist. Darum haben wir am 18. September 2005, am Tag der Bundestagswahl, einige Menschen dieser Generation direkt nach ihrer Stimmabgabe befragt. Im politischen Spektrum liegen die Einstellungen der Befragten weit auseinander. Eine 81-jährige Frau sagte uns, dass sie mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation sehr unzufrieden sei. Ausländer würden der jungen Generation die Arbeitsplätze wegneh- men, ereiferte sie sich, und dass unter Hitler wenigstens alle Arbeit gehabt hätten. Ihre Einstellung beweist, dass Nazipropaganda in manchen Menschen immer noch fortlebt. Ein älteres Ehepaar meinte, dass die Deutschen mehr Nationalstolz zeigen sollten. Mit Ausländerfeindlichkeit dürfe das allerdings nichts zu tun haben. Einig sind sich die Befragten darin gewesen, dass jeder wählen gehen sollte. Nichtwähler hätten kein Recht, sich zu beschweren, sagte dazu das ältere Ehepaar. Ihrer Meinung nach könne man nichts erreichen, wenn man nicht zur Wahl gehe. Für einen anderen Befragten ist Wählen sogar Bürgerpflicht. Zwar könne er als Individuum nichts verändern, wohl aber als Teil der großen Masse. Manfred Eger, überzeugter Kommunist, erzählte uns, dass das Wahlrecht erkämpft wurde: „Leute haben sich dafür totschlagen lassen“. Er selbst hält es für äußerst wichtig, seine Stimme abzugeben. Selbst wenn er sich für keine Partei entscheiden könnte, würde er doch zumindest durch Ungültigmachung seines Stimmzettels seinen Unmut kundtun. Robert Scholl mit seinen Kindern Inge, Hans, Elisabeth, Sophie und Werner (v. l.) vor dem Schloss in Ludwigsburg, aufgenommen zwischen 1925 und 1930. Foto: SV-Bilderdienst: Geschwister Scholl-Archiv Alle der von uns Befragten haben sich – so unser Eindruck – mit dem Programm der von ihnen gewählten Partei auseinander gesetzt. Sie haben sich ihre eigenen Gedanken gemacht. Das zeigt, dass wenigstens ein Teil der damaligen Generation etwas aus der Ver- gangenheit gelernt hat. Auch wenn der größte Teil der heutigen deutschen Bevölkerung nie eine Diktatur durchlebt hat, bildet dieser sich hoffentlich eine eigene Meinung. Dann hätten wir gute Voraussetzungen, um weiterhin in einem demokratischen Staat zu leben. + + + + [Weiße Flecken]-Paten + + + + [Weiße Flecken]-Paten + + + + [Weiße Flecken]-Paten + + + + [Weiße Flecken]-Paten + + + + Julia Jentsch Steffen Möller Adé Bantu Prof. Dr. Gesine Schwan Virginia Jetzt! Schauspielerin Schauspieler und Kabarettist Musiker und Gründer der Präsidentin der Europa-Universität Musiker „Durch gemeinsame, kreative Arbeit „Sophie und Hans Scholl haben un- „Gegen Rechts zu sein gebietet die VerBrothers Keepers Viadrina „Das Konzept von [Weiße Flecken] „In einer Zeit, in der Geschichtsverfäl- haben die deutschen und polnischen ter Einsatz ihres Lebens versucht, der nunft. Jugendlichen wird häufig Desinbraunen Propaganda der Nationalso- teresse und Gleichgültigkeit gegenüber hat mich sofort überzeugt: Ereignis- schung und Relativierung überhand Jugendlichen bei [Weiße Flecken] die nehmen, Zeitzeugen – somit Primär- Gelegenheit, sich über die Beschäfti- zialisten mit Flugblättern entgegenzu- Politik und Gesellschaft unterstellt. Es se, über die damals nicht geschrieben gung mit der NS-Vergangenheit für die wirken. Nachzuempfinden und zu ver- gibt zum Glück viele junge Leute, die werden durfte, und die deshalb in Ver- quellen – allmählich aussterben, ist es gessenheit gerieten, werden so in un- von enormer Bedeutung, dass sich die gegenwärtigen und künftigen deutsch- stehen, was Unfreiheit und Unterdrü- dieses Vorurteil widerlegen. Das Enckung, Diskriminierung und existenti- gagement der Jungredakteure von junge Generation in Deutschland ih- polnischen Beziehungen einzusetzen.“ ser Bewusstsein zurückgeholt und elle Bedrohung für Würde und Leben können kollektiv aufgearbeitet wer- rer Verantwortung gegenüber der Ge[Weiße Flecken] ist ein hervorragendes Menschen bedeuten, ist Voraus- des Beispiel.“ schichte bewusst wird. Denn nur so den. [Weiße Flecken] erscheint mir setzung zur aktiven Verteidigung diekann sie sich von der Last der Verdeswegen eines der originellsten und ser Werte für die Zukunft. [Weiße Flebesten Konzepte der Jugendarbeit im gangenheit befreien und eine selbstbecken] sensibilisiert Jugendliche genau Umgang mit dem Nationalsozialismus, wusste Rolle in dem sich vereinenden dafür.“ und ich kann dem Projekt nur viel Er- Europa annehmen.“ folg wünschen!“ Prof. Dr. hc. mult. Karl Dedecius Marion Horn Prof. Jobst Plog Ulrich Noethen Michael Degen Autor und Übersetzer Chefredakteurin von BILD Hamburg Intendant des NDR Schauspieler Schauspieler und Autor „Gegen antisemitische Vorurteile helfen „Der kritische Umgang mit Medien ist „Vergangenheit bewältigen und prak- „Die Kombination aus Erinnerungsar- „Es gibt für mich keinen schöneren Gedanken als an die Zuversicht auf die nur Aufklärung und Bildung. Deswe- heute eine zentrale Schlüsselkompe- tisch mit Medien arbeiten: [Weiße Fle- beit und journalistischer Praxis beim gen unterstütze ich [Weiße Flecken]: tenz, wenn man sich in der Gesell- cken] kombiniert zwei Konzepte mo- Projekt [Weiße Flecken] überzeugt Jugend, die sich ihrer Verantwortung für die Zukunft bewusst ist und dafür derner Bildungsarbeit. Ein Projekt, mich.“ Hier lernen Jugendliche nicht nur für schaft orientieren und zurechtfinden lebt: lernt, arbeitet, wirkt.“ sich selbst aus der Vergangenheit, will. Auch die Erinnerung an die Ver- das in vielerlei Hinsicht hilft auf dem brechen der Nationalsozialisten ist ei- Weg zum mündigen Bürger.“ sondern geben ihr Wissen [...] an ein ne nach wie vor dringende Aufgabe.“ breites Publikum weiter.“ Hauptförderer Weitere Förderer Kooperationspartner DIE „ROTE KAPELLE“ | POTSDAM 16 [WEISSE FLECKEN] Harro Schulze-Boysen – für die Gestapo ein bezahlter Spion Für die Geheime Staatspolizei (Gestapo) waren die Mitglieder der Berliner Gruppierung „Rote Kapelle“ von der Sowjetunion bezahlte Landesverräter. Die Geschichte des Widerstandskämpfers Harro Schulze-Boysen. Am 31. August 1942 stehen zwei Männer der Gestapo vor der Bürotür des Luftwaffenoffiziers Harro Schulze-Boysen. Sie bitten ihn nach draußen. Vor den Toren des Reichsluftfahrtministeriums steht ein schwarzer Wagen mit laufendem Motor zur Abfahrt bereit. Dem 33-Jährigen werden Handschellen angelegt. Die Männer erklären ihm nüchtern, dass er wegen Spionage verhaftet ist. nack, der im Reichswirtschaftsministerium arbeitete, von dem bevorstehenden Angriff auf die Sowjetunion. Ohne zu zögern begann er, alle ihm zugänglichen Informationen aus dem Reichsluftfahrtministerium zu sammeln. Nicht aus kommunistischer Zuneigung, sondern aus klarer Ablehnung des Nationalsozialismus heraus nutzte Schulze-Boysen den Kontakt Harnacks zur sowjetischen Botschaft, um die Informationen weiterzuleiten. Harro Schulze-Boysen wurde am 2. September 1909 in Kiel geboren. Bereits in jungen Jahren existierten Einträge in der Zentralkartei der Gestapo Kurzer Funkkontakt mit über seine Aktivitäten gegen die NaziBewegung. Mit 22 wurde er Herausge- Moskau – „1000 Grüße ber der Zeitschrift Gegner, in der ver- an die Freunde“ schiedene politische Strömungen Kritik am Nationalsozialismus äußerten. Die Zeitschrift wurde 1933 verboten, In Moskau war man über den WahrSchulze-Boysen Ende April zusammen heitsgehalt der Warnung im Unklaren. mit mehreren Redaktionsmitgliedern Stalin bezeichnete Schulze-Boysen als von der Sturmabteilung (SA) verhaf- „Desinformator“. Dennoch setzte er eitet und misshandelt. Durch die Bemü- nen Funkspruch an den Geheimagen- Beide waren jedoch nur bedingt funktionsfähig. Der Aufbau einer Funkverbindung war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Schon nach dem ersten Testfunkspruch „1000 Grüße an die Freunde“ wurde er aus technischen Gründen eingestellt. Nachdem die deutschen Truppen im Dezember 1941 vor Moskau durch einen Gegenangriff der Russen gestoppt und die USA in den Krieg eingetreten waren, schien ein Wendepunkt erreicht. Der Optimismus bei HitlerGegnern wuchs. Bei kleinen Treffen um Schulze-Boysen und Harnack wurden Vorträge gehalten und Essays vorgestellt. Darin griffen sie patriotische Gedanken auf, prangerten die Verbrechen der Nationalsozialisten an der Zivilbevölkerung an und stellten die Aussage der Propagandamaschinerie, dass der Endsieg noch möglich sei, in Frage. Mit Flugblättern wandten sie sich auch an die Öffentlichkeit. Mit Flugblättern und Klebezetteln gegen die Propaganda vom „Endsieg“ Harro Schulze-Boysen und seine Frau Libertas. Beide wurden am 22. Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand. hungen seiner Mutter bald wieder entlassen, absolvierte er eine Fliegerausbildung und bekam eine Anstellung im Reichsluftfahrtministerium. Dass Harro Schulze-Boysen kein Anhänger nationalsozialistischer Politik war, war der Gestapo bekannt, wie jedoch war der Vorwurf der Spionage begründet? Im März 1941 erfuhr Schulze-Boysen über seinen Freund Arvid Har- ten „Kent“ in Brüssel, der sich persönlich mit Schulze-Boysen treffen sollte. Wenige Tage später trafen sich die beiden Männer in Berlin, woraufhin Kent sieben Funksprüche nach Moskau sendete. Er bat um technische Ausrüstung für Schulze-Boysen und Harnack, damit ein Funkkontakt zwischen Moskau und dem aufkeimenden Widerstand geschaffen werden konnte. Die Russen schickten tatsächlich zwei Funkgeräte. Team Flugblatt aus Potsdam Als Anfang Mai 1942 im Berliner Lustgarten die antisowjetische Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies“ öffnete, schlug Schulze-Boysen eine Klebezettelaktion vor. Viele seiner Freunde waren gegen diese Aktion. Er bekam jedoch starken Rückhalt von jungen Angestellten und Studenten, die nicht nur reden, sondern auch handeln wollten. In der Nacht vom 17. zum 18. Mai 1942 klebten etwa 15 Personen in verschiedenen Berliner Stadtteilen Zettel. Alle Fahndungsbemühungen gegen die unbekannten Widerstandskämpfer führten ins Leere. Dann, Mitte August 1942, gelang es der Gestapo, den Dechiffrierungscode der Sowjets zu knacken. Alle zuvor aufgefangenen Funksprüche konnten nun entschlüsselt werden. Auch der 1941 gesendete Funkspruch Moskaus an Kent, der die Adressen und Telefonnummern von Schulze-Boysen und Harnack enthielt. Dieser Funkspruch war für die Ermittler der Beweis für ein ausgedehntes Spionagenetz inmitten der Reichshauptstadt. Eine solche Meldung gab der erfolgshungrigen Staatspolizei neuen Antrieb. Umgehend rief sie eine Sonderkommission zur Aufspürung der Spione ins Leben. In der Phraseologie der Gestapo wurde ein Funker als „Pianist“ und eine Gruppe als „Kapelle“ bezeichnet. Da als Empfangsstation die Sowjetunion vermutet wurde, entstand der Fahndungsname „Rote Kapelle“. STEP 21 Kommentar Menschlichkeit und Menschenwürde Es ist eigentlich vollkommen egal, ob man zum Widerstand im „Dritten Reich“, zur Französischen Revolution oder irgendeinem anderen Ereignis in der Geschichte recherchiert. Eine Frage stellt sich am Ende immer: Warum gibt es Menschen, die, egal in welcher Zeit, ihr Leben auf Spiel setzen, um ihre Überzeugung zu vertreten? Sind sie einfach nur stur der Meinung, dass sie auf jeden Fall Recht haben? Oder müsste man sie dafür bewundern, dass sie ungeachtet der Umstände nicht von ihrer Überzeugung abweichen? Und wenn: Sollte man differenzieren zwischen Menschen, die sich für etwas einsetzen, das aus unserer heutigen Sicht „richtig“ ist und denen, die etwas aus unserer Sicht „Falsches“ vertreten haben? Die Antwort auf diese Frage ist nicht leicht; vielleicht gibt es keine. Letztendlich bleibt es uns selbst überlassen, welche Menschen wir als „Helden“ bezeichnen wollen. Die öffentliche Meinung über viele von ihnen än- dert sich durch Zeit und Politik. Doch eine Art von Helden sollte es geben, deren Andenken davon unberührt bleibt, und zwar aus dem Grunde, dass sie sich für etwas eingesetzt haben, das in jeder Zeit und unter jeder Staatsform erstrebenswert ist und bleibt: Menschlichkeit und Menschenwürde. Solange jemand für diese Ziele, die die gesamte Menschheit hinter sich vereinen, kämpft und einsteht, sollte es egal sein, von welcher Seite er kommt, welcher Rasse er angehört, welche Regierungsform er bevorzugt. Unabhängig davon sollte man seine Leistung anerkennen und würdigen; denn eine solche Person hat etwas geleistet, von dem man, bevor man in eine ähnliche Situation kommt, nie sagen kann, ob man ebenfalls den Mut dazu gehabt hätte. Darum möchten wir unsere Achtung allen Menschen aussprechen, die sich dem Naziregime unter Einsatz ihres Lebens widersetzten – egal, welcher politischer Gesinnung sie gewesen sein mögen. Im September und Oktober 1942 verhaftete die Gestapo über 100 Männer und Frauen der „Roten Kapelle“. 91 von ihnen wurden vor dem Reichskriegsgericht angeklagt, 19 Frauen und 31 Männer zum Tode verurteilt. Am 22. Dezember 1942 wurden die Urteile in Berlin-Plötzensee vollstreckt. Unter den Ermordeten sind auch Schulze Boysen und seine Frau Libertas. Einher mit den Hinrichtungen ging der Befehl, keinerlei Berichterstattung in der Presse zuzulassen. Die „Rote Kapelle“ war ein Konstrukt der Gestapo. Tatsächlich hat sie niemals als Spionage-Organisation bestanden. In den verbleibenden Jahren des „Dritten Reichs“ wurde die Existenz der Gruppe nahezu totgeschwiegen. Zu ihren Reihen gehörten hochrangige Vertreter aus nationalsozialistischen Ministerien und Organisationen – ein Eingeständnis von Mängeln im Bereich der inneren Sicherheit wäre inakzeptabel gewesen. Zudem war man sich sicher, erst einen kleinen Teil der Mitglieder eines sehr viel größeren Spionagenetzes gefasst zu haben, und wollte die verbleibenden nicht durch öffentliche Hinrichtungen und Presse warnen. Da es keinerlei öffentliche Berichterstattung über die „Rote Kapelle“ gab, war die einzige Grundlage nach Kriegsende der Bericht der Gestapo, in dem alle Vermutungen über ein „sowjetisches Spionagenetz“ als Tatsachen festgeschrieben worden waren. Ganz besonders nach der Teilung Deutschlands im Jahre 1949 wurde die Beurteilung dieser mutmaßlich kommunistischen Gruppierung zu einem Politikum. Während die „Rote Kapelle“ in Westdeutschland als bezahlte sowjetische Spionageorganisation von der allgemeinen Ehrung des Widerstandes ausgeschlossen wurde, wurde sie in Ostdeutschland als Vorbild einer sozialistischen Volksfront gefeiert und ihre Mitglieder zu Helden stilisiert. Schulze-Boysen wollte alle Schuld auf sich ziehen Stefanie Becker (18), Andrea Gau (18) und Anton Lißner (19) (v. l.) Gestatten: Wir sind Andrea, Anton und Stefanie – das [Weiße Flecken]-Team aus Potsdam. Was anfangs noch fünf Leute waren, reduzierte sich schnell auf uns drei, aber wir ließen uns nicht einschüchtern und verfolgten weiterhin unsere Rechercheziele. Unser Anliegen war es, den Widerstand gegen das NS-Regime zu beleuchten. Dabei spezialisierten wir uns besonders auf die „Rote Kapelle“, die im Berliner Raum aktiv war. Sicherlich wird das „Dritte Reich“ des Öfteren in der Schule thematisiert. Dennoch ist es ein Unterschied, wenn man sich selber auf Spurensuche begibt und mit Betroffenen spricht. Es lässt einen vieles besser verstehen und nachempfinden. Wir sind der Meinung, jeder sollte so eine Chance nutzen, solange sie noch besteht! Nach wenigen Minuten hält das Auto im Hof der Prinz Albrecht-Straße 8. Als Schulze-Boysen die Handschellen abgenommen werden, befindet er sich in einem kleinen Raum ohne Fenster. Die Einrichtung besteht lediglich aus einem Tisch und zwei Holzstühlen. Die Beweise gegen den Luftwaffenoffizier liegen für die Männer klar auf der Hand, doch ihnen sind noch mehr Namen bekannt. Schulze-Boysen versucht die Schuld auf sich zu ziehen, versucht andere zu entlasten. Sein Leben wird bald zu Ende gehen, dessen ist er sich in diesem Augenblick bereits bewusst. Am 22. 12. 1942 werden die Todesurteile gegen Schulze-Boysen und andere Mitglieder der „Roten Kapelle“ von höchster Instanz, vom „Führer“, bestätigt. Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand DIE „ROTE KAPELLE“ | POTSDAM STEP 21 [WEISSE FLECKEN] 17 aus Moskau gearbeitet hatte. Diese Sichtweise passte ins politische Klima nach 1950. Sie führte zu Anfeindungen gegenüber den Überlebenden bis hin zu Anklagen, diese würden weiterhin für den sowjetischen Geheimdienst arbeiten. Ein verdienter Platz Im „Dritten Reich“ durften Zeitungen über die „Rote Kapelle“ keine Zeile schreiben. Nach 1945 ist die Bewertung der Widerstandsgruppe in Ost- und Westdeutschland widersprüchlich. Erst heute findet eine neutrale Auseinandersetzung statt. Geht man die Korridore der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin entlang, begegnet man auf den ausgehängten Bildern vielen bekannten Gesichtern. Rechts ein Gang, in dem ein Foto Claus Schenk Graf von Stauffenbergs unübersehbar an der Wand hängt. Geradeaus ein weiterer Gang, in dem die Gesichter von Hans und Sophie Scholl auf den Besucher blicken. Wendet man sich jedoch vom Eingang nach rechts, läuft man durch den Teil der Ausstellung, in dem auf den ersten Blick keine bekannten historischen Persönlichkeiten zu erkennen sind. Er ist einer weiteren Widerstandsorganisation gewidmet: der „Roten Kapelle“. Vor 1945: Kein Bericht über die „Rote Kapelle“ „Dieser Abschnitt kam erst sehr spät dazu“, sagt Hans Coppi. Der 62-Jährige zeichnet sich für diesen Teil der Ausstellung mitverantwortlich. Und das nicht ohne Grund: Seine Eltern Hilde und Hans Coppi waren selbst im Widerstand organisiert und standen in enger Verbindung zum Kreis um Arvid Harnack und Harro Schulze- Boysen. „Die ‚Rote Kappelle‘ zur Ausstellung hinzuzufügen, ging nicht ohne Schwierigkeiten ab“, so Coppi weiter. „Die Nachkommen der Gruppe um Stauffenberg zum Beispiel waren nicht sehr angetan von der Vorstellung, eine sowjetische Spionageorganisation hier verewigt zu sehen.“ Bei diesen Worten lächelt er ironisch. Zu Recht. Beschäftigt man sich mit der Berichterstattung über die „Rote Kapelle“, findet man von der Zerschlagung der Gruppe durch die Gestapo Ende 1942 bis zum Mauerfall 1989 ein mustergültiges Beispiel politisch beeinflusster Geschichtsschreibung. Nicht nur, dass auf Befehl Hitlers nicht über die „Rote Kapelle“ berichtet wurde. Nach Kriegsende und mit der Teilung Deutschlands wurden die überlieferten Informationen über die Widerstandsgruppe zum Politikum und der jeweiligen Einstellung zum Kommunismus angepasst. Wie kamen derart unterschiedliche Überlieferungen zustande? Beschäftigt man sich mit zeitgenössischen Publikationen, ergibt sich das Bild einer aus verschiedenen Freundeskreisen bestehenden Widerstandsgruppe. Die über 100 Menschen, die zur „Roten Kapelle“ gehörten, kamen aus unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten und hatten uneinheitliche politische Vorstellungen. Was sie im Widerstand verband, war der Widerwillen gegenüber nationalsozialistischer Politik. Von einer „sowjetischen Spionageorganisation“ kann keine Rede sein. Weder Schulze-Boysen noch ein anderes Mitglied der „Roten Ka- Nach 1945: von Moskau bezahlte Spione oder antifaschistische Volksfront ? Zur Abschreckung berichtete die Presse durchaus über Todesurteile und Zuchthausstrafen. So schreibt der Völkische Beobachter ausführlich über Strafmaßnahmen gegen Fleischer und Viehhändler wegen Schwarz-Schlachtung und Unterschlagung. Die am Tag zuvor vollstreckten Todesurteile gegen Schulze-Boysen und andere Mitglieder der „Roten Kapelle“ dagegen werden mit keiner Silbe erwähnt. Völkischer Beobachter, Berliner Ausgabe, 23. 12. 1942, Staatsbibliothek zu Berlin pelle“ pflegten regelmäßige Kontakte nach Moskau. Spätestens mit Ausbruch des Kalten Krieges war in Westdeutschland die Frage, ob die Sowjets ein Spionagenetz über ganz Europa ausgebreitet hatten, von besonderem Interesse. Als Fachleute fungierten dabei auch Mitglieder der früheren Gestapo, die für sich herausnahmen, einen ganzheitlichen Blick auf die Situation zu haben. Überlebende der „Roten Kapelle“ dagegen hatten lediglich einen eingeschränkten Wissensstand – durch den lockeren Zusammenhalt und aus Sicherheitsgründen war kein Mitglied umfassend über alle Aktivitäten der Gruppe informiert. So wurde mit der Zeit aus einer Widerstandsgruppe, die nur zum Teil sozialistisch eingestellt war, eine kommunistische Spionageorganisation, die für Geld In der DDR fiel die Berichterstattung ungleich positiver aus. Die Mitglieder der „Harnack-Schulze-Boysen-Gruppe“ gehörten zu den Helden des antifaschistischen Widerstands. Aufgrund der unterschiedlichen Herkunft ihrer Mitglieder wurden sie als Vorbild für die Umsetzung einer Volksfront dargestellt. 1966 erschien die „Geschichte der Arbeiterbewegung“. Ähnlich wie im Westen heißt es darin, die „Rote Kapelle“ habe Beschlüsse aus Moskau vorbildlich ausgeführt. In der DDR war dies aber natürlich kein Diskreditierungsgrund. Erst nach der Wiedervereinigung erfolgte eine politisch neutralere Auseinandersetzung mit der „Roten Kapelle“. Zunehmend wird die Gruppe als das dargestellt, was sie laut der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand auch war: eine Gruppe von Menschen, die nicht durch ihrer Sympathie zur Sowjetunion, sondern durch ihre Ablehnung des Nationalsozialismus im Widerstand vereint wurde. Menschen, die sich mit Sicherheit ihren Platz in der Gedenkstätte verdient haben. Anzeige Pogromnacht, Euthan si , Sipp haft, Z angsarbe ter, Par isa enka f, Ent ig [ Wei§e Flecken] ist ein Projekt von STEP 21. Mehr dazu unter www.step21.de Auf Initiative von STEP 21 recherchieren 15 jugendliche Teams aus Deutschland und Polen die historische Wahrheit hinter den Falschmeldungen ihrer Lokalzeitungen. Die Verbrechen in der NS-Zeit wurden in der gelenkten Presse verschwiegen oder manipuliert: von Krakau bis Lüneburg, zwischen Dresden und Ulm war die Presselandschaft voller weißer Flecken. Mit Erinnerungen der letzten lebenden Zeitzeugen füllen die Jugendlichen journalistische Lücken aus der NS-Zeit. Am 23. Januar 2006 stellen die 80 jungen Redakteure ihre Zeitung in Berlin vor. Erster Leser ist der Bundespräsident und Schirmherr von STEP 21, Prof. Dr. Horst Köhler. Diese einmalige Zeitung wird dann in hoher Auflage Schulen und Jugendeinrichtungen zur Verfügung gestellt. Auch heute sind Pressefreiheit und verantwortlicher Journalismus nicht selbstverständlich und müssen als wichtige Errungenschaften der Demokratie ständig neu belebt werden. + + + + Die [Weiße Flecken]-Zeitung zum Download unter www.step21.de/weisseflecken + + + + DAS SCHICKSAL DER CLARA ROSENTHAL | JENA 18 [WEISSE FLECKEN] Keine Ruhe gefunden Das Schicksal der Clara Rosenthal, einer ausgegrenzten Jenaer Jüdin An einem verregneten Herbsttag gibt die alte Villa mit dem verwilderten Garten oberhalb der Kahlaischen Straße in Jena ein ziemlich melancholisches, ein unheimliches Bild ab. Äußerlich ist nur noch zu erahnen, wie prachtvoll das Gebäude einst gewesen sein muss. Doch hinter der großen Holztür verbergen sich immer noch Spuren des ehemaligen Glanzes. Erinnerungen an die Zeit, zu der Clara Rosenthal in der Villa lebte. Fanny Clara wurde am 9. April 1863 in Karlsruhe als Tochter des Kaufmanns Julius Ellstaetter geboren. Im August 1885 heiratete sie den bekannten Juristen, Professor Eduard Rosenthal. 1892 ließen sie die geräumige Villa in der Saalestadt erbauen, in der sie mehrere Jahre gemeinsam mit ihrem Sohn lebten. Dieser kam im Ersten Weltkrieg ums Leben. Die trauernden Eltern errichteten zum Gedenken einen kleinen Tempel im Garten, der immer noch existiert. Clara Rosenthals Villa wurde zum Inbegriff der guten Gesellschaft Heute wohnt Klaus Hermes in der Villa, weshalb ihn Clara Rosenthals Schicksal sehr interessiert. Er selbst kannte sie zwar nicht, hat aber mit vielen ihrer Bekannten gesprochen. „Sie war wohl eine sehr attraktive Frau und nach außen hin eine äußerst freundliche Persönlichkeit“, berichtet der 80Jährige. „Clara kleidete sich immer nach der aktuellen Mode. Sie liebte es, in Gesellschaft zu sein, und nahm gerne an Festlichkeiten und Bällen teil.“ Tatsächlich entwickelte sich die Villa Verlorene Würde „Wenn ich einmal wirklich an der Macht bin, dann wird die Vernichtung der Juden meine erste und wichtigste Aufgabe sein. Sobald ich die Macht dazu habe, werde ich zum Beispiel in München auf dem Marienplatz Galgen neben Galgen aufstellen lassen. [...] Genauso wird in anderen Städten verfahren, bis Deutschland vom letzten Juden gereinigt ist.“ (Adolf Hitler, 1922). Die Judenverfolgung war eines von Hitlers vorrangigen Zielen. Auch in Jena wurde sie erbarmungslos und planmäßig vollstreckt. 1925 zählte die jü- ten und zeigte eine große Vorliebe für ihren Garten“, berichtet Hermes. Trotzdem übergab sie das Grundstück im August 1929 bereits vorzeitig an die Stadt, die sich bereiterklärte, die Villa mit allen anfallenden Nebenkosten zu übernehmen. Eine Villa wird „arisiert“. Der Oberbürgermeister duldet dort keine Jüdin Die Villa Rosenthal heute. bald zu einem kulturellen Mittelpunkt und zum Inbegriff der guten Gesellschaft in Jena. Die Kulturverbundenheit der Familie Rosenthal zeigt sich auch im gemeinsamen Testament der Eheleute von 1924, in dem sie die Villa nach ihrem Tod der Stadt Jena vermachen wollten. Diese sollte die Villa für Ausstellungen nutzen, den Garten pflegen und öffentlich zugänglich machen. Dem überlebenden Ehepartner wurde lebenslanges Wohnrecht in der Villa zugesichert. 1926 starb Eduard Rosenthal. Clara ließ zur Erinnerung an ihn ein Medaillon anfertigen, das heute noch im kleinen Tempel der Familie zu finden ist. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Sie wohnte nun ganz allein in der großen Villa. „Mit dem Leben nach dem Tod ihres Mannes kam sie eigentlich problemlos zurecht. Soviel ich weiß, tätigte sie in ihrer Freizeit verschiedene Handarbei- dische Gemeinde Jena noch 277 Mitglieder. Schon bis 1933 halbierte sich diese Zahl. Vorstellbar ist, dass viele Juden durch den sich verstärkenden Antisemitismus ins Exil oder in den Selbstmord getrieben wurden. Eindeutig geklärt ist dieser große Rückgang jedoch nicht. Der erste direkte und öffentliche Angriff auf die jüdische Bevölkerung in Jena erfolgte kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, am 16. März 1933. Ein von der NSDAP und mittelständischen Vereinen organisierter Mob forderte auf dem Marktplatz die Schließung jüdischer Einrichtungen. Dazu zählten in Jena unter anderem Kaufhäuser und Schuhgeschäfte. Als nächstes führte ein von Team Search-&-find-Clara aus Jena Clara zog sich in das Erdgeschoss zurück, die restlichen Wohnräume wurden von der Stadt vermietet. Doch bereits wenige Jahre nach der Machtübernahme durch die NSDAP begann der tragische Teil der Geschichte der Jüdin Clara Rosenthal. Die antisemitische Politik und Propaganda Adolf Hitlers blieb auch in Jena nicht ohne Folgen. 1936 endete das gegenseitige Einverständnis zwischen der Stadtverwaltung und Clara Rosenthal. Die Mieteinnahmen würden angeblich nicht mehr ausreichen, um die Sanierung und den Ausbau der Villa zu finanzieren, weshalb die fehlenden Mittel von ihr gefordert wurden. Besonders der damalige Oberbürgermeister Dr. Elsner, der selbst in die Villa eingezogen war und für sich ausbauen ließ, störte sich daran, mit einer Jüdin im selben Haus zu leben. In einem Brief des Städtekämmerers heißt es: „Herr Oberbürgermeister will nicht dulden, dass die Jüdin Rosenthal noch länger in einem städtischen Hause wohnt. Abgesehen davon könne auch den arischen Mietern nicht zugemutet werden, mit einer Jüdin in einer Hausgemeinschaft zu leben.“ Der Oberbürgermeister wollte die Villa „judenfrei“ machen und Clara Rosenthal in eines Passanten vor einem zerstörten jüdischen Geschäft in Berlin nach der Pogromnacht vom 9. 11. 1938. Foto: akg-images höchster Stelle angeordneter Boykott am 1. April 1933 dazu, dass Besitzer und Kunden jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien von SAMännern attackiert wurden. Nachdem die Juden weitestgehend aus dem Geschäftsleben ausgeschlossen worden waren, verloren sie durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufbeamtentums“ am 7. April 1933 auch ihre Titel und Würden. Dies traf unter anderem 27 jüdische Akademi- der so genannten Judenhäuser umquartieren, in die jüdische Bürger nach dem „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ vom Mai 1939 ziehen mussten. Doch dazu kam es nicht mehr. Ganz auf sich allein gestellt, konnte Clara dem Druck der fadenscheinigen Anschuldigungen, Diskriminierungen und Drohungen durch die Stadtverwaltung nicht mehr standhalten. Clara Rosenthal wird auch die letzte Ruhe verwehrt 1940 änderte Clara Rosenthal ein letztes Mal ihr Testament. Sie wollte ihren Verwandten, die durch die „Arisierung“ verarmt waren, Geld hinterlassen. Das restliche Erbe sollte von der bekannten Jenenserin Grete Unrein verwaltet werden. In ihrem gebrochenen Stolz und ihrer Verzweiflung wählte Clara am 11. November 1941 den Freitod. Doch Clara Rosenthal sollte auch nach ihrem Tod keine Ruhe finden. Die Frage nach dem Verbleib ihrer Urne ist bis heute ungeklärt. Angeblich soll sie im Rosenbeet des Gartens bestattet worden sein, konnte aber bei einer Ausgrabungsaktion nicht gefunden werden. Wahrscheinlich bleibt sie, wie so viele weitere Aspekte des Lebens von Clara Rosenthal, für immer verschollen. Die Gedenktafel zeigt Clara Rosenthal. Sie steht in der Villa Rosenthal. Ein Foto von Clara Rosenthal gibt es heute nicht mehr. ker an der Jenaer Universität, die für ihre frühe und starke antisemitische Tendenz bekannt war, sowie die Direktorin des Jenaer Stadtmuseums. Erste Deportationen erfolgten Ende Oktober 1938. Zehn so genannte Ostjuden wurden nach Polen verschleppt. Am 15. September 1939 hielten sich nur noch 50 jüdische Bürger und Bürgerinnen in der Stadt auf. In der Reichspogromnacht wurden die restlichen jüdischen Geschäfte zerstört. Die verbliebenen Juden wurden in den zwei „Judenhäusern“ zusammengepfercht, mehrere ins nahe gelegene KZ-Buchenwald deportiert. Bis 1942 gelang es mehreren vermögenden Juden, nach Amerika auszureisen. Dafür mussten sie ihren ganzen Besitz an den NS-Staat abtreten. Die Übriggebliebenen wurden in das KZ-Theresienstadt oder das Ghetto Belzyce in Polen verschleppt. Der letzte Transport aus Jena fand am 31. Januar 1945 statt. Nur elf der über die Jahre rund 50 Deportierten überlebten die Vernichtungsmaschinerie des Holocaust. STEP 21 Keine Distanz Der Selbstmord von Clara Rosenthal fand keinen Platz in den Zeitungen Über das Leben und den Selbstmord der Jüdin Clara Rosenthal haben wir in den NS-gelenkten Zeitungen nichts gefunden – ihr tragisches Schicksal kam nicht an die Öffentlichkeit. Um dennoch zu erfahren, was die Jenenser über die Ausgrenzung ihrer jüdischen Mitbürger wissen konnten, haben wir uns mit einem weltbekannten Ereignis aus der deutschen Geschichte befasst, das auch Jena betraf. Uns hat interessiert, was genau die Jenenser über die so genannte Reichspogromnacht in der Zeitung lesen konnten. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ist bis heute Symbol für die Angriffe auf Juden und deren Verfolgung während der NS-Zeit. Als Auslöser galt der tödliche Anschlag auf den deutschen NS-Diplomaten Ernst Eduard von Rath in Paris am 7. November. Der Täter war der jüdische „Teenager“ Herschel Grynspan. Aber bereits in den Tagen zuvor hatte es in ganz Deutschland Übergriffe auf Juden gegeben. In der Jenaischen Zeitung erschien am 11. November 1938 ein „Aufruf an die Bevölkerung“, verfasst von Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels. Goebbels fordert darin die Deutschen auf, die „Vergeltungsaktionen gegen die jüdischen Gebäude und Geschäfte“ einzustellen. Zwar sei die „Empörung“ der Bevölkerung über den „feigen jüdischen Meuchelmord berechtigt und verständlich“, doch würde Deutschland dem „Judentum“ durch „Gesetze und Verordnungen“ antworten. Die Intention des Artikels ist klar: Die Regierung distanziert sich von den Ausschreitungen. Allerdings nicht, weil diese unmenschlich sind, sondern weil sie gegen den deutschen „Rechts- und Ordnungsgedanken“ verstoßen. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit: Es ist zwar nicht geklärt, inwiefern die Spitzen der NSDAP mit der Organisation und Durchführung der Übergriffe in Beziehung standen, aber auf lokaler Ebene waren vor allem SATruppen an den Aktionen beteiligt. Auch nutzte das NS-Regime die Ereignisse im Land und die Ermordung des Nazi-Diplomaten, um in Reden und Veröffentlichungen gegen Juden zu hetzen. So billigten sie indirekt die Gewalt. Auch in der Jenaischen Zeitung distanzierte man sich nicht von der Gewalt, vielmehr wird Zustimmung zu diesen Methoden deutlich. Kommentar Kein Rahmen für individuelles Gedenken Katja Bornkessel (15), Justus Jonscher (15), Elias Günther (15), Kristin Schlicht (16) und Friederike Kammel (15) (v. l.) Wir sind das [Weiße-Flecken]-Team aus Jena. Zu fünft haben wir uns auf die Suche nach Spuren von Clara Rosenthal gemacht. Zum einen ist da Katja, unsere angehende Profi-Journalistin. Dann wäre da Justus, der viel mehr in Geschichte als ins Artikelschreiben vernarrt ist. Außerdem Kristin, die immer wieder für Wir- bel sorgt, wenn uns die Recherche mal zu trocken wird, und Elias, der mit seinem umfassenden Allgemeinwissen immer helfen kann. Last but not least Fredda, unsere Teamchefin, die unsere Motivation aufrechterhält, uns zum Arbeiten drängt und ohne die wir schon lange das Handtuch geworfen hätten. Unweit des Brandenburger Tores, des Bundestages und des Berliner Tiergartens befindet sich das HolocaustMahnmal. 2.751 Betonstelen auf 19.000 Quadratmetern verteilt sollen an die Ermordung der europäischen Juden erinnern. Zahlreiche Gedenkstätten in Deutschland dienen dem gleichen Zweck – doch bleiben die Menschen, derer gedacht werden soll, meist anonym und gesichtslos. Solche Denkmäler, so wichtig sie auch sind, können nicht den Rahmen für individuelles Gedenken bieten. Schon gar nicht, wenn über die Opfer so wenig bekannt ist wie über Clara Rosenthal. Eine Biografie gibt es nicht, andere Dokumente sind ebenfalls unauffindbar. Es scheint, als wurden nach ihrem Tod und wahrscheinlich auch schon zu ihrer Lebzeit wichtige Informationen zu ihrer Person beseitigt, weil sie Jüdin war. Solche „weißen Flecken“ müssen aufgeklärt werden, denn gerade anhand einzelner Schicksale wird uns der Schrecken der NS-Zeit bewusst. Ein bedrückendes Beispiel dafür ist das Tagebuch der Anne Frank. Durch das individuelle Nachempfinden des Terrors und der Verfolgung, unter denen die jüdische Bevölkerung litt, können und müssen wir lernen. Goebbels ruft die Bevölkerung auf, Wir tragen die Verantwortung, dass die Pogrome einzustellen. Man werde sich solche Ereignisse, ganz gleich wo, „dem Judentum“ auf dem Wege der Gesetznie mehr wiederholen und Rassismus, gebung antworten. Dieser Aufruf Antisemitismus und Neo-Nationalsozi- erschien am 11. 11. 1938 auch in der alismus in all ihren Formen bekämpft Jenaischen Zeitung. werden. Foto: akg-images STEP 21 Ich weiß nicht, wer Josef verraten hat Herr B., heute 76 Jahre alt, ist der Bruder des in den Fall verwickelten und ermordeten Johann. Zum Zeitpunkt des Vorfalls war Herr B. 13 Jahre alt und lebte bei seiner Familie in Oberelchingen bei Ulm. Was wissen Sie über den Mordfall Josef W.? Zu dieser Zeit waren meine Familie und ich in Oberelchingen, denn nachdem unser Haus in Söflingen von den vielen Bombenangriffen zerstört worden war, wurden wir im Februar 1945 evakuiert. Aufgrund dessen haben wir von dem Mordfall nur durch Erzählungen erfahren. Wer hat den französischen Zwangsarbeiter denunziert? Ich weiß bis heute nicht, wer ihn verraten hat. Ich kann nur mit Sicherheit bestätigen, dass mein Bruder Johann und dessen Freund Heribert nicht in die Sache involviert waren. Wie bereits erwähnt, waren wir zu diesem Zeitpunkt in Oberelchingen. Warum wurden die Jungen Johann und Heribert umgebracht? Da wir in Oberelchingen nichts mehr zu essen hatten, schickte meine Mutter Johann und seinen Freund Heribert am 15. April 1945 zum „Brotgut“, eine Art Bäckerei, nach Söflingen. Johann hatte von seinem Kriegseinsatz in Stalingrad, bei dem ihn ein Genickschuss traf, einen steifen Arm und ein steifes Bein. Dadurch war er nicht in der Lage, noch am selben Abend nach Hause zurückzukehren. Also übernachteten die beiden Jungen im Keller eines verlassenen Hauses in der Söflinger Wanne. Weil Johann nichts anderes zum Anziehen hatte, trug er seine schwarze Panzerjägeruniform. Obwohl er all seine Abzeichen von der Uniform entfernt hatte, wurde er von Nachbarn sofort als Angehöriger der SS identifiziert. Die Nachbarn haben die französische Kommandantur informiert. Daraufhin wurden Johann und Heribert vom französischen Militär abgeholt und umgebracht. DAS SCHICKSAL DES JOSEF W. | ULM Für Josef stand auf Plündern Todesstrafe Drei Menschen sterben in einer Verstrickung von Rache und Vergeltung Es sind die letzten Kriegstage in Deutschland: Überall herrscht Durcheinander. Die Menschen versuchen, das Nötigste zum Überleben zu beschaffen. Auch durch Plündern. Doch manch einer zahlt dafür mit seinem Leben ... Ulm, 19. April 1945, morgens. Auf den Charlottenplatz strömen Frauen, ältere Männer und sogar Kinder. Sie versammeln sich um den Ahornbaum, an dem ein Mann hängt. Um seinen Hals trägt er ein Schild mit der Aufschrift „Ich habe geplündert“. Einige der Schaulustigen kennen den Gehängten. Es ist der 25-jährige Franzose Josef W. Er arbeitete als Zwangsarbeiter auf dem Güterbahnhof. Untergebracht war er im Lager Türmle in Söflingen, einem Stadtteil Ulms. Weil der im Elsass geborene Josef W. sehr gut deutsch sprach, war er der Sprecher seiner Mitgefangenen. Die meisten Kinder in der Umgebung des Lagers mochten ihn, denn er brachte ihnen oft Süßigkeiten. Doch für viele der Erwachsenen war er nur ein französischer Zwangsarbeiter, unerwünscht – zuletzt auch noch ein Plünderer. Wer Josef W. am Ahornbaum auf dem Charlottenplatz aufgeknüpft hat, vermag heute niemand mehr zu sagen. Sicher scheint jedoch, dass er nicht dort gelyncht wurde. Wahrscheinlich wurde er im Hof des nahe gelegenen Untersuchungsgefängnisses gehängt und dann auf den öffentlichen Platz gebracht. Auch Deutsche plündern. Erhängt wird der Franzose Josef W. Der Franzose ist noch in den letzten Kriegstagen den Nazis zum Opfer gefallen. Josef W. sollte die Menschen ab- Plündernde Menschen auf dem Ulmer Güterbahnhof nach dem Bombenangriff vom 15./16. April 1945. Aufnahme vom 19.4.1945. Foto: Josef Brünner/Stadtarchiv Ulm schrecken, sollte zeigen, was Anhänger Hitlers mit Plünderern machten. Wenige Tage zuvor, nach einem amerikanischen Bombenangriff auf den Bahnhof, hatte er, wie andere Ulmer auch, aus einem zerstörten Zug ein Paar Filzstiefel „organisiert“. Doch anders als die Deutschen wurde er denunziert. Die Hitlerjungen Heribert K., 15, und Johann B., 19, sollen ihn verraten haben. Johann, Angehöriger der SS, arbeitete als Wachmann im Türmle. Kriegsdienst konnte er nicht mehr verrichten, da er einen steifen Arm und ein steifes Bein hatte. Fünf Tage nach der Hinrichtung auf dem Charlottenplatz wird Ulm von US-Amerikanern eingenommen. Am 27. April 1945 kommen Franzo- [WEISSE FLECKEN] 19 Johann und Heribert haben ihn denunziert Herr F., heute 66 Jahre alt, lebte damals bei seinem Großvater in Söflingen. Den im nahe gelegenen Türmle lebenden Josef W. kannte er persönlich. Herr F. hat den Bombenangriff miterlebt und selbst aus den Zügen geplündert. Was wissen Sie über den Mordfall Josef W.? Josef W. hatte geplündert, wurde denunziert und daraufhin aufgehängt. Damals habe ich den Franzosen am Charlottenplatz mit eigenen Augen gesehen. Mein Großvater hat ihn mir gezeigt. Er kannte den Franzosen, hatte von dem Vorfall gehört und wollte sich selbst überzeugen, ob es tatsächlich der ihm bekannte Mann war. Wer hat den französischen Zwangsarbeiter denunziert? Die beiden Jungen, Johann B. und Heribert K., haben ihn denunziert. Sie waren in der Hitlerjugend. Es war allgemein im Gespräch, dass Johann und Heribert es getan hatten. Warum wurden die Jungen Johann und Heribert umgebracht? Die Franzosen haben sie umgebracht, als Vergeltung dafür, dass sie ihren Landsmann denunziert haben. sen – sehr wahrscheinlich ehemalige Zwangsarbeiter – in einem Geländewagen nach Söflingen. Sie erkundigen sich nach Heribert und Johann, greifen die beiden schließlich am Gemeindeplatz auf und nehmen sie mit. Tags darauf werden die Jugendlichen im Hinterhof der Klingensteinerstraße 57 tot aufgefunden. Erschlagen der eine, mit einem Kopfschuss getötet der andere. Einige Tage später werden Heribert und Johann auf dem Söflinger Friedhof beerdigt. Am 26. Juli 1945 wird die Urne von Josef W. auf dem Ulmer Friedhof, Abt. 82, Nr. 800, beigesetzt. Er hinterlässt eine 23-jährige Frau, eine einjährige Tochter und einen zweijährigen Sohn. Arbeitsgesuche und Heiratsanzeigen Ulmer Sturm / Tagblatt, 20. 4. 1945 Josef W. wird öffentlich erhängt, doch die Presse schweigt Ulmer Sturm / Tagblatt, so hieß die einzige Tageszeitung Ulms in der NS-Zeit. Auch gegen Kriegsende erschien sie täglich – Propaganda war für die Nationalsozialisten immer noch sehr wichtig. Der Umfang der Zeitung nahm ab, von anfangs zehn Seiten blieben aber immerhin noch sechs. Und das, ob- wohl in der letzten Kriegszeit alle verfügbaren Männer eingezogen wurden und das Ulmer Sturm / Tagblatt als Einmannbetrieb weiterarbeitete. Trotz der kriegsbedingt chaotischen Zustände, mit denen die Ulmer Bevölkerung in dieser Zeit konfrontiert war – es gab keinen Strom, kein fließend Was- ser und kaum Lebensmittel – standen sehr banale Dinge in der Zeitung. Zur Genüge gab es Anzeigen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Suchenden und solchen, die etwas gefunden haben. Sogar der Liebe wurde noch eine Chance gegeben: In Heiratsanzeigen suchte man den passenden Partner. Kommentar Andere Themen dagegen wurden gänzlich unterschlagen. So auch die Ereignisse um Josef W.. Obwohl er auf einem öffentlichen Platz, für jedermann sichtbar, aufgehängt wurde, was gezielt zur Abschreckung der Leute dienen sollte, konnten wir in keiner Ausgabe des Ulmer Sturm / Tagblatts etwas darüber finden. Ein Grund dafür war, dass später keine schriftlichen Beweise gegen die Verantwortlichen vorliegen sollten. Außerdem wurde wegen der großen Bombenangriffe vom 15. und 16. April 1945 möglicherweise nichts geschrieben, was die Ulmer Bevölkerung noch mehr strapaziert hätte. All diese Umstände machten unseren Fall zu einem weißen Fleck. Team Schwarzlicht aus Ulm Zweierlei Maß Geplündert haben viele während der letzten Kriegstage 1945 – sowohl Zwangsarbeiter als auch Ulmer. Sehr schockiert hat uns jedoch, dass bei der Bestrafung von Plünderern Unterschiede zwischen deutschen Staatsbürgern und ausländischen Arbeitern gemacht wurden. Deutsche gingen jetzt, kurz vor dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ meist straffrei aus. Dafür waren die Strafen für Zwangsarbeiter oft umso strenger. Den Franzosen Josef W. haben Ulmer Nazis gehängt – ohne Gerichtsverfahren – weil er ein Paar Stiefel aus einem Eisenbahnwagon gestohlen hat. Keiner der Deutschen, die gleichzeitig den Wagon geplündert haben, ist deshalb mit dem Tod bestraft worden. Auch Johann B. und Heribert K. wurden getötet – ohne Verfahren. Weil es nur mündliche Überlieferungen dieser Todesfälle gibt, waren die Recherchen für unseren „weißen Fleck“ nicht immer leicht. Gerade bei den Gesprächen mit Zeitzeugen sind wir auf gegensätzliche Meinungen gestoßen: Etwa bei der Frage, ob die Hit- lerjungen Heribert und Johann, wie von vielen behauptet, Josef W. denunziert haben oder nicht. Bezweifelt wird selbst, dass es ungerecht war, Josef W. aufzuhängen. Wir stellten fest, dass die Antworten stark von der politischen Einstellung beeinflusst waren und sind. So mancher, der der NSDAP nahe stand und in Zwangsarbeitern bestenfalls Menschen zweiter Klasse gesehen hat, maß in Sachen Bestrafung und Recht der Ausländer im Vergleich zu deren der Deutschen mit zweierlei Maß. Zeitzeugen, die dagegen persönlichen Kontakt zu Zwangsarbeitern hatten und in ihnen mehr sahen als billige Arbeitskräfte, empören sich noch heute über die ungleiche Behandlung. So Richard Betzler, dessen Familie einen französischen Zwangsarbeiter aus der Champagne nach einem schweren Bombenangriff vom 17. Dezember 1944 für vier Monate beherbergte. Auch nach dem Krieg ließen sie den Kontakt nicht abbrechen. Es gab also durchaus auch freundschaftliche Beziehungen zwischen Zwangsarbeitern und Deutschen. Anfangs hatten wir Hemmungen im Umgang mit den Zeitzeugen. Wir fürchteten, Wunden aus vergangenen Zeiten aufzureißen. Aber von Treffen zu Treffen ist es uns immer leichter gefallen, die Interviews zu führen. Bei den Gesprächen konnten wir große Unterschiede feststellen: Manche konnten sich sehr gut erinnern, haben sehr offen und detailliert erzählt. Andere wiederum konnten oder wollten nur wenig berichten, weil das Thema innerhalb der Familie totgeschwiegen worden war oder sie Einzelheiten vergessen hatten. So lernten wir, dass man nicht alle Details der Zeitzeugen wortwörtlich nehmen darf, da die Erinnerungen oft sehr verschwommen sind und von den Fakten abweichen können. Neben den teilweise mühsamen Recherchen hatten wir auch sehr viel Spaß, insbesondere bei den Zeitzeugengesprächen. Letztendlich war es eine Zeit voller positiver Erfahrungen, auch wenn wir oft traurige oder schmerzliche Dinge erfuhren. Wir haben viel dazugelernt und unseren Horizont erweitert. Eva-Marina Paulen (16), Katharina Sauter (16), Johanna Brüssermann (17), Nicola Missel (15), Sarah Brockmann (17) (v. l.) Wir sind Schülerinnen der 11. Klasse des Anna-Essinger Gymnasiums in Ulm. Ulm hatte in der NS-Zeit eine zentrale Stellung, wenn es um den Transport von Kriegsgütern ging. Denn Ulm verfügte über einen großen Güterbahnhof. Dort ereignete sich im April 1945 die tragische Geschichte um Josef W. Zuerst waren wir zu fünft: Nicola, Johanna, Katharina, Eva-Marina und Sarah. Jetzt sind wir nur noch zu viert, da Sarah für ein Jahr in Amerika ist. Zum Projekt [Weiße Flecken] sind wir über einen unserer Lehrer gekommen, der uns dafür begeistern konnte. Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben wir uns mit Hilfe Herrn Lechners von der Ulmer Gedenkstätte darauf geeinigt, zu dem Mordfall des französischen Zwangsarbeiters Josef W. zu arbeiten. PARTYZANCI | CIE˛ ZKOWICE 20 [WEISSE FLECKEN] Terroryści czy bohaterowie? Działania partyzantów i ich przedstawienie w prasie podziemnej i oficjalnej Podziemie znacznie przewyższało liczbą wydawanej prasy organa oficjalne. Pod koniec roku 1939 ukazywało się około 30 tytułów różnych nielegalnych czasopism, gazetek, w 1940 było ich już prawie 200, a rok później ponad 290. Prasa podziemna wzywała do walki z wrogiem i informowała Wraz z rozpocze˛ ciem okupacji niemieckiej na ziemiach polskich, likwidacji uległy prawie wszystkie wydawane oficjalnie dota˛d tytuły prasowe. Pozostała ta cze˛ść, która potrzebna była okupantom do rozpowszechniania propagandy, reszta prasy mogła odta˛d ukazywać sie˛ jedynie na emigracji lub nielegalnie – w podziemiu. W Generalnej Guberni władze niemieckie utrzymały kilka tytułów o bardzo wysokim nakładzie, co sprzyjało rozpowszechnianiu propagandy hitlerowskiej. Do największych nakładem należał Nowy Kurier Warszawski (150 tysięcy w dni robocze, 300 tysięcy wydanie weekendowe), oraz Goniec Krakowski. Pisma te wydawane były w języku polskim. W języku niemieckim wydawany był Krakauer Zeitung. Od początku wojny na terenach pod okupacją niemiecką ukazywała się również prasa konspiracyjna. Z czasem stała się ona jednym z najważniejszych elementów oporu. Wiadomości z 28.09.1944 – gazeta polskiego podziemia i wzmianka o akcji partyzantów Batalionu „Barbara“ pod Pławna˛, Archiwum Państwowe w Krakowie. Na stronie obok Goniec Krakowski z 15.09.1944 r, Archiwum Biblioteki Jagiellońskiej w Krakowie Akcja pod Pławna˛ „Założyć minę, wysadzić nadjeżdżający transport i niezależnie od okoliczności opanować go. Zdobyć jak największą ilość broni a transport zniszczyć“ – tak brzmiało zadanie wyznaczone porucznikowi Michałowi Steczeszynowi pseudonim „Kalina“ i dowodzonej przez niego IV. Kompanii „Ewa“. Wśród licznych przeprowadzonych walk i akcji, w pamięci partyzantów szczególne miejsce zajmuje właśnie ten atak, którego celem miał być niemiecki pociąg pancerny. Działo się to 14 września 1944 roku, w rejonie południowo-wschodniej Polski, nieopodal miejscowości Pławna i Zborowice, na trasie kolejowej Tarnów-Grybów. Akcja była zaplanowana dużo wcześniej. Wywiad tarnowskiego oddziału Armi Krajowej poinformował o dokładnej dacie przejazdu pociągu z zaopatrzeniem militarnym dla frontu wschodniego. W nocy z 14 na 15 września kompania licząca około 100 żołnierzy w szyku bojowym dotarła do Zborowic, gdzie wzdłuż linii kolejowej, na odcinku około 400 metrów, usytuowano miejsca ataku. Porucznik „Kalina“ rozmieścił swoje plutony na grzbiecie wzniesienia, założono plastikowe miny i w pełnej gotowości nasłuchiwano odgłosów lokomotywy. „Bardzo długo czekaliśmy na przyjazd pociągu. Około godziny 2.30 Partyzanckie życie Pan Jan Golec ma 80 lat, był partyzantem Batalionu „Barbara“. Opowiada nam jak trafił do partyzantki i jak wyglądało wtedy jego życie: „Miałem kontakty z ruchem oporu. Poprzez roznoszone gazetki i broszury dowiedziałem się o decyzji utworzenia nowego oddziału partyzanckiego, zgłosiłem się razem z bratem. Nasze oddziały chowały się przed wojskami niemieckimi w lesie, przetrwanie tam nie było łatwe. Spaliśmy najczęściej pod gołym niebem, na stercie liści, mchu lub gałęziach. Noce były bardzo zimne a rano często przymrozki. Zamarzały nam włosy i brwi, całe ciało było tak skostniałe, że kilka minut trwało rozgrzewanie organizmu. W lesie musieliśmy zachwywać się niezwykle cicho i ostrożnie. Nie było mowy o zapaleniu papierosa, czy rozpaleniu ogniska. Poruszaliśmy się po lesie bezszelestnie. Patrole informowały nas o bliskiej obecności wroga, z tego powodu często musieliśmy przenosić się w inne miejsce“. Grupa „Entdeckerteam“ z Cie˛żkowic usłyszeliśmy nadjeżdżający pociąg i zajęliśmy wyznaczone stanowiska. Zaczął się silny ostrzał. Po chwili podjęto decyzję o odwrocie. Jak się później okazało, cel partyzantów- słabo eskortowany pociąg z amunicją i bronią został zatrzymany w Tuchowie z powodu zatarcia osi, a kilka godzin później wyjechał pociąg z dywizją pancerną o ogromnej przewadze militarnej i osobowej i to na niego nastąpił atak. Siła niemieckiego kontrataku spowodowała brak kontroli polskiego dowództwa nad akcją i zerwanie całkowitej łączności. Każdy próbował ratować się na własną rękę. Jedni wycofywali się pokonując zasieki z drutu kolczastego lub uciekali otwartym polem pod silnym ostrzałem wroga, inni ukrywali się w okopach. „Nie wiem i właściwie nie wiedziałem – relacjonuje starszy strzelec „Jaś“ – którędy wracałem do miejsca postoju batalionu, a właściwie naszej Czwartej Szaroszeregowej Kompanii. Dosłownie ze łzami radości Białe plamy. To pojęcie jeszcze do niedawna bylo dla nas niejasne, nie budziło konkretnych skojarzeń. To zmieniło się odkąd wzieliśmy udział w projekcie [Weiße Flecken], który opracowany został przez zespół STEP 21. Grupa „Entdeckerteam“ dołączyła do niego na początku maja 2005. Wszyscy znamy się ze szkoły. Prowadzeniem wywiadów ze świadkami II wojny światowej zajęli się Klaudia i Wojtek. Kinga zbierała pamiątki i zdjęcia z tamtego okresu. Agnieszka natomiast prowadziła nadzór nad wspólną pracą i opracowała końcowe teksty. Praca nad projektem nie była łatwa, jednak trud włożony w realizację powierzonych nam zadań przyniósł nam wiele satysfakcji. „Bandyci“, „terroryści“, „agenci“ Oficjalna prasa niemiecka prawie wogóle nie pisała o ruchach oporu, walkach wyzwoleńczych partyzantów, akcjach dywersyjnych i sabotażowych na ziemiach polskich nie chcąc umacniać w narodzie ducha walki. Jeśli już pisano, to działania partyzantów przedstawiane były jako napady bandyckie, a sami partyzanci byli nazywani mianem: „Banditen“ „Terroristen“, „Agenten“. O sukcesach polskiego państwa podziemnego informowała prasa konspiracyjna. Niestety i tu niewiele uwagi witaliśmy każdego powracającego spod Pławnej. Wracali przez połowę dnia. Boże! Co myśmy przeżyli, w tym czasie oczekiwania, aż wróci bez mała setka partyzanckich braci.“ W walce śmierć poniosło czterech polskich żołnierzy, a kilku ciężko raniono. Pomimo dużych strat akcja przyniosła jednak efekty. Przerwa w ruchu kolejowym na linii przyfrontowej wynosiła 18 godzin, a według obserwatora wywiadu kolejowego w Tarnowie, dokąd wycofano pociąg, wyniesiono około sześćdziesiąt noszy z zabitymi i rannymi Niemcami. Dowódca SS kazał spalić połowe˛ wsi Nazajutrz rankiem 15 września 1944 roku, w odwecie za akcję partyzantów, do wioski wtargnęła ekspedycja kar- poświęcono działaniom partyzantów w naszym rejonie, gdyż w okresie kiedy przeprowadzane były w rejonie Ciężkowic opisywane przez nas w reportażu działania, prasę podziemną zdominowała tematyka Powstania Warszawskiego, które trwało od 1 sierpnia 1944 do 2 października 1944 roku. Przeszkodą w dokładnym informowaniu o wydarzeniach lokalnych były również trudności w przekazywaniu meldunków. W gazetce wydawanej przez polskie podziemie, Wiadomościach z 28 września 1944 roku (czyli dwa tygodnie po akcji pod Pławną) znaleźliśmy wzmiankę: „W rejonie Ciężkowic wojska nasze w sile jednej kompanii wykoleiły niemiecki transport wojskowy“. W historii obydwu krajów: Polski i Niemiec znaleźć można jeszcze dziś wiele „białych plam“. Świadomie przemilczane lub sfałszowane zostały fakty, o ogromnym znaczeniu. Odkrywanie historii na nowo i rozjaśnianie ciemnych miejsc to praca niezwykle trudna. Pokazuje ona jednak bardzo wyraźnie, jak łatwo można manipulować społeczeństwem oraz zmieniać jego świadomość. na oddziału SS, żandarmerii polowej i gestapo. „Widzę go (dowódcę akcji Hauptsturmführera SS – przyp. autor) jak stoi z lornetką i wskazuje, które domy palić“ – relacjonuje ks. Jan Kozioł, ówczesny proboszcz tamtejszej parafii. „Stanąłem, pozdrowiłem go. Zapytałem: Czy wszystko będziecie palić? – aż się cofnął. Już łapał za futerał z pistoletem. Poszedłem do innych domów, tam już nieżyjący mężczyzna, zginął od kuli, kobieta zmarła na udar serca. ‚Kommen Sie!‘ Prowadzi mnie, gdzie twarzą do ziemi leżało pięciu zabitych partyzantów. Butem, jak padlinę jakąś, odwraca i każe mi zidentyfikować. Aż żal ściskał serce! Oczywiście, żadnego nie znałem, więc mówię mu: Widzi pan, wszystko to obcy ludzie“. Na prośbę księdza Niemcy opuścili spacyfikowaną wioskę, zabrali jednak ze sobą dziesięciu zakładników, ranili kilkoro dzieci i spalili trzynaście gospodarstw. Polskie Państwo Podziemne i działania partyzantów Utrata niepodległości oraz zagrożenie wobec narodu w całej okupowanej Polsce zrodziło powszechne dążenie do przeciwstawienia się zamierzeniom wroga. Ruch oporu, u którego podstaw ideowych leżał głęboko pojęty patriotyzm i antyfaszyzm był dziełem ofiarności Polaków. Organizacje o charakterze konspiracyjnym zostały utworzone w całym państwie i przybierały różne formy walki z nieprzyjacielem, począwszy od zorganizowanej samoobrony ludzi aż po szeroko rozbudowane zbrojne podziemie antyhitlerowskie. W pierwszych miesiącach wojny do lasów wycofywały się dziesiątki pojedynczych oddziałów partyzanckich, które zorganizowane były jako wojsko konspiracyjne wchodzące w skład struktur polskiego państwa podziemnego. Batalion „Barbara“ przeprowadzał sabotaże na zapleczu frontu Agnieszka Syrek (16), Kinga Cygan (15), Klaudia Tabiś (15) i Wojciech Filipowicz (14) (od lewej) o jej wynikach, o faktycznym położeniu Niemców na froncie, o sytuacji politycznej w całej Europie i miała olbrzymi wpływ na wydarzenia w kraju. Mimo grożących represji wydawano, powielano, przepisywano na maszynie wiele pism i gazetek centralnych i lokalnych, wydawano broszury o treści politycznej, gospodarczej, prawnej, i ustrojowej. STEP 21 Armia Krajowa była polską armią podziemną, liczącą w 1944 roku ponad 300 tysięcy żołnierzy i oficerów, zgromadzonych w grupach konspiracyjnych i oddziałach partyzanckich. Prowadziła walkę w terenie, wykonała około 6 tysięcy zamachów na Niemców, zniszczyła m.in. ok.1200 transportów wroga, 26 tysięcy jednostek taboru kolejowego, 4,5 tysiąca pojazdów, 38 mostów. Batalion „Barbara“ powstał wraz z rozpoczęciem akcji „Burza“, latem Grupa partyzantów nad zdobyta˛ bronia˛, zdje˛cie: własność prywatna Klaudii Tabiś 1944 roku, jako zgrupowanie większej ilości mniejszych jednostek. Jego zadaniem było przeprowadzanie dywersji na tyłach cofającej się armii niemieckiej w porozumieniu z nadchodzącym powoli frontem radzieckim. 1. Batalion 16 pułku piechoty Armii Krajowej „Barbara“ był jednostką zmobilizowaną na akcję przez tarnowski obwód AK. Rozkaz mobilizacji pochodził z 4 sierpnia 1944 roku. Koncentracja oddziałów następowała dosyć sprawnie. W sumie walczyło w nim ponad sześciuset żołnierzy, którzy mieli do dyspozycji stanowczo mniej broni i amunicji , niż potrzebowali. Dla pełnej konspiracji 6 września batalionowi nadano nazwę „Barbara“. Siły partyzanckie powodowały stan niepokoju i niepewności na zapleczu frontu, zagrażały liniom komunikacyjnym, tym samym blokując trans- port broni i amunicji na front wschodni oraz wyrządzały okupantowi ogromne szkody w ludziach, sprzęcie wojskowym i artykułach żywieniowych. Pomimo znacznych starań i wysiłków podjętych w celu zwalczenia polskiego podziemia, licznych aresztowań, rozstrzeliwań i wysyłania ludzi do obozów koncentracyjnych, Niemcy nie byli w stanie stłumić ruchu oporu. 5 maja 2005 roku, w związku z sześćdziesiatą rocznicą zakończenia II wojny światowej marszałek Senatu RP Longin Pastusiak podziękował kombatantom wojennym za ich wkład w walkę z hitlerowcami i dodał: „Historia nie zamyka się wraz z odchodzeniem pokoleń, które były jej uczestnikami i twórcami. Ona trwa w pokoleniach następnych i staje się rzeczywistą nauczycielką życia, jeśli te kolejne pokolenia potrafią wyciągnąć z niej wnioski“. PARTISANEN | CIE˛ ZKOWICE STEP 21 [WEISSE FLECKEN] 21 Polnischer Untergrundstaat und Partisanenbewegung Der Verlust der Unabhängigkeit und die Bedrohung des Volkes weckten im besetzten Polen starke Bestrebungen, sich den Absichten des Feindes zu widersetzen. Es bildete sich eine patriotische und antifaschistische Widerstandsbewegung. Im ganzen Land wurden konspirative Organisationen gegründet, die den Gegner auf verschiedenste Weise bekämpften: von organisierter ziviler Selbstverteidigung bis hin zu breit ausgebauten bewaffneten Untergrundkämpfen gegen die Nazis. In den ersten Monaten des Krieges zogen sich dutzende von Partisaneneinheiten in den Wald zurück, organisiert als Armee innerhalb der Struktur des Polnischen Untergrundstaates. Die Heimatarmee „Armia Krajowa“ (AK) war die polnische Untergrund- armee. 1944 gehörten ihr über 300.000 Soldaten und Offiziere an, organisiert in konspirativen Gruppen und Partisaneneinheiten. Sie kämpften im Gelände, führten etwa 6.000 Anschläge auf die Deutschen aus und zerstörten unter anderem 1.200 Transporte des Feindes, 2.600 Eisenbahnfuhrparks, 4.500 Fahrzeuge und 38 Brücken. Bataillon „Barbara“ sabotiert im Hinterland der Front Das 1. Bataillon des 16. Infanterieregiments der Heimatarmee „Barbara“ wurde vom AK-Kommando Tarnow mobilisiert. Es entstand als Zusammenschluss kleinerer Einheiten im Rahmen der Aktion „Gewitter“ im Sommer 1944. Seine Aufgabe war es, im Rücken der sich zurückziehenden deutschen Armee und in Abstimmung mit der langsam anrückenden Roten Armee zu sabotieren. Der Befehl zur Mobilmachung erging am 4. August 1944. Die Konzentration der Einheiten verlief recht glatt. Die insgesamt 600 Soldaten des Bataillons hatten deutlich weniger Waffen und Munition zur Verfügung, als sie brauchten. Zur vollkommenen Konspiration gab man dem Bataillon am 6. September den Namen „Barbara“. Die Partisanen stifteten Unruhe und Unsicherheit im Hinterland der Front und waren eine Bedrohung für die Kommunikationswege. Sie blockierten Munitions- und Waffentransporte an die Ostfront und fügten dem Feind hohe Verluste an Menschen, Militärausrüstung und Lebensmitteln zu. Trotz starker Bemühungen, die Partisanen zu bekämpfen, trotz zahlreicher Festnahmen, Erschießungen und Deportationen in Konzentrationslager, waren die Deutschen nicht in der Lage, die polnische Widerstandsbewegung zu ersticken. Am 5. Mai 2005 dankte der Präsident des Senats der Republik Polen, Longin Pastusiak, anlässlich des 60-jährigen Kriegsendes den Veteranen für ihren Beitrag im Kampf gegen die Nationalsozialisten. Er sagte: „Die Geschichte ist mit dem Abtreten der Generationen, die sie erlebten und schufen, nicht zu Ende. Sie wirkt Generationen hindurch und wird zu einer wirklichen Lehrerin des Lebens, sofern die folgenden Generation aus ihr lernen können.“ Helden oder Terroristen Der Zeitzeuge Jan Golec als Schütze „Sanok“, 1944. Foto: Privatbesitz Wie die offizielle Presse und die Untergrundpresse über Partisanen berichtete standsbewegung. Durch illegale Zeitungen und Broschüren erfuhr ich von dem Beschluss, eine neue Partisaneneinheit zu gründen, und meldete mich zusammen mit meinem Bruder. Unsere Einheiten versteckten sich vor den deutschen Truppen im Wald. Dort zu überleben war nicht einfach. Wir schliefen meistens unter freiem Himmel, auf Blätterhaufen, Moos und Zweigen. Die Nächte waren sehr kalt, und morgens gab es oft Frost. Unsere Haare und Augenbrauen gefroren, der ganze Körper war so erstarrt, dass der Organismus einige Minuten brauchte, um aufzutauen. Im Wald mussten wir uns absolut leise und vorsichtig verhalten. Eine Zigarette anzuzünden, kam nicht in Frage, ganz zu schweigen von einem Lagerfeuer. Geräuschlos bewegten wir uns durch den Wald. Die Patrouillen informierten uns darüber, ob der Feind in der Nähe war, dann mussten wir an einen anderen Ort umsiedeln.“ Zu Beginn der deutschen Okkupation Polens wurden fast alle offiziell herausgegebenen Zeitungen liquidiert. Übrig blieb der Teil, den die Besatzer brauchten, um ihre Propaganda zu verbreiten. Der Rest der Presse konnte nur noch in der Emigration oder im Untergrund weiterarbeiten. Im Generalgouvernement blieben einige Zeitungen mit sehr hohen Auflagen bestehen, die der Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda dienten. Zu den auflagenstärksten gehörten der Nowy Kurier Warszawski (Neuer Warschauer Kurier) und der Goniec Krakowski (Krakauer Bote). Diese Schriften wurden in polnischer Sprache veröffentlicht. Auf deutsch wurde die Krakauer Zeitung herausgegeben. Von Beginn des Krieges an erschien in den deutsch besetzten Gebieten auch konspirative Presse. Mit der Zeit wurde sie zu einem der wichtigsten Elemente des Widerstands. Im Untergrund erschienen viel mehr Titel als auf Seiten der Besatzer. Ende 1939 gab es ungefähr 30 illegale Druckwerke, 1940 waren es schon fast 200, ein Jahr später über 290 – vorwiegend Flugblätter und Broschüren. „Banditen“, Terroristen“ und „Agenten“ Die Untergrundpresse rief zum Kampf gegen den Feind auf, informierte über die wirkliche Lage an der Front und über die politische Situation in ganz Europa. Sie hatte einen gewaltigen Ein- Der Goniec Krakowski (Krakauer Bote) verbreitet NS-Propaganda. Schlagzeile: „So haben sich die Bolschewiken in Lemberg eingerichtet.“ 15.9.1944. Jagiellonia Bibliothek in Krakau. Auf der gegenüberliegenden Seite: die Untergrundpublikation Wiadomości (Nachrichten) vom 28.9.1944 mit einem Bericht über den Anschlag bei Pławna fluss auf das Geschehen im Land. Trotz der drohenden Repressionen wurden viele lokale und überregionale Zeitschriften und illegale Zeitungen herausgegeben, vervielfältigt, auf Schreibmaschinen abgeschrieben. Es wurden politische, wirtschaftliche und juristische Broschüren veröffentlicht. Die offizielle deutsche Presse berichtete wenig über die polnische Widerstandsbewegung, um den Kampfgeist Die Aktion bei Pławna „Die Mine anbringen, den anfahrenden Transport entgleisen lassen und unabhängig von der Umgebung unter Kontrolle bekommen. So viele Waffen wie möglich erbeuten und den Transport zerstören.“ – So lautete die Aufgabe, die dem Oberleutnant Michał Steczeszyn mit dem Pseudonym „Kalina“ und der von ihm geführten IV. Kompanie „Ewa“ übertragen wurde. Der Angriff fand am 14. September 1944 im südöstlichen Polen statt, in der Nähe der Ortschaften Pławna und Zborowice, auf der Eisenbahnstrecke TarnówGrybów. Die Aktion war lange im Voraus geplant. Der Nachrichtendienst der Tarnower Heimatarmee informierte über den genauen Zeitpunkt, zu dem der Zug mit militärischer Versorgung für die Ostfront die Stecke passieren sollte. In der Nacht vom 14. auf den 15. September erreichte die Kompanie „Ewa“ mit etwa 100 Soldaten Zborowice. Dort sollte der Anschlag stattfinden. Oberleutnant „Kalina“ verteilte seine Einheiten über die Steigung des Kamms. Man legte Plastikminen. In voller Bereitschaft hörte man das Rat- Partisanenleben Jan Golec ist 80 Jahre alt. Er war Partisan im Bataillon „Barbara“. Er erzählte uns, wie er zu den Partisanen kam und wie sein Leben damals aussah: „Ich hatte Kontakte zur Wider- tern der nahenden Lokomotive. „Wir warteten sehr lange auf den Zug. Ungefähr um 2.30 Uhr hörten wir ihn herankommen und nahmen die zugeteilten Plätze ein. Es begann starker Beschuss. Einen Augenblick später fiel die Entscheidung zum Rückzug. Wie sich später herausstellte, war das ursprüngliche Ziel der Partisanen – der schwach bewachte Munitions- und Waffentransport – in Tuchów aufgrund eines Achsenschadens angehalten worden. Erst einige Stunden später fuhr er wieder los – jetzt mit einer Panzerdivision an Bord, an Menschen und Material den Partisanen also klar überlegen. Und auf diesen Zug traf der Anschlag.“ Die Stärke der deutschen Gegenwehr ließ die polnische Führung die Kontrolle über die Aktion verlieren. Die Einheit brach auseinander. Jeder versuchte, sich auf eigene Faust zu retten. Die einen flohen über den Stacheldrahtzaun oder unter starkem Beschuss über das freie Feld, andere versteckten sich in Gräben. „Ich weiß nicht mehr und habe wohl auch damals nicht mehr wahrgenom- im Volk nicht zu stärken. Wenn überhaupt berichtet wurde, beschrieb man die Aktivitäten der Partisanen als Überfälle von Verbrechern und bezeichnete die Partisanen selbst nur als „Banditen“, „Terroristen“ und „Agenten“. Über die Erfolge des Polnischen Untergrundstaates informierte dagegen die konspirative Presse. Leider wurde der von uns thematisierten Partisanenaktivität in der Region um Ciężkowice nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet. Zu jener Zeit wurde die Berichterstattung dominiert vom Warschauer Aufstand, der vom 1. September bis zum 2. Oktober 1944 dauerte. In den Nachrichten vom 28. September 1944, einer Art Flugblatt, fanden wir die Notiz: „In der Region Ciężkowice ließen unsere Truppen in der Stärke einer Kompanie einen deutschen Militärtransport entgleisen.“ In der Geschichte beider Länder, Polen und Deutschland, kann man heute noch viele „weiße Flecken“ finden. Fakten wurden bewusst verschwiegen oder verfälscht. Die Wiederentdeckung der Geschichte und die Erhellung ihrer „weißen Flecken“ ist eine ungewöhnlich schwierige Arbeit. Sie zeigt aber sehr deutlich, wie einfach man die Gesellschaft manipulieren und ihr Bewusstsein verändern kann. men, wie ich zum Standort des Bataillons beziehungsweise zu unserer Kompanie zurückkam“, berichtet Jaś, einer der älteren Schützen. „Mit Freudentränen in den Augen begrüßten wir jeden, der aus Pławna zurückkam. Einen halben Tag dauerte es, bis der letzte wieder da war. Gott! Was haben wir durchgemacht, bis die Kameraden zurückgekehrt waren.“ Vier polnische Soldaten starben im Kampf. Einige wurden schwer verletzt. Aber trotz der großen Verluste war die Aktion auch ein Erfolg: Für 18 Stunden war die Eisenbahn an der Vorfrontlinie lahm gelegt. Einem Beobachter des Nachrichtendienstes bei der Eisenbahn Tarnow zufolge wurden etwa 60 Tragen mit getöteten und verletzten Deutschen aus dem Zug getragen. Am Morgen darauf, am 15. September 1944, fiel ein Strafkommando der SS, der Feldpolizei und der Gestapo als Vergeltung für die Partisanenaktion in das Dorf ein. „Ich sehe ihn (den Hauptsturmführer SS) noch vor mir, wie er mit dem Feldstecher da steht und auf die Häuser zeigt, die verbrannt werden sollen“, berichtet Pater Jan Kozioł, damals Pfarrer der örtlichen Gemeinde. „Der SS-Mann führte mich zu einer Stelle, an der fünf ge- tötete Partisanen mit dem Gesicht zur Erde lagen. Mit dem Schuh, als wären es irgendwelche Kadaver, dreht er die Männer um und befiehlt mir, sie zu identifizieren. Mir zog sich das Herz zusammen. Ich kannte niemanden der Männer und sagte: Sehen sie, das sind alles Fremde.“ Auf Bitten des Pfarrers verließen die Deutschen das Dorf, nahmen aber zehn Geiseln mit, verletzten einige Kinder und brannten 13 Höfe nieder. Das Entdeckerteam aus Cie˛żkowice Agnieszka Syrek (16), Kinga Cygan (15), Klaudia Tabiś (15) und Wojciech Filipowicz (14) (v. l.) „Weiße Flecken“. Dieser Ausdruck war uns bis vor kurzem unbekannt und weckte in uns keine Assoziationen. Das änderte sich mit unserer Teilnahme an dem Projekt [Weiße Flecken] von STEP 21. Das Entdeckerteam hat sich dem Projekt Anfang Mai 2005 angeschlossen. Wir kennen uns alle aus der Schu- le. Die Interviews mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs führten Klaudia und Wojtek. Kinga sammelte Andenken und Fotos aus dieser Zeit. Agnieszka koordinierte die gemeinsame Arbeit und erarbeitete die Schlusstexte. Die Arbeit im Projekt war nicht leicht, aber wir haben viel Mühe hinein gesteckt und sind jetzt sehr zufrieden. LAGER ROLLWALD | SELIGENSTADT 22 [WEISSE FLECKEN] „Natürlich haben die Leute gemunkelt“ Die Zeitzeugin Margot Berg erinnert sich an das Lager Rollwald Außenkommando „Wiesenmühle“ des Lagers zur Rollwald – Zur landwirtschaftlichen Erschließung des Rodgaus wurden Häftlinge eingesetzt. Foto: Sammlung Werner Stolzenburg Rollwald, Ostern 2005. Ein idyllischer Park. Hochgewachsene Bäume säumen den Schotterweg. In den Beeten blühen Tulpen und Narzissen. Nur ein einsamer Gedenkstein zwischen den Bäumen erinnert daran, dass es hier vor nicht einmal 70 Jahren noch ganz anders aussah. Davon zu berichten weiß Margot Berg, damals elf Jahre alt. 1938, am Karsamstag, wollte sie mit dem Fahrrad von Jügesheim über Rollwald nach Dieburg fahren. „Ein Mann in Parteiuniform hielt mich an. Er sagte: Hier kann niemand mehr durchfahren, das Gebiet ist gesperrt! Ich musste einen Umweg von vier Kilometern machen.“ Das war am 9. April. Am Montag darauf wurde das Lager Rollwald eröffnet. „Natürlich haben die Leute gemunkelt, drüben im Rollwald würden die Nazis bauen. Aber wirklich gewusst haben wir es nicht. Vielleicht wollte auch keiner etwas wissen.“ Letzteres ist wahrscheinlicher. Schließlich waren die Leiter des Lagers nicht von der SS oder der SA sondern rangniedere Parteifunktionäre, Einwohner der umliegenden Dörfer. „Es wurde nicht viel drüber geredet. Mit denen wollte man keinen Ärger haben, keinen Kontakt.“ Unfreiwillig in Kontakt mit dem Lager kam Margot Berg bereits eineinhalb Jahre später: „Unser damaliger Nachbar hatte Hühner. Manchmal gingen meine Mutter und ich hinüber, brachten ihm Brot und bekamen im Gegenzug Eier. Eines Morgens, STEP 21 im Herbst 1939, klopften wir vergeblich an seine Haustür. Doch wir dachten nicht lange darüber nach – zu dieser Zeit verschwanden viele.“ Wochen später war der Nachbar wieder da. „Er kam zu uns und bat um Brot. Er sah heruntergekommen aus, war sehr dünn geworden. Er sagte nicht viel. Nachdem wir ihn mit Fragen bedrängt hatten, fing er ganz leise an zu berichten. Er sagte, es stimme, was die Leute redeten. Ein Satz hat sich für immer in meine Seele gebrannt. Nie werde ich vergessen, mit welcher Angst in den Augen er sagte: Ich darf nichts erzählen, sonst muss ich zurück!“ Nach dem Krieg bleibt keine Zeit, sich zu erinnern Dieses Erlebnis hat die heute 78-Jährige sehr schockiert. Sie vermied von da an jeglichen Kontakt mit dem Lager. Sie wollte es vergessen, nicht mehr daran denken – wie viele ihrer Generation. Auch nach dem Krieg änderte sich das nicht. „Nach dem Krieg hatten wir besseres zu tun, als uns darum zu kümmern. Keiner wollte noch irgendetwas mit dem Nazi-Kram zu tun haben.“ Verdrängung ist zwar keine schöne, aber effektive Art der Vergangenheitsbewältigung. Selbst heute redet kaum jemand über das Konzentrationslager Rollwald – es sei denn, man fragt sehr genau nach. Knochenbrüche und Unterernährung Das Lager Rollwald in Nieder-Roden Um die Justizvollzugsanstalten zu entlasten, entstanden im Auftrag von Reichsjustizminister Franz Gürtner 1935 unzählige Lager, unter anderem das Lager Rollwald in Nieder-Roden. Ob es sich bei dem Lager um eine KZAußenstelle gehandelt hat oder um ein Straf- und Arbeitslager, lässt sich bis heute nicht eindeutig sagen. Vor dem Bau des Lagers war das Gebiet bewaldet. Mit seiner Einrichtung wollte man gleich zwei Ziele erreichen. Aufgrund von Masseninhaftierungen wurde Platz für immer mehr Strafgefangene nötig, deren Arbeitskraft nicht ungenutzt bleiben sollte. Zugleich sollte der Rodgau landwirtschaftlich erschlossen werden. So mussten die Inhaftierten den Kiefernwald roden. Das Lager wuchs und wuchs, der Name Rollwald entstand. Es dauerte bis zum 11. April 1938, dann war das Lager bezugsfertig. In 15 Holzbaracken mit einer Fläche von 36,5 Metern Länge und 10 Metern Breite waren jeweils 100 Insassen untergebracht. Die Baracken hatten Maschendraht an den Fenstern und waren in enge Tages- und Schlafräume unterteilt. Die Ausstattung bestand aus Tischen, Hockern, Bettzeug und Strohsäcken. Notdurft wurde in den Baracken in einem Salz- oder Heringsfass verrichtet. Zum Lager gehörten außerdem eine Kranken- und eine Isolierstation mit jeweils 50 Betten sowie ein Operationsraum. Erst- und Vorbestrafte wurden von den anderen Arbeitsgefangenen getrennt. Insgesamt gab es in dem Lager 1.500 Gefangene und 200 Wachmänner. Häufige Knochenbrüche und Unterernährung kosteten vielen Inhaftierten das Leben. Dies wurde jedoch verheimlicht. Die ärztliche Versorgung war katastrophal, Ärzte ignorierten Symptome und diagnostizierten häufig Herzattacken, wo andere Ursachen für den Tod der Gefangenen verantwortlich waren. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs nutzten die amerikanischen Behörden die Anlage drei Jahre lang als Kriegsgefangenenlager. Heute stehen auf dem ehemaligen Lagergelände Häuser. Nur ein Gedenkstein erinnert an die Vergangenheit dieses Ortes. Team Fleckenlöser aus Seligenstadt Häftlinge des Lagers Rollwald beim Appell zum Wochenbeginn am 23. 6. 1941. Foto: Sammlung Werner Stolzenburg Kommentar Das Lager vor unserer Haustür David Grimm (20), Sebastian Steinheimer (19) und Johannes Herold (18) (hinten v. l.) Eva Berg (19) und Michele S. White (19) (vorne) Wir sind das Team aus Seligenstadt: David, Eva, Sebastian, Michele und Johannes. Wir kommen aus Seligenstadt in Hessen, wo wir alle den Geschichte-Leistungskurs in der 13. Klasse der Einhard Schule besuchen. Unser Thema ist das Lager Rollwald/Nieder-Roden. Wir haben uns zu diesem Thema entschlossen, da vielen die großen Lager wie Buchenwald und Auschwitz ein Begriff sind, man die wirklich „greifbaren“, unmittelbar in der Nähe gelegenen Lager aber oft überhaupt nicht kennt. So ist das Lager Rollwald in unserer Umgebung und bei der Bevölkerung kaum ein Thema, und den Opfern wird die gebührende Erinnerung nur zum Teil gewährt. Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Mauthausen – Orte des Schreckens, Synonyme, die zu Recht auf ewig für die Verbrechen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft stehen werden. Desinteresse, Verdrängung oder Unwissen führen dazu, dass „kleinere“ Orte des Verbrechens wie das Lager Rollwald Nieder-Roden in Vergessenheit geraten sind und zu „weißen Flecken“ in unserer Geschichte wurden. Selbst im näheren Umkreis des Lagers wurde nach Kriegsende nicht an die Opfer erinnert – stattdessen regte man sich über den Verlust des Waldes und das daraus entstandene Defizit in der Stadtkasse auf. Kein Gedanke wurde daran verschwendet, den Friedhof zu pflegen. Heute stehen die Angehörigen der Opfer vor einer ver- steppten Fläche. Der Friedhof existiert nicht mehr. Ein Mahnmal in Form eines Gedenksteins ist der letzte Beweis für die Existenz des Lagers. Die Opfer sind aus den Köpfen der Bevölkerung verschwunden. Dabei können gerade Lager wie Rollwald zeigen, dass Gräueltaten tatsächlich passiert sind, und zwar nicht abstrakt – weit weg „im Osten“ – sondern real, eben hier, direkt vor unserer Haustür. Ein Förderverein hat sich von 2000 bis 2005 der Aufarbeitung der Lagergeschichte gewidmet. Daraus hervorgegangen sind unter anderem ein Buch und eine Internetseite, die über die Vergangenheit informieren. Doch konnte der Verein seine Aufgabe erfüllen, die Bevölkerung Rodgaus darauf hinzuweisen, dass direkt vor ihrer Nase ein Lager existierte? Wir haben 100 Jugendliche dazu befragt, denn diese sind die Zukunft Deutschlands. Sie haben die Aufgabe, mit der Vergangenheit zu leben, sie zu verstehen und Lehren aus ihr zu ziehen. Von den 100 Jugendlichen wussten nur 25 von der Existenz des Lagers. Ein ernüchterndes Ergebnis. Von diesen 25 wiederum wussten jedoch nur drei bereits vor der Arbeit des Fördervereins vom Lager, die anderen 22 wurden erst durch das Buch von Heidi Fogel auf die Geschichte ihrer Region aufmerksam. Der Verein hat also zweifellos hervorragende Arbeit geleistet. Dieses Beispiel sollte Schule machen und dazu motivieren, weitere Vereine ins Leben zu rufen, die sich um die Aufarbeitung lokaler Geschichte kümmern und dabei helfen, „weiße Flecken“ zu füllen. LAGER ROLLWALD | SELIGENSTADT STEP 21 [WEISSE FLECKEN] 23 Der Rodgau wird fruchtbarer gemacht Die Zeitungen schreiben von Flurbereinigung. Die Gefangenen werden mit keiner Silbe erwähnt Wir befinden uns im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt. Vor uns schier endlos schwarz-weiße Seiten, eine NegativAufnahme auf Mikrofilm: voller Meldungen über das „glor- und siegreiche deutsche Volk“, Modewerbung, Kleinanzeigen, Gerichtsbeschlüsse, Sportergebnisse. Wir suchen in Ausgaben des Darmstädter Tagblatts vom Frühjahr 1938 nach Spuren des Lagers Rollwald, das am 11. April 1938 eingerichtet wurde. An diesem Montag, einen Tag nach der Volksabstimmung über den „Wiederanschluss“ Österreichs ans Großdeutsche Reich, jubiliert man auf der Titelseite: „99,08 Prozent sagen Ja!“ Die Artikel schäumen über vor Lobgesang auf Hitler. Kein Wort über das neue Gefangenen- und Arbeitslager, nicht einmal im Lokalteil Hessen. Dort berichtet man lieber von einem Besuch des Bürgermeisters von Griesheim in der städtischen Volksschule. In der Ausgabe vom 26. März 1938 werden wir ansatzweise fündig. „Der Rodgau wird fruchtbarer gemacht“, heißt es in einem Bericht über die geplante Begradigung der Flüsse Rodgau, Gersprenz und Bieber. Dass es Gefangene des Lagers Rollwald sein werden, die in den kommenden Monaten neue Flussbetten ausheben und alte trocken legen, wird mit keinem Wort erwähnt. Auch im Stadtarchiv Offenbach findet sich keinerlei Hinweis auf die Einrichtung des Lagers. Am 15. Januar 1938 heißt es in den Offenbacher Nachrichten „Der Rodgau soll fruchtbarer gemacht werden“. Dass dies durch die Gefangenen des Lagers Rollwald verwirklicht werden soll, wird wie schon im Darmstädter Tagblatt mit keiner Silbe erwähnt. In den folgenden Monaten und Jahren wird das Lager nicht einmal erwähnt. Dabei berichten die Zeitungen durchaus darüber, dass der Rodgau immer mehr genutzt werden soll; etwa am 27. Mai 1938, wo es heißt: „Offenbachs Abwässer werden zum Rodgau geleitet“. Auch als das Lager 1945 zum Internierungslager umfunktioniert wird, schreiben die Zeitungen nichts über die „alten Räumlichkeiten“. Erst 1953 wird der Rollwald wieder in der regionalen Presse erwähnt, aber nicht etwa um den Opfern zu gedenken. Die wirtschaftlichen Verluste durch die Abrodung des Waldes stehen im Zentrum der Berichte. Wut angesichts der Jahresverluste von bis zu 150.000 Mark wird in Berichten der Offenbach Post vom 17. und 26. September 1953 laut. Die so genannte „Rollwald-Misere“ wird sogar im Landtag thematisiert. Der Kreis fordert eine Wiedergutmachungszahlung von insgesamt 1,2 bis 1,8 Millionen Mark. Die Begründung: „Die Erosion des Bodens sei so katastrophal, dass schon heute an vielen Stellen die fruchtbare Erde weggeweht sei und der blanke Kies oder Fels herausschaue. Riesige Staubwolken würden bei stürmischem Wetter bis nach Hanau (ca. 30 km von Rollwald entfernt) geblasen. Das Forstamt habe nachgewiesen, dass an manchen Tagen ein Zentimeter Höhe der Ackerkrume weggeweht werde. Der Rollwald ist ein Schandfleck für ganz Hessen und ein Schulbeispiel dafür, was aus einer Landschaft zu werden droht, wenn man nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergreift.“ Erst am 23. Juli 1955 wird in der Offenbach Post an die „Vergessenen Toten zwischen Gras und Gestrüpp“ erinnert. Hier wird klar, dass zehn Jahre nach Ende des NS-Regimes den Toten der nötige Respekt nicht gewährt wird: Ihre Gräber sind komplett überwuchert, dabei sind sie die letzten Erinnerungen an das Lager. Heute existieren nicht mal mehr sie. In den folgenden Jahren ist das Lager kein Thema für die Bewohner Rodgaus. Ab und zu erscheint ein Leserbrief. So schreibt ein ehemaliger Insasse am 17. Februar 1981, dass es ein Skandal sei, außer auf einer Gedenktafel in Dachau keinen weiteren Hinweis auf das Lager Rollwald finden zu können. Erst in neuester Zeit begann ein Förderverein, sich der Aufgabe zu widmen, den „weißen Fleck“ Rollwald aufzuarbeiten. Gegründet Anfang 2000, beauftragte er die Autorin Dr. Heidi Fogel, die Geschichte der Nazi-Einrichtung zu erforschen. 2004 erschien ihr Buch „Das Lager Rollwald – Strafvollzug und Zwangsarbeit“, dessen Verkaufszahlen selbst den Förderverein überraschten. Der Verein hat sich Ende November 2005 aufgelöst. Eine Internetseite informiert aber weiterhin über das Lager Rollwald. Darmstädter Tagblatt vom 26. 3. 1938: „Der Nationalsozialismus vollbrachte (in nur vier Jahren) die vierfache Leistung (im Vergleich zum alten System). Dazu kommt, dass die Kosten … um 60 % niedriger wurden.“ Dass diese „Erfolge“ auf den Einsatz von Zwangsarbeitern zurückgehen, wird mit keiner Silbe erwähnt. In der rechten Spalte nationalsozialistische Propaganda: Die Wahlrede des Gauleiters Sprenger wird unkommentiert an den Leser weitergegeben. Hessisches Staatsarchiv Darmstadt + + + + [Weiße Flecken]-Paten + + + + [Weiße Flecken]-Paten + + + + [Weiße Flecken]-Paten + + + + [Weiße Flecken]-Paten + + + + Iris Berben Schauspielerin „Wir müssen unsere Geschichte kennen. Nur dann sind wir für die Gegenwart gewappnet und können positiv unsere gemeinsame Zukunft gestalten.“ Prof. Dr. Wolfgang Benz Johannes B. Kerner Talkmaster und Sportreporter Historiker und Leiter des Zentrums „Verantwortlicher Journalismus und für Antisemitismusforschung „Forschende Aneignung – statt bloßer der kritische Umgang mit Medien werden bei [Weiße Flecken] von JugendBetroffenheit – ist der Weg, Kenntnis zu gewinnen und Erinnerung verste- lichen gleichermaßen trainiert: Ein originelles und wichtiges Projekt von hend zu bewahren. Deshalb begrüße STEP 21, das ich gerne unterstütze.“ ich das Projekt [Weiße Flecken] und wünsche ihm Erfolg, als Beitrag zur Verständigung und zum Frieden über geographische und generationelle Grenzen hinweg.“ Shlomo Sally Perel Autor „Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwer es ist, über die oftmals schmerzhaften Erinnerungen an den Holocaust zu sprechen. Aber: Ein Zeitzeuge ist der beste Geschichtslehrer. Deswegen finde ich [Weiße Flecken] so gut: Junge Menschen ergreifen die Initiative und gehen auf diejenigen zu, die aus eigenem Erleben von Auschwitz, vom Krieg und vom Faschismus erzählen können. Und die Zeitzeugen finden so den Mut, auf die junge Generation zuzugehen und ihre eigenen Erinnerungen weiter zu geben. Denn nur Aufklärung kann eine Wiederholung der Geschichte verhindern. Nur wer um die Vergangenheit weiß, kann aus ihr lernen und für Verständigung, Verständnis und für Annäherung eintreten.“ Unterstützen auch Sie unsere Arbeit! Stiftung STEP 21 Spendenkonto: SEB Bank BLZ 480 101 11 Konto 1 372 924 100 HITLERJUGEND | SOEST 24 [WEISSE FLECKEN] Kinder – Nachschub für die Front nannte man die Kinder im Deutschen Jungvolk – wurden über die Ferien in bombenfreie Gebiete geschickt. Der Krieg war so zumindest für diese Zeit „ganz weit weg“. Als eine Art Pfadfinderlager angepriesen, nutzten die Nationalsozialisten die Kinderlandverschickung aber auch, um die Jugend ideologisch zu drillen. Bald brauchten die Nazis „Nachschub“ für die Millionen gefallener Soldaten. Also steckten sie meist noch nicht mal 16-jährige Jungen in Uniformen und schickten sie als bewaffnete Soldaten in den so genannten Volkssturm. Tausende starben, als der Krieg Fanfarenzug der Hitlerjugend vor dem Soester St. Patrokli-Münster. Datum unbekannt. für Deutschland längst verloren war. Foto: Stadtarchiv Soest Mehr Glück hatten die Soester Hitler1. Dezember 1936 war die Mitglied- jungen. Kurz vor dem Sturm der Ameri„Eine gewalttätige, herrische, schaft in der Organisation Pflicht. Für kaner wurden die Jugendlichen von der unerschrockene, grausame Jugend viele Jugendliche war der Dienst in der westlichen Frontlinie abgezogen und will ich ...“ Hitlerjugend jedoch weit mehr als rei- entgingen so vielfach dem Tod. Adolf Hitler ne Pflichterfüllung. Für sie war die HJ „Ich brauchte nur zu brüllen, den Dau- eine Art Jugendtreff, wo sie zusammen mit ihren Freunden zum Beispiel Reimen auf und ab zu bewegen und die Liegestütze zu zählen … Die armen ten und Segelfliegen konnten – SportKerle stöhnten und schwitzten, schnap- arten, die sonst sehr teuer waren. Trotz der gesetzlichen Pflicht wurpten nach Luft, aber sie gehorchten“, erinnert sich ein Hitlerjugendführer de die Teilnahme an Großveranstalan seine Zeit in der NS-Jugendorga- tungen wie Paraden und Aufmärschen in Soest nicht brutal erzwungen. Wer nisation. Drill, Gehorsam und Uniformität andere „volksgemeinschaftliche Dienswurden der deutschen Jugend im Na- te“ in einer Musikkapelle oder bei Sportwettkämpfen erbrachte, konnte tionalsozialismus eingeimpft. Sie sollte körperlich fit und wehrfähig gemacht, zu Hause bleiben. 1940, der Krieg war in vollem Ganihr Wille sollte gebrochen werden. Bege, erließ Hitler eine Verordnung zur deutend wurde die 1922 gegründete genannten Kinderlandverschi- Soester Jungvolk. Datum unbekannt. Hitlerjugend (HJ) mit der Machtergrei- so fung der Nazis im Jahre 1933. Ab dem ckung. Pimpfe und Jungmädel – so Foto: Stadtarchiv Soest Kinder als Kanonenfutter STEP 21 Kommentar Mit offenen Augen Folgsamkeit, Führertreue, Ausdauer und Nationalismus – dies waren Leitwörter der Hitlerjugend. Aus heutiger Sicht klingt das ausnahmslos negativ. Damals jedoch waren viele freiwillig Mitglied in der Jugendorganisation der NSDAP. Von 1936 an war es keine Frage mehr, ob man mitmachen wollte. Wer nicht in die Hitlerjugend eintrat, wurde dazu gezwungen; zum Teil sogar gegen den Willen der Eltern von der Polizei zu Hause abgeholt. Nach unseren Recherchen fragen wir uns: Könnte sich heute eine Jugendorganisation durchsetzen, die Folgsamkeit und das Aufgeben der eigenen Persönlichkeit verlangt, die den Willen ihrer Anhänger bricht und dafür Zusammenhalt und Freundschaft verspricht? Beispiele wie der Versuch eines australischen Lehrers, eine HJ-ähnliche Organisation an seiner Schule zu etablieren, sprechen dafür. Diese authentische Geschichte wird in dem Jugendbuch „Die Welle“ erzählt. Auch heute noch gibt es Außenseiter, die in einer Organisation, die Gleichheit und Einheit verspricht, ihre Chance sehen. Die Möglichkeiten, Jugendliche anzusprechen, sind enorm gewachsen. Während es früher nur den „Volksempfänger“ und Zeitschriften gab, buhlen heute zahllose Bands mit extremen politischen Ansichten oder Internetseiten um Aufmerksamkeit. Die Gesellschaft ist offener. Wir werden von allen Seiten beworben – Vereine, Konzerne, Organisationen beeinflussen unsere Mei- nung und wollen unsere Stimme für sich gewinnen. Wir sind die Generation der Möglichkeiten, kaum eine Chance wird uns verwehrt. Es ist kaum denkbar, dass sich in diesem Zusammenhang noch eine Idee durchsetzt, die andere Ideen so stark bekämpft wie der Nationalsozialismus. Damals gab es nur vereinzelte Widerstandsgruppen wie die „Weiße Rose“. Würde das heute anders aussehen? Nach der NS-Zeit entstanden viele unterschiedliche Bewegungen wie die Hippieoder Punkszene. Gesellschaftliche Minderheiten begannen sich zu emanzipieren. Die Menschen fingen an, ihre Chancen wahrzunehmen und zu handeln, wenn ihnen etwas nicht gefiel. Auch Jugendliche. So entstand die Punkbewegung als Subkultur, weil Jugendliche in England keine Zukunft mehr sahen und ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen wollten. Auch in Deutschland zogen vergleichbare Bewegungen viele Teenager an. Die Nachkriegsgeneration wollte mit Vaterland und Führerkult nichts zu tun haben. Die eigene Meinung war gefordert, der Do-it-yourself-Gedanke rückte in den Vordergrund. Heute gehen Jugendliche mit offeneren Augen durch die Welt und machen sich mehr Gedanken um die nationale Politik als damals. Das beweisen politische Festivals, Projekte und Aktionen der Jungparteien. So gesehen ist die erneute Entstehung einer deutschlandweiten, gleichgeschalteten Jugendorganisation, wie es die HJ war, unwahrscheinlich. Der Bombenangriff in Soest im Spiegel der Presse Was genau geschah in Soest am 28. tik wurden dagegen außen vor gelassen, um nicht den Eindruck zu erwecken, März 1945? Eine eindeutige Antwort wird man auf diese Frage wohl nie er- dass Deutschland am Ende war und der Zusammenbruch bevorstand. halten. Die strenge Pressezensur des Stattdessen berichtete der Soester Naziregimes ließ auch in den Lokalzeitungen keine Themen zu, die nicht in Anzeiger über die Heldentaten der Hitlerdas System der Propagandamaschine- jugend an der Ostfront. „Ausnahmslos kriegsfreiwillige“ Jungen hätten gegrie Joseph Goebbels’ passten. nerische Panzer zerstört, überall dort Ob dies auch auf den Bombenangriff der US-Amerikaner auf den Zug bei So- „wo überraschend sowjetische Panzer est zutraf, ist nicht sicher. Die National- durchbrachen“. Die reale Lage sah aber sozialisten hätten den Angriff zur Het- ganz anders aus. Am 5. März 1945 hatze gegen die Alliierten nutzen und die- te die Wehrmacht angeordnet, alle 16se als Kindermörder verleumden kön- Jährigen zum Kriegsdienst an die Front nen. Umso erstaunter waren wir, als wir zu schicken. Der Krieg war bereits so in der Lokalzeitung aus Soest keine ein- gut wie verloren, die Westfront besiegt. zige Meldung zum Angriff fanden, ledig- Im Osten machte die Sowjet-Armee imlich allgemeine Artikel über den Krieg. mer mehr Boden wett – nur zwei Wo„Verstärkter Feinddruck zwischen Sieg- chen später begann die Schlacht um burg und Koblenz“ lautete eine Über- Berlin. Dass ihre Kinder als Kanonenschrift am 29. März 1945 im Soester An- futter in einen verlorenen Krieg zogen, sollten die Deutschen natürlich nicht in zeiger. Auch wurde gemeldet, dass die der Zeitung lesen. Amerikaner zwischen Mainz und dem Um Ereignisse in das umzuwandeln, Odenwald durch „bessere Materialausnutzung“ weitere Fortschritte erziel- was das Volk von diesen denken sollte, ten. Details zum Kriegsverlauf oder Kri- rief Joseph Goebbels auf einer Reichs- pressekonferenz in Berlin regelmäßig Journalisten zusammen. Dort wurde ihnen vorgegeben, was sie zu schreiben hatten und was auf keinen Fall erwähnt werden durfte. Zeitungen wurden gleichgeschaltet, kritische Journalisten erhielten Arbeitsverbot, ganze Zeitungen wurden verboten. Es gab aber auch viele Journalisten und Verleger, die sich freiwillig anpassten und hinter dem Nationalsozialismus und seiner Propaganda standen. Ausschnitt aus dem Soester Anzeiger vom 29. 3. 1945. Stadtarchiv Soest „ Team Memo aus Soest Anna Tenholt (16), Salima Hamadou-Sroka (16), Eva Heymig (17), Dorothea Jebe (17) und Lena Scharwei (17) ( v. l.) Wir sind das Team Memo aus Soest. Bei Memo fielen uns die kleinen gelben Notizzettelchen ein, und das fanden wir passend für unser Team. Denn unsere Artikel sollen euch, indem sie an die Vergangenheit erinnern, ein Merkzettel für die Zukunft sein. Wir, das sind: Anna, die Kritische, Salima, die antreibende Kraft, Eva, die Engagierte, Doro, die Kreative, Lena, die zum Nachdenken anregt. „Das Leben kann nur rückblickend verstanden werden. Es muss aber vorausschauend gelebt werden.“ Sören Kierkegaard (1813–1855) “ Möbelwagen voller Leichen Der Soester Hans Fuest über den Bombenangriff auf seine Heimatstadt Rosen und Strauchbäume im Vorgarten, ein schön bunt geschmückter Fenstersims und freudiges Kindergeschrei empfangen die Gäste im Mehrfamilienhaus der Familie Fuest im Soester Norden. Auch der kleine Mischlingsrüde, der zwischen den Beinen seines Besitzers hindurchschlüpft, freut sich über den Besuch. Doch die Geschichte, die der 75-jährige Hans Fuest erzählt, passt so gar nicht in dieses idyllische Bild. Als 15-jähriger Knabe erlebte er den Angriff der amerikanischen Jagdbomber auf die Essener Hitlerjungen in Soest mit: „Das war der schlimmste Tag meines Lebens!“, fasst er die Ereignisse jenes Tages zusammen. Als der Sirenenalarm einsetzte, flüchtete Fuest mit seinem Bruder in einen nahe gelegenen Bunker. „Von da aus hörten wir die Jagdbomber. Als der Angriff vorbei war und wir zurückkamen, sahen wir die Verletzten und Toten. Überall war Blut, und schreiende Menschen liefen durcheinander. Es war furchtbar“, berichtet er sichtlich bewegt. „Ein Junge lag schreiend auf dem Hydranten vor unserem Haus. Mein Vater, damals Schrankenwärter, hob den Jungen herunter, dabei fiel dem Opfer der gesamte Unterkörper ab. Es war kein Blut zu sehen. Der Junge muss bereits im Zug auseinander gerissen, doch durch den starken Luftdruck wieder zusammengepresst worden sein. Die Sanitäter halfen, wo sie nur konnten“, erzählt Fuest weiter. „Sie versuchten, mit Tischtüchern, Bettlaken und Gardinen die Verletzten zu verbinden. Die Jugendlichen flüchteten aus dem noch langsam fahrenden Zug. Ein Teil rannte in Richtung der nahe gelegenen Zuckerfabrik. Der Rest versuchte, sich in Richtung Stadtmitte zu retten. Diejenigen, die in Richtung Zuckerfabrik davonrannten, kamen fast alle davon. Die Jugendlichen jedoch, die über den Bahndamm liefen, wurden auf dem freien Feld abgeknallt wie Hasen bei der Treibjagd“, beschreibt Fuest den Angriff und schüttelt verständnislos den Kopf. Er schildert weiter, dass die Toten in Möbelwagen abtransportiert werden mussten, da keine anderen Fahrzeuge zur Verfügung gestanden hätten. Dieses Bild hat sich bei ihm eingebrannt: „Noch heute sehe ich den Möbelwagen mit den Toten auf der Straße stehen, wenn ich den Bahnübergang überquere“, erzählt Fuest. Er selbst wünscht sich endlich eine heile und friedliche Welt. „Ich habe gesehen wie Menschen alles verloren haben. Auch unser Haus wurde weggebombt. Das Leben ist zu kurz, um es mit Hass und Krieg zu vergeuden. Wir sollten froh über das sein, was Gott uns schenkt und wie er uns geschaffen hat.“ Skizze eines Bombenangriffs In den letzten Kriegswochen, am 28. März 1945, bombardierten amerikanische Jagdbomber kurz vor Soest einen Zug. Im Zweiten Weltkrieg war dies allein nichts Besonderes – alle Kriegsparteien versuchten zu verhindern, dass der Gegner Nachschub an die Front bringen konnte. Dafür nahmen sie auch den Tod von Menschen in Kauf. Doch in diesem Zug waren weder Soldaten noch Waffen – sondern Hitlerjungen aus Essen. An Bord waren, je nach Quelle, zwischen 400 und 1.200 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahren. Laut Chronik der Reichsbahn starben 32 von ihnen, 76 wurden verletzt. Wie viele von ihnen noch in Lazaretten und Krankenhäusern starben, ist durch das Chaos der letzten Kriegswochen nicht mehr feststellbar. Ein Großteil der Jungen, Fähnlein- und Jungzugführer des Jungvolks, sollte nach Korbach (nahe Kassel) evakuiert werden, da die englischen Truppen schon am Westrand des Ruhrgebiets standen. Der Rest war auf dem Weg nach Mitteldeutschland, um als Luftwaffenhelfer zu dienen. Während der 16-stündigen Fahrt wurde häufig Fliegeralarm ausgelöst. So auch kurz vor Soest. In der Nähe eines Waldes stoppte der Zug. Die Insassen suchten Deckung, doch nichts passierte. Nach einiger Zeit setzte der Zug seine Fahrt fort. Kurz vor der Stadt griffen Tiefflieger den Zug an. In Panik sprangen die Jungen aus den Waggons und versuchten, sich in der näheren Umgebung in Sicherheit zu bringen. Die Bomber setzten ihren Angriff fort. ZWANGSARBEIT | BAD ZWISCHENAHN STEP 21 Das traurige Singen Eine Zeitzeugin erinnert sich an die Zwangsarbeiter der Firma Intelmann „Die Leute haben bei der Arbeit immer diese traurigen Lieder gesungen“, berichtet Hannelore Vock in Gedanken versunken. Sie ist die Tochter des damaligen Bad Zwischenahner Bürgermeisters Roggemann, der von 1933 bis 1945 im Amt war. Das Grundstück der Bürgermeisterfamilie grenzte an das Betriebsgelände der Firma Intelmann, in der hauptsächlich Holzspulen für Garn hergestellt wurden. Mehrere hundert Zwangsarbeiter waren in diesem Unternehmen tätig. „Wir brauchten keinen Wecker. Morgens zwischen sechs und halb sieben gingen ein paar hundert Leute an unserem Haus vorbei. Meistens hatten sie Holzlatschen an, manche hatten auch nur Lappen um die Füße gewickelt. Ich habe selbst einmal gesehen, dass da welche im Schnee barfuß liefen, weil sie keine Schuhe hatten“, erinnert sich Hannelore Vock an ihre Kindheit in der NS-Zeit. Jeden Morgen wurden die russischen Arbeiter von den Baracken in dem wenige Kilometer entfernten Ort Specken an ihrem Haus vorbei zur Firma Intelmann geführt. „Die wurden bewacht, mit Gewehren“, berichtet sie. Wer den Zwangsarbeitern Essen brachte, dem drohte Prügel oder Schlimmeres 1944 war Vock zehn Jahre alt. Oft stand sie gemeinsam mit anderen Kindern hinter einer Mauer, um die Män- ner und Frauen zu beobachten. „Sträflingsanzüge trugen sie keine, wie Gefangene sahen sie nicht aus“, erklärt sie nachdenklich. Dennoch war das Firmengelände mit einer Mauer umgeben, so dass keiner der Arbeiter entkommen konnte. Hinter dem am Bahnhof gelegenen Haus des Mädchens waren kräftige Männer damit beschäftigt, Baumstämme von der Bahn herunter zu rollen und zu stapeln. Auf dem Hof bauten sich die Kinder oft Buden aus den Holzstämmen und versteckten sich dort. „So waren wir oft bei den Arbeitern“, begründet sie die Verbundenheit mit den Fremden. Diese Menschen hatten wenig zu Essen, das erkannte das junge Mädchen bald und brachte ihnen Wurzeln, Kartoffeln oder Kohl aus dem eigenen Garten – wohl wis- Fremdarbeiter und Freund Die Geschichte einer deutsch-polnischen Freundschaft Neben der wachsenden Zahl an zwangsverschleppten polnischen Arbeitskräften kamen einige Polen – zum Teil schon seit Jahren – freiwillig zum Arbeiten nach Deutschland. Dabei entstanden Freundschaften. So etwa zwischen dem Polen Josef Selinger und dem damals zehnjährigen Adolf Harms aus Garnholt bei Westerstede. „Der Josef war ein guter Mann“, erzählt Adolf Harms. Als die beiden sich 1939 kennen lernten, war Josef Selinger bereits zum 18. Mal als Erntehelfer nach Deutschland gekommen. „Es ist wichtig, dass zwischen Zwangs- und Fremdarbeitern unterschieden wird“, erklärt Harms weiter. „Josef ist nie unter Zwang nach Deutschland gekommen. Er verdiente hier Geld für seine Familie, die in einem Dorf in Polen lebte.“ Zwei Jahre später war die Freundschaft der Familie gegenüber Josef so intensiv, dass Vater Harms Josef über den Winter zu seiner Familie nach Polen schickte. Im darauf folgenden Frühling kam Josef unter ei- Unwichtiges Unglück Im Ammerland wurde über die vorbildliche Leistung ansässiger Firmen berichtet. Das Schicksal der Zwangsarbeiter war nur eine Randnotiz wert. Das nach dem Brand restaurierte Gebäude der Firma Intelmann in den 1960er Jahren. Das Verwaltungsgebäude der Holzspulenfabrik (hinten links) wird heute als Jugendzentrum „Stellwerk“ genutzt“. Foto: Otto Renken Die polnische Familie Selinger. Monica und Gina (hinten v. l.); Maria und Josef (vorne) Foto: A. Harms nigen Schwierigkeiten zurück nach Garnholt auf den Betrieb der Familie Harms. Die Einreise nach Deutschland war zu diesem Zeitpunkt bereits erschwert, da Josef keine Arbeitserlaubnis mehr besaß. 1942 brachte Josef seine ganze Familie mit nach Deutschland. Auch seine Frau Maria und seine jüngste Tochter Gina arbeiteten im Betrieb der Familie Harms mit, die älteste Tochter send, dass es Prügel gab, wenn sie erwischt wurde. Um nicht entdeckt zu werden, versteckte sie das Essen für die Arbeiter in ihrer Holzbude. Auch ein benachbarter Bäcker wollte helfen und schob sein übrig gebliebenes Brot unter dem Zaun durch. Eines Tages wurde der hilfsbereite Bäcker erwischt und in ein Konzentrationslager eingewiesen. Später starb er an den Folgen der Tortur. Am 16. April 1945 wurde die Fabrik von Tieffliegern der Alliierten beschossen. Ein großer Teil des Gebäudes wurde zerstört. Rettungskräfte versuchten vergeblich, das Feuer zu löschen. Die heute 71-jährige Hannelore Vock wird diese Zeit nie vergessen. „Es war schrecklich. Allein dieses traurige Singen, das höre ich heute noch oft.“ Monica auf einem Hof in der Nachbarschaft. Dort wurde sie aber nicht so gut behandelt, wie Monica später der Familie Harms erzählte. Fremdarbeiter wurden von ihren Landsleuten nach Kriegsende als Kollaborateure verdächtigt und bestraft. 1945 kam die polnische Polizei nach Garnholt und „befreite“ die Fremdund Zwangsarbeiter, teilweise auch mit Gewalt. Sie fragten die polnischen Arbeiter, ob sie gut behandelt worden seien. War dies nicht der Fall, wurden die deutschen Bauern bestraft. Waren aber die polnischen Arbeiter freiwillig dort und hatten sogar Freundschaften entwickelt, wurden die Fremdarbeiter als Verräter verdächtigt und mitgenommen. Auch Josef wurde unter Zwang von der polnischen Polizei weggebracht, erzählt Adolf Harms. Obwohl Adolf Harms Jahre später versucht, bei der polnischen Botschaft Informationen über den Verbleib von Josef Selinger zu bekommen, bleiben er und seine Familie spurlos verschwunden. „Ich befürchte, dass es Josef nicht mehr gibt“, sagt Harms und starrt betroffen ins Leere. Er nimmt an, dass Josef hingerichtet wurde. [WEISSE FLECKEN] 25 In Oldenburg und im Landkreis Ammerland, zwei Hochburgen des Nationalsozialismus, erschienen mehrere Lokalzeitungen: die Oldenburger Stadt und Land, die Oldenburgsche Landeszeitung und Der Ammerländer. Schon früh waren diese Zeitungen von der NSDAP beeinflusst, die in der Region bereits vor 1933 viele Anhänger hatte und großen Einfluss auf die Medien ausübte. Über die Firma Intelmann, die in Bad Zwischenahn nachweislich mehr als hundert Zwangsarbeiter beschäftigt hat, ist in keiner der Zeitungen berichtet worden. Jedoch stießen wir in der Oldenburger Stadt und Land auf einen Artikel über die Warpsspinnerei in Oldenburg, die als Musterbeispiel für einen ordentlichen Betrieb ei- ne Urkunde im Namen des „Führers“ erhielt. Die Zwangsarbeiter, die nachweislich auch in dieser Firma gearbeitet haben, wurden nirgends erwähnt. Nie erschienen Bilder von Baracken oder Berichte über Krankheiten und Bestrafungen von Zwangsarbeitern. Exemplarisch für zahllose Betriebe zeigt dieser Fund, dass das Schicksal von Zwangsarbeitern hingenommen oder gar nicht erst wahrgenommen wurde. Was zählte und belohnt wurde, war allein die „gute Leistung“. Über das Zugunglück in Bad Zwischenahn, bei dem 32 Zwangsarbeiter ums Leben kamen, erschien ein kurzer Bericht in den Meldungen der Gestapo Oldenburg, nicht aber in einer der lokalen Zeitungen. Möglicherweise erschien den Menschen das Zugunglück zu nebensächlich, um eine Meldung zu bringen. So gibt es gerade im Ammerland viele „weiße Flecken“, die bis heute nicht gefüllt wurden. Oldenburger Stadt und Land von 1939 über die Leistungserfolge der Warpsspinnerei Kommentar Die Schwierigkeit der Materialauswahl In unserem Umfeld – das haben wir festgestellt – stecken viele Geheimnisse, die tatsächlich als „weiße Flecken“ sichtbar wurden: Geleugnete Vertreibung, wilde Euthanasie, unbeachtete Kindergräber oder tolerierte Zwangsarbeit. Letzteres regte uns besonders zum Nachdenken an, da das Bad Zwischenahner Jugendzentrum der erhalten gebliebene Teil des ehemaligen Fabrikgebäudes der Firma Intelmann ist. Vor etwas mehr als 60 Jahren waren in diesem Gebäude über 100 Zwangsarbeiter unter den wachsamen Augen der Nationalsozialisten tätig. Um herauszufinden, was damals wirklich geschah, haben wir diverse Quellen recherchiert. Wir führten acht Interviews mit Zeitzeugen und Experten. Dabei haben wir die Unsicherheit im Umgang mit Zeitzeugen verloren und Einblicke in die Vergangenheit bekommen. Über die Schicksale der Menschen nachzudenken, Erzählungen zu hinterfragen und über die heutigen Auswirkungen der Vergangenheit zu diskutieren – all das wurden zentrale Bestandteile unserer Gruppenarbeit. Beim journalistischen Teil des Projekts mussten wir feststellen, wie viel Überwindung es kostet, Berichte über recherchierte Fakten wegzuschmeißen, weil sie nicht verwendet werden können. Für uns war es wichtig, die verschiedenen Facetten der Zwangsarbeit aufzuzeigen, weil uns vor allem die Entschlossenheit einzelner Menschen beeindruckt hat: Der Mut des Bäckers, die Erinnerungen der Bürgermeistertochter und die seltenen besonderen Freundschaften zwischen Deutschen und den als „Menschen zweiter Klasse“ diffamierten Fremdbzw. Zwangsarbeitern. Uns wurde klar, dass wir die Ereignisse der Vergangenheit nicht mehr ungeschehen machen können. Daher bleibt uns nur, auf sie hinzuweisen. Team Tracing aus Bad Zwischenahn 32 Zwangsarbeiter aus Rotterdam sterben bei Zugunglück Die Deportation von 1.500 streikenden Niederländern endet mit einem Zusammenstoß im Bad Zwischenahner Bahnhof. Es war im November 1944. Der Kriegsapparat der Nationalsozialisten lief auf Hochtouren. Zur selben Zeit legte in dem von den Deutschen besetzten Rotterdam ein Generalstreik wichtige Industriezweige lahm. Da aber Rüstungsgüter schnell verladen werden sollten, wurden alle streikenden Männer im Alter zwischen 16 und 55 Jahren zur Strafe in Sammelstellen getrieben: Ein Akt der Willkür, wie er für diese Zeit, in der der Krieg eigentlich schon verloren war, charakteristisch war. Unter den Männern befand sich Cornelius de Jong. Der 24-jährige Familienvater wurde am 10. November 1944 gegen fünf Uhr aus dem Bett gejagt und mitgenommen. Alles was er bei sich tragen durfte, war eine Decke. Nachdem er in einem verdreck- ten Kahn über das Ijsselmeer gebracht wurde, begann der drei- bis vierstündige Marsch in das für seine Grausamkeiten berüchtigte Sammellager Wezep. Dort warteten schon SS-Männer. „Da war einer unter ihnen, der hatte einen Haken an der Hand. Wenn man an ihm vorbei ging, schlug er schmerzhaft auf die Leute ein“, erinnert sich de Jong. Caspar Sla, ein weiterer Überlebender, berichtet von getöteten Flüchtlingen, die zur Abschreckung überall herumlagen. Nach einer Woche begann der Transport über Groningen mit dem Ziel Südweihe bei Bremen. Dort sollten sie für die Deutsche Reichsbahn zur Erdarbeit eingesetzt werden. Doch sie kamen nie an. Am 20. November 1944 um 2:45 Uhr prallte der vollbesetzte Zug im Bahnhof Bad Zwischenahn auf einen stehenden Güterzug. „Wir waren von dem Knall aufgewacht, ich habe nur die fürchterlichen Schreie gehört“, erinnert sich Anwoh- nerin Hannelore Vock. „Überall wimmerten und schrieen Menschen um Hilfe“, sagte sie. Bis heute kann auch der 85-jährige de Jong die herumfliegenden Glassplitter und das Geschrei nicht vergessen. Menschliches Versagen war die Unfallursache. Der übermüdete Lokführer Rudolf Erdmann hatte ein Haltesignal übersehen und fuhr mit 60 km/h in den Bahnhof ein. Erdmann überlebte das Unglück mit einem Schock. 32 Niederländer und vier Deutsche kamen ums Leben. 45 Menschen wurden schwer und 21 leicht verletzt. Die Schwerverletzten wurden in die Krankenhäuser von Westerstede und Oldenburg gebracht. Die Leicht- oder Unverletzten wurden schon nach wenigen Tagen wieder zur Zwangsarbeit weiter transportiert oder vor Ort eingesetzt. In Bremen liegen heute 27 der verstorbenen Niederländer begraben – wo genau ist nicht bekannt. Sina Zimmermann (18), Sandra Hinzmann (18), Katharina Krause (18) (v. l.) Dass geschichtliche Forschungen Spaß machen können, erfuhren wir – das Team Tracing aus Bad Zwischenahn – in den letzten Monaten während unserer Projektarbeit. Wir drei, Sina, Sandra und Katharina kennen uns bereits seit der Grundschule, beziehungsweise der 7. Klasse. Wir sind 18 Jahre alt und besuchen die 13. Klasse des Gymnasiums Bad Zwischenahn-Edewecht. Wir leben in den Dörfern Wittenriede und Petersfehn, einige Kilometer von Oldenburg entfernt. Über die Teilnahme am Projekt [Weiße Flecken] mussten wir nicht lange nachdenken. Unser Interesse an journalistischen Tätigkeiten und geschichtlichen Hintergründen besteht schon lange. ZERSTÖRUNG DER SEMPER-SYNAGOGE | DRESDEN 26 [WEISSE FLECKEN] STEP 21 Worte wie Feuer – Die Pogromnacht 1938 im Spiegel der Dresdner Presse Die brennende Semper-Synagoge während der Reichspogromnacht 1938. Foto: Helmut Hoffmann „Grünspan schoß auf Europa“ – „Schluß mit den jüdischen Machenschaften“ – „Der Judentempel niedergebrannt“. Am 10. November 1938 berichteten die beiden großen Tageszeitungen Dresdner Nachrichten und Dresdner Anzeiger über den Brand der Sempersynagoge in der vorangegangenen Nacht. Trotz des großen öffentlichen Interesses erschienen die drei Artikel jedoch nicht auf der Titelseite. Durch vorgeblich unkommentierte Aufzählungen von Fakten wie Uhrzeit und Hergang des Brandes, Verhalten der Feuerwehr sowie Reaktion der Schaulustigen, erwecken die kurzen Artikel den Anschein objektiver Berichterstattung. Tatsächlich jedoch werden die Ereignisse verzerrt dargestellt, etwa wenn sich laut Zeitungsbericht die Feuerwehr auf den Schutz der umliegenden Wohngebäude beschränken musste. Der Dresdner Augenzeuge Hans Schneider hat ganz anderes erfahren: „Die Feuerwehr war wohl da, aber die haben bloß so bissel getan und waren im Übrigen damit beschäftigt, erst mal eine große Bresche in die Mauer zu schlagen.“ Ist in einem der Artikel nur von der Ansammlung einer „großen Menschenmenge“ und „großem Beifall“ bei der Abnahme der Davidsterne die Rede, so waren die Reaktionen der Schaulustigen in Wahrheit viel diffe- renzierter. Sie umfassten eine Bandbreite von hämischen Bemerkungen, johlender Zustimmung bis hin zur – im Übrigen verschwiegenen – Misshandlung jüdischer Gemeindemitglieder durch die SS. Andere wunderten sich über die Untätigkeit der Feuerwehr. Vereinzelt kam es zu offenem Protest, immer verbunden mit der Angst vor der Gestapo. So berichtet Augenzeuge Otto Griebel: „Einem gepflegt aussehenden, grauhaarigen Passanten war das Geschehene zu viel, und voller Empörung rief er aus: ‚Unglaublich, das ist ja das schlimmste Mittelalter!‘ Kaum hatte er das gesagt, griffen ihn zwei Gestapobeamte und nahmen ihn mit.“ Szenen wie im schlimmsten Mittelalter Team Plaun’ sche Spitzen aus Dresden Dimitri Kulitzscher (18), Michael Blessing (18), Eva Henschke (16), Stefanie Richter (16), Josephine Schmidt (15), Ann-Christin Heinig (19) und Lehrerin Christine Liebscher (v. l.) Die Stadt Dresden ruft viele Assoziationen hervor. Zum Beispiel die Zerstörung durch zwei Bombenangriffe im Februar 1945 und das Wirken Viktor Klemperers. Und Dresden ist die Landeshauptstadt von Sachsen, in dessen Landtag die rechtsextreme NPD sitzt. Die Spuren jüngster Geschichte sind überall. Aber Dresden ist auch die Stadt, aus der das Team „Plau’nsche Spitzen“ kommt, angetreten, um auf jenen jüngsten Spuren zu wandeln. Wir haben uns nach der Schülerzeitung unserer Schule, des Gymnasiums Dresden-Plauen benannt. Wir bestehen aus drei Schülerinnen der zehnten (Josephine, Eva und Stephanie), einer Schülerin und zwei Schülern der zwölften Klasse. (Ann-Christin, Dimitri und Michael). Auf das [Weiße Flecken]-Projekt sind wir gestoßen, als die Ausschreibung in die Hände unserer betreu- ten die Ermordung des deutschen Ge- des Brandes, „eines einzigen Feuersandtschaftsrats Ernst von Rath durch meeres“, das mit „unheimlicher GeHerschel Grynspan in Paris angepran- schwindigkeit“ voranschritt, und den gert, dem Vorwand der Nationalsozia- „leeren, rauchgeschwärzten Fensterlisten für die Pogrome. höhlen“ der Brandruine entsteht der Mit Bedeutung aufgeladen wird Eindruck einer mystischen, beinahe dieser Vorfall durch die Überschrif- „höheren“ Vergeltung der „jüdischen ten in den Zeitungen („Beileidstele- Schandtaten“. gramm des Führers an die Eltern“; „Aufbahrung in der Botschaft – Anteilnahme in Frankreich“) und den Inhalt Wechselspiel von Propader Berichte, die über eine Ehrenwache und das Beileid hoher Persönlich- ganda, Verschleierung und keiten informierten. Ziel war es, den vorgeblicher Objektivität Leser emotional zu berühren. Die reißerische und pathetische Berichterstattung über das „furchtbare Leiden“ Die Entpersonifizierung der Geschävon Ernst von Rath soll Mitleid erregen digten durch Begriffe wie „Judentum“ und Angst vor dem „verbrecherischen oder „der Jude“ kreiert im Kopf des Wirken des Weltjudentums“ schüren. Lesers das Bild eines geschlossenen, „Grünspan schoß auf Europa“, ti- „verbrecherischen Feindes des deuttelten die Dresdner Nachrichten. Der schen Volkes“. Mordfall wird von der Nazi-Presse Die Berichterstattung über den zum Angriff der Juden auf die Welt- Brand der Sempersynagoge lebt vom ordnung hoch stilisiert. Pseudowissen- Wechselspiel unverhüllter Propaganschaftliche Argumente wie die „Zer- da, Verschleierungen und vorgeblistörung der Industrien durch die Ju- cher Objektivität – wohl auch, um das den“ und die ungleich kürzere Be- bürgerliche Rechtsempfinden durch richterstattung über das eigentliche die Schilderung grober Gewalttaten Ereignis tragen dazu bei, den Synago- nicht zu verletzen. genbrand in einen explizit antisemitiDie Einzigen, die der Nazi-Propaschen Kontext zu stellen. Durch diesen ganda etwas hätten entgegensetzen enden Geschichtslehrerin, Christine Liebscher, gelang. Die Zerstörung der Sempersynagoge als Thema zu wählen lag nahe, wurde doch ihr Neubau vor wenigen Jahren kontrovers und heiß diskutiert, wenn auch vor allem wegen seiner modernen Architektur. Es folgten Streifzüge durch das Stadtarchiv und durch die Sächsische Landesund Universitätsbibliothek. Vor allem bei „HATiKVA“, einem Verein für jüdische Geschichtsforschung, bekamen wir überaus freundliche Unterstützung, fachkundige Beratung und viele Anregungen. Lesen wir jetzt anders Zeitung? Mit Sicherheit. Angesichts der Vielzahl von Untertönen und Interessensgruppen, die es aufzuspüren gilt, haben wir gelernt, dass das Lesen einer Zeitung bewusst erfolgen und dass man selbst immer aufmerksam bleiben sollte. Ähnliche Erinnerungen hat Hans Schneider. Das betretene Schweigen der Umstehenden sei das Erschütterndste, das könne er bis heute nicht vergessen. Doch nicht nur die lückenhafte Berichterstattung – der die Brandursache nicht zu entnehmen ist – macht die Artikel zu Propaganda der NS-Ideologie. Auf der Titelseite der Morgenausgabe der Dresdner Nachrichten wird umfangreich und in bewegenden Wor- Ausschnitt aus dem Leitartikel des Dresdner Anzeigers vom 10.11.1938. Stadtarchiv Dresden werden das Geschehen und die Reaktionen der Schaulustigen gerechtfertigt. Aber auch in der Wortwahl der Artikel über den Synagogenbrand selbst wird die nationalsozialistische Grundhaltung sichtbar. So wird die Sempersynagoge als „Judentempel“ bezeichnet. Durch die reißerische Schilderung Eine große Menschenmenge betrachtet die zerstörte Semper-Synagoge am Folgetag. Foto: Helmut Hoffmann können, waren die Augenzeugen vor Ort. Doch auch diese schwiegen lange. Hans Schneider, der damals 19 Jahre alt war, bringt die traurige Grundeinstellung auf den Punkt: „Und so schwieg ich leider auch, wie fast ein ganzes Volk. Wie es dann weiterging, wissen wir ja nun alle.“ ZERSTÖRUNG DER SEMPER-SYNAGOGE | DRESDEN STEP 21 „Keine einfachen Fragen“ Nora Goldenbogen über jüdisches Leben in Deutschland heute Nora Goldenbogen ist Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Dresden und Leiterin des Vereins „HATiKVA“, einer Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Sachsen. Inwieweit wird die Judenverfolgung vor dem Hintergrund der Pogromnacht in der jüdischen Gemeinde heute thematisiert? Es ist noch ein sehr aktuelles Thema, weil nur sehr wenige Gemeindemitglieder die Judenverfolgung überlebt haben. Von den etwa 5.000 Gemeindemitgliedern von vor 1933 sind nach dem Krieg etwa 40 übrig geblieben. Von denen leben heute noch drei, zu denen wir auch noch Kontakt haben. Dann gibt es natürlich deren Kinder, die sehr stark an diesem Thema interessiert sind, und die vielen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Geschichte ist immer präsent, einfach durch die persönliche Geschichte des Einzelnen. Wie bewerten Sie die heutige Stellung jüdischer Deutscher in der Bundesrepublik? Das ist keine einfache Frage. Es gibt in ganz Deutschland etwa 30.000 jü- Nora Goldenbogen dische Deutsche – eine absolute Minderheit. Dann gibt es noch ungefähr 100 bis 150.000 Zuwanderer, die in den letzten 15 Jahren nach Deutschland gekommen sind, und etwa 25.000 Menschen jüdischer Herkunft, die sich nicht zum Judentum bekennen. Alle tragen diese Geschichte mehr oder weniger in sich. Auch wenn man selbst nur ein Nachfahre ist, so ist man dennoch geprägt dadurch, dass es eine Zeit in Deutschland gab, in der Juden nicht mehr sein sollten. Es kann auch heute durchaus noch vorkommen, dass man sich in bestimmten Situationen ausgegrenzt fühlt, vergleichbar vielleicht mit bereits integrierten Ausländern wie den Vietnamesen. Gibt es Dinge, die die Menschen noch nicht voneinander wissen, aber wissen sollten? Ich denke einerseits, dass es wichtig ist, ein gewisses Maß an Wissen über andere Kulturen und Religionen zu besitzen, um Vorurteilen vorzubeugen. Andererseits wäre es schön, ein Stück mehr Normalität darin zu sehen, beispielsweise den Nachbarn einfach als Mitmenschen wahrzunehmen und nicht als Juden. Wurden sie als jüdisches Kind auch nach dem Krieg anders behandelt als andere Kinder? Nein, das hat keine Rolle mehr gespielt. Ich bin hier in Dresden zur Schule gegangen. Als Nachkriegsgeneration haben wir uns sehr zusammengehörig gefühlt. Negativreaktionen habe ich erst sehr viel später erfahren, von dem Zeitpunkt an, ab dem es wieder möglich war, Fremdenfeindlichkeit zu artikulieren, also nachdem die Rechten wieder die Möglichkeit hatten, sich zu äußern. + + + + [Weiße Flecken]-Erfahrungsbericht + + + + [Weiße Flecken]-Erfahrungsbericht + + + + [WEISSE FLECKEN] 27 Kommentar Fleckige Wortkrabben Mein Name ist Mensch. Wo komme ich her? Woran glaube ich? Wen liebe ich? Wie sehe ich aus? All diese Fragen sollten zu Beginn des 21. Jahrhunderts kein Problem mehr darstellen. Doch trotz des Weichspülmittels P. C. (political correctness) und einer steten Toleranzströmung schleichen sich immer wieder kleine schwarzfleckige Wortkrabben ins Sprachnetz. Etwas konkreter: Haben Sie je bemerkt, dass im Zusammenhang mit einem bekannten kraushaarigen Schlagersänger und Vater eines unehelichen Kindes stets dessen Hautfarbe („farbig“) erwähnt wird? Dass die Religionszugehörigkeit eines ehemaligen, überaus öffentlichkeitswirksamen Talkmasters und Staranwalts („jüdisch“) eng mit jeder Nachricht über diesen verbunden zu sein scheint? Dass politische Leitartikel sich gern über die sexuelle Orientierung eines jugendlich-agilen Politikers („homosexuell“) auslassen? – Und dass Sie durch die Angaben in Klammern vermutlich viel schneller erraten haben, um welche Persönlichkeiten es sich bei den Genannten handeln könnte? Es drängt sich der Gedanke auf, dass in Deutschland immer noch all jene, die das Pech, das Glück, das Schicksal haben, zu einer Randgruppe zu gehören, als solche, sozusagen als die Papageienfische des Schwarms, hervorgehoben werden. (Oder würden Sie sagen: Der weiße heterosexuelle Sänger K. gab gestern ein Konzert?) Was sind das für Töne, und wie sollte man sie entschuldigen? Nachlässigkeit, unbewusste Beleuchtung des Außergewöhnlichen? (Wobei der Begriff suggeriert, es könne auch das „Gewöhnliche“ geben. Doch wie definiert sich dieses in unserer viel besprochenen pluralistischen Gesellschaft?) Oder anders, härter: Sensationshascherei bis hin zu unterschwelliger Diskriminierung? Man hüte seine Zunge! Verantwortung für den Sprachgebrauch kommt den Medienmachern zu, aber nicht nur. Wenn wir uns mit Geschichte beschäftigen sollen, dann darum, um zu lernen: Mit Worten fängt es an. + + + + [Weiße Flecken]-Coaches + + + + In die Geschichte eingetaucht Was wir in 8 Monaten Projektarbeit bei [Weiße Flecken] erlebten Von Sina Zimmermann Es war eine kleine Meldung in der Zeitung: „Junge Journalisten gesucht“. Wie sich zeigen sollte, steckte hinter [Weiße Flecken] aber viel mehr als nur ein Zeitungsprojekt. Für mich waren diese wenigen Zeilen Grund genug, mehr über das Projekt erfahren zu wollen. Ich fragte zwei Freundinnen, ob sie Lust hätten, mitzumachen, und so bewarben wir uns in Hamburg. Andere Gruppen erfuhren über ihren Geschichtslehrer oder aus dem Internet vom STEP 21- Projekt. [Weiße Flecken] – Unsere Zeitung füllt journalistische Lücken aus der NSZeit: Der Titel fasste die Aufgabe für die nächsten acht Monate knapp zusammen. 15 Teams aus Deutschland und Polen sollten in ihrer Region Ereignisse recherchieren, die während der NS-Zeit in der Lokalzeitung gar nicht oder falsch dargestellt wurden, und diese journalistisch aufarbeiten. Leichter gesagt als getan. Nachdem mit Hilfe von Lehrern oder durch eigene Nachforschungen ein Thema gefunden worden war, begann die zeitintensivste Arbeit des Projekts: die Recherche. Meist führte der Weg in Archive. So auch beim „Entdeckerteam“ aus Ciężkowice, das dafür eine fünfstündige Fahrradtour auf sich nahm. Alle mussten wir uns durch Geschichtsbücher, Zeitungsartikel und Dokumente lesen. Wir haben Friedhöfe und Gedenkstätten besucht. Und wir haben Interviews mit Autoren, Zeitzeugen und Historikern geführt. Historische Ereignisse aus erster Hand Gerade die Gespräche mit Menschen, die die NS-Zeit persönlich erlebt haben, erwiesen sich als spannend und waren für viele eine neue Erfahrung. So erfuhren wir historische Ereignisse mal nicht vom Geschichtslehrer, der seine Informationen im Endeffekt auch nur aus Büchern hat, sondern von jemandem, der die Geschichte persön- lich miterlebt hat. Für uns war dies besonders interessant. Schließlich sind wir die letzte Generation, der es möglich ist, mit diesen Zeitzeugen zu sprechen. Viele erzählten uns gerne von ihrer Vergangenheit und freuten sich, in uns wissbegierige Zuhörer gefunden ner Recherche konnte das Schreiben beginnen. Alle zeigten sich sehr motiviert. Viele Gruppen sprengten das Zeichenlimit für ihre Teamseite. In Zusammenarbeit mit den Coaches lernte so mancher junge Autor, dass zwischen dem gewohnten Schreiben in Agata Frank Melanie Hubermann der Schule und dem journalistischen Studentin Journalistin Schreiben ein großer Unterschied be- „Ein Projekt wie [Weiße Flecken], in „Nicht jede Geschichte erzählt die steht. Bei letzterem geht es vor allem dem Deutsche und Polen zusammen- Wahrheit. Hier haben die Jugendlidarum, dass der Leser das Interesse arbeiten, ist der beste Weg, den Dialog chen die einmalige Chance zu entdenicht verliert. Dazu müssen Fakten mit zwischen den Ländern zu vertiefen. cken, wie vorsichtig man mit InformaEmotionen verbunden, AufmerksamWspólna praca Niemców i Polaków tionen umgehen sollte. Und wie viel keit erregende Überschriften erdacht przy projekcie takim jak [Weiße Fle- Verantwortung jeder einzelne bei der und spannende Über- und Einleitun- cken] to najlepsza okazja, by budować Verbreitung von Informationen trägt. gen geschrieben werden. Alles Dinge, dialog pomiędzy tymi dwoma krajami.“ Schweigen hat den Holocaust erst die man in der Schule nicht unbedingt möglich gemacht. [Weiße Flecken] will lernt. So korrigierten wir unsere Texte, auch noch das letzte Schweigen breverfassten sie neu, kürzten oder verabchen.“ schiedeten uns sogar ganz von ihnen. Das Interesse des Lesers bannen Sina und Katharina vom Team Tracing aus Bad Zwischenahn geben ihrer Zeitungsseite ein Gesicht. Foto: Frederik Röh zu haben. Einige Teams erlebten, dass das Berichten den Zeitzeugen sehr nahe ging. Andere Gruppen wurden von ihren Interviewpartnern gebeten, dieses oder jenes nicht zu schreiben, da sie noch heute Sorge oder sogar Angst vor unangenehmen Reaktionen haben. Oder Zeitzeugen sagten getroffene Verabredungen wieder ab. Bei den Interviews fühlten wir uns häufig nicht nur als Zuhörer oder Protokollanten. Wir entwickelten Bilder vor unserem geistigen Auge und tauchten für einen Moment tief in die Geschichten ein. Trotzdem mussten wir lernen, mit dem Erfahrenen kritisch umzugehen, denn Zeitzeugenberichte und Tatsachen stimmten nicht immer überein. Diese bewusst oder unbewusst veränderten Erinnerungen versuchten wir mit Hilfe anderer Quellen einzuordnen und zu korrigieren. Nach erfolgreich abgeschlosse- Schließlich füllten sich unsere Zeitungsseiten mit Texten und Bildern, und nun halten wir das druckfrische Ergebnis in den Händen. In den ver- Iris Kampf Sören Reimer Journalistin und Historikerin Student „Das Projekt [Weiße Flecken] von „Auch nach 60 Jahren ist die AuseinSTEP 21 finde ich großartig und wich- andersetzung mit der NS-Diktatur tig. Es ermöglicht Jugendlichen, sich wichtig. Ein Schlussstrich darf – geradie Zeit des Nationalsozialismus nicht de in Deutschland – NIEMALS gezogen nur aus Büchern anzueignen, sondern werden. In einer Zeit, in der Neonaüber eigene Recherchen und Zeitzeu- zis in Landtagen sitzen, die Angst vor der so genannten Überfremdung den gengespräche zu nähern. Ich wünsche mir, dass die Jugendlichen ein persön- bürgerlichen Rassismus bestärkt und liches Geschichtsbewusstsein entwi- neue Formen des Antisemitismus aufckeln, das Vergangenes in der Zukunft treten, ist ein Projekt wie [Weiße FleSebastian vom Team Fleckenlöser cken] eine Bastion des Antifaschismus’ verhindert. Dabei geht es aber nicht aus Seligenstadt im Gespräch mit der nur darum, sich nicht nur rechtsextre- und absolut unterstützenswert. GeraZeitzeugin Margot Berg. men Strömungen entgegenzustellen, de die Besinnung auf die Pressefreiheit gangenen Monaten haben wir nicht sondern sich auch aktiv für Demokra- als Garant der Freiheit und Demokratie in der europäischen Gesellschaft nur journalistische und historische Er- tie und Menschenrechte einzusetzen.“ halte ich für besonders wichtig. Zufahrungen gesammelt, sondern auch dem ist die Aufarbeitung der journalismenschliche. Wir können das Vergantischen Tätigkeiten im „Dritten Reich“ gene zwar nicht rückgängig machen, längst überfällig.“ aber wir können es aufarbeiten und daraus für die Zukunft lernen. VERMISCHTES 28 [WEISSE FLECKEN] Guten Tag, Herr Nachbar Ein beschämtes Schlusswort von Markus Deggerich Die Frage war ein Treffer. Wir saßen im Auto, irgendwo auf der Autobahn in Österreich, zwei Reporter-Kollegen aus Israel und der Journalist aus Deutschland. Seit Tagen unterwegs, gemeinsam in Archiven, bei Zeitzeugen, bei mutmaßlichen Mitwissern und Helfern, auf der Suche nach Spuren von Dr. Aribert Heim. Ein Arzt, der im Konzentrationslager Mauthausen 1941 mehrere Hundert Menschen ermordete: Mit Benzinspritzen ins Herz, durch Operationen ohne Betäubung, aus medizinischer Neugier, als Zeitvertreib. Heim wird seit Jahrzehnten mit internationalem Haftbefehl gesucht, und wir sind überzeugt, dass er, mittlerweile 92 Jahre alt, noch lebt. Wir haben ihn überall gesucht. An diesem Tag waren wir auf dem Rückweg von Innsbruck, wo wir voller Erwartung, aber wieder mal vergeblich, an einer Tür geklingelt hatten. Nach wochenlangen Recherchen voller neuer Erkenntnisse und neuer Enttäuschungen saßen wir ernüchtert im Auto. Wir kannten uns schon sehr gut, fühlten uns sehr verbunden durch die gemeinsame Arbeit, die „Mission“ – und doch traf die Frage wie ein harter Strahl: „Markus, was ist während des Krieges in deinem Heimatdorf passiert?“ Ich glaube, jede Antwort wäre „gut“ gewesen – egal, wie beschämend oder schrecklich oder grausam oder viel- leicht auch harmlos sie gewesen wäre. Aber ich hatte nur die schlechteste aller Antworten parat: „Ich weiß es nicht“. Ich stammelte noch was darüber, dass mein Dorf sehr klein und unbedeutend ist, mein Großvater, Heim- Redaktionskonferenz in Hamburg am 11.9.2005. Foto: Frederik Röh kehrer von der Ostfront, nie was erzählen wollte über die Zeit, meine Eltern noch Kinder waren und sich allenfalls an Anekdoten über Kartoffel- wache (Mutter) oder die Flucht aus Schlesien (Vater) erinnern. Und während ich noch stammelte, wurde mir dieses Missverhältnis immer deutlicher: Ich beschäftige mich nicht nur berufsmäßig mit dem Thema, schreibe Reportagen und Analysen, ich besuche die Gedenkstätten, lese Bücher, hänge vor dem Fernseher, wühle in Archiven, höre Vorträge, interviewe Zeitzeugen, begaffe Fotos – jetzt auch in Farbe! – beklatsche den Untergang, ich schwimme mit im Informationsstrom über den Nationalsozialismus: Aber was weiß ich eigentlich? Titelgeschichten über die Nazi-Zeit verkaufen sich gut, das Histotainment im Fernsehen über Hitlers Helfer und andere erreicht große Einschaltquoten, wir errichten doch noch das Holocaust-Mahnmal mitten in der Hauptstadt und spenden für eine ansatzweise Entschädigung der Zwangsarbeiter. Aber ist es so, dass wir immer mehr sehen und doch immer weniger wissen? Sind wir, als Erinnerungsproduzenten und -konsumenten, Teil eines Ablasshandels, in dem wir uns gegenseitig freisprechen? Verwechseln wir Interesse mit Faszination? [Weiße Flecken] ist anders. [Weiße Flecken] behauptet nicht großkotzig: Ich jage den berüchtigten KZ-Arzt Aribert Heim. [Weiße Flecken] sucht kleine Antworten auf die Frage: „Markus, was ist in deinem Heimatdorf passiert?“ [Weiße Flecken] geht an die Wurzeln des Übels, es deckt nicht nur journalistische Lücken – damals und heute - auf, sondern auch persönliche. [Weiße Flecken] kehrt vor der eigenen Tür. [Weiße Flecken] lebt nicht vom Thrill des STEP 21 großen Themas, [Weiße Flecken] interessiert sich für die kleinen Geschichten im eigenen Haus, im Haus nebenan, auf der Straße vor der Tür. [Weiße Flecken] findet nicht auf alles Antworten, aber [Weiße Flecken] stellt die richtigen Fragen. [Weiße Flecken] ist originär: [Weiße Flecken] macht nicht [Weiße Flecken]-Redakteurinnen den Fehler, Betroffenheit an die Stelle von Professionalität zu setzen. [Weiße Flecken] macht mir erschreckend klar, dass es aufregend klingen mag, mit dickem Spesenkonto Aribert Heim sonstwo auf dem Planeten zu suchen; dass ich aber gar nicht mehr auf den Gedanken komme: Der KZ-Arzt könnte in meinem Nachbarhaus gelebt haben – und immer noch leben. Ich ziehe den Hut vor den Kolleginnen und Kollegen von [Weiße Flecken]. Wenn Sie Urheber- oder Persönlichkeitsrechte an einzelnen Bildern oder Dokumenten geltend machen möchten, melden Sie sich bitte bei STEP 21. Über STEP 21 Das Deutsche Reich und annektierte bzw. besetzte Gebiete 1942. Hintergrund zu den polnischen Team-Seiten. Kartografie: Waltraut Seegers und regionalen Projekten, Aktionen und Begegnungen. Alle Aktionen und Projekte orientieren sich an den Interessen und Anliegen der jugendlichen Zielgruppe. STEP 21 hat sich als konkret wirkende Jugendinitiative schnell etabliert und verfügt über weit verzweigte Kontakte zum schulischen und außerschulischen Umfeld von Jugendlichen. In knapp sechs Jahren hat STEP 21 mit über 6.000 Schulen gearbeitet und mehr als 200.000 Jugendliche in spannende Projekte eingebunden. STEP 21 wird zurzeit von der gemeinnützigen GmbH Jugend fordert! und deren Gesellschaftern BBDO Germany, Bertelsmann, Siemens und Sonja Lahnstein (geschäftsführend) getragen. Begleitend ist 2005 die Stiftung STEP 21 gegründet worden. Stiftun- bezwingen die Zeit, wir beherrschen den Raum, umspinnen die Welt und wissen schon — kaum die Dinge geschehen, — alles in Wirklichkeit ausgesehen. Richard-Reinhard Schulz. Gedicht über die deutsche Presse. Aus den Lüneburgschen Anzeigen vom 1. 1. 1935 Archive und Bibliotheken Biblioteka Jagiellońska, Bildungs- und Gedenkstätte „Opfer der NS-Psychiatrie“ Lüneburg, Deutsches Historisches Museum, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg Ulm e.V., Gemeindearchiv Bad Zwischenahn, Geschichtswerkstatt Oberhausen e.V., Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, I Liceum Ogolnoksztalcace, Muzeum Historyczne Miasta Krakowa, Instytut Filologii Germańskiej im. H. Sienkiewicza, Muzeum Ziemi Lubinskiej, Niedersächsisches Staatsarchiv Oldenburg, Rotenburger Werke der Inneren Mission, Staatsbibliothek zu Berlin, Stadt Oberhausen, Stadt Soest, Stadtarchiv Pforzheim, Stadtarchiv Ulm Zeitzeugen Ein besonderer Dank gilt den Zeitzeugen. Sie haben den [Weiße Flecken]Redakteuren mit informativen und anregenden, mit eindrucksvollen und sehr privaten Erinnerungen einen lebendigen Einblick in die Vergangenheit gewährt. Ohne ihre Mitarbeit wäre diese Zeitung nicht möglich gewesen: Margot Berg, Eva Braun, Józef Drożdż, Hans Fuest, Jan Golec, Adolf Harms, Elisabeth Hartnagel, Katarzyna Jach, Zofia K., Antje Kosemund, Herrn Linters, Stanisław Maziej, Walter Rose, Almuth Rösick, Wilhelm Schwenk, Tadeusz Sobolewicz, Józef Stos, Franciszek Świtalski, Władysław Szepelak, Hannelore Vock u. v. a. Coaches Die [Weiße Flecken]Zeitung – auch im Klassensatz erhältlich! Weil die Wahrheit mit uns und das Wort und der Glaube, Ist niemand so stark, daß die Kraft er uns raube. Die Macht, uns vom Schicksal beschieden — Wir setzen sie ein — für Freiheit und Frieden! Heut sind wir nicht mehr ein elender Haufen von jedem Schieber und Juden zu kaufen, — Geschlossen dem Volk und dem Führer die Hand! Uns geht es um nichts als — d a s V a t e r l a n d ! Irene Brosig-Duchardt, Jens Burnicki, Hans Coppi, Marten Dannenberg, Frank Dittmeyer, Dr. Heidi Fogel, Nora Goldenbogen, Justyna Gasior, Klaus Hermes, Günter Heuzeroth, Ruth Hoting, Joanna Jach, Dr. Lars Jockheck, Katharina Lindenberg, Teresa Malik, Katharina Mayländer, Marcin Młynarski, Heinz Mohn, Michał Niezabitowski, Otto Renken, Maximilian Rodorff, Antje Schrader, Nina Schwarz, Waltraut Seegers, Bente Stachowske, Dr. Ruthard Stachowske, Izabela Szynal, Thomas Tamke, André Wilger, Sebastian Winkler Bertelsmann AG, Interconti u. v. a. … und allen anderen, die hier nicht namentlich erwähnt sind, aber am Entstehen der Zeitung beteiligt waren! Wir helfen dem Volk, wir wollen den Frieden, Wir mitteln und schlichten, wo im Hasse sieden Die Völker. — Wo Männer an grünen Tischen Unheil planen — wir funken dazwischen. Was scheren uns Banken und Börsen der Erde! Wir wollen, daß Ehre dem Volk wieder werde. Weh euch! — Wollt ihr uns stören? Ihr wollt uns’re mahnende Stimme hören. Dorothea Bonna, Małgorzata Brataniec, Gabriele Busche, Agnieszka Droździak, Martin Fleck, Hansjörg Greimel, Emmy Helbig, Marta Holda, Jürgen Homann, Dr. Silvester Lechner, Christine Liebscher, Dr. Margit Plietz, Jürgen Schlichting, Alexandra Schnurr, Katarzyna Tabis, Cordula Weinke, Christiane Wienert, Renata Zujewicz Allen ehrenamtlichen Coaches und den Gestalterinnen einen herzlichen Dank für ihren sehr engagierten und kompetenten Einsatz! Die deutsche Presse. Wir Wir Daß Wie Mentoren der Teams Weitere Unterstützer HISTORISCHE KARTE Die gemeinnützige Jugendinitiative STEP 21 unterstützt Jugendliche in ihrem Engagement für eine lebendige Demokratie und für Grundwerte wie Toleranz, Verantwortung und Zivilcourage, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben. Engagement braucht vor allem Unterstützung. STEP 21 initiiert daher innovative Bildungsangebote und öffentlichkeitswirksame Projekte mit Jugendlichen. Mit inhaltlich fundierter Arbeit fördert STEP 21 die Entwicklung der Jugendlichen zu selbstbewussten Persönlichkeiten und stärkt ihre sozialen, kulturellen und kommunikativen Kompetenzen. Die Idee zu STEP 21 entstand in den Jahren 1993/95 im Zusammenhang mit den damaligen ausländerfeindlichen Übergriffen. DANK Das STEP 21-Team [Weiße Flecken] bei der Schlussredaktion: Johanna Drescher, Helga Stieff, Kirsten Pörschke und Peer Junker (v. l.) Nicht auf dem Foto: Agata Frank und Tim Schmalfeldt Kernelemente des Angebots sind die innovativen und handlungsorientierten Medienboxen zum Thema [Zukunft : Identität] und multimediale Bustouren für Schulen und Jugendeinrichtungen sowie ein Jugend-Netzwerk mit bundesweiten gen, Mäzene, u. a. Herz für Kinder e.V., sowie viele ehrenamtliche Helfer und Prominente unterstützen STEP 21 projektbezogen. Bundespräsident Horst Köhler ist Schirmherr. Weitere Informationen finden Sie unter www.step21.de. Die Zeitung vereint die Ergebnisse innovativer Projektarbeit und kann wertvolle Anregungen für zeitgemäße Formen des Gedenkens und für eine übergreifende Erinnerungssarbeit in Schulen und Jugendeinrichtungen liefern. Weitere Informationen unter: www.step21.de/weisseflecken Die Zeitung ist nach Zusendung des Portos in Briefmarken als Einzelexemplar oder im Klassensatz erhältlich. 1 Exemplar: 1,44 Euro 20 Exemplare: 2,37 Euro 30 Exemplare: 2,70 Euro Bestellung: [email protected]