R e p a k t u e l l o r t a g e Sie sind in den Die Folkloregruppen prägen das Bild, das die einheimische Bevölkerung in Luxemburg sich von der portugiesischen Kultur macht. 1960er und 70er Jahren als Gastarbeiter nach Luxemburg gekommen. Mittlerweile trifft man die Nachkommen der ersten Generation portugiesischer Einwanderer an der Universität, in Anwaltskanzleien und in den höchsten Ämtern des Staates. Gleichzeitig verlassen junge Arbeitslose wieder massenweise ihre portugiesische Heimat. Denn Portugal ächzt unter dem Spardiktat der EU. Selbst gut ausgebildete Fachkräfte sehen keine Zukunft in ihrem Land. Und wieder lockt das vermeintliche Eldorado Die Por tugiesen in Luxemburg Von Generation z u Generation 10 T e l ec r a n 02/2014 T e l ec r a n 02/2014 Luxemburg. Foto: Anouk Antony 11 a k t u e l l R e p o r t a g e R e p a k t u e l l o r t a g e Wenn Felix Braz (hier beim Wahlkampf 2013) in Esch unterwegs ist, wird er nicht nur auf sein politisches Engagement, sondern auch auf seinen Vater angesprochen, der als einer der ersten portugiesischen Einwanderer bei seinen Landsleuten Berühmtheit erlangte. Foto: Anouk Antony seinen Kindern und Enkeln. Feliz Braz spricht vom „Mythos der Rückkehr“, den viele aus der Generation seines Vaters pflegten. „Wenn es dann so weit war, stellten sie fest, dass ihr Leben hier spielte und nicht mehr in Portugal.“ Martine Hemmer [email protected] „Ich fühle mich als Luxemburger mit portugiesischen Eltern.“ A ls Felix Braz’ Vater Anfang der 1960er mit nichts als einem Koffer in Luxemburg ankam, händigte das portugiesische Konsulat ihm ein Dokument aus, auf dem die Ziffer Fünf vermerkt war. Bis heute spekuliert die Familie, was es mit dieser Zahl wohl auf sich hatte: „Es kann durchaus sein, dass mein Vater der fünfte portugiesische Einwanderer hierzulande war“, sagt Felix Braz. Für die ersten Migranten war es eine Reise ins Ungewisse: ohne Geld und ohne Kontakte, wussten sie oft nicht, wo sie in der ersten Nacht überhaupt schlafen sollten. Doch sie waren bereit, Opfer zu bringen und hart zu arbeiten, damit ihre Töchter und Söhne es einmal besser haben würden. Felix Braz hatte nie das Gefühl, zwischen zwei Stühlen zu sitzen. Seit dem Antritt der neuen blau-rot-grünen Regierungskoalition hat Luxemburg mit Felix Braz seinen ersten Minister portugiesischer Abstammung. Als dieser 1964 in Differdingen geboren wurde, sprach noch niemand von schulischer Integration, Chancengleichheit und französischer Alphabetisierung. „Meine Spielkameraden waren alle Luxemburger, es gab außer meinen Geschwistern keine Kinder in der Nachbarschaft, die Portugiesisch sprachen. Als ich eingeschult wurde, sprach ich Luxemburgisch, wie alle anderen 12 T e l ec r a n 02/2014 in der Klasse. Es fiel mir leicht, Deutsch zu lernen und auch sonst hatte ich keine Probleme, in der Schule mitzuhalten“, erinnert sich der Justizminister. Rückblickend versteht es Felix Braz als Chance, unter den ersten Kindern portugiesischer Eltern gewesen zu sein, die in Luxemburg geboren wurden. Ihm sei die Integration leichter gefallen, als vielen, die danach gefolgt sind. In einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs stieg sein Vater vom einfachen Hüttenarbeiter, über den Job des Lieferanten und des Busfahrers, zum Fahrlehrer auf. „Tausende von Portugiesen haben bei ihm den Führerschein gemacht“, erzählt Feliz Braz. Unter den in Luxemburg lebenden Portugiesen sei der Vater eine respektierte Persönlichkeit gewesen, weil er jedem gerne behilflich war, in der neuen Heimat Fuß zu fassen. In der Escher Gegend werde er, Feliz Braz, der ehemalige RTL-Journalist und prominente Politiker, der es nun bis in die Regierung geschafft hat, von älteren Menschen immer noch zuerst auf seinen mittlerweile verstorbenen Vater angesprochen. Auf die Frage nach der eigenen Identität antwortet Felix Braz: „Ich fühle mich als Luxemburger mit portugiesischen Eltern.“ Er habe seine Herkunft nie verleugnet, sie aber auch nie wie eine Fahne vor sich hergetragen. Als Justizminister fuhr er Paradebeispiel der Integration: Felix Braz ist der erste Luxemburger Minister, der aus einer portugiesischen Familie stammt. Foto: Serge Waldbillig Es sind genau diese Familiengeschichten, die Sarah Vasco Correia interessierten, als sie sich entschied, die portugiesische Gemeinschaft in Luxemburg für ihre Masterarbeit im Fach Soziolinguistik zu untersuchen. Schicksale, die sich ähneln, aber doch einzigartig sind. Obwohl der Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf der intergenerationellen Vermittlung der portugiesischen Sprache und Kultur liegt, ging es ihr auch darum, mehr über ihre eigene Herkunft zu erfahren. „Es wird viel über die Portugiesen in Luxemburg geredet, doch selten fragt man die Menschen, was sie erlebt haben.“ Und so liest sich ihre Arbeit, außerhalb der rein wissenschaftlichen Passagen, wie eine Sammlung sehr persönlicher, zum Teil bewegender Erlebnisberichte. gleich am Tag nach seiner Vereidigung zum EU-Ministerrat nach Brüssel, wo er von portugiesischen Fernsehteams belagert wurde. „Sie wollten wissen, wie ich mich künftig für die portugiesische Gemeinschaft einsetzen werde. Seit fast zwanzig Jahren gebe ich fast hartnäckig die gleiche Antwort: Als Politiker übernehme ich Verantwortung für alle Bürger, ohne auf ihren Pass zu achten. Die Vorstellung, dass man sich für die einen mehr als für andere einsetzt, ist falsch.“ Es war der jungen Forscherin nicht schwer gefallen, Interviewpartner für ihre qualitativen Erhebungen zu finden. „Unter den Portugiesen spricht sich alles schnell herum. Außerdem arbeitet meine Mutter an einer Tankstelle, wo sie mit vielen Kunden ins Gespräch kommt.“ Die Bereitschaft mitzumachen war groß: Dass jemand zu ihnen komme, um ihre Geschichte aufzuzeichnen – noch dazu jemand von der Universität – habe die Befragten mit einem gewissen Stolz erfüllt. Für Sarah Vasco waren es emotionale Begegnungen, bei denen gelacht und geweint wurde. „Ich war nicht nur die Forscherin, sondern ich war eine von ihnen. Wahrscheinlich hätte ich mich mehr zurückhalten müssen, um die wissenschaftlichen Ergebnisse nicht zu beeinflussen, doch, dadurch, dass ich Ähnliches erlebt habe, konnten sie schneller Vertrauen fassen.“ Was die 28-Jährige dabei wirklich erstaunt hat: In den Erzählungen spiegelte sich ihr eigenes Leben. „Es kamen Gefühle hoch, die man tief in sich trägt, die man selbst aber nie in Worte fassen konnte.“ Seine Wurzeln pflegt Felix Braz im Privaten. Mit seiner luxemburgischen Frau und seinen zwei Kindern besucht er mindestens einmal im Jahr die Verwandten in Portugal. Seinen Kindern habe er so viel Portugiesisch beigebracht, dass sie sich im Urlaub mit Tanten, Onkels und Cousins verständigen können. Mythos der Rückkehr. Wie viele Einwanderer kam der Vater von Felix Braz ursprünglich als Gastarbeiter nach Luxemburg mit dem Gedanken, eines Tages wieder zurückzukehren. „Er besaß ein Grundstück in der Algarve auf dem er sein Traumhaus bauen wollte. Nach Feierabend saß er am Esstisch und zeichnete dafür die Pläne. Ich sehe ihn heute noch vor mir, wie er stundenlang mit dem Lineal hantierte.“ Der Alterssitz im Süden wurde nie Wirklichkeit, am Tag als er in Rente ging, entschied sich der Vater dafür, hier zu bleiben – bei Die Frage, der sie in ihrer Arbeit nach geht, lautet: Identifizieren sich die Kinder der Einwanderer noch auf dieselbe Weise mit T e l ec r a n 02/2014 13 a k t u e l l R e p o r t a g e R e p a k t u e l l o r t a g e Die Soziolinguistin Sarah Vasco Correia hat in ihrer Masterarbeit Kultur und Sprache der portugiesischen Gemeinschaft in Luxemburg erforscht. Die „Fondation Robert Krieps“ hat sie dafür mit dem Preis der besten Magisterarbeit ausgezeichnet. Foto: Tania Feller Jeden Sommer zieht es zehntausende Portugiesen zum Urlaub zurück in die alte Heimat. Die endgültige Rückkehr bleibt für viele eine Option, die sie aber nur selten einlösen. Foto: Carlos Almeida ihrem Ursprungsland wie die Eltern oder gibt es einen Bruch zwischen jenen Portugiesen, die als Immigranten nach Luxemburg kamen und ihrem Nachwuchs, der hierzulande geboren wurde und aufwuchs. Sarah Vasco Correia kommt zum Schluss, dass zwei unterschiedliche Haltungen der zweiten Generation möglich sind: Die einen leben in einer Doppelkultur, in der sie sich sowohl Portugal als auch Luxemburg zugehörig fühlen. Die anderen können mit der Kultur ihrer Vorfahren, ihrer Sprache, ihren Gebräuchen und Traditionen nicht mehr viel anfangen. Sie empfinden ihre eigenen Wurzeln als störend, weil sie sich assimilieren wollen. Für sich selbst beansprucht Sarah Vasco Correia aber, dass sie alle Kulturen, mit denen sie in Kontakt kommt, prägen. „Eine Nation, eine Identität, eine Kultur, so funktionieren moderne Gesellschaften einfach nicht mehr“, betont sie. „Sehen sie mich an, ich bin als Tochter portugiesischer Eltern in Luxemburg aufgewachsen. Ich habe das Schulsystem hierzulande durchlaufen und habe fünf Sprachen gelernt. Zum Studieren bin ich dann nach Frankreich gegangen, dadurch ist eine weitere Teilidentität hinzugekommen. Identitäten sind wandelbar und verändern sich durch das, was man erlebt.“ In ihrer Arbeit gelingt es Sarah Vasco Correia an vielen Stellen, mit landläufigen Klischees aufzuräumen. Zum Beispiel, dass portugiesische Migranten aus dem Arbeitermilieu nicht viel Wert auf die Ausbildung ihrer Kinder legen. „Es mag sein, dass es Arbeiter gibt, die in einer Art sozialem Determinismus gefangen sind und glauben, weil sie es selbst nicht geschafft haben, aus der Armut auszubrechen, ihren Nachkommen der soziale Aufstieg ebenfalls verwehrt bleibt. Nach dem Motto: Ich bin Maurer, also wird mein Sohn ebenfalls auf 14 T e l ec r a n 02/2014 dem Bau arbeiten. Aber in der Regel wollen die Eltern, dass ihre Kinder es eines Tages besser haben als sie selbst, dass diese gute Noten nach Hause bringen.“ Sei dies der Fall, würden die Erwartungen umso höher gesteckt. „Man kann sogar sagen, dass auf den Kindern der portugiesischen Einwanderer ein großer Erfolgsdruck lastet.“ Viele haben nach Schulschluss noch Unterricht in Portugiesisch. „Das war schon anstrengend und ich hätte lieber draußen mit meinen Freundinnen gespielt“, erinnert sie sich. Im Nachhinein sei sie aber froh, dass ihre Eltern sie zu den Kursen geschickt haben. „Dadurch bekam ich einen anderen Zugang zur Sprache“, fährt sie fort. Ich lernte die Grammatik und die Rechtschreibung. Das Portugiesisch, das wir zu Hause gesprochen haben, war eine Umgangssprache, die sich auf die Bezeichnung des Alltäglichen beschränkte und in die sich im Laufe der Zeit französische und auch luxemburgische Wörter einschlichen. Im Unterricht lernte ich ein richtiges und gutes Portugiesisch. Obwohl sie heute beruflich erfolgreich ist, an der Université Paul Valéry in Montpellier promoviert und sich parallel dazu an der Universität Luxemburg als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Projekt zur Sprachenvielfalt in Luxemburg beteiligt, war sie kein Wunderkind, das die Schule mit Leichtigkeit meisterte. „Es war hart, ich musste richtig büffeln“, gesteht sie. Dennoch weiß sie nicht, ob es für all die Kinder aus ausländischen Familien eine Lösung wäre, eine Alphabetisierung auf Französisch in der Grundschule anzubieten. Sie glaubt an die Vielfalt und daran, dass viele Sprachen nebeneinander existieren sollten. Sie versteht unsere Gesellschaft mit ihren vielen verschiedenen Sprachen als Reichtum, nicht als Problem. Deshalb hat sie für das Forschungsprojekt NATURALINK Schulklassen besucht, um mit den Kindern diesen Schatz zu heben, der meist versteckt inmitten der kulturell bunt gemischten Gruppen schlummert. Unter dem Titel „Ziel mer deng Sprooch“ hat sie eine Reihe pädagogischer Aktivitäten entwickelt, in denen die persönlichen Sprachbiografien der Schüler und die Sprachensituation in Luxemburg thematisiert werden. Immer mehr junge Forscher interessieren sich für die Situation der portugiesischen Einwanderer in Luxemburg. Nicht nur die Gründung der Universität Luxemburg, auch die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft hat den Themen der Integration im öffentlichen Diskurs Aufschwung gegeben. vertritt und die Regierung in Lissabon berät. Nicht nur die EU-Staaten seien das Ziel dieser neuen Auswanderung, auch ehemalige Kolonien wie Brasilien, Angola oder Mozambik. „Identitäten sind wandelbar und verändern sich durch das, was man erlebt.“ Was die Arbeitslosen nach Luxemburg lockt, ist der hohe Mindestlohn. „Früher hatten die Arbeiter, die nach Luxemburg kamen, schon einen Vertrag in der Tasche oder kamen bei Verwandten unter, die sie bei der Jobsuche unterstützten, erklärt Eduardo Dias. Heute würden viele völlig überstürzt aufbrechen, getrieben von der Hoffnungslosigkeit. Über die teuren Mieten und die hohen Lebenshaltungskosten in Luxemburg seien sie sich dabei nicht im Klaren. „Es kommt vor, dass junge Familien im Auto übernachten.“ Wenn die Neuankömmlinge Arbeit finden, müssen sie sich meist mit prekären Zeitverträgen zufrieden geben. Wird das Arbeitsverhältnis nicht verlängert, bleibt ihnen nichts anderes übrig als die Heimreise anzutreten. „Doch es gibt auch immer wieder welche, die es schaffen, einen festen Arbeitsplatz gemäß ihren Kompetenzen zu finden“, berichtet Eduardo Dias. Eine neue Welle der Migration. Der Strom jener, die ihre Heimat verlassen, um hierzulande ihr Glück zu suchen, ist nie ganz abgebrochen. Kamen bisher vor allem Arbeiter und Handwerker ins Großherzogtum, flüchten heute auch immer mehr Akademiker vor der Wirtschaftskrise in ihrem Land. Sie bilden in Luxemburg eine neue erste Generation, die insgesamt zwar viel besser ausgebildet ist, die aber auf einen Arbeitsmarkt drängt, der für sie kaum Jobs bereithält, die ihrer Qualifikation entsprechen. Ihr größtes Manko: Sie sprechen zwar sehr gut Englisch, doch sie beherrschen nicht die offiziellen Sprachen Luxemburgs. Oft haben sie auch Schwierigkeiten, ihre Hochschulabschlüsse anerkennen zu lassen. Und plötzlich begegnet man Juristen, die auf dem Bau arbeiten oder Pädagogen, die im Supermarkt an der Kasse sitzen. „Die portugiesische Politik tut nichts, um diesen Talentschwund aufzuhalten. Im Gegenteil, sie ermutigen die jungen Menschen, wegzugehen“, berichtet Eduardo Dias, der im Rat der portugiesischen Gemeinschaften Luxemburg Sarah Vasco Correia beansprucht für sich, durch verschiedene Kulturen geprägt zu sein. Bereits jetzt haben Luxemburg und Portugal eine gemeinsame Geschichte, die geprägt ist, durch ein fast schon einzigartiges Kommen und Gehen. Wissenschaftler wie die Politologin Aline Schiltz, die im vergangenen Sommer zu diesem Thema promoviert hat, sprechen sogar von einem transnationalen sozialen Raum. Rund 88 200 Portugiesen leben laut Statec derzeit in Luxemburg. Nicht alle werden bleiben. Andere werden sich hier niederlassen und von einer Rückkehr träumen oder nur noch als Feriengäste die Heimat ihrer Vorfahren besuchen. n T e l ec r a n 02/2014 15