Universität Zürich Soziologisches Institut Prof. H. Geser Seminar Soziologie der politischen Parteien Herbstsemester 2011 03. November 2011 Ursina Zweifel Supporters, Members and Activists WARE, ALAN (1996): Supporters, Members and Activists. (In: Political Parties and Party Systems, Oxford University Press, pp. 63-92). Autor MA Dphil Alan Ware ist Professor und Tutor für Politik am Worchester College in Oxford. Seine Schwerpunkt liegt u.a. im Bereich der Parteienforschung. Kaderparteien vs. Massenparteien Ware unterscheidet zwischen zwei Formen von Parteien: Den Kader- und den Massenparteien. Kaderparteien „Cadre parties are groupings of notabilities […], political élites whose aim is to secure the election of their candidates, they have more of a resemblance to an economic firm.“ (Ware 1996, 65) Kaderparteien verfügen also über eine strenge Selektion von Mitgliedern und bestehen eigentlich nur aus einer Elite. Anhänger haben keinen formalen Einfluss auf das Parteiprogramm und für Wahlkampagnen werden meist Auswärtige angestellt, was sich die Partei aufgrund ihrer finanzstarken Elite leisten kann. Massenparteien „Mass parties do try to recruit members and get as many as they can. Members provide a source of income […], they are the pool of labour […] and […] they are the basis for spreading […] ideology.“ (Ware 1996, 66) Massenparteien sind grundsätzlich für alle zugänglich. Die Anhänger, sofern sie Mitglieder der Partei sind, haben grossen formalen Einfluss auf das Parteiprogramm. Politische Aktivitäten werden zudem fast ausschliesslich von Parteimitgliedern bestritten, auswärtige Mitarbeiter sind selten. Ware weist darauf hin, dass es diverse Hybridformen gibt: In Amerika z.B. verfügt keine der grossen Parteien über Mitglieder – dennoch wird ein Grossteil der politischen Aktivitäten von Anhängern bestritten, die nicht dafür bezahlt werden. Dies erfordert eine genauere Betrachtung der Begriffe Anhänger, Aktivisten und Mitglieder. Anhänger, Mitglieder, Aktivisten Wie bereits angetönt unterscheiden sich die Parteisysteme sich hinsichtlich ihrer Organisation von demjenigen der USA. Daher folgen hier getrennte Definitionen: Europa Anhänger (supporters) teilen die Ideologie einer Partei und wählen sie regelmässig. Mitglieder (members) gehören einer Partei an und zahlen gegebenenfalls Mitgliederbeiträge. Aktivisten (activists) sind besonders aktive Parteimitglieder. USA Keine Mitglieder Anhänger teilen die Ideologie einer Partei, wählen sie regelmässig und sind als Parteiwähler registriert Aktivisten engagieren sich für die Partei im Wahlkampf Warum eine Partei Anhänger braucht Im Gegensatz zu anderen Organisationen, die ohne Anhänger auskommen, ist es für Parteien essenziell, ebensolche zu besitzen. Dies aus folgenden Gründen: Eine Partei hat eine Ideologie. Diese Ideologie verbreitet sich am besten, wenn man ihr ein Forum bietet, wo sich Anhänger derselben Ideologie austauschen können. Ausserdem legitimieren viele Anhänger eine Ideologie und verschaffen ihr Gehör. Politische Aktivitäten (wie z.B. der Wahlkampf) sind personalintensiv. Gerade für finanzschwache Parteien ist die freiwillige Mithilfe von Anhängern unerlässlich. Eine Partei braucht (finanzielle) Ressourcen. Diese werden von Anhängern bestritten. Damit eine Gruppe gehört wird, braucht sie eine gewisse Grösse. Viele Anhänger verschaffen einer Partei mehr Gewicht. Wie bringt man einzelne jetzt aber dazu, sich für eine Partei zu engagieren? Hier stellt sich das collective action problem: Der Bürger XY überlegt sich, ob er in der Partei Z mit der Politik (P) mitmachen soll. Damit (P) verwirklicht wird, muss sich eine bestimmte Anzahl Bürger in der Partei engagieren. Der Bürger XY fragt sich nun, ob sich sein Engagement lohnt, d.h. ob es ein Unterschied macht, wenn er mithilft. Da es wahrscheinlich keinen Unterschied macht, entscheidet sich XY gegen die Mithilfe. Damit Bürger zu Parteianhänger werden, braucht es also bestimmte externe oder interne Anreize, die im folgenden erläutert werden sollen. Anreize, sich in einer Partei zu engagieren Materielle Anreize Ein materieller Anreiz besteht dann, wenn die Mitgliedschaft/das Engagement in einer Partei direkte materielle Vorteile (d.h. in aller Regel Geld) bringt. Der Vorteil dieses Anreizes ist, dass so gewonnene Anhänger meistens loyal sind, sich dafür oft – und das ist der Nachteil – wohl nur minimalistisch für die Partei einsetzen. Diese Art der Anhängergewinnung erfordert ein gewisses Budget und kommt v.a. bei Kaderparteien vor. Aufgrund veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse gegenüber dem 19. Jh. (Aufstieg der Mittelschicht) sind die materiellen Anreize in der Politik in Verruf geraten und heute selten. Solidarische Anreize 2 Parteien, die mit solidarischen Anreizen arbeiten, bringen ihren Mitgliedern soziale Vorteile wie z.B. ein grösseres soziales Netzwerk oder günstige Freizeitmöglichkeiten (günstige Bars, Fussballvereine etc.). So wird die Mitgliedschaft in einer Partei zu einem wichtigen Element der Freizeitgestaltung, wobei stabile soziale Verhältnisse vorausgesetzt werden. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die Arbeitsmoral der Mitglieder nicht hoch gehalten werden kann. Die Mitgliedergewinnung dieser Art war v.a. bei Massenparteien sehr verbreitet, ist heute aber rückläufig, da aufgrund der hohen Mobilität der Menschen die Sozialstrukturen lockerer und daher weniger beständig sind. Zielgerichtete Anreize Verhilft die Mitgliedschaft in einer Partei zur Verwirklichung von Zielen ideologischer (religiöser) oder auch ganz konkreter Art, spricht man von zielgerichteten Anreizen. Diese Weise, Mitglieder zu gewinnen, spricht v.a. Leute an, die bereits in Institutionen wie z.B. der Kirche verankert sind. Der Vorteil eines solchen Anreizes ist sicher, dass ideologisch motivierte Leute grundsätzlich sehr arbeitswillig sind. Allerdings kann ebendiese ideologische Motivation auch zu Schwierigkeiten im internen Parteimanagement führen, wenn es zu ideologischen Uneinigkeiten innerhalb der eigenen Reihen kommt. Auch diese Anreize, die v.a. bei Massenparteien eine Rolle spielen, weisen eine rückläufige Tendenz auf, da mit dem dem Zerfall der Sozialstrukturen (siehe oben) ein Zerfall der Werte einher geht. Dennoch sind zielgerichtete Anreize heute, da v.a. die Mittelschicht gewonnen werden muss, bei weitem die wichtigsten Anreize, politisch aktiv zu werden. Die Parteien versuchen denn auch im Sinne von „Catch-All-Parties“ möglichst breite Wählermassen zu mobilisieren und sich ideologisch breit abzustützen. Allgemeine Trends Ware stellt fest, dass die Wähler in den Parteien immer unterrepräsentiert sind. Als Beispiele dienen hier die Frauen und die Immigranten, wobei die letzteren erst in eine Partei aufgenommen werden, wenn ihre Zahl hoch genug und die Gruppe somit bedeutend genug ist. Andernfalls könnten alteingesessene Mitglieder vor den Kopf gestossen werden. Was die Frauen betrifft, so scheint v.a. bei linken Parteien wie der SPD der Zwang zu herrschen, wenigstens gegen aussen frauenfreundlich zu wirken. Generell weisen die Parteien in Europa einen starken Mitgliederschwund seit 1960 auf1. Dies hängt sicher damit zusammen, dass gerade solche „Catch-AllParties“ nicht mehr sehr spezifisch sind und sich die Leute eher in Interessengruppen engagieren. Andererseits ist es für die Parteien nicht unbedingt nur ein Nachteil, weniger Mitglieder zu haben – einmal abgesehen von den schwindenden finanziellen Einnahmen: Durch neue Medien können die Wähler auch ohne viele Aktivisten erreicht werden und zu viele Mitglieder erhöhen nur die Chance, dass es zu ideologischen Kämpfen in der Partei kommt. 1 Mit Ausnahme der Parteien in Belgien und Deutschland, die aber beide von relativ tiefen Mitgliederzahlen ausgehen. 3