Neues Bauen:Cracau als letzte große Siedlung

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12 | Magdeburger Lokalanzeiger
Volksstimme
Montag, 14. November 2016
Neues Bauen: Cracau als letzte große Siedlung
Volksstimme-Serie zur Magdeburger Moderne: Lage an Elbe bot Chance für städtebauliche Besonderheiten mit flussbegleitender Straße
Kurzinterview
Im Gespräch mit
Stadtplaner
Eckhart Peters
Grundlage für
Licht und Luft
Volksstimme: Was ist aus Ihrer Sicht die Besonderheit an
der Cracauer Siedlung?
Dr. Peters: Sie stellt noch heute
mit ca. 2000 Wohnungen das
größte geschlossene Siedlungsgebiet im Osten der Stadt dar.
Für die bis heute andauernde
Attraktivität hatte Bruno Taut
1919 in seinem Generalsiedlungsplan den Grundstein gelegt. Natürliche Gegebenheiten
wie Boden, Wasser, Luft bestimmten diesen Plan. Cracau
war darin bewusst in die westliche Hauptwindrichtung und
unter Einbeziehung der Elbe
entwickelt worden.
Siedlung Cracau aus der Luft: Die in die Büchnerstraße zur Elbe hin mündenden und geöffneten Straßen sind gut zu erkennen.
D
ie Volksstimme beleuchtet in einer Serie
Magdeburger Siedlungen,
die vor 100 Jahren das
Neue Magdeburger Bauen
begründeten. Inspiriert
von der Bauhausbewegung gab es ihr zugleich
frühe Impulse: Mit pfiffigen Konzepten wurde
modern, farbig und sozial
auf die Wohnungsnot
reagiert. Die Ausstellung
„Magdeburger Moderne
–Siedlungen der 1920er
Jahre“ des Stadtplanungsamtes im Iba-Shop zeigt
die Hintergründe des Neuen Bauens. Die Volksstimme begleitet die Schau
mit einer achtteiligen
Serie über die wichtigsten
Siedlungen. Heute (2): Die
Siedlung Cracau.
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Bereits im Generalsiedlungsplan von 1923 war
das ehemalige Zitadellengelände als Stadterweiterungsgebiet (heute Siedlung Cracau)
ausgewiesen worden. Gleich
zwei Bauherren, die GAGFAHBaugesellschaft und der Verein für Kleinwohnungswesen
Magdeburg, hatten es im Visier.
Ein aus gestandenen Architekten Johannes Göderitz, Carl
Krayl und Paul Wahlmann bestehendes Team legte den Entwurf für den künftigen Wohnungsbau auf dem ehemaligen
Festungsareal vor. In der Lage
nahe der Elbe sahen sie auch
eine Chance für die Verwirklichung städtebaulicher Besonderheiten.
Die Büchnerstraße wurde
die flussbegleitende Straße,
die inneren Wohnstraßen öffnen sich leicht gebogen zur
Elbe. In der ersten Bauphase
entstanden dreigeschossige
Foto: Norbert Perner
Cracau
Grafik: ProMedia Barleben GmbH
Kartenmaterial: © OpenStreetMap-Mitwirkende
Mehrfamilienhauszeilen mit
Flachdächern, später auch
Walmdächern. Läden und kleinere Versorgungseinrichtungen wurden integriert.
Die als Hauptachse geplante
und angelegte Cracauer Straße sollte für die verkehrliche
Erschließung dienen, eine aus
Grünbereich ausgebildete zweite Achse, die Herweghstraße,
lockerte das von den Straßen
Im Brückfeld, Büchner- sowie
Friedrich-Ebert-Straße und Zuckerbusch begrenzte Gebiet auf.
Cracauer Straße /Ecke Karl-Schurz-Straße 1931. Die heute sanierte Mehringstraße 44 mit den markanten Balkonen.
Die Häuser entstanden damals in einer etwas späteren Phase, abweichend von den Putzfassaden hier auch mit Ziegelflächen. Foto: Stadtplanungsamt
Die Bassermannstraße 2, heute. Wie die Nummer 3 und 5 ein Beispiel für Neues Bauen mit Flachdach. Balkone sorgten für höhere Wohnqualität. Hier ebenfalls schon expressionistische Elemente,
Klinkersockel. Foto: Norbert Perner
Großflächige Innenhöfe verhalfen zu Licht auch in unteren
Geschossen. Es waren vor allem
die von 1929 bis 1931 entstandenen Gebäude beiderseits der
Cracauer Straße, denen heute
die funktionalistische Architektur des Neuen Bauens zugeschrieben wird. Die kubischen
Baukörper, vorspringende
Treppenhäuser und Dachgeschosszonen mit horizontalen
Öffnungen bestimmten das Erscheinungsbild. Typisch waren
Fassadenanstriche in Ocker,
jekt in der Stadt des Neuen
Bauwillens. Mit 2000 Wohnungen hatte es enorme soziale Bedeutung bei der Verringerung
des Mangels an preiswertem
Wohnraum.
Im Zweiten Weltkrieg wurden viele Gebäude zerstört,
meist aber in ursprünglicher
Form wiederaufgebaut. 1950 und
1951 wurde die Friedrich-EbertStraße baulich ergänzt, bis 1959
dann die Straße Im Brückfeld.
Die Architektur wurde vorherigen Stilprinzipen angepasst.
Foto: Stadtarchiv Magdeburg
Nepalgelb, Anthrazit. Im ab
1932 bis 1934 fertig gestellten
Baubereich nordöstlich der Herweghstraße dominierten dann
expressionistisch beeinflusste
Gestaltungsmerkmale und teils
figürliche Fassadenkomponenten im traditionellen Heimatstil. Die 1938 errichteten Bauten
in der Luxemburgstraße erhielten wieder Steildächer. Die Zeit
des Neuen Bauens war damit in
der Siedlung beendet. Sie wurde
in ihrer Gesamtheit schließlich
das letzte große Siedlungspro-
Cracauer Straße /Ecke Karl-Schurz-Straße im Jahr 2016. ➡
Lage Siedlung Cracau:
Weiträumig zwischen Zuckerbusch, Brückfeld, FriedrichEbert-Straße, Büchnerstraße/
Alte Elbe Bauzeit: 1929-1938
Entwürfe/Architekten: Johannes Göderitz, Carl Krayl, Paul
Wahlmann Straßen: Bennigsenstraße, Karl-Schurz-Straße,
Zetkinstraße, Cracauerstraße,
Johannes-Münze-Straße,
Lassallestraße, Herweghstraße
u. a. , Quellen u. a. Weiße Reihe
und „Architekturführer“, beides
Stadtplanungsamt.
Foto: Stadtplanungsamt
Die alte Siedlung zeigt sich
heute wieder in frischen Farben.
Nach Kriegsende wurde sie bis
1959 mit Bauten ergänzt und
seit den 1990er Jahren großzügig saniert. Das steht Ostelbien gut zu Gesicht. Gezielt
wurden Förderprogramme genutzt. Die Siedlung steht unter
Denkmalschutz. Auch weil die
von den Architekten Johannes Göderitz, Carl Krayl, Paul
Wahlmann geprägten Prinzipien „Licht, Luft und Sonne“
beibehalten wurden.
Die Cracauer fordern für ihr
künftiges Stadtteilzentrum
Funktionalität und Grün. Wie
sehen Sie das?
Der historische Bestand setzt
ja Maßstäbe. Großzügige öffentliche Grünflächen, farbige
Gebäude, Möglichkeiten des
gesellschaftlichen Zusammenlebens, teils gebogen angelegte Straßen kennzeichnen die
Siedlung, was auch künftig
berücksichtig werden sollte.
Haupteigentümer war nach der
Wende die BauBeCon Holding
AG und ist heute die Deutsche
Wohnen AG.
Hier gibt es noch
mehr zu sehen
Die Ausstellung „Siedlungen
der 20er Jahre“ im Iba-Shop,
Regierungsstraße 37, ist
dienstags bis sonntags von
11 bis 17 Uhr zu sehen, Eintritt
frei.
Die in den 1920er Jahren
gebauten Siedlungen setzten
gestalterisch als auch
funktional neue Maßstäbe
im sozialen Wohnungsbau.
Sie boten ihren Mietern
gut belichtete und belüftete Wohnungen sowie ein
attraktiv gestaltetes und
begrüntes Wohnumfeld. Der
Baustil zeichnet sich u. a.
durch klare Linien, kubische
Baukörper und Farbe an
den Fassaden und in den
Wohnungen aus.
Gestaltet wurde die Schau
von der Landeshauptstadt,
Stadtplanungsamt, der
perner&schmidt werbung und
design GmbH und Wohnungsgesellschaften. Kurator ist der
ehemalige Stadtplanungsamtschef Eckhart Peters.
Bisher erschienen:
Anger-Siedlung,
Magdeburger Volksstimme,
3. November, Seite 20.
Redaktion dieser Seite:
Rainer Schweingel/
Karl-Heinz Kaiser.
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