Das Bayer Kultur-Magazin Silke Leopold | Mythos Oper

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Das Bayer Kultur-Magazin
Silke Leopold | Mythos Oper
Uraufführung | Die weiße Fürstin
Boulevard & Broadway | Zweifacher Orpheus
MUSIK | Rainer Koch verabschiedet sich
stART | Ein Zwischenbericht
SCHAUSPIEL | Rainer Hunold im Kulturhaus
TANZ | La La La Human Steps wird 30
Editorial
Schnabel hat die Musik dafür dem Signum Quartett quasi
„auf den Leib geschneidert“.
Das zweite stART-Projekt dieser Periode wurde von Bayer Kultur initiiert: In der neuen Abo-Reihe Boulevard &
Broadway halten auch wieder die schon oft totgesagte
Operette (allerdings in sehr zeitgemäßer Form) und das
Musical Einzug in unseren Spielplan. Der neue Titel trägt
dem Rechnung. Auch hier verbinden wir den programmatisch-konzeptionellen Ansatz mit der Förderidee von
stART, denn wir bringen Jacques Offenbachs Orpheus in
der Unterwelt als Koproduktion mit der Hochschule für
Musik und Tanz Köln auf die Bühne unseres Kulturhauses.
Außerdem entsteht auch eine Kinderfassung dieses Operettenklassikers, was uns im Januar gleich noch eine zweite
Uraufführung beschert.
Liebe Freunde von Bayer Kultur!
Nach der umjubelten Leverkusener Premiere von Troilus
und Cressida – unserer zweiten Koproduktion mit der
Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin
– fand wenige Tage später auch die erste Aufführung in
Berlin statt. Hierzu erreichte uns aus der Hauptstadt folgendes Schreiben von Philipp Ruch: „Großartiges konnte
man gestern Abend im Berliner bat-Theater bestaunen…
Glückwünsche an das gesamte Team…und auch an diejenigen, die ein derartiges Werk möglich gemacht haben.“
Diese Reaktion zeigt sehr eindrucksvoll, welch wichtigen
Stellenwert die Eigenproduktionen mit jungen Künstlern
bei Bayer Kultur mittlerweile einnehmen.
In dieser KUNSTstoff-Ausgabe stellen wir Ihnen daher die
nächsten stART-Projekte ausführlich vor. Wir berichten
u.a. über die Uraufführung von Rainer Maria Rilkes Weißer Fürstin als spartenübergreifendes Theaterprojekt. Jörg
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Neben dem Deutschen Sinfonieorchester Berlin, der WDR
Big Band, Edouard Lock mit seiner brandneuen Choreographie und Rainer Hunold in Verwandte sind auch nur
Menschen dürfen Sie sich auch auf weitere Highlights mit
unseren stART-Künstlern freuen: Das Benjamin Schaefer
Trio stellt in erweiterter Besetzung in der at midnight-Reihe
seine neue CD vor, das Signum Quartett gestaltet gemeinsam mit Alfred Brendel einen Abend mit Lyrik und Musik
und Hardy Rittner findet sich zum ersten Mal mit unserem
orchestra in residence l’arte del mondo zusammen, um das
monumentale erste Klavierkonzert von Johannes Brahms
zu interpretieren. Auch dies insofern eine echte Weltpremiere, als im Anschluss daran, die erste CD-Einspielung auf
historischen Instrumenten entsteht.
Wie immer wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.
Ihr
Dr. Volker Mattern
Leiter Bayer Kultur
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Januar/Februar 11
Orpheus als Wegbereiter der Oper
Silke Leopold über die Bedeutung von Mythen bei der Entstehung der ersten Opern
Seite 4
SCHAUSPIEL
Auf Initiative des Signum Quartetts wird aus einem dramatischen Gedicht ein musikalisches Bühnenwerk.
Seite 8
Boulevard & Broadway
Doppelte Rückkehr der Operette – Orpheus in der Unterwelt einmal für Erwachsene, einmal für Kinder
Seite 10
Musik
Ein Lebenswerk: Nach über 38 Jahren am Pult der Bayer
Philharmoniker verabschiedet sich Rainer Koch.
Seite 12
stART
Gut gestartet – eine Zwischenbilanz des einzigartigen Förderprojekts von Bayer Kultur nach anderthalb Jahren
Seite 14
SCHAUSPIEL
Fernseh-Star Rainer Hunold auf den Brettern, die die Welt
bedeuten: Verwandte sind auch nur Menschen
Seite 16
Literatur
Auf dem Weg nach oben – der vielfältige Nachwuchs-Autor
Thorsten Nesch liest in der Literatur-Kulisse.
Seite 17
TANZ
30 Jahre „La La La Human Steps“ – Das Jubiläum wird
mit einer außergewöhnlichen Choreographie gefeiert.
Seite 18
Das Bayer Kultur-Magazin
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Silke Leopold, 1948 in Hamburg geboren, studierte Musikwissenschaft, Theaterwissenschaft, Romanistik und Literaturwissenschaft
in Hamburg und Rom, wo sie nach der Promotion drei Jahre als Forschungsstipendiatin des Deutschen Historischen Instituts verbrachte. Als Assistentin von Carl Dahlhaus lehrte sie seit 1980 an der TU
Berlin, außerdem von 1985-86 an der Harvard University und 1988
an der Universität Regensburg. 1987 habilitierte sie sich an der TU
Berlin. Von 1991 bis 1996 war sie Ordinaria für Musikwissenschaft
an der Universität/Gesamthochschule Paderborn und der Musikhochschule Detmold, seit 1996 ist sie Ordinaria und Direktorin des
Musikwissenschaftlichen Seminars in Heidelberg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Geschichte der Oper, Italienische Musik
des 16. bis 18. Jahrhunderts und Claudio Monteverdi.
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Von den zwei Kulturen
des Gesangs: Wie
Orpheus zum Wegbereiter der Oper wurde
Text: Silke Leopold
Mythos und Oper – das ist eine ebenso fruchtbare wie
spannungsreiche Beziehung, seit es Oper gibt. Zwei Jahrhunderte lang, vom Anbeginn der Operngeschichte um
1600 an, stand dabei die Mythologie der Griechen und
Römer im Zentrum des Interesses von Librettisten und
Komponisten. Seit dem 19. Jahrhundert kamen dann andere Mythen dazu – die germanischen, die indischen, die
afrikanischen. Doch die Sagen des klassischen Altertums
(wie Gustav Schwab sie einst nannte) waren mehr als fesselnde Geschichten. Ohne Protagonisten wie Orpheus und
Apollo, wie Ariadne und Andromeda, hätte sich das musikalische Drama mit seinen gesungenen Dialogen wohl
kaum überhaupt entwickeln können. Ohne die Verwandlung tragisch gescheiterter Helden zu Sternbildern oder
Naturphänomenen wäre die Oper als Modellfall höfischer
Repräsentation ungeeignet gewesen. Und ohne die Vertrautheit des Publikums mit den alten Geschichten hätte
sich das Neue der jeweiligen musikalischen Erzählweise
kaum so sinnfällig mitteilen können.
Doch der Reihe nach. Die Geschichte der Oper beginnt
in Florenz im Oktober 1600: Da wird Maria de’ Medici, jüngste Tochter des 1587 verstorbenen toskanischen
Großherzogs Francesco I., mit dem französischen König
Heinrich IV. verheiratet. Es ist alles andere als eine Liebesheirat; der Bräutigam lässt sich auf der Hochzeit sogar
durch den Onkel der Braut, den regierenden Großherzog,
vertreten. Es ist, wie bei politischen Heiraten üblich, viel
eher ein Zweckbündnis – Heinrich IV. braucht Geld, das
die Medici, ursprünglich eine Bankiersfamilie, im Überfluss
besitzen. Die Medici ihrerseits sind an gesellschaftlichem
Aufstieg interessiert und zahlen hohe Mitgiftsummen, um
ihre Töchter in die alten Herrscherfamilien einheiraten zu
lassen. Um den Erfolg einer solchen Strategie zu feiern,
ist dem Florentiner Hof jede Kampagne recht – auch die
Umdeutung eines altbekannten antiken Mythos. Die Geschichte von Orpheus, der seine Braut durch einen Schlangenbiss verlor und sie so sehr liebte, dass er in die Unterwelt ging, um sie von den Göttern zurückzufordern, war
die Geschichte einer unendlichen, über den Tod hinausreichenden Liebe und damit überaus geeignet, eine Hochzeit künstlerisch zu überhöhen, bei der diese Liebe fehlte. Leider aber hatte die Geschichte ein tragisches Ende:
Denn Orpheus, so die Überlieferung aus der Antike, hielt
sich nicht an das Gelübde, Eurydike bei der Rückkehr zu
den Lebenden nicht anzuschauen und verlor sie für immer. Ottavio Rinuccini aber, der Librettist der ersten Oper
L’Euridice, nahm die Gelegenheit wahr, den alten Mythos
aus aktuellem Anlass umzuschreiben; Orpheus erhält Eurydike ohne Bedingungen zurück und darf mit ihr in seine
Heimat zurückkehren. Das letzte Bild der Oper zeigt das
selige Brautpaar inmitten der Hirten und Nymphen Arkadiens. Rinuccinis Botschaft war eindeutig: So wie Orpheus
und Eurydike bis ans Ende ihrer Tage glücklich leben durften, würden auch Maria de’ Medici und Heinrich IV. von
Frankreich ein Leben lang auf Rosen gebettet sein: Die Geburt der Oper aus dem Geist der Propaganda.
Warum aber eignete sich der Orpheus-Mythos, neben
dieser neuen Deutung, so gut für eine musikalische Verarbeitung? Um dies zu verstehen, ist ein Blick in die Theaterästhetik der Zeit notwendig, die sich seit der Zeit der
Renaissance an der Aristotelischen Poetik orientierte.
Oberstes Gebot für eine Bühnenhandlung war demnach
die „verosimiglianza“, die Wahrscheinlichkeit dessen, was
auf der Bühne geschah. Die Oper aber, diese neue Art des
musikalischen Dramas, das sich von allen anderen Musiktheaterformen zuvor dadurch unterschied, dass der Dialog
der handelnden Personen gesungen wurde, hatte mit der
Wahrscheinlichkeit ein Problem – Menschen singen nun
einmal nicht, wenn sie sich unterhalten. Orpheus aber, so
das Kalkül der Librettisten und der Komponisten der frühen Oper, der göttliche Sänger, der mit seiner Musik die
wilden Tiere besänftigte und die Unterwelt bezwang, büßte nicht an Glaubwürdigkeit ein, wenn aus seinem Mund
Gesang anstelle von Sprache erklang. Dasselbe galt für
seinen Vater Apollo, den Gott der Musik, und all jene Hirten und Nymphen des Goldenen Zeitalters, von denen der
Das Bayer Kultur-Magazin
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Dichter Giovanni Battista Guarini kurz vor der Erfindung
der Oper geschrieben hatte, ihre Sprache sei Poesie und ihr
Sprechen fast schon Gesang. Niemand hätte das Gegenteil
beweisen können – die mythische Vorzeit entzog sich der
empirischen Überprüfung.
Mit seiner Entscheidung, dem Orpheus-Mythos ein neues
Happy Ending zu verleihen, setzte Rinuccini nicht nur ein
politisches, sondern auch ein dramaturgische Zeichen, das
für die Oper konstitutiv werden sollte. Er und alle weiteren Librettisten der frühen Oper griffen auf einen Dichter
zurück, der die griechische Mythologie poetisch ausgeschmückt hatte. In seinen Metamorphosen hatte Ovid die
alten Mythen nach dem immer gleichen Muster erzählt;
da verwandelten sich Sterbliche am Ende verhängnisvoller Geschehnisse in Blumen (Adonis), Bäume (Dafne) oder
Bäche (Akis), oder sie wurden von den Göttern als Sternbild in den Himmel geholt (Andromeda). Schreckliche Geschichten verwandelten sich so in tröstliche Geschichten.
Ein solcherart glückliches Ende aber war für die Oper als
ein Vehikel fürstlicher Selbstrepräsentation unabdingbar.
Wie hätte sich ein König wie Ludwig XIV. zum Apollo
seines Zeitalters stilisieren lassen können, wenn dieser
Gott nicht in der Lage gewesen wäre, alles zum Guten
zu wenden? Der Sonnengott
brachte den Menschen das
Licht, die Wärme, die Kunst;
von dem Sonnenkönig durfte man dasselbe erwarten. Es
ist kein Zufall, dass Ludwig
XIV. seinen Beinamen in Zusammenhang mit seiner Bühnenrolle als Apollo in dem
Ballett de la Nuict erhielt, in
dem er 1653 als Fünfzehnjähriger tanzte.
Nur durch die Möglichkeit des „lieto fine“, des Happy
Ending, die Ovids Metamorphosen eröffneten, taugten
die antiken Mythen zur Darstellung auf der Opernbühne.
Denn die Oper war in der Zeit ihrer Entstehung und lange darüber hinaus eine durch und durch höfische Angelegenheit. Und da der Vergleich eines Herrschers mit einem
christlichen Helden als Blasphemie undenkbar gewesen
wäre, boten sich Analogien zwischen antiken, heidnischen
Göttern und tatsächlich lebenden Fürsten eher an. Wie
aber fügt sich dieser Befund in die gängige Überzeugung,
die Oper sei aus dem Bemühen um Wiederbelebung der
antiken Tragödie heraus entstanden? Diese These hat im
Laufe der Jahrhunderte selbst die Qualität eine Mythos
angenommen, und Librettisten wie Komponisten sind da-
ran nicht unbeteiligt gewesen. Um den gesungenen Dialog
zu rechtfertigen, beriefen sich die Schöpfer der Oper auf
klassische Vorbilder – ein übliches Verfahren in den Kunstdiskussionen der Zeit. Keiner von ihnen ging freilich so
weit wie die spätere Musikgeschichtsschreibung, die die
Oper als Remake der antiken Tragödie sehen wollte. Und
um Wiederbelebung einer verklungenen Theaterform ging
es schon gar nicht.
Jacopo Peri, der Komponist von Rinuccinis L’Euridice, bezeichnete die Art der Deklamation in der antiken Tragödie
als ein „Mittelding zwischen Singen und Sprechen“ und
beschrieb seine Musik als einen Versuch, ein modernes
Äquivalent davon für die Zukunft des musikalischen Theaters zu entwickeln. Das Besondere war dabei nicht einmal
die Deklamation selbst – diese dürfte sich gar nicht so weit
von dem üblichen Singsang theatralischen Sprechens unterschieden haben. Das bahnbrechend Neue war vielmehr
die Kombination dieser Deklamation mit einem akkordischen Instrumentalbass, der es erlaubte, gleichsam einen
affektiven Kommentar zum Text abzugeben. Die Möglichkeit, eine Spannung zwischen konsonanten und dissonanten Klängen zu erzeugen, ohne den Regeln des Kontrapunktes unterworfen zu
sein, eine überraschende,
unvorbereitete Dissonanz
als Ausdruck des Schmerzes, einen abrupten DurMoll-Wechsel zur Aufhellung oder Eintrübung der
Stimmung zu verwenden,
eröffnete ungeahnte Möglichkeiten musikalischer
Menschendarstellung, lieferte gleichsam eine musikalische Inszenierung des
Dramentextes. Dass es der Orpheus-Mythos war, der den
Experimentierraum für diese neuen musikalischen Ideen
eröffnete, ist wiederum kein Zufall – denn dem Sohn des
Apollo und der Muse Kalliope stand nicht nur der Gesang
zu Gebote, sondern auch sein Leierspiel, und die Macht
seiner Musik resultierte aus der Kombination von beidem.
„Al modo d’Orfeo“ (nach Art des Orpheus) – so lautete
schon im 16. Jahrhundert die Beschreibung des akkordbegleiteten Sologesangs.
Über Generationen hinweg blieb Orpheus der Opernheld,
an dem sich neue Konzepte des Theatergesangs erproben
ließen. Peri hatte ihm den Sprechgesang übertragen, ihn
als Meister der musikalischen Reduktion und der affektiven Deklamation dargestellt. Wem es gelang, allein mit
den Mitteln des akkordbegleiteten Rezitativs die Unter-
„Über Generationen
hinweg blieb Orpheus der
Opernheld, an dem sich neue
Konzepte des Theatergesangs
erproben ließen.“
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welt zu bezwingen, – so Peris Botschaft – der bewies, dass
diese neue Art des Singens kunstvoll und lebensfähig war.
Um der musikalischen Deklamation willen verzichtete Peri
gänzlich auf den melismatischen Ziergesang, für den er
selbst als Sänger so berühmt war. Nur wenige Jahre später ging Claudio Monteverdi einen anderen Weg. Sein Orpheus war beides, Sänger und Rezitator; Virtuosität und
Überzeugungskraft hielten sich im 1607 in Mantua aufgeführten L’Orfeo die Waage. Monteverdis Orpheus schenkte der Operngeschichte die Idee von den zwei Kulturen des
Gesangs – von dem offenen rezitativischen Dialog auf der
einen und den in sich geschlossenen, für sich stehenden
Arien auf der anderen Seite. Und er enthielt sich nachdrücklich eines Urteils, welcher dieser beiden Kulturen
er den Vorzug gab. Zwar bezeichnete er die hochvirtuose
Strophenarie, mit der Orpheus den Unterweltfährmann
Charon bezwingen will, in einem Brief als „Herzstück der
Oper“; aber er machte auch deutlich, dass der Ziergesang
allein nichts vermag: Denn erst als Orpheus alle Kunst vergisst, weil Charon sich nicht rühren lässt, und mit brennendem Herzen und scheinbar ohne Kontrolle seiner Verzweiflung im Rezitativ Ausdruck verleiht, weicht Charon
der Macht der Musik und schläft ein.
Mit wachsender Gewöhnung des Publikums an das vollständig in Musik gesetzte Drama schwand die Notwendigkeit, mythologische Gestalten als Helden auf die Bühne
zu stellen, deren Nähe zur Musik den gesungenen Dialog
rechtfertigte. Ovids Metamorphosen folgten Homers Ilias
und Odyssee sowie Vergils Aeneis als Stoffquelle. Uneindeutige Charaktere wie die Zauberin Kirke oder der listenreiche Odysseus lösten die göttlichen Helden in der Gunst
des Publikums ab. Dennoch blieb die antike Mythologie
für lange Zeit die bevorzugte Stoffquelle, selbst als histo-
rische Sujets, Geschichten über römische Kaiser und mittelalterliche Ritter die Opernbühnen zu erobern begannen.
Als in Zeiten beginnender Aufklärung die Staatskunst an
die Stelle des Gottesgnadentums trat, wurde dies auch in
der Oper reflektiert: Kaiser Karl VI. etwa, Maria Theresias Vater, ließ sich lieber als neuer Titus feiern denn als
neuer Apollo. Lediglich in Frankreich blieb die Bindung
der Oper an mythologische Stoffe zumindest in der traditionellen Tragédie en musique unangetastet.
Niemals aber wurden die mythologischen Geschichten in
den Opern um ihrer selbst willen erzählt. Sie waren Mittel
zum Zweck, metaphorische Bekundungen über etwas, das
dem Publikum gleichsam als Moral, als Quintessenz vermittelt werden sollte. Monteverdi gestaltete die Geschichte von der Heimkehr des Odysseus in seiner späten, 1641
aufgeführten Oper Il ritorno d’Ulisse in patria als eine
Parabel über höfisches Verhalten und die Diskrepanz von
angemaßtem und von Herzensadel. Henry Purcells 1689
für eine Mädchenschule konzipierte Oper Dido and Aeneas war eine Warnung an die adligen Fräulein, sich bei der
Entscheidung zwischen Pflicht und Liebe doch unbedingt
gegen die todbringende Neigung zu entscheiden. Und noch
mehr als ein halbes Jahrhundert später thematisierte JeanPhilippe Rameaus Pigmalion (1748) die höfische Erziehung
als einen notwendigen Schritt auf dem Weg zur Menschwerdung, wenn die Musen der fleischgewordenen Statue
des Bildhauers das Sarabandetanzen beibringen.
Wer in den Opern des 17. und 18. Jahrhunderts auf eine
Nacherzählung antiker Mythen hofft, wird mit Sicherheit
enttäuscht. Der Oper dient auch die Mythologie immer
dazu, die jeweils eigene Zeit mit den Mitteln der Musik
zu erklären.
Das Bayer Kultur-Magazin
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Hanfried Schüttler
Marie Simone Steinbauer-Bascoul
Auf der Bühne –
ein Gedicht!
Die weiße Fürstin von Rainer Maria Rilke kommt in ungewöhnlicher Version zu seiner Bühnenpremiere:
Die Idee des Signum Quartetts wird gemeinsam mit Regisseur Hanfried Schüttler und
Komponist Jörg Schnabel realisiert.
Text: Reiner Ernst Ohle · Fotos: Hanne Engwald
„In Würzburg hätte ich mich nicht trauen können, ein solches Stück auf den Spielplan zu setzen!“ Hanfried Schüttler
schätzt die Freiheit, in Verbindung mit einem privaten Kulturförderer mit dieser Uraufführung künstlerisches Neuland
zu betreten, „Stadttheater unterliegen häufig grausamen
Rechtfertigungs-, Geld- und Gefallenszwängen, die es der
Kunst nicht leicht machen. Für mich ist es der reine Luxus,
ein solches Stück an so einem tollen Theater zu erarbeiten
und sich dabei allein auf die künstlerischen Fragen konzentrieren zu können.“ Neugierig sei man gewesen, als das Signum Quartett von Kontakten zu Bayer Kultur erzählt und
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vom Interesse der Macher dort berichtet habe, künstlerisch
reizvolle kleine Projekte selbst zu produzieren. „Auch für
uns sind diese Projekte Neuland – zumal von Anfang an klar
war, dass wir hier kein Konzert erarbeiten sondern als Musiker auch kleine schauspielerische Aufgaben übernehmen
werden“, gesteht der Cellist Thomas Schmitz vom Signum
Quartett, das seit der Spielzeit 2009/10 im Rahmen des
stART-Programms von Bayer Kultur gefördert wird. „Mit
jungen Musikern zu neuen Ufern aufzubrechen, ist eine große Freude“ bekennt Dr. Volker Mattern, Leiter von Bayer
Kultur. Er liebt es, die Entstehung eines Stückes aktiv zu be-
Steinbauer-Bascoul und Schüttler bei einer Probe im Kulturhaus
Hanfried Schüttler
Hanfried Schüttler wurde nach dem Studium der Theaterwissenschaft, Pädagogik und Soziologie in Köln an der
Westfälischen Schauspielschule in Bochum ausgebildet. Er
war Intendant des Landestheaters Burghofbühne Dinslaken
im Kreis Wesel und Schauspieldirektor am MainfrankenTheater Würzburg. Er spielte in Essen, Münster, Stuttgart,
Oberhausen und am Volkstheater Millowitsch in Köln. Er
tourte durch Polen mit George Taboris Mein Kampf. Regie
führte er in Wilhelmshaven, Stuttgart, Wuppertal, Coburg
und bei der Konzertdirektion Landgraf. Hanfried Schüttler war in den Spielzeiten 2006/07 bis 2008/09 Direktor
des Theater der Keller und der angeschlossenen Schule des
Theaters in Köln und arbeitet gegenwärtig als Coach für
Film und Fernsehen in Köln, der Schauspieler kurzfristig
am Filmset auf ihre Rolle vorbereitet.
Vom 17. bis 22. Januar 2011 entsteht unter seiner Regie
die Uraufführung Die weiße Fürstin von Rainer Maria
Rilke im Bayer Kulturhaus. Bühne und Kostüme kommen
von Annette Wolters, Marie Simone Steinbauer-Bascoul ist
als Fürstin, Fiona Metscher als Mona Lara und Christa
Strobel als Amadeo zu sehen. Die Rolle des Boten war bei
Redaktionsschluss noch nicht besetzt.
Die weiße Fürstin Uraufführung
SA 23.01 | 20:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen
gleiten und es ist ihm ernst, wenn er ankündigt, dass er keine
Probe verpassen wird, wenn das 10-köpfige Ensemble um
Regisseur Hanfried Schüttler im Januar 2011 in einer Woche hoch konzentrierter Endproben den alterehrwürdigen
Kulturbahnhof in eine veritable Theaterwerkstatt verwandeln wird. Das Rilke-Stück Die weiße Fürstin selbst haben
alle mit großem Vergnügen mehr als einmal gelesen.
Die Protagonistin in diesem dramatischen Gedicht in Versform ist eine Frau, die vor dem Hintergrund einer schrecklichen Realität und angesichts des Elends einer seuchenund hungergeplagten Bevölkerung auf die Erfüllung ihrer
Sehnsucht wartet: die Ankunft des Geliebten. „Am Anfang
waren wir irritiert, verblüfft, aber auch irgendwo begeistert
von dieser Sprache, die sehr poetisch ist und auf vielfältige
Weise Einblicke auch in unsere Gegenwart gewährt“, bekennt die Geigerin Kerstin Dill. Das ganze Ensemble weiß,
dass Rainer Maria Rilke längst nicht mehr in aller Munde
ist. Die Zeiten, in denen das gebildete Lesepublikum in Rilke – neben Stefan George und Hoffmannsthal – den Typus
des „Dichters“ schlechthin sah und Mann und Werk als
ideale Verkörperung und Offenbarung des empfindsamen,
weltabgekehrten, einsamen und melancholischen Künstlers
galten, sind ebenso vorbei wie die Ära, in der Rilke als der
bürgerliche Dichter der Entfremdung wahrgenommen wurde, der in kritischer Distanz zu den Neuerungen des Industriezeitalters lebt. Hanfried Schüttler hat die Fürstin mit seinen Mitstreitern auf der Basis des Textes von 1912 intensiv
diskutiert. Immer klarer sei ihm dabei geworden, dass diese
Frau mittleren Alters der Prototyp einer modernen klugen
Frau ist, die – nach einer Zwangsverheiratung als unschuldige Kindfrau im Leben einem jähzornigen Tyrannen ver-
bunden – ihre Liebe aufbewahrt und diese unter widrigen
Umständen behauptet und lebt. „Im Grunde ist sie sogar
eine aristokratische Revolutionärin, die ihr kurzes Glück
behauptet, die mit Konventionen bricht und ihren Besitz
verteilt. Sie ist kein Opfer, sie reagiert nicht nur, sie agiert
selbständig und selbstbewusst. Äußerst modern sind aber
auch die Zweifel von Mona Lara, ihrer Schwester, die genau
weiß, dass die Sprache nicht ausreicht, die Wirklichkeit abzubilden.“ Hanfried Schüttler verlangt von den Schauspielern, dass sie ihren Text mit großer Selbstverständlichkeit,
nüchtern-normal, fernab von jedem hohen Ton sprechen.
„Die schönen Bilder, die durch knappe Sentenzen evoziert
werden, sind nur am Anfang schwierig und unzugänglich.
Wer sich ganz auf den Text einlässt, stößt auf eine Sprache, die voller Poesie und feiner Beobachtungen steckt. Ein
Satz wie ‚Jugend ist nur Erinnerung an einen, der noch nicht
kam‘ kann lange aufhalten.“
Die Inszenierung von Hanfried Schüttler zielt darauf ab, den
Rilke-Text zu erden und ihm seinen rätselhaften und poetischen Zug zu lassen. Zu dieser Emanzipationsgeschichte in
Zeiten des Elends interpretiert das Signum Quartett die Musik von Jörg Schnabel, die er quasi als „Filmmusik“ angelegt hat. „Musik übernimmt die Emotion und ist ein eigener
Darsteller“ bemerkt Schüttler zu seinem Ansatz, „sie wird
handlungsbezogen eingesetzt, ist kein bloßer Stimmungsaufheller.“ Seine Arbeit sieht vor, dass erst während der Proben
das Stück seine endgültige musikalische Form findet. „Mit
Jörg Schnabel ist abgesprochen, dass er doppelt soviel abliefert, wie tatsächlich gebraucht wird – das Wesentliche einer
Inszenierung sind die Proben und da müssen wir spielen und
verwerfen können“.
Das Bayer Kultur-Magazin
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Orpheus-Mythos
mal zwei
Im Januar kommt die Operette Orpheus in der Unterwelt in einer Neuinszenierung für Erwachsene von Igor
Folwill auf die Bühne des Bayer Kulturhauses – und Kay Link hat aus dem Stoff eine eigene Kinderfassung
entwickelt, die hier ihre Uraufführung erleben wird.
Text: Volker Mattern · Fotos und technische Zeichnung: Manfred Kaderk
Das Bühnenbildmodell
Im Libretto der beiden genialen Textdichter Hector Crémieux und Ludovic Halévy heißt es bezüglich von Ort und
Zeit der Handlung von Orpheus in der Unterwelt: „In der
Umgebung von Theben, im Olymp und in der Unterwelt,
irgendwann“… und letzteres ist Programm, könnte man
in schlechtem Operettendeutsch hinzureimen. Denn wie
bei Offenbach in vielen seiner Erfolgsopern – die originale Gattungsbezeichnung ist opéra bouffe, also komische
Oper, die Bezeichnung „Operette“ wurde erst viel später
gebräuchlich –, ist der Ausgangspunkt seiner heiter-satirischen Stoffe die Gegenwart, also das zweite Kaiserreich
unter Napoléon III.
Doch zurück zu den Anfängen: 1819 in Köln geboren,
fand sich Jacques Offenbach schon als Vierzehnjähriger in
Paris wieder, um am dortigen Conservatoire Cello zu studieren. Als Orchestermusiker verdiente er zunächst an der
opéra comique mühsam sein Brot und sammelte – nach
einem Köln-Intermezzo als Flüchtling in den Wirren der
1848er Revolution – am Théâtre Français als Kapellmeister erste Erfahrungen im Bühnenmetier. Erfolg hatte er
zunächst kaum. Erst die Weltausstellung im Jahre 1855
brachte den Umschwung: Er pachtete eine Bretterbude, die
als „Bouffes Parisiens“ Musikgeschichte schreiben sollte.
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Hier schlug die Geburtsstunde dessen, was heute „Offenbachiade“ genannt wird. Die grotesken Persiflagen in den
dort gezeigten, meist einaktigen „musiquettes“ begeisterten nicht nur das Publikum der Weltausstellung, sondern
zunehmend auch die vergnügungssüchtige Gesellschaft der
französischen Metropole. Internationalen Ruhm – sowie
großen finanziellen Erfolg – bescherte dem knapp Vierzigjährigen jedoch erst Orphée aux enfers, sein erstes abendfüllendes Werk aus dem Jahre 1858. Ein neues Genre war
geboren: die tolldreiste Mythentravestie, die gegenwärtige
Verhältnisse reizvoll verkleidet, um sie, mit motorischem
Überschuss, zum Vorschein zu singen und zu tanzen. Erst
der Zusammenbruch des Kaiserreichs nach dem deutschfranzösischen Krieg machte diesem rasanten Siegeszug ein
Ende. Der Titel des „Erfinders der Operette“ war Jacques
Offenbach da aber schon nicht mehr zu nehmen.
Dass die Zeitangabe „irgendwann“ bei Offenbach nichts
anderes heißen kann, als „in der – jeweiligen – Gegenwart
spielend“, macht sich selbstredend auch das Inszenierungsteam unserer ersten Koproduktion mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln zueigen. Igor Folwill
(Regie), Manfred Kaderk (Bühne) und Angela C. Schuett
(Kostüme) siedeln das Stück in einem Konzertsaal (statt in
Theben), im himmlischen Bundestag (statt im Olymp) und
in der „Theaterhölle“ mit Gott Pluto als Intendanten (statt
in der mythologischen Unterwelt) an. Die Verkehrung der
heroischen Antike in eine heiter-bedenkliche Gegenwart
hat die kaum zu bremsende Lust auf unnütze Energieentladungen im Lieben, Trinken und Tanzen zur Folge.
Ausgelöst werden sie meist durch Konkurrenzkämpfe, in
erster Linie um Euridike, der Gattin des beamteten – somit langweiligen – Geigenprofessors Orpheus. Mit ihm
konkurriert u.a. der als Schäfer Aristeus maskierte Pluto,
der sich fast am Ziel seiner Wünsche wähnt, würde sich
da nicht die „öffentliche Meinung“ einmischen, die den
gesellschaftlichen Wert des möglichst makellosen Familienlebens mit aller Macht verteidigt: „Für die Mythologie
brauchen wir das Beispiel wenigstens eines Gatten, der
seine Frau zurückhaben will“. Letztendlich ist ihr aber
kein Mann weit und breit gewachsen, sei er sterblich oder
unsterblich… Igor Folwill formuliert es so: „Wenn diese
Inszenierung Fragen stellen soll im Sinne der Gesellschaftskritik Offenbachs, dann vielleicht die Frage nach mehr
Schein als Sein, macht Macht sexy? und der Frage nach
der verlogenen Doppelmoral im Beruflichen wie im Privaten. In dem gesetzten Rahmen will sie diese Botschaft aber
dem Zuschauer nicht um die Ohren schlagen, sondern den
feinen Esprit Offenbachs mit theatralischen Mitteln entfalten und sich das Publikum seinen Teil denken lassen.“
Der junge Regisseur und Bühnenautor Kay Link hat im
Auftrag von Bayer Kultur eine Kinderfassung dieses Operetten-Klassikers geschrieben. Beim soeben skizzierten Inhalt ist dies auf den ersten Blick vielleicht verwunderlich.
Bei genauerem Hinsehen allerdings, lässt sich aus diesem
Offenbachschen Meisterwerk jedoch auch ein lustig-gegenwärtiger Spaß für Kinder machen. Eine erste Uraufführung im Rahmen des Angebots -8+x. Hierzu lädt Bayer
Kultur alle Kinder mit Eltern und Verwandten natürlich
besonders herzlich ein!
Orpheus in der Unterwelt Premiere
FR 14.01 | 20:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen
SA 15.01 | 20:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen
Orpheus in der Unterwelt – Kinderfassung Uraufführung
SA 30.01 | 14:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen
Das Bayer Kultur-Magazin
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Lust und Disziplin
Mit dem Silvester- und Neujahrskonzert nimmt Rainer Koch Abschied von den
Bayer Philharmonikern. Eine Würdigung.
Text: Christoph Vratz · Fotos: Hanne Engwald
In ruckeliger Regelmäßigkeit dreht sich das Karussell um
sich selbst, und die Welt schaut gern gebannt hin, weil die
Leute auf den Pferdchen häufiger wechseln. So dreht sich
das internationale Dirigenten-Karussell fort und fort. Eine
Position jedoch scheint beinahe auf Lebenszeit besetzt, wie
einst zu Karajans Zeiten in Berlin: die des Chef-Dirigenten
der Bayer Philharmoniker. Rainer Koch ist seinem Orchester über fast vier Jahrzehnte treu geblieben. Gegenseitige
Wertschätzung war das Siegel für diese Beständigkeit.
Als er 1972 erstmals vor das Orchester trat, warteten Beethoven, Wagner, Berlioz. Drei dicke Klötze, die im Probedirigat modelliert werden wollten. Koch ließ sich nicht beirren.
Er ließ probieren und nochmals probieren. Das Orchester
verstand: Dieser Mann fordert Qualität, aber er bringt auch
die nötige Geduld mit. „Proben müssen Spaß machen“, behauptet Koch. Er sagt dies völlig allürenfrei, denn er mimt
weder den Klassenclown noch den Spielverderber. Als Dirigent ist er in erster Linie Mensch, und als Musiker ist er
kein Verfechter einer interpretatorischen Dialektik, sondern
Freund alles Natürlichen, Inwendigen. „Freude stellt sich
am ehesten ein, wenn man richtig musiziert.“
Rainer Koch hat schnell gemerkt, dass bei einem Orchester
aus lauter passionierten Laien die Führungs-Kunst darin
besteht, eine „Balance zwischen Lust und Disziplin“ zu finden. Aber wie geht das? „Indem ich versuche, nicht zu lange am Detail hängen zu bleiben.“ Weniger kann mehr sein.
Niemand weiß das besser als Koch. Wer zu dogmatisch
pocht, erntet Verkrampfung, und dies ist das Letzte, was
er für sein Orchester gebrauchen kann. Ein anderer Spagat
wartete stets bei der Repertoire-Auswahl. Koch hat sich
auf romantischem Terrain immer wohl gefühlt, bei Schumann, Dvo ák, Brahms & Co. Gelegentliche Abstecher ins
20. Jahrhundert, Seitenpfade bei Oper und Operette hat er
behutsam in seine Exkursionen eingebunden.
Wer Koch erlebt, wie er sich am Pult bewegt, merkt schnell:
Dieser Mann geriert sich nicht als allumarmender, ewig
flirtender Emphatiker im Sinne eines Lenny Bernstein und
nicht als dauerzuckender Technokrat à la Georg Solti. Koch
organisiert und lenkt unauffällig, seine Einsätze erfolgen
punktgenau, jeder Musiker darf sich an seinem Taktstock
geborgen wissen. Er weiß, wie viel Rücksicht nötig ist,
wenn sich sein Orchester zweimal wöchentlich abends zur
Rainer Koch bei einer Probe für seine letzten Konzerte auf der Bühne des Kulturhauses
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Rainer Koch
Probe einfindet, nach einem für jeden fordernden BerufsAlltag. Dennoch darf er nichts schleifen lassen. Zu namhaft
sind dafür die Solisten, die regelmäßig eingeladen werden,
zu weit die Reisen, die Bayers Philharmoniker unternommen haben, zu gut der Ruf, den das Orchester inzwischen
auch bei den internationalen Gast-Stars genießt.
„Das Schöne für mich in all den Jahren war, immer wieder
zu sehen, wie viel Enthusiasmus jeder Einzelne mitgebracht
hat“, gesteht Koch, der aus seiner Arbeit mit zahllosen Berufsorchestern um die Schwierigkeiten einer erfolgreichen
Dirigent-Musiker-Beziehung weiß. „Routine oder eingefleischte Rollen, wie es sie etwa an Theatern zwangsläufig
gibt, fallen bei uns glücklicherweise weg.“ Harmonie strahlt
er aus, wenn er in einem ruhigen ‚Moderato cantabile‘-Ton
und mit immer noch leicht bayerisch-gefärbten, kräftigen
„r“-Lauten erzählt; Harmonie hat Rainer Koch auch seinen
Musikern vom Pult aus stets vorgelebt. Er ist mit niemandem per Du. Das habe er „bewusst so gehalten“, zumal
er in dieser Beziehung „furchtbar altmodisch“ sei. Um zu
erkennen, dass er mit brennendem Herzen Musik macht,
braucht es kein „Du“. Hierarchie spielt für ihn keine Rolle.
Vorschläge aus dem Orchester nimmt er gerne auf, auch
heute noch. Koch, der stille Vater der Kompanie.
Sukzessiv hat er, dank seiner genauen Arbeitsweise, die eigenen Ansprüche ans Bayer-Orchester nach oben schrauben können, so dass ihm letztlich auch vor den ganz dicken
Brocken nicht bange war. So auch, als er im vergangenen
Jahr Giuseppe Verdis Messa da Requiem aufführen konnte,
mit Chören aus Wuppertal und Düsseldorf. Dieses Werk,
eine Mischung aus überrumpelnder Lust am Klang und
nüchterner Ingenieurskunst, erfordert Atem, Puls, Evolution, Spannung, Linie. Lauter Ideale, die Koch wichtig sind.
Dirigieren ist für ihn kein entrückter Vorgang, sondern das
Scharnier zwischen Komponist und Musikern.
Was aber macht Rainer Koch, wenn er nicht dirigiert?
„Na ja.“ Er zögert. „Ich bin schon sehr auf die Musik
fixiert“. Dann fällt ihm doch noch etwas ein. „Wenn Zeit
ist, fahre ich gern mit meiner Frau in Museen oder Ausstellungen – ein wunderbares Feld.“
Das Dirigenten-Karussell dreht sich zuverlässig weiter. Rainer Koch hat seinen Platz aus tiefster innerer Überzeugung
ausgefüllt. Wenn er das Karussell nun verlässt, weiß er um
seine Bedeutung für die Geschichtsbücher des Orchesters.
Daran erfreuen wird er sich vermutlich im Stillen.
Rainer Koch,
geborener Münchner, studierte in seiner Heimatstadt, bevor er als Repetitor ans Opernhaus Essen, dann als Dirigent zum Niedersächsischen Sinfonie-Orchester nach Hannover kam. Neben seinen Stationen an der Kölner Oper
(bis 1980) und als Generalmusikdirektor in Bielefeld (bis
1998) leitet er seit 1972 die Bayer Philharmoniker. Seit
1998 nimmt er einen Lehrauftrag an der Musikhochschule
Detmold war.
Das Bayer Kultur-Magazin
13
Gut gestARTet
Seit eineinhalb Jahren werden vielversprechende Nachwuchskünstler mit einem einzigartigen
Förderprogramm von Bayer Kultur untertützt. Ein musikalischer Zwischenbericht.
Text: Volker Mattern · Fotos: Lutz Voigtländer, Sibylle Fendt, Tomasz Trzebiatowski
In Sachen stART gibt es viel Positives zu berichten: neben
der Ausstellungsreihe Kunsthochschulen zu Gast, der zweiten Koproduktion mit der Busch-Hochschule Berlin (Troilus und Cressida wurde in Leverkusen und Berlin stürmisch
gefeiert!), dem vielbeachteten Gastspiel des jungen Choreographen und Tänzers Shang-Chi Sun und den Auftritten
junger Nachwuchsautoren in der Literatur-Kulisse, insbesondere in der Sparte MUSIK. Fangen wir mit dem Jazz an.
Neben sehr erfolgreichen Konzerten beim Elbjazz-Festival
in Hamburg und im Jazzgarten Frankfurt, hat das Benjamin Schaefer Trio kürzlich seine neueste CD vorgestellt. Der
Titel: Beneath the surface. Die Fachzeitschrift Jazz-Thing
berichtet darüber in seiner Oktober-Ausgabe wie folgt:
„Benjamin Schaefer ist mit seinem Piano-Trio mit Robert
Landfermann (Bass) und Marcus Rieck (Drums) längst in
der Bundesliga angekommen. Das Faszinierende an dem
Trio-Jazz des jungen Kölner Pianisten ist, dass er sich nicht
den Verlockungen des breiten Publikumsgeschmacks hingibt
(…). Ganz im Gegenteil: Zwar sind die Originals (sieben
von Schaefer, zwei von Rieck) bestimmt durch eine melodische Farbigkeit, durch eine impressionistische Harmonik
und Rückgriffe in die Geschichte dieser so traditionsreichen
Gattung. Doch das voraushörende Zusammenspiel der drei
und ihr für überraschende Momente sorgendes Interagieren
geben der Improvisationsmusik dieses Trios neue Impulse
14
und verorten sie ganz im Hier und Heute. Tatsächlich unter die Oberfläche geht der gerade mal 29-jährige Schaefer
dann, wenn er in fünf Stücken sein Trio mit dem Violinisten Christoph König, dem Cellisten Stephan Braun und den
beiden Klarinettisten Holger Werner und Niels Klein zum
Septett erweitert. Dass die Holzbläser und Streicher aber
weniger als Solisten eingebunden werden, sondern Schaefer
mehr mit den verschiedenen Klangfarben der Instrumente
‚komponiert’, unterstreicht noch stärker als im Trio seinen
kammermusikalischen Forschergeist.”
Und die Musik dieser – auch an anderer Stelle hoch gelobten – CD wird Benjamin Schaefer im nächsten Konzert der
at midnight-Reihe am 15. Januar 2011 im Studio des Bayer
Kulturhauses vorstellen.
„Kammermusikalischer Forschergeist“ beflügelt auch immer wieder das Signum Quartett. Sie beweisen dies mittlerweile auch auf wichtigen internationalen Konzertpodien.
Ob – mit keinem geringeren Klavierpartner als Leon Fleisher – beim renommierten Aldeburgh Festival, im Kammermusiksaal des Bonner Beethoven-Hauses („Die vier Musiker
spielten mit einer atemberaubenden, vor Intensität schier zu
berstenden Spannung“, hieß es im Bonner Generalanzeiger),
in Santander, Amsterdam oder im Berliner Schloss Charlottenburg: Aktuell manifestiert sich dieser Forschergeist auch
in der ersten CD-Einspielung dieses jungen Streichquartetts.
Ermöglicht durch Bayer Kultur haben Kerstin Dill (Violine), Anette Walther (Violine), Xandi van Dijk (Viola) und
Thomas Schmitz (Violoncello) zwei Streichquartette von
Ludwig Thuille (1861-1907) für das Label Capriccio eingespielt. Zweifellos handelt es sich hierbei um eine wichtige
Wiederentdeckung, denn Thuille war zu Lebzeiten durchaus
kein Unbekannter: Er übernahm 1890 in München die Kompositions-Professur von Joseph Rheinberger und schrieb in
erster Linie Lieder und Kammermusik. Sein frühes A-Dur
Quartett widmete Thuille übrigens seinem Freund Richard
den begehrten ECHO-Klassik zu gewinnen. Nach seiner
Auszeichnung als bester Nachwuchsinterpret 2009, wurde
er nun in der Kategorie „Solistische Einspielung des Jahres – 20./21. Jahrhundert – Klavier“ ausgezeichnet. Herzlichen Glückwunsch! Dass sein Name im Konzertbetrieb
mittlerweile etwas zählt, belegen seine sehr erfolgreichen
Debüts mit Tschaikowskys b-Moll-Konzert und dem aMoll-Konzert von Robert Schumann sowie eine Einladung
nach Madrid. Gemeinsam mit l’arte del mondo unter der
Leitung von Werner Ehrhardt kommt nun ein weiterer Repertoire-Klassiker hinzu, und zwar das monumentale erste
Strauss, der postwendend zurück schrieb „...exquisit, melodienreich, sehr schön gesetzt, brillant gemacht, voll Steigerung, herrliche Form“. Also eine zweite CD-Empfehlung!
Über eine weitere innovative Idee des Signum Quartetts,
nämlich das spartenübergreifende bzw. interdisziplinäre
Rilke-Projekt Die weiße Fürstin, wird auf den Seiten 8 und
9 dieses Magazins berichtet. Ungewöhnlich ist auch das Programm, das „die Signums“ für den gemeinsamen Abend mit
Alfred Brendel am 5. Februar 2011 konzipiert haben. Während der Grandseigneur des Klaviers aus seinem zwischenzeitlich umfänglichen lyrischen Œuvre liest, kontrapunktiert
das Signum Quartett seine Texte dramaturgisch klug, korrespondierend bzw. kommentierend, mit Hugo Wolfs Italienischer Serenade in G-Dur, Charles Ives’ Scherzo for String
Quartet, Carl Orffs Quartettsatz für 2 Violinen, Viola und
Violoncello und Erwin Schulhoffs Fünf Stücken für Streichquartett – mit letzteren haben diese vier exzellenten jungen
Musiker im altehrwürdigen Amsterdamer Concertgebouw
kürzlich das Publikum zu Ovationen hingerissen. Und das
will in einem der berühmtesten Konzerthäuser der Welt
schon etwas heißen!
Klavierkonzert d-Moll von Johannes Brahms. Das Besondere dieses Projekts liegt darin, dass die beiden Konzerte im
Bayer Kulturhaus mit sogenannten „alten Instrumenten“
realisiert werden; beim renommierten Label MDG entsteht – als Weltpremiere auf historischem Instrumentarium – eine CD-Produktion „live aus dem Bayer Kulturhaus
Leverkusen“. Es spricht alles dafür, dass auch diese CD eine
Empfehlung verdienen wird.
Mit der von Bayer Kultur ermöglichten Gesamteinspielung der Kompositionen Arnold Schönbergs für Klavier
solo schaffte es Hardy Rittner zum zweiten Mal in Folge,
Jazz at midnight – Benjamin Schaefer Trio +4
SA 15.01 | ca. 22:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen
Die weiße Fürstin Uraufführung
SA 23.01 | 20:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen
Alfred Brendel | Signum Quartett
SA 05.02 | 20:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen
l’arte del mondo | Hardy Rittner
DO 10.02 | 20:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen
FR 11.02 | 20:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen
Das Bayer Kultur-Magazin
15
Rainer Hunold
Ein Fall für Einen
Im Februar 2011 steht ein selten gespieltes Stück des Theaterautors Kästner auf dem Spielplan
von Bayer Kultur – in der Hauptrolle: Rainer Hunold. Ein Porträt.
Text: Reiner Ernst Ohle · Fotos: Jens Kalaene/Picture Alliance, ARD/Gottfried Weimann, Rainer Hunold
Gemeinsam mit Eberhard Keinsdorff hat Erich Kästner als
mit Berufsverbot belegter Autor 1937 unter dem Pseudonym Eberhard Foerster das Stück Verwandte sind auch nur
Menschen verfasst – ein witziger, elegant gebauter, jeden Effekt sorgsam vorbereitender Text des Typs „reich gewordener Heimkehrer testet die Stätten seiner Jugend auf Moral
und Erbschaftseignung“: ein sehr reicher Mann aus Amerika lässt sich totsagen, um, als Diener verkleidet, die weit
verzweigte Sippe, die ihn nicht kennt, bei der Testamentseröffnung zu beobachten und zu ärgern.
Die Rolle des Justizrates Ernst Klöckner, der im Stück zwischen dem rachsüchtigen Millionär und den im Grunde
sympathischen Verwandten steht, hat in dieser aufwändigen
Tourneeproduktion Rainer Hunold übernommen, einer der
beliebtesten und bekanntesten Fernsehschauspieler Deutschlands. Er hat sechs Semester Kunstpädagogik und Germanistik studiert, bevor er den Beruf des Schauspielers an der
Max-Reinhardt-Schule in Berlin von der Pike auf erlernte.
„An der Rolle reizte mich besonders das darstellerische Potenzial, das Gefälle dieser Figur zwischen den Fronten. Und
natürlich die Arbeit mit einem wunderbaren Ensemble, in
dem jeder seinen Beruf mit Herzblut ausübt.“
Nach eigenem Bekunden hat der Schauspieler drei Bereiche,
in denen er sich wohlfühlt und in denen er gerne unterwegs
ist: „Das ist das Spielen, das ist die Bildhauerei und das ist
das Schreiben“, bekennt er offen im Gespräch. Seit Ende
der 1970er-Jahre hat er sich durch Fernsehserien und Fernsehfilmen seine große Popularität erarbeitet: 1990 begann
die Staffel der Fernsehserie Ein Fall für Zwei mit Rainer
Hunold als Strafverteidiger Dr. Rainer Franck an der Seite
16
des Privatdetektivs Josef Matula alias Claus Theo Gärtner,
ab 1997 war er der Arzt Dr. Peter Sommerfeld als Nachfolger von Dr. Peter Brockmann alias Günter Pfitzmann in
der Praxis Bülowbogen. Der Schauspieler ist verheiratet,
hat zwei Adoptivkinder und ist als Botschafter für die SOSKinderdörfer unterwegs. Er unterstützt darüber hinaus den
Verein „Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland
e.V.“, der sich bundesweit gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und rechtsextreme Gewalt einsetzt.
In den Dienst seines Engagements als Botschafter der SOSKinderdörfer stellt er seine Passion für die Bildhauerei: entstanden sind Skulpturen aus Baumstämmen, die er mit Kupfernägeln beschlägt. „Bei mehreren Versteigerungen wurden
bis zu 4.000 Euro für ein Objekt erzielt. Das hat mich
motiviert, weiter zu machen.“ Im Juni 2009 hatte er mit
diesen Arbeiten seine erste Einzelausstellung in der Galerie
„Braubachfive“ in Frankfurt/Main. Der Grimme-Preisträger
(für seine Darstellung des Managers Bernd Otto in einem
halb-dokumentarischen Film über den Co-Op-Skandal) ist
darüber hinaus auch als Drehbuch- und Buchautor aktiv.
Sein Buch Ich bin nun mal dick: Ein Wohlfühlbuch ist ein
großes Plädoyer für einen entspannten und souveränen Umgang mit dem eigenen Körper. Die Dreharbeiten zur fünften
Staffel der ZDF-Krimireihe Der Staatsanwalt mit Rainer
Hunold haben im August 2010 in Wiesbaden und Umgebung begonnen.
Verwandte sind auch nur Menschen
SO 06.02 | 18:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen
| im Anschluss: Kulissen-Talk –
Rainer Hunold im Gespräch mit Silke Schenk
Moderner
Geschichtenerzähler
Der junge Leverkusener ist mehr als „nur“ ein Autor. Bei seinem Auftritt in der Literatur-Kulisse
widmet er sich aber dem klassischsten seiner Arbeitsfelder: dem Buch.
Text: Reiner Ernst Ohle · Foto: Thorsten Nesch
Vier Mal pro Spielzeit verwandelt sich die Theatergaststätte
„Kulisse“ in die Literatur-Kulisse. Auf Einladung von Bayer Kultur lesen Schriftsteller eine Stunde aus ihren Werken.
Das Podium gehört dabei nicht nur renommierten Vertretern der Zunft wie Ingo Schulze, Christoph Ransmayr oder
Péter Esterházy. So wie in den anderen Sparten Kunst,
Theater, Musik und Tanz öffnet sich Bayer Kultur
auch in der Literatur jüngeren Schriftstellern, die – wie der
Leverkusener Autor Thorsten Nesch – dem großen Publikum noch weniger bekannt sind.
Wer vom Schreiben leben will, kann sich als Autor heute nur selten exklusiv einem Medium widmen. Thorsten
Nesch gehört zu einer Autorengeneration, die den Anforderungen unterschiedlicher
Medien gerecht werden und
gleichzeitig oder nacheinander mehrere Medien bedienen können. „Ob Tweet,
Social Media, Blog, Artikel,
Kolumne, Kurzgeschichte,
Theater, Hörspiel, Roman,
Drehbuch oder Computergame – bevor ich mich an
die Arbeit mache, entscheide ich mich für das Medium, das die optimalsten
Entwicklungsmöglichkeiten des Stoffes verspricht“.
Als ein moderner Geschichtenerzähler ist er auf der Bühne
ebenso zuhause wie im Hörfunk und im Film. „Unter Beachtung einiger universeller und medienspezifischen Grundregeln des Erzählens wird die Story immer konkreter und
komplexer ausgearbeitet“, sagt er über seine Arbeitsweise.
Handwerkliche Voraussetzungen wie Phantasie, Stil- und
Sprachgefühl, Ausdauer und Disziplin sind jedoch nicht
mehr die einzigen Fundamente für den Beruf des Schriftstellers. Thorsten Nesch, der 1968 in Solingen geboren wurde,
ist auch ein begnadeter „Liveperformer“ und Kabarettist,
was ihn beim „Lesart Literaturfestival“ in Schwabach mit
Wladimir Kaminer, Alissa Walser, Moritz Rinke und Wolf
Haas zusammenführte. Bei Festivals oder Splitabenden war
er gemeinsam mit Heinrich Pachl, Jess Jochimsen, Wilfried
Schmickler, Rosa K. Wirtz und Ars Vitalis auf der Bühne. Bekannt geworden ist der dreifache Familienvater mit seinem
Roman Strandpiraten des Lebens, in dem die Hauptfigur als
Rucksacktourist durch Kanada reist, wo er auf skurrile Zeitgenossen stößt. Für die Neue Rheinische Zeitung war Nesch
daraufhin der „Rheinland-Kerouac“ – ein Qualitätsmerkmal seiner Arbeit: die Dialoge, authentisch und nahe am Alltag angesiedelt, haben einen großen Wiedererkennungswert,
sind witzig, klug und unterhaltsam. Darüber hinaus hat er
Schreibworkshops für Jugendliche organisiert mit Themen
wie „Jugendromane schreiben – für Jugendliche!“, „Multimedial Writing – Ideen umsetzen in verschiedenen Medien“
oder „VideoFilmMaking“. Dieser Zweig seiner schriftstellerischen Arbeit führte ihn
im Oktober 2010 auf eine
10 tägige Mittelmeertour:
auf einem Kreuzfahrtschiff
der TUI hat er erstmals Lesungen und Literaturworkshops für Urlauber angeboten. Sein neues Buch Joyride
Ost hat er in drei Lesungen
auf der Leipziger Buchmesse
im März 2010 vorgestellt.
Erste Teile aus Joyride Ost
sind von jugendlichen LeserInnen in Eigenregie verfilmt
und auf Youtube gestellt
worden. Das Buch – ein Roadmovie-Roman, der mühelos
und kurzweilig Themen wie die erste Liebe oder den Generationenkonflikt aufgreift – erzählt von dem Moslem Tarik
und der Russin Jana, die zufällig das Auto eines MafiaKillers klauen und in eine Situation geraten, die ihnen über
den Kopf wächst. Im April 2010 erhielt Thorsten Nesch
ein Literaturstipendium des Landes NRW zugesprochen
und mit dem New Yorker Comic-Zeichner Thomas Baehr
hat er kürzlich ein gemeinsames Frühwerk veröffentlicht.
Water kann man sich bei ACT-I-VATE anschauen – dem
führenden Webportal für Indi Comics in den USA.
Thorsten Nesch
DO 13.01 | 20:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen
Das Bayer Kultur-Magazin
17
Mythisches
zum Jubiläum
Zwei tragische Liebesgeschichten der Oper vereinen sich in der neuen Arbeit von Edouard Lock zu
einem romantischen und technisch anspruchsvollen Ballettabend, um den 30. Geburtstag der kanadischen
Kultcompagnie „La La La Human Steps“ besonders glanzvoll zu feiern.
Text: Bettina Welzel · Foto: Edouard Lock
La La La Human Steps
Gegründet vor 30 Jahren, anlässlich eines kleinen Festivals
in einem kleinen Theater in Montréal, trat die Truppe um
ihren Choreographen Edouard Lock schon bald danach in
The Kitchen in New York auf, zur damaligen Zeit ein Epizentrum für den zeitgenössischen Tanz.
Seitdem haben Edouard Lock und seine Kompanie „La La
La Human Steps“ einer ganzen Tanzgeneration den Weg
gewiesen. Ihr akrobatischer Zugriff ließ dem Publikum immer wieder den Atem stocken und machte Louise Lecavallier, Locks Startänzerin in den 80er Jahren, legendär. Mit
maximaler Energie und vollem Risiko tanzte sich „La La
La Human Steps“ zu Weltruhm.
Ihre Turnschuhe haben die kanadischen Tänzer längst
gegen Spitzenschuhe getauscht, das Sportive hat präziser
Körperkunst und von Filmprojektionen erhellten Szenarien
Platz gemacht. Nicht umsonst nennt man Edouard Lock
heute den Intellektuellen des Balletts. Er beweist, dass Tanz
ganz zeitgemäß sein kann, selbst wenn er auf der Spitze
getanzt wird. Die Ästhetik der Ballettromantik kontern die
Kanadier mit virtuosem Hochgeschwindigkeitstanz.
18
Im neuen Jubiläumsstück zerlegt Lock zwei Opern mit
Kultsymbolcharakter aus dem Barock: Dido und Aeneas
von Henry Purcell und Glucks Orpheus und Eurydike. Der
Abend wird mit Dido und Aeneas beginnen, und während
Dido stirbt, führt der Tanz direkt zu Orpheus. Von Didos
Tod direkt zu Eurydikes Isolation im Hades, wo sie auf
Orpheus’ Erscheinen wartet. Daher wird Orpheus durch
Dido und Aeneas beeinflusst werden.
Ursprünglich stehen die beiden Opern in keinerlei Zusammenhang, doch hofft der Choreograph, dass durch die zeitliche Nähe, in der sie entstanden sind, sowie durch ihren
Bekanntheitsgrad, das Publikum automatische Assoziationen zwischen beiden Werken herstellen wird, die unabhängig vom Bühnengeschehen in den Köpfen der Zuschauer
eine eigene Geschichte entstehen lassen. „Meiner Meinung
nach ist Zuschauen immer ein inklusiver Vorgang“, schreibt
Edouard Lock in einem Arbeitspapier, entstanden zu Beginn der Probenarbeiten für das neue Werk. „Ein Publikum
wird immer Dinge zusammenbringen ohne Rücksicht auf
den tatsächlichen, objektiven Zusammenhang. Es scheint
mir fast ein natürlicher Vorgang, ähnlich wie wir Sonne und
Mond, Himmel und Erde, Bäume und Wind assoziieren.
Sobald wir etwas sehen, verliert es seine subjektive Realität
und wird zum Symbol. Symbole aber haben Eigenschaften
und diese wiederum sind fließend. Daher können sie leicht
verzerrt werden, um Teil unserer persönlichen Realität zu
werden. Dies ist einer der Grundgedanken meiner Arbeit,
auf den ich immer wieder zurückkomme. Ich bin davon
überzeugt, dass auch unser kulturelles Gedächtnis auf diese
Art und Weise funktioniert. Mit der Zeit verschieben sich
Ereignisse, lösen sich aus ihrem ursprünglichen Kontext,
eine neue Geschichte entsteht“.
Zu der eigens für dieses Stück entstandenen Musik des englischen Komponisten Gavin Bryars, die live auf der Bühne
gespielt wird, kombiniert Edouard Lock klassische Schrittfolgen mit atemberaubenden Beschleunigungen. Eine Herausforderung für die virtuosen Tänzerinnen und Tänzer,
die in diesem neuen Werk mit größtem Ausdruck brillieren
und Locks Sprache zu höchster Entfaltung bringen.
New Work by Edouard Lock
SA 29.01 | 20:00 | Forum
Impressum
08
Januar/Februar 11
Kulturkalender
Januar.11
SA 01.01 17:00Neujahrskonzert
Mplus
BK
SO 09.01 18:00 DSO Berlin
SK
FO
SO 09.01 18:00 Julius Cäsar, Cleopatra, Antonius
SCHk
BK
MO 10.01 10:00 Workshop Schauspiel
Mm!
BK
MO 10.01 20:00 Julius Cäsar, Cleopatra, Antonius SCHk/-16+x BK
DO 13.01 20:00 Thorsten Nesch
Lit
Kul
FR 14.01 20:00 Orpheus in der Unterwelt
BB
BK
SA 15.01 20:00 Orpheus in der Unterwelt
BB
BK
SA 15.01 22:00 Benjamin Schäfer Trio and Friends Jam
BK
MI 19.01 20:00 WDR Big Band – Very Personal
Jazz
BK
SA 22.01 20:00 Die weiße Fürstin UA
SCHh
BK
SO 23.01 18:00 Das Kleinmaleins vom Sein
Studio
BK
DO 27.01 20:00 D. Grimal /G. Pludermacher
KM
BK
DO 27.01 20:00 Der Zauberer von Oz
FILM
FO
SO 29.01 20:00 Edouard Lock: New Work
Tanz
FO
SO 30.01 11:00 Hölderlin Quartett
KLM
Mo
SO 30.01 14:00 Orpheus in der Unterwelt UA
-8+x
BK
MO 31.01 20:00 Igor Kamenz
KL
BK
DI 01.02 20:00 Igor Kamenz
KL
Wu
DO 03.02 20:00 Medea
FILM
FO
SA 05.02 20:00 Alfred Brendel/Signum Quartett
Pas
BK
SO 06.02 11:00 Stephan König Trio
Jazz
Kul
Februar.11
Herausgeber: Bayer AG Communications | Bayer Kultur
Verantwortlich: Dr. Volker Mattern
Redaktion: Silke Schenk
Texte: Silke Leopold Von den zwei Kulturen des Gesanges (Originalbeitrag);
Christoph Vratz Lust und Disziplin (Originalbeitrag)
Weitere Texte: Volker Mattern, Reiner Ernst Ohle, Bettina Welzel
Redaktionelle Mitarbeit: Christa Doyuran, Carolin Sturm
Designkonzept: Büro Kubitza, Leverkusen
Layout und Realisation: wedeldesign.foto
Titelbild: Bühnenbildskizzen von Manfred Kaderk, Collage von wedeldesign
Bildnachweis S. 2: Mitja Arzensek
Bildnachweis S. 4: Franz von Stuck, Orpheus; Foto: Gisela Peltz (TU Dresden)
Bildnachweis S. 6: Orpheus und die wilden Tiere; Foto: Augusta Stylianou
Druck: Heggendruck, Leverkusen
Auflage: 3.000
© Bayer AG Communications | Bayer Kultur 2010
Redaktion KUNSTstoff
c/o Bayer Kultur
Kaiser-Wilhelm-Allee | Gebäude Q 26 | 51368 Leverkusen
Telefon 0214.30-41277 | Telefax 0214.30-41282
SO 06.02 18:00 Verwandte sind auch nur MenschenSCHm
BK
SO 06.02 20:30 Rainer Hunold
Talk
Kul
MI 09.02 16:00 Exkursion Kunstakademie D’dorf
-16+x
MI 09.02 20:00 Péter Esterházy
Lit
Kul
MI 09.02 20:00 Les quatre cents coups…
FILM
FO
DO 10.02 16:00 Exkursion Kunstakademie D’dorf
-16+x
DO 10.02 20:00 l’arte del mondo/Hardy Rittner
SK
BK
FR 11.02 20:00 l’arte del mondo/Hardy Rittner
SK
BK
DO 17.02 20:00 Alphaville
FILM
FO
DO 24.02 20:00 Bonnie and Clyde
FILM
FO
Bis SO 06.02 KUNST
BK
Ausstellung: Labor Berlin
Änderungen vorbehalten!
Karten
Karten-/Abonnementbüro im Bayer Kulturhaus, Leverkusen
Öffnungszeiten: MO-DO 9:00-16:00 | FR 9:00-13:00
Telefon 0214.30-41283/84 | Telefax 0214.30-41285
Kurzparkmöglichkeit (15 Min.) für Kunden des Kartenbüros vor der Kulisse.
Abendkassen je 1 Std. vor Veranstaltungsbeginn
Bayer Kulturhaus, Nobelstraße 37, 51373 Leverkusen | Telefon 0214.30-65973
Forum, Am Büchelter Hof, 51373 Leverkusen | Telefon 0214.406-4157
kultur.bayer.de
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