Karl August Lingner: der Kommunikations

Werbung
Karl August Lingner: der Kommunikations- und Markenprofi?
Wolfgang Donsbach1
Man kann sich nicht mit Karl August Lingner beschäftigen, ohne auf Markenbildung,
Marketing und Werbung zu sprechen kommen. Wie immer bei historischen Rückblicken und
zumal solchen, die ein gewisses Lokalkolorit haben, muss man sich vor Übertreibungen und
Glorifizierungen hüten. Das ist sicher auch bei Lingner, dem auch-Dresdner, angesagt.
Blicken wir also mit einem wohlwollenden, aber auch distanzierten Blick auf seine Leistung
im Bereich von Marketing und Marktkommunikation. Ich werde dies in drei Abschnitten
versuchen: Zunächst will ich ein paar begriffliche und konzeptionelle Grundlagen schaffen
und die Begriffe „Marke“ und „Werbung“ näher beleuchten, dann das historische und vor
allem wirtschaftliche Umfeld, in dem Lingner seine Aktivitäten entfaltete und schließlich die
Marke „Odol“ als ein Lehrbeispiel für Markenführung beschreiben. Am Ende steht ein kurzes
Fazit.
1 Grundlagen des Marketing
1.1 Was ist eine Marke?
Unter einer „Marke“ verstehen wir alle Merkmale eines Produkts, vor allem aber visuelle
Eigenschaften. „Marke“ leitet sich aus dem mittelhochdeutschen „marc“ (Grenze oder
Grenzline zur Unterscheidung) und dem französischen „marque“ (auf einer Ware
angebrachtes Zeichen) ab (Esch & Hartman nach Hohl & Naskrent 2010: 67).
Schon im fünften Jahrhundert wurden Marken als Hausmarken, Porträt- und Wappensiegel
genutzt, um Personen und Gegenstände zu kennzeichnen und eine Unterscheidung zu
ermöglichen. Die heute umgangssprachliche Formulierung „etwas im Schilde führen“ geht
auf die Wappen zurück, welche die Ritter auf ihrem Schild trugen und ihnen als
Erkennungszeichen dienten. Ab dem 12. Jahrhundert haben sich dann die verschiedenen
Zünfte bestimmte Marken, die so genannten „Zunftmarken“ gegeben. Die umfassenden
gesellschaftlichen Umbrüche auf der einen und der Industrialisierung auf der anderen Seite
führten im 19. Jahrhundert schließlich zu dem Markenwesen, wie wir es heute kennen.
Was ist die Aufgabe der Marke? Sie soll zwischen dem Angebot des produzierenden
Unternehmens und der Zielgruppe kommunikativ vermitteln. Denn erst durch die Marke
bekommt das Produkt ein markantes Gesicht. Der Markenauftritt eines Unternehmens nach
außen wird dabei über das Corporate Design bestimmt. Hier geht es darum, mit Hilfe der
Marke das Produkt aus der großen Masse ganz ähnlicher Erzeugnisse herauszuheben und sich
somit vom Angebot anderer Hersteller abzuheben (Sattler & Völckner 2007: 38). Marken
erleichtern es dem Konsumenten also, das Produkt überhaupt erst zu erkennen und entlastet
ihn damit bei seiner Aufgabe, sich im Dickicht des Warenangebots für das für ihn richtige
Produkt zu entscheiden. Für den Verbraucher erfüllt die Marke damit eine wichtige
Orientierungsfunktion.
Was führt eine Marke zum Erfolg? Auf diese Frage gibt es viele Antworten. Tropp (2004:
154) zählt dazu alle Faktoren, „die die Attraktivität des Markenunterschieds beeinflussen
1
Unter Mitarbeit von Andreas Haubold, Tim Tschapek und Mathias Rentsch
1
können.“ Darunter fallen beispielsweise der Markenname, das Markendesign, das
Markenimage oder die Markenidentität. Es reicht bis zur Verpackung und der Werbung.
König (1993: 142) geht sogar so weit zu behaupten, dass das, was ein Produkt eigentlich im
Kern ausmacht, durch Verpackung und Vermarktung in den Hintergrund tritt. Das Design,
beispielsweise das Logo oder eine bestimmte Farbgebung, wurde im Laufe der Zeit immer
wichtiger. Dies führte letztlich zur Entstehung eines „Markenartikels“ und dazu, dass die
Marke selbst nicht mehr von ihrem Gesicht zu trennen ist.
Für Tropp sind zwei Faktoren der Schlüssel zum Erfolg: Da ist zum einen die Markenstatur
als gegenwärtige Position der Marke. Diese Position hängt davon ab, wie vertraut die Marke
den Konsumenten ist und welches Ansehen sie genießt. Weiterhin nennt der Verfasser die das
Wachstumspotenzial bestimmende Markenstärke, die durch die objektive Relevanz des
Produkts und die Differenzierung im Markt bestimmt wird. Der Markenschutz spielt hierbei
eine besondere Rolle, denn die Marke muss vor Imitationen geschützt werden – um in der
Wahrnehmung der Kunden der einzige Anbieter des Artikels zu bleiben.
Doch wie lässt sich eine Marke, ein bestimmter Name oder ein Slogan schützen? Das
Markenrecht unterscheidet im Wesentlichen die Wortmarke, die Bildmarke und die
Wort/Bildmarke. Die Wortmarke schützt ein Wort in jeder beliebigen Darstellung, die
Bildmarke wiederum eine bestimmte grafische Darstellung. Die Wort-/Bildmarke schützt ein
Wort, einen Namen oder einen Begriff in Verbindung mit einem oder mehreren grafischen
Elementen. Daneben gibt es einige weitere Spezialformen.
Lässt sich der Wert einer Marke messen? Mit bestimmten Marken wird häufig auch ein
besonderer Wert verbunden. Es ist nicht einfach, einen solchen Markenwert quantitativ zu
bestimmen und es gibt inzwischen über 500 unterschiedliche Modelle zur Berechnung des
Werts einer Marke. Dabei sind viele Modelle zwar ausgesprochen komplex, erfüllen jedoch
nicht die Gütekriterien psychodiagnostischer Verfahren, nämlich Objektivität, Reliabilität und
Validität. Der Wildwuchs an unterschiedlichen Berechnungsverfahren führt dazu, dass zum
Beispiel der Markenwert von Coca Cola zwischen 0,2 und 64 Milliarden US-Dollar beträgt…
1.2 Was ist Werbung?
Lange Zeit war der Begriff „Werbung“ in Deutschland gar nicht gebräuchlich, vielmehr war
es üblich, von „Reklame“ zu sprechen. Das änderte sich erst seit 1910. Ganz entscheidend
dafür war der Werbefachmann Hans Weidenmüller, der das Wort propagierte, um die
negative Konnotation der „Reklame“ zu vermeiden (Lamberty 2000: 17ff.).
Wie muss der Konsument angesprochen werden, damit Werbung funktioniert? Kroeber-Riel
(2004: 39) hat drei grundlegende Kanäle zur Beeinflussung des Konsumenten ausgemacht:
Aktualisierung, Emotion und Information. Aktualisierung heißt, die Werbung des Produkts in
den Köpfen der Menschen präsent zu machen und präsent zu halten. Dies geschieht durch
Wiederholungen der Werbebotschaft, Größe, eine besondere Aufmerksamkeit durch
Individualität, einen geeigneten Mix der Werbemedien (der heute nicht nur die klassischen
Medien, sondern auch Social Media im Internet einschließt) sowie eine gute
Zielgruppengenauigkeit und Kontaktqualität. Dies führt im besten Fall zu einem ausgereiften
Kommunikationsmix aus Merchandising, Public Relations, inszenierten Events und
Sponsoring.
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Emotionalität wird vor allem über Bilder hergestellt. Auf Emotionen heben Werber besonders
dann ab, wenn das Produkt allgemein bekannt ist und die Marke sich kaum von
konkurrierenden Marken unterscheidet. Indem jetzt spezifische Konsumerlebnisse vermittelt
werden, die andere Marken nicht bedienen, kann sich die Marke erfolgreich von ihren
Konkurrenten abheben (Kroeber-Riel & Esch 2004: 46). Die in den über die Werbung
kommunizierten Informationen binden sich zumeist an die Unique Selling Proposition (USP),
also das Alleinstellungsmerkmal der Marke gegenüber Wettbewerbern, an. Indem ein
einzigartiger Nutzen kommuniziert wird, den andere Anbieter so nicht herstellten können,
wird der Konsument rational vom Produkt überzeugt und für ihn nachvollziehbar, weshalb er
sich gerade für diesen Artikel entscheiden sollte.
Ein wenig wissenschaftlicher formulieren dies Meffert, Burmann und Kirchgeorg (2008):
„Die Positionierung definiert die Verankerung eines Nutzenversprechens von einem
Kommunikationsobjekt (brand promise) in den Köpfen der Nachfrager anhand weniger,
ausgewählter Eigenschaften im Sinne einer intelligenten Reduktion. Dabei sollte sich dieses
Vorstellungsbild möglichst klar darstellen (intuitiv verständlich, einfach und selbsterklärend),
sich von den Konkurrenzangeboten unterscheiden und gleichzeitig möglichst nah an den
Präferenzen der Zielgruppe liegen. Ist dies der Fall, wird das Nutzenversprechen i. d. R. in
hohem Maße kauf-verhaltensrelevant.“ Dies spiegelt sich auch in der weithin bekannten
AIDA-Formel wider, die die Stufen Aufmerksamkeit (Attention), Interesse (Interest),
Verlangen (Desire) und Handlung (Action) vereint.
In der kommunikationswissenschaftlichen Forschung werden heute jedoch häufiger
kognitionspsychologische Ansätze genutzt, um die Wirkung von Werbung zu untersuchen.
Das bekannteste darunter ist das Elaboration-Likelihood-Modell, das einen zentralen und
einen peripheren Weg der Verarbeitung von Informationen im menschlichen Gehirn
beschreibt. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass Werbung auf Seiten der Konsumenten
kaum etwas mit einer rationalen Auseinandersetzung, sondern vielmehr auf der peripheren
Route und damit recht flüchtig verarbeitet wird. Dies nimmt man heute auch für die
Kommunikation von politischen Informationen an, was eher beunruhigend ist.
Es lässt sich ein klares Zwischenfazit: Eine Marke lebt von dem Produkt und dessen Design.
Die Kommunikation über das Produkt lebt von Emotionalität und dem rationalen Appell an
den Konsumenten. Entscheidend ist dabei die Vielfalt im Kommunikationsmix. Sehen wir uns
nun an, In welchem Umfeld Karl August Lingner seine Leistungen auf diesem, bis hierher
etwas theoretisch definierten, Gebiet vollbracht hat.
2 Das Umfeld der Aktivitäten von Karl August Lingner
2.1 Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts
In welcher Gesellschaft lebte Karl August Lingner? Zum Ende des 19. Jahrhunderts
veränderten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland hin zu relativem
Wohlstand und geordneten Lebensbedingungen der Menschen. So bildeten sich auch
verschiedene Zielgruppen mit unterschiedlichen Einkommen und eigenen Bedürfnissen
heraus, an die sich die Markenkommunikation der Unternehmen nun differenziert wendete.
Belege dieser umfassenden gesellschaftlichen Modernisierung waren zum Beispiel der
kontinuierliche Bevölkerungsanstieg und die von Bismarck zwischen 1880 und 1890
eingeführte und in ihrem Kern bis heute wirkende Sozialgesetzgebung mit einer Kranken-,
Unfall und Rentenversicherung für jeden deutschen Staatsbürger. Nicht alle Teile der
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Gesellschaft partizipierten am neuen Wohlstand dieser Zeit, doch im Durchschnitt zogen die
Realeinkommen privater Haushalte und mithin die Nachfrage nach Konsumgüter kräftig an
(Lamberty 2000: 21). Nach der so genannten Trickle-down-Theorie führt ein zunehmendes
Warenangebot zu einer Verringerung der Produktionskosten durch höhere Skaleneffekte. In
der Folge fallen die Preise, auch der Wohlstand unterer Schichten steigt an und es können
neue Märkte entstehen.
Neben der zunehmenden wirtschaftlichen Prosperität in Deutschland im ausklingenden 19.
Jahrhundert war noch eine weitere Entwicklung zu beobachten: Die Themen Gesundheit und
Hygiene drangen durch die Fortschritte in der Medizin immer stärker in das Bewusstsein der
Bevölkerung vor. Robert Koch, Louis Pasteur, Albert Neisser und Ignaz Semmelweis sind nur
einige Persönlichkeiten unter vielen in dieser Zeit, die mit ihrer Forschung die Hygiene
verbesserten und die Wahrnehmung ihrer Bedeutung für die eigene Gesundheit des Menschen
verstärkten. Die moderne Wissenschaft erlebte ihren Durchbruch, plötzlich standen sich die
Naturwissenschaften und die bislang dominierende Alternativ- und Volksmedizin
konkurrierend gegenüber (Obst 2005). Karl August Lingner war ein Mann, der sich weder auf
die eine noch auf die andere Seite schlug. Sein Medizinverständnis setzte genau am
Schnittpunkt dieser beiden „Anschauungen“ an. Fazit: Er bewegte sich mit seinen
Hygieneprodukten in einem Bereich, der en vogue war und in dem es bereits eine gute
Aufnahmebereitschaft der Menschen gab.
2.2 Wirtschaftliches Umfeld
Durch die Industrialisierung änderte sich auch die Art wirtschaftlichen Handelns. Lange Zeit
wurde genau dort für Artikel geworben, wo sie auch verkauft wurden: auf den Märkten, wo
Marktschreier auf den Plätzen der Städte lautstark für ihre Produkte die Trommel rührten. Die
anonyme Ware wurde zunehmend mit einer „Markierung“ versehen und die Markenprodukte
zu Festpreisen angeboten. Durch den Wegfall des Feilschens trat die Beziehung zwischen
dem Händler und dem Käufer immer mehr in den Hintergrund. Diese persönliche Beziehung
wurde durch eine Beziehung zur Ware ersetzt (Zurstiege 2007: 25).
Die gewaltige Zunahme der Industrieproduktion führte zu zahlreichen neuen
Unternehmensgründungen. Die Zahl der Handelsbetriebe im Deutschen Reich wuchs
zwischen 1882 und 1907 von gut 600.000 auf über eine Million. Gleichzeitig stieg die Zahl
der Mitarbeiter in der Industrie von etwa 800.000 auf über zwei Millionen. Noch 1837 kamen
auf 10.000 Einwohner nur 33 Geschäfte, 1861 waren es bereits 44, 1895 schließlich sogar 77
Unternehmen (Lamberty 2000). Mit den Handelsbetrieben wuchs natürlich auch die Anzahl
der erhältlichen Produkte. Die Aufhebung des Zunftzwangs öffnete die Tür zu einer
Spezialisierung bei der Warenproduktion.
In den Städten wurden nun wurden immer häufiger größere Warenhäuser eröffnet, die eine
breite Produktpalette feilboten. Die ersten Warenhäuser entstanden in den 50er Jahren des 19.
Jahrhundert in Frankreich, zum Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten sie sich auch in
Deutschland. Interessanterweise setzte diese Entwicklung zunächst in den Klein- und
Mittelstädten ein, ehe sie in den deutschen Großstädten ankam (Lerner 2009). Das ehemals
einfache Verhältnis zwischen Produzent und Konsument wandelte sich fortan zu einer immer
anspruchsvolleren und schwierigeren Beziehung zwischen jenen, die herstellten, und jenen,
die die Waren kaufen.
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Neben den neuen Warenhäusern veränderte das Stadtbild vor allem eine Innovation der
Werbetechnik: die allgegenwärtige Reklame. Die Wahrnehmung der Produkte durch die
Bevölkerung veränderte sich gravierend. Gleichzeitig verringerte sich die
Aufmerksamkeitsspanne für Werbeplakate, so dass sich die Botschaften auf nur wenige
Schlagworte beschränkten (Lamberty 2000: 17ff.). Da die technischen Voraussetzungen
gegeben waren, konnte Reklame relativ preiswert hergestellt und in der
Markenartikelindustrie flächendeckend eingesetzt werden. So wurde es durch den im Jahre
1798 von Alois Senefelder erfundenen Steindruck (Lithografie) möglich, Plakate
kostengünstig in großer Stückzahl herzustellen. Durch die Weiterentwicklung zur
Chromolithografie wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch der mehrfarbige Druck
möglich (Lamberty 2000: 185). 1854 hat der Buchdrucker Ernst Litfaß die Genehmigung
erhalten, eine erste „Annoncier-Säule“ in Berlin aufstellen zu können – später brachte ihm das
den Ruf des „Reklamekönigs“ und „Säulenheiligen“ ein (Gunkel 2010). Fazit: Das
wirtschaftliche Umfeld schrie nach kommunikativen Mitteln, wie man sich in einem
zunehmend komplexeren Markt behaupten konnte, in die die direkte Beziehung zwischen
Produzent und Konsument längst aufgehoben war und die technischen Entwicklungen boten
hierfür Lösungen an.
2.3 Direkte Einflüsse auf Karl August Ligner
USA
In den 1880ern erhoben sich die USA aus einer schweren wirtschaftlichen Depression, die
heute noch als „longest sustained downturn in the history of the U.S. economy“ (Tedlow
1997: 69) gilt. Der wirtschaftliche Aufschwung in den Vereinigten Staaten forcierte sowohl
den Massenkonsum als auch ein Produktmarketing bislang nicht gekannten Ausmaßes. In
diesen Jahren gründeten sich einige der großen US-Unternehmen, die auch mehr als ein
Jahrhundert später große Gewinne erwirtschaften und inzwischen zu globalen Konzernen
aufgestiegen sind: Darunter sind zum Beispiel Heinz (1869), Levi Strauss (1873), Kodak
(1889), Coca Cola (1892), Wrigley (1893) und Kellogg’s (1906) – auch wenn einer von ihnen
2011 die Segel streichen musste…
Es ist nicht überliefert, ob Karl August Lingner sich von den Verhältnissen in den USA
inspirieren ließ. Es wird aber vermutet, dass er sich für kurze Zeit in den USA aufgehalten hat
(Büchi 2006: 82). In jedem Fall ist es aber sehr wahrscheinlich, dass er sich mit der
amerikanischen Marketing-Praxis vertraut gemacht hat. So dürfte Lingner auch „Das Buch
der Reklame“ gelesen haben, das der deutsche Journalist Rudolf Cronau 1887 veröffentlicht
hatte. Das fünfbändige Werk beschreibt auf 492 Seiten das Werbegeschäft und in weiten
Teilen bezieht sich der Autor auf die Werbung in den USA und vergleicht die US-Praxis mit
jener in Deutschland, hier und da auch mit dem Werbegeschäft in Großbritannien und
Frankreich. Vor allem in seinem ersten Band geht Cronau an vielen praktischen Beispielen
auf die Einzelheiten der Werbegestaltung ein.
In seinem Klassiker der Werbeforschung beschreibt Cronau seine Eindrücke, die er in
den USA gewonnen hat, bis ins kleinste Detail:
„Auch Medaillen sind beliebt, und wird es niemals versäumt, mit Nachbildungen
derselben in Wagenradgröße das Haus zu zieren. Daß sich die Medaillen, zu einem
schönen Tableau vereinigt, in Holzschnittwiedergabe auch auf allen Preiskourants,
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Rechnungen, Katalogen, Wechseln, Briefbogen, Kouverts und Etiketten der Firma
wiederfinden, ist selbstverständlich.“ (Cronau 1887: 4/52)
Auch die Kunst der Verpackung hat Cronau stark beeindruckt:
„Unzählige Waren und Werte würden bei aller Genialität der Technik, Industrie und
Kunst immer sehr unansehnlich und reizlos bleiben, wenn man sie nicht zu packen, zu
bekleiden, mit Etiketten und schöner Gewandung zu versehen gelernt hätte. Kleider
machen Leute und auch den Wert der Ware. Die Industrie, Kunst und Wissenschaft der
Waren-Bekleidung ist vielleicht ausgebildeter und großartiger, als irgendeine
Fabrikation von Waren. (...) Die aller unscheinbarste Hülle würde ganz dieselben
dienste thun wie die gemalte, künstlerisch geformte, golden und farbenprächtig
dekorierte Hülle, nur daß sich dann die Waren nicht so gut verkaufen würden.“ (Cronau
1887: 1/55)
Cronau vermutet, der amerikanische Unternehmer sei sich schon damals der Bedeutung der
Anzeigengröße als zentraler Determinante der Werbewirkung bewusst gewesen:
„Er sagt mit Recht, daß die ehrsame, kurze, in der Fülle der benachbarten Inserate
verschwindende Anzeige dem Leser durchaus keine größere Garantie der Solidität gibt,
als die laute, auffallende Ankündigung; in dieser Überzeugung verfällt er auf die
wunderbarsten, amüsantesten und oft scharfsinnigsten Ideen, um sich bemerkbar und,
wenn möglich, unvergeßlich zu machen. (...) Massenhaft sind oft die Anzeigen, welche
Büchern angehängt sind, auf deren Absatz man rechnen kann. Hinten und vorn bilden die
Anzeigen nicht selten eine solche Emballage, daß man sich ganz natürlich fragt, ob das
Buch nur der Anzeigen wegen da sei. “ (Cronau 1887: 1/3)
Cronau schreibt weiter, dass Annoncen gut und deutlich illustriert und ebenfalls mit Farben
versehen werden (Cronau 1887: 1/35). Dabei solle die Reklame das Publikum zum Lesen
aufmuntern und kurz und bündig sein. Zum einen animiere dies den Betrachter zum Lesen,
zum anderen würden durch diese Vernappung letztlich auch Kosten gespart (Cronau 1887:
1/66). Die Werbung werde zum Teil so gestaltet, dass sie zunächst die Neugier des Lesers
wecke, um anschließend „den Ahnungslosen auf den Kern der Annonce zu leiten“.
Cronau findet in der US-Werbepraxis einige Prinzipien, die ihre Gültigkeit bis heute nicht
verloren haben. So sei es etwa zuträglich, dass in einer Anzeige dieselben Worte oder Sätze
mehrmals untereinander und in Fettdruck erscheinen. Außerdem sei die Größe der Anzeige
von ganz entscheidender Bedeutung: Zwar sei bei einer größeren Annonce mit einem hohen
Preis zu rechnen, der jedoch durch eine weitaus größere Aufmerksamkeit wieder wettgemacht
werde. Stilmittel wie Linien, Balken, Punkte, Bänder oder Ornamente lenkten das Auge des
Betrachters ebenfalls auf die Reklame. Eine größere Wahrnehmung sei zudem durch eine
weiße Schrift auf schwarzer Fläche und durch Bebilderungen zu erreichen.
Deutschland
Zu Lingners Zeiten waren Werbung und Marken natürlich auch in Deutschland bekannte
Phänomene. Die USA nahmen jedoch eine wegweisende Vorreiterrolle ein. Dies ist auf die
besonderen Rahmenbedingungen zurückzuführen, denn schließlich legte die frühe USDemokratie in Verbindung mit der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung mehr freie
intellektuelle Kreativität und Innovationen frei als der autoritäre, politisch und wirtschaftlich
restriktive Staat, der Deutschland damals war. So überrascht es auch nicht, dass Deutschland
im internationalen Werbegeschäft erst ab den 1980er Jahren zur Kenntnis genommen wurde.
Eine starke Werbung hat immer auch etwas mit der geistigen Befreiung und dem
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Selbstbewusstsein einer Nation zu tun – und dies kam in Deutschland erst viel später zum
Tragen.
Dennoch setzten auch in Deutschland bereits in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts
einige bedeutende Entwicklungen ein, die die Grundlage für die spätere Herausbildung des
modernen Marketing bildeten. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland mit
den „Insertions-Agenturen“ und „Annoncen-Expeditionen“ die Vorläufer der heutigen
modernen Werbeagenturen gegründet. Außerdem erschienen mit „Die Reklame“ und „Der
Deutsche Kaufmann“ erste Werbefachblätter. Ab 1890 hielt die Reklame auch zunehmend
Einzug in die zeitungswissenschaftliche Forschung und ab 1910 auch in die
Handelswissenschaft. Ab 1906 entstanden erste Fachverbände von „Reklamefachleuten“.
Schon in den 1870ern gingen Unternehmen dazu über, erste eigenständige Abteilungen für
das Werbegeschäft einzurichten. Zu diesem Zeitpunkt war es noch üblich, dass der
Firmeninhaber diese selbst leitete.
Während die Werbung in Deutschland ihre ersten Blüten trieb, herrschte bei vielen
zeitgenössischen Beobachtern noch Skepsis vor. So klagte Cronau: „Es gibt in Deutschland
noch Kaufleute genug, die den Nutzen der Reklame nicht einsehen oder sogar eine heilige
Scheu vor allen geschäftlichen Ankündigungen haben; die Solidität fürchtet, durch auffällige
Ankündigung den Schein der Marktschreierei auf sich zu laden“ (Cronau 1887: 1/2). Der
Verfasser beschreibt den Umgang des deutschen Handels mit Reklame als zögerlich, ja
geradezu ängstlich: „Der Deutsche kündigt bescheiden an, (...) Er schränkt seine Annonce
möglichst ein, kürzt die Worte oft bis zur Entstellung, (...) und meidet ängstlich, in der großen
Zahl der benachbarten Annoncen aufzufallen.“ (Cronau 1887: 1/3)
Auch gab es noch etliche gesetzliche Einschränkungen, die eine Professionalisierung des
Werbegeschäfts behinderten. Das Reichsgesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs
von 1896 schränkte das Werben für Handelsprodukte stark ein, womit „Ausschreitungen im
Reklamewesen“, „Quantitätsverschleierungen“, „üble Nachrede“ und der „Verrat von
Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen“ entgegengewirkt werden sollte. Nichtsdestotrotz sind
damals viele namhafte Marken entstanden. Frühe Marken des industriellen Zeitalters in
Deutschland sind zum Beispiel die Birkel-Nudeln (1874), Maggi (1887), Bahlsen (1889) und
das Dr.-Oetker-Backpulver (1892). Zwei Jahrzehnte später kamen dann Vivil (1903),
Schwarzkopf (1904) und Penaten (1904), Chlorodont (1907), das Waschmittel Persil (1907),
Melitta (1908) und Nivea (1912) auf den Markt. Zwischen 1894 und 1913 wurden über
300.000 Markenpatente angemeldet und davon fast 200.000 genehmigt (Lamberty 2000).
Gemeinsam war diesen Marken eine fest definierte Qualität, eine feste Größe oder Menge und
ein fixer Kaufpreis. Die Verpackung bot jeweils ein optisches Alleinstellungsmerkmal und
wurde zunehmend zum eigentlichen Träger der Marke: Die Kenntnis über die Ware wurde
immer mehr von der Kenntnis über die Marke abgelöst.
Nicht nur die Praxis in den USA hat Karl August Lingner beeinflusst. Sein Biograf Walter
Büchi beschreibt, wie sehr Lingner in seinem Pariser Jahr 1883 von den eleganten
Warenhäusern der französischen Hauptstadt, dem Impressionismus in der Kunst, von der
Architektur, ja insgesamt vom Grellen und Bunten der Moderne beeindruckt war. Auf jeden
Fall gab es ein Umfeld für Lingners Handeln, in dem er für seine eigenen Aktivitäten
genügend Vorreiter fand, bei denen er sich bedienen konnte. Er war sicher nicht der typische
deutsche n Kaufmann, der zum Jagen – sprich: zur Werbung – getragen werden musste. Er
musste aber auch die Mittel der Markenbildung und Werbung nicht selbst erfinden.
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3 Einflüsse aus der eigenen Biografie
Sein Jahr in Paris war für Lingner keine glückliche Zeit, denn er war weder gesundheitlich
noch materiell obenauf. Nach diesem Jahr arbeitete er für die Nähmaschinenfabrik Seidel &
Naumann in Dresden. Dort schrieb er Geschäfts- und Werbebriefe, die er auch in andere
Sprachen übersetzte. In diesen Briefen stellte er dabei nicht, wie es damals üblich war, die
technischen Produktinformationen in den Vordergrund, sondern versuchte, den Sinn und den
Nutzen der Artikel herauszustellen.
Der Lingner-Biograf Julius Ferdinand Wollf:
„Lingner vertrat mit Eifer die Meinung, daß eine Hausfrau, die eine Nähmaschine brauche,
weder fachmännische Katalogausarbeitungen, noch Zeit- und Leistungsberech-nungen nützen
könne. Die müsse man einem Industriellen beim Einkauf einer Maschine vorführen, der
Hausfrau aber müsse man überzeugend und in Kürze sagen, warum gerade die Maschine von
Seidel & Naumann ihr sicher soviel Mühe abnehme und warum just diese Maschine so
dauerhaft sei und so vorteilhaft im Gebrauch.“ (Wollf 1930: 36)
Darin zeigte sich seine Kundenorientierung, das Denken in den Kategorien, in denen die
potenziellen Nutzer eines Produkts denken – und nicht dessen Hersteller! Dass dies noch
heute immer nicht selbstverständlich ist, zeigen so manche Gebrauchs- und
Bedienungsanleitungen, die die Handschrift ordentlicher deutscher Ingenieure tragen, aber für
den Laien praktisch unverständlich sind.
Ein zweites Merkmal Lingners war seine Vertriebsorientierung. Es folgte nämlich die
bedeutende unternehmerische Zeit mit dem Erfinder Georg Wilhelm Kraft und dem
gemeinsamen Unternehmen Lingner & Kraft. Während Kraft die Patente entwickelte, übte
sich Lingner als Werber für den „Lingner und Kraftschen Wasch-Frottier-Apparat“, vulgo
„Rückenkratzer“, und erstellte wahrscheinlich in dieser Zeit seine erste Werbeanzeige (Abb.
1).
Abb. 1: Die erste Werbeanzeige: Der „Rückenkratzer“ von Lingner & Kraft
Dabei hatte Lingner auch zum ersten Mal Berührung mit dem Thema Hygiene, beschäftigte
sich zunächst aber nicht intensiver damit, sondern eben vorerst mit Stiefelziehern,
Dochtputzern und Senfbrunnen. Helmut Obst schrieb dazu 2005 in seiner kulturhistorischen
Studie über Lingner:
„Es fällt auf, dass Lingner schon damals bei seiner Reklamestrategie sehr geschickt und
suggestiv vorging. Er hatte offenbar keine Skrupel, mit unwahren, aber für den Absatz
wirkungsvollen Behauptungen zu arbeiten. Als unentbehrlich für Jedermann und auf „den
Waschtisch jedes Gebildeten gehörend“, warb die Firma Lingner & Kraft für ihren PatentWasch- und Frottierapparat.“ (Obst 2005: 23)
Nach dem Weggang Krafts führte Lingner das Unternehmen alleine weiter, den Firmennamen
Lingner & Kraft ließ er jedoch formal bestehen. 1910 benannte er auch das neue Reklamebüro
und die Annoncenexpedition so.
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Wovon wurde Karl August Lingner beeinflusst, woher bezog er sein Wissen über erfolgreiche
Werbung? Es ist wahrscheinlich, dass Lingner sich vieles autodidaktisch angeeignet hat. In
Frankreich lernte er die Werbemethoden der großen Warenhäuser kennen. Ob er sich damals
bereits eingehender mit der Reklame beschäftigt hat, ist nicht gewiss. Seine Tätigkeit als
Verfasser der kleinen Zeitschrift „L`ami“ dürfte ihm während seines Aufenthalts in Paris
einen Einblick in die redaktionelle Arbeit gegeben haben. Auch beschäftigte er sich in dieser
Zeit mit führenden Wirtschaftspersönlichkeiten der USA, darunter Rockefeller und Carnegie.
In der Firma Seifert & Naumann dürfte er einen Einblick in das Markt- und
Marketinggeschehen bekommen haben und inspiriert worden sein, sich in der Literatur näher
dem Thema Reklame zu beschäftigen. Dabei spielten Helmut Cronau und dessen „Buch der
Reklame“ eine wichtige Rolle – es erscheint immerhin sechs Jahre vor der Markteinführung
von Odol.
Dazu hielt der Lingner-Biograf Wollf später fest:
„(...) schon damals gab es die Lebensbeschreibungen großer amerikanischer Industriekapitäne
und Finanzleute, von denen die bedeutendsten in reifen Jahren den Schatz ihrer Ideen und
Erfahrungen in erzieherischen Büchern aufgespeichert hatten. Lingner studierte frühzeitig
Systeme und zu einer Zeit, als es immerhin noch keine sicheren Methoden der Reklame gab,
alles auf diesem Gebiete Erreichbare. Es gab eine Menge erfolgverheißender Rezepte, zumeist
weniger anwendbar für kontinentale oder gar deutsche Verhältnisse. Klar erkannte er das
Geheimnis des Erfolges in der Aneignung und Vertiefung psychologischen Wissens und
begann auf seine ganz und gar selbständige und empirische Art, sich eine Methodik zu
schaffen.“ (Wollf 1930: 37f.)
4 Odol als Lehrbeispiel der Markenführung
4.1 Das Produkt
Als Erfinder des Mundwassers gilt der Chemiker Dr. Richard Seifert (1861–1919), der
technischer Direktor der chemischen Fabrik von Heyden in Radebeul war. Es ist das bei der
Herstellung von Salizylsäure oder Salol anfallende Abfallprodukt Salicylogen, das als
Antiseptikum für die Herstellung von Odol diente. Nach dem zu urteilen, was wir heute
wissen, war es auch Seifert, der auf den Kaufmann Lingner zuging und nicht umgekehrt. So
war es auch Seifert, der Lingner über die Nachteile der bisherigen handelsüblichen
Mundwässer aufklärte.
Das Ergebnis vieler Weiterentwicklungen des Mundwassers war eine alkoholische Lösung,
die mit dem Antiseptikum Salicylogen und Pfefferminzöl angereichert wurde. Damit war
Odol das erste Mundwasser seiner Zeit, das eine kosmetisch-medizinische Wirkung hatte. Die
Vermarktung des Mundwassers startete die Firma Lingner und Kraft im Jahre 1893. Zunächst
handwerklich gefertigt, wurde Odol nun zunehmend industriell produziert. Der Erfolg ließ
nicht lang auf sich warten – und das Unternehmen wachsen.
Karl August Lingner war ein Unternehmer, der vom Markt her dachte. Dass Hygieneartikel
eine Zukunft haben würden, hatte er längst erkannt. Die Mundhöhle galt als ein
Haupteinfallstor für Bakterien, worüber die Odol-Werbung der Anfangsjahre die Bevölkerung
auch immer wieder aufklärte. Lingner setzte nun auf einen grundlegenden Bedarf an einem
solchen Hygieneartikel. Seine klare Werbebotschaft „Odol, das beste Mundwasser der Welt“
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setzte zunächst an der besonderen Qualität des Dresdner Mundwassers an, später ergänzte er
diese Botschaft um den Aspekt, dass eine gesunde Mundhygiene und soziale Anerkennung
Hand in Hand gehen.
4.2 Die Marke
Das Design der Marke kombiniert den Namen „Odol“ mit einem bestimmten Markenzeichen.
„Odol“ setzt sich aus dem griechischen Wort „odous“ für Zahn und dem lateinischen „oleum“
für Öl zusammen. Beide Begriffe entlehnen sich also unmittelbar aus dem medizinischen
Fachgebiet (Büchi 2006: 48). Dieses Wortbild ist prägnant und einprägsam zugleich und wird
in vielen Sprachen gleich ausgesprochen und gedruckt (Brose 1929: 22).
Wer an Odol denkt, hat die Odol-Flasche mit dem typischen Flaschenhals im Kopf (Abb. 2).
Diese Verpackung bildete sofort den „Zentralpunkt der ganzen Odolwerbung“ (Schmitt 1931:
48) – und ist bis heute markenbildend geblieben. Der symbolische Gehalt der Odol-Flasche
übersteigt die bloße Funktion als Mundwasser-Behälter: Sie folgt dem Gestaltungsprinzip der
Asymmetrie und erzeugt aus wahrnehmungstheoretischer Sicht Reiz und Spannung. Dies ist
insofern eine Innovation, als sich die Welt der Marken damals eher an Symmetrie orientierte
(Größer 1991: 178f.).
Die charakteristische milchweiße Seitenhalsflasche spiegelt Originalität, Zeitlosigkeit und
Funktionsgerechtigkeit wider (Größer 1991: 178). Im Jahr 1909 sind laut einem Berliner Arzt
55 in der Hauptstadt verschiedene Mund- und Zahnwässer erhältlich (Büchi 2006: 83). Doch
mit seinem unverwechselbaren Design war Odol der Aufmerksamkeitsvorsprung nicht zu
nehmen. Hinter der besonderen Ästhetik der Flaschenhalsform verbarg sich jedoch auch ein
handfester, funktionaler Vorteil: Der Verschluss sollte einen tropfenweisen Austritt ermöglich
machen, was eine weitere Innovation war (Vath-Hinz 1985: 13).
Abb. 2: Unverwechselbares Produkt-Design – Die erste Odol-Flasche
Eine Marke lebt von Kontinuität. Letztlich geht es darum, die an der Vertrautheit der
Konsumenten mit dem Produkt anzusetzen. Odol leistete sich über die Jahre einige Facelifts,
grundlegenden Veränderungen im Design gab es jedoch nie (Abb. 3).
Abb. 3: Nur leichte Facelifts – Beständiges Odol-Design
Nur viermal wurde die Flaschenform bis 1985 geändert (Väth-Hinz 1985: 13). Vor allem die
Vergrößerung von Flaschenhals und Öffnung (1896) und die Beseitigung der leichten
Seitenkanten (1954) verbesserten die Prägnanz der Flasche (Größer 1991: 178). Dieselbe
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Strategie gilt auch für den Schriftzug: Heute wie damals wird Odol in der lateinischen
„Antiqua“ dargestellt, einer serifenlosen Schrifttype.
Die Marke Odol wurde bereits 1895 beim Reichspatentamt geschützt. 1906 wurden dort dann
auch der Namenszug mit den schräg über die Falsche gestellten und schattierten Buchstaben
und die Falsche in ihrer ausgereiften Form hinterlegt. Dem Erfolg folgten derweil die
Nachahmer: In den Folgejahren versuchten über 33 Plagiate, auf der Erfolgswelle des
Dresdner Mundwassers mitzuschwimmen.
1910/1911 löste Odol einen der ersten Markenprozesse in Deutschland aus. In seinem Artikel
„Odolzauber“ in der „Neuen Heilkunst“ schrieb der Journalist Reinhold Gerling im Juli des
Jahres 1906, das salolhaltige Mundwasser sei gesundheitsschädigend, bestenfalls wirkungslos,
keinesfalls aber „das Beste vom Besten, wie die Reklame suggerieren will“ (Obst 2005: 15).
In den „Dresdner Odol-Prozessen“ war es für Lingner eine kommunikative Gratwanderung
zwischen seinen Stellungnahmen vor Gericht und der öffentlichen Werbung für Odol. Lingner
hatte dabei einen Drei-Fronten-Krieg zu führen: So durfte er einerseits aus
Wettbewerbsgründen die genaue Zusammensetzung des Mundwasser nicht preisgeben, hatte
sich aber gegen den Vorwurf der Wirkungslosigkeit zu wehren und musste gleichzeitig
verhindern, dass Odol als Arzneimittel eingestuft wird, weil der Verkauf dann nur noch in
Apotheken möglich gewesen wäre (Büchi 2006: 58).
4.3 Die Werbung
Die Werbung für die Einführung von Odol wurde 1893 mit einem beträchtlichen finanziellen
Aufwand – 1,5 Millionen Mark – betrieben und Odol am selben Tag über alle wichtigen
Zeitungen in ganz Deutschland bekanntgemacht. Zum Vergleich: Im gesamten Jahre 1903
investierte American Tobacco Co. eine Million US-Dollar. Das deutsche Mundwasser wurde
dabei zunächst ausschließlich allein mit dem Wort „Odol“ beworben.
Für Karl August Lingner ist das Werbegeschäft ein zentraler Bestandteil des Verkaufsapparats
der Firma Lingner & Kraft – mit einem üppigen Budget. In den Jahren nach der
Produkteinführung wurden zehn bis 14 Prozent des Gesamtumsatzes für die Werbung
ausgegeben (Väth-Hinz 1985: 12). Außerdem gab es bei Lingner & Kraft eine eigenständige
Reklame-Abteilung mit zehn Mitarbeitern, verantwortlich für die Markenführung, die
Werbeauftritte und – dies war ein Novum – für die qualitative Medien-Auswertung. Diese
Auswertung von Medien kennen wir heute als systematische und quantitative Mediaanalyse.
Ziel ist es, das Medienkonsumverhalten der Bevölkerung zu ergründen und so Schlüsse
darüber zu ziehen, wo die Potenziale für die eigene Medien-Reklame liegen.
Für jede Zeitschrift brauchte es eine unterschiedliche Kundenansprache, in den Zeitschriften
des Bildungsbürgertums wie den „Fliegenden Blättern“ oder der „Jugend“ wurden die
Anzeigen deshalb anders gestaltet als in den Tageszeitungen (König 1993: 154). Jedes
Presseorgan wurde auf seine Eignung als Odol-Werbeträger untersucht, wobei sich Lingner
besonders für die Wechselwirkung zwischen Anzeigen- und redaktionellem Teil interessierte
(Büchi 2006: 77).
Nicht nur die Medien, auch den Markt haben Lingner & Kraft genau beobachtet. Das
Unternehmen hat ganz klassische Marktforschung betrieben, es gab sogar einen eigenen
Ausschnittdienst, die so genannte „Zeitungsinspektion“ (Büchi 2006: 77). So wie das
Mundwasser gegen Ende des 19. Jahrhunderts in großer Stückzahl hergestellt wurde, so
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wurde nun auch die Werbung für das Produkt in Serie produziert: Innerhalb von 22 Jahren
sind nicht weniger als 600 verschiedene Odol-Anzeigen erschienen (Väth-Hinz 1985: 9, vgl.
Abb. 4).
Abb. 4: Die ersten bekannten Odol-Werbeanzeigen
Väth-Hinz unterteilt diese Zeit in drei Phasen: In der ersten Phase zwischen 1892 bis 1900
wird zunächst der Name Odol und die Flaschenform bekanntgemacht, wobei stets
ausschließlich die markante Odol-Flasche abgebildet und das Produkt im Text als neues
„Zahnpflegemittel“ vorgestellt wurde. In der zweiten Phase zwischen 1900 und 1909/1910
werden in ganz- und halbseitigen Bildanzeigen „oft nur der Produktname oder die OdolFlasche im Zusammenhang mit Frauenporträts, Architekturelementen oder Landschaften
gezeigt. Textinformationen fehlen hier völlig.“ (Väth-Hinz 1985: 26) Mit dieser Gestaltung
gewann die Odol-Werbung eine besondere emotionale Kraft, ja man kann hier sogar von der
Entdeckung der emotionalen Ansprache in der Werbung sprechen (vgl. Abb. 5). Die dritte
Phase zwischen 1910 und 1914 schließlich zeichnet sich durch die Wiederholung der
vorherigen erfolgreichen Werbemotive aus. In diesen Jahren wurden kaum neue Anzeigen
gestaltet, das Anzeigenaufkommen sank. Lingner zieht sich aus dem Alltagsgeschäft bei
Lingner & Kraft zurück und verschreibt sich einer anderen Aufgabe: der Organisation der die
Dresdner Hygiene-Ausstellung im Jahre 1911.
Abb. 5: Schöne Landschaften und immer wieder „Odol“ – Die Odol-Werbeanzeigen
Was waren die Prinzipien der Odol-Werbung? Ganz entscheidend waren Größe und
Platzierung der Annoncen. Um die größtmögliche Aufmerksamkeit zu erregen, wurden die
Anzeigen meist am Anfang oder am Ende des Inseratenteils geschaltet und nahmen deutlich
mehr Raum rein als andere Werbeanzeigen (König 1993: 154). Die Werbeabteilung bei
Lingner & Kraft achtete beim Reklameeinsatz zudem auf einen gewieften Medienmix: Die
Odol-Reklame fand sich nicht nur Presseerzeugnissen wie „Die Gartenlaube“ oder „Die
Woche“ wieder, sondern auch in den Speisewagen von D-Zügen der Deutschen Reichsbahn,
auf Aschenbechern und Zahngläsern, auf Straßenbahnen oder Pferde-Omnibussen wieder
(Büchi 2006: 79ff.).
Bei Werbung denken wir automatisch auch an große Reklameplakate. Im Fall von Odol
waren diese aber erstaunlicherweise nicht die erste Wahl, sondern kamen im Gegenteil kaum
zum Einsatz. Die zielgruppengerechte Anspruch ist ein weiteres Beispiel für die
professionelle Werbestrategie des Unternehmens: In den bildungsbürgerlichen Zeitschriften
schaltete Odol Anzeigen mit Kunstmotiven, während die Odol-Reklame in der Tagespresse
eher schnörkellos daherkam. Eines war die Werbung für Odol aber in jedem Fall: einheitlich
und unverwechselbar (Funke 1996: 28). So war es eben gerade die gewiefte Reduktion auf
den Namen Odol und die besondere Flasche, mit der sich Odol in die Wahrnehmung und
Erinnerung der Menschen schlich (Meffert, Burmann & Kirchgeorg 2008). Name und Flasche
waren die beiden Stilmittel, die eine Identifikation mit dem Produkt Odol befördern sollten.
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Dabei haben Lingner und seine Mitarbeiter durch eine Flexibilisierung in die Werbung
aufgenommen. Viele Elemente der Odol-Werbung wurden zwar immer wieder aufgegriffen.
Gleichzeitig zeichnet sich die Reklame des Unternehmens durch eine besondere Flexibilität
aus. So richtete sich Odol mit vielen erzieherischen Appellen an seine potenziellen Kunden.
1899 zum Beispiel inseriert Lingner in der Zeitung „Die Gartenlaube“ die „Strafpredigt“, der
eine pädagogische Absicht erkennen ließ – und gleichzeitig Reklame für das Produkt war:
„Wer konsequent morgens, mittags und abends den Mund odolisiert, versichert seine Zähne
gegen Hohlwerden absolut und ein für allemal ist der Mund gegen faule Gerüche gefeit. Wir
raten deshalb eindringlichst und mit gutem Gewissen allen, die ihre Zähne gesund und ihren
Mund geruchfrei erhalten wollen, sich an eine fleißige Mundpflege mittelst Odol zu
gewöhnen.“ (Büchi, 2006, S. 72)
Die Botschaft war klar: Wer Odol nutzt, tut etwas für seine Gesundheit und sein Ansehen.
Auch wurde die Internationalität der Marke kommuniziert, schließlich redete man hier über
das „Absolut beste Mundwasser der Welt“. Den Werbemachern von Odol war schon damals
bewusst, was ein halbes Jahrhundert später der bekannte Werbefachmann David Ogilvy auf
den Punkt brachte: „Das Produkt muss der Held des Werbespots sein.“ (Ogilvy nach
Handelsblatt 2005: 67)
Die Konkurrenzunternehmen hatte Odol dabei stets im Blick. Nicht nur die Marktforschung
durch die erwähnte „Zeitungsinspektion“, auch die sonstige Markenstrategie orientierte sich
stark an den Wettbewerbern. Der Lingner Biograf Helmut Obst schreibt dazu:
„Lingner ließ von sich immer wieder behaupten, er ignoriere jede Konkurrenz, solange sie ihn
in Frieden ließe. Die Haltung des unschuldig Verfolgten, der an sich auf der Position
vornehmer Zurückhaltung gegenüber seinen Konkurrenten und Gegnern steht, hat Lingner in
der Öffentlichkeit gegenüber während der ganzen Affäre eingenommen. Aus dem Kreis seiner
Konkurrenten und Gegner war aber das genaue Gegenteil zu hören: Lingner habe ein
ausgesprochenes Gespür für Konkurrenz und bekämpfe sie, auch dort, wo sie unbedeutend sei,
mit Umsicht und Erfolg. Allerdings, auch darin waren sich die unterschiedlichen kritischen
Stimmen einig, führe er den Konkurrenzkampf nicht offen, sondern verdeckt und versteckt.
Dafür aber dann mit allen Mitteln. Lingner bediene sich mit Vorliebe Detektive, um seine
Konkurrenten auszuspionieren und sie an ihren Schwachstellen zu packen, und er setze stets
geschickt seinen beachtlichen gesellschaftlichen Einfluss, seine Verbindungen, sein Geld ein.“
(Obst 2005: 77f.)
4.4 Networking, PR und Sponsoring als Unterstützung
Mit der Zeit etablierte Karl August Lingner seinen eigenen Namen als eine Art „personal
brand“. Als einer der zehn reichsten Männer des Kaiserreichs war er geschickt darin,
Werbung in eigener Sache zu machen. Er wusste sich zu vernetzen, sich mit den
Meinungsführern der Zeit zu umgeben und geschickt Kontakte zu knüpfen. Zur Wissenschaft
zum Beispiel bekam er über Seifert, Greimer und Seiring Zugang. Mit dem Maler und
Bildhauer Franz von Stuck, der das Jugendstil-Plakat zur Internationalen Hygieneausstellung
in Dresden entwarf, hatte er sogar einen lebenslangen Freund gewonnen. Lingner unterhielt
zudem zu Caruso, Strauss, Mascagni, Leoncavallo und Puccini Kontakt. Letzterer verfasste
gar eine Ode auf Lingners Odol.
In der Presse war der Journalist J. F. Wollf, Herausgeber der „Dresdner Neuesten
Nachrichten”, Lingners bedeutendster Kontaktmann. 1930 schrieb Wollf eine Lingner13
Biografie, eine der wenigen detailreichen Werke zur Person Lingners, die jedoch Züge einer
unkritischen Hagiographie trägt (Obst 2005: 22). Ob Karl August Lingner diesen direkten
Kontakt zur Presse tatsächlich für Marketingzwecke nutzte, ist nicht belegt. Es ist aber gut
vorstellbar, dass die Freundschaft zu Wolff ihm und der Marke Odol durchaus zum Vorteil
gereichte.
Eine wichtige Station in Lingners Leven war das Jahr 1911, als er Organisator der
Internationalen Hygiene-Ausstellung war, die vom 6. Mai bis zum 31. Oktober 1911 rund 5,5
Millionen Besucher anzog – und damit bis heute die am stärksten besuchte Ausstellung in
Dresden ist (Funke 1996: 99ff.). Zur selben Zeit wurde in der Dresdner Semperoper auch der
„Rosenkavalier“ von Richard Strauss uraufgeführt. Hier mag es zu einem „SympathieSynergie-Effekte“ zwischen beiden Events und gesellschaftlichen Bereichen und am Ende
sicher auch zu einer größeren Bekanntheit von Odol gekommen sein.
Corporate Social Responsibility (CSR) als institutionalisierte Verantwortung gegenüber der
Gesellschaft ist heute in jedem großen Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Von Lingner
ist überliefert, dass er sich in vielen gesellschaftlichen Projekten betätigte und auch politisch
aktiv war:
„Der erfolgreiche Unternehmer Lingner verstand es meisterhaft, durch ein in der
Öffentlichkeit als selbstlos erscheinendes Engagement für die Volksgesundheit, Volksbildung,
für sozialen und kulturellen Fortschritt sich und den Produkten seiner Firma Anerkennung und
Förderung zu verschaffen.“ (Obst 2005: 26).
1897 eröffnete Lingner eine Dresdner Kinderpoliklinik und engagierte sich im Verein
„Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt“ (Obst 2005: 26). 1898 eröffnete in
Dresden die erste deutsche Säuglingsstation, 1902 die erste Desinfektionsanstalt (Wollf 1930:
49). Für den „Sächsischen Regatta-Verein“ (1906) stiftete Lingner einen nach ihm benannten
Preis. Außerdem beteiligte er sich finanziell am 1913 fertig gestellten Neubau des Dresdner
Schauspielhauses (Büchi 2006). Schon 1902/1903 eröffnete Lingner die Dresdner Lesehalle
und ermöglichte mit ihr einer breiten Bevölkerung den Zugang zu wissenschaftlicher
Literatur. Auch die Eröffnung des politikwissenschaftlichen Archivs in Berlin geht auf
Lingners Initiative zurück (Wollf 1930: 182). Lingner war auch politisch aktiv: Er setzte sich
zeitlebens vehement für das Wahlrecht für Frauen ein. Außerdem verfügte er zu Lebzeiten,
dass die Villa Stockhausen und das Lingnerschloss an der Elbe an die Stadt Dresden und seine
Bewohner fallen soll.
CSR war Lingner augenscheinlich sehr wichtig – und dürfte wirtschaftlich von erheblichem
Vorteil gewesen sein: All diese vielen Beispiele für Lingners gesellschaftliches Engagement
machen wahrscheinlich, dass die „Marke“ Karl August Lingner durch Markentransfer und
Brand-Stretching einen günstigen Einfluss auf die Produktmarke Odol hatte.
5 Fazit: Das Markenmonopol
Das Lebenswerk Karl August Lingners ist ohne Zweifel bedeutend und eng mit seiner
Persönlichkeit verknüpft. Sein Erfolg fußt aber auch auf Bedingungen seiner Zeit und den
verschiedenen Einflüssen auf seine Person und seine Arbeit.
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Er fand eine Zeit vor, in der es zwar die industrielle Warenproduktion gab, die Welt der
Marke aber gerade erst im Entstehen war. Er fand eine Zeit vor, in der es den Menschen
wirtschaftlich immer besser ging – und gute Umsätze zu erzielen waren. Er fand eine Zeit vor,
in der die technischen Möglichkeiten für Produktherstellung und Produktwerbung sich rapide
verbesserten. Er fand weiterhin eine Zeit vor, in der sich in der Bevölkerung ein Bewusstsein
für Hygiene herausbildete. Er fand in Georg Wilhelm Kraft einen Gefährten, der ihm das
Gespür für den Reiz innovativer Produkte schärfte – und ihn damit versorgte. Er fand in Dr.
Richard Seifert einen Wissenschaftler, der ihm das neue, innovative Produkt Odol möglich
machte. In Rudolf Cronau und anderen fand er Autoren, die ihn über die Möglichkeiten der
Werbung aufklärten. Und gewiss konnte er sich im Laufe der Zeit auf Dutzende „Kreative“
stützen, die in seiner Werbeabteilung die Ideen und Motive entwarfen, und zugleich auf
Mediaplaner bauen, die die Werbemillionen richtig einsetzten.
Die große Leistung Lingners besteht darin, dass er all diese Umstände, Menschen und Ideen
zusammenführte und nutzte. Lingner war ein Mann, der mutig war, neue Wege ging und das
Risiko nicht scheute. Dafür wurde er belohnt. Belohnt wurde aber nicht nur er, denn sein
Einfluss auf andere aufstrebende Unternehmen war beachtlich – und lässt Adaptionen seiner
erfolgreichen Geschäftspraktiken als wahrscheinlich erscheinen.
Lingner hat viele bekannte Marketing-Methoden früh angewandt, aber auch viel Neues
ausprobiert, das heute in der Markenführung als Standard gilt: Von der Markenbildung durch
Form und Name über die Beachtung kommunikativer Wirkungsprinzipien in der Werbung bis
hin zur zielgruppengerechten Ansprache. Insofern war er trotz der günstigen Umstände und
trotz seiner vielen Unterstützer ein Pionier – und allemal ein Werbe- und
Kommunikationsprofi.
Seine Marke Odol schafft das, was alle Marken wollen: Odol wurde zum Gattungsbegriff für
Mundwasser, die Marke und das Produkt sind miteinander verschmolzen. Das können nur
wenige andere Marken wie Tesa, Uhu oder Tempo in Deutschland und Rollerblade, Kleenex
oder Hoover in den USA oder Großbritannien von sich behaupten. Die Verschmelzung von
Produkt und Marke kann sogar dazu führen, dass eine Marke nicht mehr geschützt werden
kann, wenn sie in den Alltagssprachgebrauch für das Produkt übergegangen ist: 1963
entschied ein US-amerikanisches Gericht, dem Zeichen Thermos die Schutzfähigkeit als
Warenzeichen ab, da das Wort Thermosflasche durch den Gebrauch im Warenverkehr, in
Zeitungen, Literatur und Film zum Appellativum und damit sprachliches Gemeingut
geworden sei. Ähnliches geschah mit Aspirin und Cellophan. In Deutschland sind Appellativa
wie Fön, Selters oder Grammophon einstige Markennamen, denen die Schutzfähigkeit
gerichtlich aberkannt worden ist.
Das jedenfalls kann Odol ja nicht passieren – es gibt ja immer noch „Mundwasser“. Aber
kennen Sie denn ein anderes?
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