Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann Aufgaben, Verantwortung und Zielsetzungen der Islamischen Glaubensgemeinschaften in den Arbeitsfeldern der Seelsorge in Deutschland 1. WARUM Islamische Seelsorge Ich möchte mich mit diesem Vortrag nicht nur an die Fachleute und Experten wenden, sondern auch an die Laien, an die Skeptiker und Kritiker, denen wir immer wieder begegnen werden. Deshalb fange ich zunächst einmal bei NULL an. Brauchen wir überhaupt eine Seelsorge für Muslime ? Im Arabischen und im Türkischen gibt es den Begriff „Seelsorge“ überhaupt nicht. Deshalb war ich auch nicht verwundert, als mich vor kurzem der Botschafter eines arabischen Landes fragte: WARUM BRAUCHEN MUSLIME ÜBERHAUPT SEELSORGE WIR HABEN DOCH DEN KORAN Manchmal denke ich nach einem Flugzeugabsturz Ist es wirklich hilfreich wenn die Medien tagelang und stundenlang alle Details zum Unglück beleuchten und verzweifelt versuchen, die Gründe und Fehler für dieses schreckliche Ereignis zu suchen ? Wäre es nicht viel besser, Trost und Ruhe spendende Koran Suren auszustrahlen und in Ruhe zu trauern ? Der Koran bietet eine praktische Handlungsanweisung für das Leben und das Sterben somit war der Einwand des Botschafters Wozu brauchen wir Seelsorge - wir haben doch den Koran - durchaus berechtigt. Dabei ist aber ein entscheidender Punkt zu beachten: Seite 1 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann In Deutschland ist die Islamische Infrastruktur, die beim Lesen, Verstehen und Umsetzen des Korans hilft, nur sehr schwach - zumindest im Vergleich zu Islamischen Ländern. Als Islamische Länder möchte ich solche Länder bezeichnen, in der die Mehrheit der Menschen Muslime sind. Dort gibt es überall Moscheen. Seelsorge wird durch Imame und Großfamilien und der Gesellschaft direkt oder indirekt übernommen. Probleme wie Depressionen, Einsamkeit sind seltener, weil die Menschen in einer Gemeinschaft leben. Allerdings gibt es auch hier nachteilige Entwicklungen, weil die Globalisierung, die Individualisierung und die Monetarisierung - der Drang nach Geld - die sozialen Strukturen zunehmend verändert. Wenn in Deutschland ein Muslim alleine im Krankenhaus liegt, ist es wichtig wenn er neben dem Koran Menschen hat, die ihm Hilfe und Halt geben. Somit ist die Frage also nicht, OB wir eine Islamische Seelsorge in Deutschland brauchen, sondern WIE diese Seelsorge ausgestaltet werden soll und WER diese Seelsorge übernehmen kann. Bevor ich auf das WIE und das WER eingehe, müssen wir noch einige Klärungen zum Begriff der „Seele“ vornehmen: Im altbiblischen Kontext gibt es den Begriff der „Seele“ überhaupt nicht. In der hebräischen Bibel finden sich keine Inhalte über eine „Seele“, die unabhängig vom menschlich, lebendigen Körper existiert. Im rabbinischen und mittelalterlichen Judentum bilden Seele und Körper während des Lebens und nach der Auferstehung eine Einheit. Was das für die jüdische Seelsorge konkret bedeutet, hat der Rabbiner Dr. Max Dienemann wie folgt zusammen gefasst: „Seelsorge ist nicht die Sorge für das Heil der Seele in einer theologischen Färbung dieses Wortes, sondern die Sorge für den jüdischen Menschen in allen Bezirken seines Lebens (…) Das Seelische und Leibliche stehen in einer unauflöslichen Verbindung“ (zit. nach Homolka 2012, S. 38). Seite 2 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann Aus jüdischer Sicht besteht folgender Unterschied zwischen jüdischer und christlicher Seele: „Der christliche Priester gilt als Mittler der Seele zu Gott, der Rabbiner ist Führer zu der göttlichen Lehre. So liegt eigentliche Seelsorge schon im Amte des christlichen Priesters begründet, während alles Rabbinertum seine Autorität aus seinem Wissen um die Dinge der göttlichen Lehre schöpft“ (Ulrich Steuer, Heidelberger Rabbiner, zit. nach Homolka 2012, S. 41). Aus diesem Wissen leiten jüdische Seelsorger die Forderung ab, den Menschen bei der Umsetzung der religiösen Gebote zu helfen und eine gottgefällige Umgebung zu schaffen. Damit gibt es noch mehr Parallelen zwischen dem jüdischen Verständnis von Seelsorge und dem Islamischen Verständnis von Seelsorgen, ohne dabei die Vielzahl der Gemeinsamkeiten zwischen allen drei Religionen außer Acht zu lassen. In der Islamischen Seelenlehre stellt die Seele * das Gewissen, * den in den Körper eingehauchten Geist, * das verführbare Ego, * die sterbliche Entität dar, die während des Schlafes nicht im Körper anwesend ist. Nach der sufischen Lehre erlangt die Seele Zufriedenheit, Liebe und Gotteserkenntnis, wenn sie frei von triebhaftem Verlangen, Egoismus und materieller Anhaftung wird. Körper und Seele sind voneinander abhängig, ohne dass die Art der Abhängig bekannt ist (vgl. Sia Talaat: Die Seelenlehre des Koran, 1929). Der Koran soll mit dem Körper und der Seele empfangen werden; genauer mit dem Gesicht, dem Gehör und dem Herz. Aus diesem Grunde ist es von großer Bedeutung, den Koran nicht nur alleine und im stillen zu lesen, sondern in der Gemeinschaft laut und melodiös zu rezitieren. Fassen wir also zusammen: Bei der Islamischen Seelsorge wird nicht der „Seele“ alleine geholfen. Es besteht ein ganzheitliches Verständnis, dass dem ganzen Menschen dadurch geholfen wird, dass er die helfenden Regeln des Islam und des Koran umsetzt und damit seine Probleme reduziert. Deshalb kann Islamische Seelsorge auch nur von Muslimen übernommen werden. Seite 3 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann 2. WER kann Islamische Seelsorge leisten ? Nachdem wir eben besprochen haben, dass in modernen Gesellschaftsstrukturen Familie, Großfamilie und Gesellschaft nicht mehr alleinige Träger einer ganzheitlichen Seelsorge sind, müssen wir uns nun Gedanken darüber machen, wie eine institutionalisierte Islamische Seelsorge als Ergänzung zur familiären und gesellschaftlichen Seelsorge aussehen kann. Beginnen wir mit dem WER. Beginnen wir mit dem Imam. Der Imam ist und bleibt der wichtigste Ansprechpartner für die Seelsorge seiner Gemeindemitglieder und aller Moscheebesucher. Seine Seelsorge ist aber nicht mit dem Aufgabenbereich eines christlichen Pfarrers vergleichbar, der vielfältige direkte und indirekte Aufgaben für Religion und Seelsorge übernimmt. Der Imam kümmert sich um die täglichen Gebete, die Freitagspredigt vor der Gemeinde, die religiöse Unterweisung von Kindern und Jugendlichen, den Unterricht des Arabischen als Sprache des Korans und um dessen klangvolle Rezitation. Der Koran und das Gebet haben im Islam eine besonders hohe Bedeutung. Deshalb muss sich der Imam auf diese Kernaufgaben konzentrieren. Im Koran und im Gebet kann und soll der Muslim seinen Trost und Seelenfrieden finden. Im Koran gibt es eine Vielzahl praktischer Lebensregeln und Anregungen, die - wenn man sie auch umsetzt - Probleme verhindern und lösen helfen. Deshalb soll und darf die Aufgabenbereich eines Imams nicht beliebig ausgeweitet und überfrachtet werden. Die Haupt-Träger Islamischer Seelsorge - der Imam, die Gemeinschaft und die Familie müssen durch Menschen unterstützt werden, die sich für Islamische Seelsorge eignen und dafür qualifiziert sind oder qualifiziert wurden. Diese Menschen müssen ausgebildet sein oder ausgebildet werden. Wenn sie bereits ausgebildet sind, benötigen sie darüber hinaus Fortbildung, Weiterbildung und Supervision. Seite 4 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann 3. WIE kann Islamische Seelsorge durch die Standardisierung der Ausbildung unterstützt werden ? Kommen wir nun zum WIE: Die Differenzierung zwischen Menschen, * die sich für Islamische Seelsorge eignen * die dafür qualifiziert sind * die dafür qualifiziert wurden habe ich nicht ohne Grund gewählt. Wir alle wissen, dass es bei der Sozialarbeit, bei der Seelsorge, beim Ehrenamt in besonderem Maße auf die Individualität des Helfers, des sich Helfenden, den persönlichen Beziehungen und den individuellen Umständen ankommt. Das Thema meines Vortrages ist ja nicht „Professionelle Hilfe für Menschen mit psychischen und psychosozialen Krisen durch Psychologen, Psychotherapeuten und Psychater“. In diesem Zusammenhang möchte ich kurz den „Ratgeber für Muslime bei psychischen und psychosozialen Krisen“ empfehlen, den unser Zentralratsmitglied Dr. Ibrahim Rüschoff gemeinsam mit Malik Laabdaallaoui beschrieben hat. Unsere Mitgliedsorganisation „Islamische Arbeitsgemeinschaft für Sozial- und Erziehungsberufe e.V.“ leistet schon seit Jahrzehnten wertvolle Arbeit bei der Seelsorge und der professionellen Psychotherapie. Es geht stattdessen um die Standardisierung der Ausbildung von Seelsorgern, die zum großen Teil nebenberuflich und ehrenamtlich arbeiten. Wir alle wissen, was die Ziele dieser Fachtagung sind: Das „WIE“ soll durch die Standardisierung der Ausbildung unterstützt werden. Wir wünschen uns einen einheitlichen, hohen Standard und eine Professionalisierung. Wenn der Ausbildungsträger A wertvolle Ausbildungsinhalte hat, die der Ausbildungsträger B übersehen hat, dann ist das für den Hilfesuchenden C nicht gut. Seite 5 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann Aber: Es gibt auch genug Kritiker, die - mit gutem Grunde - bei dem Begriff Standardisierung und Zertifizierung - Bedenken haben. Papier ist geduldig. Wie gut eine Organisation arbeitet, hängt von den Menschen ab, die für diese Organisation tätig sind. Zertifizierungen sind nicht dann besonders gut, wenn sie besonders viele Aktenordner füllen, sondern wenn sie einfach, klar und umsetzbar sind und von den Menschen auch gelebt werden. Standardisierungen sind nur dann zu empfehlen, wenn sie Raum für Individualität lassen und Rücksicht auf bestehende Strukturen immer dann nehmen, wenn sie nützlich sind und sich bewährt haben. Bei der Standardisierung der Ausbildungsinhalte stellt sich dieses Problem weniger. Dazu komme ich später noch. Schwieriger wird es aber bei Standards, die sich mit den Personen der Seelsorger befassen: Ich zitiere jetzt aus dem Konzept des Mannheimer Institutes für eine Arbeitstagung zur Standardisierung der Ausbildungsgänge und Organisationen der Islamischen Seelsorge in Regionen der Bundesrepublik vom 29.12.2012: Punkt 4 der Rahmensetzung für die Arbeitstagung: „Festlegung eines Standards, nach dem AusbildungsteilnehmerInnen nach Werbung in allen relevanten muslimischen Gruppierungen in einem Bewerbungs- und Auswahlverfahren für die Seelsorgetätigkeit ausgewählt werden“ oder Punkt 7: „Diskussion und Festlegung der Standards zur Auswahl und Ausbildung von regionalen Ausbildungsleitern der Verbände und zum Transfer in die Bundesländer bzw. Regionen nach Bedarfslagen“ Wir suchen keine Buchhalter oder Zahnärzte, sondern Seelsorger. Nach meinen Erfahrungen hängt die Qualität der Arbeit eines Menschen, der im sozialen, sportlichen oder gesundheitlichen Zusammenhang tätig ist, nur wenig von quantitativ messbaren Kriterien ab, die sich in Standards zusammenfassen lassen. Deshalb müssen die Standards, die von den Ausbildungsteilnehmern und Ausbildungsleitern verlangt werden, möglichst kurz und pragmatisch ausfallen. Seite 6 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann Einerseits sollen sie nicht gute Seelsorger ausschließen, die vielleicht wenige formale Kriterien erfüllen, dafür aber menschlich hochqualifiziert sind. Andererseits muss die Übereinstimmung mit vielen formalen Kriterien nicht automatisch eine hohe Qualifikation bedeuten. Einer meiner beiden Lieblingsärzte hat überdurchschnittlich lange für sein Studium gebraucht und sich die Mühen einer Promotion gespart. Der zweite Aspekt ist die bestehende Situation in Deutschland. Es gibt ja jetzt schon - al hamduLillah - eine Vielzahl wichtiger Islamischer Seelsorgeangebote in Deutschland, deren Struktur sehr vielfältig und heterogen ist. Auf diese bestehende Individualität und Heterogenität soll maximale Rücksicht genommen werden. Standardisierungsbemühungen dürfen nicht dazu führen, dass bestehenden Organisationen, die formale Anforderungen nicht oder nur teilweise erfüllen können, die Arbeit und die Finanzierung erschwert wird. Seite 7 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann 4. Worin besteht die Verantwortung der Islamischen Religionsgemeinschaften ? Die Frage nach der Verantwortung für Islamische Seelsorge kann ich schnell beantworten. Im Koran steht. „Die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen sind einander Beschützer und Hilfe“ (9:71). Ein bekannter Hadith sagt: „Wer einem Gläubigen eine Sorge von den Sorgen dieser Welt nimmt, dem wird Allah eine Sorge von den Sorgen des Tages der Auferstehung nehmen. Wer es einem Menschen in Bedrängnis erleichtert, dem wird Allah in dieser Welt und im Jenseits erleichtern“ (ALNAWAWI, übers. DENFER). Somit sollen und müssen sich die Islamischen Religionsgemeinschaften um Seelsorge kümmern. Kommen wir nun zu den Zielsetzungen: Bei der Islamischen Seelsorge sind die Inhalte des Islam von besonderer Bedeutung, weil der Islam in besonderem Maße eine praktische Lebenshilfe anbietet. Der Koran und die Sunna können den Menschen mit Problemen helfen, ihre Probleme zu überwinden - wenn diese sie nur umsetzen würden. Alle Regeln des Korans sind logisch und einfach umsetzbar. Es mag einige Regeln geben, die dem sogenannten modernen Menschen schwer fallen aber niemand kann ernsthaft bestreiten, dass Werte wie Treue und der Verzicht auf Drogen den Menschen, Familien und Kindern nutzen und einen logischen Hintergrund haben. Die vielfältigen Inhalte des Islam können nur von Islamischen Religionsgemeinschaften und deren Angehörigen selber vermittelt werden. Nur Islamische Religionsgemeinschaften haben das Wissen, die Erfahrung und die Netzwerke, um Fragen zu klären, die sich bei der Islamischen Seelsorge ergeben. Und nur Islamische Religionsgemeinschaften sind direkter Bestandteil der Umma, der Islamischen Gemeinschaft. Islamische Seelsorge kann eben nicht - wie bei einem Wirtschaftsunternehmen - eine mehr oder weniger externe Stabs-Stelle sein. Islamische Seelsorge muss integrierter Bestandteil der Kette Muslim - Familie Moscheegemeinschaft - Religionsgemeinschaft sein. Seite 8 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann Und - ganz wichtig - nur Islamische Religionsgemeinschaften genießen das Vertrauen und haben somit die Möglichkeit, Berührungsängste abzubauen. Deshalb muss die Ausbildung Islamischer Seelsorge durch die Islamischen Religionsgemeinschaften verantwortet werden. Seite 9 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann 5. Was muss bei der Umsetzung beachtet werden ? Man kann bestehende Seelsorge-Konzepte nicht einfach um ein kurzes Zusatz-Modul „Islam“ anreichern, um so ein neues Gesamtmodul „Islamische Seelsorge“ zu haben. Das wissen wir alle. Es gibt aber Skeptiker, die genau solche Bedenken haben und die wir deshalb im Vorfeld entsprechend überzeugen müssen. Es ist aber grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn bei der Ausbildung Islamischer Seelsorger Ressourcen bestehender Strukturen, Netzwerke und Erfahrungen nicht Islamischer Religionsgemeinschaften genutzt werden. Denn bei der Seelsorge gibt es viele Aspekte, die religionsübergreifend sind. Ich möchte in diesem Zusammenhang Dr. Ibrahim Rüschoff aus seinem Kapitel „Brauchen Muslime muslimische Therapeuten und Beraterinnen“ zitieren: „Obwohl Therapeuten und Berater ohne fundierte Kenntnisse über den Islam und ohne Zugang zur Lebenswirklichkeit ihrer muslimischen Patienten für diese eine Art „Notlösung“ bleiben, muss man die Frage, ob diese dennoch einen nichtmuslimischen Therapeuten aufsuchen können, trotz der diskutierten Bedenken und Einschränkungen mit „ja“ beantworten. Zwei Gründe sind dafür entscheidend: Ein guter nichtmuslimischer Therapeut kann seine Unkenntnis des Islam leichter ausgleichen bzw. sich Hilfe suchen als ein schlechter muslimischer Therapeut seine therapeutischen Defizite. Ein guter Therapeut wird die Lebenswelt des Klienten immer als dessen eigene respektieren, auch wenn er sie nicht teilt oder zu Beginn seiner Therapie nicht kennt. Er wird das Kopftuch einer muslimischen Patientin oder bestimmte islamische Verhaltensweisen in der Ehe nicht einfach als schädlich oder überflüssig bezeichnen. Daher können Muslime selbstverständlich auch von nichtmuslimischen Therapeuten profitieren“. Ich habe diese Zitate nicht deshalb gewählt, um den Anspruch der Islamischen Religionsgemeinschaften für die Islamische Seelsorge zu relativieren. Denn Islamische Seelsorge hat andere Hilfskonzepte als professionelle Psychotherapie. Die Islamische Seelsorge muss von Islamischen Seelsorger übernommen werden, weil es - im Gegensatz zur professionellen Psychotherapie - um das seelisch/spirituelle/religiöse Wohl des Menschen geht und nicht um die Behandlung einer fachärztlich definierbaren psychiatrischen Krankheit. Jeder Gläubige sollte ein freundschaftliches und aufgeschlossenes Verhältnis zu den anderen Gläubigen der abrahamitischen Religionen haben ! Es ist aber ganz natürlich, dass Vertreter der eigenen Religion das höchste Vertrauen geniessen. Seite 10 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann Ich möchte für ein entspanntes und pragmatisches Miteinander werben. Es ist darüber hinaus auch möglich, dass heute schon damit beschäftigte Institute und Organisationen von den Islamischen Religionsgemeinschaften autorisiert werden, Ausbildungen für Islamische Seelsorge durchzuführen. Mein persönliches Interesse besteht immer darin, einen möglichst konkreten, sichtbaren Nutzen zu schaffen. Wenn die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen hilft, die Zahl der helfenden Seelsorger zu erhöhen und damit die Zahl der Menschen zu erhöhen, denen geholfen werden konnte, dann soll das gemacht werden. Wir müssen dabei nur aufpassen, dass ordentlich und fair zusammengearbeitet wird. Nehmen wir mal ein praktisches Beispiel: Im Dezember 2012 hat uns Herr Miess das Konzeptpapier „Ausbildungsmodule Basisausbildung Islamische Seesorge und Krankenhausseelsorge“ mit der Bitte um Überprüfung vorgelegt. Dieser Vorschlag enthält folgende Module: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Basiswissen Muslimische Patienten im Krankenhaus Islamische theologische Fundierung Kommunikation Seelsorge - Situation und seelsorgerischer Einsatz Seelsorge - Gespräche Die psychischen Probleme von Mitraten im Alltag und von Patienten und ihrer Angehörigen vor und nach einem Krankenhausaufenthalt und Behandlungsmöglichkeiten 8. Eine Einführung in systematische Zusammenhänge Vergleichen wir diese Konzeption mit dem österreichischen Vorschlag eines Bachelor Studiengangs „Islamische Seelsorge“. Dort findet sich folgende Struktur: 1. Theologische Grundlagen 2. Einführung in die Islamischen Wissenschaften 3. Theologie der Islamischen Seelsorge 4. Islamische Seelsorge im europäischen Kontext 5. Muslime und Gesellschaft (Religionssoziologie, Religionspsychologie) 6. Muslimische Gemeindearbeit 7. Islamische Lebenspraxis im österreichischen Kontext 8. Methodenlehre für die Seelsorge 9. Seelsorge für Muslime in Österreich (Supervision) 10. Professionsbildung Seite 11 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann Insgesamt gibt es eine hohe Übereinstimmung beider Konzeptionen. Bei der Reihenfolge der Seminarmodule gibt es Unterschiede, weil das Mannheimer Institut mit praktischen Inhalten startet, während die österreichische Konzeption mit den Islamischen Grundlagen beginnt. Positiv sind mir die österreichischen Module „Muslimische Gemeindearbeit“ und „Islamische Lebenspraxis im österreichischen Kontext“ aufgefallen, die beim Mannheimer Institut wenig Raum finden. Das ergibt sich aber aus den unterschiedlichen Zielsetzungen, weil sich die Konzeption des Mannheimer Institutes überwiegend an praktische Seelsorger und deren Ausbilder richtet, während die österreichische Bachelor - Konzeption universitären Anforderungen genügen möchte. Ich habe mir diesen Punkt trotzdem herausgegriffen, um daran zu erinnern, dass bei der Islamischen Seelsorge der ganzheitliche Ansatz besonders wichtig ist. Die meisten Punkte des Curriculums des Mannheimer Institutes waren wichtig und religionsübergreifend von universeller Bedeutung: zum Beispiel: * * * * * * * * * Behandlung durch gleichgeschlechtliche Ärzte und Pflegepersonal Schweigepflicht Umgang mit persönlichen Patientengeschichten Grundlagen der Kommunikation eigene Erfahrungen des Seelsorgers mit Tod und Trauer Belastungsreaktionen in der akuten Trauersituation Depression als Volkskrankheit Einführung in systemische Zusammenhänge Selbstreflexion Anderer Punkte waren Islamischer Natur und mussten deshalb von der Religionsgemeinschaft des Zentralrates der Muslime mit Inhalten gefüllt werden. zum Beispiel: * * * * was ist halal, was ist haram - bezogen auf die Behandlung Islamische theologische Fundierung Diagnose von unheilbaren Krankheiten religiöse Vorstellungen zur Begleitung Sterbender Seite 12 von 13 Vortrag Mannheimer Institut 08.02.2015 ZMD e.V. Hamza Wördemann Somit können wir zusammenfassen: * einerseits möchten wir zügig Ergebnisse, die Menschen konkret helfen - deshalb unterstützen wir das Programm des Mannheimer Institutes. * andererseits müssen wir langfristig Berührungsängste abbauen und Vertrauen erhalten deshalb müssen wir Fehler vermeiden und Verwässerungen verhindern * drittens brauchen wir materielle Unterstützung beim Ausbau unserer organisatorischen Strukturen, weil die soziale und psychosoziale Gesundheit der Bevölkerung einen stabilen Hintergrund benötigt. Islamische Seelsorge wird benötigt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. in Moscheegemeinden in Krankenhäusern in Gefängnissen in Altenheimen in Mutter-Kind-Heimen in der Bundeswehr in gemeinnützigen Vereinen, die Bildungs- und Erziehungsberatung für Frauen anbieten Das sind viele Aufgabenfelder, die fundierte Strukturen hinter den Seelsorgern verlangen. Das bedeutet gesellschaftspolitisch: Islamische Seelsorge muss in den Kontext einer Islamischen Wohlfahrtspflege eingebettet werden, um die notwendige Kraft und Stärke zu haben. Seite 13 von 13