DIK Tagung Islamische Seelsorge Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Meine sehr verehrten Damen und Herren, kürzlich haben wir das 10 jährige Jubiläum der Deutschen Islamkonferenz gefeiert. Die DIK hat in diesen zehn Jahren sicherlich die wichtigsten religionsverfassungsrechtlichen Themen aufgegriffen, bearbeitet und sie in die öffentlichen Debatten getragen. Dabei sind diverse Handlungsfelder für alle Teilnehmer entstanden. Heute können wir neben manchen Fortschritten feststellen, dass bei der Umsetzung der Ergebnisse der DIK noch viel Nachholbedarf besteht. Bisher haben beispielsweise nur drei Bundesländer islamische Religionsgemeinschaften als religionsverfassungsrechtliche Kooperationspartner anerkannt. In manch einem erleben wir einen Stillstand. Eine strukturelle und gleichberechtigte Teilhabe der muslimischen Einrichtungen im gesellschaftlichen Gebilde ist jedoch umso nötiger, damit die Muslime ihrer Verantwortung in dieser Gesellschaft im vollen Maße nachkommen können. 1 Islamische Seelsorge ist Aufgabe der islamischen Religionsgemeinschaften Heute geht es auch um ein Thema, dass ohne die Religionsgemeinschaft wenig bis keinen Sinn hätte. Seelsorge ist ein verbrieftes Recht der Religionsgemeinschaften auf Begleitung und Betreuung ihrer Angehörigen in staatlichen Anstalten. Was Seelsorge ist, kann der Staat selbst nicht bestimmen. Die Deutungshoheit darüber liegt bei den Religionsgemeinschaften. Eine islamische Seelsorge ohne ihre Religionsgemeinschaften, kann keineswegs den gesetzlichen Anforderungen gerecht werden. Auch wenn Seelsorge in erster Linie christlicher Prägung ist und Niederschlag im Gesetzestext gefunden hat, so ist damit keineswegs nur die christliche Seelsorge intendiert. Es ist Aufgabe der muslimischen Theologen und ihrer Religionsgemeinschaften herauszustellen und zu definieren, ob es Seelsorge im Islam gibt und was Seelsorge im islamischen Kontext bedeutet. Hier finden bereits Gespräche zwischen islamischen Religionsgemeinschaften und den islamisch-theologischen Lehrstühlen statt. 2 Islamische Seelsorge Seelsorge hierzulande ist mit großen Handlungsfeldern verbunden, sei es Gefängnisseelsorge, Krankenhausseelsorge, Militärseelsorge, Telefonseelsorge, Bahnhofsseelsorge usw. Die erstgenannten drei Bereiche sind heute Gegenstand der Diskussionen auf den unterschiedlichen Podien, auf die wir gespannt sein können. Einer der sich mit der Thematik „Islamische Seelsorge“ beschäftigt, sucht erst einmal vergeblich nach einem begrifflichen Pendant in der islamischen Terminologie. Schlicht und einfach, den gibt es so nicht. Seelsorge im Allgemeinen, und institutionelle Seelsorge im deutschen Kontext sind für Muslime ein neues Phänomen, mit dem sie hierzulande konfrontiert worden sind und den sie als Begriff in ihre religiöse Sprache ohne weitere theologische Auseinandersetzungen einfach übernommen haben. Dieser christlich geprägte Begriff ist geschichtlich gewachsen und ist daher nicht eins zu eins auf den Islam übertragbar. Jedoch gibt es etliche Punkte der christlichen Seelsorge, die mit islamischer Seelsorge vergleichbar sind. Betrachtet man die Situation der Muslime in den unterschiedlichen öffentlichen Anstalten, so ist faktisch ein Bedarf an religiöser Betreuung und Begleitung in diesen Einrichtungen festzustellen. Die unzähligen ehrenamtlichen Tätigkeiten in verschiedenen Anstalten durch Vertreter der Moscheegemeinden sind eine Bestätigung dafür. 3 Die Beschäftigung mit der Seelsorge bringt unweigerlich die Frage nach dem Menschenbild mit sich. Was ist der Mensch? Die Sure 23:12-14 beschreibt den Menschen in seinen unterschiedlichen Entwicklungsstadien: „Und wahrlich, Wir erschufen den Menschen aus einer Substanz aus Lehm. Alsdann setzten Wir ihn als Samentropfen an eine sichere Ruhestätte. Dann bildeten Wir den Tropfen zu einem Blutklumpen; dann bildeten Wir den Blutklumpen zu einem Fleischklumpen; dann bildeten Wir aus dem Fleischklumpen Knochen; dann bekleideten Wir die Knochen mit Fleisch; dann entwickelten Wir es zu einer anderen Schöpfung. So sei denn Allah gepriesen, der beste Schöpfer.“ Der Mensch ist irdischen Ursprungs und Geschöpft Gottes. Sein Schöpfer hat ihn in bester Form als Krönung Seiner Schöpfung erschaffen (vgl. Sure 95:4), ihn vollkommen geformt, ihm aus einer überirdischen Dimension eine Seele (ruh) eingehaucht (vgl. Sure 15:29) und ihm Würde verliehen (vgl. Sure 17:70). Über die Seele ist nicht viel bekannt. Nur so viel heißt es in Sure 17:85: „Sprich „die Seele ist aus dem Befehl meines Herrn. Und euch ist vom Wissen nur wenig gegeben worden.“ 4 Ferner hat Gott dem Menschen die Fähigkeit der Erkenntnis sowie der Gottesfurcht (taqwa), aber auch die Fähigkeit der Sündhaftigkeit eingegeben (vgl. Sure 91:8). Körper und Seele verschmelzen zu Eins im Menschen. Trotz seiner Veranlagung der Vollkommenheit und seiner Freiheit von der Erbsünde ist der Mensch doch fehlbar. In Seiner Omnisziens hat Gott sich selbst die Barmherzigkeit vorgeschrieben und nimmt sich des Menschen in allen Lebenssituationen als Ausdruck Seiner Barmherzigkeit an: In der Sure 39:53 heißt es: "O meine Diener, die ihr euch gegen eure eigenen Seelen vergangen habt, verzweifelt nicht an Allahs Barmherzigkeit; denn Allah vergibt alle Sünden; Er ist der Allverzeihende, der Barmherzige.“ Wenn wir Seelsorge im Sinne Lebensorientierung und Lebenshilfe für den bedürftigen Menschen in unterschiedlichen Situationen verstehen, so hat sie ihren festen Platz im Islam. Dem notleidenden und bedürftigen Menschen zu helfen, ihm beizustehen und zu begleiten, ihm Trost zu schenken, sind wichtige religiöse seelsorgerische Aufgaben von Muslimen. Sowohl der Koran als auch der Prophet Muhammed (Friede sei mit Ihm) rufen uns Muslime auf das Not und Leiden der Menschen zu lindern, ihnen beizustehen, sie in Schwierigen Zeiten zu trösten, Hungrige zu versorgen, Kranke zu heilen und sie zu besuchen. 5 „Die Muslime sind in Liebe, Barmherzigkeit und Zuneigung zueinander wie ein einziger Körper. Wenn ein Teil des Körpers leidet, so eilt der ganze Körper zu dessen Heilung in Erschöpfung und Inbrunst.“, so der Prophet.1 So sollen auch Muslime eilen, einander zu helfen. In einem außerkoranischen Wort Gottes wird sogar der Besuch eines Kranken mit dem Besuch Gottes gleichgesetzt. Einem, der den Krankenbesuch vernachlässigt sagt Gott: „Oh Sohn Adams, Ich war krank und du hast mich nicht besucht.“…„Wusstest du denn nicht, dass einer Meiner Diener krank war und du hast ihn nicht besucht? Wusstest du denn nicht, dass - wenn du ihn besucht hättest - du Mich bei ihm gefunden hättest?“.2 Not, Leid und Krankheit dürfen dabei keineswegs als Strafe Gottes abgetan werden. Es gibt keine Krankheit für die Gott kein Heilmittel herabgesandt hat, so der Prophet. Es ist unsere Aufgabe danach zu suchen. Schwierige Situationen im täglichen Leben gehören zur Prüfung Gottes und können Anlass für Vergebung, für Sühne und Aufwertung bei Gott sein. Der Prophet tröstete Menschen mit Behinderung, die zu ihm mit Heilungsintentionen kamen, und erinnerte ihnen Gottes große Belohnung für ihr diesseitiges Handikap. Er sprach ihnen Lebensmut und Geduld zu. 1 2 Buhari, Kitab al‐adab, Hadith 6011 Muslim, Kitab al‐Birr, Hadith 2569 6 „Nichts trifft den Muslim an Schwäche, Krankheit, Sorge, Trauer, Schaden und Kummer, nicht einmal die Dorne, die ihn sticht, ohne dass Gott damit seine Sünden sühnt.“3 und „ihn um einen Grad erhöht.“4 sagt der Gesandte Muhammad (Friede sei mit Ihm). Hier ließen sich not viele andere Beispiele von Hilfe und Begleitung islamischer Religionsangehöriger aufzählen. Derartige Tätigkeiten fallen meistens unter kollektive Pflicht (fard kifaya), deren Vollzug durch einen oder ein Teil der Gemeinde als erbracht gilt. Ob dieses von nächsten Verwandten, von der Gemeinde geleistet wird oder institutionalisiert geschieht wie es in vielen islamisch geprägten Ländern der Fall ist, widerspricht den islamischen Grundsätzen nicht. In der Islamischen Seelsorge steht der Dienst an den hilfesuchenden Menschen im Vordergrund. Daher sollte Seelsorge aufgrund der gegenwärtigen Diskussionslage nicht als ein Werkzeug der Gewaltprävention verstanden werden, wenn auch sie präventiven Charakter mit in sich einschließt. 3 4 Buhari, Kitab Marda, Hadith 5641‐5642. Muslim, Kitab al‐birr, Hadith 2576 7 Ohne Hauptamt kein Ehrenamt Schließlich möchte ich an die vielen Ehrenamtler aus den Moscheegemeinden aber auch einzelne Muslime erinnern, die sich in Justizvollzugsanstalten oder Krankenhäusern selbstlos engagieren. Sie verdienen großen Respekt, Dank und Anerkennung. Der Bereich islamische Seelsorge ist jedoch immens vielschichtig und überschreitet die Machbarkeit durch das Ehrenamt. Islamische Seelsorge in öffentlichen Anstalten kann nur effektiv realisiert werden, wenn Ehrenamt vom Hauptamt begleitet wird. Deshalb kommen wir nicht drum herum in hauptamtliches Personal zu investieren und Geld in die Hand zu nehmen. Dafür brauchen wir Menschen, die sich nicht nur für das körperliche Wohlbefinden sorgen, sondern auch für den Seelenheil da sind. Daher müssen muslimische Seelsorger ausgebildet und qualifiziert werden, die sich sowohl in der islamischen Theologie fundiert auskennen als auch mit der Seelsorge in Anstalten vertraut sind. Dies kann am besten in einem Zusammenspiel des Staates, der Religionsgemeinschaften und der Wissenschaft erfolgreich bewältigt werden. Ich wünsche allen eine erfolgreiche Tagung. Berlin, 07.11.2016 8