Ethische Dimension der Seelsorge hinsichtlich der Transplantationsmedizin Impulse zur Diskussion Pfarrerin Simone Bakus Seelsorgerin im Universitätsklinikum Düsseldorf Pfarrer Hans-Jörg Stets Seelsorger im Universitätsklinikum Essen Düsseldorf - Essen, 15.04.2011 Allgemeine Merkmale von Seelsorge I. Die Person des/der Seelsorgers/in II. Die Person des Seelsorgeklienten/in III. Ziel, Aufgabe und Arbeitsweise IV. Ethische Entscheidungen: Gefahren und Grenzen I. Die Person des Seelsorger/in Repräsentant der Kirche – – Privatperson – bringt eigene Erfahrungen und persönliche Moralvorstellungen mit beide Gesichtspunkte müssen – – – hat eine christlicher Grundeinstellung die im Seelsorgegespräch je neu und unterschiedlich entwickelt wird reflektiert und in der Seelsorge bzw. im ethischen Diskurs transparent werden im Rahmen von Ethischen Fallbesprechungen ist Rollenklarheit erforderlich – – – – Moderator Mutmaßlicher Patientenwille Anwalt der Angehörigen Unterstützer der ärztlichen und pflegenden Mitarbeitenden der Station II. Die Person des Seelsorgerklienten/in wirksam sind u.A. – eigene persönliche Moralvorstellungen – ggf. Vorerfahrungen Projektionen und Erwartungen – – Bewusst / wenig bewusst / oder unbewusst an die Person und Rolle des Seelsorgers. an die Haltung und Lehrmeinung der Kirche Begegnen der Seelsorge im Zusammenhang der Transplantation – – – – im Gespräch über Patientenverfügung: „Möchte ich spenden?“ bei Entscheidungsfindung von Angehörigen in einer Akutsituation als Gruppe (Familie) Trauernder in einer Akutsituation als Klinikmitarbeitende in schwieriger Situation (Interessenkonflikt) III. Ziel und Aufgabe der Seelsorge Neben Beistand, Ermutigung, Glaubensvergewisserung, Sinnfindung, Solidarität, Stärkung, Trost Übernahme von Verantwortung (oder Förderung der Fähigkeit dazu) – – In einer konkreten Entscheidungs-Situation – – hilft Seelsorge dem Klienten im Bewusstsein der Ambivalenz eine eigenverantwortliche für ihn stimmige Gewissensentscheidung zu treffen Fragt nach den Voraussetzungen, den eigenen Werten gemäß zu handeln und bestärkt darin Dabei sind wichtig – – – – die als solche erkannt und als eigene angenommen wird Focus auf die Fragestellung: Worum genau geht es? Durchspielen von Alternativen und deren Folgen Gewinnung von Kriterien der Verantwortlichkeit innere Situation des Klienten (Lebensgeschichte, religiöse Haltung, Motive und Erwartungen) Ambivalenz aller Entscheidungen zur Organtransplantation – – Organspende mutet Angehörigen „warmen Körper“ eines Hirntoten und besondere Abschiedssituation zu Keine Organspende nimmt indirekt ein längeres Leiden potentiellen Empfänger in Kauf IV. Ethische Entscheidungen: Gefahren Moralismus – – Libertinismus – Ethische Entscheidungen gelten als Privatsache und unterliegen keiner Außenbeurteilung: „Ich kann tun, was mir nützt oder gefällt.“ Instrumentalisierung – Zeitlose Verhaltensnormen werden weitergegeben Seelsorger/in wird zum Maßstab: „Was würden Sie an meiner Stelle tun?“ Werbung für Transplantation z.B. aus Nächstenliebe Anpassung an „Normalität“ – Es gehört zum guten Ton, im Falle einer irreversiblen Hirnschädigung, seine Organe zur Verfügung zu stellen. IV. Ethische Entscheidungen: Grenzen aus evangelischer Sicht Humanistische Grundlage: Ethik bedeutet das Tun des Guten – Christliche Anthropologie: Der Mensch ist Sünder – „Das Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ Römer 7, 18b.19 Glaube schenkt neues Selbstverständnis – – „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Rechtfertigung nicht aus guten Taten, sondern durch Gottes Gnade das Sein geht dem Tun voraus Ethisches Handeln ist Folge übernommener Verantwortung – – – gründet auf dem Wissen um die Ambivalenz jeder Entscheidung jede Entscheidung bedeutet Abschied von der nicht gewählten Alternative und schließt damit die Bereitschaft zur Schuldübernahme ein Seelsorge und Transplantationsmedizin I. eigene Haltung als Seelsorger finden II. Das ethische Dilemma III. Normative Leitgedanken IV. Die Not der Beteiligten V. Rolle der Seelsorge (Spender – Empfänger) I. eigene Haltung als Seelsorger finden Erster Blick von außen Organspenderausweis beim Treffen einer Selbsthilfegruppe ausfüllen? – Veröffentlichungen steigender Transplantationszahlen – Verlautbarungen des DEKV im Juli 2010 – Veröffentlichungen des ÄD eindeutige Erwartung an die Seelsorge? – Gespräche mit Ärzten – – – Sorgfalt und Klarheit - keine Vermischung der Rollen Persönliche Betroffenheit aufgrund eigener Erfahrungen Polarisierendes Thema Führt zu sehr unterschiedlichen Bewertungen Bis hin zu massiven gegenseitigen Vorwürfen zeigen die Brisanz des Themas! II. Das ethische Dilemma Der erste Blick von außen und der genauere Blick nach innen zeigen: Es gibt keine „richtige“ oder „falsche“ ethische Haltung im Hinblick auf Organtransplantation. Sowohl Einzelfallentscheidungen als auch allgemeine Haltungen haben jeweils ihre Schattenseiten. III. Normative Leitgedanken Hirntodkriterium gibt den juristischen Rahmen Selbstbestimmungsrecht von potentiellen Spendern Recht auf Gesundheitsschutz von potentiellen Empfängern Partizipationsgerechtigkeit – – Verteilung der Organe keine Vermischung mit wirtschaftlichen Motiven Diese Leitgedanken sind vorläufig und veränderbar – sie können zu anderen Zeiten oder in anderen Kulturen anders gedacht werden IV. Die Not der Beteiligten Die Not der Angehörigen – weitreichende Entscheidung in Schocksituation treffen nicht alle Betroffenen können beteiligt werden ‚Kater‘ möglich bzw. wahrscheinlich. – Spende bedeutet Abkehr vom palliativen Gedanken Hinausschieben des ‚gefühlten‘ Todeszeitpunkts. – Hirntodkriterium ist intuitiv nicht nachvollziehbar: spürbar warmer Körper, Kreislauf, Atmung werden als Lebenszeichen gedeutet. – Abschied von einem explantierten Leichnam ist Belastung. Die Not der Ärzte – Verantwortung für wartenden Empfänger – Verantwortung für Spender: Kreislaufstabilisierung und Beatmung führen bei vielen Hirnschäden nicht zum erwarteten Hirntod und verlängern damit Leiden (apallisches Syndrom) – Hirntodkriterium und -diagnostik sind -z.T. sehr heftig- umstritten. V. Seelsorge bei der Organspende Schock der Trauer – Begleitung, Stärkung, Ermutigung und Schutz von Angehörigen Ad hoc Entscheidung pro / contra Spende – Seelsorge ist sich eigener Haltungen und Bewertungen und solcher von Institutionen bewusst, schafft einen geschützten Raum für die Entscheidung der Betroffenen. – Moderation einer nachhaltigen und stimmigen Entscheidung im Sinne eines mutmaßlichen Patientenwillens und dem Wohl der Hinterbliebenen. – Sachliche Information über das Für und Wider Begleitung nach einer Ad hoc Entscheidung – Bei Spende: Wartezeit, Hirntoddiagnostik, Extransplantation, Abschied unter besonderen Umständen – Bei Ablehnung der Spende: Ermutigung, Sterbebebegleitung und Abschied – Nachgehende Seelsorge: Stärkung im Hinblick auf die Ambivalenz der Entscheidung V. Seelsorge bei der Organspende Aufgrund der Brisanz des polarisierenden Themas – keine verbindliche Beteiligungsstruktur bei Einzelfallentscheidungen – Seelsorge wird je nach Haltung der behandelnden Ärzte einbezogen. Unabhängig vom Einzelfall – Beteiligung an der gesellschaftlichen Diskussion durch sachliche Informationen über das Für und Wider: Es gibt keine Eindeutigkeit pro oder contra Organspende! – Unabhängigkeit / Allparteilichkeit Seelsorge lässt sich nicht Instrumentalisieren. – Förderung einer guten Entscheidungsgrundlage für potentielle Spender – Angebot der Unterstützung in einer Akutsituation VI. Seelsorge bei Organempfängern Hirntodkriterium – Recht auf Gesundheitsschutz – – Ist der Mensch wirklich tot? Patient möchte leben und darf Sorge für seine Gesundheit tragen Bei jungen Menschen (Mucoviscidose, Nieren oder Leberschäden) bedeutet Transplantation oft die einzige Chance, Leben zu verlängern Selbstbestimmungsrecht – – – – – Transplantation oder Ersatztherapie Recht nach Therapieabbruch und Sterben Annahme der eigenen Sterblichkeit Das vermeintliche „Recht“ auf ein Spendeorgan. ‚Organmangel‘ & das Selbstbestimmungsrecht von Spendern VI. Seelsorge bei Organempfängern Partizipationsgerechtigkeit – – – – Patient lebt auf Abruf Wartezeit liegt zwischen wenigen Wochen und mehreren Jahren Wann bin ich endlich dran? Welche Chancen habe ich? Identität – – – Sprachgebrauch zeigt: „Herz und Nieren“ sind nicht auf den Körper begrenzt, sie stehen symbolisch für das Leben „Bin ich mit fremdem Organ noch der gleiche Mensch?“ „Ein Mensch muss sterben, damit ich leben kann.“ Gefahr der religiösen Überhöhung VI. Seelsorge bei Organempfängern Trost und Solidarität Begleitung der Angehörigen – – – – – Raum für Aussprache auch ohne Patienten Belastung durch Dialyse: „An uns bleibt vieles hängen!“ „Auch ich lebe auf Abruf, vieles ist nicht möglich.“ „Soll / kann ich spenden?“ Ggf. Trauerbegleitung Glaube als Kraftquelle – – Gespräch über Glauben, Gott, Beziehung zur Gemeinde helfen und stärken Gottesdienst, Abendmahlsfeier, Gebet, Stille, Segen stärken Patienten und Angehörige VI. Seelsorge bei Organempfängern Trost und Solidarität Vor der Transplantation – – – – – Nach der Transplantation – – – – – Trauer und Klage um der Verlust des Organs Eigenen Lebensrhythmus finden Warten aushalten Belastung für Angehörige Spende durch Eltern oder Partner Wartzeit bis zum Funktionieren des Organs Sorge um Abstoßung Zeit der Ungewissheit Abschied vom alten Lebensrhythmus (Dialysestation) Bewältigung des (positven) Psychotraumas Krisen nach der Transplantation – – – – Niere arbeitet nicht Infektionen und Leben mit Imunsupressiva Weitere OP oder neue Spende erforderlich Selten: Sterbebegleitung