Liner notes zur CD JOHN VOIROL ich allein von Pirmin Bossart John Voirol zeigt, was er kann. Ganz allein. Er ist mit eigenen Bands und in fremden Projekten aufgetreten und seit Jahren als gelegentlicher Solist zu hören. Aber so pur hat er sich noch nie offenbart. „Es war einfach mal Zeit“, sagt der Saxophonist. Voirol buchte einen Tag im Studio und spielte zwei Stunden an einem Stück. Daraus ist sein erstes Soloalbum entstanden. Eigentlich das erste Album überhaupt, das ganz und gar John Voirol ist. Seine Klangkultur, sein Sound, seine Vielseitigkeit, seine Improvisation. Der Musiker hat aus dem Material die zwingendsten Tracks genommen. Keiner wurde überarbeitet. No overdubs. Alles wurde so gespielt, wie es klingt. Voirol hat lediglich eine neue Anordnung der Stücke gemacht. Er gibt ihnen keine bedeutungsschwangeren Namen, sondern bezeichnet sie schlicht als Momente. Der Improvisator weiss um die Fragilität einer Improvisation. Er mag noch so viele Techniken und Repertoire-Versatzstücke im Hinterkopf haben: Die resultierende Musik ist immer eine Momentaufnahme. Sie nähme, zwei Minuten später angesetzt, ganz andere Wendungen. Dennoch gibt es nur immer diesen Moment. Es ist eine Kunst, darin trotzdem das Wesentliche zu sagen. Die Momente auf Voirols Album lassen eine innere Notwendigkeit spüren. Sie fallen präzise ein und verschwinden im Nu. Dazwischen entfaltet sich die elementare Klangarbeit des Saxophonisten. Nichts Überbordendes, auch wenn er radikal einhakt. Er behält Kontrolle über Klang, Phrasierung, Timing. Er sucht die unsichtbare Form, die dem Moment eine nachvollziehbare Gestaltung gibt. "Ich habe mir für diese Aufnahmen vorgenommen, an nichts zu denken und mich total vom Moment leiten zu lassen. Einfach im Jetzt zu sein, in Einheit mit dem Saxophon.“ Diese bewusst hergestellte Leere war die Form, in die er seine Assoziationen fliessen liess. Mit „Ich Alleine“ löst sich John Voirol aus dem Schatten seiner Bands und Projekte und hält inne. Das Album ist eine Art Werkschau seiner bisherigen Erfahrungen, die sich explizit als musikalische Momentaufnahme ausdrücken wollte. Das ist dem Musiker hervorragend gelungen. Die Tracks reproduzieren nicht einfach verschiedene Techniken und Phrasierungen – was bei einem langjährigen Dozenten schon fast natürlicherweise mitschwingt. Sie offenbaren sein Interesse am Improvisieren und Erforschen von Klangmöglichkeiten. Bei allen Projekten, mit denen Voirol traditionelles Jazz- oder Gregorianik-Material in zeitgenössische Adaptionen verwandelt hat: Dieses spontane Agieren ist ein Brennkern seines Spielens geblieben. Wir hören schnelle und atemlose, handkehrum auch ruhige und atmosphärische, fast feierliche Tracks. Anders als bei vielen freien Saxophon-Geistern hat man bei Voirols Radikalität immer auch die Jazztradition im Ohr. Manchmal nur als Geschmack. Statt seine Einfälle in immer exzessiveren Abstraktionen und Clusters zu zerstäuben, gibt Voirol ihnen eine melodische Erdung. Ein frei schaukelndes Standard-Lullabye, ein heiseres Phrasieren von Swing, zerfaserte Free-Turbulenzen, schlingerndes Coltrane Solieren, gar eine ferne VolksmusikBeseeltheit aus dem Jazzhorn oder schlicht ein zeitgenössisches Untersuchen von Vibration und Körperlichkeit im Klang: Das alles ist in seinen „Momenten“ enthalten. Das Geschlinger von Linien, das Geklappe und Gehauche von Tasten und Luftströmen, das Spitzkehlige, Aufgeraute, Gespaltene und Mehrtönige: John Voirol hat ein breites Spektrum von Klangmöglichkeiten intus. Dass er diese Sprache benutzt, um mit seinen „instant compositions“ auch einem traditionelleren Jazzfan noch eine Ausgangsbasis zu geben, spricht für ihn. Voirol ist ein Vermittler. Er ist verankert und kann doch sehr weit ausgreifen. Deswegen gilt, was bei ähnlichen Projekten längst nicht immer üblich ist: SeinSaxophon-Album lässt sich mühelos und mit Genuss durchhören. Artikel über John Voirol’s CD „ich allein“ für Jazz’n’More via Unit Records von Ken Waxman Heutzutage ist eine Solo Saxophone Session eher ein Konzertvortrag als ein Rite de passage und sie ist nicht so eine starke Konfrontation wie damals, als Steve Lacy und Anthony Braxton vor vierzig Jahren begannen, sich auf diese Form zu spezialisieren. Aber die reine Improvisation allein - ohne irgendwelche vorgefassten Planungen - enthüllt immer noch ganz nackt das, was ein Musiker ist, in Bezug auf Feuer und Fähigkeit. Dies ist der Grund, warum die CD ich allein (Unit Records) des in Hochdorf lebenden Tenor- und SopranSaxophonisten John Voirol so bemerkenswert ist. Im Gegensatz zu Blattbläsern, die als Anfänger enttäuschenderweise Soli so früh in ihrer Karriere aufnehmen, wie ihre konservativen Brüder serienmäßige Standard-CDs kreieren, hat Voirol, wie Dave Liebman und Sonny Rollins vor ihm, weise auf den geeigneten Moment gewartet, bevor er die SoloHerausforderung annahm. „Ich habe mich dafür entschieden, mich für diese Aufnahmen von meinem Verstand zu befreien und dem Moment zu erlauben, den Weg zu führen,” erklärt Voirol, 55, der auch Professor an der Luzerner Musikhochschule ist. „Ich wollte das ‚Jetzt’ leben und meine Saxophone in Einklang bringen mit der Inspiration des Moments. Die Titel geben nicht nur eine Vielzahl von Techniken und Phrasierung wieder, sondern enthüllen auch mein Interesse am Improvisieren, während ich eine Kombination von Klängen entdecke.” Voirol hat in einer Vielzahl von Jazz-, Improv-, Fusion- und sogenannten klassischen Kontexten gearbeitet, mit Spielern so unterschiedlich wie Schlagzeuger Keith Copeland, Pianist John Wolf Brennan und Posaunist Joseph Bowie, und Voirol hat auch modale Harmonik und Gregorianische Musik erforscht. An diesem Punkt seiner Karriere ist er nun erfahren genug, um alles Wissen seines musikalischen Backgrounds auf seiner CD einzusetzen. Während sein gesamtes Spielen in ich allein völlig spontan ist, haben meisterhaft kontrollierter wellenartiger Blasdruck und verzerrtes timbre, die er beispielsweise in „Moment 6” durch sein Sax murmelt, ihre Vorform in frühem Cantus planus. In ähnlicher Weise hat das luftige Tenorsaxophon Vibrato, das er in „Moment 3” gebraucht, seinen respektvollen Ursprung in Ben Websters Phrasierung, ebenso wie Voirols Moderato und Legato Exposition in diesem Titel und anderswo andeutet, dass er jederzeit in eine Standard-Melodie überwechseln könnte – obwohl er das nicht tut. Manche der kürzeren Titel sind faszinierend, denn sie zeigen, wie er mit einer Vielzahl von erweiterten Techniken und Phrasierung umgeht, dazu gehören slap tongue, kreischendes „Aufschreien“, Zirkularatmung und Multiphonics. Gleichzeitig lässt sich tremoloartiges „Flattern“, die in einer Melodie wie „Moment 4” gebraucht wird, zurückbeziehen auf viel frühere Intonations-Strategien wie die der vibrierenden Rohrblätter der traditionellen Dudelsackspieler. Eine Reflexion der Jazz-Geschichte in ich allein gibt Voirol auch die Gelegenheit, nach dem, wie er es beschreibt, „Spiritualität im Klang” zu suchen. Kehlkopf Punktierung und mehrfach überblasene Töne, die wir in Titeln wie „Moment 5” und „Moment 7” hören, erinnern sowohl an Albert Aylers FreieForm-Experimente, als auch an die Freak-Effekte, die von den Saxophonisten der 1920er Jahre wie Urahn Coleman Hawkins verwendet wurden. Es war auch Hawkins’ unbegleiteter Titel „Picasso” von 1948, der die Grundlage für spätere Soloarbeit legte, und Sie können Hinweise auf den legendären Saxophonisten und sein besonderes Vibrato hören, die unter die Staccato Bewegung und „stotternde“ Töne mit pulsierendem Atem gemischt sind und die Voirol in den „Moment 1” miteinfließen lässt. Insgesamt, ohne Voirols andere Vorlieben zu ignorieren, die das Spielen von Jazz- Standards, Arbeiten mit dem Groove und Improvisieren in Gregorianischem Ambiente einschließen, fängt ich allein sein Spielen dort ein, wo es am spontansten und dadurch am beeindruckendsten ist. In Anbetracht dessen, wie gut diese CD gelungen ist, ist es sehr unwahrscheinlich, dass dieses Album nur von „mir allein” wertgeschätzt werden wird. Übersetzung: Maylis Ashley und Harald Haerter