Peter Heine Islam zur Einführung Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Hartmut Böhme Prof. Dr. Detlef Horster Prof. Dr. Ekkehard Martens Prof. Dr. Barbara Naumann Prof. Dr. Herbert Schnädelbach Prof. Dr. Ralf Schnell Junius Verlag GmbH Stresemannstraße 375 22761 Hamburg Im Internet: www.junius-verlag.de © 2003 by Junius Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Florian Zietz Satz: Druckhaus Dresden Druck: Druckhaus Dresden Printed in Germany 2003 ISBN 3-88506-365-4 1. Auflage März 2003 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. Inhalt Vorwort ................................................................................. 7 Einleitung .............................................................................. 9 Arabien vor dem Islam .......................................................... Die Quellenlage.................................................................. Die Gesellschaftsstruktur ................................................... Die Religion ...................................................................... Die Tugenden der vorislamischen arabischen Gesellschaft ....................................................... 15 15 18 21 24 4. Muhammad und der Koran ............................................... 25 Das Leben des Propheten ................................................... 25 Der Koran .......................................................................... 36 5. Die islamischen Glaubenspflichten .................................... Das Gebet........................................................................... Das Fasten .......................................................................... Das Almosen ..................................................................... Exkurs: Die Kopfsteuer (Jizya) und andere Abgaben ........... Die Pilgerfahrt .................................................................... Der Dschihad ..................................................................... Ethische Regeln .................................................................. Islamische Eschatologie....................................................... 63 64 69 74 76 80 87 91 94 6. Das islamische Recht.......................................................... 97 7. Islamische Sonderformen ................................................... 113 Die Schiiten ........................................................................... 114 Die Ismailiten ........................................................................ 124 Die Bahai .............................................................................. 127 Islamische Mystik ................................................................... 131 8. Schluss .............................................................................. 137 Anhang Anmerkungen ........................................................................ 143 Literaturhinweise .................................................................... 157 Über den Autor ..................................................................... 169 1. Vorwort Seit dem 11. September 2001 ist der Islam wieder einmal in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Wenn die tragischen Ereignisse von New York eine positive Konsequenz hatten, dann war es das sprunghaft wachsende Interesse einer breiten Leserschaft an objektiven Informationen über den Islam. Dabei standen vor allem Fragen nach dem »Heiligen Krieg« oder Märtyrer- und Paradiesvorstellungen im Vordergrund des Interesses. Dies sind aber nur Teilaspekte einer alten und komplexen Religion und Kultur. Ihre Basis an Glaubensvorstellungen und ritueller Praxis sowie die Auswirkungen auf alle Lebensbereiche sollen in dieser kurzen Darstellung im Vordergrund stehen. Die westlichen Islamwissenschaften haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten gerade in Fragen der Grundlagen der islamischen Religion und Geschichte beträchtliche Fortschritte gemacht. So reizvoll es gewesen wäre, diese wissenschaftlichen Entwicklungen hier zu referieren, hätte es doch den Rahmen einer Einführung gesprengt. Ich habe mich aber bemüht, immer dort, wo sich neuere Diskussionen entwickelt haben, auf die entsprechende Literatur hinzuweisen. Die Literaturhinweise dienen vor allem einer späteren vertiefenden Lektüre. Daher habe ich mich bis auf eine Ausnahme nur auf europäischsprachige Literatur bezogen. Dieses Buch über den Islam ist von einem Nichtmuslim geschrieben. Muslime mögen diese Tatsache mit einigem Recht kritisieren. Doch noch bin ich der Meinung, dass eine gewisse Distanz zum Objekt einer Darstellung für ein Publikum, dem der 7 Islam fremd ist, dem Leseverständnis nützt. Die Defizite, die ein westlicher Islamwissenschaftler auch nach einer jahrelangen und intensiven Auseinandersetzung mit dem Islam haben mag, werden vielleicht durch eine größere Vertrautheit mit den Fragen, die von der nichtmuslimischen Öffentlichkeit an Muslime und über den Islam gestellt werden, ausgeglichen. Es geht hier also vor allem um Fragen der Vermittlung. Auch ein schmaleres Buch wird nicht vom Autor allein geschrieben. Es ist also Dank abzustatten: Für technische Hilfe habe ich Anke Bentzin und Birgit Koch zu danken. Ina Heine hat wieder einmal aus einer nicht immer leicht zu lesenden Vorlage einen gut lesbaren Text gemacht. Für die Fehler, die dieser Text enthalten mag, bin ich aber allein verantwortlich. Arabische und persische Begriffe sind in einer Form wiedergegeben, die an die Praxis des International Journal of Middle East Studies angelehnt ist. Wenn nicht anders erwähnt, folgen die Zitate aus dem Koran der Übersetzung von Adel Theodor Khoury, Gütersloh 1982. Berlin, 15.2.2003 8 Peter Heine 2. Einleitung In einem Buch dieses Umfangs eine Religion und die aus ihr entstandene Kultur zu beschreiben kann zu Recht zumindest als kühn bezeichnet werden. Schließlich bestimmt sie das Leben von mehr als einer Milliarde Menschen. Sie existiert seit über 1400 Jahren und erstreckt sich über einen geographischen Raum zwischen dem westafrikanischen Senegal im Westen und der indonesisch-malayischen Inselwelt im Osten, zwischen der Insel Sansibar im Süden und den zentralasiatischen Republiken im Norden. Zudem behauptet sie sich als Minderheitenreligion in weiten Teilen der westlichen Welt.1 Die religiöse Praxis von Muslimen der Oberschicht in Kairo z.B. unterscheidet sich beträchtlich von der der ländlichen Bevölkerung in Bangladesch. Das, was von türkischen Arbeitsmigranten im Berliner Stadtteil Kreuzberg unter Islam verstanden wird, hat mit den Gedanken eines muslimischen Theologen an der Pariser Sorbonne wohl kaum etwas gemein. Gewiss, solche Dissonanzen treten auch bei der Beschreibung des Christentums auf. Wenn eine derartige Darstellung von einem christlichen Autor für ein Publikum verfasst wird, das selbst dieser Religionsgemeinschaft angehört oder zumindest aus einem christlich geprägten geistig-historischen Kontext stammt, kann die Kenntnis einer gemeinsamen Begrifflichkeit vorausgesetzt werden. Die notwendigerweise essenzialistische Beschreibung des Christentums wird durch die Lebenswelt des Lesers differenziert. Wenn ein nichtmuslimischer Autor für eine nichtmuslimische Leserschaft den Islam darstellt, kann bei den Adressaten die notwendige Dif9 ferenzierungskompetenz nicht gegeben sein. Zwar haben heute die meisten Menschen in Deutschland eine gewisse Vorstellung vom Islam und den Muslimen, sei es aufgrund persönlicher Kontakte mit muslimischen Nachbarn, Arbeitskollegen oder Kommilitonen, sei es aufgrund von Urlaubs- oder Geschäftsreisen, sei es aufgrund von Medienberichten u.a. Doch solche Kenntnisse sind zufällig, unsystematisch und beruhen nicht selten auf falschen oder verfälschten Informationen. Verfälschungen hinsichtlich der Dogmen, der rituellen und gesellschaftlichen Praktiken des Islams sind kein Phänomen einer modernen antiislamischen Haltung westlicher Gesellschaften nach Terroranschlägen. Seit das Abendland die Existenz einer anderen, einer jüngeren monotheistischen Religion neben dem Christentum und dem Judentum zur Kenntnis nehmen musste, hat es auch immer Missverständnisse, Fehleinschätzungen und ganz bewusst falsche Darstellungen des Islams von westlicher Seite gegeben. (Gleiches muss natürlich auch für das Bild des Westens aus muslimischer Sicht gesagt werden.) Diese Haltung hing zunächst damit zusammen, dass die Einordnung des Islams für christliche Theologen des Mittelalters nicht einfach war. Angesichts der zahlreich vorhandenen Parallelen in den religiösen Traditionen und theologischen Meinungen konnte man Muslime nicht als Heiden betrachten, aber wegen der offenkundigen Unterschiede auch nicht als Christen. Man sah die Muslime daher als eine Art von Häretikern an, die es zum wahren christlichen Glauben zu bekehren galt.2 Gleichzeitig stellten muslimische Reiche über viele Jahrhunderte einen wichtigen politisch-militärischen Faktor im internationalen Kräftespiel der europäischen Staaten dar. Bei einem flüchtigen Blick erhält man den Eindruck, dass sich die Beziehungen zwischen muslimischem Morgenland und christlichem Abendland auf einen simplen Antagonismus reduzieren lassen. Die politische Praxis war aber stets eine sehr viel kompliziertere. 10 Häufig handelten muslimische wie christliche Herrscher nach dem alten orientalischen Prinzip: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Die Entwicklung großräumiger strategischer Konzepte gab es auch schon im frühen Mittelalter. Karl der Große und der Abbasidenkalif Hârûn al-Raschid hatten mit dem Omayyadenkalifat von Cordoba einen gemeinsamen Gegner3 und das Frankreich Ludwigs XIV. hatte mit dem Osmanischen Reich gemeinsame Interessen im Mittelmeer und gegen die Habsburgische Monarchie.4 Dennoch blieb der Eindruck bestehen, dass der Islam eine ständige Gefahr für die abendländische Lebensweise darstellte. Es gibt die Auffassung, dass die Existenz des Islams eine wichtige Funktion für die Herausbildung einer abendländischen Identität übernahm. Das Interesse des Westens am Islam war in jedem Fall lebhafter als das der Muslime am Abendland. Da man sich unter christlichen Missionaren Gedanken darüber machte, auf welche Weise man die »Häretiker« auf der anderen Seite der Pyrenäen in den Schoß der Mutter Kirche führen könnte, wurden relativ früh Bemühungen unternommen, die wichtigen religiösen Quellen des Islams, vor allem natürlich den Koran, als das heilige Buch der Muslime, ins Lateinische zu übersetzen.5 Später waren es dann die Vertreter der Wissenschaft vom Alten Testament, die sich intensiv mit dem Islam und der Kultur vor allem der Araber beschäftigten. Sie glaubten, dass sich aus den sozialen, rechtlichen, religiösen und auch aus den technischen Verhältnissen insbesondere der beduinischen Gesellschaften der Arabischen Halbinsel Rückschlüsse auf die Situation der jüdischen Stämme des Alten Testaments ziehen ließen. Sie hofften, durch einen Vergleich mit modernen Beduinenstämmen zu einem größeren Verständnis des Altes Testaments zu gelangen.6 Dies war eine der Wurzeln für die Entstehung der Wissenschaft vom Orient, der Orientalistik.7 Das Interesse am Koran ging mit einem lebhaften Interesse für die mathematischen, naturwissenschaftlichen, tech11 nischen, medizinischen und philosophischen Errungenschaften der Muslime einher. In der frühen Abbasidenzeit (750-1258) hatte vor allem in Bagdad eine lebhafte Übersetzungstätigkeit von griechischen und aramäischen Texten ins Arabische begonnen. Zahlreiche Zeugnisse der griechischen und hellenistischen Literatur, die in ihren Originalsprachen verloren gegangen sind, blieben in ihrer arabischen Version erhalten. Von dort gelangten sie dann wieder in den Westen. Die Muslime hatten in diesem Vermittlungsvorgang aber mehr als eine »Briefträgerfunktion« inne. Viele der aus den antiken Texten gewonnenen Erkenntnisse haben sie weiterentwickelt. Dies gilt für die Medizin wie für die Astronomie, aber auch und vor allem für die Philosophie. Ibn Sîna (Avicenna), der in der muslimischen Tradition eher als Augenarzt bekannt ist, oder Ibn Rushd (Averroes) waren auch für die abendländische Scholastik die wichtigsten Kommentatoren der Werke des Aristoteles.8 Eine Vielzahl von aus dem Arabischen stammenden Fremdwörtern in den europäischen Sprachen wie »Algebra«, »Giro«, »Alkohol« legen davon Zeugnis ab, in wie zahlreichen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch ganz alltäglichen Lebensbereichen muslimischer Einfluss prägend war.9 Schließlich gab es ein ökonomisch-politisch-militärisches Interesse, das zur Beschäftigung mit dem Orient motivierte. Zunächst setzten sich vor allem die See- und Handelsmächte, für die das Mittelmeer eine entscheidende Rolle spielte, also die italienischen Stadtrepubliken sowie die Königreiche Spanien und Portugal, mit der geistigen und gesellschaftlichen Herausforderung, die der Islam für sie darstellte, auseinander. Später bemühte sich dann auch das seefahrende England um den direkten Zugang zu den Regionen, in denen Gewürze und andere kostbare Handelsgüter vermutet wurden. Man versuchte, die von Muslimen kontrollierten Seewege nach Indien zu umgehen oder die muslimi12 sche Konkurrenz auszuschalten.10 Dazu benötigte man u.a. auch Kenntnisse der muslimischen See- und Landkarten. Je stärker die europäischen Mächte wurden, desto größer wurde ihr Interesse an den islamischen Regionen des südlichen und östlichen Mittelmeers. Mit der Expedition Napoleon Bonapartes nach Ägypten im Jahr 1798 fand dieses Interesse seinen ersten praktischen Ausfluss. Die militärische Unternehmung war intensiv wissenschaftlich vorbereitet worden. Die französischen Truppen wurden von der »Mission de l’Égypt« begleitet, einer interdisziplinär zusammengesetzten Wissenschaftlergruppe, die später in einer berühmten und umfänglichen »Description de l’Égypt« die Ergebnisse ihrer Recherchen zusammenstellte." Die wachsenden Interessen der europäischen Kolonialmächte in verschiedenen Teilen der Welt, in denen Muslime lebten, verstärkten die wissenschaftlichorientalistischen Bemühungen. In London, Paris oder dem niederländischen Leiden entstanden praxisorientierte wissenschaftliche Einrichtungen zur Ausbildung von Verwaltungspersonal, das für die Kolonien vorgesehen war.12 Eine gewisse Ausnahme bildete Deutschland, dessen koloniale Interessen sich erst spät artikulieren konnten. Zeitlich versetzt entstanden dann aber auch in Berlin und Hamburg vergleichbare Einrichtungen.13 In Deutschland stand eine romantische Orientbegeisterung im Vordergrund. Bedeutende Vertreter der deutschen Literatur wie Goethe, Rückert, Heine setzten sich intensiv mit dem Orient und seinen Kulturen auseinander. Die Märchensammlung von 1001 Nacht prägte in Deutschland das Orientbild. Dieser Romantizismus war allerdings nicht auf Deutschland beschränkt. Die ersten erfolgreichen »Türkenopern« entstanden in Frankreich, um dann mit der Entführung aus dem Serail in der Wiener Klassik einen Höhepunkt und mit der Italienerin in Algier von Rossini einen spektakulären Abschluss zu finden. Der Orient als Handlungsort spielte vor allem in der englischen Literatur des 19. Jahrhunderts eine ge13 radezu dominierende Rolle. Die Malerei dieser Zeit entwickelte mit den »Orientalisten« Ingres oder Lewis eine ebenso romantisierende Perspektive.14 In einem zu Beginn der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts entstandenen Buch hat der aus Palästina stammende amerikanische Literaturwissenschaftler Edward Said der westlichen Orientalistik den Vorwurf des »Orientalismus« gemacht.15 Darunter verstand er, dass der Westen, hier vor allem die Orientalisten, den Orient entweder als unterentwickelt und zurückgeblieben beschrieben und damit die wirtschaftliche, politische, militärische und kulturelle Kontrolle über ihn rechtfertigten oder ihm vorwarfen, dass er dem westlichen romantischen Bild nicht entsprach, woraus sie ebenfalls ein Überlegenheitsgefühl herleiteten. Die Kritik von Edward Said bestand nicht zu Unrecht, auch wenn man in Einzelheiten unterschiedlicher Meinung sein könnte. Die zukünftige Entwicklung der westlichen Orientalistik kann nur dahingehen, dass man sich weniger über Muslime und deren kulturelle Äußerungen informiert, als vielmehr mit ihnen über ihre Kultur und die Reaktionen, die in dieser durch den dominierenden westlichen Einfluss entstehen, nachdenkt. 14 3. Arabien vor dem Islam Die Quellenlage Über die religiösen, politischen, sozialen oder kulturellen Verhältnisse auf der Arabischen Halbinsel in der Zeit vor der Entstehung des Islams gibt es nur einige wenige verlässliche Überlieferungen. Zwei unterschiedliche Textgruppen sind in dieser Hinsicht von Bedeutung. In der Regel erfolgte die Tradierung in mündlicher Form; einige Dokumente sind aber offensichtlich schon sehr früh schriftlich fixiert worden. Dies sind wohl vor allem Gedichte. Es wird berichtet, dass besonders gelungene Beispiele vorislamischer Poesie auf Tücher gestickt und dann an dem Heiligtum der heidnischen Araber, der Kaaba in Mekka, aufgehängt wurden. Diese Gedichte wurden daher als »al-Mu'allaqât« (die Aufgehängten) bezeichnet. Die Dichter dieser berühmten Verse, sieben an der Zahl, sind namentlich bekannt. Weniger berühmte Gedichte wurden mündlich überliefert und erst nach der Einführung des Islams und einer damit einhergehenden stärkeren Verbreitung der arabischen Schrift verschriftlicht. Die Gedichte, die als »Qasîda« (Sg.) bezeichnet werden, haben gewöhnlich eine festgelegte Struktur. Sie beginnen mit der Klage des Dichters um eine verlorene Geliebte und enden mit dem Lob eines Mäzens. Zwischen diesen beiden Teilen finden sich Beschreibungen von Tieren, natürlichen Ereignissen, Waffen u.ä., Eigenlob des Dichters für seine Heldentaten, Spottgedichte, die sich auf einen anderen Dichter beziehen oder auf einen feindlichen Stamm usw. 15 Neben solchen Formen finden sich auch Trauerlieder oder in Reime gefasste Sprichworte. Viele dieser Gedichte sind nur bruchstückhaft erhalten. Dichter waren in der vorislamischen arabischen Gesellschaft sehr einflussreiche Persönlichkeiten, die mit ihren Werken den Ruhm von Stämmen oder Einzelpersonen vergrößern oder verringern konnten. Ihre besondere sprachliche Fähigkeit verschaffte den Dichtern der arabischen Stämme eine quasi religiöse Autorität.16 Die Gedichte geben einen gewissen Einblick in die Normen und Verhaltensregeln der vorislamischen arabischen Gesellschaft. Wir erhalten auch manche Informationen über deren materielle Kultur oder die wirtschaftlichen Grundlagen. Vieles bleibt aber im Ungewissen. So haben wir nur sehr geringe Kenntnisse über die religiösen Verhältnisse, über die konkreten politischen Beziehungen der Stämme untereinander oder zu den großen bzw. kleinen Staaten in der Umgebung, über Handelswege oder wirtschaftliche Praktiken. Die zweite Art von Texten sind die so genannten »Ayyâm al-'arab« (Schlachttage der Araber), in denen in Prosa die militärischen Auseinandersetzungen der verschiedenen Beduinenstämme untereinander beschrieben werden. Diese Texte wurden zunächst mündlich überliefert und erst später schriftlich fixiert.17 Man kann sich leicht vorstellen, dass sie stets die subjektive Sichtweise des jeweiligen Stammes wiedergegeben haben. Diese Darstellungen wurden bezüglich ihrer Übereinstimmung mit den realen Geschehnissen nur durch die Berichte anderer an diesen Auseinandersetzungen beteiligter Gruppen korrigiert. Die Auswertung solcher Texte bedarf natürlich einer entsprechenden Quellenkritik. Muslimische Historiker haben sich seit dem Mittelalter intensiv für die vorislamische Zeit interessiert. Dafür gab es zwei wichtige Beweggründe. Der erste war, dass für Muslime all die vorislamischen Regelungen und Verhaltenweisen als kompatibel mit dem Islam angesehen wurden, die nicht ausdrücklich 16 durch den Koran oder den Propheten Muhammad verboten worden waren. Die vorislamischen Traditionen konnten insofern als Quelle für die rechtlichen Verhältnisse des späteren Islams betrachtet werden.18 Zugleich konnten diese Überlieferungen auch als eine Hilfe bei der Interpretation von Teilen des Korans verstanden werden, die den Gläubigen nicht ohne weiteres nachvollziehbar waren. Daher war der wissenschaftliche Umgang mit diesen vorislamischen Quellen seit dem 2. Jahrhundert islamischer Zeitrechnung (8./9. Jahrhundert n. Chr.) von außerordentlicher Bedeutung für das muslimische Selbstverständnis und ist es bis auf den heutigen Tag geblieben.19 Das zweite Motiv war das folgende: Muslime sind auch heute noch der Meinung, dass der Erfolg des Islams ein Beweis für seine Wahrheit sei. Dieser Erfolg erscheint umso beeindruckender, je schlechter die Umgebung sich darstellt, in der er entstanden ist. Daher haben muslimische Gelehrte z.B. schon früh damit begonnen, Zeugnisse über merkwürdige soziale oder sexuelle Praktiken in der vorislamischen arabischen Welt zu sammeln und in einen Gegensatz zu den Regeln des islamischen Rechts zu setzen. Über den Wahrheitsgehalt solcher Berichte kann man nur spekulieren. Neben den autochthonen arabischen Quellen gibt es auch einige wenige über die vorislamische beduinische Gesellschaft, die auf Berichte der benachbarten Völkerschaften zurückgehen. Hier sind vor allem die Nachrichten von Reisenden und Händlern zu nennen, die mit Arabern in Kontakt gekommen waren und deren Schilderungen dann Eingang in zeitgenössische byzantinische, persische oder äthiopische Darstellungen gefunden haben.20 Auch diese Informationen können nur nach einer sorgfältigen Quellenkritik verwendet werden. Wenn man von derartigen positivistischen Einschätzungen absehen will, bleibt ein anderer wichtiger Aspekt für das Verständnis des Islams und seiner Gesellschaften bestehen. Für Muslime war die Darstellung der vorislamischen Ge17 Seilschaften, so wie sie sich in den genannten Quellen darboten, die historische Wahrheit und ist es bis auf den heutigen Tag mehr oder weniger geblieben, wie ein Blick in aktuelle Geschichtsbücher für arabische Schüler zeigen kann. Sie stellt eine Grundlage für die historische und nationale Identität der verschiedenen arabischen Staaten dar, auch wenn die aktuellen staatlichen Formen mit diesen Traditionen kaum noch etwas zu tun haben.21 Die Gesellschaftsstruktur Mekka, die Stadt, in der zu Beginn des 7. Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung der Islam entstand, lag zu dieser Zeit am Rand der damals bekannten Welt, auf der Arabischen Halbinsel, etwa siebzig Kilometer vom Roten Meer entfernt. Von den großen Reichen der Perser, Byzantiner und Äthiopier trennten sie die weiten Wüsten Arabiens. Nach der Tradition war Mekka im 5. Jahrhundert n. Chr. gegründet worden und hatte sich im Lauf der Zeit zu einem wichtigen Handelszentrum entwickelt, weil der Ort an der Kreuzung wichtiger Karawanenstraßen lag. Von hier führten Routen nordwärts nach Syrien, nordöstlich nach Mesopotamien, südlich ging es in das Weihrauchland Jemen und nach Westen zum Roten Meer, von wo Ägypten, Äthiopien und die antiken internationalen Handelswege nach Indien und China erreicht werden konnten. Mekka muss eine so große wirtschaftliche Bedeutung entwickelt haben, dass um 570 n. Chr. der äthiopische Statthalter im Jemen versuchte, die Stadt unter seine Kontrolle zu bringen. In seinem Heer führte er auch einen oder mehrere Kriegselefanten mit. Seine Expedition blieb erfolglos, ging aber in die islamische Überlieferung als das »Jahr des Elefanten« ein, das Muslimen als das Geburtsjahr des Propheten Muhammad gilt.22 18 Die Bevölkerung der Arabischen Halbinsel bestand aus Nomaden und sesshaften Oasenbewohnern, die jedoch beide eine segmentäre patrilineare Sozialstruktur aufwiesen. Diese Struktur findet sich auch heute noch bei den arabischen Beduinenstämmen und den Berbergruppen Nordafrikas. Unter »Segmentierung« versteht man in hohem Maße egalitäre Gesellschaftsstrukturen. Nach den gemeinsamen Traditionen dieser Gemeinschaften stammen alle Mitglieder einer derartigen Gruppe von einem gemeinsamen Vorfahren ab. Alle seine Nachkommen bilden den »Stamm« (qabila). Von diesem in der Regel mythischen Urahn abstammende Familienverbände bilden Untergruppen oder Clans, diese wiederum Großfamilien, die ihrerseits aus Eltern, unverheirateten Kindern und verheirateten Söhnen mit ihren Frauen und Kindern bestehen. Auf den jeweiligen Ebenen der Clans und Großfamilien besteht zumindest theoretisch absolute Gleichheit der Angehörigen einer Gruppe. Individuen sind nur im Rahmen dieser Strukturen überlebensfähig. Die Angehörigen eines Stammes sind zu gegenseitiger Hilfeleistung verpflichtet. Das wirkt sich vor allem in Form der Blutrache aus. Die verschiedenen Stämme befinden sich nach der Theorie in einem permanenten Kriegszustand miteinander, es sei denn, sie haben sich zu Stammeskonföderationen zusammengeschlossen. Ein weiteres Charakteristikum für die Sozialstruktur der städtischen wie nomadischen arabischen Gesellschaften ist auch die Parallelcousinen-Heirat.23 Nach dieser Heiratsregel besteht eine Präferenz für eine Ehe zwischen einem Mann und dessen Cousine väterlicherseits. Diese vorislamische Heiratsregel wurde in die islamischen Gesellschaften mit übernommen. Über die Stellung der Frau in der vorislamischen arabischen Gesellschaft gibt es unterschiedliche Berichte. Einerseits ist von matriarchalen Strukturen, ja sogar von Polyandrie die Rede. Aus einigen Hinweisen im Zusammenhang mit der Biografie des Propheten Muhammad wird zumindest auf Uxori19 lokalität (der Mann zieht nach der Heirat an den Ort seiner Frau) geschlossen.24 Andererseits ist aber wahrscheinlich, dass Frauen in der vorislamischen arabischen Gesellschaft in der Regel einen geringeren Status hatten. Dafür spricht, dass es offenbar die Tötung von weiblichen Neugeborenen gab, gegen die sich der Islam in aller Schärfe wandte. Frauen waren in vorislamischer Zeit wohl auch nicht erbberechtigt. Neben den Stammesangehörigen fanden sich auch fremde Personen, die sich unter den Schutz einer Gruppe gestellt hatten und daher über einen geringeren Sozialstatus verfügten. Zu den Gruppen, die aufgrund einer bestimmten Tätigkeit marginalisiert wurden, gehörten die Schmiede und schließlich Sklaven, die als Kriegsgefangene unter die Kontrolle von Freien gekommen waren oder weil sie einem Schuldner gegenüber ihren Verpflichtungen nicht nachkommen konnten. Offenbar gab es auch weibliche Sklaven.25 Die politischen Strukturen der vorislamischen arabischen Gesellschaft können als vordemokratisch bezeichnet werden. Politische Entscheidungen wurden in Stammesversammlungen getroffen, denen alle erwachsenen männlichen Mitglieder des Stammes angehören. In diesen Versammlungen spielte ein Stammesoberhaupt (Shaikh) eine koordinierende Rolle. Seine Aufgabe war es, durch Verhandlungsgeschick, rhetorische Begabung und Überzeugungskraft die Zustimmung aller Mitglieder der Versammlung zu erreichen. In der Folge hatte er dann auch dafür zu sorgen, dass die zu einer Aktionseinheit zusammengekommenen Personen so lange zusammenbleiben, bis das geplante Ziel erreicht ist. In der politischen Praxis war die Egalität natürlich weniger ausgeprägt. Es fanden sich Familien, die immer wieder den Shaikh stellten, die aus den unterschiedlichsten Gründen über mehr Vermögen verfügten als andere und daher in der Lage waren, ärmere Stammesgenossen in eine materielle und politische Abhängigkeit zu bringen. Ja, es entstanden sogar Klientelverhältnisse. Man muss also 20 trotz der grundsätzlichen Egalität von einer geschichteten vorislamischen arabischen Gesellschaft ausgehen.26 Die Religion Die ursprüngliche Religion der Arabischen Halbinsel war ein Animismus vielfältiger Erscheinungsformen. Menschen, die in einem engen Kontakt mit der Natur leben, wie das bei den vorislamischen Beduinen der Fall war, beleben die Natur mit geistigen Wesen. Das arabische Heidentum ist gekennzeichnet von einer Vielzahl solcher Wesen, von denen angenommen wurde, dass sie in den unterschiedlichsten Naturerscheinungen ihren Sitz haben. Man ging davon aus, dass Geister in Bäumen, großen Steinen, Brunnen, Seen und Gestirnen existierten.27 Einige dieser Vorstellungen haben sich auch im islamischen Kontext erhalten können. Hier ist vor allem auf die Jinnen hinzuweisen, die auch im Koran genannt werden. Bei ihnen handelt es sich um Wesen aus Feuer, die dem Menschen unsichtbar bleiben, ihm schaden, aber auch nutzen können. Noch im heutigen Volksislam spielen Jinnen eine wichtige Rolle.28 Ethnohistoriker schließen nicht aus, dass es auch Formen von Totemkulten gegeben hat, die mit animistischen Vorstellungen korrespondierten.29 Aus den animistischen Vorstellungen entwickelten sich dann Göttergestalten, die ein vielköpfiges Pantheon bildeten. Zumindest in Mekka ergab sich daraus eine Götterhierarchie, an deren Spitze ein oberster Gott, Allah, stand, der in dieser Stadt eine besondere Verehrung genoss.30 Diesem Gott war eine Reihe von weiblichen Gottheiten zugeordnet, die als seine Töchter betrachtet wurden. Darüber, inwieweit diese Göttinnen mit Gestirnen wie dem Mond zusammenhingen, können nur Vermutungen angestellt werden.31 Allah war in Mekka ein besonderes Heiligtum gewidmet, die Kaaba.32 Zu Ehren dieses höchs21 ten Gottes fanden regelmäßig festliche Rituale statt, die mit Handelsmessen verbunden waren. Während dieser Zeit standen die Händler unter dem besonderen Schutz dieser höchsten Gottheit, was auch für ihre Anreise nach Mekka und die Rückkehr in ihre Herkunftsorte galt, sodass es zu einer engen Verbindung zwischen religiösen und wirtschaftlichen Aktivitäten kam. Neben den Anhängern dieser ammistischen Vorstellungen fanden sich auf der Arabischen Halbinsel einzelne Stämme, die in den Quellen als »Juden« bezeichnet werden. Ob es sich dabei um Nomadengruppen handelte, die nach der ersten Zerstörung des Tempels hierher gelangten, oder ob sie zu irgendeinem Zeitpunkt zum Judentum bekehrt wurden, liegt im Bereich des Spekulativen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese jüdischen Gemeinschaften sich mehr oder weniger deutlich von der jüdischen Orthodoxie jener Zeit entfernt hatten. So sind Vermutungen geäußert worden, dass sich Beziehungen zu den Essenern bzw. der Qumran-Sekte konstruieren lassen.33 Offenbar waren auch die Heilserwartungen unter diesen jüdischen Bewohnern der Arabischen Halbinsel besonders ausgeprägt. Insgesamt lässt sich feststellen, dass monotheistische Vorstellungen aus einem jüdischen Kontext auf der Arabischen Halbinsel in vorislamischer Zeit schon bekannt waren.34 Schließlich finden sich noch Überlegungen, die davon ausgehen, dass es auch christliche Beduinenstämme gegeben hat. Diese Hinweise sind aber weniger deutlich als die, die auf jüdische Stämme verweisen.35 Immerhin finden sich einige Dichter, von denen festgestellt wird, dass sie Christen waren. Die häufig enge Beziehung zwischen einem Dichter und einem Beduinenstamm mag darauf hindeuten, dass auch die entsprechenden Stämme sich zu einer Form des Christentums bekannten.36 Die Tatsache, dass der Koran und die frühislamischen Berichte weniger ausführlich über christliche Bewohner der Arabischen Halbinsel referieren, muss also nicht bedeuten, dass deren Zahl 22 niedriger als die der jüdischen Bewohner gewesen ist. Sicher ist dagegen, dass sie ein weniger einheitliches religiöses Bild boten als die Juden oder auch die arabischen Animisten. Zu zahlreich waren die Konfessionen, ebenso zahlreich die damit verbundenen politischen Allianzen.37 Neben diesen großen religiösen Gruppen wird auch von Personen berichtet, die für sich selbst religiöse Vorstellungen entwickelt hatten, in denen monotheistische Vorstellungen eine Rolle spielten. In der frühislamischen Tradition wird ein solcher Mensch als »Hanif« bezeichnet.38 Da der Handel ein zentrales Moment für die Existenz der vorislamischen mekkanischen Gesellschaft war, wurde alles, was ihn förderte, von den Mekkanern intensiv betrieben. Dazu gehörte einerseits eine konsequente Betonung der einheimischen Kulte, die die Unverletzlichkeit der Händler und ihrer Aktivitäten sicherten. Andererseits herrschte gleichzeitig eine große Liberalität hinsichtlich anderer religiöser Vorstellungen. Neben Waren kamen auch fremde Ideen und Religionen nach Mekka. Nach allem, was bekannt ist, gab es außer Juden und einzelnen Christen unterschiedlicher Konfession39 in Mekka auch iranische Zoroastrier. Darüber hinaus finden sich Hinweise darauf, dass auch hinduistische Glaubensvorstellungen auf den entsprechenden Handelswegen bis nach Mekka gekommen waren. Angesichts der geographischen Nähe können auch Vermutungen nicht überraschen, die davon ausgehen, dass außerdem altägyptische Kulte das vorislamische religiöse Gedankengut der zentralen Orte auf der Arabischen Halbinsel beeinflusst haben.40 Bis zu einem gewissen Maß kann man von einer synkretistischen Situation sprechen, wie sie für eine Handelsstadt mit internationalen Verbindungen nicht erstaunlich gewesen sein dürfte. Solange aus den unterschiedlichen religiösen Vorstellungen keine Gefahr für die händlerischen Aktivitäten entstand, konnte in Mekka »jeder nach seiner Façon selig werden«. 23 Die Tugenden der vorislamischen arabischen Gesellschaft Aus den vorislamischen arabischen Texten wird deutlich, dass »Mannhaftigkeit« (Murûwa) die alles überragende Tugend des arabischen Mannes war.41 Von entsprechenden weiblichen Tugenden ist dagegen weniger die Rede. Die Mannhaftigkeit setzte sich aus einer Reihe von Einzeltugenden zusammen. Es fällt allerdings schwer, die verschiedenen Tugenden hierarchisch zu ordnen. Natürlich spielt Tapferkeit im Kampf eine besondere Rolle, nicht weniger wichtig war offenbar aber die vor allem mit Gastfreundschaft in Verbindung stehende Großzügigkeit. In zahlreichen Gedichten ist davon die Rede, dass sich der Held in den finanziellen Ruin gestürzt habe, um seine Freunde und unbekannte Gäste zu bewirten.42 Gastfreundschaft war ein zentrales Moment des arabischen Tugendkatalogs. Der Gast war sakrosankt, selbst wenn es sich um einen Feind handelte. Dabei konnte das Gastrecht von jedem Mitglied einer Verwandtschaftsgruppe gewährt werden, selbst von unmündigen Kindern, und galt dann sogar gegenüber der eigenen Gruppe. Daneben werden auch Verhaltensweisen positiv bewertet, die aus europäischer Sicht nicht ohne weiteres als tugendhaft eingeschätzt würden. Hier ist vor allem an das Phänomen des Schnorrertums zu denken. Die Fähigkeit, sich durch Unverschämtheit, Geschick, Redegewandtheit und Schamlosigkeit einen Vorteil zu verschaffen, spielt ebenfalls eine Rolle in den verschiedenen Einzeltugenden. Man kann den in vielen Berichten der vorislamischen wie der frühislamischen Zeit erwähnten Schnorrer (Tufailî) mit dem Trickster anderer traditioneller Gesellschaften vergleichen.43 Ziel der entsprechenden Verhaltensweisen war es, in der beduinischen Gesellschaft als Gruppe und als Einzelperson einen guten Ruf zu erwerben und zu bewahren. 24 4. Muhammad und der Koran Das Leben des Propheten Die Biografie des Propheten Muhammad lässt sich aus einer größeren Zahl von Quellen rekonstruieren. Aus muslimischer Sicht ist er der letzte Gesandte Gottes an die Menschheit. Diese Bestimmung wird hergeleitet aus dem Koran, der Offenbarungsschrift der Muslime, in der immer wieder auch auf die persönlichen Lebensumstände Muhammads Bezug genommen wird. Daneben verfügen die Muslime über eine umfängliche Sammlung von Aussprüchen des Propheten und Berichten über seine Handlungen, an deren Authentizität in der westlichen Islamwissenschaft des 20. Jahrhunderts allerdings erhebliche Zweifel geäußert wurden.44 Neueste westliche Forschungen kommen inzwischen zu der Auffassung, dass zumindest ein größerer Teil dieser Berichte aus einer Zeit stammt, die sehr nahe an die Lebenszeit Muhammads heranreicht.45 Für Muslime spielten derartige Überlegungen ohnehin keine besondere Rolle. Die zweite Quellengruppe neben dem Koran wird mit dem arabischen Terminus technicus »Hadîth« bezeichnet und bedeutet soviel wie Handlung, Ereignis und Bericht davon. Natürlich war auch den Muslimen, die diese Berichte zu umfangreichen Sammlungen zusammenstellten, bewusst, dass es Menschen gibt, die aus den unterschiedlichsten Motiven diese Texte veränderten, verfälschten oder völlig neu erfanden. Daher entwickelten sie eine spezielle Form der Traditionskritik. Eine Prophetentradition (Hadîth) besteht aus zwei Tei25 len, dem »Isnâd«, der Überliefererkette, in der der »Matn«, der eigentliche Bericht oder Ausspruch, mündlich weitergegeben wurde: »Ibn Jurayj sagt: Amr ibn Dinar hat mir überliefert, dass er gehört hat, wie Abu Salama ibn Abd al-Rahman sagte (Isnâd): ›Der Prophet (Gott erbarme sich seiner und schenke ihm Heil) hat verboten, dass ein Mann zur gleichen Zeit sexuelle Kontakte mit einer Frau und ihrer Tante väterlicherseits oder mütterlicherseits hat.‹ (Matn)«46 Die muslimischen Gelehrten des 9. und 10. Jahrhunderts, die die Traditionen sammelten, untersuchten diese Überliefererketten mit großer Sorgfalt. Sie prüften, ob sich die einzelnen Überlieferer gekannt haben können und welchen Leumund sie hatten. Stellte sich heraus, dass in einem »Isnâd« eine Lücke auftrat oder der Lebenswandel eines Tradenten zu Kritik Anlass gab, wurden diese Traditionen als »schwach« bezeichnet und nicht in das langsam entstehende Korpus von »echten« Prophetentraditionen aufgenommen. Eine weitere Quelle zur Biografie des Propheten Muhammad sind die Berichte über sein Leben, die schon früh entstanden sind. Ein derartiger Bericht wird als »Sîra« bezeichnet. Er enthält eine Beschreibung des Lebens des Propheten von seiner Zeugung bis zu seinem Tod.47 Die Zahl der nichtmuslimischen Quellen über das Leben Muhammads ist nur sehr gering. Immerhin finden sich aber einige wenige Hinweise bei byzantinischen bzw. syrischchristlichen Autoren. Prophetentraditionen und Biografien werden von Muslimen bis auf den heutigen Tag intensiv zur Kenntnis genommen. Dies geschieht in Schulen und Hochschulen, aber auch in Rezitationsveranstaltungen, die z.B. am feierlich begangenen Geburtstag des Propheten (Maulid al-Nabî)48 vorgetragen werden. All das führt dazu, dass die Vorstellung der Muslime von ihrem Propheten außerordentlich lebhaft geblieben ist. Er kommt ihnen durchaus wie ein vertrauter Freund oder naher Verwandter vor. Dabei spielt sicherlich auch die Tatsache eine Rolle, dass 26 sie davon überzeugt sind, dass er den Menschen im Traum erscheinen kann. Diese Traumbilder werden als wahr angesehen.49 Auch die modernen Medien haben sich der Lebensbeschreibung des Propheten angenommen. Allerdings war die Ehrfurcht vor dem Propheten so groß, dass man es nicht wagte, ihn selbst auftreten zu lassen. Dennoch kam es wegen eines entsprechenden Films zu kontroversen Diskussionen unter Muslimen.50 Die Untersuchungen westlicher Orientalisten zu den Prophetenüberlieferungen können ebenfalls auf eine lange Tradition zurückblicken. Schon mittelalterliche und frühneuzeitliche Autoren haben sich mit dem arabischen Propheten auseinander gesetzt, wobei diese frühen Texte vor allem polemische Funktionen hatten; einige allerdings versuchten auch, die heilgeschichtliche Notwendigkeit der Existenz Muhammads zu erkennen. Die moderne Orientalistik hat sich ebenso immer wieder an der Biografie des Propheten versucht. Dabei haben die unterschiedlichsten Aspekte seines Lebens im Vordergrund des Interesses gestanden.51 Der Prophet soll um 570 in Mekka geboren worden sein. Die Traditionen sagen, dass es im »Jahr des Elefanten« gewesen sei. Damit bezeichneten die frühen Muslime das Jahr, in dem ein äthiopischer Statthalter des Jemen den vergeblichen Versuch unternahm, Mekka unter seine Kontrolle zu bringen. Zu seinem Heer sollen auch ein oder mehrere Elefanten gehört haben. Der Koran erinnert an dieses Ereignis mit der Elefanten-Sure, die mit den Worten beginnt: »Hast Du nicht gesehen, was Dein Herr mit den Besitzern des Elefanten gemacht hat.«52 Der Vater des Propheten Muhammad, ein Mann aus dem in Mekka ansässigen Clan der Haschim aus dem Stamm der Koraisch mit Namen Abdallah, soll schon vor seiner Geburt gestorben sein. Auch seine Mutter Amina starb früh. Das Waisenkind wuchs bei seiner Verwandtschaft auf. Wie allgemein üblich wurde er von seinen Verwandten 27 schon als Kind zu Hilfsdiensten herangezogen und hatte das Kleinvieh zu hüten. Diese Armut und Verlassenheit hat er sein Leben lang nicht vergessen. Immer wieder hat er als Erwachsener zur Mildtätigkeit gegenüber Armen und Waisen aufgerufen. Eine spezielle Ausbildung im Lesen und Schreiben hat er weder als Kind noch später erhalten; und in der weiteren frühislamischen Religionsgeschichte wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich Gott einem Analphabeten geoffenbart habe. Als junger Mann begann Muhammad dann eine Handelstätigkeit, die ihn mit mekkanischen Karawanen bis nach Syrien führen sollte. Dies ist insofern von Bedeutung, als er auf diesen Reisen in direkten Kontakt mit dem orientalischen Christentum, seinen verschiedenen Organisationsformen und rituellen Praktiken kam. Nach der islamischen Tradition soll er bei einer seiner Reisen in der syrischen Stadt Bosra mit dem christlichen Mönch Barsisa zusammengetroffen sein, der an ihm das Zeichen der Gottesgesandtschaft erkannte und ihm weissagte, dass er der Prophet der Araber sein werde.53 Seine Handelsgeschäfte führte er im Auftrag und auf Rechnung einer wohlhabenden, verwitweten Geschäftsfrau, Khadîja, durch. Er war zu diesem Zeitpunkt etwa 25 Jahre alt. Diese ältere Frau fand Gefallen an dem jungen, ernsthaften und wohl auch erfolgreichen Mann und schlug ihm die Ehe vor. Die Verbindung wurde sehr glücklich. Muhammad war seiner Frau sehr zugetan und heiratete zu Khadîjas Lebzeiten keine andere Frau. Aus der Ehe gingen einige Kinder hervor, von denen aber nur eine Tochter, Fâtima, das Erwachsenenalter erreichte. Durch diese Heirat gewann Muhammad eine solide materielle Grundlage, aber auch Ansehen bei seinen Landsleuten. Khadîja unterstützte ihren Mann nicht nur im Zusammenhang mit seinen kaufmännischen Aktivitäten. Sie hatte auch Verständnis für seine religiösen Interessen, seine Neigung zum Grübeln und die daraus resultierenden Verhaltensweisen. So pflegte er sich in re28 gelmäßigen Abständen zu religiösen Übungen in Einödgebiete oder Höhlen in der Nähe von Mekka zurückzuziehen. Dort fastete und meditierte er. Offenbar wurde er zu derartigen Praktiken von seiner Familie begleitet. Im Zusammenhang mit derartigen religiösen Übungen hatte Muhammad ein Erlebnis, das von der islamischen Tradition als der Beginn der Offenbarung des Korans an den Propheten bezeichnet wird. Nach der Überlieferung hat sich dieses Ereignis um das Jahr 610 abgespielt, als Muhammad etwa vierzig Jahre alt war. Dem Propheten erschien eine Gestalt, die den gesamten Horizont einnahm. Sie trug ein mit einer Schrift besticktes Tuch und forderte ihn auf: »›Rezitiere.‹ Ich antwortete: ›Ich kann nicht lesen‹. Da würgte er mich, dass ich dachte, es sei mein Tod. Dann ließ er mich los und sagte wieder: ›Rezitiere‹. Ich sagte: ›Ich kann nicht lesen‹. Da würgte er mich wieder, dass ich dachte, es sei mein Tod. Dann sagte er zum dritten Mal: ›Rezitiere‹. Da sagte ich: ›Was soll ich denn rezitieren?‹ Das sagte ich aber nur, weil ich fürchtete, dass er mich wieder würgen würde. Da sprach er: ›Rezitiere, im Namen Deines Herrn, der den Menschen aus einem Spermatropfen geschaffen hat. Der ihn gelehrt hat, mit dem Schreibrohr zu schreiben, gelehrt hat Dinge, die er noch nicht wusste [...].‹«54 Nach muslimischer Überzeugung handelt es sich bei der Gestalt, die Muhammad erschienen war, um den Engel Gabriel, der als Medium der Offenbarung gilt. Die Begegnung erschütterte Muhammad zutiefst und sie wiederholte sich später. Er fürchtete, dass es sich bei den Erscheinungen um Trugbilder handle oder dass er den Verstand verliere. Darüber hinaus traten aber immer wieder längere Pausen zwischen den Erscheinungen ein, die Muhammads Selbstverständnis ebenfalls erschütterten. In dieser Zeit der Verunsicherung stand ihm Khadîja zur Seite und bestärkte ihn darin, dass er wirklich ein Prophet sei. Daher erklärt die islamische Tradition sie als die erste Person, die sich zum Islam 29 bekannt habe. Erst nach und nach festigte sich auch in Muhammad die Überzeugung, dass er von Gott zum Propheten der Araber auserwählt worden sei. Als er die Gewissheit angenommen hatte, trat er öffentlich auf und berichtete den Mekkanern und den Angehörigen der umliegenden Stämme, die in die Stadt kamen, von dem, was Gott ihm offenbart hatte. Dabei betonte er das Heraufziehen des Jüngsten Tages, eine Vorstellung, die den Bewohnern Mekkas und der Umgebung völlig fremd war, und verband diese Warnungen vor der Endzeit mit der Aufforderung an seine Zeitgenossen, ihren Lebenswandel zu bessern und an einen einzigen Gott, Allah, zu glauben. Die Reaktionen der mekkanischen Bevölkerung auf die Predigten Muhammads waren mehrheitlich negativ. Seine Betonung des Monotheismus konnte aus ihrer Sicht nachteilige Konsequenzen für die wirtschaftliche Position der Stadt mit sich bringen. Nicht zuletzt wegen der Verehrung verschiedener Gottheiten in Mekka war die Stadt sakrosankt und damit auch ein Ort, an dem gefahrlos Handel getrieben werden konnte. Jede Veränderung des religiösen Status der Stadt konnte dementsprechend Konsequenzen für ihre wirtschaftliche Existenz haben. Sie forderten zunächst ihn selbst, dann auch Mitglieder seiner Familie auf, die Predigten einzustellen, bezeichneten ihn als Dichter, Wahrsager, Zauberer, ebenso als Besessenen oder Scharlatan.55 Im Übrigen nahm Muhammad in seinen Predigten auch zur sozialen Situation in Mekka Stellung. Seine Forderung, solidarisch zu handeln und die Bedürftigen und Schwachen der mekkanischen Gesellschaft zu unterstützen, wurde von der mekkanischen Elite ebenfalls mit Ablehnung aufgenommen.56 Nur einzelne wohlhabende Personen wie der spätere Khalif Abu Bakr57 schlossen sich dem Propheten an. Die Mehrzahl der frühen Anhänger gehörten hingegen nicht der wirtschaftlichen Elite der Stadt an, sondern waren Angehörige der unteren Schichten. Angesichts der synkretistischen Situation der Stadt Mekka 30 konnte es nicht ausbleiben, dass die Gegner des Propheten seine Sendung in Zweifel zogen. Einigen seiner Widersacher waren grundlegende Dogmen anderer monotheistischer Religionen bekannt. Sie verglichen die Handlungen Muhammads mit denen früherer Propheten und forderten ihn auf, wie diese Wunder zu wirken. Sie sollten zur Bestätigung seiner Sendung dienen. Die Ablehnung solcher Forderungen begründete Muhammad damit, dass die Beglaubigungswunder früherer Propheten die verstockten Menschen jener Zeiten nicht dazu bewegt hätten, von ihrem bösen Tun Abstand zu nehmen.58 Außerdem sei Gott allein in der Lage, Wunder zu wirken. Die Bestätigung für die Echtheit seiner Sendung sah Muhammad in der Offenbarung, die er empfing. Ihre Übereinstimmung mit den Offenbarungen, die Moses oder Jesus erhalten haben, sei Beweis genug.59 Immer wieder weist er auf den Wundercharakter und den göttlichen Ursprung seiner Offenbarung hin und fordert seine Gegner auf, etwas Vergleichbares hervorzubringen.60 Die Ablehnung seiner Botschaft durch die Einwohner seiner Vaterstadt traf den Propheten schwer. Denn natürlich war er ein Kind seiner Zeit und der Gesellschaft, in der er lebte. In dieser spielten Verwandtschaftsbeziehungen und Clanstrukturen, wie beschrieben, eine wichtige Rolle. Dem Propheten war sicherlich bewusst, wie schwierig sich seine Zukunft und der Erfolg seiner Botschaft außerhalb der mekkanischen Stammesstrukturen gestalten würden. Dennoch blieb er seiner Überzeugung von der Wahrheit seiner Botschaft treu. Er versuchte seinen Gegnern auszuweichen, die dies allerdings wohl als Zeichen der Schwäche deuteten und ihre Angriffe auf Muhammad und die Schar seiner Anhänger ausweiteten. Dabei griffen sie ihn selbst nicht direkt an. Vielmehr richteten sie ihre Attacken gegen diejenigen unter seinen Anhängern, die sich am wenigsten wehren konnten. Die junge Gemeinde der Muslime reagierte auf diese Situation zunächst damit, dass eine 31 Gruppe die Stadt verließ und Asyl in Äthiopien suchte.61 Sie hofften, in dem christlichen Staat als monotheistische Glaubensbrüder akzeptiert zu werden. Da die Situation der muslimischen Gemeinde in Mekka immer schwerer zu ertragen war, suchte Muhammad nach einer Lösung für diese Situation. Sie konnte nur darin bestehen, sich in einen anderen Stammesverband zu integrieren. Dies gelang durch einen glücklichen Zufall. In der einige Tagesreisen westlich von Mekka liegenden Stadt Yathrib hatte sich zwischen den beiden dort ansässigen Stämmen der Aus und der Khazraj eine Blutfehde entwickelt, die nicht beigelegt werden konnte und die beiden Stämme auszulöschen drohte. Ein Ende der Auseinandersetzung konnte nur durch eine von außen kommende Autorität herbeigeführt werden. Zwischen dem Propheten und den Bewohnern von Yathrib wurden Geheimverhandlungen aufgenommen, die die Übersiedlung der muslimischen Gemeinde nach Yathrib zum Ziel hatten. Als diese Tatsache in Mekka durchsickerte, wurde die Situation für Muhammad und seine Anhänger bedrohlich. In einer zweiten Verhandlungsrunde erklärten die Vertreter Yathribs dem Propheten die Gefolgschaft62, und in letzter Minute konnte Muhammad seinen Verfolgern entkommen, die schon Mordpläne gegen ihn vorbereitet hatten. Der Vorgang der Übersiedlung Muhammads und der ersten Muslime von Mekka nach Yathrib, die im Jahre 622 n. Chr. stattfand, wird als »Hijra« bezeichnet. Darunter ist der Abbruch aller verwandtschaftlichen, politischen, sozialen und militärischen Beziehungen zwischen Teilen einer Verwandtschaftsgruppe oder einer Stammesgesellschaft zu verstehen. Mit der »Hijra« beginnt die islamische Zeitrechnung.63 Die Stadt Yathrib aber erhielt den Namen »Madîna al-Nabî« (Stadt des Propheten) oder kurz Medina. Durch die Ankunft der Muslime aus Mekka veränderten sich die politischen Strukturen; der Konflikt zwischen Aus und Khazraj erledigte sich. An die Stelle der genealogischen Verbindungen zwi32 sehen den Einwohnern trat nun eine religiös-politische. Man unterschied zwischen den Muhâjirûn64 und den Ansâr65, den in Medina von alters her ansässigen Helfern der Muslime. Damit entstand, wenigstens in der Staatstheorie, eine neue Struktur, in der das Recht des Blutes (jus sanguinis) durch das der gemeinsamen religiösen Überzeugung (jus religionis) abgelöst wurde. Selbstverständlich ging diese Entwicklung nicht durch einen quasi revolutionären Akt vor sich. Verwandtschaftliche Beziehungen spielten und spielen in traditionellen muslimischen Gesellschaften bis in die Gegenwart weiterhin eine wichtige Rolle für das Zusammenleben und Funktionieren der sozialen Ordnung. Mit der Veränderung der Zuordnungskriterien des Individuums boten sich dann jedoch gesellschaftliche Alternativen, die z.B. in der Zeit der Mamluken-Herrschaft seit dem 13. Jahrhundert n. Chr. durchaus auch realisiert wurden. Ganz selbstverständlich und ohne Probleme konnte sich die muslimische Gemeinde in Medina jedoch nicht etablieren. Einerseits gab es Spannungen zwischen den beiden muslimischen Gruppen der Muhâjirûn und der Ansâr über die Frage, welche Gruppe für die weitere Entwicklung der Gemeinschaft von größerer Bedeutung war. Auch wenn es in dieser Frage nie zu einer eindeutigen Entscheidung kam, hat man doch den Eindruck, dass die Muhâjirûn als die früheren Anhänger des Propheten gegenüber den Ansâr als vorrangig angesehen wurden. Der Prophet selbst versuchte, derartige Rangstreitigkeiten zurückzudrängen. Genauso energisch ging er auch gegen Überlegenheitsgefühle von Anhängern vor, die von deren Zugehörigkeit zu berühmten und bedeutenden Familien, Clans oder Stämmen herrührten. Für ihn war der beste Muslim derjenige, der die Gebote Gottes am besten erfüllte. Diese Spannungen wurden im Übrigen von anderen Konflikten überlagert. Nicht alle Bewohner Medinas hatten den Zuzug der Muslime begrüßt. Sie waren aber nicht in der Lage, mit Hoff33 nung auf Erfolg gegen sie vorzugehen. So wurden sie pro forma Muslime, hielten sich aber kaum an die Gebote, machten sich über den Propheten und seine frommen Anhänger lustig und stellten auf diese Weise einen politischen Unsicherheitsfaktor in der sich entwickelnden Gemeinschaft dar. In zahlreichen Offenbarungen rechnet der Koran mit diesen Heuchlern (Munâfiqûn) ab. Ein weiteres Problem stellten zwei jüdische Stämme dar, die seit undenklichen Zeiten in Medina ansässig waren. Bei seiner Ankunft in Medina war Muhammad noch davon überzeugt, dass er ein Prophet wie Moses oder Jesus sei und dass seine Botschaft mit der seiner Vorgänger übereinstimme. Auf seine entsprechenden Angebote zur Kooperation reagierten die Juden von Medina allerdings ablehnend. Die Gründe dafür lagen im religiösen Selbstverständnis der Juden von Medina. Sie sahen keine Übereinstimmung oder Verwandtschaft zwischen ihren Glaubensvorstellungen und den Lehren Muhammads. Wichtig war darüber hinaus auch die Tatsache, dass die jüdischen Stämme von Medina mit wichtigen mekkanischen Familien enge Wirtschaftsbeziehungen pflegten und durch eine Förderung der Position Muhammads in Medina ökonomische Nachteile fürchteten. Die Juden sahen Muhammad also keineswegs als Propheten an. Damit veränderte sich die Haltung des Propheten gegenüber den anderen Offenbarungsreligionen. Er sah sich von nun an nicht mehr als Propheten, der von Gott allein zu den Arabern geschickt sei, sondern erhob jetzt einen universalen Anspruch. Dass das arabische Moment dennoch weiter eine Rolle spielte, in gewisser Weise sogar gestärkt wurde, erhellt die Tatsache, dass die Richtung, zu der gewandt die Muslime ihre Pflichtgebete verrichteten, nun nicht mehr Jerusalem war, sondern Mekka. Die Betonung Mekkas wirkte sich noch in einer anderen Hinsicht aus. Die Veränderung der Gebetsrichtung dokumentierte einen politischen Anspruch der Muslime auf die Ursprungsstadt ihrer Religion. Fortan wurde 34 betont, dass der Stammvater Ibrahîm (Abraham) bei der Kaaba in Mekka einen monotheistischen Kult etabliert habe, der allerdings mit der Zeit in Vergessenheit geraten sei. Muhammad und die frühe muslimische Gemeinde sahen sich nun in der Tradition Abrahams und betrieben die Revitalisierung der aus ihrer Sicht wahren Traditionen und Rituale. Da sich die Mekkaner den friedlichen Mitteln der Predigt und des Gesprächs verweigert hatten, begann der Prophet nun mit einem Dschihad, einem Glaubenskrieg, gegen seine Vaterstadt, den er nach etwa zehn Jahren erfolgreich beenden konnte. Zwar besuchte er seine Vaterstadt noch einige Male, behielt seinen Wohnsitz in Medina aber weiter. Seine wachsenden militärischen Erfolge blieben nicht auf die Auseinandersetzungen mit seinen mekkanischen Gegnern beschränkt. Durch diplomatisches Geschick, Drohungen und Waffengewalt brachte er die Mehrzahl der auf der Arabischen Halbinsel lebenden Beduinengruppen und die Bewohner der städtischen Ansiedlungen dazu, sich ihm anzuschließen. Eine derartige Unterordnung unter die Oberhoheit von Medina war aus der Sicht Muhammads jedoch nicht nur politischer oder administrativer Natur. Die Anerkennung des Propheten als politischen Führer bedeutete auch die Akzeptanz des Islams als religiöses System. Die Angehörigen der Stämme, die sich dem Propheten unterworfen hatten, wurden gleichzeitig Muslime, auch wenn ihnen das in vielen Fällen nicht eindeutig bewusst war. Muhammad war diese Situation nicht unbekannt; daher entsandte er in die verschiedensten Teile des sich bildenden islamischen Staates Glaubensbrüder, die nicht nur für die fortgesetzte politische Herrschaft Medinas zu sorgen hatten, sondern die neuen Muslime auch intensiver mit dem Islam vertraut machen sollten. Vor allem im Norden der Arabischen Halbinsel fanden sich einige Oasen mit christlichen Bewohnern. Gegen diese wie auch gegen die Christen von Najrân schickte er verschiedentlich Expeditionen aus, die zur Unterwerfung dieser Bevöl35 kerungsgruppen führten. In der Zeit seiner Herrschaft in Medina hatte sich Muhammad zu einem erfolgreichen Politiker und Staatsführer entwickelt, der konsequent seine Ziele verfolgte. Aus vielen Berichten sind seine durchaus pragmatischen Handlungen und Vorgehensweisen überliefert. Als der Prophet im Jahr 632 n. Chr. starb, hinterließ er ein ausgedehntes Staatswesen, das auf einer neuen religiösen Konzeption beruhte, ohne sein zweifelloses Charisma aber wohl nicht entstanden wäre. Der Koran Das heilige Buch der Muslime, der Koran, wurde dem Propheten, nach muslimischer Überzeugung, von Gott durch die Vermittlung des Engels Gabriel über einen Zeitraum von ca. zwanzig Jahren offenbart. »Koran« bedeutet »Rezitation«. Er ist für die Muslime das unerschaffene Wort Gottes in arabischer Sprache. Weil der Text Gottes Wort ist, gilt er als unnachahmlich. Man spricht geradezu vom Dogma der Unnachahmlichkeit des Korans. Auch für Araber, die dem Islam fernstehen, oder christliche Araber gilt der Text als der Höhepunkt der arabischen Literatur. Schon aus der Zeit der Entstehung des Textes wird berichtet, dass auch die Gegner des Propheten von der Gewalt, Kraft und Schönheit der Offenbarung überwältigt waren.66 Große Teile sind in »Reimprosa« (Saj) formuliert. Als Beispiel für diese Reimprosa sei hier die erste Sure des Korans in einer vereinfachten Umschrift wiedergegeben: »Bi-smi llâhi r-rahmâni r-rahîm/Al-hamdu li-llâhi rabbi l-'âlamîn./Maliki yaumi d-dîn/Iyâka na'budu wa iyâka nusta'în/ Ihdinâ sirât al-mustaqîn/Sirât alladhîna an'amtu 'alaihim ghairi maghdûbi 'alaihim wa la dâlîn.« Der Reim ist jeweils »î«. Die Silbenlänge und -zahl der hier durch einen Schrägstrich getrennten Einheiten sind aber unter36 schiedlich. Auf diese Weise entsteht ein Spannungsbogen, der die Aufmerksamkeit der Zuhörer wach hält. Diese Form der arabischen Sprache war bereits in vorislamischer Zeit bekannt. Nachdem der Koran zumindest teilweise in Reimprosa offenbart worden war, haben es arabische Literaten über Jahrhunderte nicht mehr gewagt, Texte in dieser besonderen Form zu verfassen.67 Erst im 10. Jahrhundert fanden Schriftsteller den Mut, dieses stilistische Mittel für ihre Texte wieder zu verwenden. Dabei entstand eine bewusst gekünstelte Sprache, die ganz auf Artistik aus ist und sich von der sprachlichen Urgewalt des Korans deutlich unterscheidet. Diese »Maqâmen-Literatur« (»Maqâmen« bedeutet »Rastplatz«) zeichnet sich darüber hinaus durch ihren Inhalt aus. Im Gegensatz zu anderen Formen arabischer Literatur handelt es sich hier um Fiktion, häufig um Geschichten, die von Vorgängen handeln, die mit den gesellschaftlichen Normen in einem deutlichen Spannungsverhältnis stehen. Auch dadurch wird der beabsichtigte Unterschied zum Koran verdeutlicht. Muslime unterscheiden im Koran zwischen den Teilen, die in Mekka, und denen, die in Medina offenbart worden sind. Die in Reimprosa formulierten Teile des Korans stammen in der Mehrzahl aus der mekkanischen Periode. Der Stil dieser Offenbarungen ist emotional, wirkt spontan und expressiv. Die in Medina offenbarten Teile sind dagegen ruhiger; in ihnen finden sich kaum noch Äußerungen in Reimprosa. Westliche Islamwissenschaftler haben die Einteilung in mekkanische und medinensische Suren noch weiter verfeinert, indem sie die mekkanische Periode in drei Phasen gegliedert haben.68 Für Muslime ist der Text des Korans nur in der arabischen Form authentisch. Übersetzungen in andere Sprachen gelten nicht als echter Text. Daher ist jeder Muslim, gleich welcher sprachlichen Herkunft, verpflichtet, Arabisch zu lernen und zu rezitieren. Es handelt sich um einen Text, der in 114 Suren unterschiedlicher 37 Länge eingeteilt ist. Diese setzen sich aus einzelnen Versen (âya) von ebenfalls unterschiedlicher Länge zusammen. Über die Anzahl der Verse des Korans herrscht keine Einmütigkeit. Dies mag daran liegen, dass der Text verschiedene Stadien der redaktionellen Bearbeitung durchlaufen hat und z.B. auch keine Übereinstimmung in der Frage besteht, ob die sich stets wiederholende Einleitungsformel »bi-smi llâhi r-rahmâni r-rahîm« (Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers) mitgezählt wird oder nicht. Die einzelnen Offenbarungen wurden von den Zeitgenossen des Propheten memoriert und mündlich weitergegeben. Teilweise wurden sie auch schriftlich fixiert, wobei Steine, Palmblätter u.a. als Medium dienten. Der gesamte Text wurde nach dem Tod des Propheten einer redaktionellen Aufarbeitung unterzogen und schriftlich festgehalten.69 Bei der Anordnung gingen die Redaktoren – wenn auch nicht ganz konsequent – nach dem formalen Kriterium der Länge vor. Nach der Einleitungssure (al-Fâtiha) folgen die einzelnen Suren in abnehmender Länge. Alle Suren tragen einen Namen, unter dem sie den Muslimen in der Regel bekannt sind. Zwar sind sie auch der Reihenfolge nach nummeriert, werden jedoch traditionell nicht nach ihrer Bezifferung zitiert. Die Benennung der Suren bezieht sich in der Regel auf ein Wort, das in der Sure vorkommt, sodass durch den Namen eine Bezugnahme auf den Inhalt des Abschnitts erfolgen kann. Allerdings sind die einzelnen Suren aus verschiedenen Fragmenten zusammengesetzt, die inhaltlich nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben müssen. Häufig sind die Übergänge von einem Thema zum anderen nicht ohne weiteres zu erkennen. Zusammengehörende Teile werden durch andere Themen unterbrochen. Neben dem Namen der Sure wird darauf hingewiesen, ob sie in Mekka oder Medina offenbart worden ist. In einigen Fällen wird noch die Anzahl der Verse, aus denen sich die Sure zusammensetzt, mitgeteilt. Am Seitenrand der Koranausgaben finden sich Mar38 kierungen, die den gesamten Text rein formal in dreißig Teile einteilen. Diese können wiederum halbiert und geviertelt werden. Solche Hinweise dienen als Hilfsmittel zum leichteren Memorieren des Textes. All diese Hinweise sind noch nicht Teil des kanonischen Textes. Von einer Sure abgesehen, werden die einzelnen Abschnitte durch die Formel »Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers« (bi-smi llâhi r-rahmâni r-rahîm) eingeleitet. Insgesamt 29 Suren werden durch »geheimnisvolle Buchstaben« eröffnet.70 Ihre Bedeutung oder Funktion ist weiterhin dunkel, obwohl muslimische wie westliche Korankenner in dieser Frage die unterschiedlichsten Überlegungen angestellt haben. Wollte man den Versuch unternehmen, den Koran inhaltlich zu ordnen, könnte man mehrere Themen unterscheiden. An erster Stelle stehen Aussagen über Gott. Er ist für die Muslime der Einzige, der niemanden neben sich hat. Daher wird vom Monotheismus des Islams als einem Radikalmonotheismus gesprochen.71 Gegenüber den mekkanischen Heiden sagt der Koran: »Sprich: O ihr Ungläubigen, ich verehre nicht, was ihr verehrt, auch ihr verehrt nicht, was ich verehre. Weder werde ich verehren, was ihr verehrt, noch werdet ihr verehren, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe meine Religion.«72 Gegen die christliche Trinitätsvorstellung gewandt, heißt es: »Sprich: Er ist Gott, ein Einziger, Gott, der Undurchdringliche. Er hat nicht gezeugt und ist nicht gezeugt worden, und niemand ist ihm ebenbürtig.«73 Er ist der allmächtige Schöpfer aller Dinge. »Er ist der Schöpfer der Himmel und der Erde. Wenn er eine Sache beschlossen hat, sagt er nur: Sei! Und sie ist es.«74 Weil Gott alles geschaffen hat, ist es gut. Er ist »der beste Schöpfer«75. Die Schöpfung befindet sich daher in vollkommener Harmonie. Sie selbst deutet auf Gott als den allmächtigen Schöpfer hin, in ihr kann er erkannt werden. Innerhalb der göttlichen Schöpfung ist der Mensch das Zeichen der göttlichen Macht schlechthin. Auf diese »Krone der Schöp39 fung« hin ist alles zugeschnitten. »Gott ist es, der euch die Erde zu einem festen Grund und den Himmel zu einem Bau gemacht hat, euch gestaltet und eure Gestalten schön geformt hat und euch von den köstlichen Dingen beschert hat.«76 Er lenkt dauernd das Geschick der Welt und der Menschen. Nichts geschieht ohne seinen absoluten und uneingeschränkten Willen. Alles Werden und Vergehen, Leben und Tod, Heil und Unheil sind in seinem Willen beschlossen. Er bestimmt das Leben des Menschen in jeder Hinsicht. Der Koran sagt dazu: »Sprich: Uns wird nur das treffen, was Gott uns bestimmt hat.«77 Weil er alles geschaffen hat, hat er Anspruch auf den Gehorsam seiner Geschöpfe. Er ist der strenge und gerechte Richter über alle ihre Handlungen. Beim Jüngsten Gericht werden alle Menschen Rechenschaft über ihre Handlungen ablegen müssen. »Die Stunde kommt bestimmt. An ihr ist kein Zweifel möglich.«78 »Und ob ihr das, was in eurem Inneren ist, offen legt oder geheim haltet, Gott rechnet mit euch darüber ab.«79 Zugleich ist er aber auch der Barmherzige (al-Rahmân), wie der Koran schon in der Einleitungsformel der einzelnen Suren feststellt. Daher kann sich der Mensch vertrauensvoll ganz Gott überlassen. Der Koran beschreibt Gott aber nicht nur als fern und transzendent. Er ist dem Menschen zugleich näher als alles andere, »näher als die Halsschlagader«80. Daher bleibt Gott nichts verborgen. »Er weiß über das innere Geheimnis Bescheid.«81 Dennoch bleibt die koranische Gottesvorstellung die eines dem Menschen fernen Gottes, was für die religionsgeschichthche Entwicklung des Islams weitreichende Folgen haben sollte. Einen weiteren Themenkreis des Korans bilden eschatologische Aussagen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Prophet zu Beginn seiner Sendung von einem nahe bevorstehenden Ende der Welt ausging.82 »Die nahende Stunde steht bevor. Niemand kann sie beheben außer Gott.«83 Später wird diese Haltung etwas abgeschwächt, wenn es heißt: »Vielleicht wird sie bald 40 sein.«84 Zentrales Motiv des Jüngsten Gerichts ist die Vorstellung, dass alle Menschen vor den Richterstuhl Gottes gerufen werden. Dann werden sie auf der Grundlage von Büchern, in denen ihre guten und schlechten Taten notiert worden sind85, oder der himmlischen Waage, auf der die Taten gewogen werden86, gerichtet. Die, bei denen die guten Taten überwiegen, gelangen ins Paradies, die anderen in die Hölle. Die Motive der Waage oder auch der Kontobücher haben dazu geführt, dass man in westlichen Analysen des Islams von einer »Buchhalterreligion« gesprochen hat. Aussagen über geistige Wesen stellen einen weiteren Themenkomplex des Korans dar. Hier sind insbesondere die Engel zu nennen. Sie sind Diener Gottes und wirken als Medien der Offenbarung.87 Sie loben Gott und tragen seinen Thron. Vor allem beim Jüngsten Gericht können sie mit der Erlaubnis Gottes für Menschen Fürbitte einlegen.88 Die Engel übernehmen auch den Schutz der Gläubigen in schwierigen Situationen, etwa bei Auseinandersetzungen mit den Feinden des Islams. So besteht die Vorstellung von zwei Engeln, die dem Menschen rechts und links zur Seite stehen.89 Diese Engel haben aber auch die Aufgabe, die Handlungen des Menschen zu kontrollieren und sie jeweils in den Kontobüchern für das Jüngste Gericht zu notieren.90 In der Hierarchie der Schöpfung steht der Mensch über den Engeln; denn Gott befahl den Engeln, vor Adam niederzufallen.91 Speziell die Propheten stehen nach späteren Vorstellungen über den Engeln, weil sie gegen Versuchungen ankämpfen und unter Widerstand den Willen Gottes erfüllen, während die Engel keine Leidenschaften und keine moralischen Hindernisse kennen. Einige Engel werden im Koran mit Namen genannt. Zu ihnen gehört an erster Stelle der Engel Gabriel (Jibrîl), der Muhammad die Offenbarung des Korans gebracht hat.92 Ohne nähere Angaben wird Michael genannt.93 Der Koran spricht auch von einem Todesengel94, den die spätere Tradition als Izra'îl benennt. Nach dem isla41 mischen Volksglauben haben zwei andere Todesengel, Munkar und Nakir, die Aufgabe, die Toten im Grab zu verhören. Stellen sie fest, dass es sich um einen Ungläubigen handelt, quälen sie ihn im Grab bis zum Jüngsten Tag.95 Die islamische Tradition kennt aber auch zwei positive Todesengel, Mubashshar und Bashir, die sich den Toten gegenüber freundlich verhalten.96 So erwähnt der Koran neunzehn Engel, die als Wächter der Hölle fungieren. An ihrer Spitze steht der Engel Malik.97 Ferner spricht der Koran von den beiden Engeln Harut und Marut, die den Menschen die Zauberkunst beigebracht haben. Sie schärften ihnen aber ein: »Wir sind nur eine Versuchung. So werdet nicht ungläubig.«98 Die muslimischen Kommentatoren erklärten die Funktion dieser Engel damit, dass sie den Menschen den Unterschied zwischen Zauberei und der göttlichen Allmacht verdeutlichen sollten. Häufig ist im Koran auch vom Teufel (»Iblîs« von griechisch »Diabolos« oder »Shaitân«) die Rede. Dabei handelt es sich um einen Geist, der sich mit anderen Dämonen dem Befehl Gottes widersetzte, daher aus dem Paradies vertrieben wurde, aber von ihm die Erlaubnis erhielt, die Menschen in Versuchung zu führen. Für den Koran ist der Teufel der Feind der Menschen schlechthin: »Der Satan ist euer Feind. So nehmt auch ihr ihn zum Feind. Ruft seine Anhänger dazu, zu den Gefährten des Feuers zu gehören.«99 Mit Gottes Hilfe kann sich der Mensch gegen die Nachstellungen des Teufels wehren: »Und sprich: Mein Herr, ich suche Zuflucht bei Dir vor den Aufstachelungen der Satane. Und ich suche, mein Herr, bei Dir Zuflucht davor, dass sie mich aufsuchen.«100 Die Frage, wie sich die Allmacht Gottes zu den Verführungen des Teufels verhalte, hat die spätere islamische Theologie immer wieder beschäftigt. Hiob leidet unter dem Schaden, den ihm der Teufel zufügt, wobei die Schuld des Dulders fraglich bleibt.101 Wie überhaupt die Frage nach der Selbstbestimmung und damit nach der Schuld des Menschen offen bleibt.102 So sagt 42 der Koran: »Der Satan hat von ihnen Besitz ergriffen und sie die Ermahnung Gottes vergessen lassen.«103 Die Menschen müssen sich vor dem Teufel mit der Hilfe Gottes hüten. »Wer sich den Ermahnungen des Erbarmers gegenüber wie blind verhält, für den bestellen wir einen Satan, der ihm dann zum Gesellen wird.«104 Zugleich weist der Koran aber auch darauf hin, dass der Teufel keine unmittelbare Macht über den Menschen hat. Dementsprechend sagt der Teufel zu den Verdammten in der Hölle: »Gott hat euch ein wahres Versprechen gegeben. Und ich habe euch (etwas versprochen), es aber nicht gehalten. Und ich hatte keine Macht über euch; ich habe euch nur gerufen, und ihr habt auf mich gehört.«105 Und an anderer Stelle spricht Gott zum Teufel: »Was meine Diener betrifft, so hast du über sie keine Macht, außer denen unter den Abgeirrten, die dir folgen.«106 Aus diesen koranischen Vorstellungen haben sich im Verlauf der islamischen Religionsgeschichte vielfältige Ausformungen des Teufelsbildes entwickelt, bei denen in manchen Fällen der Übergang zwischen orthodoxen Vorstellungen und volksreligiösen Vorstellungen fließend ist. Neben Engeln und Teufeln oder Dämonen kennt der Koran noch eine dritte Kategorie von geistigen Wesen, die Jinnen (»Jinn«, Pl. »Junûn«). Beschrieben werden diese als Wesen aus rauchlosem Feuer107 oder Dampf, die von den Menschen in ihrer ursprünglichen Gestalt nicht gesehen werden können. Nach der Tradition und vor allem nach den volksislamischen Vorstellungen haben sie aber die Fähigkeit, die verschiedensten Gestalten anzunehmen. Mit dem Begriff verbunden sind ursprünglich vorislamische Naturgottheiten wie Nymphen oder Satyrn, die die unbewohnten Gebiete der Arabischen Halbinsel bevölkern sollten. Zu Lebzeiten des Propheten hatte sich offenbar ein Vorstellungswandel hin zu vagen, unpersönlichen Gottheiten angebahnt; Belege für diesen Wandel bietet der Koran an verschiedenen Stellen, an denen 43 berichtet wird, dass die dem Propheten gegenüber ablehnend eingestellten Mekkaner unklare verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Jinnen und Allah annahmen, ihnen opferten und ihre Hilfe erbaten.108 Die Botschaft des Islams richtet sich auch an sie. Ihnen werden die gleichen Strafen angedroht und die gleichen Belohnungen versprochen wie den Menschen. Vom offiziellen Islam wurde und wird die Existenz der Jinnen als gesichert angesehen, und die islamischen Juristen stellten und stellen auch heute noch zahlreiche Überlegungen zur rechtlichen Stellung der Jinnen im Allgemeinen und zu den Menschen im Besonderen an. Im Mittelpunkt derartiger Erörterungen stehen die möglichen Beziehungen zwischen Jinnen und Menschen, die Frage von Liebesbeziehungen zwischen ihnen, Heiraten und die Stellung der Kinder aus derartigen Verbindungen. Mit einer weiteren theologischen Entwicklung des Islams entstanden Diskussionen darüber, ob tatsächlich Jinnen existieren. Das Konzept der Jinnen bot vor allem die Möglichkeit, das Interpretationspotenzial des Korans auszuschöpfen. Dies lässt sich sogar bei modernen Koraninterpreten zeigen. So gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen modernen Korankommentar, der regelmäßig in der ägyptischen Zeitschrift al-Manâr erschien. Der Autor dieses Kommentars, der ägyptische Rechtsgelehrte Muhammad Abduh, erklärte auf der Basis der islamischen Rechtstraditionen, dass muslimische Gelehrte Jinnen als unsichtbare Wesen ansahen, die in der Lage seien, dem Menschen Schaden zuzufügen. Im Mittelalter stellte man sich vor, dass Jinnen auf Schaden, auch wenn er ihnen unabsichtlich zugefügt worden war, negativ reagierten. Abduh meinte nun, dass nach den Erkenntnissen der modernen Medizin unsichtbare Wesen, die dem Menschen z.B. durch Krankheiten schadeten, Bazillen seien. Der Koran hat also nach dieser Interpretation schon lange vor der Zeit, zu der sie entdeckt wurden, von Bazillen gesprochen. Dies wurde als ein Beweis für die Über44 zeugung der Muslime angesehen, dass der Koran als Wort Gottes alles, was es in der Schöpfung gibt, anspricht und es nur auf die beschränkte Einsicht der Menschen zurückzuführen ist, dass sie ihn in seiner ganzen Tiefe nicht erkennen.109 Ein vierter Themenkreis des Korans umfasst Aussagen über Propheten, die Gott vor Muhammad zu anderen Völkern gesandt hat, die häufig von diesen aber nicht gehört wurden. Dabei unterscheidet der Koran zwischen zwei Arten von Propheten, von denen die erste als Mahner zu den Völkern geschickt worden ist. Dies musste immer wieder geschehen, weil die Menschen in ihrer Schwäche und Vergesslichkeit wiederholt an die Offenbarung und ihren Gehorsam gegenüber Gott erinnert werden und auf den rechten Weg zurückgeführt werden müssen. Diese Männer werden als »Nabî« (Pl. »Anbiyâ'«) bezeichnet. Die »Anbiyâ'« sollten die Menschen auch auf die Zeichen der göttlichen Güte und Allmacht hinweisen. Die anderen Propheten haben den Menschen darüber hinaus eine göttliche Offenbarung gebracht, die in einem Buch aufgezeichnet worden ist. Diese Gruppe nennt der Koran »Rasûl« (Pl. »rusul«). Nach dem späteren islamischen Verständnis entwickelte sich eine unterschiedliche Wertung zwischen den beiden Arten von Propheten. Diejenigen, die den Menschen eine Offenbarung brachten, wurden als höherrangig eingestuft.110 Grundsätzlich verkünden alle Propheten nach der Lehre des Korans aber die gleiche Botschaft: »Es gibt keinen Gott außer Mir. Dienet Mir.«111 Diese zu allen Zeiten identische Botschaft der Propheten weist zugleich auf die ursprüngliche Einheit der gesamten Menschheit im Glauben und im Gehorsam gegen Gott hin. Erst im Laufe der Entwicklung habe sich die Menschheit in unterschiedliche Stämme und Nationen, aber auch in unterschiedliche Glaubensvorstellungen aufgespaltet. Aufgabe der Propheten ist es auch, für die Wiederherstellung des einheitlichen Glaubens zu sorgen.112 Dennoch gibt es natürlich Unterschiede zwischen den 45 einzelnen Propheten, die von den Gegebenheiten und Umständen abhängig sind, denen sie sich gegenübersahen. Sie mussten ihre Botschaft der Situation der Menschen, zu denen sie sprachen, in Stil und Form anpassen, um sie zu erreichen und ihnen Orientierung geben zu können. »Und wir haben keinen Gesandten entsandt, außer (mit der Botschaft) in der Sprache des Volkes, damit er sie deutlich macht.«113 In der Mehrzahl der Fälle stießen die Propheten nach den Berichten des Korans bei ihren Adressaten jedoch auf taube Ohren, auf Verachtung, Spott und Hohn, ja sie hatten sogar Verfolgungen zu erleiden. Einige wurden mit ihren Warnungen vor einem göttlichen Strafgericht überhaupt nicht ernst genommen. Zur Strafe vernichtete Gott die entsprechenden Völker. Diese Strafe wird vom Koran zugleich als eine Bestätigung Gottes für die Authentizität der Botschaft der Propheten angesehen.114 Der Koran akzeptiert die Lehren aller Propheten, die im Auftrag Gottes zu ihrer Zeit ihren Landsleuten gepredigt haben. Zu diesen zählen alle biblischen Propheten. Hier ist insbesondere Abraham (Ibrahîm) zu nennen, der als Erster die Lehre von dem einen Gott verkündete.115 Ein anderer Prophet ist Noah (Nûh), der als der erste Strafprophet betrachtet wird. Die Parallelen, die der Koran zur Situation Muhammads in Mekka zieht, sind ganz deutlich. So sagen die Widersacher zu Noah: »O Noah, du hast mit uns gestritten und den Streit mit uns lange geführt. So bring uns doch her, was du uns androhst, sodass du zu denen gehörst, die die Wahrheit sagen.«116 Während weder von Abraham noch von Noah schriftliche Botschaften tradiert werden, verhält sich dies mit Moses (Mûsâ) anders. Der Koran sieht Moses in dreifacher Hinsicht als einen großen Vorgänger. Er war wie Muhammad warnender Prophet, Verkünder des göttlichen Gesetzes und Führer seines Volkes. Seine Lebensgeschichte wird im Koran ausführlich wiedergegeben. Es finden sich dabei zahlreiche Parallelen zum Buch Exodus des 46 Alten Testaments. Wie Muhammad ist er zu Beginn seiner Sendung unsicher.117 Als Unterstützung stellt Gott ihm seinen Bruder Aaron (Hârûn) zur Seite.118 Im Gegensatz zu Muhammad wirkt Moses einige Beglaubigungswunder. Doch diese werden von seinem Volk nicht als solche anerkannt. Vielmehr hält man ihn für einen Zauberer. Auch die Tatsache, dass Moses mit den Zauberern seines Landes in einen Wettstreit tritt und diese besiegt, überzeugt sein verstocktes Volk nicht.119 Die besondere Betonung dieser Episode im Koran hatte sicherlich die Funktion, die Forderung der Mekkaner nach Beglaubigungswundern als überflüssig abzuwehren, da diese ja in Moses Fall offenbar nicht zur Bekehrung geführt hätten. Die Berichte des Korans von Moses, der sein Volk durch die Wüste führt, zeigen die unverbrüchliche Treue Gottes zu seinem Propheten. Als Botschafter (Rasûl) bringt Moses schließlich das Gesetz Gottes in der Gestalt der Thora zu den Menschen. Damit kommt ihm eine besondere Stellung in der Geschichte der Propheten zu.120 Als wichtigster Prophet vor Muhammad aber wird im Koran Jesus (»Îsâ«) genannt. Andere Bezeichnungen für Jesus sind »Wort Gottes« (kalimat Allah)121 oder auch »Geist Gottes« (Ruh Allah).122 In den medinensischen Suren wird Jesus häufig als Messias (Gesalbter, Masîh) bezeichnet.123 Die muslimischen Korankommentare begründen diese Benennung damit, dass Jesus mit dem Segen Gottes gesalbt wurde, dass er durch den Engel Gabriel von der Berührung durch den Satan verschont blieb und so Sündenfreiheit erlangte, dass er jungfräulich empfangen wurde, zum Propheten gesalbt wurde und schließlich selbst Kranke gesalbt und geheilt habe. Die Übereinstimmungen der Beschreibung des Lebens Jesu im Koran und im Neuen Testament sind zahlreich. Dies gilt schon für seine Empfängnis. Maria empfing ihren Sohn durch einen göttlichen Schöpfungsakt oder durch das Einhauchen des Geistes.124 Es finden sich in diesem Zusammenhang aber auch ei47 nige bemerkenswerte Differenzen. So nimmt das Jesuskind seine Mutter gegen den Vorwurf der Verwandten, sie habe ein uneheliches Kind geboren, in Schutz, indem es schon auf seine besondere Bestimmung hinweist: »Ich bin der Diener Gottes. Er ließ mir das Buch zukommen und machte mich zu einem Propheten.«125 An anderer Stelle nimmt der Koran Maria in Schutz gegen »eine gewaltige Verleumdung«126 und bezeichnet sie wiederholt als diejenige, »die sich keusch hielt«127. Damit betont der Koran die jungfräuliche Geburt Jesu. Die Herkunft Jesu aus dem Judentum konstatiert auch der Koran, wenn er feststellt, dass Gott ihn »zu einem Beispiel für die Kinder Israels gemacht hat«128. Die Predigt Jesu wird durch verschiedene Wunder ergänzt, mit denen die Echtheit seiner Sendung beglaubigt werden soll.129 Vor allem aber ist Jesus der Verkünder des Evangeliums (Injîl); damit steht er in einer Reihe zwischen Moses und Muhammad. Die entscheidende Differenz zu den christlichen Vorstellungen aber ist, dass der Koran Jesus ausschließlich als Menschen sieht. »O ihr Leute des Buches; übertreibt nicht in eurer Religion und sagt über Gott nur die Wahrheit. Jesus, der Sohn Marias, ist doch nur der Gesandte Gottes und sein Wort, das er zu Maria hinüberbrachte, und ein Geist von Ihm.«130 Die Vorstellung von Gott als Vater auch im übertragenen Sinn ist Muslimen völlig unverständlich. Nach ihrer Auffassung kann kein Geschöpf gegenüber seinem Schöpfer ein Vater-Kind-Verhältnis haben. Der Koran vertritt außerdem die Auffassung, dass Jesus nicht am Kreuz gestorben ist. »Sie haben ihn aber nicht getötet, und sie haben ihn nicht gekreuzigt, sondern es erschien ihnen eine ihm ähnliche Gestalt [...]. Und sie haben ihn mit Gewissheit nicht getötet, sondern Gott hat ihn zu sich erhoben. Gott ist mächtig und weise.«131 Ob Jesus gestorben ist, darüber gehen die Meinungen der Korankommentatoren auseinander; aber dass Jesus sterblich gewesen ist, macht der Koran deutlich.132 Im Gegensatz zur Rolle von Moses hat Jesus in den 48 muslimischen Vorstellungen eschatologische Funktionen, die ebenfalls auf den Koran zurückgehen. So wird er zum Ende der Zeiten gegen die Christen und ihren Glauben an die Trinität bezeugen, dass es nur einen Gott gibt133; er wird aber auch für die Menschen als Fürsprecher eintreten.134 Aus diesen Vorstellungen haben sich in der islamischen Tradition weitere endzeitliche Vorstellungen entwickelt bis hin zu der Überzeugung, dass Jesus am Ende der Zeiten an einem der Minarette der großen Moschee von Damaskus erscheinen wird.135 Neben den aus dem Alten und Neuen Testament bekannten Figuren der Heilsgeschichte nennt der Koran auch eine Reihe von Propheten, die in den heiligen Büchern von Judentum und Christentum nicht vorkommen. Genannt seien hier der Prophet Hüd, der zum historischen Volk der 'Âd geschickt worden ist136, der Prophet Sâlih, der den ebenfalls historisch belegten Thamüd predigte137, und schließlich Schu'aib, der zum Volk von Madyan gesandt wurde.138 Nach dem Koran ist Muhammad der Letzte in einer langen Reihe von Propheten. Der Koran bezeichnet ihn als das »Siegel der Propheten«.139 Ihm kommt damit eine besondere Bedeutung zu. Seine Offenbarung ist die letzte, die Gott der Menschheit zukommen lässt. Er vollendet und vervollkommnet die göttliche Botschaft.140 Einen weiteren wichtigen thematischen Bereich des Korans bilden Anweisungen bezüglich des gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Lebens der Muslime. Allerdings machen diese Teile nur einen geringen Anteil am Gesamttext aus. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man allein mit dem Koran alle konkreten Sachverhalte des täglichen Lebens regeln könnte. Zu den gesellschaftlichen Normen, die der Koran aufstellt, gehören verschiedene allgemeine Anweisungen, die eine konkrete koranische Ethik ergeben. So ruft der Koran zu einem friedfertigen und solidari49 sehen Verhalten der Muslime untereinander, aber auch gegenüber den Anhängern der anderen Offenbarungsreligionen auf.141 Wahrhaftigkeit gegenüber jedermann wird den Gläubigen dringend empfohlen.142 Muslime sollen Barmherzigkeit gegenüber Armen, Kranken, Witwen und Waisen üben, dabei allerdings ein entsprechendes vernünftiges Maß nicht überschreiten. Das Verhältnis gegenüber den Eltern wird ebenso angesprochen wie das gegenüber der Umwelt. Man kann eine Art Dekalog im Koran finden, der folgendermaßen lautet: »Setze Gott keinen anderen Gott zur Seite, sonst wirst du dasitzen, gescholten und im Stich gelassen./Und dein Herr hat bestimmt, dass ihr nur ihm dienen sollt und dass man die Eltern gut behandeln soll. Wenn einer von ihnen oder beide bei dir ein hohes Alter erreichen, so sag nicht zu ihnen: ›Pfui!‹ und fahre sie nicht an und sprich zu ihnen ehrerbietige Worte. Und senke für sie aus Barmherzigkeit den Flügel der Untergebenheit und sag: ›Mein Herr, erbarme dich ihrer, wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein war.‹/Euer Herr weiß besser, was in eurem Innern ist. Wenn ihr rechtschaffend seid, so ist er für die, die immer wieder umkehren, voller Vergebung./Und lass dem Verwandten sein Recht zukommen, ebenso dem Bedürftigen und dem Reisenden, aber handle nicht ganz verschwenderisch./ Diejenigen, die verschwenderisch sind, sind die Brüder der Satane; und der Satan ist gegenüber seinem Herrn sehr undankbar./Und falls du dich von ihnen abwendest im Streben nach einer von dir erhofften Barmherzigkeit von deinem Herrn, so sprich zu ihnen milde Worte./ Und lass deine Hand nicht an deinem Hals gefesselt sein, aber strecke sie auch nicht vollständig aus. Sonst würdest du getadelt und verarmt dasitzen./Dein Herr teilt den Lebensunterhalt großzügig, wem er will und auch bemessen zu. Er hat Kenntnis von seinen Dienern, und Er sieht sie wohl./Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung. Ihnen und euch bescheren Wir doch den Lebensunterhalt. Sie töten ist eine große Sünde./Und nähert euch nicht der Unzucht. Sie ist etwas Schändliches und sie ist ein übler Weg./Und tötet nicht den Menschen, den Gott für unantastbar erklärt hat, es sei denn bei vorliegender Berechtigung. Wird jemand ungerechterweise getötet, so geben Wir seinen nächsten Verwandten Vollmacht (ihn zu rächen). Nur soll 50 er nicht maßlos im Töten sein; siehe, er wird Beistand finden./Und nähert euch nicht dem Vermögen des Waisenkindes, es sei denn auf die beste Art, bis es seine Vollkraft erreicht hat. Und erfüllt eingegangene Verpflichtungen. Über die Verpflichtungen wird Rechenschaft gefordert./Und gebt volles Maß, wenn ihr messt. Und wägt mit der richtigen Waage. Das ist besser und führt zu einem schöneren Abschluss./Und verfolge nicht das, wovon du kein Wissen hast. Über Gehör, Augenlicht und Herz, über all das wird Rechenschaft gefordert./Und schreite nicht unbekümmert auf der Erde einher. Du wirst die Erde ja nicht durchbohren und die Berge an Höhe nicht erreichen können.«143 Ausführlicher geht der Koran auf das Verhältnis der Geschlechter ein. Es ist vor allem die vierte Sure, »Die Frauen«, in der diese Thematik angesprochen wird. Aus theologischer Sicht darf hier festgehalten werden, dass Männer und Frauen vor Gott gleich sind. Seine Gebote und Verbote gelten für beide in gleicher Weise. Auch Belohnungen und Bestrafungen für ihre Taten sind bei beiden Geschlechtern identisch.144 Im Alltag weist der Koran den Männern eine überlegene Stellung gegenüber den Frauen zu: »Die Männer haben Vollmacht und Verantwortung gegenüber den Frauen, weil Gott die einen vor den anderen bevorzugt hat und weil sie von ihrem Vermögen (für die Frauen) ausgeben. [...] Ermahnt diejenigen unter ihnen, von denen ihr Widerspenstigkeit befürchtet, und entfernt euch von ihnen in den Schlafgemächern und schlagt sie. Wenn sie euch gehorchen, dann wendet nichts weiteres gegen sie an.«145 Andererseits ist es die Pflicht der Männer, für den Lebensunterhalt von Frauen und Kindern zu sorgen. Damit wird dann begründet, dass Männer den doppelten Anteil am Erbe im Vergleich zu den Frauen erhalten.146 Die schwächere gesellschaftliche Position der Frau kommt auch im Zusammenhang mit dem Zeugnis von Zeugen vor Gericht zum Ausdruck. Der Koran verfügt, dass die Wertigkeit des Zeugnisses eines Mannes dem von zwei Frauen entspricht.147 51 Die Glaubenspflichten des Muslims, also das Gebet, das Fasten im Monat Ramadan, das Almosen und die Pilgerfahrt, kommen im Koran ebenfalls zur Sprache. Allerdings ist von ihnen nur in einer eher allgemeinen Form die Rede. Die genauen Regeln der einzelnen Rituale sind erst später formuliert worden. Der Koran schreibt auch einige Regeln in Bezug auf das Strafrecht vor. Diese bilden aber keinen vollständigen Strafrechtskatalog. Islamische Rechtsgelehrte haben sich jedoch immer bemüht, auf der Grundlage des Korans ein Strafrechtssystem zu entwickeln. Vielleicht kann man vier verschiedene Deliktgruppen unterscheiden, zu denen der Koran sich direkt äußert: Abfall vom Islam, Tötung eines Menschen, Unzucht und Diebstahl. An erster Stelle ist hier der Abfall vom Islam, die Apostasie, zu nennen. Der Koran sieht den Abfall vom Islam als die schwerste überhaupt mögliche Versündigung an. Er macht auch die guten Taten des Menschen wertlos und nichtig.148 Die Buße der Abtrünnigen wird nicht angenommen werden; der Fluch Gottes, der Engel und aller Menschen lastet auf ihnen. Ihre Strafe wird das ewige Höllenfeuer sein.149 Der Koran sieht also als Strafe für den Abfall vom Islam den Zorn Gottes und die schwere Bestrafung beim Jüngsten Gericht vor. Von einer Bestrafung durch weltliche Autoritäten ist zunächst nicht die Rede. In einer späteren Entwicklung sind dann Verse, die sich auf sog. Heuchler (Munâfiqûn) beziehen, auch hinsichtlich der Apostaten herangezogen worden. Da die Heuchler als Gefahr für die Gemeinschaft der Muslime angesehen werden, sollen die Gläubigen sie ergreifen und töten, wann immer sie sie finden.150 Die Haltung des Korans gegenüber denjenigen, die vom Islam abfallen, ist deutlich von der Frage nach dem Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen beherrscht. Apostasie ist vor allem eine Sünde gegen Gott, und allein er ist es, der diese Sünde bestraft. Als nach dem Tod des Propheten eine ganze Anzahl von arabischen Stämmen vom Islam abfiel und sich wieder ihren Ursprung52 liehen Glaubensvorstellungen zuwandte, entstand für den jungen islamischen Staat auch eine existenzielle politische Gefahr, gegen die er sich zur Wehr setzte. Die muslimischen Autoritäten gingen gegen diese Abfallbewegung (Ridda) mit militärischen Mitteln vor, die durch eine Verschärfung der Sanktionen gegenüber Apostaten ergänzt wurden. Man bezog sich dabei auf verschiedene Aussprüche des Propheten (Hadîth). Dabei wurden die beiden folgenden Traditionen zur Begründung herangezogen: »Wer seine Religion wechselt, den tötet.« »Das Blut eines Muslims ist nur in drei Fällen freigegeben: Bei Apostasie nach dem Glauben, bei Unzucht nach legitimer Eheschließung und bei einem nicht als Blutrache verübten Mord.«151 Die Apostasie wird demnach als Straftatbestand angesehen, als Verrat an der Gemeinschaft der Muslime. In einer modernen westlichen Terminologie könnte man von »Landesverrat« sprechen. Die islamischen Rechtsgelehrten verlangen allerdings eine sorgfältige Prüfung des Tatbestands, ehe sie die Hinrichtung eines Menschen wegen Apostasie erlauben. So ist zunächst einmal zu prüfen, ob der Beschuldigte tatsächlich Muslim ist. Menschen, die zwangsweise zu Muslimen geworden sind, gelten nach dem islamischen Recht nicht als wirkliche Muslime. Wenn sie also bei Wegfall der Zwangssituation zu ihrer alten Religion zurückkehren, begehen sie keine Apostasie. Das islamische Recht kennt allerdings eine große Zahl von Tatbeständen, die darauf hindeuten, dass jemand vom Islam abgefallen ist. Zu ihnen gehören die Lästerung Gottes und die Beschimpfung seines Propheten, die Leugnung unstrittiger religiöser Pflichten bis hin zu den Speisegeboten, die Anbetung von Götzenstatuen, die verächtliche Behandlung des Korans oder die Ausübung von Zauberei. Zur Feststellung dieser Tatsachen sind zwei Zeugen notwendig, die dieselbe Handlung des Beschuldigten bezeugen. Voraussetzung für ein Todesurteil wegen Apostasie ist nach islamischem Recht aber vor allem, dass der Beschuldigte erwachsen und 53 bei klarem Verstand ist. Kinder oder Personen fortgeschrittenen Alters wie auch Geisteskranke oder Betrunkene können nicht zum Tode verurteilt werden. Unterschiedlich sehen die verschiedenen islamischen Rechtsschulen152 die Frage, wie der Apostasie überführte Frauen zu behandeln sind. Einige machen keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen, da der Prophet Muhammad in dieser Frage auch keine Unterschiede zwischen ihnen gemacht habe. Andere sind der Meinung, dass Frauen durch Schläge oder Gefangenschaft zur Rückkehr zum Islam bewegt werden sollten. Sie begründen ihre Position damit, dass der Prophet die Tötung von Frauen im Dschihad verboten habe und die Strafandrohung in einem dem Dschihad vergleichbaren politischen Zusammenhang stehe; ferner schade der Abfall einer Frau vom Islam der islamischen Gemeinschaft nicht in dem Maß wie der eines Mannes. Bei nachgewiesener Apostasie muss dem Verurteilten Zeit zur Umkehr gelassen werden. Wenn er nach drei Tagen Bedenkzeit immer noch bei seiner Haltung bleibt, muss die Hinrichtung vollzogen werden; wenn er aber bereut, wird er wieder in die Gemeinschaft der Muslime aufgenommen. Die Apostasie zieht eine Folge weiterer Rechtsentscheidungen nach sich. Sie macht beispielsweise die Ehe mit einem muslimischen Ehepartner ungültig.153 Sollte der abgefallene Partner seine Tat bereuen und umkehren, muss ein neuer Ehevertrag geschlossen werden. Wenn sich der abgefallene Muslim in seiner neuen Religionsgemeinschaft wieder verheiratet, gilt diese Ehe aus muslimischer Sicht allerdings als ungültig. Andere Rechtshandlungen, die ein Apostat vollzieht, z.B. Kauf oder Verkauf in der Wirtschaft, haben nach der Meinung einiger der bedeutendsten muslimischen Rechtsgelehrten jedoch Rechtskraft. Da Muslime von einem glaubenslosen Menschen nichts erben können, fällt das Erbe eines Apostaten nach Ansicht der Mehrzahl der islamischen Juristen dem Staat zu.154 54 Als schwerwiegende Verfehlung sieht der Koran die Tötung eines Menschen an. Das islamische Recht unterscheidet zwischen verschiedenen Tötungsdelikten. Mord gilt dabei als das schwerste Verbrechen. Der Täter kann den Angehörigen des Opfers zur Vergeltung übergeben werden, nachdem der Tatbestand und die Schuld des Täters durch einen Richter festgestellt sind. Das Strafmaß entspricht der Tat: Der Mörder wird getötet. Hier kommt das islamische »jus talionis« (Vergeltung von Gleichem durch Gleiches) deutlich zur Anwendung. Der Koran legt aber Wert auf die Feststellung, dass die Bestrafung ausschließlich den Täter trifft und nicht etwa seine Familie oder seinen Stamm. Die Angehörigen des Opfers sind nicht verpflichtet, den Täter hinzurichten; sie können stattdessen ein Blutgeld verlangen.155 Das islamische Recht behält sich aber vor, einen gemeingefährlichen Täter, der seine Tat mit der Zahlung eines Blutgeldes gesühnt hat, zum Schutz der Allgemeinheit in eine Art Sicherheitsverwahrung zu nehmen. Im Fall eines Totschlags sind die Strafen weniger schwerwiegend. Der Täter darf nicht mit dem Tod bestraft werden. Stattdessen hat er ein Blutgeld zu zahlen, als Buße kann er auch einen Sklaven befreien oder an zwei aufeinander folgenden Monaten fasten.156 Bei Körperverletzungen kommt ebenfalls das »jus talionis« zur Anwendung, wobei das islamische Recht exakte Ersatzleistungen wie die Zahlung von Geld o.a. entwickelt hat Insgesamt verbietet der Koran jede Form von unrechtmäßiger Gewaltanwendung. »Die Vergeltung für die, die gegen Gott und seinen Gesandten Krieg fuhren und auf der Erde umherreisen, um Unheil zu stiften, soll dies sein, dass sie getötet und gekreuzigt werden oder dass ihnen Hände und Füße wechselseitig abgehackt werden oder dass sie aus dem Land verbannt werden [...].«157 Das islamische Recht entwickelte aus diesen Worten unterschiedliche Bewertungskriterien. So werden Raubmörder hingerichtet. Wenn jemand raubt, ohne zu morden, werden ihm Hand und Fuß amputiert. 55 Täter, die ihre Mitmenschen terrorisiert haben, ohne zu morden oder zu rauben, werden des Landes verwiesen oder ins Gefängnis gesteckt. Falls ein Täter Reue bekundet, bevor der Tatbestand von einem Richter festgestellt worden ist, kann er unbestraft bleiben, sofern er den von ihm angerichteten Schaden wieder gutmacht. In aktuellen Diskussionen unter islamischen Rechtsgelehrten wird im Zusammenhang mit Fragen der Familienplanung häufig auch die Thematik des Schwangerschaftsabbruchs angesprochen. Dabei zeigt sich eine deutliche Übereinstimmung zwischen den Positionen muslimischer Gelehrter und der Haltung der katholischen Kirche. Muslimische Juristen ziehen verschiedene Äußerungen des Korans heran, um das Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs zu begründen. Danach ist das Leben von der Empfängnis an Schöpfung Gottes.158 Daher ist es keinem Menschen, auch nicht den Eltern, gestattet, in diesen Schöpfungsprozess einzugreifen.159 Neuere Entscheidungen islamischer Juristen gestatten einen Abbruch nur dann, wenn eine Gefahr für das Leben der Mutter besteht, der auf keine andere Weise begegnet werden kann.160 Auch Unzucht (Zinnâ) wird vom Koran als ein strafwürdiges Vergehen angesehen. Unter »Unzucht« versteht das islamische Recht jede sexuelle Aktivität zwischen Personen, die nicht rechtsgültig miteinander verheiratet sind. Derartige Aktivitäten werden mit hundert Peitschenhieben für jeden der Beteiligten bestraft. Nicht minder schwerwiegend, weil folgenreich ist auch die Anweisung des Korans, dass eine Person, die eines derartigen Vergehens überführt worden ist, in Zukunft keinen gläubigen muslimischen Partner mehr heiraten darf.161 Der Koran stellt allerdings erhebliche Hürden für den Nachweis der Unzucht auf. So sind vier Zeugen erforderlich, die die Schuldigen in flagranti beobachtet haben müssen. Stellt sich heraus, dass eine Person in einem derartigen Strafverfahren ein falsches Zeugnis abgegeben hat, wird 56 sie mit achtzig Hieben bestraft. Für die Zukunft darf von einer solchen Person kein Zeugnis mehr angenommen werden.162 Vom Propheten Muhammad wird überliefert, dass er lediglich das Bekenntnis der Beteiligten als echten Beweis akzeptiert habe. Als schwerwiegender wird der Tatbestand des Ehebruchs bewertet. Wird eine Frau tatsächlich durch vier Zeugen einer solchen Tat überführt und sind auch noch weitere Beweise vorhanden, wird sie hingerichtet. Falls aber nur die vier Zeugen ihre Schuld bestätigen, soll sie im Haus festgehalten werden, »bis der Tod sie abberuft oder Gott ihr einen Ausweg verschafft«163. In einem derartigen Fall hat der Ehemann einer des Ehebruchs beschuldigten Frau eine prozessual besondere Stellung. Es reicht aus, dass er – anstelle von vier Zeugen – viermal bezeugt, dass er seine Frau bei einer Unzuchthandlung beobachtet hat. Danach muss er sich bei einem fünften Zeugnis dem Fluch Gottes ausliefern, für den Fall, dass er nicht die Wahrheit sagt. Die beschuldigte Ehefrau hat die Möglichkeit, den Aussagen ihres Gatten viermal zu widersprechen und sich bei einer fünften Aussage ebenfalls dem Fluch Gottes auszuliefern.164 Bei einer derartigen Beweissituation wird es nicht zur Bestrafung der Frau kommen. Regelungen für den Fall, dass eine Frau ihren Mann bei einer unzüchtigen Handlung beobachtet, sind in den Werken der juristischen Autoritäten nicht zu finden. Auf die Bestrafung für Raubmord ist schon hingewiesen worden. Einfacher Diebstahl wird nach dem Koran mit der Amputation der Hand bestraft.165 Das islamische Recht hat allerdings eine Reihe von Bedingungen entwickelt, die erfüllt sein müssen, ehe es zu dieser Bestrafung kommen darf. Der Dieb muss erwachsen und bei klarem Verstand sein; das gestohlene Objekt muss gut verwahrt gewesen sein, im Gegensatz zu Fundsachen oder Obst von Bäumen, die nicht eingezäunt sind; der Diebstahl geringwertiger Güter wird nicht mit der Abtrennung der Hand bestraft, son57 dem mit Peitschenhieben oder Gefängnis; auch bei Diebstahl, der aus Not begangen wurde, werden geringere Strafen ausgesprochen. Gerade bei dem letztgenannten Tatbestand ist eine Vielzahl von islamischen Gelehrten der Ansicht, dass in islamischen Gesellschaften bisher noch nicht die wirtschaftliche Situation eingetreten ist, dass die Bevölkerung über ausreichendes und gleichmäßig verteiltes Eigentum verfügt, sodass überhaupt Diebstahl nicht auf die vom Koran beschriebene Weise geahndet werden dürfte. In den zivilrechtlichen Bereich gehören die Regelungen, die der Koran im Bezug auf das Erbrecht festlegt. Diese Regelungen erweisen sich als sehr detailliert.166 Dabei kann man feststellen, dass weibliche Erben schlechter gestellt sind als männliche. Moderne muslimische Exegeten erläutern diese Ungleichbehandlung mit dem Hinweis, dass Frauen in vorislamischer Zeit überhaupt keinen Erbanspruch hatten und die Regelung des Korans eine erhebliche Verbesserung der rechtlichen Stellung von Frauen bedeutet hätte. Des Weiteren ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau in der Ehe durch den Vorrang des Mannes gekennzeichnet. »Männer haben Vollmacht und Verantwortung gegenüber den Frauen, weil Gott die einen vor den anderen bevorzugt hat und weil sie von ihrem Vermögen (für die Frauen) ausgeben.«167 Dieser Vers wird von den muslimischen Rechtsgelehrten mit der Regelung der Brautgabe (Mahr) in Zusammenhang gebracht.168 Eine gültige Ehe kann nur dann geschlossen werden, wenn in einem Heiratsvertrag die Art und die Höhe des Brautpreises festgelegt werden. Beim Vertragsabschluss ist die Braut nur bedingt rechtsfähig. Für sie muss ein männlicher Vertreter agieren; sie muss ihrerseits ihr Einverständnis zu dem Vertrag deutlich machen. Allerdings wird schon ihr Schweigen als Zustimmung zu dem Vertrag angesehen. Der Koran nimmt auch zur Polygynie Stellung. Er gestattet es dem Mann, mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Dies ist aber nur unter der Voraussetzung möglich, 58 dass der Mann alle Ehefrauen gleich behandelt. Dazu stellt der Koran dann jedoch fest: »Und ihr werdet es nicht schaffen, die Frauen gleich zu behandeln; ihr mögt euch auch noch so bemühen.«169 Von einer Reihe von islamischen Gelehrten wird dieser Satz als ein Verbot der Mehrehe angesehen. Einen weiteren thematischen Bereich des Korans stellen Gebete und gebetsähnliche Passagen dar. Hier ist zunächst die Eröffnungssure des Korans170 zu nennen, die in ihrer praktischen und rituellen Bedeutung mit dem christlichen Vaterunser verglichen werden kann. Daneben finden sich aber noch weitere Suren wie die Sure 113 oder 114 und einzelne Verse wie der Thron-Vers (Âyat al-Kursî), die von den Muslimen als Gebete verstanden werden. Schließlich sind noch verschiedene historische Berichte zu nennen, die alle einen didaktischen Charakter haben. Aus ihnen erfährt man von historischen Völkern, die den zu ihnen geschickten Propheten nicht geglaubt haben und die daher von Gott bestraft und vernichtet worden sind. In diesen Kontext kann man auch Texte wie die Josefsgeschichte171 einbeziehen, in denen Vorgänge, die aus dem Alten Testament oder aus apokryphen Evangelien bekannt sind, wieder aufgenommen werden. Alles in allem muss man aber feststellen, dass der Koran nach muslimischer Ansicht in keiner Weise zusammengefasst werden kann. Er ist für die Muslime der Ausgangspunkt und der Urgrund ihres religiösen Lebens und daher von kaum zu überschätzender Bedeutung. Dabei ist der Text sprachlich wie inhaltlich nicht einfach. Es finden sich zahlreiche komplizierte syntaktische Formen, Worte, die auch dem arabischen Muttersprachler fremd sind, Anspielungen auf Unbekanntes oder auch widersprüchliche Formulierungen, die dem Leser oder Hörer nicht ohne weiteres einleuchten. Letzteres lässt sich am Beispiel der Aufhebung einzelner Verse durch andere verdeutlichen. Zunächst erklärt der Ko59 ran jedoch, dass das Wort Gottes unabänderlich ist. »Und rezitiere, was dir vom Buch deines Herrn offenbart worden ist. Niemand wird Seine Worte abändern können.«172 Und an einer anderen Stelle heißt es: »Betrachten sie denn nicht sorgfältig den Koran? Wenn er von einem anderen Gott wäre, würden sie in ihm viel Widerspruch finden.«173 Andererseits räumt der Koran die Möglichkeit ein, dass der Prophet die an ihn ergangene Offenbarung vergisst oder dass Gott seine eigenen Vorschriften aufhebt oder verändert.174 Letzteres muss aus muslimischer Sicht vor dem Hintergrund der Allmacht Gottes gesehen werden, die durch andere Normen nicht begrenzt werden kann. Natürlich sieht der Koran, dass diese unterschiedlichen Aussagen für die Hörer verwirrend sein müssen und vor allem die Ungläubigen aus ihnen schließen könnten, dass es sich nicht um das Wort Gottes handle: »Und wenn wir ein Zeichen anstelle eines (anderen) Zeichens eintauschen – und Gott weiß besser, was Er herabsendet –, sagen sie: ›Das erdichtest du nur.‹«175 Hier stellt der Koran fest, dass Gott über seine Offenbarung besser Bescheid weiß als die Menschen.176 Er besitzt die freie Verfügungsgewalt über die Offenbarung.177 Ihm steht es auch frei, einen Vers durch einen ähnlichen oder besseren zu ersetzen.178 Es ist aber Gott allein, der diese Vollmacht besitzt; dem Propheten ist es nicht gegeben, die Botschaft Gottes abzuändern.179 Die islamische Koranauslegung hat sich mit der Frage der Abrogation von Versen des Korans, d.h. mit der Aufhebung von Versen durch andere, immer wieder auseinander gesetzt. Viele Kommentatoren waren und sind der Meinung, dass sich die entsprechenden Verse nur scheinbar widersprechen, und versuchen die Differenzen durch entsprechende Interpretationen aus der Welt zu schaffen. Die Mehrheit nimmt die zitierten Verse des Korans über die Widersprüche jedoch ernst und hat Listen der Verse erstellt, die sich nicht in Übereinstimmung miteinander befin60 den. Als Beispiel sei hier lediglich auf das Verbot von Alkohol hingewiesen. Zunächst erklärt der Koran den Wein als eine der guten Gaben Gottes, mit denen die Vollkommenheit der Schöpfung bewiesen wird.180 Dann folgt eine Einschränkung hinsichtlich des Weinkonsums: »O ihr Gläubigen, kommt nicht zum Gebet, wenn ihr betrunken seid.«181 Und schließlich wird ein Meidungsgebot ausgesprochen.182 Für das islamische Recht und die Glaubenspraxis der Muslime wird aus den Umständen der Offenbarung und der Koranauslegung deutlich, welche Verse aus welchem Grund verbindlich sind. Der Koran hat über seine direkten religiösen und juristischen Funktionen hinaus eine große kulturgeschichtliche Bedeutung. Man kann ihn als Anfang und Anlass islamischer Wissenschaften ansehen. Er war und ist Ausgangspunkt arabischer Philologie.183 Er war Voraussetzung für die intensivere und ausführlichere Entwicklung der arabischen Schrift184 und Grundlage der arabischen Kalligraphie, die u.a. dem Schmuck von Moscheen, öffentlichen Gebäuden und Wohnungen dient.185 Der Koran stellt die Voraussetzung für die islamischen Geheimwissenschaften dar.186 Moderne Koraninterpreten sehen ihn gar als die Grundlage moderner Natur- und Geisteswissenschaften.187 In der islamischen Volksreligion finden seine Texte vielfältige Verwendung als apotropäische Mittel gegen die verschiedensten Gefahren, die dem Menschen drohen, etwa gegen den bösen Blick.188 Sie werden als Mittel in der Volksmedizin oder als Medium bei der Voraussage zukünftiger Ereignisse genutzt.189 Angesichts der Bedeutung des Heiligen Buchs ist es nicht verwunderlich, dass der Text auch rituelle Bedeutung besitzt und von den Muslimen verehrt wird. Man liest in ihm nicht, ohne sich in einen besonderen Weihezustand versetzt zu haben. Frauen bedecken bei der Lektüre ihr Haupt. Koranexemplare sollten immer an einem herausgehobenen Ort aufbewahrt werden. Wenn ein Exemplar aus Altersgründen nicht mehr 61 gebraucht werden kann, darf es auf keinen Fall verbrannt werden. Die unbrauchbaren Texte werden in der Regel in Moscheen aufbewahrt. Jede Form von Missachtung des Korans wird zugleich als Beleidigung Gottes, des Islams und der Muslime angesehen. 62 5. Die islamischen Glaubenspflichten Angesichts des einfachen Dogmas des Islams ist es nicht erstaunlich, dass im Vordergrund muslimischen Lebens die religiöse Praxis steht. Die Muslime sprechen von den Glaubenspflichten als den »fünf Säulen«, auf denen der Islam ruht. Männer und Frauen sind in gleicher Weise aufgefordert, diesen Pflichten nachzukommen. Daneben kennen sie allerdings noch eine Anzahl weiterer Pflichten, Gebote und Verbote, die ihnen Gott vorgeschrieben hat Die erste der Glaubenspflichten ist das Glaubensbekenntnis, die »Shahâda«. In ihr bekennt der Muslim oder die Muslimin, dass es keinen Gott außer Gott gibt und dass Muhammad der Gesandte Gottes ist.190 Dieses Glaubensbekenntnis spricht der Gläubige mehrmals am Tag aus. Dem Neugeborenen wird die Formel von der Hebamme ins Ohr geflüstert, damit es die ersten Worte sind, die es auf Erden vernimmt. Der Sterbende spricht sie, damit sie das Letzte sind, was er auf Erden äußert. Die »Shahâda« findet sich als Inschrift auf Gebäuden, wird auf Schmuckblätter gedruckt und in Fahnen eingestickt. Das Aussprechen dieser Formel hat eine wichtige rechtliche Konsequenz. Wenn sie in irgendeiner Form artikuliert wird, wird der Sprecher auch in einem rechtlichen Sinn zum Muslim. Dieser Vorgang ist unumkehrbar. Daher verlangen die muslimischen Rechtsgelehrten, dass eine Person, die durch die Aussprache dieser Formel zum Islam konvertiert, bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Dazu gehören die allgemeine Rechtsfähigkeit, also Erwachsensein, mentale Gesundheit, Freiwilligkeit und das Bewusstsein von der Bedeutung des Vorgangs. Fehlt 63 eine dieser Bedingungen, ist der Religionswandel nicht rechtsverbindlich. Andererseits gibt es aber keine genauen Vorschriften über die Form, in der das Bekenntnis stattzufinden hat. Es kann sich um einen völlig privaten Vorgang handeln, der von der Umgebung nicht zur Kenntnis genommen wird. Er kann vor Zeugen stattfinden und in öffentlichen Verlautbarungen wie Zeitungsmeldungen oder Anzeigen bekannt gemacht werden. Er kann durch notarielle Urkunden beglaubigt werden. Die »Shahâda« ist mit keinem speziellen Ritual wie der Taufe oder einem anderen Übergangsritus verbunden. Neben dem Religionswechsel eines Erwachsenen gibt es noch eine weitere Form, in der man Mitglied der Gemeinschaft der Muslime wird. Dies geschieht dadurch, dass man das Kind eines muslimischen Vaters ist. Auch in diesem Fall ist die Zugehörigkeit zum Islam aus der Sicht des islamischen Rechts unveränderlich. Das hat vor allem dann Konsequenzen, wenn es zu einem faktischen Religionswechsel kommt. Konvertiert ein Muslim tatsächlich zu einer anderen Religion, ist dieser Vorgang aus islamischer Sicht rechtlich unwirksam. Die Kinder einer solchen Person werden ebenfalls Muslime, wenngleich sie de facto der neuen Religion angehören und diese praktizieren. Aus der Sicht des islamischen Rechts sind sie auch dann Muslime, wenn die frühere Religionszugehörigkeit des Vorvaters längst in Vergessenheit geraten ist. Die Strafe, mit der das islamische Recht die Apostasie bedroht, gilt auch für diese Personengruppe. Das Gebet Als zweite Glaubenspflicht gilt das Pflichtgebet (Salât). Seit dem islamischen Mittelalter wird es als ein konstitutiver Teil des Muslimseins verstanden. Das Gebet zu unterlassen wird von man64 chen Religionsgelehrten als eine Form der Apostasie verstanden.191 In einigen islamischen Ländern wird man nicht danach gefragt, ob man Muslim sei oder nicht, sondern ob man bete. Fünf Mal am Tag hat der Muslim zu vorgeschriebenen Zeiten im Zustand ritueller Reinheit festgelegte Formeln zu rezitieren und dabei bestimmte Körperhaltungen einzunehmen. Der Koran sagt dazu: »Das Gebet ist für die Gläubigen eine für bestimmte Zeiten festgelegte Vorschrift.«192 Die Verpflichtung gilt für alle Erwachsenen. Befreit von der Pflicht sind Kranke, Altersschwache, Geisteskranke etc. Reisende können es mit einem verkürzten Gebet ein Bewenden haben lassen oder das versäumte Gebet zu einem späteren Zeitpunkt nachholen. Der Gebetszyklus beginnt mittags, gefolgt von den Gebeten am Nachmittag, Abend, in der Nacht und vor dem Morgengrauen.193 In islamischen Ländern fordert der Gebetsrufer (Mu'adhdhin)194 zu den verschiedenen Gebeten auf. Für diese Aufgabe sind keine speziell zu erwerbenden Kenntnisse erforderlich. Der Rufer muss die entsprechenden Formeln kennen, verlässlich sein und eine ausreichend laute Stimme haben.195 Der Beginn der entsprechenden Gebetsphasen wechselt, abhängig von den Jahreszeiten, und wird jeweils genau berechnet. Die Beter sind nicht verpflichtet, jeweils zu Beginn einer Gebetsphase das Gebet zu verrichten. Sie können damit zu jedem beliebigen Zeitpunkt innerhalb einer Phase beginnen, müssen das Gebet aber in ihr auch beendet haben. Mit der rituellen Waschung bereitet sich der Muslim auf das Gebet vor. Rituelle Unreinheit entsteht u.a. durch den Kontakt mit rituell unreinen Dingen. Zu ihnen gehören verschiedene Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen wie Blut, Urin, Kot, Sperma, Eiter usw. und überhaupt alle Dinge, die Ekel erregen. Je nachdem welchen Grad die rituelle Unreinheit hat, sind unterschiedliche Waschungen erforderlich. Das islamische Recht unterscheidet zwischen einer großen und einer kleinen Unreinheit. Bei der 65 großen Unreinheit infolge sexueller Handlungen muss eine Waschung des gesamten Körpers (Ghusl) durchgeführt werden. Dabei wird der komplette Körper in einem Tauchbecken untergetaucht. Solche Tauchbecken waren in den traditionellen orientalischen Häusern nicht vorhanden. Für den »Ghusl« begaben sich Muslime oder Musliminnen daher in das öffentliche Bad (Hammâm).196 Die Teilwaschung (Wudû') betrifft dagegen nur einzelne Körperteile. Diese rituelle Reinigung ist genau vorgeschrieben. Zu ihr gehört das Zähneputzen ebenso wie das Waschen des Gesichts, der Ohren oder der Füße. Diese Waschung hat unmittelbar vor dem Gebet stattzufinden, damit die Möglichkeit der erneuten Verunreinigung zwischen Waschung und Gebet möglichst gering ist. Daher finden sich in unmittelbarer Umgebung von Moscheen die entsprechenden Waschgelegenheiten. Die Waschung hat mittels Wasser zu erfolgen. Ist dieses aber knapp, kann auch eine Ersatzreinigung durchgeführt werden. Der Gläubige »sucht einen sauberen Boden und streicht sich über das Gesicht und die Hände«197. Die Betenden haben auch darauf zu achten, dass ihre Kleidung und der Ort, an dem das Gebet vollzogen wird, rein sind. Während für die Kleidung keine exakten Vorschriften bestehen, wird die Sauberkeit des Gebetsortes dadurch gewährleistet, dass man einen Teppich, ein Kleidungsstück oder sogar ein Stück Pappe bzw. Papier ausbreitet und darauf betet. Das eigentliche Gebet besteht aus einer vorgeschriebenen Anzahl von Einheiten (Rak'a, Verbeugung). Das Mittags-, das Nachmittags- und das Nachtgebet bestehen jeweils aus vier derartigen Einheiten, das Abendgebet dagegen aus drei und das Morgengebet nur aus zwei »Rak'a«. Der Beter versetzt sich zum Gebet in einen Weihezustand, indem er sich mit dem Gesicht in Richtung Mekka positioniert.198 Die Gebetsrichtung (Qibla) wird in Moscheen durch die Gebetsnische (Mihrâb) angezeigt. In Hotelzimmern in islamischen Ländern findet man ebenfalls entsprechende 66 Kennzeichnungen. Die exakte Bestimmung der Gebetsrichtung hat schon früh die Astronomie in der islamischen Wissenschaftsgeschichte befördert. Heute werden die modernsten Kompasse verwendet. Vor dem Beginn des Gebets wie vor jeder anderen religiösen Handlung oder deren Vorbereitung hat der/die Handelnde in sich die Absicht (Niya) hervorzurufen, die entsprechende Handlung zu vollziehen. Ohne diese Formulierung der inneren Bereitschaft ist die Handlung wertlos. Der Beter rezitiert dann im Stehen einige vorgeschriebene Gebete, zu denen die Eröffnungssure des Korans gehört. Dann verbeugt er sich, wobei er die Hände auf die Knie aufstützt, und äußert wiederum einige vorgeschriebene Gebetsformeln. Als Zeichen seiner vollständigen Hingabe an Gott kniet er dann nieder und berührt mit der Stirn den Boden, indem er u.a. »Gott ist der Größte« (Allâhu akbar) sagt. Anschließend setzt er sich unter Rezitation weiterer Formeln zurück auf seine Fersen und berührt dann erneut unter Rezitation anderer Formeln mit der Stirn den Boden. Damit ist die erste Gebetseinheit abgeschlossen. Die verschiedenen Körperhaltungen spiegeln nach der Meinung islamischer Gelehrter die Bereitschaft der Gläubigen wider, Gott zu loben, ihn anzubeten, seine Herrschaft anzuerkennen und sich seinem Willen ganz zu ergeben. Die verschiedenen täglich durchzuführenden Gebete sind Individualgebete, die jeder für sich allein vollziehen kann. Allerdings beurteilt das islamische Recht es als »schön«, wenn man die Gebete in einer Gemeinschaft vollzieht. Am Freitagmittag aber sollen sich alle Gläubigen einer Stadt zu einem Gemeinschaftsgebet in der dafür vorgesehenen Freitagsmoschee zusammenfinden. Gleiches gilt auch für Gebete zur Feier des Fastenbrechens am Ende des Monats Ramadan, beim Opferfest, bei Begräbnisgebeten, in Kriegszeiten oder beim Gebet um Regen. Das Freitagsgebet wird im Koran als verbindlich festgelegt, wenn es heißt: »O ihr, die ihr glaubt, wenn am Freitag zum Gebet gerufen wird, dann eilt zum 67 Gedenken Gottes und lasst das Kaufgeschäft ruhen. Das ist besser für euch, so ihr Bescheid wisst. Wenn das Gebet beendet ist, dann breitet euch im Land aus und strebt nach etwas von der Huld Gottes. Und gedenket Gottes viel, auf dass es euch wohl ergehe.«199 Der Freitag ist keineswegs mit den Ruhetagen von Juden oder Christen zu vergleichen. Die Feststellung aus der Genesis, dass Gott am siebten Tage ruhte, wird von den Muslimen als Zweifel an der Allmacht Gottes abgelehnt. Am Freitag soll sich die Gemeinde einer Stadt jedoch zusammenfinden, um sich ihres Zusammengehörigkeitsgefühls als Muslime immer wieder neu bewusst zu werden. Verpflichtet zum Freitagsgebet sind nur die Männer; Frauen und Kindern ist es freigestellt, an diesem Gemeinschaftsgebet teilzunehmen. Das Freitagsgebet wird von einem Vorbeter (Imâm) geleitet. Er hat ausschließlich die Funktion, durch sein körperliches Vorbild die Gemeinschaft der Beter zu einem möglichst einheitlichen Vollzug der heiligen Handlung zu veranlassen. Um die Aufgabe des Vorbeters wahrnehmen zu können, bedarf es einiger weniger Voraussetzungen. Der Vorbeter muss männlich sein, wenn es sich bei der Gruppe der Beter um eine männliche oder eine gemischte Gruppe handelt. Wenn eine Gruppe von Frauen zusammen betet, wird die Vorbeterfunktion von einer Frau übernommen. Der »Imâm« muss die Regeln des Pflichtgebets kennen und in der Lage sein, sie fehlerfrei anzuwenden. Er darf also keine körperlichen Gebrechen haben. Auch ein Sprachfehler wird zu solchen Gebrechen gezählt. Im Übrigen bestehen aber keine weiteren Voraussetzungen. Prüfungen, Weihen, Gelöbnisse oder ähnliche Riten sind nicht erforderlich. Vor dem eigentlichen Freitagsgebet werden häufig längere Passagen aus dem Koran rezitiert, die den in der Regel aus den Tagesgeschäften herausgerissenen Betern die Möglichkeit der Sammlung und der Konzentration auf das Gebet geben. Dieser Koranrezitation folgt eine Predigt (Khutba), in der der Prediger die Gläubigen auf68 fordert, das Gute zu tun und das Schlechte zu unterlassen. In der Freitagspredigt wird auch des Staatsoberhauptes gedacht. Der Prediger kann darüber hinaus auf konkrete politische Entwicklungen Bezug nehmen. So bietet die Freitagspredigt regierungsnahen Predigern die Möglichkeit, für die herrschenden Kreise und deren Entscheidungen Werbung zu machen, wie oppositionelle Prediger in der Moschee die Handlungen der Herrschenden kritisieren können.200 Auch für den Prediger ist keine spezielle Ausbildung mit anschließender Weihe o.a. vorgeschrieben. In vormodernen Gesellschaften, in denen der Zeitfaktor für das Erwerbsleben eine andere Rolle spielte als in modernen ökonomischen Verhältnissen, war es jedem möglich, die Pflichtgebete in den dazu vorgesehenen Zeiträumen zu vollziehen. Dies ist jedoch z.B. in hoch mechanisierten Produktionsprozessen wie bei der Fließbandarbeit nicht möglich. Das islamische Recht hat daher den Ausweg entwickelt, dass zwei Gebetseinheiten dergestalt zusammengefasst werden können, dass man ein Gebet am Ende des einen Zeitraums durchführt und unmittelbar daran anschließend mit dem Beginn des nächsten Gebetszeitraums das folgende Gebet verrichtet. Außerdem besteht die Möglichkeit, versäumte Gebete zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. Neben dem in Form und Inhalt vorgeschriebenen Pflichtgebet kennen die Muslime auch freiere Gebetsformen (Du'â), in denen sie sich spontan, in frei formulierten Bitten oder Dankesbezeugungen an Gott wenden können. Das Fasten Das Fasten ist neben dem täglichen Pflichtgebet die religiöse Pflicht der Muslime, in der sich auch nach außen am deutlichsten die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Gläubigen ausdrückt.201 Der 69 Koran bestimmt den Monat Ramadan202, den neunten Monat des muslimischen Kalenderjahres, als die Zeit, in der die Muslime von dem Moment an, da man morgens einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden kann, bis zu dem Zeitpunkt, da man abends einen schwarzen Faden wiederum von einem weißen nicht mehr unterscheiden kann, fasten müssen.203 Heute werden die Zeiten der Fastenperioden genau berechnet und in den islamischen Ländern täglich in den Medien bekannt gemacht. Da das islamische Jahr als Mondjahr elf Tage kürzer als das Sonnenjahr ist, verschiebt sich der Ramadan von Jahr zu Jahr nach vorne und kann daher in den Sommer oder in den Winter fallen. Die Dauer der täglichen Fastenperiode und die mit dem Fasten verbundenen körperlichen Belastungen sind dementsprechend unterschiedlich. Die Dauer des Fastens hängt auch von der geographischen Position ab, in der sich ein Fastender befindet. Theoretisch müsste er die für die Fastendauer relevanten Zeitpunkte jeweils exakt bestimmen. In der Praxis werden aber vorgegebene Zeiteinteilungen zugrunde gelegt. Für muslimische Minderheiten, die in sehr weit nördlichen oder südlichen Teilen der Erde leben, gelten die Fastenzeiten der nördlichsten bzw. südlichsten Regionen, in denen muslimische Mehrheiten ansässig sind. So gelten z.B. für Muslime in Finnland die Zeiten der bosnischen Muslime. In der Praxis bedeutet das Fasten, dass sich die Fastenden während dieser Zeit jeder flüssigen oder festen Speise, aber auch des Rauchens enthalten müssen. Auch sexuelle Aktivitäten sind in dieser Zeitspanne nicht gestattet. Nach Sonnenuntergang sind diese Beschränkungen dann bis zum nächsten Morgen aufgehoben. Zum Fasten verpflichtet sind alle Muslime. In einigen Fällen ist allerdings Dispens gegeben. Kranke, Schwangere, Stillende, sehr alte Menschen, Reisende und die Kämpfer im Glaubenskampf (Dschihad) müssen nicht fasten. Da Frauen während der Monatsregel als unrein gelten, ist ihr Fasten während dieser Zeit ungültig. Kin70 der sollten nach dem Eintritt in die Pubertät mit dem Fasten beginnen. Die Eltern werden aber aufgefordert, ihre Kinder schon vorher an einigen Tagen des Ramadan zum Fasten anzuhalten. Wenn ein Kind zum ersten Mal einen ganzen Tag gefastet hat, erhält es in vielen islamischen Gesellschaften eine besondere Belohnung. Kinder sind stolz darauf, die Beschwernis des Fastens ertragen zu können. Sie sehen es als Zeichen der Aufnahme in die Gruppe der Erwachsenen an. Von einigen Ausnahmen abgesehen, müssen versäumte Fastentage zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Auch wenn man versehentlich oder aus Unachtsamkeit das Fasten gebrochen hat, kann man es später nachholen. Das islamische Recht regelt dies dahingehend, dass man zu jeder Zeit fasten darf, allerdings nicht an den Festtagen nach dem Ramadan oder beim Opferfest. Wer das Fasten schuldhaft bricht, kann auch als Ersatzleistung für jeden versäumten Tag hundert Arme speisen.204 Der Ramadan ist insgesamt ein Monat, in dem sich die Muslime bemühen, besonders sorgfältig auch ihren anderen religiösen und sozialen Verpflichtungen nachzukommen und sich möglichst aller schlechten Handlungen zu enthalten. Viele Gläubige verbringen lange Phasen dieses Monats in der Moschee betend und meditierend. Die Fastenden bemühen sich in dieser Zeit um die Beilegung von im Laufe des Jahres entstandenen Konflikten innerhalb der Familie, der Nachbarschaft und des Bekanntenkreises. Der Ramadan gilt als eine besonders gnadenvolle Zeit. Vom Propheten wird berichtet, dass er gesagt habe: »Gott, gebenedeit sei er und erhaben ist er, hat euch das Fasten im Ramadan auferlegt, und ich habe euch die Weise, es einzuhalten, verordnet. Wer in ihm fastet und ihn einhält aus Glauben und Hoffnung auf den Lohn, der kommt aus seinen Sünden so heraus wie am Tag, da ihn seine Mutter geboren hat.«205 Als besonders heilig gilt die Nacht des 27. Ramadan, die »Laylat al-Qadr« (Nacht der Bestim71 mung), in der die erste Koranoffenbarung erfolgt sein soll. An sie erinnert der Koran in der Sure 97, die in der Übersetzung von Friedrich Rückert lautet: »Wir sandten ihn nieder in der Nacht der Macht./Weißt du, was ist die Nacht der Macht?/Die Nacht der Macht ist mehr als was in tausend Monden wird vollbracht./ Die Engel steigen nieder und der Geist in ihr, auf ihres Herrn Geheiß, dass alles sei bedacht./ Heil sei ganz und Friede, bis der Tag erwacht.«206 Bitten, die man in dieser Nacht an Gott richtet, gehen nach Überzeugung der Muslime in Erfüllung.207 Wie kaum in einer anderen Zeit des Jahres fühlen sich die Muslime im Ramadan als eine große Gemeinschaft. Das öffentliche Leben ist in dieser Zeit ganz auf den Islam ausgerichtet. Tagsüber finden geschäftliche oder administrative Interaktionen kaum statt. Behörden haben verkürzte Öffnungszeiten und Geschäfte sind tagsüber geschlossen.208 Die verschiedenen Medien stehen ganz im Zeichen des Ramadan. Tageszeitungen veröffentlichen umfangreiche Artikel mit religiösem oder auf den Ramadan bezogenem Inhalt. Beispielsweise wird von Muslimen in der Diaspora berichtet, oder Ärzte beraten in speziellen Kolumnen über die medizinischen Aspekte, die im Zusammenhang mit dem Fasten beachtet werden sollten. Im Rundfunk und Fernsehen werden Koranrezitationen und andere religiöse Veranstaltungen übertragen. Der Ramadan ist zugleich ein Monat vielfältiger sozialer Interaktionen. Es gibt ausgeklügelte Besuchsrituale, die zu verletzen schwere soziale Sanktionen zur Folge haben kann. Das gemeinsame abendliche Fastenbrechen (Fitr) im privaten Rahmen ist ein Vorgang, bei dem die sozialen Beziehungen vertieft und gefestigt werden. Auf der politischen Ebene werden Einladungen zum Fastenbrechen von den Vertretern der Parteien und der verschiedenen Administrationsebenen ausgesprochen. Religiöse Gemeinschaften wie die verschiedenen Sufi-Gruppen laden die Armen und Bedürftigen eines Stadtviertels zum gemeinsa72 men öffentlichen Fastenbrechen ein.209 Man kann den Ramadan insgesamt als einen Festmonat bezeichnen. Auf der anderen Seite bringt das Fasten, zumal in den heißen Sommermonaten, erhebliche körperliche Belastungen mit sich. In vielen Fällen wird in den Ramadannächten mehr gegessen als in den übrigen Monaten während des Tages. Es haben sich zahlreiche, kalorienreiche Fastenspeisen entwickelt. Die Nächte werden mit öffentlichen Zerstreuungen wie Kirmesveranstaltungen, Märchenerzählungen u.a. verbracht und der Tag verschlafen.210 Gegen diese Praktiken kämpfen die islamischen Religionsgelehrten in Predigten, Zeitungsartikeln und Rundfunksendungen immer wieder an, ohne jedoch großen Erfolg damit zu haben. Da es heute kaum noch möglich ist, das gesamte öffentliche und wirtschaftliche Leben auf die Beschwernisse des Fastens einzustellen, steigt die Zahl der Unfälle in islamischen Ländern und bei den muslimischen Migranten in Westeuropa oder Amerika signifikant an und die Arbeitsproduktivität geht erheblich zurück. Die übliche und allseits akzeptierte Entschuldigung in diesen und ähnlichen Fällen ist der Hinweis auf das Fasten. Verschiedene Politiker islamischer Staaten haben versucht, durch Aufklärungsaktionen, durch die Bestellung entsprechender Gutachten von islamischen Rechtsgelehrten und durch ihr eigenes Beispiel die Fastenregeln zu verändern. Diese Versuche sind jedoch ohne Erfolg geblieben. Islamische Rechtsgelehrte, die mit der Arbeit von Hochofenarbeitern konfrontiert wurden, haben trotz der anerkannten Belastungen auf der Einhaltung der Regeln bestanden. Sie erklärten jedoch, dass dies nur so lange zu verlangen sei, wie die Gesundheit der Arbeiter keinen schweren Schaden nehme.211 Neben dem Fasten im Ramadan kennt der Islam noch einige weitere Fastentage, die teils allgemeinen, teils regionalen Charakter haben. So wird in der gesamten islamischen Welt, vor allem aber unter den Schiiten, am Ashûrâ'-Tag, dem 10. Muharram des 73 islamischen Jahres, des Todes des Prophetenenkels Husain mit einem Fasten gedacht.212 Auch auf die Geburtstagsfeiern von bedeutenden muslimischen Heiligen bereiten sich fromme Muslime durch Fasten vor. Das Fasten ist eine der wichtigsten Übungen der mystischen Praxis im Islam. Von vielen islamischen Mystikern wird berichtet, dass sie intensiv gefastet haben, um so der Vereinigung mit Gott, der Unio mystica, näher zu kommen. Das Almosen Wie alle anderen staatlichen Systeme kennt auch der islamische Staat von frühester Zeit an zahlreiche Formen von Abgaben und Steuern. An erster Stelle ist hier die den Muslimen auferlegte Pflicht des Almosens (Zakât) zu nennen. Schon von Beginn an beinhaltete die muslimische Frömmigkeit nicht nur den religiösen Aspekt, der die Beziehung des Einzelnen zu Gott betraf, sondern zugleich wurde im Koran und in den Prophetentraditionen auch auf die Verantwortlichkeit des Gläubigen im Bezug auf seinen Nächsten hingewiesen. Aus dieser »Solidarität« der Gläubigen untereinander entwickelten sich die obligatorische Armensteuer und das freiwillige Almosen (Sadaqa). Beide Begriffe, »Zakât« und »Sadaqa«, werden im Koran häufig genannt und sind in diesem Text noch austauschbar. Eine Differenzierung in »Zakât« und »Sadaqa« erfolgte erst in späterer Zeit. Die begriffliche und inhaltliche Unterscheidung ist jedoch für das Verständnis der muslimischen Frömmigkeit und Glaubenspraxis von einiger Bedeutung. Die frühe Entwicklung der Verteilung von Almosen ist uns aus verschiedenen Quellen bekannt. Vor der Hijra ist im Koran vom Teilen des Reichtums mit den Armen die Rede.213 Da jedoch die Mehrzahl der Anhänger des Propheten in Mekka arm war, konnte sich nur eine kleine Zahl von frühen Muslimen von diesen Aufforderun74 gen angesprochen fühlen. Nachdem sich die Muslime in Medina etabliert hatten, bekam die Aufforderung zum Almosen einen realistischeren Sinn. Es entstand nun ein muslimisches Fürsorgesystem, bei dem die Gläubigen, denen es wirtschaftlich gut ging, den ärmeren Glaubensbrüdern von ihrem Wohlstand etwas abgaben. Welchen Umfang dieses Almosen haben sollte, sagt der Koran nicht. »Sie fragen dich, was sie spenden sollen. Sprich: Das Entbehrliche.«214 Erst im Verlauf der Interpretation dieser Koranstelle entstand eine Vorstellung von einem Mindestsatz, der als Pflichtalmosen zu gelten hatte. Die Höhe dieser Pflichtzahlung gehört zu den Bereichen des islamischen Rechts, in dem besonders differenziert argumentiert und entschieden wurde. Die verschiedenen islamischen Rechtsschulen weisen in diesem Bereich erhebliche Unterschiede auf. Auch die Form und der Termin der Zahlungen waren Thema dieser Erörterungen. So musste auf Getreide oder Obst zur Erntezeit »Zakât« abgegeben werden, auf Vieh, wenn es ein Jahr frei geweidet hatte, auf Edelmetalle nach einem vollen Jahr des Besitzes; bei Handelswaren waren die Bestände zakätpflichtig, die sich nach Ende eines Jahres auf dem Lager befanden. Die Höhe der »Zakât« ist ebenfalls unterschiedlich. Sie variiert zwischen fünf und zehn Prozent. So liegt der normale Satz für Obst und Getreide bei zehn Prozent. Falls bei der Produktion jedoch künstliche Bewässerung erforderlich ist, sinkt er auf fünf Prozent. Die Empfänger der Erträge aus der »Zakât« werden vom Koran in verschiedene Gruppen eingeteilt. »Die Almosen sind bestimmt für die Armen, die Bedürftigen, die, die damit befasst sind215, die, deren Herzen vertraut gemacht werden sollen216, die Gefangenen, die Verschuldeten, für den Einsatz auf dem Wege Gottes217 und für die Reisenden.«218 Die Praxis der Abgabe der »Zakät« hat sich im Lauf der historischen Entwicklung und je nach der Region unterschiedlich gestaltet. In der Gegenwart wird die Abgabe in einigen islamischen Ländern, z.B. Saudi-Arabien oder 75 Sudan, im Rahmen der gesamten Steuererhebungen abgeführt. In anderen Ländern, z.B. in der Türkei oder in der muslimischen Diaspora, erfolgt die Abgabe freiwillig. Besonders im Fastenmonat Ramadan und zu den hohen islamischen Feiertagen verteilen die Gläubigen Almosen, wobei sich geradezu »Geschäftsbeziehungen« zwischen Gebenden und Empfängern entwickelt haben. In diesen Fällen gibt ein Muslim stets einem bestimmten Armen eine gewisse Geldsumme. Der entsprechende Bedürftige fordert im Fall der Verzögerung des Almosens die übliche Summe u.U. von dem Geber ein. Die feste religiöse Verankerung des Almosengebens hat auch dazu geführt, dass die Stellung des Bettlers in der islamischen Gesellschaft bis in die Gegenwart hinein deutlich höher ist als in westlichen Industriegesellschaften. Ein Bettler übt einen ehrlichen, ja einen verdienstvollen Beruf aus, da er ja dem Muslim die Möglichkeit gibt, seiner Glaubenspflicht des Almosengebens nachzukommen. Es gehört zu den Regeln der Höflichkeit, sich beim Bettler zu bedanken, wenn man ihm ein Almosen gibt.219 Für viele Muslime bedeutet »Zakât« darüber hinaus eine ehrwürdige Tradition, die die Einrichtung eines sozialstaatlichen Versicherungssystems um Jahrhunderte vorweggenommen habe.220 Manche sehen in ihr geradezu die Verwirklichung der Idee sozialer Gerechtigkeit. »Zakât« und »Sadaqa« werden als »Institutionen gegenseitiger sozialer Verantwortung« beschrieben. Exkurs: Die Kopfsteuer (Jizya) und andere Abgaben Christen, Juden und Zoroastrier zahlen im islamischen Staat keine »Zakât« oder »Sadaqa«. Ihnen ist die »Jizya« (Kopfsteuer) auferlegt. Dafür waren sie von der Wehrpflicht befreit. Man hat diese Abgabe daher auch als Wehrsteuer bezeichnet. Wurden Nichtmuslime zum Kampf für den islamischen Staat herangezogen, waren 76 sie konsequenterweise für das jeweilige Jahr nicht steuerpflichtig. Die rechtliche Basis für diese Abgabe ist der Koran: »Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und an den Jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der Religion der Wahrheit angehören – von denen, denen das Buch zugekommen ist, bis sie von dem, was ihre Hand besitzt, Tribut entrichten als Erniedrigte.«221 In frühislamischer Zeit wurde weder die Höhe noch die Form dieser Zahlung festgelegt. Es wurde auch nicht geklärt, ob es sich um eine Kumulativsteuer für die jeweilige Religionsgemeinschaft oder um eine Individualsteuer handelte. Erst unter der Herrschaft der Abbasiden (ab 750 n. Chr.) wurden von der staatlichen Verwaltung präzise Regelungen für diese Steuer geschaffen. Sie durfte nur von erwachsenen, gesunden, freien Männern erhoben werden. Frauen, Alte, Invaliden oder Sklaven waren von ihr ausgenommen. Für Fremde wie Reisende oder Kaufleute, die nicht permanent Wohnung im islamischen Staat nahmen, galt ebenfalls keine Abgabepflicht. Auch christliche Priester und Mönche brauchten diese Steuer zunächst nicht zu entrichten. Es handelte sich also – von Ausnahmen abgesehen – um eine Individualsteuer. Trat jemand, der zur Zahlung der »Jizya« verpflichtet war, zum Islam über, fiel diese Steuer weg. Die Höhe der Steuer war einkommensabhängig. Man kann vermuten, dass es sich um ca. zehn Prozent des Jahreseinkommens handelte. Die »Jizya« war einmal im Jahr zu entrichten. Zum Beleg der Zahlung wurde eine Quittung ausgestellt. Im Übrigen verweisen die erhaltenen Vorschriften darauf, dass bei der Eintreibung der Steuer keine besonderen Zwangsmittel angewandt werden sollten. Von der »Jizya« muss eine Steuer auf Landbesitz (Kharâj) unterschieden werden. Seit dem Beginn der islamischen Expansion hatte die Administration des muslimischen Staates dafür gesorgt, dass Verfügungen über Steuererhebungen in den eroberten Dör77 fern, Städten und Landstrichen getroffen wurden. Damit wurde zunächst einmal die muslimische Oberhoheit und Souveränität dokumentiert. Durch die Zahlung des »Kharâj« wurde das Besitzrecht des nichtmuslimischen Besitzers gesichert. Es handelte sich allerdings um eine Kollektivsteuer, die von einem ganzen Dorf entrichtet werden musste. Die Form der Zahlung war Aufgabe der lokalen Autoritäten. Wenn sich die Einwohnerzahl eines Dorfes veränderte, wirkte sich das nicht auf die Höhe der Steuer aus. Vor allem in Zeiten hoher Landflucht versuchten die Behörden auf diese Weise, die erheblichen Bevölkerungsverschiebungen zu steuern. Da die Steuer auf das Land erhoben wurde, blieb sie auch in voller Höhe bestehen, wenn sich ein Einzelner oder die gesamte Einwohnerschaft eines Dorfes von ihrer alten Religion ab- und dem Islam zuwandte. Die Höhe der Zahlungen war nach islamischem Recht von verschiedenen Faktoren abhängig. Gegenden, in denen sich die Einwohner gegen die islamische Eroberung gewehrt hatten, wurden höher besteuert als solche, die im Rahmen von Vertragsverhandlungen unter islamische Oberhoheit gekommen waren.222 Land, das künstlich bewässert werden musste, hatte eine niedrigere Steuerlast zu tragen als solches, bei dem dieser Aufwand nicht notwendig war. Die Höhe der Steuer hing darüber hinaus von der Fruchtbarkeit des Bodens ab, die durch mehrjährige Beobachtung ermittelt wurde. Bei Missernten konnte die Steuer reduziert oder ganz erlassen werden. Mit der wachsenden Bedeutung der Geldökonomie durfte der »kharâj« nicht mehr in Naturalien abgeliefert werden. Aus dieser Bestimmung ergab sich für die Bauern eine Vielzahl von Problemen, die letztendlich eine Verarmung der ländlichen Bevölkerung zur Folge hatte.223 Neben den genannten Abgaben entwickelte der islamische Staat im Laufe der Zeit verschiedene weitere Steuerformen, die allerdings von vielen frommen Muslimen und auch von muslimischen Rechtsgelehrten strikt abgelehnt wurden. Zu diesen Steuern ge78 hören Handelsabgaben wie »Ushr« und »Maks«, die bis zu dreißig Prozent des Warenwerts betragen konnten. Unter islamrechtlichen Gesichtspunkten konnten sie noch akzeptiert werden, sofern sie als eine Art von Außenhandelszoll erhoben wurden. Sie wurden aber auch innerhalb der islamischen Herrschaft erhoben, und zwar an Zollstationen, die entlang der Handelsstraßen eingerichtet worden waren. Ebenso hatten Gewerbetreibende eine Steuer auf ihre Produkte zu entrichten. Weitere Einkommensquellen ergaben sich für den Staat aus Geldstrafen, Quittungsgebühren, Fischereiabgaben, Geschenken zu Beginn eines Jahres, Mühlengebühren, Gebühren für öffentliche Bäder, für Ölpressen usw. Besonders feindlich waren die Frommen und Rechtsgelehrten einer Duldungsabgabe (Damân) gegenüber eingestellt. Einrichtungen wie Weinlokale und Bordelle, in denen gegen wichtige Vorschriften des islamischen Rechts und der islamischen Ethik verstoßen wurde, konnten nur existieren, weil die staatlichen Stellen von den Betreibern beträchtliche Summen erhielten und ihnen dafür öffentlichen Schutz vor Aktionen von erzürnten Muslimen boten. Wenn mittelalterliche muslimische Historiker die besondere Frömmigkeit eines Herrschers betonen wollten, wiesen sie gern darauf hin, dass in seiner Regierungszeit Steuern, die keine religiöse Grundlage hatten, abgeschafft worden waren.224 Während die verschiedenen bislang genannten Abgaben in der gesamten islamischen Welt üblich waren oder noch sind, kennt der schiitische Islam noch eine spezielle Form, den »Khums«. Während die sunnitische Mehrheit den Koranvers »Und wisst: Wenn ihr etwas erbeutet, so gehört ein Fünftel davon Gott und dem Gesandten und den Verwandten, den Waisen, den Bedürftigen, den Reisenden«225 lediglich auf Kriegsbeute bezog, wird er bis heute von schiitischen Gelehrten auf jeglichen ökonomischen Gewinn eines Muslims bezogen; er ist damit eine Einkommenssteuer. Er wurde, wie es der angeführte Koranvers vorschreibt, in fünf Teile 79 aufgeteilt. Je ein Teil ist für die Waisen, Bedürftigen bzw. Reisenden und Mitglieder der Prophetenfamilie reserviert, der Rest wird als »Sahm-i Imâm« (Anteil des Imam) bezeichnet und kommt seit dem 19. Jahrhundert den höchsten schiitischen Rechtsgelehrten zugute. Neben den Einkünften aus »frommen Stiftungen« (Waqf) und den Gebühren aus ihren notariellen Funktionen besitzen die schiitischen Gelehrten damit eine dritte, vom Staat unabhängige Einkommensquelle, die sie lange Zeit vor staatlichem Druck sicherte. Darüber hinaus kassieren sie z.B. im Irak den »Radd Mazâlim«, eine Summe Geldes, das diejenigen zahlen, die im Staatsdienst stehen, was strikte Schiiten eigentlich nicht tun sollten, da dieser Arbeitgeber als illegitim angesehen wird. Schließlich sei noch die Abgabe »Saum wa Salat« genannt, mit der Personen für Gebet und Fasten bezahlt werden, die sie für andere verrichten. Die Pilgerfahrt Während die bisher beschriebenen Glaubenspflichten der Muslime sich im Verlauf des Tages oder des Jahres wiederholen, ist die Pilgerfahrt (Hajj) eine Pflicht, die sie nur einmal in ihrem Leben erfüllen müssen, wobei es jedoch als verdienstvoll angesehen wird, wenn man ihr mehrmals nachkommt. Jeder Muslim, der dazu körperlich und finanziell in der Lage ist, muss in den ersten beiden Wochen des Pilgermonats Dhu l-Hijja die heiligen Stätten des Islams in Mekka und dessen Umgebung aufsuchen und dort verschiedene, genau vorgeschriebene Riten vollziehen. Die heiligen Stätten dürfen ausschließlich von Muslimen betreten werden. Die einzelnen Teile des komplizierten Rituals sind durch das Vorbild des Propheten Muhammad vorgegeben, der diese vor allem bei seiner Abschiedswallfahrt praktiziert hat.226 Doch gab es sicherlich Vorbilder im vorislamischen arabischen Wallfahrtswesen.227 80 Eine derartige Reise bedeutet für viele Muslime eine erhebliche Belastung. In Zeiten von weniger entwickelten Kommunikations- und Transportwegen waren derartige Unternehmen mit Abenteuern und erheblichen Risiken für Leib und Leben der Pilger verbunden. Das islamische Recht fordert daher, dass eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein muss, ehe sich jemand zu dieser Reise aufmacht. So dürfen keine Personen zurückgelassen werden, denen gegenüber er unterhaltspflichtig ist, also unmündige Kinder oder hilflose Eltern. Eventuelle Schulden müssen bezahlt und auch ein Testament verfasst sein. Erst dann kann mit den eigentlichen Reisevorbereitungen begonnen werden. Ist man körperlich nicht mehr in der Lage, die Strapazen der Reise zu ertragen, oder fehlt es an dem nötigen Geld, um die Kosten der Pilgerfahrt zu decken, besteht diese Glaubenspflicht nicht mehr. Falls der körperliche Zustand eines Gläubigen die Pilgerfahrt nicht zulässt, kann ein anderer Gläubiger beauftragt werden, die Reise stellvertretend zu unternehmen. Der Stellvertreter muss die Wallfahrt aber zuvor schon für sich selbst durchgeführt haben.228 Rituelle Voraussetzung des Pilgers für die Durchführung der Pilgerfahrt ist die Einnahme eines Weihezustandes (Ihrâm). Vor dem Beginn der Pilgerfahrt wird eine rituelle Waschung vorgenommen und der Pilger schneidet sich Haare und Nägel. Wenn die Anreise zu den heiligen Stätten mehrere Wochen oder Monate dauerte, mussten diese Vorgänge natürlich wiederholt werden. In einiger Entfernung von Mekka oder heute vor dem Besteigen des Flugzeugs legen die Pilger eine spezielle Kleidung an. Sie besteht für Männer aus zwei ungesäumten weißen Tüchern und Sandalen. Dazu tragen sie häufig noch eine Umhängetasche und führen einen Stock mit sich. Für die Kleidung der Pilgerinnen bestehen keine speziellen Vorschriften.229 Mit der Einnahme des Status des »ihrâm« ist eine Anzahl von Verhaltensnormen verbunden. Die Pilger dürfen sich nicht streiten, keine gesäumten Kleider 81 tragen, nicht jagen, kein Parfüm verwenden, müssen sich des Sexualverkehrs enthalten und dürfen sich weder Haare noch Nägel schneiden. Nach muslimischer Auffassung symbolisiert der Weihezustand die Trennung des Muslims von der profanen Welt und seinen Wunsch, mit Gott allein zu sein. Die einheitliche Kleidung verwischt alle sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede und dokumentiert die Einheit und Einheitlichkeit der islamischen Welt. Da das Ritual sehr umfangreich und kompliziert ist, stehen in Mekka spezielle Pilgerführer bereit, die den unerfahrenen Wallfahrern behilflich sind. Nach der Ankunft in Mekka beginnt zunächst der individuelle Teil der Pilgerfahrt. Der Pilger besucht die Kaaba, die er bei dieser Gelegenheit siebenmal umwandert. Während dieser Ambulation küsst er einmal den schwarzen Stein, der in der Ostwand der Kaaba eingemauert ist. Dabei handelt es sich um einen Meteoriten, der schon in vorislamischer Zeit verehrt wurde. Nach der muslimischen Überlieferung war er zunächst weiß und ist durch die Sünden der Menschen, die ihn berührt haben, schwarz geworden. Danach bewegt sich der Pilger eiligen Schrittes oder laufend siebenmal zwischen den beiden Hügeln Safa und Marwa hin und her. Dieser Teil des Rituals erinnert an die Suche der Hagar nach Wasser für ihren Sohn Ismael. Damit wird die geistige Verbindung zum so verstandenen Urmonotheismus Abrahams (arabisch: Ibrahîm) hergestellt und an Ismael, den Stammvater der Araber, erinnert.230 Nun endet der individuelle Teil der Pilgerfahrt und der kollektive Teil beginnt. Während der individuelle Teil zu einem beliebigen Zeitpunkt in den dafür vorgesehenen Wochen stattfinden kann, muss die kollektive Phase zwischen dem achten und dem zwölften Tag des Pilgermonats durchgeführt werden. Nach einem Gottesdienst in der großen Moschee von Mekka begeben sich die Pilger in kleinen Gruppen in ein Wüstental, teilweise zu Fuß, heute aber zum Teil auch mit modernen Verkehrsmitteln. Am 9. Dhu 82 l-Hijja gelangen sie zu dem Berg Arafat, etwa 25 Kilometer von Mekka entfernt. Vor diesem Berg findet der zentrale Ritus der Pilgerfahrt statt. Mit dem Ruf »labaika« (Da bin ich) stellt sich der Gläubige ganz unter die Allgewalt Gottes. In Gebet und Meditation verbringt der Pilger die Zeit vom Mittag bis zum Sonnenuntergang in der Zwiesprache mit seinem Herrn. Allgemein wird der hohe Grad emotionaler Bewegung und die völlige Hingabe der Gläubigen geschildert, der sich wohl kaum ein Teilnehmer entziehen kann. Nach Sonnenuntergang begeben sich die Pilger dann möglichst schnell wieder auf den Rückweg. Die Nacht verbringen sie an einem Ort mit dem Namen Muzdalifa. Am Morgen des 10. Dhu l-Hijja geht es dann weiter nach Mina, wo sie sich drei Tage lang aufhalten und in Zelten untergebracht sind. An dem ersten dieser Tage begehen die Pilger das Ritual des Steinewerfens. Von jedem Pilger werden sieben Steine – es können auch Sandalen sein – auf eine säulenartige Steinkonstruktion geworfen, die nach der Vorstellung der Muslime den Teufel symbolisiert. Danach findet das Opfer statt, das diesem Tag seinen Namen (arabisch: îd al-adhâ, türkisch: kurbân bayram) gegeben hat. Dieser Tag ist nicht nur ein besonderer Tag für die Pilger, sondern für die gesamte islamische Welt. In Mina schlachten die Tausende von Pilgern je ein Schaf oder eine Ziege in Erinnerung an das Opfer Abrahams. Ein Teil des Opfertiers wird von den Pilgern selbst verspeist, ein anderer den Armen gegeben und der Rest sich selbst überlassen. Das gleiche Opfer wird auch in allen muslimischen Familien in der ganzen Welt vollzogen, die dazu in der Lage sind. Nach dem Opfer lässt man sich üblicherweise rituell rasieren oder die Haare schneiden und kehrt dann nach Mekka zurück, wo man wiederum die Kaaba umkreist. Mit dieser Handlung ist die eigentliche Wallfahrtszeremonie beendet. Viele Pilger kehren dann aber noch einmal nach Mina zurück, um erneut Steine auf die Steinsäulen und andere Steinsetzungen zu schleudern, sich gegen83 seitig Besuche abzustatten und ein reges soziales Leben zu entfalten. Vom 12. Dhû l-Hijja an können die Pilger Mina wieder verlassen und nach Mekka zurückkehren. Bevor sie die Stadt dann endgültig verlassen, umkreisen sie noch einmal, das Beispiel des Propheten nachahmend, die Kaaba. Viele Muslime nutzen die Gelegenheit, in Mekka auch andere ihnen heilige Orte zu besuchen, die z.B. an den Propheten erinnern oder die in der islamischen Religionsgeschichte von besonderer Bedeutung sind. Die Mehrzahl der Pilger reist auch nach Medina, um das Grab des Propheten zu besuchen. Diese Besuche sind allerdings nicht obligatorisch für die eigentliche Pilgerfahrt.231 Die religiöse Bedeutung der Pilgerfahrt liegt in der Betonung des Monotheismus als der zentralen Doktrin des Islams. Um dieses Einen Gottes willen unternehmen die Muslime die oft beschwerliche Reise; ihn als den Einzigen bitten sie um die Vergebung ihrer Sünden und erflehen seine Gnade für sich und ihre Familien. Da die Pilgerfahrt nach dem Vorbild der vergleichbaren Handlungen des Propheten Muhammad vollzogen wird, erinnern sich die Gläubigen natürlich bei allen ihren Handlungen in dieser Zeit ganz besonders intensiv an die Gestalt ihres Religionsstifters. Mit der Pilgerfahrt ist eine ganze Reihe von Konsequenzen verbunden, die über den religiösen Bereich weit hinausgehen. Bei diesem Ritus werden zunächst die egalitären Tendenzen des Islams besonders betont und sichtbar gemacht. Im Zustand der Weihe ist jeder ungeachtet seiner sozialen oder wirtschaftlichen Stellung grundsätzlich gleich. Diese Gleichheit im Islam – unabhängig von der Hautfarbe oder Nationalität – findet hier ihre stärkste Manifestation.232 Zugleich sind die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Implikationen der Pilgerfahrt kaum abzuschätzen. Im Unterschied zu den unklaren Pilgerzügen mittelalterlicher christlicher Schwärmer in Europa, die einen stark kollektivistischen Charakter hatten, ist die Entscheidung für den Hajj 84 individuell und freiwillig. Es handelt sich in jedem Fall um einen persönlichen Akt, der einer persönlichen Entscheidung folgt, die die Folge einer weiten Skala von persönlichen Erfahrungen ist. Die Pflicht zur Pilgerfahrt hat zu einer physischen Mobilität in islamischen Gesellschaften geführt, die für vorindustrielle, aber auch industrielle Gesellschaften völlig ungewöhnlich war. Sie hatte vielfältige soziale, wirtschaftliche und intellektuelle, aber auch politische Folgen. Zu diesen Konsequenzen gehörte die Aufrechterhaltung von Kommunikationswegen zwischen den verschiedenen, weit voneinander entfernten islamischen Ländern und die frühe Entstehung der Gattung der Reiseliteratur in verschiedenen islamischen Sprachen.233 Teilweise verdienten die Pilger die Reisekosten durch Handelstätigkeit, wobei nicht immer deutlich wurde, ob die wirtschaftlichen oder religiösen Motivationen im Vordergrund des Interesses standen.234 Die Wegenetze der Pilger- und der Handelskarawanen waren in der Regel identisch. Die hohe Mobilität brachte und bringt durch den Kontakt mit Muslimen aus anderen Ländern und Völkern die Erfahrung der muslimischen Einheit in der Vielfalt mit sich. Für Muslime aus Randgebieten der islamischen Welt, die in ihrer Heimat oft eine Minderheit bilden, bedeutet die Erfahrung des Eingebundenseins und der Zugehörigkeit zu einer großen, weltumspannenden Gerneinschaft eine Stärkung ihres religiösen und persönlichen Selbstvertrauens. Daneben lernen sie – und nicht nur sie – den Islam in einer nicht durch lokale oder regionale Einflüsse veränderten Form kennen. Mit dieser Erfahrung eines »reinen« Islams kehren sie in ihre Heimatländer zurück und versuchen dann, ihren einheimischen Glaubensgenossen die nun als orthodox verstandene Form des Islams nahe zu bringen. Die verschiedenen islamischen Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts in so verschiedenen Teilen der islamischen Welt wie Westafrika und dem hinterindischen Inselgebiet sind ohne die Intensivierung der Pil85 gerfahrten nicht denkbar.235 Die Konzentration einer Vielzahl von Menschen zu einem festgelegten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort hat auch eine Anzahl von politischen Implikationen. Hüter der heiligen Stätten zu sein war und ist im Islam mit einem beträchtlichen Prestige verbunden. Seit der Auflösung der staatlichen Einheit der islamischen Welt haben Herrscher immer wieder versucht, ihren Anspruch auf eine allumfassende Autorität über die muslimische Weltgemeinschaft auch mit der Kontrolle der Pilgerstätten zu dokumentieren.236 Die Tatsache, dass eine große Anzahl von Muslimen – in den vergangenen Jahren jeweils ein bis zwei Millionen Menschen – zu einem bestimmten Zeitpunkt an den Pilgerstätten versammelt ist, hat zu Bemühungen geführt, sie bei dieser Gelegenheit mit religiösen oder politischen Vorstellungen bekannt zu machen und sie für diese neuen Denkansätze als Multiplikatoren zu gewinnen. Dadurch entstehen auch immer wieder Spannungen innerhalb der Pilgerschar und zwischen Einzelnen von ihnen und den Behörden, die für den reibungslosen und störungsfreien Verlauf der Zeremonien Sorge zu tragen haben. Kommt es zu Zwischenfällen, wird dies auch denjenigen, die die politische Kontrolle über die heiligen Stätten innehaben, zur Last gelegt und bedeutet einen beträchtlichen internationalen Prestigeverlust. Die Organisation der Pilgerfahrt stellt angesichts der großen Zahl an beteiligten Personen eine enorme organisatorische und logistische Herausforderung dar, die auch zu einer Flexibilisierung der rituellen Vorschriften geführt hat. Seit Mitte der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts gibt es das so genannte Hajj-Büro, eine Institution, die die verschiedenen mit der Pilgerfahrt verbundenen praktischen Probleme analysiert und Lösungsvorschläge erarbeitet. Dabei kommt es zu teilweise erstaunlich unkonventionellen Ergebnissen. So wird die Dauer des Hin- und Herlaufens zwischen den Hügeln Safa und Marwa durch die Installation von 86 Laufbändern verkürzt, die auf mehreren Ebenen übereinander verlaufen. Da die Bereitstellung von Opfertieren problematisch ist und deren weitere Verwertung alle Dimensionen sprengt, ist man inzwischen dazu übergegangen, an die Pilger Zertifikate zu verkaufen, die den Wert eines Opfertiers haben. Eine Schlachtung findet nicht mehr statt und die eingenommenen Mittel werden karitativen Zwecken zugeführt. Diejenigen Muslime, die die Pilgerfahrt vollzogen haben, erwerben neben den spirituellen Erfahrungen auch ein hohes Maß an Sozialprestige in ihren Gesellschaften. Sie werden heute von vielen Verwandten und Bekannten zu den Abflughäfen der Pilgerflugzeuge begleitet und ebenso feierlich wieder in Empfang genommen. Anschließend werden große Willkommensfeste veranstaltet. In einigen Ländern werden die Häuser der Pilger mit Malereien geschmückt, die auf die Tatsache der Pilgerfahrt hinweisen.237 Nach ihrer Fahrt werden die Pilger oder Pilgerinnen mit dem Ehrentitel »Hâjji« oder »Hâjja« angeredet. Ihre Äußerungen vor allem in religiösen Angelegenheiten werden besonders ernst genommen und sie haben ein herausragendes Ansehen, unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht oder ihrer wirtschaftlichen Situation. Der Dschihad Der Terminus »Dschihad« ist einer der am häufigsten mit den gegenwärtigen populären Beschreibungen des Islams in Verbindung gebrachten Begriffe. Häufig wird er mit der Formulierung »Heiliger Krieg« wiedergegeben. Für den Islam stellt der Dschihad zunächst die einzige erlaubte Form militärischer Auseinandersetzungen dar. Er darf nur gegen Nichtmuslime geführt werden. Kriege unter Muslimen oder zwischen muslimischen Staaten gestattet das islamische Recht nicht.238 Islamische Gelehrte führen 87 bis in die Gegenwart lebhafte Diskussionen darum, ob der Dschihad eine religiöse Pflicht wie das Gebet oder das Fasten ist oder ob er nicht zu den »Säulen des Islams« gehört. An zahlreichen Stellen des Korans ist vom Dschihad die Rede. So heißt es etwa: »Wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Polytheisten, wo immer ihr sie findet, belagert sie und lauert ihnen auf jedem Wege auf. Wenn sie umkehren, das Gebet verrichten und die Abgaben entrichten, dann lasst sie ihres Weges ziehen.«239 Und weiter: »Gott hat von den Gläubigen ihre eigenen Personen und ihr Vermögen dafür gekauft, dass ihnen das Paradies gehört, insofern sie auf dem Wege Gottes kämpfen und so töten oder getötet werden. Das ist ein Ihm obliegendes Versprechen.«240 Wie diese Feststellungen des Korans im Einzelnen interpretiert werden, ist ein Thema, mit dem sich die Gelehrten immer wieder auseinander setzen. Die islamischen Rechtsgelehrten beschrieben in ihrer Mehrheit als Ziel des Dschihad zunächst die Verteidigung der Muslime gegen Angriffe von außen und die Verbreitung des Islams mit Waffengewalt. In den im Koran angesprochenen Auseinandersetzungen mit den Polytheisten, den Einwohnern der Stadt Mekka, war das Ziel durchaus auch eine zwangsweise Bekehrung zum Islam. Wer sich dem verweigerte, wurde getötet oder versklavt. Doch schon hier begannen sich die Geister zu scheiden. Muslimische Gelehrte sind heute überwiegend der Meinung, dass mit der Verbreitung des Islams die Ausbreitung eines politischen und juristischen Systems gemeint ist, nicht etwa die Verbreitung einer religiösen Überzeugung. Nach dem ebenfalls im Koran zu findenden Satz »Es gibt keinen Zwang in der Religion«241 verzichtete man auf Zwangsbekehrungen. Vor allem stellt der Koran fest, dass die Angehörigen der so genannten Buchreligionen nicht unter Zwang zum Islam bekehrt werden dürfen. Sie werden zur Abgabe der »Jizya« verpflichtet, genießen aber im Übrigen Religions- und Ritualfreiheit. 88 Zunächst war der Dschihad als religiöse Pflicht aller Muslime verstanden worden.242 An einer Stelle wird er mit dem Gottesdienst der christlichen Mönche verglichen. »Dschihad ist das Mönchtum im Islam.«243 Der Dschihad wird als eines der »Tore zum Paradies« betrachtet. Diejenigen Muslime, die im Dschihad ihr Leben lassen, sind Märtyrer des Glaubens. Es können aber auch Nichtmuslime, die unter islamischer Herrschaft leben, zum Dschihad aufgerufen werden. Seit der Etablierung der ersten islamischen Dynastien im 6. Jahrhundert wurde der Dschihad dann die besondere Verpflichtung der islamischen Herrscher, der Kalifen. Daraus entwickelte sich dann ein Konzept, nach dem der Dschihad als kollektive Pflicht der gesamten islamischen Gemeinschaft angesehen wurde. Pflicht des einzelnen Muslims war er nur noch insofern, als jener seinen Beitrag dazu leisten musste, dass der Kampf überhaupt durchgeführt werden konnte. Selbst in den Kampf zu ziehen gehörte nicht mehr zu den Glaubenspflichten. Auch betonen die islamischen Rechtsgelehrten immer wieder, dass die Ausbreitung des Islams nicht notwendigerweise durch militärische Mittel erfolgen sollte. Auch die friedliche Verbreitung seiner Lehren und Praktiken durch Predigt, Vorbild und geduldige Überzeugungsarbeit wird nun als eine Form von Dschihad verstanden. Bei einigen Theoretikern des Dschihad findet man in diesem Zusammenhang die Formulierung »Krieg der Worte«. Die Pflicht zum Dschihad kann erfüllt werden durch das Herz, die Zunge und die Hände, aber eben auch durch das Schwert. Der Gläubige erfüllt die Glaubenspflicht des Dschihad durch das Herz, indem er sich bemüht, den Teufel zu bekämpfen und sich gegen dessen Verführungen zum Bösen zur Wehr zu setzen. Der Dschihad der Zunge und der Hände besteht darin, dass der Gläubige das Gute befördert und das Böse zu verhindern sucht. Der Dschihad des Schwertes schließlich ist der militärische Kampf unter Aufopferung des eigenen Besitzes und sogar des Lebens. Alles in 89 allem sehen die Gelehrten den Dschihad als eine Form religiöser Propaganda, in der sowohl spirituelle als auch materielle Mittel angewendet werden können. Mit der Auflösung eines islamischen Einheitsstaates und der Ausbreitung des Islams in weite Teile Afrikas und Asiens ergaben sich Konsequenzen auch für die Lehre vom Dschihad. Es kam zu einer Regionalisierung der Verpflichtung dieser Glaubenspflicht, die den damaligen Kommunikationsbedingungen entsprach, aber auch den im Inneren der verschiedenen islamischen Staaten gegebenen Verhältnissen, die häufig durch widerstreitende wirtschaftliche und gesellschaftliche Kräfte gekennzeichnet waren. Das islamische Recht formulierte in etwa die folgende Lösung: Falls eine genügend große Gruppe von Muslimen sich zusammenfindet, um den Bedingungen eines speziellen lokalen oder regionalen Konflikts zu begegnen, besteht für die übrigen Muslime der Welt keine Verpflichtung mehr, sich an dieser Auseinandersetzung zu beteiligen. Die individuelle Pflicht zum Dschihad obliegt vielmehr denen, die sich einem Feind am nächsten gegenübersehen. Je stärker allerdings die Zahl der unabhängigen islamischen Emirate, Sultanate oder Fürstentümer anwuchs, umso schwieriger war die Frage zu beantworten, wer das Recht hatte, festzustellen, dass die Notwendigkeit zum Dschihad bestehe. Die Mehrheit der muslimischen Rechtsgelehrten sah dieses Recht bzw. diese Pflicht bei dem jeweiligen Herrscher. Daraus schlossen sie, dass der Dschihad für den Herrscher, im Gegensatz zu den Untertanen, eine individuelle Pflicht wie das Gebet oder das Fasten im Ramadan sei. Die Ausrufung des Dschihad durch den Herrscher, der Eroberungen zum Ziel hatte, war freilich mit einer Reihe von genau festgelegten Voraussetzungen verbunden, die ein ausgesprochen hohes Maß an Realitätssinn zeigen. Zu ihnen gehört, dass die militärischen und strategischen Bedingungen vorhanden sein mussten, die ein deutliches Indiz für einen erfolgreichen Ausgang des 90 Unternehmens darstellten. War der Feind bereit, eine entsprechende Summe zu zahlen, konnte vom Dschihad auch abgesehen werden. Auch aus dieser Regel wird deutlich, dass es im Dschihad des Mittelalters nicht in erster Linie um die »Ausbreitung des Islams« als Glaube, sondern um die Ausbreitung der Herrschaft der Muslime, also um politische, wirtschaftliche oder strategische Ziele ging, die mit religiösen Fragen im Grunde nur wenig zu tun hatten, ja häufig nicht mehr als eine ideologische Basis für machtpolitische Überlegungen bildeten. Die Verpflichtung zum Dschihad ist andererseits auch immer mit einer gewissen eschatologischen Tendenz verbunden gewesen. Der Muslim ist erst dann nicht mehr an diese Pflicht gebunden, wenn alle Menschen sich zum Islam bekehrt oder die vorgeschriebenen Unterwerfungsgesten und -praktiken vollzogen haben. Erst dann kann auch das Ende der Welt eintreten. Heute ist im Zusammenhang mit dem Dschihad auch von apokalyptischen Vorstellungen die Rede. So kann man derzeit z.B. in Ägypten oder Pakistan an Tankstellen oder bei fliegenden Buchhändlern Pamphlete oder Flugschriften kaufen, denen zufolge das Ende der Welt unmittelbar bevorsteht. Messianische Wehen werden allenthalben gespürt. Dies zeigt, dass Dschihad-Vorstellungen als islamische Glaubenspflicht auch in der Gegenwart eine beträchtliche Rolle spielen. Ethische Regeln Neben den rituellen Verpflichtungen beinhaltet der Koran weitere Regeln, die in einem islamischen Duodekalog zusammengefasst sind. Dieser findet sich im Wortlaut auf S. 50 f. Betrachtet man diese zwölf Gebote, so steht am Anfang das Gebot des Monotheismus, das dem Schöpfer gegenüber Gehorsam fordert. Dieser drückt sich auch in Demut aus: »Gott liebt nicht 91 die, die hochmütig sind«244, außerdem in Dankbarkeit: »Gott wird es den Dankbaren vergelten«245. Gegenüber dem unerforschlichen Ratschluss Gottes soll der Mensch Geduld und Beharrlichkeit an den Tag legen: »O ihr, die ihr glaubt, seid geduldig und miteinander standhaft und einsatzbereit. Und furchtet Gott, auf dass es euch wohl ergehe.«246 Im Umgang mit dem Namen Gottes247 gebietet der Koran Ehrfurcht: »Und macht Gott nicht bei euren Eiden zu einem Hinderungsgrund, Pietät zu üben und gottesfürchtig zu sein.«248 Dann wird das richtige Verhältnis des Menschen zu seinen Mitmenschen beschrieben, das man unter die beiden Normen der Gerechtigkeit und der Solidarität subsumieren kann. Gerechtigkeit wirkt sich in allen Lebensbereichen aus. Dabei fällt auf, wie ausführlich sich der Koran in diesem Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben befasst. Über die im Duodekalog angesprochenen Themen hinaus spielt ein Sachverhalt eine herausragende Rolle: das Zinsverbot. »O ihr, die ihr glaubt, fürchtet Gott, und lasst künftig, was an Zinsnehmen anfällt, bleiben, so ihr gläubig seid. Wenn ihr es nicht tut, so erwartet Krieg von Gott und seinem Gesandten.«249 Auch das korrekte Verhalten gegenüber Verwandten, Armen und Reisenden wie der Respekt gegenüber fremdem Eigentum können als Teil der Verpflichtung zur Gerechtigkeit betrachtet werden. Die Solidarität der Muslime verlangt von den Gläubigen, dass sie untereinander Großmut walten lassen, freundlich zueinander sprechen250 und Vergebung und Nachsicht üben.251 Besonders hervorzuheben ist auch, dass der Koran die Muslime auffordert, Böses mit Gutem zu vergelten: »Nicht gleich sind die gute und die schlechte Tat. Wehre mit einer Tat, die besser ist, dann wird der, zwischen dem und dir eine Feindschaft besteht, so, als wäre er ein warmherziger Freund.«252 Auch die Aufforderung, Frieden zu stiften und für die Versöhnung von Feinden zu sorgen, hängt mit der Bedeutung der Solidarität zusammen. Jemanden zu verspotten wird vom Koran als 92 ein Verstoß gegen das Solidaritätsgebot aufgefasst.253 Vor allem aber spielt das Verhalten gegenüber dem Nächsten eine Rolle. »Frömmigkeit besteht nicht darin, dass ihr euer Gesicht nach Osten oder nach Westen wendet. Frömmigkeit besteht darin, dass man an Gott, den Jüngsten Tag, die Engel, das Buch und die Propheten glaubt, dass man, aus Liebe zu ihm, den Verwandten, den Waisen, den Bedürftigen, dem Reisenden und den Bettlern Geld zukommen lässt und es für den Loskauf der Sklaven und Gefangenen ausgibt und dass man das Gebet verrichtet und die Abgaben entrichtet.«254 Die besondere Bedeutung des menschlichen Lebens wird an einem Satz des Korans deutlich, dessen Parallele zu jüdischen Formulierungen offenbar ist: »Wenn einer jemanden tötet, jedoch nicht wegen eines Mordes oder weil er auf Erden Unheil stiftet, so ist es, als hätte er die Menschen alle getötet. Und wenn jemand ihn am Leben erhält, so ist es, als habe er die Menschen alle am Leben erhalten.«255 Ausführlich nimmt der Koran auch Stellung zu Fragen des Sexualverhaltens. Er steht der Sexualität positiv gegenüber: »Und es gehört zu Seinen Zeichen, dass Er euch aus euch selbst Gattinnen erschaffen hat, damit ihr bei ihnen wohnet. Und Er hat Liebe und Barmherzigkeit zwischen euch gemacht.«256 Der Geschlechtsverkehr ist jedoch nur Eheleuten gestattet. Im Übrigen gebietet der Koran sexuelle Enthaltsamkeit. Verstöße gegen diese Vorschrift gelten als Unzucht (Zinnâ) und werden bestraft. Allerdings sind, wie bereits erwähnt, vier Zeugen erforderlich, um den Vorgang zu bestätigen. Homosexualität ist verboten. Gleiches gilt für Prostitution. Angesichts der Konzentration sexueller Aktivitäten auf die Ehe ermuntert der Koran die Muslime, alle heiratsfähigen Männer und Frauen zu verheiraten.257 Zölibatäre Lebensformen werden vom Islam abgelehnt. Häufig fordert der Koran die Muslime zu einem wahrheitsgemäßen Verhalten auf. Lügen, Heuchelei, Unaufrichtigkeit, aber auch üble Nachrede werden abgelehnt.258 93 Die Pflicht zur Wahrheit gilt übrigens nicht nur gegenüber Muslimen, sondern auch gegenüber den Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften. Die verschiedenen Handlungen des Menschen werden vom Islam entsprechend eingeschätzt. Es gibt Handlungen, die zu den Pflichten des Menschen gehören, wie das Gebet oder das Almosen. Verstöße gegen diese Pflichten werden entweder von Gott oder auch von den Menschen bestraft. Diese Handlungen werden als »notwendig« (Wâjib) bezeichnet. Andere werden empfohlen. Dabei kann es sich um zusätzliche Gebete handeln oder ein besonders freundliches Verhalten gegenüber den Mitmenschen. Ein solches Verhalten wird als »schön« (Hasan) bezeichnet. Wer sich nicht entsprechend verhält, lädt keine Schuld auf sich und wird nicht bestraft. Er wird jedoch umgekehrt für solche Handlungen von Gott belohnt. Wieder andere Handlungen werden als erlaubt (Mubâh) betrachtet. Sie sind ethisch neutral. Ferner gibt es Handlungen, die missbilligt werden (Makrûh). Wer solche Handlungen meidet, wird von Gott belohnt. Sie stehen allerdings nicht unter Strafe. Schließlich gibt es Handlungen, die verboten (harâm) sind. Sie dürfen nicht begangen werden. Geschieht das dennoch, so drohen dem Menschen göttliche Strafen und darüber hinaus solche, die von Menschen ausgesprochen und vollstreckt werden. Islamische Eschatologie Nach muslimischer Vorstellung werden alle Taten des Menschen von Gott zur Kenntnis genommen. Sie werden in großen Kontobüchern notiert. Gott wird als der große »Rechner« bezeichnet, der die guten und die schlechten Taten des Menschen gegeneinander abwägt. Schlechte Taten können durch gute ausgeglichen werden. Es kommt für den Menschen darauf an, dass er zum En94 de seines Lebens oder am Jüngsten Tag einen »positiven Saldo« hat. Vor allem die frühen mekkanischen Suren sind von endzeitlichen Vorstellungen geprägt. Der Glaube an das Jüngste Gericht wird als ein zentrales Moment des islamischen Dogmas betrachtet. Alle Menschen werden von den Toten auferweckt und müssen vor dem Richterthron Gottes erscheinen, um sein gerechtes und endgültiges Urteil entgegenzunehmen.259 Es gibt nur zwei Entscheidungen, nämlich den Eingang in das Paradies (u.a. »Janna«, Garten) oder die Verdammung zum ewigen Verbleib in der Hölle (u.a. »Nâr«, Feuer). Das Paradies wird als ein Garten vorgestellt, in dem Bäume mit den schönsten Früchten wachsen, den Flüsse mit den schönsten Getränken durchfließen und in dem Paradiesjungfrauen und Paradiesjünglinge den Seligen aufwarten.260 In der Hölle dagegen werden die Verdammten gnadenlos einer grauenvollen Pein ausgeliefert, wobei das Feuer stets eine besondere Rolle spielt. Da ist von loderndem Feuer die Rede, »dessen Brennstoff die Verdammten sind«261. Seine Hitze, die niemals nachlässt, verschont nichts.262 Die Speisen und Getränke in der Hölle sind »wie geschmolzenes Erz« und »wie heißes Wasser«.263 Die Kleidungsstücke der Verdammten bestehen aus flüssigem Kupfer und aus Teer. Daneben ist von verschiedenen Marterwerkzeugen wie Fesseln, Ketten und Eisenstöcken die Rede. Diese Qualen hören zumindest für die Ungläubigen nie auf.264 95 6. Das islamische Recht Kaum ein Begriff wird von westlichen Beobachtern des Islams so häufig missverstanden wie der des islamischen Rechts, der Scharia. Dabei wird ein Teil dieses komplizierten Systems, nämlich die Kapitalstrafen, mit dem Ganzen gleichgesetzt. »Scharia« bedeutet zunächst nichts anderes als »Weg zur Wasserstelle«. Daraus wird deutlich, dass es sich nicht um einen festgelegten Kodex von rechtlichen Formulierungen und Normen handelt, sondern um eine Methode, mit deren Hilfe es dem Muslim gelingen soll, ein Leben zu führen, das mit den Geboten Gottes in Übereinstimmung steht. Diese Methoden werden als »Usûl al-Fiqh« (Quellen der Einsicht) bezeichnet, der Rechtsgelehrte ist ein »Faqîh«. Funktion und Zweck des islamischen Rechts ist es, den Interessen und dem Wohlbefinden der Muslime in dieser Welt und im Jenseits zu dienen. Die Werte, die die Scharia sicherzustellen hat, werden unterteilt in zwingend erforderliche, notwendige und angenehme. Zu den zwingend erforderlichen Bereichen, die das islamische Recht zu schützen hat, gehören Religion, Leben, Familie, Eigentum, Intellekt und Ehre. All dies ist aber nur möglich, wenn staatliche Ordnung und Stabilität herrschen. So wird denn von manchen Gelehrten festgehalten, dass es die Hauptaufgabe der Scharia ist, für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.265 Die Art und Weise, in der das islamische Recht sich entwickelt, ist also die eigentliche Scharia. Das islamische Recht beruht auf verschiedenen Grundlagen. An erster Stelle steht selbstverständlich der Koran. Er ist die höchs97 te Autorität der islamischen Rechtsprechung. Da die Möglichkeiten, den Text des Korans zu interpretieren, zahlreich sind, geht es zunächst um die authentische Form des Textes: Nur der arabische Text gilt als Grundlage der juristischen Entscheidungen. Daher müssen bei juristischen Feststellungen die Koranstellen in ihrer arabischen Form zitiert werden; Koranübersetzungen sind nicht zulässig. Es ist selbstverständlich, dass nur die Koranstellen für eine rechtliche Entscheidung verwendet werden können, die allgemein als Teile des Korans anerkannt werden. Den Varianten, die von einigen der frühen Muslime tradiert worden sind, wird also keine Autorität zugeschrieben. Man unterteilt die Koranverse, die die Grundlage für rechtliche Bestimmungen bilden, in eindeutige und mehrdeutige Verse. Bei den eindeutigen Versen handelt es sich um solche, deren Wortlaut nur eine mögliche Interpretation zulässt. Dies lässt sich an einem Beispiel aus dem Erbrecht verdeutlichen: »Euch steht die Hälfte dessen, was eure Gattinnen hinterlassen, zu, wenn sie keine Kinder haben.«266 Als Beispiel für nicht eindeutige Stellen sei Folgendes zitiert. Im Zusammenhang mit der rituellen Waschung vor dem Gebet heißt es: »[...] und streicht euch über den Kopf.«267 Daraus wird nicht deutlich, ob man sich über das Gesicht oder um einen anderen Teil des Kopfes streichen soll. Wie die mehrdeutigen Teile des Korans zu interpretieren sind, hängt von einer Vielzahl von Voraussetzungen ab. Vor allem spielen dabei die Gründe für die Offenbarung (Asbâb al-Nuzûl) eine besondere Rolle.268 Falls man besonderen Wert auf die Umstände der Offenbarung legt, kann es geschehen, dass man die betreffenden Stellen als Folge bestimmter Umstände auffasst, die unter anderen Umständen keine besondere Rolle mehr spielen. Sie gelten dann nicht mehr als absolut verbindlich. Wenn diese Stellen also relativ sind, könnte in einer Reihe von Fällen eine Uminterpretation des Korans vorgenommen werden. Allerdings sind die Gelehrten bei der 98 Interpretation solcher Koranstellen durchaus nicht einheitlicher Meinung. Mit dem Tod des Propheten im Jahre 632 war die Offenbarung Gottes an die Menschheit nach muslimischer Sicht abgeschlossen. Die kulturelle, geistige, soziale, wirtschaftliche oder technologische Entwicklung war damit aber nicht abgeschlossen. Zugleich gab der Koran nicht über alle Bereiche des menschlichen Lebens Auskunft. Da die Prophetentraditionen (Hadîth) ebenfalls große Autorität für die Lebensgestaltung der Muslime besaßen, lag es nahe, dass auch diese Texte als Quellen für das islamische Recht Verwendung fanden. Sie bilden also ebenfalls eine verpflichtende Grundlage der rechtlichen Bestimmungen. Es spielt hier keine Rolle, ob aus westlicher Sicht die Prophetentraditionen als authentisch zu betrachten sind oder nicht; wesentlich ist, dass die muslimischen Rechtsgelehrten diese Texte als wichtige Quelle für die Schaffung von rechtlichen Vorschriften auffassen. Koran und Prophetentraditionen sind die beiden Quellen des islamischen Rechts, die von allen Schulen und Gruppen der islamischen Rechtsgeschichte als allgemein verbindlich anerkannt werden. Der kulturelle Wandel in der islamischen Welt war jedoch mit der Kanonisierung der Prophetentraditionen nicht abgeschlossen. Es ergab sich also die Notwendigkeit, immer wieder neue Fragestellungen zu beantworten. So entstanden weitere Quellen des islamischen Rechts, die grundsätzlich allerdings nicht im Gegensatz zu den Regeln des Korans und der Prophetentraditionen stehen dürfen. In welchem Maß und mit welcher Autorität diese Quellen verwendet werden dürfen, wird von unterschiedlichen Schulen verschieden beurteilt. Die überwiegende Mehrheit der sunnitischen wie der schiitischen Rechtsgelehrten ist allerdings der Ansicht, dass einige weitere Methoden als Rechtsquellen verwendet werden dürfen: Hier ist zunächst der Konsens (Ijmâ') zu nennen, der Koran und Prophetentraditionen nahezu gleichgesetzt wird. Die Autorität dieser Konsensfeststellungen beruht u.a. 99 auf folgendem Satz des Korans: »O ihr, die ihr glaubt, gehorchet Gott und gehorchet dem Gesandten und den Zuständigen unter euch.«269 An anderer Stelle heißt es: »Würden sie es aber vor die Gesandten und die Zuständigen unter ihnen bringen, so würden es diejenigen von ihnen, die es herauszubekommen verstehen, (zu beurteilen) wissen.«270 Auch in den Prophetentraditionen finden sich Überlieferungen, die die Unfehlbarkeit der gemeinschaftlichen Entscheidungen bestätigen: »Im Irrtum wird meine Gemeinde niemals einmütig sein.«271 Es hat aber stets Diskussionen darüber gegeben, wer denn die Gruppe sei, in der Einmütigkeit in einer bestimmten Frage zu herrschen habe. So gab und gibt es einerseits Positionen, denen zufolge unter allen Muslimen, die von einer bestimmten Frage betroffen seien, Konsens herrschen müsse, unabhängig von deren spezieller Kompetenz in dieser bestimmten Frage oder in rechtlichen Fragen ganz allgemein. Dem steht eine andere Position gegenüber, nach der es ausschließlich Sache der Rechtsgelehrten sei, in einer unterschiedlich beurteilten Fragestellung Übereinstimmung herzustellen. Da sich im Laufe der Zeit eine spezielle Berufsgruppe von Rechtsgelehrten herausgebildet hat, die heute die Auslegung und Entwicklung des islamischen Rechts monopolisieren, ist es nicht verwunderlich, dass diese für sich allein das Recht zur Teilnahme an den Konsensvorgängen in Anspruch nehmen.272 Ein anderer Aspekt bei der Beurteilung des »Ijmâ'« hängt mit den Kommunikationsmöglichkeiten der islamischen Welt zusammen. Zwar hatte es seit dem Mittelalter einen lebhaften Austausch in den verschiedensten kulturellen Bereichen auch zwischen weit voneinander entfernt liegenden Gebieten der islamischen Welt gegeben. Der islamischen Jurisprudenz war aber klar, dass Konsensentscheidungen von besonderen Umständen abhängig waren, die auf regionalen Besonderheiten beruhen konnten. Daher folgte man lange Zeit der Regel, dass die Übereinstimmung der Gelehrten einer Region für Entschei100 dungen in einer Frage ausreichen konnte. Kontroverse Entscheidungen kamen nur in seltenen Fällen in das Bewusstsein der einfachen Gläubigen; denn diese waren infolge mangelnder Lesefähigkeit kaum in der Lage, die häufig schriftlichen Äußerungen der Gelehrten zur Kenntnis zu nehmen. Darüber hinaus blieb die Kenntnis der meisten Entscheidungen regional begrenzt. Erst mit einer Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten erwies es sich als notwendig, Mechanismen zu entwickeln, die einheitliche Konsensentscheidungen für die gesamte islamische Welt ermöglichten. Denn nun konnten widersprüchliche Entscheidungen allgemein bekannt werden, die Gläubigen verwirren und die Autorität der Religionsgelehrten untergraben. Mit der Entstehung internationaler islamischer Organisationen wie der »Islamischen Weltliga« (Râbitat al-'Âlam al-islâmî) bot sich eine Möglichkeit, auf dem Konsens beruhende Rechtsentscheidungen zu koordinieren. Seit den Achtzigerjahren gibt es eine zentrale internationale juristische Einrichtung, die Akademie für islamisches Recht, die als Unterorganisation der »Islamischen Weltliga« für eine Vereinheitlichung der Konsensentscheidungen sorgt.273 In der Regel wirkt sich die Konsensregel eher konservativ aus. Dies sei an dem folgenden Beispiel aus jüngster Vergangenheit verdeutlicht. In der Akademie für islamisches Recht, die sich einmal im Jahr zu Diskussionen über zentrale Fragen des ethischen, ökonomischen oder kulturellen Lebens trifft, wurde vor einigen Jahren auch die Frage der Euthanasie behandelt. In der Regel werden die Entscheidungen des Plenums der Akademie in Kommissionen vorbereitet, in denen islamische Rechtsgelehrte und Fachleute des jeweils zu behandelnden Gebiets zusammenarbeiten. Im vorliegenden Fall kam eine Kommission aus Rechtsgelehrten und Medizinern zu der Ansicht, dass unter bestimmten Umständen eine Therapie bzw. lebensverlängernde Maßnahmen abgebrochen werden könnten. Zu diesen Bedingungen gehörte, dass nach 101 menschlichem Ermessen keine Heilungschancen bestünden, dass der Patient oder, wenn er dazu nicht in der Lage wäre, seine Verwandten der Einstellung der Therapie zustimmten und dass der Patient unerträgliche Schmerzen zu erleiden hätte. In der Vollversammlung der Akademie widersprach aber eine Gruppe von Rechtsgelehrten diesem Vorschlag. Damit war der Konsens nicht gegeben. Eine Entscheidung konnte nicht herbeigeführt werden.274 Als sekundäre Rechtsquellen gelten der Analogieschluss (Qiyâs), Brauch ('Urf) und Gewohnheitsrecht ('Âda) und das Urteil (eigentlich Meinung, »Ra'y«) des Rechtsgelehrten. Bei der Analogie handelt es sich um die Erstellung einer Parallele zu einer schon formulierten Rechtsnorm. Diese kann sich im Koran, in den Prophetentraditionen oder im Konsens finden. Es muss eine offenkundige Ähnlichkeit zu einem bestehenden Fall gegeben sein. Als Beispiel sei auf das Verbot von Rauschmitteln hingewiesen. Der Koran verbietet aus der Sicht der heutigen Rechtsgelehrten den Weingenuss wegen seiner berauschenden Wirkung. Daher wird in einem Analogieschluss festgestellt, dass auch andere alkoholische Getränke, die nicht aus Weintrauben hergestellt sind, etwa Bier oder Whiskey, eben wegen ihrer berauschenden Wirkung ebenfalls verboten sind. Darüber hinaus werden auch alle anderen Produkte, die zu Rauschzuständen führen, wie Cannabis- oder Opiumderivate, aber auch die modernen Designerdrogen als verboten angesehen.275 Brauch und Gewohnheitsrecht sind die rechtlichen Regelungen, die traditionell in einer Region praktiziert werden. Dabei kann es sich auch um Regelungen handeln, die aus dem römischen, byzantinischen, persischen oder mongolischen Recht stammen.276 Sie können aber nur dann Teil des islamischen Rechts sein, wenn sie anderen Regelungen, die auf den autoritativen Quellen des Rechts beruhen, nicht zuwiderlaufen. In der rechtlichen Praxis muss man jedoch davon ausgehen, dass 102 dieses Gewohnheitsrecht eine größere Bedeutung hat als die Vorschriften des islamischen Rechts.277 Die vorhandenen Spannungen zwischen dem Gewohnheitsrecht und dem islamischen Recht sind im Verlauf der Geschichte immer wieder Anlass zu Reformbemühungen gewesen. Zu den Grundsätzen einer Urteilsbildung (Ijtihâd) im islamischen Recht gehören darüber hinaus Kriterien wie der allgemeine Nutzen (Maslaha) oder das Für-gut-Halten (Istihsân).278 Muslime können sich in Zweifelsfällen, die ihr rituelles oder ethisches Leben im weitesten Sinne betreffen, an einen Rechtsgelehrten wenden und von ihm ein Rechtsgutachten (Fatwa) erbitten. Dieses Gutachten darf nicht als Urteil verstanden werden. Unter sunnitischen Muslimen ist ein derartiges Gutachten mehr oder weniger unverbindlich. Es steht einem Fragenden frei, sich mit der gleichen Frage an einen anderen Gutachter (Muftî) zu wenden, wenn ihm das Ergebnis des Gutachtens nicht zusagt. Die Autorität, die sich mit einem Rechtsgutachten verbindet, ist abhängig vom Ruf des jeweiligen Gutachters, von seiner Gelehrsamkeit, seiner Frömmigkeit und einem untadeligen Lebenswandel. Daher werden sich Muslime, die einen Rat von einem »Muftî« erbitten, in der Regel an das Ergebnis des Rechtsgutachtens halten. Der Gelehrte spricht aber nicht aus irgendeiner Position von religiös sanktioniertem Lehramt. Seine Äußerungen sind nicht absolut verbindlich. In dieser mangelnden Verbindlichkeit liegt auch einer der entscheidenden Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten. Die Position schiitischer Rechtsgelehrter ist aufgrund eines längeren religionsgeschichtlichen Prozesses sehr viel wirkungsvoller als die der sunnitischen Gelehrten. Unter schiitischen Muslimen herrscht heute die Überzeugung, dass die Gläubigen der Führung durch einen Gelehrten bedürfen, um das Heil zu erlangen. Wenn ein Gläubiger einen Rechtsgelehrten in einer beliebigen Frage um Rat fragt, ist er verpflichtet, sich an seine Ent103 Scheidung zu halten. Auch in Zukunft bleiben alle Rechtsgutachten, die von diesem Gutachter verfasst werden, für diesen Gläubigen verbindlich, sogar wenn er selbst eine solche Frage gar nicht gestellt hat. Dieses Autoritätsverhältnis zwischen einem Gelehrten und einem Gläubigen besteht so lange, wie der Gelehrte lebt. Es kann durch eine offizielle Erklärung begründet werden, aber auch durch eine einseitige, nur dem Gläubigen bewusste innere Entscheidung. Falls der Gläubige dazu in der Lage ist, hat er »seinem« Rechtsgelehrten eine regelmäßige Zahlung (Khums, Sahm) zu leisten und seiner auch im Gebet zu gedenken. Der Gläubige kann seinen Gutachter also nicht nach Belieben wechseln. Nach dessen Tod verlieren seine gutachterlichen Äußerungen für den Gläubigen ihre Verbindlichkeit. Er muss sich dann einem anderen Gelehrten anschließen. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass sich auch im sunnitischen Islam schon früh Tendenzen entwickelt haben, Autoritätsstrukturen aufzubauen. Dies lässt sich etwa am Beispiel des Verhältnisses von Rechtsgelehrten und staatlichen Autoritäten aufzeigen. So sagt der bekannte mittelalterliche hanbalitische Rechtsgelehrte Ibn Qayyim al-Jauziyya: »Genau gesagt, darf den Herrschern nur insoweit gehorcht werden, als sich ihre Befehle in Übereinstimmung mit den Äußerungen der religiösen Wissenschaften befinden. Denn die Pflicht, den Herrschern zu gehorchen, leitet sich her von der Pflicht, den Rechtsgelehrten zu gehorchen. Das ist so, weil Gehorsam nur verpflichtend im Guten ist und in dem, was die religiösen Wissenschaften erfordern. Weil die Pflicht, den Rechtsgelehrten zu gehorchen, sich von der Pflicht ableitet, dem Propheten zu gehorchen, leitet sich die Pflicht, den Herrschern zu gehorchen, von der, den Juristen zu gehorchen, ab. Da der Islam im Übrigen von den Herrschern und den Rechtsgelehrten beschützt und hochgehalten wird, ist es die Pflicht der Laien, diesen beiden zu folgen.«279 104 Aus dieser Allianz von »Thron und Rechtsgelehrsamkeit« ergab sich in einer Reihe von islamischen Staaten eine quasi staatliche Form juristischer Institutionen, das Mufti-Amt. Die häufig ja nicht durch religiöse oder öffentliche Zustimmung legitimierten Herrscher brauchten die offiziellen Gelehrten und ihre Rechtsgutachten nicht zuletzt zur Legitimierung von politischen und militärischen Entscheidungen. Es bestand und besteht jedoch auch heute noch eine starke Abhängigkeit der Rechtsgelehrten von den staatlichen Autoritäten, da diese die Gelehrten einsetzen und für deren Lebensunterhalt sorgen. Die von ihnen erstellten Gutachten sind daher häufig ausschließlich unter opportunistischen Gesichtspunkten verfasst worden. Dies hat wiederum zu einem Ansehens- und Autoritätsverlust der offiziellen Rechtsgelehrten bei großen Teilen der Bevölkerung geführt.280 Die Autoritätsfrage der Rechtsgelehrten wird dann besonders virulent, wenn sich der Islam politischen und administrativen Strukturen gegenübersieht, die von ihm Formen von deutlicherer Verbindlichkeit und Autorität verlangen. Das ist heute vor allem im Zusammenhang mit dem Diaspora-Islam der Fall. Ein Beispiel sind die verschiedenen westeuropäischen Staaten, in denen muslimische Organisationen eine Gleichbehandlung mit den christlichen Mehrheitsreligionen verlangen, die ihrerseits den staatlichen Strukturen kompatible hierarchische Aufbauten kennen. In einigen Fällen zeigen islamische Organisationen, z.B. in Berlin, Tendenzen zu Hierarchisierungen.281 Wie weit sich diese Entwicklung auf die Herkunftsländer der muslimischen Migranten auswirken wird, wird sich in Zukunft herausstellen. Sunnitische wie schiitische Gelehrte erteilen ihre Rechtsgutachten in schriftlicher Form, lesen sie aber, wenn der Fragesteller anwesend ist, in der Regel auch noch einmal laut vor. Inzwischen haben sich durch die Einführung moderner Kommunikationstechniken Veränderungen bei der Erstellung von Rechtsgutachten er105 geben. Schon von jeher haben islamische Rechtsgelehrte ihre Gutachten gesammelt und zu häufig mehrbändigen Werken zusammengestellt. Spätere Gelehrte haben solche Sammlungen durchaus auch als Anregung für ihre eigenen Gutachten verwendet und beziehen sich nicht selten auf diese. In den vergangenen Jahren haben Rechtsgutachten und ihre Autoren eine beträchtliche Popularität gewonnen. Es gibt Fernsehsendungen, in denen Rechtsgutachter zu Fragen Stellung nehmen. In Tageszeitungen beantworten »Briefkasten-Muftis« Fragen, die die Leser ihnen in Briefen an die Redaktion gestellt haben.282 Mittlerweile haben Gelehrte ihre Fatwa-Sammlungen auch ins Internet gestellt. User können diese dann nach einem vorgegebenen Raster durchsuchen. Damit sind die Sammlungen einfacher zugänglich. Daneben haben sich auch Internet-Anbieter gefunden, die auf direkte Anfragen von Internet-Nutzern reagieren. Teilweise kommt es dabei auch zu Diskussionen zwischen verschiedenen Gutachtern um eine besonders umstrittene Frage. Die Unübersichtlichkeit des islamischen Rechts ist nicht nur durch unklare Autoritätsverhältnisse gekennzeichnet, sondern auch durch die Tatsache, dass es neben den Unterschieden zwischen sunnitischen und schiitischen Rechtstraditionen innerhalb des sunnitischen Mehrheitsislams verschiedene Rechtsschulen (»Madhhab«, Pl. »Madhâhib«) gibt, die sich heute zwar gegenseitig anerkennen, aber doch in der Rechtspraxis zahlreiche Unterschiede kennen. Heute sind es vier derartige Rechtsschulen, die eine Rolle spielen. Ihre Verbreitung ist am ehesten unter geographischen Gesichtspunkten zu beschreiben. Die älteste Rechtsschule ist die der Malikiten. Sie wurde von dem Rechtsgelehrten Malik ibn Anas (gest. 795) gegründet Er war der Erste, der versuchte, auf der Basis der oralen Rechtstraditionen der frühen muslimischen Gemeinde die Normen des islamischen Rechts zu systematisieren und kodifizieren. Die Entscheidungen beruhen in dieser Rechts106 schule neben dem Koran, den Traditionen und dem Konsens der malikitischen Rechtsgelehrten auch auf dem eigenen Urteil des Rechtsgelehrten, wenn sich in den übrigen Quellen keine Hinweise für eine Entscheidung finden. Diese Rechtsschule gilt als streng und konservativ. Sie ist vor allem in Nordafrika und in Westafrika verbreitet.283 Die malikitische Rechtsschule entstand in Konkurrenz zur hanafitischen Rechtsschule, die sich auf den Juristen Abu Hanifa (gest. 767) beruft Große Bereiche dieses Rechtssystems wurden aber von seinen Schülern entwickelt und begründet. Neben dem Koran und den von ihm kritisch durchleuchteten Traditionen spielten für ihn bei der Entscheidung rechtlicher Fragen auch die eigene Ansicht des Gelehrten und der Analogieschluss eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang wurde das Prinzip der Billigkeit in die islamische Rechtsgelehrsamkeit eingeführt. In den Auseinandersetzungen zwischen Hanafiten und Malikiten war dies ein besonderer Streitpunkt. Den Hanafiten wurde dabei vorgehalten, dass sie jeder Willkür Tür und Tor öffneten. Richtig ist sicher, dass in der hanafitischen Rechtsschule die Möglichkeit, durch Rechtskniffe Regelungen praktisch außer Kraft zu setzen, zu einer regelrechten Kunst entwickelt wurde.284 Die sehr praxis- und realitätsbezogene Art des Umgangs mit konkreten juristischen Situationen führte dazu, dass die hanafitische Rechtsschule vor allem in der Zeit der Dynastie der Abbasiden Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger erhielt und zur offiziellen Rechtsschule dieser Dynastie wurde. Auch die spätere, historisch wichtigste islamische Dynastie des Mittelmeerraums, das Osmanische Reich, nahm die hanafitische Rechtsschule als Basis ihrer rechtlichen und organisatorischen Grundlagen. Daher ist heute die hanafitische Rechtsschule in all den Gebieten verbreitet, in denen das Osmanische Reich im Verlauf der Geschichte als Souverän aufgetreten ist. Angesichts der Tatsache, dass zumindest in Deutschland die Mehr107 zahl der Muslime aus der Türkei stammt, spielt auch unter den hier lebenden Muslimen die hanafitische Rechtsschule die wichtigste Rolle. Als der bedeutenste Theoretiker der islamischen Rechtsgeschichte wird Muhammad ibn Idrîs al-Shafi'î (gest. 820) bezeichnet, der die schafiitische Rechtsschule begründet hat. Er kann wohl als der Gelehrte beschrieben werden, der das islamische Recht aus dem Machtkampf zwischen Malikiten und Hanafiten herausgeführt hat. Er suchte einen Mittelweg zwischen den traditionalistischen Rechtsformen der beiden konkurrierenden Rechtsschulen, die um die Ausweitung der menschlichen Kriterien stritten. So forderte er im Vergleich zur hanafitischen Rechtsschule eine stärker methodische Anwendung des Analogieschlusses und lehnte die Prinzipien der Billigkeit und des Für-gut-Haltens ab. Wichtig war ihm insbesondere der Konsens der Gelehrten. Die schafiitische Rechtsschule ist in vielen Regionen der islamischen Welt verbreitet, spielt heute aber vor allem in Indonesien eine zentrale Rolle.285 Die vierte wichtige sunnitische Rechtsschule ist die der Hanbaliten, die zugleich die jüngste ist. Sie ist zurückzuführen auf den Rechtsgelehrten und Traditionarier Ahmad ibn Hanbal (gest. 855), der nicht nur im Zusammenhang mit der Entwicklung des islamischen Rechts von Bedeutung ist. Im Gegensatz zu den anderen Gründern von sunnitischen Rechtsschulen ist von ihm kein zentrales Werk überliefert. Dies hängt sicherlich mit der Tatsache zusammen, dass für ihn die mündliche Überlieferung jeder Art von Rechtsquellen in schriftlicher Form vorzuziehen war. Die Kodifizierung seiner Lehren wurde von seinen Schülern durchgeführt, die seine Lehren zu einem Gesamtsystem ausarbeiteten. Wenn man seine Überlegungen zusammenfasst, kann man feststellen, dass für Ahmad ibn Hanbal der Koran ohne ausführliche exegetische Ausführungen Grundlage und Ausgangspunkt des isla108 mischen Rechts ist. Als Traditionarier, der eine der bedeutendsten Sammlungen von Prophetentraditionen zusammengestellt hat, legt er für die Ausformulierung des islamischen Rechts großen Wert auf die Prophetentraditionen. Bemerkenswerterweise versteht er aber auch die mündlichen Überlieferungen der Zeitgenossen des Propheten als verlässliche Rechtsquellen. Das begründete er mit seiner Meinung, dass jene Zeitgenossen am ehesten in der Lage seien, die Intentionen des Korans und die Aussprüche des Propheten zu verstehen. Er entwickelte zugleich eine Hierarchie unter den Prophetengenossen, nach denen widerstreitende Traditionen beurteilt werden sollten. Auch Ahmad ibn Hanbal sieht den Konsens als eine weitere wichtige Quelle der islamischen Rechtsschöpfung. Er lehnte allerdings die Ausbildung eines persönlichen Urteils des Rechtsgelehrten ab, um jede Form von Willkür zu unterbinden. Als nicht weniger problematisch betrachtete er die Verwendung des Analogieschlusses. Er sah in ihm die Gefahr einer unstatthaften Neuerung (Bid'a). Bei diesem Begriff haben wir es zugleich mit einem der zentralen Begriffe fundamentalistischer islamischer Vorstellungen zu tun. Vor allem die Rechtsschule der Hanbaliten bemüht sich, jeden kulturellen Wandel darauf zu überprüfen, inwieweit er mit den islamischen Traditionen in Übereinstimmung zu bringen wäre. Die Hanbaliten sind auch heute noch der Meinung, dass nur die Dinge in der Welt für einen Muslim als akzeptabel angesehen werden dürfen, die mit den islamischen Traditionen übereinstimmen. Alle kulturellen, religiösen, wirtschaftlichen oder politischen Veränderungen, die mit diesen Traditionen nicht konform gehen, werden von den Hanbaliten als verboten angesehen. Die Regeln können kurz zusamniengefasst werden: Bei der Erfüllung der religiösen Pflichten wie Gebet oder Fasten sind nur die Handlungen und Praktiken erlaubt, die so im Koran und in den Prophetentraditionen beschrieben worden sind. Abweichungen von den in den Quellen festge109 haltenen Regelungen sind nicht statthaft. In den anderen Bereichen des islamischen Rechts stellt sich die hanbalitische Rechtsschule im Grunde recht liberal dar. Nur das darf als Pflicht für den Muslim verstanden werden, was der Koran und die Traditionen als Pflicht betrachten, und nur das kann als verboten gelten, was ausdrücklich in diesen Quellen als verboten beschrieben wird. Die Lehren des Ahmad ibn Hanbal fanden eine Vielzahl von Anhängern, die diese Schule noch weiterentwickelten.286 Besonders eine Form der hanbalitischen Rechtsschule ist gegenwärtig von besonderer Bedeutung. Sie fand durch die Wahhabiten, deren Bewegung auf der Arabischen Halbinsel entstanden war, weite Verbreitung. Bis heute ist das Herrscherhaus des Königreichs Saudi-Arabien der hanbalitischen Rechtsschule eng verbunden.287 Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des arabischen Königreichs hat auch die hanbalitische Rechtsschule inzwischen in vielen islamischen Ländern an Bedeutung gewonnen. Heute ist sie auch für Regionen der islamischen Welt, die traditionell mit der hanbalitischen Rechtsschule nichts zu tun haben, von nicht unerheblicher Bedeutung.288 Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass der Mehrheit der sunnitischen Muslime die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rechtsschule nicht bewusst ist. Dies ist sicherlich auf die Tatsache zurückzuführen, dass sich die Rechtsschulen gegenseitig anerkannt haben und die Konflikte zwischen den Schulen schon seit geraumer Zeit der Vergangenheit angehören. Offiziell wird von muslimischen Autoritäten auch erklärt, dass es zwischen Sunniten und Schiiten in Rechtsfragen keine nennenswerten Unterschiede gebe. Die beiden Konfessionen sprechen sich gegenseitig nicht die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Muslime ab. Auf die Unterschiede in der Autorität der Rechtsgelehrten ist schon hingewiesen worden. Bei zwei Themenkomplexen sind aber Sonderentwicklungen im schiitischen Islam besonders augenfällig. 110 Diese spielen in den immer noch vorhandenen interkonfessionellen Polemiken von sunnitischer Seite weiterhin eine Rolle. Den Schiiten wird vorgeworfen, dass sie Lüge und Prostitution für erlaubt halten. Den Hintergrund für diesen Vorwurf bilden zwei spezifisch schiitische Vorstellungen. Nach den Regeln des schiitischen Rechts ist es nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten, dass die Gläubigen ihre Konfessionszugehörigkeit verleugnen, wenn sie sich in einer Minderheitensituation befinden. Sie dürfen sich dann z.B. beim Gebet wie Sunniten verhalten. Dieses Verbergen der eigentlichen Religionszugehörigkeit wird als »Taqiya« bezeichnet. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die Minderheit durch Gewaltanwendung vonseiten der Mehrheit geschwächt wird.289 Der sunnitische Vorwurf der erlaubten Prostitution hängt mit einer besonderen schiitischen Heiratsbestimmung zusammen. Nach islamischem Recht ist eine Ehe auf Dauer angelegt, auch wenn eine Scheidung grundsätzlich möglich ist. Nach schiitischem Recht ist es daneben auch möglich, eine Ehe mit einer von vornherein festgelegten Dauer einzugehen. Sie kann neben einer anderen Ehe bestehen. Diese Zeitehe (»Mut'a« oder »Sîghe«) kann für wenige Stunden bis hin zu 99 Jahren abgeschlossen werden. Kinder, die aus solchen Ehen hervorgehen, gelten als legitim und sind erbberechtigt.290 Die Vorstellungen, die dieser Regelung zugrunde liegen, sind in sich durchaus logisch. Nach islamischem Recht sind alle Formen von außerehelichen oder nichtehelichen sexuellen Aktivitäten verboten und werden auch strafrechtlich geahndet. Andererseits gehen die schiitischen Gelehrten von der Schwäche des Menschen vor allem in seinem sexuellen Verhalten aus. Die »Mut'a« bietet die Möglichkeit, in Zeiten, in denen Männer aus beruflichen Gründen oder infolge einer Pilgerfahrt keinen sexuellen Umgang mit ihren regulären Partnerinnen pflegen können, auf legitime Weise sexuell aktiv zu sein. Das islamische Recht muss insgesamt als das Ergebnis vielfäl111 tiger historischer, politischer, sozialer und ethischer Entwicklungen gesehen werden, auf die die muslimischen Rechtsgelehrten in der Regel adäquat reagiert haben. Allerdings vollzogen sich diese Reaktionen häufig mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen. Daher erscheint das islamische Recht dem Beobachter bisweilen als schwerfällig, ja als reaktionär. Sein grundsätzliches Problem ist aber, trotz aller beschriebenen Tendenzen, die mangelnde Lösung des Autoritätsproblems. Muslimische Rechtsgelehrte werden auch in Zukunft aus einem großen Fundus von häufig widersprüchlichen Rechtstraditionen schöpfen und den Gläubigen den Zwang zur persönlichen Entscheidung in Glaubens- oder Rechtsfragen nicht abnehmen. 112 7. Islamische Sonderformen Neben der sunnitischen Form des Islams, der etwa drei Viertel der muslimischen Weltbevölkerung angehören, haben sich im Lauf der islamischen Religionsgeschichte einige Sonderformen entwickelt, die vom »Mehrheitsislam« als islamisch angesehen werden, und einige wenige Gruppen, die nach eigener Auffassung Muslime sind, von der Mehrheit aber nicht als solche betrachtet werden. Schließlich finden sich noch Gemeinschaften, die sich als eigenständige Religionen verstehen, die aus dem Islam entstanden sind. Diese verschiedenen Heterodoxien zeichnen sich teilweise durch die Bemühung aus, von ihrem Glauben außerhalb ihrer Gemeinschaft möglichst wenig bekannt zu machen. Diese Verschleierung von Einzelheiten ist geradezu Teil der religiösen Vorstellungen. Sie erschwert selbstverständlich die Kenntnis und die Beurteilung der Gruppen.291 Die Existenz von Konfessionen und Sonderformen des Islams wird von allen Muslimen als eine Heimsuchung (Fitna) angesehen. Immer wieder ist es, vor allem seit dem 19. Jahrhundert, zu Bemühungen von religiösen Denkern wie politischen Führern in der islamischen Welt gekommen, diese Spaltungen zu überwinden, weil sie zur aktuellen Schwäche des Islams und der muslimischen Gemeinschaft beitragen. Ein besonderer Erfolg war diesen Bemühungen bisher jedoch nicht beschieden. 113 Die Schiiten Die erste Spaltung der islamischen Gemeinschaft ergab sich unmittelbar nach dem Tod des Propheten Muhammad im Jahr 632. Der Tod war überraschend eingetreten; Nachfolgeregelungen waren von ihm und seinen Vertrauten nicht getroffen worden. Die Notwendigkeit einer entsprechenden Regelung war bis dahin von der Gemeinde auch nicht zur Kenntnis genommen worden. Daher ergaben sich Streitigkeiten um die Führung des jungen islamischen Staates, der sich durch die militärische Expansion der ersten zehn Jahre islamischer Zeitrechnung zu einem politischen und militärischen Machtfaktor im Nahen Osten entwickelt hatte. Nach dem Tod des Propheten kam es zu Abfallbewegungen der Stämme der Arabischen Halbinsel, die mit dieser Reaktion die Zukunft des Islams gefährdeten. So war eine schnelle Entscheidung in der Führungsfrage notwendig, um eine Auflösung des jungen Staates zu verhindern. In Medina standen sich zwei Fraktionen gegenüber. Die eine befürwortete, dass Abu Bakr292, einer der frühesten Anhänger des Propheten und zugleich Vater der Lieblingsfrau des Propheten, Aischa293, zum Kalifen, d.h. zum Nachfolger Muhammads, werde und die politische Leitung der Muslime übernehme. Er war einer der engsten Berater Muhammads in allen militärischen und administrativen Fragen gewesen. In den frühen islamischen Quellen wird er als persönlich bescheiden und unprätentiös charakterisiert. Eine andere Gruppe votierte für 'Alî ibn Abî Tâlib294, den Neffen und Schwiegersohn des Propheten, der ebenfalls zu den ganz frühen Anhängern des Propheten gehört hatte. Er war mit Muhammads Tochter Fâtima295 verheiratet. Aus dieser Ehe stammten die beiden Enkel des Propheten, Hasan296 und Husain297, denen Muhammad besonders zugetan war. Auch er wird in den Quellen als klug, beredt, fromm und bescheiden beschrieben. Dieser Konflikt ist als einer zwischen zwei Nachfol114 geprinzipien dargestellt worden. Diejenigen, die die Herrschaft für 'Alî forderten, hätten ein dynastisches Prinzip verfolgt, während die andere Gruppe eher demokratischen Vorstellungen gefolgt sei. Das mag sein, wie es will. Im Endeffekt konnte sich die Gruppe um Abu Bakr durchsetzen, der so der erste der so genannten »rechtgeleiteten« Kalifen wurde. 'Alî weigerte sich jedoch, diese Tatsache anzuerkennen. Seine Anhänger bildeten daraufhin die »Partei 'Alîs« (Shi'at alî). Auch mit dem zweiten Kalifen 'Umar298 waren die Beziehungen zwischen den Konkurrenten nicht sehr viel besser. 'Alî gehörte zwar zu den Beratern des Kalifen; doch hielt sich dieser kaum an die Ratschläge 'Alîs, was die gegenseitige Wertschätzung nicht verstärkte. Ganz besonders schlecht war das Verhältnis 'Alîs zu dem dritten Kalifen, 'Uthmân299, mit dem er heftige Meinungsverschiedenheiten hatte. Diese bezogen sich auf administrative, religiöse und politische Fragen. Inhaltlich ging es bei den Auseinandersetzungen z.B. um die Verteilung der Beute aus Kriegszügen, mögliche Neuerungen im rituellen Bereich, vor allem aber um die grundsätzliche Frage, ob die Herrschaft 'Uthmâns überhaupt legitim sei. 'Alî forderte als wesentliche Voraussetzung für das Kalifat die Zugehörigkeit zur Familie des Propheten, den Banü Häshim. Die Zugehörigkeit zum Stamm des Propheten, den Kuraisch, reichte danach als Legitimation nicht aus. Inzwischen war es in verschiedenen Teilen des Reiches, das sich vor allem unter dem Kalifat 'Urnars im Osten bis nach Indien und im Westen nach Nordafrika ausgebreitet hatte, zu Rebellionen innerhalb der Gruppe der Muslime gekommen. Einige Aufrührer waren aus Ägypten nach Medina gekommen, um ihre Sache dort zu verteidigen. Es kam dabei zu Auseinandersetzungen, in deren Verlauf 'Uthmân getötet wurde. Ali sah sich in diesem Konflikt zumindest dem Vorwurf der Inaktivität ausgesetzt. Die Rebellen schlugen Ali in der Folge zum neuen »Beherrscher der Gläubi115 gen« vor und sorgten bei der Wahl auch dafür, dass er die Mehrheit erhielt.300 Die unklaren Verhältnisse bei seiner Machtübernahme führten zu Gegenaktionen bei denen, die sich 'Uthmân verpflichtet gefühlt hatten, vor allem aber bei seiner Familie. Besonders einflussreich unter diesen war Mu'âwiya301, der muslimische Statthalter von Damaskus. Um seine verschiedenen Gegner zur Anerkennung seiner Herrschaft zu bewegen, sammelte 'Alî Truppen, mit denen er nach Syrien ziehen und den Widerstand Mu'âwiyas brechen wollte. Zunächst musste er sich jedoch mit Gegnern in Medina selbst auseinander setzen, zu denen Aischa, die Lieblingsfrau des Propheten, gehörte, die sich zu einer unversöhnlichen Gegnerin entwickelt hatte. In diesem Fall konnte 'Alî die Oberhand behalten. Nach den Traditionen soll er sich ihr und ihren Anhängern gegenüber auch außerordentlich zurückhaltend verhalten haben. In den späteren Diskussionen um religiös motivierte Rebellionen wurde auf diesen Umstand immer wieder hingewiesen.302 Die Auseinandersetzung mit Mu'âwiya war dagegen eine andere Herausforderung. Vordergründig ging es dabei um die Behandlung der Mörder 'Uthmâns. Eigentlicher Kern des Kräftemessens war aber die grundsätzliche, auch strategisch wichtige Frage, ob das politische Zentrum des jungen islamischen Staates in Mesopotamien oder in Syrien etabliert werden sollte. In der Schlacht von Siffin (Mesopotamien) im Jahr 657 schien sich Ali zunächst durchsetzen zu können. Dann jedoch steckten nach der Tradition die Truppen Mu'âwiyas Koranblätter auf ihre Lanzen und signalisierten dadurch, dass sie den Streit durch einen neutralen Schiedsspruch, der auf dem Koran basieren sollte, zum Abschluss bringen wollten. Ali gab dazu seine Zustimmung und die beiden Heere zogen sich zurück. 'Alîs Entscheidung war innerhalb seines Lagers allerdings nicht unumstritten. Ein Teil seiner Anhänger lehnte ein Schiedsgericht ab, weil die Entscheidung ihrer An116 sicht nach nicht durch ein menschliches Urteil gefällt werden dürfe, sondern nur durch Gott in einer Schlacht, in der er demjenigen, der im Recht sei, den Sieg verleihen werde. 'Alî konnte diesen internen Konflikt nur teilweise entschärfen. Eine beträchtliche Anzahl seiner Anhänger wandte sich in der Folge von ihm ab und zog sich an einen Ort namens Nahrawan in der Nähe des Tigris zurück. Die Mitglieder dieser Gruppe, die lange Zeit einen politischen und militärischen Unruheherd bilden sollte, werden als Kharijiten bezeichnet.303 Inzwischen war die Entscheidung des Schiedsgerichts zu 'Alîs Überraschung zu seinen Ungunsten ausgegangen. Ali griff nun zunächst die Kharijiten an, konnte sie besiegen und teilweise vernichten. Dies hatte für seine politische Position jedoch negative Konsequenzen. Zu den Getöteten gehörten zahlreiche frühe Muslime, an deren Frömmigkeit nicht gezweifelt wurde. Ihre Tötung schadete dem Prestige 'Alîs und es verließen ihn noch mehr Anhänger. Ehe er seine Kräfte gegen seine syrischen Gegner sammeln konnte, wurde er in Kufa aus Rache für einen der gefallenen Kharijiten im Jahre 661 ermordet. In der religionsgeschichtlichen Bewertung geht die Bedeutung Alis weit über die historischen Fakten hinaus. Nach Meinung seiner Anhänger, der Schiiten, sind 'Alî und seine Nachfolger ihre Imame. Voraussetzung für das Imamat ist die Zugehörigkeit zur Familie des Propheten. Nur bei den Imamen kann die spirituelle Leitung der Gemeinde liegen. Die Schiiten sind der Überzeugung, dass die islamische Gemeinde zu allen Zeiten eines von Gott inspirierten und sündenfreien Leiters bedarf. Da Gott gütig ist, so die schiitische Argumentation, ist immer eine derartige Person vorhanden. Die Schiiten ergänzen also die zwei Artikel des islamischen Dogmas – »Es gibt keinen Gott außer Gott und Muhammad ist der Gesandte Gottes« – um den Artikel »und 'Alî ist der Freund Gottes«. Der Glaube an den Imam ist nach schiitischer Auffassung eine Grundbedingung für die Zugehörigkeit zur Ge117 meinschaft der Muslime. Die Imame werden also dem Propheten in der Bedeutung für die Gläubigen gleichgesetzt. Daher ist es nicht erstaunlich, dass ihre Aussprüche genauso überliefert werden wie die Prophetentraditionen und für das schiitische Recht als Rechtsquelle dienen. Der Unterschied zum Propheten besteht darin, dass die Imame keine schriftlich fixierte Offenbarung Gottes zu den Menschen bringen. Die Kenntnis der Imame um den Islam entspricht aber der des Propheten. Vor allem aber verfügen sie über die Fähigkeit, den Text des Korans in einer besonderen, nur ihnen möglichen Weise zu interpretieren. Der Imam weiß, was war und was sein wird. Er empfängt alles Wissen von seinen Vorgängern, und Gott spricht durch die Vermittlung von Engeln mit ihm. Im Gegensatz zum Propheten Muhammad kann der Imam die Engel jedoch nur hören und nicht sehen. Der Imam ist in der Lage, Wunder zu wirken, und kann bei Gott Fürsprache einlegen für die Sünder unter seinen Anhängern. Er hat Anspruch auf die politische Herrschaft über die Muslime, wobei er diesen Anspruch jedoch geheim halten kann, wenn er dadurch sich und seine Anhängerschaft vor Schaden bewahren kann. Wie schon festgestellt, muss es immer einen Imam geben. Dabei kann es sich auch um ein Kind handeln.304 Da die Anhängerschaft der Schia sich in ihrer Anfangsphase vor allem aus ethnisch oder sozial marginalisierten Gruppen zusammensetzte, die keine straffe Organisationsform hatten, kam es beim Tod eines Imams in einigen Fällen zu Kontroversen um die Nachfolge. Für manche Gruppen brach die Kette der Imame nach dem fünften Imam ab, für andere nach dem siebten. Die Mehrheit der heutigen Schiiten geht davon aus, dass die Kette der Imame mit dem zwölften Imam abbricht. Sie werden daher als ZwölferSchiiten bezeichnet. Alle schiitischen Gruppen sind aber davon überzeugt, dass der letzte Imam nicht gestorben ist, sondern sich in der »Verborgenheit« (Ghaiba) aufhält und dereinst als »Recht118 geleiteter« (Mahdî)305 wiederkehren wird. Er wird dann ein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens errichten, das tausend Jahre Bestand haben wird. Erst danach wird das Jüngste Gericht eintreten. Die Schiiten erwarten diese Rückkehr mit großer Inbrunst. Diese Heilserwartung kommt u.a. darin zum Ausdruck, dass die Verfassung der »Islamischen Republik Iran«, in der die schiitische Form des Islams Staatsreligion ist, festhält, dass alle in ihr getroffenen Regelungen nur bis zu dem Tag gelten, da der »Mahdî« zurückkehrt, »dessen Erscheinen Gott beschleunigen möge«. Mit der Zeit haben sich verschiedene Zeichen entwickelt, an denen man die bevorstehende Wiederkehr des »Mahdî« erkennen kann. Zu diesen messianischen Wehen gehören Verhältnisse, in denen Ungerechtigkeit und Frevel überwiegen, in denen ungerechte Herrscher regieren und die Religionsgelehrten die Religion falsch auslegen. Je trostloser die Verhältnisse sind, umso gewisser steht das Kommen des Erlösers bevor. Diese Haltung bewirkt einen Quietismus, der aber plötzlich in eine revolutionäre Aktion umschlagen kann.306 Die Autorität und die besondere religiöse Bedeutung der schiitischen Imame gründet auf einer Reihe weiterer historischer Ereignisse, von denen die Schlacht von Kerbela im Jahre 680 wohl das wichtigste darstellt: Gegen die Herrschaft der ersten islamischen Dynastie, die Mu'âwiya nach dem Tod 'Alîs etabliert hatte und die als die Omayyaden von Damaskus in die Geschichte eingegangen sind, war es in verschiedenen Teilen des islamischen Reiches unter den Kalifen immer wieder und aus unterschiedlichen Gründen zu Aufständen gekommen. Einer dieser Aufstände war im mesopotamischen Kufa ausgebrochen. Die Aufrührer hatten Husain, den jüngeren der beiden Enkel des Propheten Muhammad, aufgefordert, ihre Führung zu übernehmen. Bis Husain, der in Medina lebte, in Mesopotamien eingetroffen war, war der Aufstand zusammengebrochen. Husain wurde mit seiner Begleitung 119 in der Nähe des Ortes Kerbela von omayyadischen Truppen aufgespürt und in einem kurzen Gefecht getötet. Die im militärischen Sinne eher zu vernachlässigende Auseinandersetzung wurde für die islamische, zumal für die schiitische Religionsgeschichte zu einem Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung. Die schiitischen Traditionen überliefern, dass Husain auf seiner Reise nach Kufa mehrfach von Reisenden auf die ihm drohenden Gefahren hingewiesen worden sein soll. Auch Engel hätten ihm die Wahl gelassen, weiterzureisen oder sich zurückzuziehen, ohne dass ihm Letzteres Schaden im Diesseits oder im Jenseits gebracht hätte. Nach manchen Überlieferungen ist ihm diese Wahlmöglichkeit schon vor seiner Geburt gegeben worden. Husain aber habe sich zur Weiterreise entschlossen und den Opfertod auf sich genommen, weil er so für die Sünden der Menschheit Buße tun konnte. Durch das Ereignis von Kerbela gelangt also ein soteriologisches Moment zumindest in den schiitischen Islam, das dieser Religion ansonsten fremd ist. Auch für sunnitische Muslime ist dieser historische Vorgang ein Grund zur Trauer; er wird von ihnen am 'Ashûrâ-Tag, dem 10. Muharram des muslimischen Jahres, als Fastentag begangen.307 Für die Schiiten ist er jedoch der Höhepunkt einer zehntägigen Trauerperiode, die am 1. Muharram beginnt und in der aller Gefallenen von Kerbela und aller schiitischen Märtyrer gedacht wird. Dabei werden Lesungen durchgeführt, in denen die Leiden der schiitischen Märtyrer unter großer emotionaler Beteiligung der Zuschauer rezitiert werden. Den Höhepunkt dieser Feierlichkeiten bilden Flagellanten-Prozessionen und Passionsspiele (Ta'ziya), bei denen das Geschehen in der »Schlacht von Kerbela« nachgestellt wird. Diese Passionsspiele sind eine der wenigen dramatischen Literaturformen, die in der islamischen Welt entstanden sind. In diesen Schauspielen wird die Unterdrückung der Schiiten zum Ausdruck gebracht, darüber hinaus können sie auch auf aktuelle Geschehnisse Bezug nehmen. Zu120 gleich sind diese dramatischen Darstellungen auch ein Hinweis auf die sozialen Verhältnisse innerhalb der traditionellen schiitischen Gesellschaften. Personen aus den Gelehrtenfamilien verkörpern die Helden und Heiligen der Schia, während die Gegner und Mörder Husains von Angehörigen der schiitischen Unterschicht dargestellt werden. In Geißler-Umzügen und in den Passionsspielen wird stets auch ein ungesatteltes Pferd mitgeführt, das an den »Mahdî« erinnert, dessen baldige Ankunft die Schiiten sehnlichst erwarten.308 Das Verschwinden des Imams stellt für die Schiiten ein großes Problem dar, weil sie ja auf seine geistliche Führung angewiesen sind. Zwar erklären viele Schiiten, dass ihnen der »Mahdî« im Traum erschienen sei. Man kann nach anderen Vorstellungen mit ihm auch Kontakt aufnehmen, indem man seine Fragen bestimmten Flüssen anvertraut. Eine regelmäßige Belehrung durch den Imam, die von vielen Schiiten für erforderlich gehalten wird, ist auf diese Weise jedoch nicht zu erreichen. Zunächst gab es noch einige Personen, die von sich behaupteten, dass sie mit dem verborgenen Imam in Verbindung stünden. Als diese Gruppe jedoch ausstarb, wurde die Frage der geistlichen Führung der Gläubigen zu einem dringenden Problem. In einem komplizierten Prozess gelang es der Gruppe der Rechtsgelehrten, sich als Nachfolger der Imame in einem funktionalen Sinn durchzusetzen. Sie wurden diejenigen, die im Auftrag und im Sinne der Imame Autoritätsfunktionen gegenüber den einfachen Gläubigen wahrnahmen. Schiitische Muslime unterstellen sich der Autorität eines Rechtsgelehrten. Dies kann ganz offiziell durch eine schriftliche oder mündliche Willenskundgebung geschehen oder durch eine innere Entscheidung. Das Autoritätsverhältnis gilt für die Lebenszeit des Rechtsgelehrten. Im Unterschied zum sunnitischen Islam sind die Rechtsgutachten und sonstigen Anweisungen der Rechtsgelehrten für die Gläubigen verbindlich. Letztere führen an »ihren« 121 Rechtsgelehrten jährlich auch eine festgelegte Summe Geldes ab. Weil es sich bei der Zahl der Anhänger u.U. um Hunderttausende, ja Millionen handeln kann, kommen beträchtliche Summen zusammen, die die Gelehrten für den Aufbau und Unterhalt von Lehrstätten, Stipendien für Studenten, aber auch für karitative Zwecke verwenden, die ihnen wiederum Einfluss bei ihren Anhängern sichern.309 Da Rechtsgelehrte in der Regel zu einem frühen Zeitpunkt ihres Lebens in ein Abhängigkeitsverhältnis zu einem Gelehrten eingetreten sind und diese ihrerseits in der gleichen Weise in einem derartigen Verhältnis zu einem weiteren Gelehrten stehen, entwickelt sich eine hierarchische Struktur, die bis zu einem gewissen Grade mit einem Klerus zu vergleichen ist. An der Spitze dieser Gelehrtenhierarchie steht als höchster Rechtsgelehrter der »Marja'al-Taqlîd« (Quelle der Nachahmung), der über eine weitreichende Autorität über alle schiitischen Gläubigen verfügt.310 Seiner gedenken die Schiiten auch regelmäßig im Gebet. Die Auswahl eines »Marja'al-Taqlîd« vollzieht sich allerdings nicht nach einem dem Konklave vergleichbaren Auswahlverfahren. Versuche in jüngerer Zeit, ein solches einzuführen, blieben erfolglos. Vielmehr stehen mehrere bedeutende Rechtsgelehrte in einem Konkurrenzverhältnis um diesen Rang. Derjenige, der die meisten Anhänger aufweisen kann, wird als »Marja'al-Taqlîd« betrachtet. Da die Zahl der Anhänger aber nicht immer exakt überprüft werden kann, ist es möglich, dass mehrere Personen von ihren jeweiligen Anhängern als »Marja'« betrachtet werden. Im Grunde kann dann der Gelehrte als alleiniger »Marja'« angesehen werden, der seine Konkurrenten überlebt. Eine derartige Situation ergab sich in den Achtziger)ahren des 20. Jahrhunderts, als mehrere Gelehrte, unter ihnen der iranische Revolutionsführer Khomeini, als oberste Rechtsgelehrte galten. Schließlich überlebte der im Irak residierende Ayatollah al-Khoi, der 1991 starb. Seit dieser Zeit gibt es keinen »Marja'al-Taqlîd«, und man spricht 122 von einer Krise der »Marja'iyya«. Diese Situation bedeutet aber nicht, dass die Gläubigen ohne eine Anleitung durch Rechtsgelehrte wären und ein seelsorgerisches Vakuum entstanden wäre. Auf einer zweiten Ebene unterhalb der verwaisten Position des »Marja' al-Taqlîd« gibt es eine Anzahl von Gelehrten, die von einzelnen Gläubigen, aber auch von ganzen ethnischen Gruppen als Autoritäten anerkannt werden. Die schiitischen Rechtsgelehrten konnten Bedeutung vor allem nach dem Jahr 1501 gewinnen, als sich die Safawiden-Dynastie im Iran etablierte311, die schiitische Form des Islams als Staatsreligion eingeführt wurde und die Gelehrten für die praktische Durchsetzung dieser religionspolitischen Entscheidung gebraucht wurden. Diese Verbesserung ihrer Position wirkte sich auch auf die Gelehrten aus, die außerhalb des Irans lebten. Wenngleich sich die Safawiden und die späteren Dynastien im Iran zur schiitischen Form des Islams bekannten, waren die Gelehrten doch der Meinung, dass deren Herrschaft nicht legitim sei. Diese steht nur den Imamen zu. Politisches Handeln wurde von den Gelehrten als ein problematischer Akt betrachtet, wiewohl ihnen bewusst war, dass irgendeine Form von Herrschaft notwendig ist, um eine allgemeine Anarchie zu vermeiden, in der wiederum eine korrekte Befolgung der Gebote des Islams nicht gewährleistet wäre. Sie nahmen eine quietistische Haltung ein und sahen ihre Aufgabe dann, den schiitischen Charakter des Irans zu bewahren. Die Gelehrten fühlten sich immer dann zum Eingreifen verpflichtet, wenn die Gefahr bestand, dass das Land diesen Charakter verlieren würde. Dies ist vor allem seit dem 19. Jahrhundert immer wieder einmal der Fall gewesen.312 Eine größere Zahl von Gelehrten nimmt auch heute noch diese Position ein. Ihnen gegenüber stehen die Anhänger des Ayatollah Khomeini, der mit seinem Buch Velayet-e Faqîh (Die Herrschaft des Rechtsgelehrten) den Anspruch der Gelehrten auf die Führung auch der tagespolitischen Geschäfte be123 gründet hat. Welche der beiden Positionen sich in der nächsten Zeit durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Die Ismailiten Die neben den Zwölferschiiten bekannteste schiitische Gruppe sind die Ismailiten. Sie sind davon überzeugt, dass mit dem siebten Imam die Kette der Imame zu ihrem Ende gekommen sei. Auch sie erwarten seine Wiederkunft als »Mahdî«. Nach allerlei internen Spaltungen und Konflikten gelang es Missionaren der Ismailiten seit dem 9. Jahrhundert, in den verschiedensten Teilen der islamischen Welt Anhänger für ihre häufig revolutionären Vorstellungen zu gewinnen. Regionale Schwerpunkte ihrer Missionsbemühungen waren der Südirak, Nordsyrien, Bahrein, Nordjemen, Indien und Nordafrika. Heute bestehen ismailitische Gemeinden in Syrien, Jemen, Zentralasien, Indien und unter indischen Einwanderern in Ostafrika. Die Mehrzahl von ihnen sieht im Agha Khan ihr Oberhaupt. Ihre stärkste politische Bedeutung hatten die Ismailiten in der Zeit der Dynastie der Fatimiden zwischen 909 und 1171 in Nordafrika und Ägypten. Ihren Anhängern gelang es zur Zeit der Kreuzzüge, auch in Nordsyrien und im Iran politischen Einfluss auszuüben. Sie waren in den turbulenten Zeiten des 11. Jahrhunderts ein wichtiger Machtfaktor. Durch ihre ungewöhnlichen Aktivitäten erregten sie auch das Interesse der zeitgenössischen europäischen Beobachter, die die Gruppe mit zum Teil legendenhaften Vorstellungen in Zusammenhang brachten. Zu nennen ist hier vor allem der Ismailiten-Führer Hansan-e Sabah, der als der »Alte vom Berge« in die europäische Historiographie und Literatur eingegangen ist.313 Ihm war es 1090 gelungen, die Bergfestung Alamut in der persischen Region Daylam in seine Gewalt zu bringen. Wäh124 rend sich die ismailitischen Aktivitäten in Iran bis dahin vornehmlich im Verborgenen abgespielt hatten, leitete Hasan-e Sabah einen Aufruhr gegen die militärisch weit überlegene SeldschukenHerrschaft.314 Dabei ging er strategisch geschickt vor und brachte sich in den Besitz mehrerer Bergfestungen, die seine Gegner trotz zahlenmäßiger Überlegenheit nicht einnehmen konnten. Berühmt wurde er aber dadurch, dass er unter seinen Gegnern Furcht und Schrecken verbreitete, indem er Anhänger aussandte, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens in die feindlichen Reihen eindrangen und Mordanschläge gegen wichtige militärische und politische Persönlichkeiten ausführten oder durch entsprechende Hinweise zumindest auf derartige Möglichkeiten aufmerksam machten. Die Todesverachtung der »Fida'îyîn« (Opferbereiten) wurde in gegnerischen Berichten mit dem Konsum von Haschisch erklärt. Die Gruppe erhielt den Namen »Haschisch-Esser«, Assassinen, woraus sich dann u.a. das französische Wort »assasin« für politisch motivierte Mörder herleitete. Nachdem die Festung Alamut im 13. Jahrhundert von den Mongolen zerstört worden war, residierten die Führer der Ismailiten in Aserbaidschan. Seit dem 18. Jahrhundert mischten sich diese Führer auch in die iranische Politik ein. Einem von ihnen verlieh der Qadjaren-Herrscher Fath 'Alî Shâh den Titel Agha Khan, den dieser seinen Nachfolgern vererbte. Im Jahr 1843 übersiedelte ein Agha Khan nach Indien. Die Lehre der Ismailiten ist gekennzeichnet durch die grundsätzliche Unterscheidung zwischen »Zâhir« (Äußeres) und »Bâtin« (Inneres)315 innerhalb der Religion. »Zâhir« ist die offensichtliche und allgemein akzeptierte Bedeutung der Offenbarungsschriften der Buchreligionen. Sie kann sich nach ismailitischer Auffassung mit dem Erscheinen jedes neuen Propheten ändern. Vor allem ist sie dem Verständnis jedes Menschen zugänglich. »Bâtin« dagegen sind die tatsächlichen, unwandelbaren Wahrheiten, die in den Offenbarungen verborgen sind. Diese Wahrheiten können durch 125 Interpretation sichtbar gemacht werden. Dazu werden verschiedene »kabbalistische« Techniken angewendet, in denen Buchstaben- und Zahlensymbolik eine wichtige Rolle spielen.316 Nach der zyklischen historischen Vorstellung der Ismailiten gibt es sieben Zeitalter. Jedes Zeitalter beginnt mit einem Propheten, der eine Offenbarung verkündet. Jedem der nach dieser Vorstellung bisher erschienenen Propheten: Adam, Nuh (Noah), Ibrahîm (Abraham), Musa (Mose), Îsâ (Jesus) und Muhammad, folgte eine Person mit der Kompetenz, die innere (bâtin) Bedeutung der jeweiligen Offenbarung zu verkünden, und dieser folgten wiederum jeweils sieben Imame. Der jeweils siebte Imam wird der Prophet des folgenden Zeitalters, der mit seiner Botschaft die Lehren und Gesetze der vorhergegangenen Offenbarung aufhebt. So folgte auf Muhammad Ali als derjenige, der die innere Bedeutung des Korans offenbarte. Der siebte Imam dieses Zeitalters ist Muhammad ibn Islam'il, der als »Mahdî« erscheinen wird, um die Gesetze des Islams aufzuheben. Seine Botschaft wird jedoch keinen Unterschied zwischen »Zâhir« und »Bâtin« kennen. Bis zum Erscheinen des »Mahdî« muss die Bedeutung des »Bâtin« verborgen gehalten bleiben. Nur wenigen darf sie bekannt gemacht werden. Später wurde dieses Ideensystem durch neoplatonisch beeinflusste Überlegungen zu einer Kosmologie ergänzt. Diese Vorstellungen führten zu gewissen antinomistischen Tendenzen unter den Ismailiten, die sich vor allem zur Zeit der Fatimidenherrschaft in Ägypten als problematisch herausstellten. Fatimidische Theoretiker bemühten sich daher um Modifikationen, bei denen die innere und die äußere Bedeutung des Korans als gleichwertig anerkannt wurden. Wie bei einer Glaubensgemeinschaft, die vornehmlich im Verborgenen existiert und einen weitgehend dezentralen Charakter hat, nicht weiter verwunderlich, entwickelten sich zahlreiche Sonderformen der Doktrin. Verstärkt wurde diese Tendenz zu Sonderformen noch dadurch, dass in den zum 126 Teil voneinander isoliert lebenden Gemeinschaften Personen auftraten, die für sich reklamierten, der erwartete »Mahdî« zu sein. Solche Ansprüche mussten, wenn sie sich durchsetzen konnten, von entsprechenden Modifikationen der Doktrin begleitet werden.317 In der Gegenwart ist eine beträchtliche Distanz der großen islamischen Gemeinschaften der Sunniten und der Zwölferschiiten gegenüber den Ismailiten zu beobachten. Die Ismailiten haben sich häufig gesellschaftlich isoliert, wurden aber vielfach auch von ihrem sozialen Umfeld isoliert. Die Konzentration auf die eigene Glaubensgemeinschaft hat die Solidarität und Kooperation innerhalb dieser Gemeinschaft gefördert. Auf wirtschaftlichem Gebiet hat dieses Gemeinschaftsgefühl zu eindrucksvollen Erfolgen geführt. Teile der aus den ökonomischen Aktivitäten erzielten Gewinne werden in Form von frommen Stiftungen für Sozial- und Bildungsprogramme verwendet. Solche Bildungseinrichtungen haben u.a. die Aufgabe, die Mitglieder der ismailitischen Gemeinde mit ideologischen und politischen Vorstellungen der westlichen Welt und deren technischen Entwicklungen vertraut zu machen. Die Bahai Wie die Gemeinschaft der Ismailiten ist auch die Glaubensgemeinschaft der Bahai aus dem schiitischen Islam hervorgegangen. Die Bahai vergleichen ihr Verhältnis zum Islam mit dem des Christentums zum Judentum. Da diese Gemeinschaft erst vor relativ kurzer Zeit entstanden ist und zudem einen ausgesprochen missionarischen Charakter besitzt, ist von den politischen, religiösen, kulturellen und sozialen Hintergründen ihrer Entstehung, von ihrer Entwicklung und ihren Organisationsstrukturen sehr viel mehr bekannt als bei älteren heterodoxen Gemeinschaften. 127 Religionsstifter ist der 1817 in Teheran geborene Mirzâ Husain 'Alî Nûrî, der sich den Namen Bahâ' Allâh (Glanz der Religion) gegeben hatte. Von diesem Namen leitet sich die Bezeichnung für die neue Religion ab. Sehr früh begann Bahâ' Allah, ein starkes Interesse für religiöse Fragestellungen zu entwickeln. Seine Wirkung auf die Bevölkerung wurde durch ein beträchtliches Charisma verstärkt. Ungewöhnlich ist auch, dass er seine Vorstellungen und Überlegungen nahezu von Anfang an schriftlich niederlegte. Um das Jahr 1844 schloss er sich einer in Iran entstandenen Gruppe an, in der sich mystische Praktiken mit Heilserwartungen verbanden. Sie wird nach ihrem Gründer Sayyid Ali Muhammad, Bäb (Tor) genannt, als Babismus bezeichnet. Bahâ' Allah teilte das Schicksal anderer Anhänger des Bäb und musste Gefängnis und Exil erleiden. Im Bagdader Exil erklärte er seinen Anhängern, dass er der sei, »den Gott erscheinen lassen wird«. Bei internen Auseinandersetzungen um diese Position des »Mahdî« konnte er sich gegenüber seinem Halbbruder Subh-i Azal durchsetzen. Bahâ' Allâh konnte eine erhebliche Anhängerschaft, vor allem unter den Schiiten in Mesopotamien, dem heutigen Irak, sammeln und wurde von den schiitischen Geistlichen als eine Gefahr für die Schia betrachtet. Sie konnten durch diplomatischen Druck erreichen, dass Bahâ' Allâh aus Bagdad ausgewiesen und zunächst nach Istanbul und schließlich ins palästinensische Akka weiterziehen musste, wo er 1892 verstarb. Sein Sohn Abd al-Bahâ' wurde von den Anhängern Bahâ' Allâhs als der autorisierte Interpret der Lehren des Stifters anerkannt. Die Bahai verfügen über eine elaborierte Doktrin, die ihre Anziehungskraft auch auf Amerikaner und Europäer ausübte. Nach Überzeugung der Bahai ist Gott eine gänzlich transzendente und nicht erkennbare Entität. Das bedeutet, dass sich die Bahai gegen jede Möglichkeit der mystischen Erkenntnis Gottes wenden.318 Die Vorstellungen der Bahai von der Entstehung der Welt halten 128 ein fragiles Gleichgewicht zwischen Erschaffung und Emanation; denn die nicht erkennbare Essenz Gottes hat sich selbst manifestiert und etwas geschaffen, was selbst nicht Gott ist. Die mit dem Begriff der Schöpfung verbundene Vorstellung vom Beginn der Existenz der Welt wird von den Bahai jedoch nicht vertreten. Sie glauben, dass die Welt ewig sei. Als eine besondere Form der göttlichen Manifestation werden die Propheten angesehen. Der Prophet ist danach sowohl ein Mensch als auch der klarste Spiegel, in dem Gott reflektiert wird; die Manifestationen Gottes durch Propheten entstehen ständig neu. Prophet ist neben Adam, den Propheten des Judentums, Christentums und des Islams auch Zarathustra, während Buddha und Konfuzius als Weise betrachtet werden. In der Reihe der Propheten folgte auf Muhammad Bäb und auf diesen dann Bahä Allah. Die Bahai gehen davon aus, dass die Reihe der Propheten auch in Zukunft fortgesetzt wird; allerdings werden bis zum Erscheinen des nächsten Propheten nach Bahä Allah tausend Jahre vergehen. Die Propheten sind im Übrigen den kulturellen, sozialen und historischen Zuständen, in denen sie auftreten, am meisten angemessen. Die verschiedenen Propheten sind in Gruppen eingeteilt. So beginnt eine Gruppe mit Adam und endet mit Bäb. Die Zeit der Gruppe, die mit Bahâ' Allah begonnen hat, werde 50 000 Jahre dauern. Da die Bahai die Lehren aller Propheten anerkennen, ist ihnen der Vorwurf des Synkretismus gemacht worden. Diesem begegnen sie mit dem Argument, dass sie die Lehre des Propheten, der der jeweiligen Zeit am ehesten adäquat ist, in den Vordergrund stellen. Die Bahai unterscheiden fünf Typen von Geist: den pflanzlichen und den tierischen Geist, den menschlichen Geist, den Geist des Glaubens und den Heiligen Geist. Zu den wichtigsten Prinzipien der Moral- und Soziallehre der Bahai gehören die Einheit der Menschheit, die Notwendigkeit der unabhängigen Suche nach der Wahrheit, die essenzielle Einheit aller Religionen, die Förderung 129 der Einheit durch die Religion, die notwendige Übereinstimmung von Religion und Wissenschaft, die Gleichberechtigung der beiden Geschlechter (was auch die gleichen Pflichten beinhaltet), die Ablehnung jeder Form von Vorurteilen (seien sie religiöser, nationaler, politischer, wirtschaftlicher oder anderer Art), die Suche nach dem Weltfrieden, die Sicherung einer universellen und allgemeinen Erziehung, die Lösung sozialer Probleme auf religiöser Basis durch die Abschaffung von übergroßem Reichtum und tiefster Armut, die Benutzung einer internationalen Sprache als Verständigungssystem und die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs. Öffentliche Rituale oder Sakramente kennen die Bahai nicht. Zu den religiösen Pflichten eines Bahai gehört es, alle neunzehn Tage an einer Gemeindefeier teilzunehmen, eine Fastenperiode von neunzehn Tagen einzuhalten, Alkohol und andere Drogen zu meiden und dreimal täglich zu beten. Die Bahai verfügen über eine vollständige religiöse Administration, die sie für gottgegeben halten. Lokale Gemeinden haben eine aus neun Personen bestehende Führung, die durch eine jährlich stattfindende Wahl bestimmt wird. Die Wahl wird als eine Erfüllung des göttlichen Willens angesehen; daher sind die Gewählten ihren Wählern auch nicht direkt verantwortlich, sie sind Instrumente des göttlichen Willens. Falls genügend lokale Gemeinden vorhanden sind, wird von diesen durch ein Wahlgremium für ein Jahr eine nationale Führung gewählt, die ebenfalls aus neun Personen besteht. Von Mitgliedern der verschiedenen nationalen Führungen wird durch Wahl ein universales Führungsgremium bestimmt. Die verschiedenen Gremien verfügen über eine gewisse juridische Gewalt Konflikte auf den einzelnen Ebenen sollen durch die jeweiligen Leitungsorgane beigelegt werden.319 Da bisher die Mehrzahl von Bahai-Anhängern von Vorfahren abstammt, die einer muslimischen Gruppe angehörten, werden sie von muslimischen Rechtsgelehrten als Apostaten angesehen 130 und sind vor allem im Iran Verfolgungen ausgesetzt.320 Derzeit verändert sich aber die Zusammensetzung der Gemeinschaft hin zu europäischen und amerikanischen Mehrheiten. Während BahaiWeltkongresse in den vergangenen Jahrzehnten eher die Form von großen Familienfesten hatten, stößt ihre Organisation infolge der steigenden Mitgliederzahlen nun an organisatorische Grenzen. Man kann am Beispiel der Bahai, vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit, die Entstehung einer Universalreligion in allen Einzelheiten beobachten. Islamische Mystik Über Jahrhunderte stellte die Mystik die bedeutendste Form religiösen Lebens neben der Orthodoxie dar. Selbst muslimische Rechtsgelehrte, die heute als »Leuchttürme« einer traditionalistischen und ausschließlich schriftbezogenen Form des Islams gelten, wie der mittelalterliche damaszener Theologe Ibn Taymiyya321, gehörten Gruppierungen an, die von mystischen Vorstellungen geprägt waren. Bis in die Dreißiger)ahre des 20. Jahrhunderts waren mystische Praktiken in der islamischen Welt so allgemein verbreitet, dass man z.B. in Ägypten nicht Muslim sein konnte, ohne gleichzeitig auch Mitglied einer Mystiker-Organisation zu sein. Verschiedene islamische Reformbewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekämpften die islamische Mystik als eine im Islam nicht statthafte Neuerung.322 Der Einfluss mystischer Vorstellungen schien unter diesen Angriffen tatsächlich zu schwinden. Inzwischen kann man jedoch feststellen, dass die Zahl der Muslime, die sich von den Lehren islamischer Mystiker beeinflussen lassen, weltweit wieder ansteigt, wenn sie überhaupt je in bemerkenswerter Weise zurückgegangen sein sollte. Da die Mystik aber eine weniger spektakuläre Form der Religionsausübung 131 darstellt, ist es nicht weiter erstaunlich, wenn sie in der Öffentlichkeit nicht nur der westlichen Welt weniger wahrgenommen wird als z.B. radikal-islamische Vorstellungen. Die islamische Mystik (Tasawwuf) entwickelte sich im frühen 9. Jahrhundert in verschiedenen kulturellen Zentren der islamischen Welt, schwerpunktmäßig in Mesopotamien, außerdem in Ägypten. Ihr Entstehen darf sicherlich in Zusammenhang gebracht werden mit dem Kontakt der Muslime mit christlichen und jüdischen Ritualen, verbunden wohl aber auch mit indischen asketischen und mystischen Praktiken. Darüber hinaus spielte die neuplatonische Philosophie des Hellenismus eine prägende Rolle. Im Übrigen kann man die islamische Mystik als eine Gegenbewegung zur strengen, ernsten, sinnenfernen und distanzbetonenden Gottesvorstellung des orthodoxen Islams ansehen. Die islamische Mystik sieht Gott als den Geliebten, dem sich der Liebende mehr und mehr nähern will und muss, um schließlich ganz mit ihm zu verschmelzen. Am schönsten wird dieses Verhältnis zu Gott in einer Geschichte beschrieben, in der von Rabi'a, einer der frühesten Mystikerinnen, berichtet wird, dass sie mit einem Eimer Wasser und einer brennenden Fackel durch die Straßen und Gassen der Hafenstadt Basra gelaufen sei. Auf die Frage, was ihr Tun bedeute, habe sie geantwortet, dass sie mit der Fackel das Paradies verbrennen und mit dem Wasser das Feuer der Hölle löschen wolle, damit sie Gottes Willen nicht aus Furcht vor Strafe oder Hoffnung auf Belohnung erfülle, sondern nur aus Liebe zu ihm.323 Mystiker werden in den Quellen als Gottsucher beschrieben, die sich auf einem Pfad (Tariqa) befinden, der sie Gott immer näher bringt. Dieser Weg hat verschiedene Stufen, die Mystiker sprechen von Rastplätzen (Maqäma), und ist zunächst vor allem mit asketischen Übungen verbunden. Der Mystiker alMuhâsibî (781-857)324 aus Bagdad beschreibt diese so: 132 »Steht er noch im Stadium der Furcht, dann verzichtet er nur aus Furcht vor Gottes Strafe, dann kann er vielleicht dahin gelangen, sogar von dem Erlaubten abzusehen aus Furcht, Gott für seine Gaben nicht in der richtigen Weise danken zu können. Im Stadium der ängstlichen Frömmigkeit übergeht man alles, dessen Zulässigkeit Zweifeln unterworfen ist. Wer den Grad des Gottvertrauens erlangt hat, hört auf, Unruhe und Sorge für seinen Lebensunterhalt zu hegen. Wer noch weiter – bis zur Gottesliebe – gekommen ist, gibt alles in der Welt auf, weil es so geringen Wert hat. Manche meinen sogar, man müsse auch bereit sein, auf das Paradies zu verzichten, weil es ein Nichts sei im Vergleich zum Gedenken an Gott. Aber auf der höchsten Stufe, der Stufe der aufrecht Liebenden, kommt man so weit, auch auf die Brüder zu verzichten, die uns daran hindern, nur noch an Gott zu denken. Das bedeutet nicht, jeden Verkehr abzubrechen, sondern auf die Gemeinschaft zu verzichten, soweit sie ein Hindernis für das Leben ganz mit Gott ist.«325 Die Gottesfurcht ist der Ausgangspunkt des mystischen Weges. Aus Furcht vor Gott tut der Gläubige Buße, indem er Askese übt. Dabei geht es ihm nicht nur um seine Sünden, sondern auch um seine guten Taten und Tugenden. Auch sie können vom Weg zu Gott ablenken. Ergänzt wird die Gottesfurcht durch das Gottvertrauen (Tawakkul).326 Gemeint ist, dass man sich völlig auf Gott verlässt. Die göttliche Vorsehung ist es, die das Schicksal des Menschen bestimmt. Der Mensch kann keine bessere Haltung einnehmen als das totale Vertrauen in die Hilfe und Barmherzigkeit Gottes. Die Mystiker sprechen von Übergeben (Taslim) und Anvertrauen (Tafwîd). Wer sich so auf Gott verlässt, der erlangt den inneren Frieden und die unerschütterliche Gelassenheit des Herzens. In der konkreten Lebensführung stellt sich diese Haltung in den folgenden Ausdrucksformen dar: Gleichgültigkeit gegenüber Gefahr, Verzicht auf Erwerbstätigkeit, Verzicht auf Ersparnisse, Reisen ohne Wegproviant, Verzicht auf ärztliche Behandlung, Standhaftigkeit in Prüfungen, Ertragen von Schicksalsschlägen und der Widerwärtigkeiten des Lebens. Die Gotteser133 kenntnis, die eine grundsätzliche Voraussetzung für den mystischen Pfad darstellt, steht zunächst allen Gläubigen offen; denn durch die Offenbarung hat sich Gott dem Menschen zugänglich gemacht. Dieser Gotteserkenntnis fehlen aber Intuition und Affektivität; der Mystiker strebt emotionale Gotteserkenntnis an. Er sucht Gott direkt zu erreichen und zur Erkenntnis seines verborgenen Wesens zu gelangen. Die Wege zu dieser Gotteserkenntnis sind die Liebe und die vollkommene Konzentration auf Gott allein. Der Mystiker als Liebender beseitigt alles, was zwischen ihm und Gott liegt, die Welt, die Gesellschaft der Menschen, vor allem aber sich selbst und alle seine Eigenschaften, sein eigenes Wollen und Erkennen. Durch dieses bis zum Äußersten vorangetriebene »Entwerden« (Fanâ') kann der Mystiker bis zum verhüllten Geheimnis des göttlichen Wesens vordringen und Gott intuitiv und direkt erkennen. All dies ist nicht ohne Risiko, da der Mystiker geistige und seelische Zustände erfährt, die ihm den Eindruck vermitteln, er sei schon zu Gott gelangt Dabei kann es sich um eine Selbsttäuschung handeln, die zu einem schmerzhaften Erwachen führt; dennoch hat es immer wieder Menschen gegeben, die von der Vereinigung mit dem göttlichen Geliebten zu berichten wussten.327 Den Mystikern war und ist bewusst, dass ihr Weg von zahlreichen Gefahren und Risiken gesäumt wird. Daher sahen sie es, vor allem nachdem mystisches Gedankengut in weiten Bevölkerungskreisen der islamischen Gesellschaften großen Anklang gefunden hatte, für geboten an, sich auf diesem Pfad einem Führer anzuvertrauen. Aus einem derartigen durch Autorität geprägten Verhältnis zwischen einem mystischen Lehrer und einem oder mehreren Schülern entwickelten sich etwa seit dem 10. Jahrhundert verschiedene religiöse Organisationen, die im Laufe der Zeit einen erheblichen religiösen328, politischen329, sozialen330, ja sogar wirtschaftlichen331 Einfluss gewannen. Über viele Jahrhunderte 134 stellten diese »Bruderschaften« (»Tarîqa«, Pl. »Turuq«)332 wichtige gesellschaftliche Strukturen dar, die in ihrer Legitimation gegenüber der Anhängerschaft und ihrer Effektivität in den verschiedensten Lebensbereichen eine erhebliche Konkurrenz zu den staatlichen Einrichtungen darstellten. Häufig entwickelten sie sich zu den einzigen überhaupt bedeutsamen sozialen Institutionen innerhalb islamischer Staaten. So waren es vor allem diese »Bruderschaften«, die einen effektiven Widerstand gegenüber der modernen europäischen kolonialen Expansion entwickeln konnten.333 Die Popularisierung mystischen Gedankenguts führte aber auch auf Seitenwege, die mit dem geistigen Ausgangspunkt nur noch wenig gemein hatten. Die Vorstellung von der Vereinigung mit Gott brachte antinomistische Tendenzen mit sich. Folgenschwerer war allerdings, dass den Gründern der »Bruderschaften« wegen ihres asketischen Verhaltens Heiligkeit zugesprochen wurde. Diese Sanktifikation wurde mit Berichten von verschiedenen Wundertaten (Karâmât) in Verbindung gebracht334, die immer weiter in den Vordergrund des Interesses der Anhänger und Mitglieder der Organisationen rückten. Nach deren Vorstellung verfügten die Ordensgründer über Gnadengaben (Baraka)335, die sie zu diesen Wundern befähigten. Die Übergänge zur Volksreligion werden hier fließend. So kann man Baraka durch ein frommes Leben erwerben, man kann sie aber auch von einem männlichen oder weiblichen Vorfahren ererben und schließlich kann man sie sogar durch den körperlichen Kontakt mit einem Besitzer von Baraka erhalten oder dadurch, dass man sich im gleichen Raum wie er aufhält. All dies hat zu einem weit verbreiteten Heiligenkult, zu Gräberverehrung und sicherlich auch zu manchen Formen von Missbrauch geführt, die von islamischen Reformern aus unterschiedlichen religiösen Grundpositionen immer wieder kritisiert wurden.336 So wurde die in den »Bruderschaften« verbreitete Vorstellung, dass die Ordensgründer und Heiligen der 135 jeweiligen Gemeinschaft in der Lage seien, für ein Mitglied bei Gott zu intervenieren, als ein Abfall von den Monotheismusvorstellungen des Islams angesehen. Die Tatsache, dass es eine Vielzahl von Orden gibt, die sich teilweise auch in regionale und lokale Zweige aufspalten, führte natürlich zu einer ständigen Konkurrenz um Mitglieder und politischen bzw. wirtschaftlichen Einfluss. Für die muslimischen Reformer des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts lag darin eine der Ursachen für die politische Schwäche der islamischen Welt gegenüber der westlichen Welt, die sich bei einer geistigen und religiösen Einheitlichkeit der Muslime nicht entwickelt hätte.337 Daher kam es vor allem seit den Fünfzigerjahren zu einem scheinbaren Verschwinden der »Bruderschaften« und ihrer Form von Islam. Die seit dem Ende der Sechzigerjahre feststellbare Reislamisierung in den verschiedensten Bereichen islamischer Gesellschaften hat aber wieder zu einem Anwachsen der Bedeutung der »Turuq« und der mit ihnen verbundenen Institutionen geführt. Diese haben nach Ansicht zahlreicher Beobachter inzwischen eine größere Bedeutung als die in den Medien ungleich stärkere Beachtung findenden radikal-islamischen Gruppen. 136 8. Schluss Bei vielen Gelegenheiten werden der Westen und die islamische Welt als ein Gegensatz dargestellt. Dabei sind die Gemeinsamkeiten der beiden großen Kulturen ebenso grundlegend wie zahlreich. Orient und Okzident bauen auf der Vorstellung von einem gemeinsamen Monotheismus und auf dem gemeinsamen Erbe der griechischen Antike auf. Über mehr als vierzehn Jahrhunderte hat es einen regen kulturellen Austausch gegeben, von dem im Deutschen Worte wie »Algebra« und »Alkohol«, »Giro« und »Chemie«, »Kaffee« und »Aubergine« zeugen. Bis zum Beginn der Neuzeit war der Orient in diesem Austausch der gebende, der überlegene Partner; dann änderte sich das Verhältnis. Die islamischen Länder übernahmen eine Vielzahl von technischen Entwicklungen aus Europa, vor allem seit dem 19. Jahrhundert, aber auch westliche philosophische und ideologische Vorstellungen wie den Nationalismus und den Sozialismus in ihren verschiedenen Spielarten. Die Globalisierung hat also nicht erst mit der Erfindung des World Wide Web begonnen. Auf die Verkehrung der kulturellen und technologischen Machtverhältnisse, die sich dann auch politisch und militärisch auswirkten, reagierten die Muslime auf zwei unterschiedliche Arten. Nachdem sie Ende des 19. Jahrhunderts den Schock ihrer Unterlegenheit überwunden hatten, versuchten sie einerseits den materiellen Vorsprung des Westens aufzuholen. Studienmissionen aus Ägypten, aus Iran oder Indien besuchten die europäischen Hauptstädte. Studenten und junge Offiziere kamen an die berühmten europäischen Universitä137 ten und militärischen Ausbildungsstätten. Britische, französische oder deutsche Experten für Militärfragen, Medizin, Bergbau, Straßenwesen und Verwaltung wurden ins Osmanische Reich oder nach Ägypten eingeladen. Auf der anderen Seite suchten die Muslime aber auch nach den Gründen, die zur Schwächung der islamischen Welt geführt hatten. Muslimische Denker wie der Ägypter Muhammad Abduh oder sein Gefährte Jamal al-Din al-Afghani sahen zwei Ursachen: Erstens hatten sich, ihrer Ansicht nach, die Muslime zu weit von ihren religiösen Grundlagen entfernt und sich zweitens politisch und militärisch zu sehr zersplittert. Durch eine Wiedergewinnung der religiösen Grundlagen wie der politischen Einheit könnte die islamische Welt zu alter Größe zurückkehren, so hofften sie. Anfang des 19. Jahrhunderts begannen europäische Staaten wie Frankreich und Britannien, aber auch Deutschland, auf direkte Weise durch die koloniale Expansion oder indirekt durch wirtschaftlichen Einfluss, die islamische Welt unter ihre Kontrolle zu bringen. Damit kamen auch westliche Vorstellungen von Nation, persönlicher Freiheit, Emanzipation der Frau oder Menschenrechten in die islamische Welt. Die politische Durchdringung ging mit einer Verstärkung des westlichen Einflusses auch auf die kulturellen und sozialen Entwicklungen in den verschiedenen islamischen Ländern einher. Ende der Fünfzigerjahre des 20. Jahrhunderts waren zumindest die Eliten der islamischen Länder weitgehend von der Richtigkeit der europäischen Lebensweise überzeugt. Aus ihrer Sicht gab es dabei nur geringfügige Unterschiede zwischen den damaligen westlich-privatkapitalistischen und den kommunistisch-staatskapitalistischen Systemen. Schwere militärische Niederlagen wie die im 6-Tage-Krieg von 1967 und tiefgehende sozioökonomische Veränderungen wie im Iran der Schah-Zeit waren für viele Muslime, auch in den Eliten, Anlass, das westliche kulturelle und politische Modell kritisch zu 138 betrachten. Sie sahen im Westen nun vor allem Materialismus, Egoismus, Unglauben und sexuelle Libertinage. Das von ihnen propagierte islamische Modell sollte dagegen auf geistigen Werten, Solidarität, Glauben und Anstand beruhen. Der Islam wird von ihnen als allumfassendes, für jede politische oder gesellschaftliche Situation taugliches System verstanden. »Der Islam ist die Lösung«, lautet ein bekannter Slogan der Vertreter dieser Auffassung. Dieses Modell halten zumindest einige Muslime dem westlichen gegenüber für moralisch überlegen; sie sind überzeugt, dass der Westen an seinen eigenen Fehlern zugrunde gehen wird. Bisher hat sich noch keine politische Situation ergeben, in der dieses islamische Modell ohne Störungen erprobt werden konnte. Es steht allerdings zu befürchten, dass angesichts der großen wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Mehrzahl der islamischen Staaten auch ein solches Modell wenig erfolgreich sein wird. Es wird die Aufgabe muslimischer Denker und westlicher Beobachter sein, für gemeinsame Lösungen der Aufgaben, vor denen die islamischen wie die westlichen Länder stehen, zu sorgen; denn es ist die Konsequenz der Globalisierung, dass die beiden Kulturen in einem immer stärkeren Maß voneinander abhängig sein werden. Zunächst aber ist es wichtig, einander kennen zu lernen und zu akzeptieren, dass auch die Position des anderen, zumindest aus seiner Sicht, nicht unvernünftig ist. Wenn dies Buch ein wenig dazu beigetragen hat, ist schon viel gewonnen. 139 Anhang Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 Zu den entsprechenden Daten s. Heine 1996: 129-148. Hagemann 1976; Daniel 1979: 240-242; Glei 1985. Björkmann 1965:672-682. S. dazu Berenger 1987: 37-45. Zur Geschichte der Koran-Übersetzungen s. vor allem Bobzin 1995. S. dazu Fück 1955: 245 Zur Geschichte der Islamstudien s. bisher immer noch Fück 1955. S. dazu Anawati 1974: 449-469; 1981: 155-171. Kühnel 1994. Als Beispiel s. Aubin 2000. Zu den muslimischen Reaktionen s. Hourani 1962. Daniel 1965. Zur Geschichte des Reichskolonialamtes und seiner wissenschaftlichen Einrichtungen in Hamburg wie auch zum »Seminar für Orientalische Sprachen« in Berlin fehlen bisher die entsprechenden umfänglichen wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchungen. Lemaire 2000. Zum Buch und seiner Wirkung s. Kurz 2000. Zur Rolle der Dichter in der altarabischen Gesellschaft s. Müller 1981. S. dazu Lichtenstaedter 1935. S. dazu Schacht 1950; Motzki 2002. Noch in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts führte der Versuch des bedeutendsten ägyptischen Intellektuellen, Tâhâ Husain, die vorislamische Dichtung mit einer westlichen, historisch-kritischen Methode zu interpretieren, zu einem lebhaften Skandal, der Tâhâ Husain seine Stellung als Dekan der literaturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Kairo kostete; s. dazu Ende 1982: 21-29. Altheim/Stiehl 1968-1969. Gerade junge arabische Staaten wie das Königreich Saudi-Arabien bemühen sich, durch die Bezugnahme auf vorislamische Traditionen und 143 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 144 Dokumente wie Münzen oder Inschriften ihre nationale Existenz zu legitimieren; s. Heine 1994: 97-108. Zur neueren Diskussion um die Biografie Muhammads s. Motzki 2000. Zur Parallelcousinen-Heirat s. Holy 1989. S. Wellhausen 1927: 431-481; Henninger 1989: 305-338; Robinson 1990. Vgl. Goldziher 1969: 316-318; ders. 1973: 201-206; Pipes 1981: 6-8, 107-116. Z.B. Evans-Pritchard 1949; Dostal 1983: 53-59. Chelhod 1955; Paret 1957: 14-23; Henninger 1983: 279-316. Beltz 1980: 205-227. Henninger 1989: 351-392. Paret 1957: 14-23. Heller/Mosbahi 1993:21-28; die Vorstellung von den »Töchtern Allahs« führte schlussendlich zu dem immer noch andauernden Konflikt um die Satanischen Verse und Salman Rushdi. Ibrahîm 1982: 343-358. Rabin 1957. Lecker 1995. Waardenburg 1981: 313. Solch ein christlicher Dichter war z.B. al-Akhtal; zu ihm s. Barth 1901: 1-23; zu den christlichen arabischen Dichtern s. Gräf 1944. Waardenburg 1981: 314. S. dazu Rippin 1991: 156-164; Nagel 1991: 135 ff., 175 ff., 219 ff. Preissler 1994: 495-506. Lichtenstaedter 1935. Fares 1932: 33. Z.B. Kennedy 1989: 100 f. Mattock 1984: 1-18. Goldziher 1889-1890; Schacht 1950. Schoeler 1996; Motzki 2000: 170-239. Motzki 2002: 176. Über das Verhältnis zwischen Koran und »Sîra« unter methodologischen Gesichtspunkten s. Rippin 1991. Tapper 1987: 69-92. Fahd 1987; Schimmel 1998: 230-269. Ende 1981: 32-52. 51 Die wichtigsten älteren Arbeiten stammen von Grimme 1892; Buhl 1955; Watt 1953, 1956, Rodinson 1975. 52 Sure 105. 53 Goldziher 1970: 1-25. 54 Sure 96, 1-4. 55 Z.B. Sure 40, 42 f.; 36, 69 f.; 37, 14 f.; 23, 70 f.; 26, 210-212. 56 Sure 2, 86; 5, 2 U.Ö. 57 Über ihn s. Watt 1953 (vgl. Index). 58 Sure 10, 96 f. 59 Sure 20,133. 60 Sure 2, 23; 10, 38; 11, 13 f.; 17, 88; 52, 34. 61 Einige westliche Forscher haben die Vermutung geäußert, dass der Grund für die Auswanderung auch in internen Konflikten der muslimischen Gemeinde zu suchen wäre; s. O'Shaughnessy 1991: 39 f. 62 Zu den Verhandlungen s. Görke 2000: 240-275. 63 Die islamische Zeitrechnung beruht auf dem Mondjahr, das um elf Tage kürzer als das Sonnenjahr ist. Sie beginnt mit dem Jahr 622. Das Jahr 2003 entspricht den Jahren 1423/1424 der Hidschra. Die islamischen Monate wechseln durch das gesamte Sonnenjahr. Zuvor hatte man in Mekka die Zeit nach dem Sonnenjahr geordnet. Durch Fehlrechnungen war es aber zu immer längeren Schaltperioden gekommen, die zu einer beträchtlichen Unübersichtlichkeit geführt haben. Der Wechsel der Mondmonate durch das Sonnenjahr machte es übrigens notwendig, dass zusätzlich eine Zeitrechnung nach dem Sonnenjahr erforderlich wurde für die Bereiche, wie z.B. die Steuerverwaltung, die sich nach dem Vegetationszyklus richten mussten. 64 In dem Wort »Muhäjirün« steckt das Wort »Hijra«. »Muhâjirûn« sind also diejenigen, die mit Muhammad die »Hijra« vollzogen haben. 65 »Ansâr« bedeutet »Helfer«. 66 Kermani 1999: 29. 67 Stewart 1990: 101-139. 68 Nöldecke/Schwally/Bergsträsser 1961; diese Untersuchung gilt als die ausführlichste und am tiefsten gehende Analyse des Textes aus westlicher Sicht. 69 Zur Textgeschichte s. auch Nagel 1991: 15-34; Khoury 1990: 67-76, 90-96. Zwischen der sunnitischen und schiitischen Konfession gab es lebhafte Kontroversen um die Geschichte der Redaktion des Textes bis 145 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 146 hin zu der schiitischen Behauptung, dass der wahre Koran sehr viel umfangreicher sei als die überlieferte Form und sich auch inhaltlich erheblich unterscheide, s. Brunner 2001. S. dazu Khoury 1990: 85-89. Mooren 1991. Sure 109, 1-6. Sure 112,1-4. Sure 2,117; 36, 82; 6, 73. Sure 37,125. Sure 40,64. Sure 9, 51. Sure 40, 59. Sure 2, 284. Sure 50, 16. Sure 35, 38; 8, 70. Casanova 1911: 53 ff. Sure 53, 57 f. Sure 17, 51. Sure 23,62; 54, 52; 87, 7-9,18-21. Sure 42, 17; 21, 47, 55, 7; 101,6-9. Sure 16, 2. Sure 42, 5; 53, 26; 21, 28; 40, 7. Sure 50,17 f. Sure 41, 30-32; 16, 28; 6, 61. Sure 20,116; 15, 28-35 u.ö. Sure 2, 97 f. Sure 2, 98. Sure 32,11. Koranische Hinweise auf diese Engel finden sich in Sure 47, 27 und 8,50. Als Hinweise auf diese Engel werden von manchen Korankommentatoren Sure 41, 30 und 16, 32 aufgefasst. Sure 74, 30 f.; 43, 77. Sure 2, 102. Sure 35,6. Sure 23,97 f. Sure 38, 41. 102 Die islamische Religionsgeschichte kennt derartige Diskussionen seit dem 2. Jahrhundert der islamischen Zeitrechnung, s. dazu van Ess 1975 und sein grandioses Werk 1991-1997; für die spätere Zeit speziell im Bereich der Schia s. Schmidtke 2000:115-180. 103 Sure 58,18. 104 Sure 43, 36. 105 Sure 14, 22. 106 Sure 15, 42. 107 Sure 55,14. 108 Sure 37,158; 6,128; 72, 6. 109 Goldziher 1920: 356; Janssen 1974: 34, 43. 110 Bijlefeld 1969: 1-29. 111 Sure 21, 25. 112 Sure 2, 213. 113 Sure 14, 4. 114 Z.B. Sure 14, 9-14. 115 Moubarac 1958. 116 Sure 11, 32. 117 Sure 26,14; 28, 33. 118 Sure 20, 29-36. 119 Sure 7, 27-31. 120 Zu Moses im Koran s. Prenner 1986; Caussee 1964. 121 Sure 3, 39-45. 122 Sure 41,171; 21, 91; 66,12. 123 Sure 3, 45; 4,171 f.; 17, 72, 75. 124 Sure 19, 20-22. 125 Sure 19, 30. 126 Sure 4, 156. 127 Sure 21,91; 66,12. 128 Sure 43, 59. 129 Sure 5,110; 3, 48 f. 130 Sure 4,171. 131 Sure 4,15; 5, 110. 132 Sure 19, 33. 133 Sure 4,159. 134 Sure 3, 45. 135 Die Literatur zu Jesus im Koran ist sehr umfangreich. Hier sei nur hin- 147 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 148 gewiesen auf: Robinson 1990: 161-175; Räisänen 1971; Khoury 1968: 49-63. Sure 26, 123-140; 23, 31-41; 11, 40-50; 7, 65-72. Sure 54, 23-31, 26, 141-159; 11, 61-68; 7, 74-79. Sure 26,176-190; 11, 84-95; 7, 85-93. Sure 33, 40. Sure 3,19; 5, 3; 48, 29 u.ö. Sure 2,148; 5, 48. Sure 22, 70 f.; 33, 70 f. u.ö. Sure 17, 22-38. Sure 40, 40. Sure 4, 34. Sure 4,11; zum Erbrecht im islamischen Recht allgemein s. Powers 1986. Sure 2, 282; die Literatur über die Stellung der Frau in islamischen Gesellschaften ist inzwischen nicht mehr zu übersehen; hier sei daher nur auf Walther 1980 hingewiesen. Sure 2, 217; 6,147; 33,19. Sure 3, 86-91; 16, 106 f.; 2, 217; 4, 137; 5, 7. Sure 4, 88 f. Griffel 2000: 58 f. Zu den islamischen Rechtsschulen s. Antes 1982: 82 ff. Anfang der Neunzigerjahre erregte ein entsprechendes Verfahren um den ägyptischen Wissenschaftler Hamid Abu Zaid erhebliches Aufsehen, s. dazu Wild 1992: 256-261; Kermani 1999: 147 f., 162 f. Zur Frage der Apostasie im Islam gibt es ebenfalls eine Vielzahl von Untersuchungen. Hier sei lediglich auf Griffel 2000 hingewiesen. Sure 2,178. Sure 4, 92. Sure 5, 33. Sure 23,12-14; 56, 57-59. Sure 17, 53. Rispler-Chaim 1992; Lohlker 1996 (Index). Sure 24, 2 f. Sure 24, 4. Sure 4, 15. Sure 24, 4-9. Sure 5, 38. 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 Sure 4,11. Sure 4, 34. Zur Brautgabe s. Maher 1974. Sure 4,129. Sure 1. Sure 12. Sure 18, 27; ähnlich 6, 34, 115; 17, 77; 33, 62, 35, 43; 50, 29. Sure 4, 82. Sure 87, 7; 17, 86. Sure 16,101. S. auch Sure 87, 7. Sure 17, 86. Sure 2,106. Sure 10, 15. Sure 16, 69. Sure 4, 46. Sure 5, 92. Kermani 1999: 238 ff. Versteegh 1997: 54 ff. Blair 1998. Ullmann 1972. Janssen 1974: 35-55. Kriss/Kriss-Heinrich 1962: 11 ff., 17 ff. u.ö. Heine 1993: 37-48. Mooren 1991: 51. S. dazu Peters/de Vries 1976/77: 1-25. Sure 4,103 u.ö. Vgl. Sure 20, 130,17, 87, 30,17 f. Zur Geschichte und Funktion des Gebetsrufers im Islam s. Padwick 1961; Sabiq 1987: 99-110. 195 Nach der Ansicht der Mehrzahl der muslimischen Rechtsgelehrten muss auch in Ländern, die nicht zum arabischen Sprachraum zählen, in arabischer Sprache zum Gebet gerufen werden. Gegen die Benutzung von Lautsprechern und ähnlichen Verstärkeranlagen für den Gebetsruf erhebt das islamische Recht keine Einwände. In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts war es durchaus üblich, dass Schallplatten abgespielt wurden, von denen der Gebetsruf wiedergegeben wurde. In- 149 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 150 zwischen sind derartige künstliche Formen des Gebetsrufs allerdings verpönt. Zum Bad im arabischen Mittelalter s. Grotzfeld 1970. Sure 4, 43; auch 5, 6. Sure 2,114-145,149 f. Sure 62, 9 f. S. Brothwick 1965. Zur Entwicklungsgeschichte des Fastens während des Monats Ramadan s. Lech 1979; Goitein 1966; Wagtendonk 1965. Der Name »Ramadan« wird mit der arabischen Wurzel »rmd« in Zusammenhang gebracht, die »starke Hitze« u.a. bedeutet. Sure 2,183-185,187, 196; 5, 89, 95; 9,112; 19, 26; 33, 35; 58,4. Sabiq 1987: 381-418. Khoury 1988: 196. Sure 97,1-5. Buitelaar 1993: 17. Jomier/Carbon 1956. S. Christmann 1998: 78-134. Nabhan 1991. Haarmann 1978:100 f. Halm 1988: 58 f., 179 ff.; für den sunnitischen Bereich s. Heine 1990. Sure 2, 270-274 u.ö. Sure 2, 219. Gemeint sind hier die Verwalter der Almosen. Gemeint sind damit die Menschen, die sich anschicken, sich zum Islam zu bekennen; m.a.W. die »Zakât« wird auch zur Deckung von Kosten der islamischen Mission verwendet. Hier sind die Krieger im Dschihad gemeint. Sure 9,60. Zu dem gesamten Komplex s. Sabiq 1987: 287-379. Bashaer 1993: 84-113; Bilgrami 1994: 226-233. Sure 9, 29. Noth 1974: 150-162. Johansen 1988. Heine 1982: 50 f. Sure 8, 41. Sure 2,196-200; 5, 94-97; 22, 32 f., 36 f. u.ö. 227 228 229 230 231 232 233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 244 245 246 247 248 249 Wellhausen 1927. Sabiq 1987: 523-567. Stillman 2000: 17-23. Guellouz 1977: 118; s. auch und vor allem das Vorwort dieses Buches von Muhammad Arkoun. Ausführliche Beschreibungen der Pilgerfahrt finden sich bei Guellouz 1977; immer noch nützlich sind die großen Darstellungen von Snouck Hourgronje 1880 und 1888. Natürlich kannte und kennt auch der Islam in der Alltagspraxis seit langem Tendenzen ethnischer, nationaler oder sozialer Segregation und Diskriminierung; hier sei lediglich auf die negative Haltung muslimischer mittelalterlicher Autoren gegenüber Schwarzafrikanern hingewiesen; s. dazu Heine 1996 a und die dort angegebene Literatur. Zur Entwicklung der Reiseliteratur und der geographischen Literatur im Allgemeinen am arabischen Beispiel s. Blachère/Darmaun 1957. Works 1976; Rosander 1991: 144-200. S. dazu Martin 1976:13-35,68-98,177-201. Faroqhi 1990:12 ff. Parker/Avon 1995. Dennoch hat es im Verlauf der islamischen Geschichte eine Vielzahl von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen muslimischen Staaten gegeben. Die islamischen Rechtsgelehrten haben aber immer Mühe gehabt, derartige gewaltförmige Konflikte als rechtmäßig zu beschreiben. Sure 9, 5. Sure 9, 111. Sure 2, 256. Z.B. Sure 9, 5. Sure 61,11. Z.B. Sure 16, 23. Z.B. Sure 3, 144. Sure 3, 200. Gott wird mit den so genannten »schönsten Namen« (al-asmä al-husna) genannt, von denen den Menschen 99 bekannt sind; s. dazu und zur islamischen Namensgebung Schimmel 1993. Sure 2, 224. Sure 2, 278 f.; s.a. 30, 39; 2,175 f. 151 250 251 252 253 254 255 256 257 258 259 260 261 262 263 264 265 266 267 268 269 270 271 272 273 274 275 276 277 278 152 Sure 2, 237, 83. Sure 24, 22; 64, 14. Sure 41, 43. Sure 4, 114, 49, 9; 41, 11; 49, 1. Sure 2, 177. Sure 5, 32. Sure 30, 21. Sure 70, 31; 24, 33; 70, 29; 23, 5; 24, 30, 60; 6,151; 4, 16; 7, 80f.; 24, 33; 24, 32. Sure 22, 30; 25, 72; 33, 70 £; 3, 188; 49, 12; 24, 29; 4, 112. Zu den Beschreibungen des Jüngsten Tages s. Bashaer 1993: 75-99; Madelung 1986: 142-161. Zu den Beschreibungen des Paradieses s. Schimmel 2001: 16-27. Die Paradiesvorstellungen haben auch als Vorbild für die Entwicklung einer islamischen Gartenarchitektur gedient; s. Petruccioli 1997. Sure 3, 10; 85, 5. Sure 17, 97; 74, 28. Sure 44, 43 ff. Sure 22, 19 f.; 40, 71 f.; 11, 106 f.; 33, 64 f. Abou El Fadl 2001: 27. Sure 4, 12. Sure 5, 6. Zu den Gründen der Offenbarung s. Rippin 1988: 1-20. Sure 4, 59. Sure 4, 83. Krawietzl991:54. Heine 1986: 28-45. Heine 1985: 499-502. Heine 1994: 281-284. Brückner 2001. Crone 1987; Hallaq 1995: Ch. IX 1-36. Als Beispiel sei darauf hingewiesen, dass die in der Türkei vorwiegende hanafitische Rechtsschule es unverheirateten jungen Frauen gestattet, allein zu wohnen. Das türkische Gewohnheitsrecht macht das jedoch unmöglich. In diesem Zusammenhang sei unter den verschiedenen Darstellungen zum islamischen Recht besonders hingewiesen auf Krawietz 1991: 21-45. 279 Zitiert nach El Fadl 2001: 130 f. 280 Heine 1983: 110-119. 281 So hat der Vorsitzende der »Islamischen Föderation Berlin« das Recht, in Streitfragen religiöser oder ethischer Natur eine Entscheidung zu treffen, die von den Mitgliedern als verbindlich angesehen werden muss; zur rechtlichen Situation islamischer Gemeinden in verschiedenen europäischen Staaten s. Shadidi/van Koningsveld 2002. 282 Ende 1995: 37-43. 283 Zum malikitischen Recht s. Muranyi 1997; Motzki 1998: 18-83. 284 Zum hanafitischen Recht s.Johansen 1988 (Index), 1990. 285 Zur schafiitischen Rechtsschule s. Makdisi 1984: 5-47; Rancillac 1977: 147-169. 286 Zu den Hanbaliten s. Laoust 1965 a: 114-119, 209 f. 287 Laoust 1965 a: 266-272. 288 Grund dafür ist die Tatsache, dass die verschiedenen internationalen islamischen Organisationen wie die »Râbitat al- 'âlam al-islâmî« in SaudiArabien ihren Sitz haben und von diesem auch weitgehend finanziert werden. Bei der Durchführung von Hilfsprogrammen und Entwicklungsprojekten in islamischen Staaten wird von der Organisation auch darauf geachtet, dass keine offensichtlichen Verstöße gegen die Normen des hanbalitischen Islams gefördert werden; s. Schulze 1990. 289 Zur »Taqiya« s. Kohlberg 1975 und die dort angegebene Literatur. 290 Ende 1980:1-43; Haeri 1989. 291 Wegen der Vielzahl der Gruppen und der Variationsbreite ihrer Lehren können im Folgenden nur einige wenige Beispiele vorgestellt werden. 292 Über ihn s. Watt 1953,1956. 293 Über sie s. Abott 1942. 294 Über ihn s. Veccia Vaglieri 1952. 295 Über sie s. Lammens 1912; Massignon 1938. 296 Über ihn s. Ende 1977: 153-166 und die dort angegebene Literatur. 297 Über ihn s. Ayoub 1975; Ende 1978. 298 Über ihn s. Watt 1956; Kister 1964. 299 Über ihn s. Graf 1963. 300 Diese Vorgänge bildeten einen nicht enden wollenden Streitpunkt zwischen muslimischen Geschichtssschreibern. 301 Zu ihm s. Lammens 1908, 1930. 302 El Fadl 2001: 34 f. u.ö. 153 303 Zu den Kharijiten s. Salem 1956; Wilkinson 1982. 304 Halm 1988: 54. 305 Die Vorstellung des »Mahdî« ist auch im sunnitischen Islam vorhanden und hat auch dort zu teilweise folgenschweren politischen und religiösen Entwicklungen geführt, s. dazu: Cook 2000; Heine 2000. 306 Glassen 1979: 167-179. 307 Zu den verschiedenen Aspekten von 'Ashûrâ im sunnitischen Kontext s. Heine 1990. 308 Ende 1978; Heine 1979. 309 Heine 1990 a: 213. 310 Halm 1988: 134-137; Ibrahîm 1997: 259-265. 311 Aubin 1970; Glassen 1971: 61-69; Arjomand 1984. 312 Genannt seien in diesem Zusammenhang der Tabak-Konflikt (s. Keddie 1977) und die Auseinandersetzungen um die iranische Verfassung (s. dazu Keddie 1980:66-79). 313 Vgl. Lewis 1989:135-168. 314 Seldschuken waren eine turkstämmige Herrscherdynastie, die sich zwischen 1040 und 1194 vor allem in Anatolien, Iran und Mesopotamien der Herrschaft bemächtigt hatten, über sie s. Cahen 1955: 135-176. 315 Zur Geschichte dieses nicht nur bei den Ismailiten verwendeten Begriffsgegensatzpaars s. Halm 1978 (Index). 316 Zu diesen Techniken, die unter dem Begriff »Um al-Raml« (Kunst des Sandes) zusammengefasst werden, s. Ulimann 1972 (Index). 317 Als Beispiel sei hier nur auf die aus der Gemeinschaft der Ismailiten entstandene Gemeinschaft der Drusen hingewiesen; s. dazu van Ess 1977. 318 Hier liegt einer der gravierenden Unterschiede zu den Vorstellungen des Babismus vor. 319 Zur Organisation und zu den Ritualen der Bahai s. MacEoin 1994. 320 Fischer/Abedi 1990: 245-250. 321 Über Ibn Taymiyya s. Laoust 1939, 1965. 322 Z.B. die Reformer Jamal al-Din al-Afghani und Muhammad Abduh und ihre Schüler, s. dazu Kedouri 1966:14 f. 323 Über Rabî'a s. Smith 1928. 324 Über ihn s. van Ess 1961. 325 Andrae 1980: 78. 326 Reinert 1968. 154 327 Die Unerhörtheit dieses Vorgangs hat in allen mystischen Formen der verschiedenen Religionen zu außerordentlich komplizierten und häufig auch schwer verständlichen sprachlichen Formen der Darstellung geführt. 328 Dabei spielt vor allem das große Maß an Emotionalität eine Rolle, die mit mystischen Vorstellungen verbunden ist. Diese Emotionalität ist in der sunnitischen Orthodoxie wenig ausgebildet, sodass die Mystik hier eine offenbar notwendige Ergänzung bietet. Bei dem stärkeren emotionalen Element im schiitischen Islam ist es daher nicht verwunderlich, dass »Bruderschaften« hier eine geringere Bedeutung haben, wenn sie auch nicht völlig fehlen, s. Grämlich 1965-81. 329 Durch ihre Autorität über weite Teile der Bevölkerung waren die Führer der »Bruderschaften« in der Lage, die politischen Autoritäten in ihren Aufgaben zu unterstützen oder zu behindern. Dies führte immer wieder zu Konflikten, aber auch dazu, dass die Politik sich auf vielfältige Weise bemühte, die »Bruderschaften« unter ihre direkte oder indirekte Kontrolle zu bringen; s. dazu Gilsenan 1973. 330 Angesichts der weit verbreiteten rechtlichen und sozialen Unsicherheit boten die »Bruderschaften« ein Netz von gegenseitiger Hilfe auch bei Problemen des Alltags, das auf gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamen religiösen Erfahrungen beruhte. Die Mitgliedschaft in der »Bruderschaft« und die Möglichkeit des Aufstiegs in ihrer Hierarchie bot zudem die für viele Menschen einzige Chance, Sozialprestige zu gewinnen; s. dazu Cohen 1969. 331 Die teilweise viele tausend Mitglieder zählenden »Bruderschaften« stellen einen gewichtigen Faktor der Volkswirtschaften islamischer Länder dar. Einige Organisationen haben sich geradezu zu wirtschaftlichen Machtfaktoren entwickelt; hier ist als Beispiel vor allem die »Bruderschaft« der Mûrîdiyya im Senegal zu nennen, die die wichtigsten Exportprodukte, Erdnüsse, kontrolliert und ihre wirtschaftlichen Aktivitäten inzwischen auch nach West- und Mitteleuropa ausgeweitet hat, s. dazu Cruise O'Brien 1988; Villalön 1995. 332 De Jong 1996:646-662 und die dort angegebene Literatur. 333 Z.B. Martin 1976: 36-67. 334 Zu diesen Wundertaten gehört u.a. die Auferweckung von Toten, die Krankenheilung, das Wissen um zukünftige Ereignisse, die Fähigkeit, 155 verlorene Gegenstände wiederzufinden, Levitation (Aufhebung der Schwerkraft) und Bilokation (gleichzeitiges Erscheinen an zwei Orten), s. dazu Grämlich 1987. 335 Zur Baraka s. z.B. Coulon 1988:113-133. 336 Laoust 1965: 321-332. 337 Laoust 1965 a: 385-434. 156 Literaturhinweise Abott, N., Aisha, The Beloved of Muhammad, Chicago 1942. Abou El Fadl, Khaled, Rebellion and Violence in Islamic Law, Cambridge 2001. Altheim, F./Stiehl, R., Die Araber in der Alten Welt, 5 Bde., Berlin 19631969. Anawati, G., Saint Thomas d'Aquin et la Métaphysique d Avicenne, in: St. Thomas Aquinas 1274-1974. Commemorative Studies, Bd. I, Toronto 1974, S. 449-465. 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