ROHSTOFFE Sterilisieren und Vernetzen zugleich Zwei Fliegen mit einer Klappe Werden Implantate und Prothesen zum Sterilisieren bestrahlt, verändern sich auf Grund der Vernetzung der Moleküle auch die Materialeigenschaften. Im Rahmen des EU-Projektes „Betaproth“ arbeiten acht mittelständische Unternehmen aus fünf Ländern an der Entwicklung eines hochverschleißfesten Kunststoffmaterials für Implantate, um die unerwünschten Eigenschaftsveränderungen zu minimieren. Eine Werkstoffpaarung, die sich seit über 40 Jahren bewährt hat: Edelstahl und ultrahochmolekulares Polyethylen. Anlass zur Sorge ist der Verschleiß der Gelenkkugel. Das EU-Projekt „Betaproth“ soll Wege aufzeigen, die Abriebfestigkeit der Oberfläche zu verbessern bei gleichzeitiger Erhaltung der ursprünglichen Werkstoffeigenschaften. (Bild: Lafitt S. A., Bilbao) 58 In dem Projekt, welches auf zwei Jahre angesetzt ist, arbeitet auch die deutsche BGS Beta-Gamma-Service GmbH, Wiehl, Spezialist für die Optimierung von Kunststoffmaterial durch Bestrahlung. Seit etwa 40 Jahren werden Prothesen meist in einer Werkstoffkombination aus Edelstahl und UHMW PE (ultrahochmolekulares Polyethylen) gefertigt. Während Stahl sehr langlebig ist, zeigt der Kunststoff noch immer einen unerwünscht hohen Verschleiß mit zwei Nebenwirkungen: erstens bekommt die Prothese immer mehr Spiel und zweitens lagert sich Kunststoffabrieb im Körpergewebe an. Der Verschleiß macht in manchen Fällen eine zweite Operation mit allen Kosten und Nebenwirkungen zum Implantieren einer neuen Prothese notwendig. Die Wirkung der Ablagerung von Kunststoffpartikeln im Körpergewebe ist gesundheitsschädlich und in ihren Konsequenzen noch nicht abschließend untersucht. Beide Effekte sind sehr unerwünscht und auf Dauer auch nicht tolerierbar. Eine Lösung des Problems zeichnete sich ab, seit Implantate und Prothesen zum Sterilisieren bestrahlt werden, ein Verfahren, das erst seit ungefähr 1995 angewendet wird. Schon bald entdeckten die Fachleute einen interessanten Nebeneffekt dieser Bestrahlung: die Energie der Strahlung setzt im Kunststoff Radikale frei, die die Moleküle veranlassen, sich zu vernetzen. Die Folge ist, dass der Kunststoff seine Materialeigenschaften verändert. Sehr erwünscht ist dabei die erhöhte Abriebfestigkeit, unerwünscht hingegen sind die Verschlechterung anderer Materialeigenschaften wie Elastizitätsmodul, Streckgrenze, Bruchfestigkeit und Härte. Beide Effekte sind stark abhängig von der Intensität der Bestrahlung und leider gegenläufig. Eine Erhöhung der Dosis verbessert die Abriebeigenschaf- PLASTVERARBEITER 56. Jahrg. (2005) Nr. 1 ten, verschlechtert aber gleichzeitig die Festigkeitseigenschaften des Kunststoffs. Einen Ausweg finden dadurch sehr abriebfest wird. Das Material darunter behält seine ursprünglichen Eigenschaften bei. Dass wir mit der Vernetzung der Kunststoffteile auch gleichzeitig ihre Sterilisation errei- chen, ist ein angenehmer Nebeneffekt, den wir auch heute schon nutzen.“ Zahlreiche Kunststoff-Verarbeiter optimieren zusammen mit dem Spezialisten aus Wiehl die Werkstoff- eigenschaften ihrer Erzeugnisse. Besonderes Augenmerk liegt neben der Bestrahlung auf flexiblen Dienstleistungskonzepten rund um die Logistik der bestrahlten Teile. Be Veranlassung für die EU, dieses Gebiet mit Forschungsgeldern zu fördern, ist das Dilemma, dass derzeit weltweit kein Verfahren existiert, welches gleichzeitig die Oberflächeneigenschaften verbessert, dabei aber die sonstigen Materialeigenschaften belässt. BGS wurde als Partner in das Projekt berufen, weil das Unternehmen nicht nur über eine enorme Expertise in der Optimierung von Kunststoffen besitzt, sondern auch sehr erfahren im Umgang mit den unterschiedlichen Strahlenquellen ist. Die EU strebt im Zuge dieses Projektes auch die Ablösung der Bestrahlung mit Gammastrahlen durch Elektronenstrahlen (Beta-Strahlen) an. BGS betreibt an drei Standorten in Deutschland Bestrahlungsanlagen sowohl mit Elektronenstrahlen als auch Gammastrahlung aus einer Kobalt-60 Quelle. Es zeichnen sich bereits Wege zur Lösung des technischen Dilemmas ab. Dipl.Ing. Joachim Gehring ist Leiter der Anwendungstechnik bei BGS, er sieht die ProjektZiele als echte Herausforderung für sein Unternehmen: „Was wir versuchen, ist so etwas wie die Quadratur des Kreises. Ich bin aber überzeugt, dass wir vor dem Hintergrund unserer Projekterfahrung mit KunststoffHerstellern eine Lösung finden. Bei Elektronenstrahlen kann im Gegensatz zu den Gammastrahlen die Eindringtiefe präzise gesteuert werden. Es liegt also nahe, im Falle der Prothesen nur die Oberfläche mit einer geringen Eindringtiefe der Bestrahlung auszusetzen, die PLASTVERARBEITER 56. Jahrg. (2005) Nr. 1 59