Schlothfeldt: Schritte, Stimmen, Türenknarren

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Praxis
Schritte, Stimmen,
Türenknarren
Komponieren im Instrumentalunterricht
Matthias Schlothfeldt
Komponieren macht Kindern und Jugendlichen Spaß und ist aus musikpädagogischer Perspektive sinnvoll. Die damit verbundenen Chancen können auch
im Instrumentalunterricht genutzt werden. Als Einstieg wird hier eine Übung
vorgeschlagen.
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üben&musizieren 5 10
Ist schon mal eine Schülerin oder ein Schüler
in Ihren Unterricht gekommen mit dem Wunsch
zu komponieren? Hat sie oder er vielleicht
den Beginn eines Instrumentalstücks mitgebracht? Einen melodischen Einfall, ein Textfragment – für einen Popsong vielleicht? Und
wurde das Vorhaben im Rahmen Ihres Unterrichts weitergeführt?1 Das wäre ernsthaft zu
überlegen, weil man sonst Gefahr läuft,
gleich eine ganze Reihe an Chancen zu verpassen. Denn Komponieren kann das Verständnis unterschiedlicher Musik in hohem
Maße fördern und das Interesse an anderer
Musik, die Neugierde darauf wecken.
Die mögliche Bandbreite des Erfindens von
Musik ist auch im Instrumentalunterricht unüberschaubar, nicht nur in stilistischer Hinsicht. Improvisation und Komposition können an Werke angebunden werden, die gerade Gegenstand des Unterrichts sind – sei es
als Fortsetzung eines Motivs, sei es als umfangreichere Stilübung, sei es gar als Verfassen einer Kadenz für ein Instrumentalkonzert. Man kann von stärker improvisatorischen Übungen ausgehen und zunehmend
zum Komponieren übergehen, indem die erfundene Musik erinnert und abgerufen, immer stärker festgelegt und notiert wird. Weil
beim Komponieren einmal gefällte Entscheidungen überdacht und verändert werden
können,2 schließt das Komponieren ein hohes Maß an Reflexion ein und ist im Unterricht dem Improvisieren gegenüber oft zu bevorzugen.
Die folgende Übung3 ist als Einstieg ins Komponieren gedacht – für Schülerinnen und
Schüler ebenso wie für Lehrerinnen und Lehrer. Sie sollten die Übung unbedingt mitmachen, vielleicht sogar vorher schon einmal
zuhause ausprobieren. Ein Vorteil der Übung
ist, dass sie mit allen Instrumenten (auch mit
Gesang bzw. der Stimme) und sowohl im Einzel- als auch im Gruppenunterricht durchgeführt werden kann, ja mit Schülerinnen und
Schülern fast jeden Alters. Sie kann nicht nur
der jeweiligen Unterrichtssituation angepasst, sondern auch mit ohnehin anstehenden Lerninhalten verbunden werden.
EINE ÜBUNG
Benötigt werden Papier, Stift und eine geräuschlose Uhr mit Sekundenanzeige. Auf
das Papier werden eine senkrechte Koordinate gezeichnet und eine waagerechte, die für
den Zeitverlauf steht und vorher bereits mit
Sekundenangaben versehen werden kann
(siehe Abbildung).
1. Eine Minute hören und notieren
60 Sekunden lang wird den Klängen gelauscht, die einen umgeben. Die wahrgenommenen Klänge werden auf dem Papier eingetragen. Vor dem Hören muss entschieden
werden, ob das Wahrgenommene während
des Hörens oder anschließend aus der Erinnerung aufgeschrieben wird. Letzteres ist erheblich schwieriger.
Die Anordnung der nun entstehenden Partitur wird an der senkrechten Koordinate vorgenommen. Wie bei konventionellen Partituren kann die Anordnung der auftretenden
Klänge von hoch nach tief bzw. von hell nach
dunkel erfolgen oder nach der Richtung, aus
der die Klänge kamen. Wenn beides nicht
sehr signifikant ist, können die Klänge in der
zeitlichen Reihenfolge, in der sie aufgetreten
sind, von unten nach oben an der senkrechten Koordinate angeordnet werden. (In der
abgebildeten Partitur erfolgt der Einsatz der
Klänge dementsprechend von links unten
nach rechts oben.) Dadurch, dass die Urheber oder kurze Charakterisierungen der verschiedenen Klänge vor die senkrechte Koordinate gesetzt werden, entsteht bereits eine
Anordnung in Stimmen.
Die Notation der Klänge sollte vorher an wenigen Beispielen besprochen und geübt werden. Sie kann und wird sicher Konventionen
musikalischer Notation aufnehmen. Vor allem
ist darauf zu achten, dass das Notationsniveau einheitlich ist, also z. B. nicht bei einem
Ereignis eine Lautstärkeanweisung zu finden
ist, bei einem anderen aber nicht. Für die verschiedenen Klänge und ihre Eigenschaften,
die benannt werden sollten, werden verschiedene Symbole gewählt oder erfunden.
Partitur nach 60 Sekunden hören
In unserer Partitur sind für geräuschhaftere
Klänge Kreuze, Quadrate und Dreiecke als
Notenköpfe gewählt worden. Die Länge der
Klangereignisse ist in der Abbildung anhand
der verschiedenen Fähnchen und Artikulationszeichen sowie im Fall des Liegetons
(Heizung) anhand des Längsstrichs erkennbar. Außerdem bieten sich leere und ausgefüllte Notenköpfe zur Unterscheidung von
Klangdauern an. Einige Ereignisse wurden
auch in der Notation durch Balken zu Gruppen zusammengefasst, die rhythmisch periodisch (Schritte) oder aperiodisch sind (weit
entfernte, aber laute Stimmen).
Auch dynamische Anweisungen können jetzt
bereits notiert werden. Um das Wahrgenommene hinsichtlich der Lautstärke angemessen zu notieren, genügt in der Regel p für leise
und f für laut, eventuell pp und ff für noch leiser bzw. lauter und Crescendo- und Decrescendo-Gabeln für lauter bzw. leiser werden.
(Natürlich kann noch weiter differenziert
werden. In unserer Partitur ist sogar jede
Stimme durch eine eigene Lautstärkeangabe
gekennzeichnet.)
2. Instrumentieren
In der ersten Partitur wurden Umweltklänge
notiert. Sie bildet die Grundlage für das Musikstück, das nun entstehen soll. In der vorliegenden Form ist die Partitur kaum aufführbar. Sie wird nun uminstrumentiert, und zwar
möglichst für das eigene Instrument. Gegebenenfalls kann auch an einem Stück für mehrere Instrumente und/oder Stimmen (das ist
vor allem im Gruppenunterricht denkbar)
oder für Geräte gearbeitet werden, die einen
umgeben bzw. die sich im Unterrichtsraum
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befinden. Wenn für mehrere Instrumente geschrieben werden soll, kann die Anordnung
der Klänge in Stimmen aus der ersten Partitur übernommen werden. Es sollte aber die
Verteilung auf die Ausführenden berücksichtigt werden. In jedem Fall, also auch bei dem
vorgeschlagenen instrumentalen Solostück,
müssen nun die Klänge, die die ursprünglich
wahrgenommenen ersetzen sollen, gesucht
und ausprobiert werden.
3. Gestalten bilden
Bei der Arbeit an der zweiten Partitur sollen
musikalische Gestalten gebildet werden. Deren Charakter soll sich wieder möglichst genau in der Notation ausdrücken. Notationsversuche sollten auf einem weiteren Blatt geübt werden. Nehmen wir als Beispiel die
Schritte in der Abbildung und fragen nach
möglichen Umsetzungen für ein Streichinstrument: Soll es sich um zwei Töne handeln,
die alternierend und extrem kurz gespielt
werden? Oder werden sie gezupft? Oder wird
an zwei verschiedenen Stellen des Instruments geklopft?
4. Form
Die erheblich differenzierter notierten Gestalten werden nun in der zweiten Partitur
neu angeordnet. Es soll eine sinnvoll erscheinende, wahrnehmbare Gliederung bzw. ein
erkennbarer Verlauf entstehen. (Ob es bei einer Minute Dauer bleibt oder das Stück erheblich länger oder kürzer wird, kann später
ebenfalls überlegt werden.) Zum Formen
sind einige Hinweise nötig. Hier können folgende Fragen gestellt werden:
Welche Gestalten sollen vorkommen? Das
Material der Komposition sollte begrenzt
sein. Vielleicht kann das Repertoire an Gestalten noch weiter reduziert werden.
Wie soll das Stück anfangen? Welchen Verlauf soll es nehmen? Wie soll es enden? Außerdem kann überlegt werden, ob es eine
Entwicklung geben soll und an welcher Stelle diese ihr Ziel oder ihren Höhepunkt hat.
Sollen Gestalten wiederholt werden? Wo
und wie oft? Vielleicht können signalartige
Gestalten an Stellen gesetzt werden, an denen sie die Teile markieren, aus denen die
Form besteht.
Bei der Abfolge der Gestalten sollte beachtet
werden, wie sie aufeinander folgen. Zwischen ihnen kann eine Pause gesetzt sein.
Sie können unmittelbar aneinander anschließen. Sie können überlappen oder überblen-
det werden, indem ein Ereignis ausgeblendet
und das folgende eingeblendet wird. Wenn ein
Ereignis auf ein anderes reagiert, bietet es sich
an, das mit Hilfe von Pfeilen darzustellen.
Im Fall unseres geplanten Stücks für Streichinstrument stellt sich die Frage, ob es eines
weiteren Instruments (oder der Stimme) zur
Wiedergabe des Orgelpunkts (Heizung) bedarf oder ob z. B. ein Liegeton durch andere
Ereignisse unterbrochen wird.
5. Analysieren
Um sich Rechenschaft über das Komponierte
abzulegen und es so einer drohenden Unverbindlichkeit zu entreißen, sollte man einige
Fragen an das Stück stellen: Wie viele Teile
hat das Stück? Wie viele verschiedene Elemente oder Gestalten gibt es? Wie oft treten
sie auf? Gibt es benennbare Beziehungen
zwischen den wiederkehrenden oder unterschiedlichen Gestalten, zwischen den Formteilen? Können die Beziehungen noch deutlicher hervortreten? Damit sind nur einige
Hinweise gegeben, weil die reflektierenden
Fragestellungen von der konkreten Partitur
abhängen. In der Regel drängen sich analytische Fragen aber förmlich auf.
Sollte im Fall unseres Stücks für Streichinstrument aus dem Pfeifen der Heizung ein hoher Liegeton geworden sein und die Schritte
mit gezupften Tönen umgesetzt werden,
stellt sich die Frage, wie sich die Töne zueinander verhalten. Bietet sich ein Weg an, die
Tonhöhen zu organisieren? Zeichnet sich gar
eine Art Systematik ab? Anschließend an die
Analyse kann die Partitur einer weiteren
Überarbeitung unterzogen werden.
6. Aufführen
Zum Schluss sollte das Ergebnis uraufgeführt werden. (Zur Koordination sind gegebenenfalls eine Uhr oder ein Dirigent hilfreich.
Zu überlegen wäre auch, ob die Aufführung
aufgenommen und noch einmal angehört
werden soll.) Vielleicht geschieht dies zunächst im Rahmen des Unterrichts. Es sollte
aber auch über eine öffentliche Aufführung
z. B. im Rahmen eines Schülervorspiels nachgedacht werden. Dann kann das Stück auch
von jemand anderem als der Komponistin
bzw. dem Komponisten gespielt werden. Mit
dem Proben sind nämlich oft bemerkenswerte Lerneffekte verbunden.4 Beim Einstudieren der Partitur wird sich herausstellen, wie
präzise die Notation ist und ob die Komposition überhaupt aufführbar ist.
SINN DER ÜBUNG
Die unerschöpfflichen Qvellen der
Erfindungen trifft man allenthalben in einem
ieden, auch in dem geringsten Dinge an,
und sind gar nicht zu zehlen;
wiewol doch bald gemercket wird,
ob einer ihr achtet, sie suchet und findet.
(Johann Mattheson)5
Dadurch, dass in der Übung Alltagsklänge in
Instrumentalklänge transformiert werden, ist
vielleicht der Eindruck entstanden, dass sie
als Einführung in neue Musik konzipiert ist.
So kann sie, muss sie aber nicht zwangsläufig verwendet werden. Die erste Partitur, die
entsteht, ist (wie jede Notation von Klang) eine Grafik. Sie kann (wie jede Grafik) auf vielfältige Weise interpretiert werden: als Entwurf eines kurzen Orchestersatzes, als Verlauf einer abendfüllenden Techno-Darbietung – oder eben als instrumentales Solostück. Dieses Stück kann durchaus tonal
sein, es könnte sich um einen traditionellen
Klaviersatz handeln oder einfach um eine
Melodie. Im Gegensatz zu jeder anderen Grafik, die hätte hinzugezogen werden können,
ist diese mit klanglichen Erfahrungen gefüllt
bzw. mit musikalischen Vorstellungen behaftet. Bei der weiteren Arbeit ist die Entfernung
von den ursprünglich gehörten Klängen und
deren Verlauf geradezu ein kompositorischer
Parameter. (Werden z. B. die Schritte möglichst klanggetreu imitiert oder entsteht daraus eine Trillerfigur?)
Von einigen Schülerinnen und Schülern, mit
denen ich diese Übung gemeinsam durchgeführt habe, erfuhr ich, dass sie noch Tage danach Umweltklänge anders, bewusster wahrgenommen haben als vorher.6 Das ist mit der
Übung zwar auch intendiert, steht aber nicht
im Vordergrund. Sie ist zum Verfolgen verschiedener Lernziele geeignet und bietet die
Möglichkeit, sich mit wichtigen Aspekten
nicht nur neuerer Kompositionsweisen, sondern von Musik überhaupt zu beschäftigen,
nämlich mit
Eigenschaften von Klang,
unterschiedlichen Spieltechniken,
Notationsformen,
unterschiedlichen Formen von Zeitgestaltung,
dem Gebrauch musikalischer Mittel, deren
Funktion im musikalischen Kontext und daraus
möglicherweise resultierenden Bedeutungen
bzw. möglichen Bedeutungszuweisungen,
Komponieren als „Folge revidierbarer Einzelentscheidungen“ und deren Tragweite.
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Im günstigen Fall wird der Horizont hinsichtlich dessen erweitert, was als Musik ästhetische Geltung erlangen kann. Es bieten sich
sicher Anschlussmöglichkeiten zu anderer
Musik, die bereits Gegenstand des Unterrichts ist oder werden kann.
In der Übung sind viele Bereiche musikpädagogischer Unterrichtsfächer und -methoden
vereint: Die Wahrnehmung von Klängen und
ihren Eigenschaften als Einstieg ist dem Bereich der Gehörbildung zuzuordnen. Wenn
die Notation der Klänge im Anschluss an das
Hören erfolgt, wird außerdem das Erinnern
von Klang geübt. Dem Einstieg folgt eine Einführung in die Notenschrift, sogar in das Lesen von Partituren. Dabei kann von der bekannten, konventionellen musikalischen Notation ausgegangen werden, um zur Notation
von Ungewöhnlichem vorzudringen. Oder es
werden gerade umgekehrt geeignete Notationsformen für die gehörten Klänge gesucht, mit deren Hilfe die konventionelle Notation erläutert wird.
Mit der Beantwortung der Frage, wie sich die
zu bildenden Gestalten und wie sich Einzelelemente und Ganzes zueinander verhalten,
wird auf elementare Weise Formenlehre betrieben. An diesem Punkt setzt die kompositorische Tätigkeit im engeren Sinne ein: In eigenverantwortlichem Handeln soll eine musikalische Form gebildet werden. Hier werden
auch diverse – je nach der weiteren Entwicklung verschiedene – Aspekte musikalischer
Satzlehre gestreift. Mit der anschließenden
Analyse soll sich die Schülerin oder der
Schüler Rechenschaft ablegen über die bisherigen Arbeitsschritte und deren Ergebnisse. Die Komposition soll auf diese Weise an
Verbindlichkeit gewinnen und das mehrfache
Überarbeiten kann sich zugunsten ihrer ästhetischen Geltung auswirken.7
Es ist kein Zufall, dass die genannten Lerninhalte, Methoden und Disziplinen der Musiktheorie zuzurechnen sind. Dass musiktheoretische Inhalte Gegenstand des Instrumentalunterrichts sind, ist nicht nur unvermeidbar, sondern sehr zu wünschen, um das
Musikverständnis der Schülerinnen und
Schüler zu fördern. Allerdings ist es keineswegs selbstverständlich, dass musiktheoretische Inhalte als solche erkannt und mit geeigneten Methoden (einschließlich Improvisation und Komposition) unterrichtet werden.8
Um Studierende auf solch eine Unterrichtspraxis vorzubereiten, besteht im Studium der
Instrumentalpädagogik an der Folkwang Universität der Künste in Essen das Unterrichts-
angebot in Didaktik der Musiktheorie. Dort
werden auch Instrumentalschulen auf musiktheoretische Inhalte und entsprechende Unterrichtsvorschläge durchgesehen – aus musiktheoretischer bzw. theoriedidaktischer
Perspektive meist mit ernüchterndem Ergebnis. Und es wird erörtert, zu welchem Zeitpunkt welche musiktheoretischen Inhalte auf
welche Weise unterrichtet werden können
und sollten und welche Rolle Improvisieren
und Komponieren dabei spielen können.
Sicher kann von der hier vorgestellten Übung
aus das Komponieren im Instrumentalunterricht eine Fortsetzung finden. Hier stand keine kompositorische Intention am Beginn des
Arbeitsprozesses, sondern sie entstand im
Verlauf der Arbeit. Vielleicht wird als nächstes Musik nach einem Bild oder nach bzw. zu
einem Gedicht oder einem anderen Text erfunden? Im günstigen Fall kommt die Schülerin oder der Schüler nun mit einer eigenen
Idee (oder gar mit einer eigenen Vorstellung
von Komponieren) in den Unterricht.
6 Dann sind durch die Übung Alltagserfahrungen in ästhetische Erfahrungen transformiert, um nicht zu sagen:
überhöht worden.
7 Wenn die Übung im Gruppenunterricht durchgeführt
wird, ist die Verschiedenheit der Ergebnisse, die aus der
„gleichen gehörten Minute“ entwickelt werden, geradezu ein Kriterium für das Gelingen der kompositorischen
Arbeit.
8 Der Unterricht in Musiktheorie (auch in Improvisation
und Komposition) würde durch einen solchen Instrumentalunterricht keineswegs überflüssig. Der Theorielehrer würde dann schlicht die Instrumentallehrerin darin unterstützen (können), das Musikverständnis der
Schülerinnen und Schüler aus anderer Perspektive zu
fördern.
i
Buchtipp
Matthias Schlothfeldt: Komponieren
im Unterricht, Olms, Hildesheim 2009,
334 Seiten, 29,80 Euro
1 Im Fall des Schülers, der einen Popsong schreiben
will, dürfte schon das Erfinden und Notieren einer Melodie, die Suche nach geeigneten Akkorden etc. mit
beachtlichen Lernerfolgen verbunden sein. Dass dieser
Schüler bereits ein Kompositionsvorhaben mitbringt,
von dem er sich, wenn sein Unterricht das zulässt, sicher nicht so leicht abbringen lassen wird, ist geradezu
ein Idealfall! Zur Unterscheidung von Gestaltungsaufgaben und Kompositionsvorhaben siehe Matthias Schlothfeldt: Komponieren im Unterricht, Hildesheim 2009,
S. 110 ff. In diesem Buch wird Komponieren im Rahmen
des Musikunterrichts an Schulen thematisiert. Es ist
hauptsächlich an Lehrerinnen und Lehrer an Schulen
und Hochschulen gerichtet. Allerdings sind darin noch
weitere Vorschläge und Tipps zu finden, die sich zumindest auf den Instrumental- und Gesangsunterricht übertragen lassen.
2 Deshalb spreche ich im Vergleich zur Improvisation
gelegentlich vom Komponieren als „planbarer Folge
revidierbarer Einzelentscheidungen“.
3 Es sei nicht verschwiegen, dass es ähnliche Übungen
bereits gibt. Das hat seinen Grund vermutlich darin,
dass die Vorgehensweise (Hören und Notieren von Alltagsgeräuschen, eine Minute Dauer etc.) einfach nahe
liegt. Vergleichbare Übungen haben György Ligeti und
Helmut Lachenmann im Kompositionsunterricht durchgeführt. Vgl. auch die äußerlich ähnlichen, aber mit anderen Zielsetzungen verbundenen Übungen in Diether
de la Motte: Wege zum Komponieren, Kassel 1996/
42004, S. 10 ff.; in Ortwin Nimczik/Wolfgang Rüdiger:
Instrumentales Ensemblespiel, Regensburg 1997, S. 19 f.
und in Brigitte Bryner-Kronjäger: Querfeldein, Frankfurt
am Main 2001, S. 90. Die hier erläuterte Übung wurde
zuerst vorgeschlagen in Matthias Schlothfeldt: „Musik
schreiben“, in: Klangform-Briefe Nr. 7, Köln 2003, S. 1730. Die von mir mit gegründete und herausgegebene
Zeitschrift richtete sich hauptsächlich an musikalische
Laien; entsprechend einfach war die Übung gehalten.
Sie war außerdem Ausgangspunkt eines Kompositionsprojekts in der Schule, das vorgestellt wird in Schlothfeldt, Komponieren im Unterricht, S. 45 ff.
4 Überhaupt werden die Chancen unterschätzt, die darin liegen, dass Schülerinnen und Schüler für andere
komponieren.
5 Der vollkommene Capellmeister, II. Theil, Viertes Capitel, §. 11 (1739).
Matthias Schlothfeldt
ist Komponist, Gitarrist und Professor für
Musiktheorie mit den Schwerpunkten Didaktik, Improvisation und Zeitgenössische
Musik an der Folkwang Universität der
Künste in Essen. Im Rahmen dieser Tätigkeit führt er gemeinsam mit Studierenden
Kompositionsprojekte an Schulen durch.
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