Reinhard Keiser (1674-1739) Der angenehme Betrug oder Der

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Höfische Eleganz, nahezu folkloristische Bodenständigkeit und eine gute Portion kompositorischer Vision
und Finesse geben sich ein Stelldichein, und das L’Orfeo Barockorchester unter der kenntnisreichen
Leitung von Michi Gaigg beleutet alle diese Facetten mit gleicher Intensität.
(Fono Forum, Arnd Richter, Juli 2011)
Reinhard Keiser (1674-1739)
Der angenehme Betrug
oder Der Carneval von Venedig
Barockes Singspiel in drei Akten in deutscher und italienischer Sprache
nach dem opéra-ballet Le carnaval de Venise
von André Campra und Jean-François Regnard
Libretto von Meister und Mauritz Cuno
(UA: Hamburg, Theater am Gänsemarkt,1707)
rekonstruierte Fassung auf Basis einer 1992 aus St. Petersburg zurückgekehrten Hamburger
Sammelhandschrift, unter Verwendung der Kleinen theatralischen Music von Reinhard Keiser
Rollen und Vorschläge ihrer Besetzung:
Ein verkleidete Princeßin aus Teutschland, unter dem Nahmen Celinde
Ein Teutscher Printz, unter dem Nahmen Myrtenio
Christiane Karg, Sopran
N.N., Tenor
Edle Venetianerinnen:
Leonore
Isabella
Kirsten Blaise, Sopran
N.N., Sopran
Venetianische Edelleute:
Leander
Rudolffo
Brillo, ein lustiger Sachse*
Trintje, ein Dienstmädchen**
Stefan Zenkl, Bariton
N.N., Bariton
N.N., Tenor
Magdalene Harer, Sopran
* Kann (im Falle einer konzertanten Aufführung) vom Sänger des Myrtenio mit übernommen werden.
** Singt in plattdeutscher Sprache.
Thomas Höft
Regie
L’Orfeo Barockorchester
Orchesterbesetzung:
2 Oboen/Blockflöten, Fagott, Streicher (43211), Laute, Cembalo, Perkussion (= 17)
Michi Gaigg
Musikalische Leitung
Vorbericht. [aus dem Libretto von 1707]
Dem Verlangen derjenigen, welche dieses Sujet schon vor etlichen Jahren vorgeschlagen zu
favorisiren, hat man sich endlich, um eine Veränderung zu machen, darzu überreden lassen.
Unterschiedliches ist aus den Frantzöschen, und andern Authoren genommen und vor hiesigen
Zustand accomodiret. Was den Intriguen mangelt, ersetzen die vielen Plaisanterien, und Täntze.
Daß man im Redouten-Saal a l'Ombre spielet, und tantzet, ist eine Theatralische Freyheit, um alles
desto angenehmer zu machen. [...] Wird dieses Stück gefallen, so ist der Zweck darmit ereichet,
daß man die Mühe und Unkosten nicht umsonst gethan. Was die Music betrifft, mögen die Kenner
rathen, welche von dem Herrn Capell=Meister Keiser sey [...]
Zu Werk und Handlung
Reinhard Keisers Oper Der angenehme Betrug oder Der Carneval von Venedig, ein Singspiel das auf
dem von André Campra vertonten Libretto Las carneval de Venise von Jean-François Regnard beruht
– die Uraufführung der Campra-Oper fand am 20. Januar 1699 in Paris statt – darf mit seinem über
drei Jahrzehnte anhaltenden Erfolg an der Hamburger Oper am Gänsemarkt, dem ersten und
wichtigsten bürgerlich-städtischen Theater im deutschen Sprachraum, als ein Meilenstein in der
Frühgeschichte der deutschen Oper bewertet werden.
Das Werk, dessen Handlung sich vor der Kulisse der Lagunenstadt den Liebesintrigen der galanten
Welt wie des Milieus der einfachen Leute in heimischer, in diesem Fall also u.a. in plattdeutscher(!)
Mundart annimmt, hatte dem Bericht mehrerer Augenzeugen zufolge bald „eine so allgemeine
Approbation und Zulauff“ erfahren, die alles, was man bis dato an der Gänsemarktoper erleben
konnte in den Schatten stellte:
Leander, ein venezianischer Edelmann, wird während des Carnevals seiner Braut Leonore untreu. Er
verliebt sich in Isabella, die Geliebte Rudolffos. Isabella verhält sich ihm gegenüber keineswegs
ablehnend, was letzteren natürlich in größten Zorn versetzt. Um Isabella von Leander abzubringen,
erzählt Rudolffo ihr, er habe diesen im Duell getötet. Isabella ist hierüber so verzweifelt, dass sie
sich das Leben zu nehmen versucht, was Rudolffo aber im letzten Moment zu verhindern weiß. Indes
überbringt Leonore dem Leander die falsche Nachricht vom Freitod Isabellens, worauf dieser
erschüttert in Leonorens Arme zurückkehrt. Wie groß ist da die Überraschung als sich die beiden
„wiedervereinten“ Paare inmitten des bunten Carnevalstreibens auf einmal über den Weg laufen...
Während unsere jungen VenezianerInnen alle emotionalen Höhen und Tiefen ihrer von Liebe,
Eifersucht und Hass geprägten Viererbeziehung durchleben, hat sich ein soeben eingetroffenes inkognito reisendes Prinzenpaar von (sehr weit) nördlich der Alpen mit Problemen (gar nicht so) anderer
Natur auseinanderzusetzen: Sich von ihrem gemeinsamen Aufenthalt eine Vertiefung ihrer gegenseitigen Zuneigung versprechend, muss Myrtenio zu seinem Leidwesen feststellen, dass die von ihm
angehimmelte Celinde - nachdem sie das Ziel ihrer Träume erreicht haben - nurmehr nach Möglichkeiten der eigenen Zerstreuung sucht und auf einmal so gar nichts mehr von der Liebe wissen will.
Die Mehrzahl der aus dem Carneval von Venedig erhaltenen Arien – der Verlust von sieben von
insgesamt 44 Nummern erfüllt hier zugleich den Sinn und Zweck einer Strichfassung – zeigt einen
weitgehend an der italienischen wie französischen Oper angelehnten Gesangsstil, wobei Keisers
Musik gerade im Vergleich zu Campra ein deutliches Mehr an Dramatik und Virtuosität, sowie in den
beiden an die Rhythmik der venezianischen Villotta angelehnten Mundart-Arien (denen Celinde
spannenderweise mit einer Aria en Menuet gegenübertritt) ein ausgesprochenes singspielhaftes
Element zutage führt.
Während die ebenfalls verlorengegangene Ouvertüre samt Zwischenaktmusiken ihren Ersatz in der
Kleinen theatralischen Music Reinhard Keisers, einer für den Herzog von Württemberg
zusammengestellten Sammlung von Bühnenmusik Ersatz finden, wird die Musik der in die Handlung
eingestreuten Tanzeinlagen - wie es (siehe Vorbericht) möglicherweise schon am Gänsemarkt der
Fall war - direkt von Campra übernommen werden.
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