Publiziert in Neue Zürcher Zeitung, 8.10.1996 Haftungsfragen bei der kommerziellen Nutzung des Internet Ein Überblick zu den für Unternehmen mit der Internetnutzung verbundenen Risiken Ursula Widmer Die kommerzielle Nutzung des Internet ist für Unternehmen mit zahlreichen neuen Risiken verbunden, für die zur Zeit noch unklar ist, wer für die daraus resultierenden Schäden die Verantwortung zu tragen hat. Es ist daher nach Möglichkeit durch entsprechende vertragliche Regelungen eine Zuweisung der Verantwortlichkeiten und dadurch eine Minimierung von Risikopotentialen vorzunehmen. Das schnelle Wachstum des Internet ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, dass mit dem World Wide Web eine benutzerfreundliche und attraktive Möglichkeit für Unternehmen besteht, Werbung zu betreiben und Waren, Dienstleistungen und Informationen weltweit rasch und kostengünstig anzubieten. Es ist damit zu rechnen, dass in absehbarer Zeit das Internet für volkswirtschaftlich massgebliche Branchen, wie etwa den Finanzsektor, wegen der zu realisierenden Kostenersparnisse ein ganz wesentlicher Faktor zur Abwicklung der Geschäftstätigkeit darstellen wird. Grosses Schadenspotential Mit der kommerziellen Nutzung des Internet sind aber auch vielfältige Haftungsrisiken verbunden, für welche zur Zeit noch nicht eindeutig geklärt ist, wer diese unter welchen Voraussetzungen zu tragen hat. Entsprechende Beispiele sind zahlreich. So war kürzlich der Netzzugang für sämtliche Kunden von American Online, einem der grössten OnlineDienste, während 24 Stunden wegen eines Fehlers anlässlich des Wechsels der Betriebssystemsoftware, blockiert. Eine Tochtergesellschaft von BMW, das Softwarehaus Softlab, erhielt nach dem Wechsel ihres Internet Access Providers ihre E-mails lediglich bruchstückhaft. Was mit den nicht empfangenen Teilen der E-mails geschah, konnte nicht mehr festgestellt werden. Die Grösse des Schadenspotentials aus solchen Ereignissen lässt sich höchstens noch erahnen. Unternehmen erleiden Ertragsausfälle, wichtige Verträge können nicht oder nicht zeitgerecht abgeschlossen werden, Geschäftsgeheimnisse werden für Dritte bekannt, elektronische Zahlungsanweisungen oder -transfers werden umgeleitet. Mit der zu erwartenden Verbreitung von digitalem Geld stellt sich weiter die Frage, wer denn den aus einem allfälligen Verlust der Geld repräsentierenden e-cash-Dateien während der verschiedenen Übertragungsvorgänge im Rahmen des Zahlungskreislaufes resultierenden Schaden zu tragen hat. Notwendigkeit vertraglicher Haftungsregelungen Anders als z.B. im Transportwesen, wo im Laufe der Zeit eine verlässliche Haftungsordnung, basierend auf gesetzlichen Regelungen, nationalen und internationalen Standards (z.B. den sogenannten Incoterms der Internationalen Handelskammer), der Praxis der Gerichte und einer eingespielten Vertragspraxis zwischen den Beteiligten Dr. Widmer & Partner, Rechtsanwälte - Schosshaldenstrasse 32 - CH- 3000 Bern 31 Telefon: +41 31 351 66 33 - Fax: +41 31 351 66 50 E- Mail: lawyers@widmerpartners- lawyers.ch Internet: www.widmerpartners- lawyers.ch Seite 2 entstanden ist, bestehen für das Internet noch keine verlässlichen Grundsätze in Haftungsfragen. Es ist im übrigen davon auszugehen, dass aufgrund der rasanten technischen Entwicklung derartige Grundsätze sich nur schwer werden herausbilden können. Um so wichtiger ist es daher, dass in den Verträgen zwischen den am über das Internet abgewickelten Geschäftsverkehr Beteiligten möglichst klare Vereinbarungen getroffen werden. Haftungsrisiken von Providern Provider verschaffen ihren Kunden den Zugang zum Internet, bieten aber auch weitere damit im Zusammenhang stehende, ergänzende Dienstleistungen an. Dazu gehören etwa die Einrichtung von Websites auf dem Webserver des Providers, die Entgegennahme und Zwischenspeicherung von E-Mails bis zu deren Abruf durch den Kunden oder die Vermietung von Raum und Anschlussmöglichkeiten (Telehousing) für eigene InternetRechner von Kunden. In Verträgen mit Providern sind aus haftungsrechtlicher Sicht unter anderem die Verfügbarkeit des permanenten Zugangs zum Internet, Kapazität und Leistungsverhalten der technischen Infrastruktur des Providers zwecks einwandfreier Abwicklung des Datenverkehrs seiner Kunden, Schutz von Daten vor unbefugten Zugriffen, vor Viren und Verlust sowie die Vertraulichkeit der beim Provider gespeicherten E-Mails und anderer Informationen zu regeln. Vom Provider ist aus Kundensicht zu verlangen, dass er die notwendigen organisatorischen und technischen Massnahmen trifft, um diese Risiken in tragbarem Rahmen zu halten und allenfalls festgestellte, vorgängig nicht erkannte Schwachstellen behebt. Der Provider ist auch dazu zu verpflichten, seine Anlagen raschmöglichst dem technischen Fortschritt (etwa neuen Sicherheitsstandards) anzupassen. Besondere Probleme können sich dadurch ergeben, dass nicht jeder Provider selber einen Zugang zum Internet hat, sondern lediglich als Sub-Provider eines anderen Providers fungiert. Hier gab es bereits Fälle, in denen wegen rechtlicher Auseinandersetzungen ein Provider einem seiner Sub-Provider und damit für alle dessen Kunden den Zugang zum Internet gesperrt hat. Ein Sperren von Leistungen, wie es bei ausbleibender oder nicht korrekter Gegenleistung im allgemeinen Vertragsrecht vorgesehen ist und im Verhältnis zwischen lediglich zwei Parteien als angemessene Massnahme gelten kann, ist im Internet so nicht tolerierbar. Als eines der zentralen Infrastruktursysteme der Informationsgesellschaft kann es nicht angehen, dass die Kunden der Provider letztendlich den Schaden aus zwischen diesen bestehenden Konflikten zu tragen haben. Haftung von Anbietern im Internet Für Anbieter von Dienstleistungen und Produkten im Internet ergeben sich besondere Haftungsrisiken aus dem Umstand, dass die Angebote im Internet von Kunden weltweit wahrgenommen werden können. Die korrekte Vertragserfüllung setzt somit voraus, dass die angebotenen Leistungen den massgeblichen Vorschriften, z.B. des Konsumenten- oder Anlegerschutzes oder der Importregelungen, in allen Staaten mit Internetanschluss entsprechen. Dr. Widmer & Partner, Rechtsanwälte - Schosshaldenstrasse 32 - CH- 3000 Bern 31 Telefon: +41 31 351 66 33 - Fax: +41 31 351 66 50 E- Mail: lawyers@widmerpartners- lawyers.ch Internet: www.widmerpartners- lawyers.ch Seite 3 Da dies nicht realisierbar ist, hat ein Anbieter bei der Formulierung seines Angebotes (z.B. von Verschlüsselungssoftware) genau zu bezeichnen, für welche Staaten dieses Gültigkeit hat bzw. diejenigen Staaten ausschliessen, in welchen sein Angebot nicht gilt bzw. in welche er seine Produkte und Leistungen beispielsweise nicht exportieren darf. Besondere Risiken bestehen ferner, wenn über das Internet Beratungsleistungen oder Produkte wie z.B. Software angeboten werden, welche eine zusätzliche Kundeninformation erfordern. Hier ist sorgfältig darauf zu achten, dass die Voraussetzungen und Bedingungen, unter welchen die erteilten Ratschläge Gültigkeit haben bzw. das betreffende Produkt eingesetzt werden kann, für den Kunden vor Vertragsabschluss bereits klar erkennbar sind. Diese Problematik ist nicht neu und auch vom herkömmlichen Versandhandel zu bewältigen. Für Anbieter im Internet stellt sich jedoch die Situation wesentlich schwieriger dar: Zum einen sind für das Internet bzw. das World Wide Web adäquate Darstellungsmethoden, welche auch den rechtlichen Anforderungen genügen, erst noch zu entwickeln; so etwa für multimediale, interaktive Produktepräsentationen im Word Wide Web. Zum anderen muss ein Anbieter im Internet berücksichtigen, dass sein Kundenkreis zumindest potentiell ein weltweiter ist und damit die Informationsbedürfnisse der Kunden stark divergieren können. Wettbewerbsrechtliche Haftungsrisiken Es stellt sich die Frage, welches Recht von welchem Staat bei der Gestaltung von Werbung und Angeboten im Internet zu beachten ist. Nach dem auch in der Schweiz massgeblichen Auswirkungsprinzip ist das Verhalten im Wettbewerb nach dem Recht desjenigen Staates zu beurteilen, auf dessen Markt es sich auswirkt. Dies ist der Staat, in welchem sich die Kunden befinden, an welche sich das Angebot oder die Werbung richtet. Für einen Anbieter im Internet sind das zumindest potentiell alle Staaten mit Internetanschluss, da überall dort das Angebot oder die Werbung wahrgenommen werden kann. Die Konformität mit dem Wettbewerbsrecht aller Staaten ist jedoch nicht realisierbar, insbesondere wenn es sich um Leistungen handelt, für welche in gewissen Staaten Werbung nur unter bestimmten Restriktionen oder überhaupt nicht erlaubt ist. Nach dem Auswirkungsprinzip sind zwar marginale Märkte, für welche nach den Umständen davon auszugehen ist, dass sich ein bestimmtes Wettbewerbsverhalten nicht oder lediglich zufällig auswirkt, nicht beachtlich. Das gilt etwa für den sogenannten non-intentional spillover bei über Satellit abgestrahlten Werbesendungen, welche im Grenzgebiet von Staaten empfangen werden können, welche nicht zum eigentlichen Sendegebiet gehören. Für das Internet wird erst noch bestimmt werden müssen, was als spill-over gelten kann. Für gewisse Angebote ist es offensichtlich, dass sie nur regional oder sogar lokal beschränkt wettbewerbsrelevant sind. Eine Pizzeria in San Francisco, die im Internet für ofenfrische Pizzas wirbt, muss sich mit Sicherheit nur an das kalifornische Recht halten. Auch aus der Gestaltung eines Angebots oder einer Werbung, z.B. wenn diese nicht in der Internetsprache Englisch formuliert sind, sondern z.B. in Finnisch, oder aufgrund der Zahlungs- und Lieferbedingungen, kann sich ergeben, dass nur in einem geographisch beschränkten Markt wettbewerbsrelevante Auswirkungen vorliegen. Dr. Widmer & Partner, Rechtsanwälte - Schosshaldenstrasse 32 - CH- 3000 Bern 31 Telefon: +41 31 351 66 33 - Fax: +41 31 351 66 50 E- Mail: lawyers@widmerpartners- lawyers.ch Internet: www.widmerpartners- lawyers.ch Seite 4 Falls jedoch Unklarheit über die räumliche Beschränkung der Auswirkungen eines Angebotes besteht, sollte der Anbieter jeweils ausdrücklich eine Beschränkung auf diejenigen Staaten vornehmen, deren Wettbewerbsvorschriften es entspricht. Durch diese Massnahme und den ergänzenden Nachweis, dass nur Bestellungen von Kunden aus den im Angebot genannten Staaten ausgeführt werden, sollte sich eine mögliche wettbewerbsrechtliche Haftung in einem Land, in welchem der Anbieter geschäftlich gar sein will zu sein beabsichtigt, in der Regel vermeiden lassen. ______________ Dr. Ursula Widmer ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Dr. Widmer & Partner, Bern, und Lehrbeauftragte für Informatikrecht an der Universität Bern. Dr. Widmer & Partner, Rechtsanwälte - Schosshaldenstrasse 32 - CH- 3000 Bern 31 Telefon: +41 31 351 66 33 - Fax: +41 31 351 66 50 E- Mail: lawyers@widmerpartners- lawyers.ch Internet: www.widmerpartners- lawyers.ch