Dr - Helmut Petz

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RiBVerwG Helmut Petz
Sommersemester 2012
UMWELT- UND PLANUNGSRECHT
A.
GRUNDLAGEN DES UMWELTRECHTS
I.
EINFÜHRUNG
1.
Probleme des Umweltschutzes
Umweltschutz: "Schicksalsfrage der Menschheit" (Breuer, 1981)
Bestandsaufnahme:

Beeinträchtigung einzelner Umweltmedien => medienübergreifende
Beeinträchtigungen und Veränderungen der Umwelt

singuläre und lokal begrenzte Störfälle => globale Umweltschäden (z.B.
Ozonschicht; Klimawandel); Akteure und Wirkungen überschreiben
nationalstaatlichen Aktionsrahmen

komplexe Wirkungsgefüge => einerseits Abmilderung der Wirkungen
schädigender Ereignisse durch kompensatorische Effekte, andererseits kaum
kalkulierbarer "point of no return"
=> Moderner Umweltschutz: Übergang von punktueller Schadensabwehr zur
integralen Umweltpflege und -vorsorge

Umweltprogramm der Bundesregierung 1971:
Def. Umweltpolitik:= Gesamtheit aller Maßnahmen, die notwendig sind,
 um dem Menschen eine Umwelt zu sichern, die er für seine Gesundheit und
ein menschenwürdiges Dasein braucht
 um Boden, Luft und Wasser, Pflanzen- und Tierwelt vor nachteiligen
Wirkungen menschlicher Eingriffe zu schützen und
 um Schäden oder Nachteile aus menschlichen Eingriffen zu beseitigen
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
einerseits wichtige Erfolge (z.B. emissionsarme Autos und Flugzeuge;
hervorragende Filteranlagen; Verzicht auf FCKW)

andererseits werden Erfolge durch vermehrte Inanspruchnahme von
Umweltgütern (z.B. Steigerung von Produktion, Konsum und Verkehr) häufig
wieder zunichte gemacht
aktuelle Herausforderungen:
2.

Internationalisierung und Globalisierung des Umweltschutzes (z.B. bei CO2Ausstoß und Klimaschutz) als Reaktion auf Globalisierung der Akteure und
beeinträchtigenden Wirkungen

Umweltschutz als Querschnittsaufgabe: Umweltbeeinträchtigungen berühren
nahezu alle Lebensbereiche => Verankerung des Umweltschutzes in allen
relevanten Bereichen (z.B. Verkehr, Industrie, Bauen)
Begriff und Struktur des Umweltrechts
im Rechtsstaat verwirklicht sich staatlicher Umweltschutz im Recht;
Umweltschutz als Querschnittsaufgabe => unweltrechtliche Regelungen sind
nahezu über die gesamte Rechtsordnung verteilt:

öffentliches Umweltrecht
 Umweltordnungsrecht: Recht der Abwehr von Gefahren und der Vorsorge
gegen Risiken im Umweltbereich (historische Wurzeln des Umweltrechts;
auch jetzt noch in vielen Bereichen <z.B. Immissionsschutzrecht>
dominierend)
 Umweltplanungsrecht: Bewältigung komplexer Umweltprobleme (z.B.
Luftreinhaltepläne, § 47 BImSchG; Lärmminderungsplanung, §§ 47a ff.
BImSchG; Landschaftsplanung, §§ 8 ff. BNatSchG)

Umweltprivatrecht (z.B. §§ 906, 1004 BGB, Umwelthaftungsrecht)

Umweltstrafrecht (z.B. §§ 324 bis 330 d StGB)
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Einteilung des öffentlichen Umweltrechts:

Umweltrecht i.e.S.:
 allgemeines Umweltrecht: Umwelt-Verwaltungsverfahrensrecht (vgl.
hierzu den allgemeinen Teil des – gescheiterten – UGB) und sonstige
allgemeine Regelungen (z.B. UIG, UVPG, UStatG)
 besonderes Umweltrecht: umweltspezifisches materielles Recht; dient
ausschließlich oder hauptsächlich dem Schutz bestimmter Umweltmedien
(z.B. Immissionsschutzrecht, Naturschutzrecht, Gewässerschutzrecht,
Bodenschutzrecht, Abfallrecht, Atomrecht, Gentechnikrecht)

Umweltrecht i.w.S.: problembezogene Querschnittsregelungen; über die
gesamte Rechtsordnung verteilt; insbesondere in Gesetzen, die zwar nicht in
erster Linie dem Umweltschutz dienen, aber in hohem Maße umweltrelevant
sind (z.B. § 1a, § 2 Abs. 4 BauGB, § 9 ROG)
II. VERFASSUNGSRECHTLICHE GRUNDLAGEN DES UMWELTRECHTS
1.
Überblick
bis zur Schaffung der Staatszielbestimmung Umweltschutz: keine spezifischen
Umweltschutzpostulate im GG; auch aus dem Rechtsstaatsprinzip (einschließlich
Grundrechte), dem Demokratieprinzip und dem Sozialstaatsprinzip lassen sich
keine ummittelbaren Umweltschutzpostulate ableiten;
Rechtsstaats- und Demokratieprinzip enthalten aber
Rechtfertigungsanforderungen für grundrechtsgebundenes staatliches Handeln:
Freiheitsbeschränkungen formell (Vorbehalt des Gesetzes; Kompetenzen) und
materiell (Grundrechte) rechtfertigungsbedürftig => freiheitssichernde Wirkung
gegenüber dem Staat
darüber hinaus gewährleistet die Verfassung einen Handlungsrahmen zum
Binnenausgleich der Freiheitsentfaltung in der freien Gesellschaft
=> Instrumente des Interessenausgleichs zur Wahrnehmung eigener Rechte (z.B.
Vertragsfreiheit)
=> gesetzliche Schädigungsverbote (z.B. im Strafrecht) und Sekundäransprüche
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(z.B. im Deliktsrecht nach §§ 823 ff., 1004 BGB)
generell: Konsequenzen für den Umweltschutz:
2.

Umweltbeeinträchtigungen in erster Linie durch Private (z.B. durch
industrielle Produktion und Verkehr)
=>Freiheitssicherung gegen den Staat trifft nicht den Kern des Problems

Umweltgüter nur teilweise privat zugeordnet
=> ohne private Rechtsposition versagen Instrumente des gesellschaftlichen
Binnenausgleichs

"verantwortlicher (d.h. in unserem Zusammenhang: umweltschonender)
Freiheitsgebrauch" als unmittelbares verfassungsrechtliches Postulat ist
unserem Verfassungsverständnis grundsätzlich fremd
Grundrechte
"materieller Dreh- und Angelpunkt des freiheitlichen Rechtsstaats"
a)
Eingriffsabwehr ("Status negativus")
aa) Abwehr staatlicher Umweltbelastungen

Umweltbeeinträchtigungen unmittelbar durch den Staat (z.B.
umweltbelastende öffentliche Einrichtungen wie etwa
Müllverbrennungsanlagen)
Probleme:
 nur subjektiver Individualrechtsschutz: kein Abwehrrecht ohne
Rechtsbeeinträchtigung
 Relevanzschwelle: unzumutbare individuelle Betroffenheit (z.B. durch
Lärmbeeinträchtigungen) muss nachgewiesen werden

private Unweltbelastung auf der Grundlage staatlicher Genehmigungen (z.B.
Straßen- und Flugverkehr; emittierende Anlagen)
Probleme:
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 Zurechenbarkeit: nur bei Fehlverhalten des Staates (grundlegend
BVerfGE 53, 30 <59> Mühlheim-Kährlich)
o Genehmigung gesetzeswidrig
=> kann durch Bürger, die hierdurch in subjektiven Rechten betroffen
sind, abgewehrt werden
o unzureichende gesetzliche Schutzanforderungen <siehe objektivrechtliche Funktion der Grundrechte>
 auch hier nur subjektiver Individualrechtsschutz
 auch hier Relevanzschwelle

Umweltbelastungen ohne staatliche Mitwirkung
Probleme:
 keine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte
=> kann nur abgewehrt werden, wenn wiederum Fehlverhalten des
Staates (z.B. indem er eine verfassungsrechtlich gebotene präventive
Prüfung in einem Genehmigungsverfahren nicht gesetzlich angeordnet hat
<siehe objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte>)
 auch hier nur subjektiver Individualrechtsschutz
 auch hier Relevanzschwelle
b)
Objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte
Grundrechte sind nicht nur subjektive Abwehrrechte, sondern auch objektivrechtliche Wertentscheidungen der Verfassung (vgl. z.B. Pieroth/Schlink,
Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 76)
=> staatliche Schutzpflichten
=> Grundrechtsschutz des Bürgers durch Verfahren
aa) Staatliche Schutzpflichten
Probleme:
Verletzung nur, "wenn staatliche Organe gänzlich untätig geblieben oder die
getroffenen Maßnahmen evident unzureichend sind" (BVerfGE 79, 174 <201
f.>); weiter Bewertungs- und Handlungsspielraum des Staates
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=> nur wenige Konstellationen im Umweltbereich, in der sich die objektiven
Schutzpflichten des Staates zu einem subjektiven Anspruch auf staatliches Handeln
verdichten (z.B. Mobilfunk)
bb) Grundrechtsschutz durch Verfahren
Probleme:
 Verfahrensrechte reichen nicht weiter als materielle Rechtsposition
 Mitwirkungspflichten mit Präklusionswirkung als Kehrseite
3.
Rechtsstaatsprinzip
Probleme:
 Vorbehalt des Gesetzes: Verpflichtung des Gesetzgebers, alles Wesentliche
selbst zu regeln, verhindert rasche Reaktion auf akute Umweltprobleme
 Kompetenzen: im Bereich des Umweltrechts zersplittert (durch
Föderalismusreform I etwas abgemildert)
 Vertrauensschutz: Rückwirkungsverbot etc.
4.
Demokratieprinzip
<siehe Vorbehalt des Gesetzes>
Zwischenergebnis:
 Abwehr staatlicher Umweltbeeinträchtigungen: nicht Problemschwerpunkt
im Bereich der Umweltbeeinträchtigungen
 Einforderung umweltschützender Aktivitäten des Staates
o staatliche Schutzpflichten verschaffen dem Bürger in der Regel keine
subjektive Rechtsposition
o umgekehrt erprobtes und effizientes freiheitssicherndes Instrumentarium
(Status negativus der Grundrechte) zur Abwehr umweltschützender, aber
freiheitsbeeinträchtigender Aktivitäten des Staates
 kein verfassungsunmittelbares Korrektiv im Sinne eines "verantwortlichen
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Freiheitsgebrauchs"
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5.
Staatszielbestimmung Umweltschutz, Art. 20a GG
durch Gesetz vom 27.10.1994 (BGBl. I S. 3146) in das GG aufgenommen; in Kraft
getreten am 15.11.1994

Rechtsnatur: objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung
 kein subjektiv-öffentliches Recht des Bürgers
 kein absoluter Vorrang des Umweltschutzes

Schutzgut: natürliche Lebensgrundlagen (deshalb ist die Bezeichnung
"Staatsziel Umweltschutz", die sich mittlerweile eingebürgert hat, nicht ganz
präzise) und Tierwelt
 auch menschlich gestaltete Umwelt ("Kulturlandschaft")
 anthropozentrische Konzeption (allerdings nicht im Sinne einer schlichten
humanen Nutzenkalkulation)
 Konzeption der Nachhaltigkeit ("… auch in Verantwortung für die
künftigen Generationen …")

Relevanz:
 Rechtfertigung umweltschützender Aktivitäten des Gesetzgebers
(insbesondere auch im Bereich vorbehaltslos gewährleisteter Grundrechte)
 Direktive für Verwaltung (etwa bei der Ermessensbetätigung) und
Rechtsprechung (etwa bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe)
6.
Föderale Kompetenzordnung
a)
Umweltgesetzgebung
Föderalismusreform I:
zwar nicht Einführung eines einheitlichen Kompetenztitels "Recht der Umwelt";
aber deutliche Konzentration der Kompetenzen beim Bund (alle
Kernkompetenzen im Bereich des Umweltschutzes in der
Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, zumeist als konkurrierende Kompetenz);
Erforderlichkeitsklausel im Umweltrecht ganz überwiegend nicht mehr
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anwendbar, Art. 72 Abs. 2 GG; Abweichungsgesetzgebung der Länder im Bereich
der bisherigen Rahmengesetzgebungskompetenz ("kompetitiver Föderalismus")
Überblick über Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Umweltrechts:

ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes: im Wesentlichen nur
Luftverkehrsrecht, Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG, und Atomrecht, Art. 73 Abs. 1
Nr. 14 GG

konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes:
 wichtigste Materien:

Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG: Recht der Wirtschaft (z.B. EnEG)

Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG: Bodenrecht (BauGB)

Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG: Lebensmittel- und Tierschutzrecht

Art. 74 Abs. 1 Nr. 21GG: Wasserstraßen

Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG: Straßenverkehr

Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG: Schienenbahnen

Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG: Abfallbeseitigung, Luftverschmutzung und
Lärmbekämpfung (KrW-/AbfG; BImSchG)

Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG: Naturschutz/Landschaftspflege (BNatSchG)

Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG: Raumordnung (ROG)

Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG: Wasserhaushalt (WHG)
 3 Varianten:

Kernkompetenz des Bundes: konkurrierende Gesetzgebungskompetenz
ohne Erforderlichkeitsschranke und ohne Abweichungskompetenz
der Länder (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 18, 24 GG)

Erforderlichkeitskompetenz des Bundes: konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz mit Erforderlichkeitsschranke (z.B. Art. 74
Abs. 1 Nr. 11, 20, 22 GG)

Abweichungskompetenz:
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b)

konkurrierende Gesetzgebung des Bundes ohne
Erforderlichkeitsschranke, aber mit begrenzter
Abweichungskompetenz der Länder (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 29
GG: abweichende Regelungen über den Naturschutz ohne die
allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes; z.B. Art. 74 Abs. 1
Nr. 32 GG: abweichende Regelungen über den Wasserhaushalt
ohne stoff- oder anlagenbezogene Regelungen;
Abgrenzungsprobleme (strittig z.B., ob naturschutzrechtliche
Eingriffsregelung noch Grundsätze des Naturschutzrechts)

konkurrierende Gesetzgebung des Bundes ohne
Erforderlichkeitsschranke, aber mit unbegrenzter
Abweichungskompetenz der Länder (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 31
GG)

ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder: nur noch bei
verhaltensbezogenem Lärm (siehe Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG), im
Fischereirecht sowie im - subsidiär anzuwendenden - Polizei- und
Sicherheitsrecht

Übergangsvorschrift Art. 125b GG (insb. Abs. 1 Satz 2)
Umweltverwaltung
Vollzugszuständigkeit der Länder in nahezu allen Bereichen des Umweltrechts:

Vollzug der Landesgesetz und nicht gesetzesakzessorischer
Verwaltungsvollzug, Art. 30 GG: z.B. BayImSchG

Vollzug der Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten
(Landeseigenverwaltung, Art. 83, 84 GG); Bund kann Behördeneinrichtung
und Verwaltungsverfahren regeln oder selbst Verwaltungsvorschriften
erlassen, Art. 84 Abs. 1 und 2 GG; Regelung bedarf nicht mehr der
Zustimmung des Bundesrats; dafür Abweichungskompetenz der Länder;
Umweltverfahrensrecht fällt unter Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG und ist
deshalb abweichungsfest

Vollzug der Bundesgesetze im Auftrag des Bundes
(Bundesauftragsverwaltung, Art. 85 GG): z.B. Kernenergieverwaltung,
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Art. 87c GG
Bundeseigene Verwaltung: im wesentlichen nur Verwaltung der
Bundeswasserstraßen, Art. 87 Abs. 1 Satz 1, Art. 89 GG
III. EUROPARECHTLICHE BEZÜGE
<wird im Zusammenhang mit den Grundprinzipien des Umweltrechts und
einzelnen Umweltmedien besprochen>
IV. GRUNDPRINZIPIEN DES UMWELTRECHTS
1.
Überblick
 Ausgangspunkt: Schutzprinzip
Prinzip der polizeirechtlichen Gefahrenabwehr; im Umweltrecht: Schutz vor
schädlichen Umwelteinwirkungen und Abwehr konkreter Umweltgefahren
Ergänzung durch spezifische Prinzipien des Umweltrechts: auf
unterschiedlichen Aktionsebenen (Völkerrecht; Unionsrecht; nationales Recht)
herausgebildet; politischer Ursprung (z.B. Umweltprogramm BReg von 1971
sowie Fortschreibung im Umweltbericht BReg von 1976); nach und nach
verrechtlicht (erstmals im Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-,
Wirtschafts- und Sozialunion, Art. 16; Fortschreibung im Einigungsvertrag,
Art. 34 EV);
 Herkömmliche Prinzipientrias des Umweltrechts:
 Vorsorgeprinzip: Primärziel, Belastungen und Gefahren für die Umwelt
bereits im Vorfeld zu vermeiden
 Verursacherprinzip: determiniert als Sekundärziel die
Verantwortlichkeiten für Umweltbeeinträchtigungen (Adressaten von
Umweltschutzmaßnahmen; finanzielle Lastenverteilung; mittelbar auch
Präventivfunktion)
 Kooperationsprinzip: bestimmte Art und Weise der Operationalisierung
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und Organisation des Umweltschutzrechts (organisatorische und
instrumentelle Umsetzung)
einheitliche Regelung fehlt; bereichsspezifische Ausprägungen mit
unterschiedlichem Regelungsinhalt => „destiliert“ aus den Vorschriften des
besonderen Umweltrechts; Rechtsverbindlichkeit nur dort, wo gesetzlich
normiert; auf verschiedenen Ebenen zum Teil divergierende Inhalte
interpretationsleitende Funktion (z.B. Vorsorgeprinzip => keine subjektive
Rechtsposition); Ausfüllung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen
 unionsrechtliche Ebene (Art. 191 Abs. 2 AEUV):
 hohes Schutzniveau
 Prinzip der Vorsorge und Vorbeugung
 Ursprungsprinzip: Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem
Ursprung zu bekämpfen
 Verursacherprinzip
prägende Wirkung für unionsrechtliche Umwelt-RL, mit denen die Unionsebene
dem mitgliedsstaatlichen Gesetzgeber detaillierte inhaltliche Vorgaben für eine
prinzipiengeleitete Ausgestaltung des nationalen Rechts machen kann
 angereichert durch weitere Prinzipien, die sich auf internationaler und
unionsrechtlicher Ebene durchgesetzt (insb. sog. Querschnittsklausel des
Art. 11 AEUV) und Einzug in die nationalen Umweltschutzgesetze gefunden
haben
 Integrationsprinzip: Schutzauftrag für die Umwelt in ihrer Gesamtheit
 Nachhaltigkeitsprinzip (vgl. Schmidt/Kahl, Umweltrecht, 2006, § 1 Rn. 22;
Klöpfer, Umweltschutzrecht, 2008, § 3 Rn 13)
2.
Schutzprinzip
a)
Zweck: Gefahrenabwehr
b)
Inhalt: Schutz vor schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt und Abwehr
konkreter Umweltgefahren;
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Anknüpfung an polizeirechtlichen Gefahrenbegriff:= Sachlage, die bei
ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem
Schaden an Rechtsgütern führen würde; Anforderungen an Wahrscheinlichkeit
umso niedriger, je bedeutender die betroffenen Umweltgüter und je größer das
Ausmaß der erwarteten Schädigung sind;
Operationalisierung über gesetzliche Generalklauseln und technische Regelwerke
(BImSchV; TA Lärm, TA Luft) => greift nicht erst, wenn Umwelt bereits
geschädigt, sondern bereits dann, wenn Schädigung konkret droht
c)
Rechtsnatur und Rechtswirkungen
drittschützende Wirkung, soweit sich Bürger auf subjektive Rechtspositionen wie
insbesondere das Recht auf Gesundheit und Leben <Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG> oder
die Eigentumsgarantie <Art. 14 GG> berufen kann; insoweit auch Klagebefugnis
d)
Einfachrechtliche Verankerung
generelle Regelung fehlt; bereichsspezifische Ausprägung

gesetzliche Zielbestimmungen, z.B.


§ 1 BImSchG
Betreiberpflichten, z.B.

§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG

§ 4 Abs. 1 und 3 BBodSchG
3.
Vorsorgeprinzip
a)
Zweck
wichtigstes Prinzip des Umweltrechts; von der bloß reaktiven Schadensbeseitigung
zum präventiven und planenden Umweltschutz (Vermeidung und Verminderung
von Umweltbelastungen an der Quelle, Schutz vor Auswirkungen von
Umweltbelastungen)
b)
Inhalt
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heute im Wesentlichen zwei Varianten:
 Risiko- und Gefahrenvorsorge (sicherheitsrechtlicher Aspekt)
 Ressourcenvorsorge (bewirtschaftungsrechtlicher Aspekt)
aa) Risiko- und Gefahrenvorsorge
Gefahrenvorsorge schon im Vorfeld der sicherheitsrechtlichen
Gefahrenschwelle; vom Vorsorgeprinzip erfasst sind auch
 zeitlich und räumlich noch entfernte Risiken
 zeitlich: in die Zukunft weisende Perspektive, u.U. über Generationen
 räumlich: erfasst sind auch Ferntransporte von Schadstoffen
 Fälle mit geringerer Eintrittwahrscheinlichkeit: Schwelle für staatliches
Handeln ist erreicht, wenn Besorgnispotential besteht; Restrisiken (z.B.
Mobilfunk) sind demgegenüber hinzunehmen (kein Null-Risiko-Prinzip)
 auch Umweltbelastungen erfasst, die erst im Zusammenwirken mit anderen
Belastungen schädlich werden können (kumulative Kausalität)
 gegebenenfalls auch Schutz empfindlicher Bevölkerungsgruppen
 Gebot der Belastungsminimierung (z.B. nach dem Stand der Technik, § 5
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG); Grenzen: Grundrechte/Verhältnismäßigkeit
 unter Umständen Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr (z.B. im
Zivilrecht <vgl. BGHZ 92, 143>; aber auch im VwR denkbar)
 Rechtsfolgen: technische Vorkehrungen zur Vermeidung/Verminderung von
Emissionen sowie für den Fall einer Verwirklichung eines Unfalls/Störfalls
bb) Ressourcenvorsorge
Umweltvorsorge im Sinne einer vorausschauenden Umweltplanung und
zukunftsverträglichen Ressourcenbewirtschaftung; Ziel, für zukünftige
Nutzungen Freiräume zu erhalten (s. auch Nachhaltigkeitsprinzip)
c)
Rechtsnatur und Rechtswirkungen
nur objektiv-rechtliches Prinzip; nach h.M. keine drittschützende Wirkung (keine
subjektive Rechtsposition des Bürgers, dass jenseits des Schutzprinzips
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Umweltvorsorge betrieben wird); deshalb auch keine hieraus ableitbare
Klagebefugnis
d)
Einfachrechtliche Verankerung
allgemeine Gesetzesgrundlage für Vorsorgeprinzip fehlt; deshalb derzeit (wohl)
allein durch Fachgesetze getragen (vgl. aber § 1 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 UGB-RefE)



Vorsorge als allgemeiner Gesetzeszweck: z.B.

§ 1 BImSchG

§ 1a WHG
Verpflichtung zur Minimierung denkbarer Schadensrisiken durch
Beachtung der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglichen
Vorsorgemaßnahmen: z.B.

§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG

§ 7a WHG
Verschlechterungsverbot: insb.


§ 2 Abs. 1 Nr. 5 und 13 BNatSchG
Vorsorge als Planungsdirektive: z.B.

§ 2 Abs.2 Nr. 8 ROG

§ 1 Abs. 5, Abs. 6 Nr. 7, § 1a BauGB
3.
Verursacherprinzip
a)
Zweck
Umweltprogramm der BReg. 1971: "Jeder, der die Umwelt belastet oder sie
schädigt, soll für die Kosten dieser Belastung oder Schädigung aufkommen";
insoweit lediglich Kostenzurechnungsprinzip: Verursacherprinzip bestimmt, wem
einzelne Umweltbeeinträchtigungen zuzurechnen sind und wer für die Beseitigung
bzw. Verminderung in die Pflicht genommen werden soll
general- und spezialpräventive Wirkung (mittelbar verhaltenssteuernd aufgrund
der auf einen Schädiger zukommenden finanziellen Belastungen)
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allerdings rein ökonomische Betrachtung der Umweltgüter; kann effektiven
Umweltschutz nicht gewährleisten; Verursacherprinzip deshalb immer auf
Ergänzung durch das Vorsorgeprinzip angelegt
b)
Inhalt und Rechtswirkungen
Verursacherprinzip wird heute allgemein weiter verstanden:

ökonomisches Kostenzurechnungs-/Sekundärrechtsfolgenprinzip mit dem
Ziel einer Internalisierung der Kosten von Umweltbeeinträchtigungen

zudem finanzielles und materielles Verantwortungsprinzip, das
Verantwortlichen im Sinne einer Nichtverursachung beeinflussen soll, etwa
durch
 Zurechnung von Störungen i.S. der sicherheitsrechtlichen
Störerverantwortung (Adressat für ordnungsrechtliche Gebote und
Verbote etc.)
 Zurechnungskriterien auch für Einsatz von Anreizinstrumenten (s.u.)
Maßstab für Zurechnung: erhebliche naturwissenschaftliche Nachweisprobleme
bei komplexen Wirkungszusammenhängen (z.B. Waldschaden); deshalb
rechtliches Zurechnungsprinzip, das der Gesetzgeber jenseits von Äquivalenzoder Adäquanztheorie nach Gerechtigkeits-, Billigkeits- oder politischen
Zweckmäßigkeitserwägungen ausgestalten kann
c)
4.
Einfachrechtliche Verankerung

Vermeidungs-, Verminderungs- oder Beseitigungspflichten (z.B. Autos, § 38
BImSchG; Hausmüllbeseitigung)

Auferlegung "ersparter" Kosten bei pflichtwidrigem Verhalten

Auferlegung der Kosten für Ausgleichs- und Kompensationsmaßnahmen (z.B.
naturschutzrechtliche Eingriffs-/Ausgleichsregelung nach § 135a BauGB)

Belastung mit politisch festgesetzten Knappheitspreisen für die
Umweltnutzung (z.B. Emissionshandel)
Kooperationsprinzip
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kein umweltspezifisches, aber doch ein umwelttypisches Prinzip; Bekenntnis zu
gemeinsamer Verantwortung von Staat und Bürgern und zur wechselseitigen
Abhängigkeit und Beeinflussbarkeit im Verhältnis von Staat und Gesellschaft im
freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat (vgl. auch § 1 Abs. 2 Nr. 4 UGB-RefE)

Aufgabenverteilungsprinzip: Wandel vom imperativen zum paktierenden
Staat (z.B. informelle Absprachen; freiwillige Selbstverpflichtung der
Wirtschaft zur Vermeidung staatlicher Maßnahmen <VerpackungsV>)
Vorteile:
 Einbindung privater
Freiheitsgebrauch")
Verantwortung
(Stichwort:
"Verantwortlicher
 Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz
Nachteile:
 Gefahr inhaltlicher Kompromisse zu Lasten des Gemeinwohls und der
Belange des Umweltschutzes
 Fehlende rechtsstaatliche Sicherungen, insb. hinsichtlich betroffener
Dritter, wenn Normsetzungen oder behördliche Anordnungen durch
informelle Absprachen oder Selbstverpflichtungs-Abkommen ersetzt
werden
deshalb staatliche Gewährleistungsverantwortung als notwendiges Korrektiv
erforderlich, soweit Aufgaben des Umweltschutzes privatisiert werden

kooperatives Aufgabenwahrnehmungsprinzip, z.B. Anhörung "beteiligter
Kreise" (§ 51 BImSchG), Betroffenenbeteiligung, Verbandsbeteiligung (§ 58 ff.
BNatSchG)
 Einbringung
von
Sachverstand;
Komplettierung
entscheidungserheblichen (Abwägungs-) Materials
des
 Repräsentation von (organisierten) Interessen
 aber auch: erhöhte Mitwirkungspflichten (z.B. in Form von materiellen
oder prozessualen Präklusionswirkungen)
5.
Integrationsprinzip
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gemeinschaftsrechtliche Wurzeln (UVP-RL und IVU-RL)
Zweck: Schutz der Umwelt in ihrer Gesamtheit;
Inhalt:

interne Integration: medienübergreifender Ansatz (z.B. § 5 Abs. 1 Satz 1
BImSchG: "… hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt …"; § 10
Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG; )

externe Integration: Berücksichtigung der Umweltbelange auch in nur
mittelbar umweltrelevanten Politiken (insb. Querschnittsklausel des Art. 6
EGV)
gesetzliche Ausprägungen:
6.

§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG ("Wechselwirkungen zwischen Umweltgütern")

§ 75 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwVfG (formelle Konzentrationswirkung)

vgl. auch § 42 ff. UGB-RefE (integrierte Vorhabengenehmigung)
Nachhaltigkeitsprinzip
in der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG nicht ausdrücklich benannt, aber
impliziert (Zukunftsverantwortung des Staates "für künftige Generationen")
gesetzliche Ausprägungen:

naturschutzrechtliche Eingriffs- und Ausgleichsregelung, §§ 18 ff. BNatSchG

Verschlechterungsverbote, § 33 Abs. 5, § 34 Abs. 1 BNatSchG

Raumordnung, § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 3 ROG
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