RiBVerwG Helmut Petz Sommersemester 2012 UMWELT- UND PLANUNGSRECHT A. GRUNDLAGEN DES UMWELTRECHTS I. EINFÜHRUNG 1. Probleme des Umweltschutzes Umweltschutz: "Schicksalsfrage der Menschheit" (Breuer, 1981) Bestandsaufnahme: Beeinträchtigung einzelner Umweltmedien => medienübergreifende Beeinträchtigungen und Veränderungen der Umwelt singuläre und lokal begrenzte Störfälle => globale Umweltschäden (z.B. Ozonschicht; Klimawandel); Akteure und Wirkungen überschreiben nationalstaatlichen Aktionsrahmen komplexe Wirkungsgefüge => einerseits Abmilderung der Wirkungen schädigender Ereignisse durch kompensatorische Effekte, andererseits kaum kalkulierbarer "point of no return" => Moderner Umweltschutz: Übergang von punktueller Schadensabwehr zur integralen Umweltpflege und -vorsorge Umweltprogramm der Bundesregierung 1971: Def. Umweltpolitik:= Gesamtheit aller Maßnahmen, die notwendig sind, um dem Menschen eine Umwelt zu sichern, die er für seine Gesundheit und ein menschenwürdiges Dasein braucht um Boden, Luft und Wasser, Pflanzen- und Tierwelt vor nachteiligen Wirkungen menschlicher Eingriffe zu schützen und um Schäden oder Nachteile aus menschlichen Eingriffen zu beseitigen 582797590 2 einerseits wichtige Erfolge (z.B. emissionsarme Autos und Flugzeuge; hervorragende Filteranlagen; Verzicht auf FCKW) andererseits werden Erfolge durch vermehrte Inanspruchnahme von Umweltgütern (z.B. Steigerung von Produktion, Konsum und Verkehr) häufig wieder zunichte gemacht aktuelle Herausforderungen: 2. Internationalisierung und Globalisierung des Umweltschutzes (z.B. bei CO2Ausstoß und Klimaschutz) als Reaktion auf Globalisierung der Akteure und beeinträchtigenden Wirkungen Umweltschutz als Querschnittsaufgabe: Umweltbeeinträchtigungen berühren nahezu alle Lebensbereiche => Verankerung des Umweltschutzes in allen relevanten Bereichen (z.B. Verkehr, Industrie, Bauen) Begriff und Struktur des Umweltrechts im Rechtsstaat verwirklicht sich staatlicher Umweltschutz im Recht; Umweltschutz als Querschnittsaufgabe => unweltrechtliche Regelungen sind nahezu über die gesamte Rechtsordnung verteilt: öffentliches Umweltrecht Umweltordnungsrecht: Recht der Abwehr von Gefahren und der Vorsorge gegen Risiken im Umweltbereich (historische Wurzeln des Umweltrechts; auch jetzt noch in vielen Bereichen <z.B. Immissionsschutzrecht> dominierend) Umweltplanungsrecht: Bewältigung komplexer Umweltprobleme (z.B. Luftreinhaltepläne, § 47 BImSchG; Lärmminderungsplanung, §§ 47a ff. BImSchG; Landschaftsplanung, §§ 8 ff. BNatSchG) Umweltprivatrecht (z.B. §§ 906, 1004 BGB, Umwelthaftungsrecht) Umweltstrafrecht (z.B. §§ 324 bis 330 d StGB) 582797590 3 Einteilung des öffentlichen Umweltrechts: Umweltrecht i.e.S.: allgemeines Umweltrecht: Umwelt-Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. hierzu den allgemeinen Teil des – gescheiterten – UGB) und sonstige allgemeine Regelungen (z.B. UIG, UVPG, UStatG) besonderes Umweltrecht: umweltspezifisches materielles Recht; dient ausschließlich oder hauptsächlich dem Schutz bestimmter Umweltmedien (z.B. Immissionsschutzrecht, Naturschutzrecht, Gewässerschutzrecht, Bodenschutzrecht, Abfallrecht, Atomrecht, Gentechnikrecht) Umweltrecht i.w.S.: problembezogene Querschnittsregelungen; über die gesamte Rechtsordnung verteilt; insbesondere in Gesetzen, die zwar nicht in erster Linie dem Umweltschutz dienen, aber in hohem Maße umweltrelevant sind (z.B. § 1a, § 2 Abs. 4 BauGB, § 9 ROG) II. VERFASSUNGSRECHTLICHE GRUNDLAGEN DES UMWELTRECHTS 1. Überblick bis zur Schaffung der Staatszielbestimmung Umweltschutz: keine spezifischen Umweltschutzpostulate im GG; auch aus dem Rechtsstaatsprinzip (einschließlich Grundrechte), dem Demokratieprinzip und dem Sozialstaatsprinzip lassen sich keine ummittelbaren Umweltschutzpostulate ableiten; Rechtsstaats- und Demokratieprinzip enthalten aber Rechtfertigungsanforderungen für grundrechtsgebundenes staatliches Handeln: Freiheitsbeschränkungen formell (Vorbehalt des Gesetzes; Kompetenzen) und materiell (Grundrechte) rechtfertigungsbedürftig => freiheitssichernde Wirkung gegenüber dem Staat darüber hinaus gewährleistet die Verfassung einen Handlungsrahmen zum Binnenausgleich der Freiheitsentfaltung in der freien Gesellschaft => Instrumente des Interessenausgleichs zur Wahrnehmung eigener Rechte (z.B. Vertragsfreiheit) => gesetzliche Schädigungsverbote (z.B. im Strafrecht) und Sekundäransprüche 582797590 4 (z.B. im Deliktsrecht nach §§ 823 ff., 1004 BGB) generell: Konsequenzen für den Umweltschutz: 2. Umweltbeeinträchtigungen in erster Linie durch Private (z.B. durch industrielle Produktion und Verkehr) =>Freiheitssicherung gegen den Staat trifft nicht den Kern des Problems Umweltgüter nur teilweise privat zugeordnet => ohne private Rechtsposition versagen Instrumente des gesellschaftlichen Binnenausgleichs "verantwortlicher (d.h. in unserem Zusammenhang: umweltschonender) Freiheitsgebrauch" als unmittelbares verfassungsrechtliches Postulat ist unserem Verfassungsverständnis grundsätzlich fremd Grundrechte "materieller Dreh- und Angelpunkt des freiheitlichen Rechtsstaats" a) Eingriffsabwehr ("Status negativus") aa) Abwehr staatlicher Umweltbelastungen Umweltbeeinträchtigungen unmittelbar durch den Staat (z.B. umweltbelastende öffentliche Einrichtungen wie etwa Müllverbrennungsanlagen) Probleme: nur subjektiver Individualrechtsschutz: kein Abwehrrecht ohne Rechtsbeeinträchtigung Relevanzschwelle: unzumutbare individuelle Betroffenheit (z.B. durch Lärmbeeinträchtigungen) muss nachgewiesen werden private Unweltbelastung auf der Grundlage staatlicher Genehmigungen (z.B. Straßen- und Flugverkehr; emittierende Anlagen) Probleme: 582797590 5 Zurechenbarkeit: nur bei Fehlverhalten des Staates (grundlegend BVerfGE 53, 30 <59> Mühlheim-Kährlich) o Genehmigung gesetzeswidrig => kann durch Bürger, die hierdurch in subjektiven Rechten betroffen sind, abgewehrt werden o unzureichende gesetzliche Schutzanforderungen <siehe objektivrechtliche Funktion der Grundrechte> auch hier nur subjektiver Individualrechtsschutz auch hier Relevanzschwelle Umweltbelastungen ohne staatliche Mitwirkung Probleme: keine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte => kann nur abgewehrt werden, wenn wiederum Fehlverhalten des Staates (z.B. indem er eine verfassungsrechtlich gebotene präventive Prüfung in einem Genehmigungsverfahren nicht gesetzlich angeordnet hat <siehe objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte>) auch hier nur subjektiver Individualrechtsschutz auch hier Relevanzschwelle b) Objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte Grundrechte sind nicht nur subjektive Abwehrrechte, sondern auch objektivrechtliche Wertentscheidungen der Verfassung (vgl. z.B. Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 76) => staatliche Schutzpflichten => Grundrechtsschutz des Bürgers durch Verfahren aa) Staatliche Schutzpflichten Probleme: Verletzung nur, "wenn staatliche Organe gänzlich untätig geblieben oder die getroffenen Maßnahmen evident unzureichend sind" (BVerfGE 79, 174 <201 f.>); weiter Bewertungs- und Handlungsspielraum des Staates 582797590 6 => nur wenige Konstellationen im Umweltbereich, in der sich die objektiven Schutzpflichten des Staates zu einem subjektiven Anspruch auf staatliches Handeln verdichten (z.B. Mobilfunk) bb) Grundrechtsschutz durch Verfahren Probleme: Verfahrensrechte reichen nicht weiter als materielle Rechtsposition Mitwirkungspflichten mit Präklusionswirkung als Kehrseite 3. Rechtsstaatsprinzip Probleme: Vorbehalt des Gesetzes: Verpflichtung des Gesetzgebers, alles Wesentliche selbst zu regeln, verhindert rasche Reaktion auf akute Umweltprobleme Kompetenzen: im Bereich des Umweltrechts zersplittert (durch Föderalismusreform I etwas abgemildert) Vertrauensschutz: Rückwirkungsverbot etc. 4. Demokratieprinzip <siehe Vorbehalt des Gesetzes> Zwischenergebnis: Abwehr staatlicher Umweltbeeinträchtigungen: nicht Problemschwerpunkt im Bereich der Umweltbeeinträchtigungen Einforderung umweltschützender Aktivitäten des Staates o staatliche Schutzpflichten verschaffen dem Bürger in der Regel keine subjektive Rechtsposition o umgekehrt erprobtes und effizientes freiheitssicherndes Instrumentarium (Status negativus der Grundrechte) zur Abwehr umweltschützender, aber freiheitsbeeinträchtigender Aktivitäten des Staates kein verfassungsunmittelbares Korrektiv im Sinne eines "verantwortlichen 582797590 7 Freiheitsgebrauchs" 582797590 8 5. Staatszielbestimmung Umweltschutz, Art. 20a GG durch Gesetz vom 27.10.1994 (BGBl. I S. 3146) in das GG aufgenommen; in Kraft getreten am 15.11.1994 Rechtsnatur: objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung kein subjektiv-öffentliches Recht des Bürgers kein absoluter Vorrang des Umweltschutzes Schutzgut: natürliche Lebensgrundlagen (deshalb ist die Bezeichnung "Staatsziel Umweltschutz", die sich mittlerweile eingebürgert hat, nicht ganz präzise) und Tierwelt auch menschlich gestaltete Umwelt ("Kulturlandschaft") anthropozentrische Konzeption (allerdings nicht im Sinne einer schlichten humanen Nutzenkalkulation) Konzeption der Nachhaltigkeit ("… auch in Verantwortung für die künftigen Generationen …") Relevanz: Rechtfertigung umweltschützender Aktivitäten des Gesetzgebers (insbesondere auch im Bereich vorbehaltslos gewährleisteter Grundrechte) Direktive für Verwaltung (etwa bei der Ermessensbetätigung) und Rechtsprechung (etwa bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe) 6. Föderale Kompetenzordnung a) Umweltgesetzgebung Föderalismusreform I: zwar nicht Einführung eines einheitlichen Kompetenztitels "Recht der Umwelt"; aber deutliche Konzentration der Kompetenzen beim Bund (alle Kernkompetenzen im Bereich des Umweltschutzes in der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, zumeist als konkurrierende Kompetenz); Erforderlichkeitsklausel im Umweltrecht ganz überwiegend nicht mehr 582797590 9 anwendbar, Art. 72 Abs. 2 GG; Abweichungsgesetzgebung der Länder im Bereich der bisherigen Rahmengesetzgebungskompetenz ("kompetitiver Föderalismus") Überblick über Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Umweltrechts: ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes: im Wesentlichen nur Luftverkehrsrecht, Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG, und Atomrecht, Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes: wichtigste Materien: Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG: Recht der Wirtschaft (z.B. EnEG) Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG: Bodenrecht (BauGB) Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG: Lebensmittel- und Tierschutzrecht Art. 74 Abs. 1 Nr. 21GG: Wasserstraßen Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG: Straßenverkehr Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG: Schienenbahnen Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG: Abfallbeseitigung, Luftverschmutzung und Lärmbekämpfung (KrW-/AbfG; BImSchG) Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG: Naturschutz/Landschaftspflege (BNatSchG) Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG: Raumordnung (ROG) Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG: Wasserhaushalt (WHG) 3 Varianten: Kernkompetenz des Bundes: konkurrierende Gesetzgebungskompetenz ohne Erforderlichkeitsschranke und ohne Abweichungskompetenz der Länder (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 18, 24 GG) Erforderlichkeitskompetenz des Bundes: konkurrierende Gesetzgebungskompetenz mit Erforderlichkeitsschranke (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 20, 22 GG) Abweichungskompetenz: 582797590 10 b) konkurrierende Gesetzgebung des Bundes ohne Erforderlichkeitsschranke, aber mit begrenzter Abweichungskompetenz der Länder (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG: abweichende Regelungen über den Naturschutz ohne die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes; z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG: abweichende Regelungen über den Wasserhaushalt ohne stoff- oder anlagenbezogene Regelungen; Abgrenzungsprobleme (strittig z.B., ob naturschutzrechtliche Eingriffsregelung noch Grundsätze des Naturschutzrechts) konkurrierende Gesetzgebung des Bundes ohne Erforderlichkeitsschranke, aber mit unbegrenzter Abweichungskompetenz der Länder (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG) ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder: nur noch bei verhaltensbezogenem Lärm (siehe Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG), im Fischereirecht sowie im - subsidiär anzuwendenden - Polizei- und Sicherheitsrecht Übergangsvorschrift Art. 125b GG (insb. Abs. 1 Satz 2) Umweltverwaltung Vollzugszuständigkeit der Länder in nahezu allen Bereichen des Umweltrechts: Vollzug der Landesgesetz und nicht gesetzesakzessorischer Verwaltungsvollzug, Art. 30 GG: z.B. BayImSchG Vollzug der Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten (Landeseigenverwaltung, Art. 83, 84 GG); Bund kann Behördeneinrichtung und Verwaltungsverfahren regeln oder selbst Verwaltungsvorschriften erlassen, Art. 84 Abs. 1 und 2 GG; Regelung bedarf nicht mehr der Zustimmung des Bundesrats; dafür Abweichungskompetenz der Länder; Umweltverfahrensrecht fällt unter Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG und ist deshalb abweichungsfest Vollzug der Bundesgesetze im Auftrag des Bundes (Bundesauftragsverwaltung, Art. 85 GG): z.B. Kernenergieverwaltung, 582797590 11 Art. 87c GG Bundeseigene Verwaltung: im wesentlichen nur Verwaltung der Bundeswasserstraßen, Art. 87 Abs. 1 Satz 1, Art. 89 GG III. EUROPARECHTLICHE BEZÜGE <wird im Zusammenhang mit den Grundprinzipien des Umweltrechts und einzelnen Umweltmedien besprochen> IV. GRUNDPRINZIPIEN DES UMWELTRECHTS 1. Überblick Ausgangspunkt: Schutzprinzip Prinzip der polizeirechtlichen Gefahrenabwehr; im Umweltrecht: Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen und Abwehr konkreter Umweltgefahren Ergänzung durch spezifische Prinzipien des Umweltrechts: auf unterschiedlichen Aktionsebenen (Völkerrecht; Unionsrecht; nationales Recht) herausgebildet; politischer Ursprung (z.B. Umweltprogramm BReg von 1971 sowie Fortschreibung im Umweltbericht BReg von 1976); nach und nach verrechtlicht (erstmals im Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, Art. 16; Fortschreibung im Einigungsvertrag, Art. 34 EV); Herkömmliche Prinzipientrias des Umweltrechts: Vorsorgeprinzip: Primärziel, Belastungen und Gefahren für die Umwelt bereits im Vorfeld zu vermeiden Verursacherprinzip: determiniert als Sekundärziel die Verantwortlichkeiten für Umweltbeeinträchtigungen (Adressaten von Umweltschutzmaßnahmen; finanzielle Lastenverteilung; mittelbar auch Präventivfunktion) Kooperationsprinzip: bestimmte Art und Weise der Operationalisierung 582797590 12 und Organisation des Umweltschutzrechts (organisatorische und instrumentelle Umsetzung) einheitliche Regelung fehlt; bereichsspezifische Ausprägungen mit unterschiedlichem Regelungsinhalt => „destiliert“ aus den Vorschriften des besonderen Umweltrechts; Rechtsverbindlichkeit nur dort, wo gesetzlich normiert; auf verschiedenen Ebenen zum Teil divergierende Inhalte interpretationsleitende Funktion (z.B. Vorsorgeprinzip => keine subjektive Rechtsposition); Ausfüllung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen unionsrechtliche Ebene (Art. 191 Abs. 2 AEUV): hohes Schutzniveau Prinzip der Vorsorge und Vorbeugung Ursprungsprinzip: Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen Verursacherprinzip prägende Wirkung für unionsrechtliche Umwelt-RL, mit denen die Unionsebene dem mitgliedsstaatlichen Gesetzgeber detaillierte inhaltliche Vorgaben für eine prinzipiengeleitete Ausgestaltung des nationalen Rechts machen kann angereichert durch weitere Prinzipien, die sich auf internationaler und unionsrechtlicher Ebene durchgesetzt (insb. sog. Querschnittsklausel des Art. 11 AEUV) und Einzug in die nationalen Umweltschutzgesetze gefunden haben Integrationsprinzip: Schutzauftrag für die Umwelt in ihrer Gesamtheit Nachhaltigkeitsprinzip (vgl. Schmidt/Kahl, Umweltrecht, 2006, § 1 Rn. 22; Klöpfer, Umweltschutzrecht, 2008, § 3 Rn 13) 2. Schutzprinzip a) Zweck: Gefahrenabwehr b) Inhalt: Schutz vor schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt und Abwehr konkreter Umweltgefahren; 582797590 13 Anknüpfung an polizeirechtlichen Gefahrenbegriff:= Sachlage, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an Rechtsgütern führen würde; Anforderungen an Wahrscheinlichkeit umso niedriger, je bedeutender die betroffenen Umweltgüter und je größer das Ausmaß der erwarteten Schädigung sind; Operationalisierung über gesetzliche Generalklauseln und technische Regelwerke (BImSchV; TA Lärm, TA Luft) => greift nicht erst, wenn Umwelt bereits geschädigt, sondern bereits dann, wenn Schädigung konkret droht c) Rechtsnatur und Rechtswirkungen drittschützende Wirkung, soweit sich Bürger auf subjektive Rechtspositionen wie insbesondere das Recht auf Gesundheit und Leben <Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG> oder die Eigentumsgarantie <Art. 14 GG> berufen kann; insoweit auch Klagebefugnis d) Einfachrechtliche Verankerung generelle Regelung fehlt; bereichsspezifische Ausprägung gesetzliche Zielbestimmungen, z.B. § 1 BImSchG Betreiberpflichten, z.B. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG § 4 Abs. 1 und 3 BBodSchG 3. Vorsorgeprinzip a) Zweck wichtigstes Prinzip des Umweltrechts; von der bloß reaktiven Schadensbeseitigung zum präventiven und planenden Umweltschutz (Vermeidung und Verminderung von Umweltbelastungen an der Quelle, Schutz vor Auswirkungen von Umweltbelastungen) b) Inhalt 582797590 14 heute im Wesentlichen zwei Varianten: Risiko- und Gefahrenvorsorge (sicherheitsrechtlicher Aspekt) Ressourcenvorsorge (bewirtschaftungsrechtlicher Aspekt) aa) Risiko- und Gefahrenvorsorge Gefahrenvorsorge schon im Vorfeld der sicherheitsrechtlichen Gefahrenschwelle; vom Vorsorgeprinzip erfasst sind auch zeitlich und räumlich noch entfernte Risiken zeitlich: in die Zukunft weisende Perspektive, u.U. über Generationen räumlich: erfasst sind auch Ferntransporte von Schadstoffen Fälle mit geringerer Eintrittwahrscheinlichkeit: Schwelle für staatliches Handeln ist erreicht, wenn Besorgnispotential besteht; Restrisiken (z.B. Mobilfunk) sind demgegenüber hinzunehmen (kein Null-Risiko-Prinzip) auch Umweltbelastungen erfasst, die erst im Zusammenwirken mit anderen Belastungen schädlich werden können (kumulative Kausalität) gegebenenfalls auch Schutz empfindlicher Bevölkerungsgruppen Gebot der Belastungsminimierung (z.B. nach dem Stand der Technik, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG); Grenzen: Grundrechte/Verhältnismäßigkeit unter Umständen Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr (z.B. im Zivilrecht <vgl. BGHZ 92, 143>; aber auch im VwR denkbar) Rechtsfolgen: technische Vorkehrungen zur Vermeidung/Verminderung von Emissionen sowie für den Fall einer Verwirklichung eines Unfalls/Störfalls bb) Ressourcenvorsorge Umweltvorsorge im Sinne einer vorausschauenden Umweltplanung und zukunftsverträglichen Ressourcenbewirtschaftung; Ziel, für zukünftige Nutzungen Freiräume zu erhalten (s. auch Nachhaltigkeitsprinzip) c) Rechtsnatur und Rechtswirkungen nur objektiv-rechtliches Prinzip; nach h.M. keine drittschützende Wirkung (keine subjektive Rechtsposition des Bürgers, dass jenseits des Schutzprinzips 582797590 15 Umweltvorsorge betrieben wird); deshalb auch keine hieraus ableitbare Klagebefugnis d) Einfachrechtliche Verankerung allgemeine Gesetzesgrundlage für Vorsorgeprinzip fehlt; deshalb derzeit (wohl) allein durch Fachgesetze getragen (vgl. aber § 1 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 UGB-RefE) Vorsorge als allgemeiner Gesetzeszweck: z.B. § 1 BImSchG § 1a WHG Verpflichtung zur Minimierung denkbarer Schadensrisiken durch Beachtung der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglichen Vorsorgemaßnahmen: z.B. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG § 7a WHG Verschlechterungsverbot: insb. § 2 Abs. 1 Nr. 5 und 13 BNatSchG Vorsorge als Planungsdirektive: z.B. § 2 Abs.2 Nr. 8 ROG § 1 Abs. 5, Abs. 6 Nr. 7, § 1a BauGB 3. Verursacherprinzip a) Zweck Umweltprogramm der BReg. 1971: "Jeder, der die Umwelt belastet oder sie schädigt, soll für die Kosten dieser Belastung oder Schädigung aufkommen"; insoweit lediglich Kostenzurechnungsprinzip: Verursacherprinzip bestimmt, wem einzelne Umweltbeeinträchtigungen zuzurechnen sind und wer für die Beseitigung bzw. Verminderung in die Pflicht genommen werden soll general- und spezialpräventive Wirkung (mittelbar verhaltenssteuernd aufgrund der auf einen Schädiger zukommenden finanziellen Belastungen) 582797590 16 allerdings rein ökonomische Betrachtung der Umweltgüter; kann effektiven Umweltschutz nicht gewährleisten; Verursacherprinzip deshalb immer auf Ergänzung durch das Vorsorgeprinzip angelegt b) Inhalt und Rechtswirkungen Verursacherprinzip wird heute allgemein weiter verstanden: ökonomisches Kostenzurechnungs-/Sekundärrechtsfolgenprinzip mit dem Ziel einer Internalisierung der Kosten von Umweltbeeinträchtigungen zudem finanzielles und materielles Verantwortungsprinzip, das Verantwortlichen im Sinne einer Nichtverursachung beeinflussen soll, etwa durch Zurechnung von Störungen i.S. der sicherheitsrechtlichen Störerverantwortung (Adressat für ordnungsrechtliche Gebote und Verbote etc.) Zurechnungskriterien auch für Einsatz von Anreizinstrumenten (s.u.) Maßstab für Zurechnung: erhebliche naturwissenschaftliche Nachweisprobleme bei komplexen Wirkungszusammenhängen (z.B. Waldschaden); deshalb rechtliches Zurechnungsprinzip, das der Gesetzgeber jenseits von Äquivalenzoder Adäquanztheorie nach Gerechtigkeits-, Billigkeits- oder politischen Zweckmäßigkeitserwägungen ausgestalten kann c) 4. Einfachrechtliche Verankerung Vermeidungs-, Verminderungs- oder Beseitigungspflichten (z.B. Autos, § 38 BImSchG; Hausmüllbeseitigung) Auferlegung "ersparter" Kosten bei pflichtwidrigem Verhalten Auferlegung der Kosten für Ausgleichs- und Kompensationsmaßnahmen (z.B. naturschutzrechtliche Eingriffs-/Ausgleichsregelung nach § 135a BauGB) Belastung mit politisch festgesetzten Knappheitspreisen für die Umweltnutzung (z.B. Emissionshandel) Kooperationsprinzip 582797590 17 kein umweltspezifisches, aber doch ein umwelttypisches Prinzip; Bekenntnis zu gemeinsamer Verantwortung von Staat und Bürgern und zur wechselseitigen Abhängigkeit und Beeinflussbarkeit im Verhältnis von Staat und Gesellschaft im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat (vgl. auch § 1 Abs. 2 Nr. 4 UGB-RefE) Aufgabenverteilungsprinzip: Wandel vom imperativen zum paktierenden Staat (z.B. informelle Absprachen; freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft zur Vermeidung staatlicher Maßnahmen <VerpackungsV>) Vorteile: Einbindung privater Freiheitsgebrauch") Verantwortung (Stichwort: "Verantwortlicher Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz Nachteile: Gefahr inhaltlicher Kompromisse zu Lasten des Gemeinwohls und der Belange des Umweltschutzes Fehlende rechtsstaatliche Sicherungen, insb. hinsichtlich betroffener Dritter, wenn Normsetzungen oder behördliche Anordnungen durch informelle Absprachen oder Selbstverpflichtungs-Abkommen ersetzt werden deshalb staatliche Gewährleistungsverantwortung als notwendiges Korrektiv erforderlich, soweit Aufgaben des Umweltschutzes privatisiert werden kooperatives Aufgabenwahrnehmungsprinzip, z.B. Anhörung "beteiligter Kreise" (§ 51 BImSchG), Betroffenenbeteiligung, Verbandsbeteiligung (§ 58 ff. BNatSchG) Einbringung von Sachverstand; Komplettierung entscheidungserheblichen (Abwägungs-) Materials des Repräsentation von (organisierten) Interessen aber auch: erhöhte Mitwirkungspflichten (z.B. in Form von materiellen oder prozessualen Präklusionswirkungen) 5. Integrationsprinzip 582797590 18 gemeinschaftsrechtliche Wurzeln (UVP-RL und IVU-RL) Zweck: Schutz der Umwelt in ihrer Gesamtheit; Inhalt: interne Integration: medienübergreifender Ansatz (z.B. § 5 Abs. 1 Satz 1 BImSchG: "… hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt …"; § 10 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG; ) externe Integration: Berücksichtigung der Umweltbelange auch in nur mittelbar umweltrelevanten Politiken (insb. Querschnittsklausel des Art. 6 EGV) gesetzliche Ausprägungen: 6. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG ("Wechselwirkungen zwischen Umweltgütern") § 75 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwVfG (formelle Konzentrationswirkung) vgl. auch § 42 ff. UGB-RefE (integrierte Vorhabengenehmigung) Nachhaltigkeitsprinzip in der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG nicht ausdrücklich benannt, aber impliziert (Zukunftsverantwortung des Staates "für künftige Generationen") gesetzliche Ausprägungen: naturschutzrechtliche Eingriffs- und Ausgleichsregelung, §§ 18 ff. BNatSchG Verschlechterungsverbote, § 33 Abs. 5, § 34 Abs. 1 BNatSchG Raumordnung, § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 3 ROG 582797590